[488] Das Hieroglyphenlied
oder
Anklänge und Bilder der Zeit und Zukunft
1.
Wie Meeres Brausen himmlisch im Gesange
Rauscht es von Harfen in den Lüften frei;
Der Greise Sternenlied im Sphärengange. –
Da schnitt recht mitten in dem Ätherklange
Ein grauser Schrei die Harmonie entzwei.
2.
Der heranschreitende Antichrist
Vermodert lag, im Sündenschlaf erstorben,
Die Welt dem Feind zur leichten Beute da.
Die hat ein blut'ger Bär sich schnell erworben;
Die weiche Tatz' erfaßt, was da verdorben,
Sein Blick durchmißt die Länder fern und nah.
3.
Weil nun das Zeitgeschwür ist aufgebrochen,
Stürmt Unheil durch die Völker wütend los.
Ein Meer von Blut hat jeden Damm durchstochen,
Der Strom der Meinung wird in Blut gesprochen,
Als Blut entspringt der Quell dem Erdenschoß.
[489] 4.
Der letzte Eroberer und der neue Parteienkampf
Es flog in Eil vorbei ein Räuber-Adler,
Und schoß hinunter in das Todesmeer.
Die strengen Wächter sind der Frechheit Tadler,
Getreu bewacht der Hund den rechten Adler,
Die Schlange zischt von unten Gift uns her.
5.
Wohl dunkle Nacht bedeckt die Welt in Klagen,
Die Erd' erbebt im ersten Morgenwehn.
O möchte endlich doch die Sonne tagen,
Und hoch der Sieger auf dem Sternenwagen,
Im Glanz das Kreuz am lichten Himmel stehn! –
6.
Laß durch die Schöpfung Deine Flammen schießen,
O Morgenstern! im Glanze des Gerichts;
Daß Ströme Lichts vom Himmel niederfließen,
So wie ein Ries' im Lauf sich zu ergießen;
Erlös' uns von dem kalten, öden Nichts! –
7.
Wüst ist und leer die Erd' anfangs gewesen;
Doch Gottes Geist schwebt' schaffend über ihr.
Er sprach – Ich will, du bist zum Heil erlesen;
Da war die Nacht vom finstern Sein genesen;
Sein Wort in Ewigkeit schafft Licht auch hier!
8.
Die chaotische Finsternis
Zwar kriecht noch alles scheußlich von Insekten
Dort in Ägyptens fluchbeladnem Schlamm;
Wo Frösche vollgehäuft im Blute steckten,
Weil schwarze Blattern Mann und Vieh befleckten,
Heuschrecken ziehn im dichten Wolkendamm.
[490] 9.
Die dunkle Stunde deckt noch alle Gassen,
Man tappt und greift ägypt'sche Finsternis.
Die Männer stehn, den Pilgerstab zu fassen,
Beschuht, gegürtet, alles zu verlassen;
Das Feuerlamm heilt erst den Schlangenbiß.
10.
Gedörrt im Feuer ward's zum nächt'gen Mahle,
Und keiner tritt vor seine Schwell' hinaus.
Wie mit dem heil'gen Blut die Tür er male,
Sinnt jeder, und den Todesengel zahle,
Weil der vorüberschwebt am stillen Haus.
11.
Das Geheimnis der Erwartung
So wie dort heimlich in der Bergeshöhle
Am Riesenfeld der Kämpfer David lag,
Daß er den Räubern seine Macht verhehle;
Wo der Gesalbte mit dem Gnadenöle
Geheimnisvoll das Wort der Sehnsucht sprach.
12.
Noch schläft der König in der Felsenkammer,
Wo seiner Starken Kreis den Tisch umringt;
Verborgen säumt des Weltenrichters Hammer,
Weil David seufzt und fühlt der Erde Jammer,
Bis man von Bethlehem das Wasser bringt.
13.
O daß nur erst vom Himmel niederflösse
Aus diesem Quell die heil'ge Balsamflut;
Die große Scheidung fest an Gott uns schlösse,
Aus den fünf Wunden glorreich sich ergösse
Zum Weltgerichte das verklärte Blut!
14.
Der Grund der göttlichen Verzögerung
Schon reifend neigen sich die goldnen Ähren,
Wo schlau der Feind viel Unkraut drunter sät.
Um das zu sondern und das Korn zu mehren,
Will Gott den Schnittern noch die Ernte wehren,
Wo Eine Sichel alles niedermäht.
[491] 15.
Wohl ist der Garten Gottes zu vergleichen
Dem kleinsten Korn, das noch die Erde deckt;
Erst grünt es, wächst und wird ein vielfach Zeichen,
Wo Himmelsgeister durch die Äste streichen,
Bis zu den Sternen sich der Wipfel streckt.
16.
O könnte wer zum Strom des Lebens flüchten,
Wo Bäume stehn, zwölffacher Art und Zier;
So voll gelabt von Paradieses Früchten,
Wie bei dem Fischzug Petrus sprach mit Züchten:
»Ich bin ein Sünder, geh hinaus von mir!« –
17.
Die Vorbereitung der Werkzeuge
Der Morgen graut, die frommen Schwestern fanden
Dämmernd den Weg zum Grab der Liebe hin.
Auch Petrus eilt, erstaunt ob den Gewanden,
Und ruft am offnen Grab: »Er ist erstanden!«
Nun wird ihm klar der heil'gen Bücher Sinn.
18.
Geliebte Schwester, Tochter, Magdalene!
Dir gilt dein süßer Garten statt der Welt.
Es stand der Heiland da in lichter Schöne,
Von seinen Lippen klangen Himmelstöne;
Er hat im Seelengarten dich bestellt.
19.
Im Sarg der Ichheit liegt Er uns begraben,
Dem Starrsinn wird die Schrift zum toten Stein.
O möchte bald Sein Morgenlicht uns laben,
Verklärt wie die zuerst gesehn Ihn haben,
Und Christus neu der Welt entstanden sein. –
20.
Zwei Jünger schreiten klagend auf den Wegen,
Wie Den, der ewig lebt, verlor die Welt.
Ihr Herz entbrennt bei seinem Schriftauslegen
Bis dann bei des Erstand'nen Flammensegen
Die ird'sche Binde von den Augen fällt. –
[492] 21.
Die Wiedererweckung der Menschheit
Das bleibt ein Fels, den sich der Glaube baute:
»Sprich nur ein Wort, so wird gesund mein Knecht!« –
Das Wort allein, wer auch Ihn selbst nicht schaute.
Weil Petri Mutter dann der Hand vertraute,
Erhebt die Kranke neu sich, ungeschwächt.
22.
Geheilt, erneut wird durch des Heilands Segen,
Der, welchen Aussatz greulich erst entstellt.
Er ruft es laut, preist Gott auf allen Wegen,
Er läuft, die Priester kommen ihm entgegen,
Wie ein Geschrei bei Nacht erweckt die Welt.
23.
Da kommt die Bahre, die den Jüngling führte,
Der Witwe Sohn, der Mutter Trost und Glück.
Als den Erlöser tief die Klage rührte;
»Steh' auf!« – sagt' er, weil er den Sarg anrührte;
Der Tote spricht, er gab ihr ihn zurück.
24.
Der Blinde sieht das Licht, laut ruft ein Stummer,
Der Lahme geht, der Wütende wird frei.
Er spricht und heilt der Witwe Grabeskummer;
Wach' auf, o Welt! aus deinem Todesschlummer;
»Ich komme bald und mache alles neu!«
25.
Verwesend liegt unter dem Todessteine
Die Menschheit alternd in der Modergruft,
Drei Weltentage schon im Sargesschreine.
Der Gottmensch schaudert, gleich als ob er weine;
Und Lazarus klimmt auf zur Himmelsluft.
26.
Die Gräber tun sich auf, die Felsen beben,
Als an dem Kreuz das Opfer ist vollbracht.
Man sieht Gestalten viel von Heil'gen schweben,
Die sel'gen Geister gehn hervor ins Leben
Zur heil'gen Stadt aus ihrer Grabesnacht.
[493] 27.
Zum Kampfe der Entscheidung
Wach' auf, o Löwe! Du von Juda's Blute,
Des auserwählten Volks zwölffacher Stamm.
Geht neu hervor zum Kampf in heil'gem Mute;
Der Segen Josephs kommt euch jetzt zu Gute,
Zum Lebensquell führt des Gerichtes Lamm.
28.
Es ringt gebärend herb in Schmerz und Wehe
Die hohe Königin im Sternenkranz.
Ob sie den ird'schen Mond zu Füßen sehe,
Ob auch ihr Haupt im Licht der Sonne stehe,
Sie kämpft ob dieses Knaben Riesenglanz.
29.
Ein Engel kommt in Sonnenglut gefahren,
Die Palme schimmert grün in seiner Hand,
Zwölfmal zwölftausend neuer Heil'gen Scharen
Versiegelt er zu dieses Kampfs Gefahren;
Es schmückt die Stirn der lichten Zukunft Band.
30.
Es steigen auf die hohen Todesrosse,
Denn eisern ist des Richters Stab und Sinn.
Als Sieger zielt der Tod mit dem Geschosse,
Ihm folgt der zweite, blutige Genosse,
Gleich einem Feuerstern fliegt er dahin.
31.
Der Anfang der Strafgerichte
Wie Donner brüllen in den Wolkenfluten,
Rauscht es von Harfen in den Lüften frei;
Der Greise Sonnenlied in Himmelsgluten.
Hernieder fahren Blitze, Feuerruten,
Und Gottes Vorhang reißt der Welt entzwei.
32.
Die alte Königsburg erschallt von Klagen,
Die Krone wird dem Sarg zur Zier gestellt;
Der Tod im Purpur folgt dem Leichenwagen.
Jehova will die Erstgeburt erschlagen;
Die Sterne löschen aus der schnöden Welt.
[494] 33.
Habt ihr des Retters Stimme kaum vernommen,
Im Siegerkranz am dankgeweihten Ort,
Wo friedesäuselnd sie herabgekommen;
Ist jedes Segens Frucht von euch genommen,
So zittert vor des Richters Donnerwort! –
34.
Die schwarze Wolkensäule senkt sich nieder,
Und finstre Dämm'rung wird zur dunklen Nacht.
Nur Flammen zucken strahlend hin und wieder,
Umleuchten dieser Scharen Eisenglieder,
Der Ross' und Wagen stolze Heeresmacht.
35.
Das heil'ge Volk zieht hin in ernstem Gange,
Die Wolke sendet Licht vor ihnen her;
Die Wogen weichen vor dem Donnerklange,
Gleich festen Mauern in dem Wellendrange;
Sie schreiten unversehrt durchs hohe Meer.
36.
Als stolz nun Pharao kommt dahergefahren,
Ist wütend gleich die Flut zurückgestürmt,
Im Blutgetümmel sich zu offenbaren;
Angst und Entsetzen mehrt noch die Gefahren,
Im Wogenschaume himmelan getürmt.
37.
Die Rosse schnauben vor dem Sichelwagen,
Bis sie hinunter reißt die rote Flut;
Wo Helme, Lanzen aus dem Abgrund ragen,
Im Wahnsinn Kämpfer Schwert und Schild zerschlagen,
Und finstre Nacht bedeckt ein Meer von Blut.
38.
Nur grause Himmelszeichen schießen Strahlen
Und leuchten Schrecken durch die Todesnacht.
Gespenster ächzen in den dunkeln Qualen,
Die Bösen an der Höllenkette prahlen,
Bis sie vom schweren Sündentraum erwacht.
39.
Und da es ganz nun Mitternacht geworden,
Sprang das allmächt'ge Wort vom Thron herab:
Ein grauser Kriegsmann Leviathans Horden,
[495]Ein Riesenschwert die Sündenbrut zu morden,
Reicht es gen Himmel aus der Völker Grab. –
40.
Der Hunger breitet aus die Knochenarme,
Die süße Frucht stirbt hin am kranken Halm;
Der irre Geist erlischt im bleichen Harme,
Bis in dem Gift zum Tod das Blut erwarme;
Den Erdenball umdunstet Leichenqualm.
41.
Gigant'sche Ungeheuer, Mammut-Stiere,
Strömt überall die Wüst' in Scharen aus.
Als ob im Innern der Planet sich rühre,
Brechen hervor der Urwelt Riesentiere,
Und dringen mit Gebrüll zu Adams Haus.
42.
Geflügelt heil'ge Löwen jubeln wieder
Beim neuen Morgenrot zu Gott empor,
Vom Himmel steigen Seraphs-Adler nieder;
Wehmütig lallen kindlich Weihnachtslieder
Wie Menschenstimmen aus dem Meer hervor.
43.
Der Mond erblaßt im stillen Feierschritte,
Die Sterne reihen sich zum neuen Chor;
In blut'gem Schein entglänzt der Sonnen Mitte
Ein Wunderbild der Schmerzen, die Er litte;
Es strahlt bei Nacht das Kreuz im Glanz hervor.
44.
Der Wiederanfang des göttlichen Mitleidens
Wie in der Schöpfung Gott die Wesen trennte,
Das reine Licht von böser Finsternis;
Die blaue Flut dann oben Himmel nennte,
Unten das Meer, und schied die Elemente;
Also auch hier im letzten Weltenriß.
45.
Der Meister schlummert auf dem Wellenbette,
Dieweil das Schiff versinkt in Sturmes Wut.
Im Dunkel schrein die Jünger, daß Er rette;
[496]Der Heiland wacht und an der Geisterkette
Verstummt das Meer, still wird die Windesflut.
46.
Wie er das heil'ge Schiff in Fluten rettet,
Ist es sein Licht, was durch die Wüste führt.
Ägypten bleibt in Finsternis gekettet,
Weil Gott die Seinen unter Palmen bettet,
Womit zwölf heil'ge Quellen sind umziert.
47.
Und wenn das Volk gleich durstet, Hunger leidet,
Noch in der Trauerwüste hart bedrängt;
Wird es mit Himmelsbrote dort geweidet,
Von jener Hand, die auch die Lilien weidet,
Die Öde hat ein Liebesmahl verdrängt;
48.
Wie Er das Wasser hat in Wein gewendet,
Damit es nie dem heil'gen Tisch gebricht.
Der erst die Lebensquellen hat gespendet,
Ist es, der nun die hohen Geister sendet,
Er Selbst der ew'gen Hochzeit Gast und Licht.