Friedrich Schlegel
Alarcos
Ein Trauerspiel in zwei Aufzügen

Personen

[48] Personen.

    • Graf Alarcos.

    • Der König.

    • Don Alvaro,
    • Octavio,
    • Ricardo, , Herren vom Hofe.

    • Dagobert, im Dienste des Grafen.

    • Die Infantin Solisa.

    • Laura, ihre Dame.

    • Donna Clara, Gemahlin des Grafen.

    • Donna Cornelia, Mutter des Grafen.

    • Eine Wärterin.
    • [48]

1. Akt

1. Szene
Erste Szene.
Ein Zimmer der Infantin.
Solisa, Don Alvaro in Jagdkleidern, Laura; im Hintergrunde noch einige Herren von der Begleitung. Jagdmusik.

SOLISA.
So recht! – Laßt die Trompeten mutig schmettern,
So darf der innre Unmut sich nicht zeigen. –
O weh! Wie nun der lauten Hörner Schallen
Mich tief verwundet. Laßt sie endlich schweigen!
ALVARO.
Wenn sich der Sonne Glanz in Wolken hüllet,
Wie sollten Sterbliche sich freuen dürfen? –
Entfernt euch, Freunde! Die erhabne Fürstin
Wird nach der wilden Jagdlust Ruh' bedürfen.

Die Begleitung entfernt sich.
SOLISA.
Nicht Ruhe, nein! doch Stille laßt mich haben,
Und tiefes Schweigen ahnend mich umgeben.
Es mag der König wissen, wie ich traure;
Drum soll kein Freudenlaut sich hier erheben.
LAURA.
Zu kriegerisch erklangen diese Töne. –
Vermöcht' es meine treue Lieb' und Demut,
Dich zu erfreun, so wagt' ich dir zu singen
Ein altes Lied voll zarter Lieb' und Wehmut.
[49]
SOLISA.
So gib die Laute mir, dich zu begleiten.
LAURA.
Hier nimm sie hin, o Herrin! – Es verschöne
Mit leichtem Zauberschlag der Rosenfinger
Die Alabasterhand des Liedes Töne.

Sie singt.

Traurig stunde da der Ritter,
Traurig und von Freuden ferne,
Und gedacht' in seinem Sinne
Das, was innig er begehrte.
Tränen flossen aus den Augen,
Und die Lippe kam zu reden:
»O wo bist du, all mein Leben?
O wo bist du, meine Herrin? –
Ja, ich liebte eine Dame,
Liebte sie um hoher Ehre;
Doch mein bitter Unglück wollte,
Daß ich sie nun muß entbehren.
Auf die Berge will ich steigen,
Daß mich niemand wieder sehe;
Auf dem höchsten der Gebirge
Will ich führen nun mein Leben.«
SOLISA.
So treue Liebe wird nicht mehr gefunden,
Daß einer solches Leid um Liebe trüge.
Der heiße Ernst ist aus der Welt verschwunden,
Die schöne Dichtung ward zur eitlen Lüge,
Weil keiner mehr der Liebe Kraft empfunden.
Zerbrochen liege dann zu meinen Füßen,
Du täuschende Sirene, helle Laute,
Du, der ich alle Wünsche anvertraute!

Sie zerbricht die Laute.

Du schuldlos Werkzeug mußt es mir nun büßen,
Daß ich dem Silberklange hoffend traute.
O könnt' ich so wie diese schwachen Saiten,
Zerreißen ganz die schon zerriß'ne Seele;
So dürft' ich nicht mehr mit den Schmerzen streiten.
[50]
LAURA.
Daß nur dein Herz sie länger nicht verhehle,
So mag wohl treuer Rat noch Trost bereiten.
SOLISA.
Nein, keinen Trost ist's möglich zu erdenken,
Als ihm, auf den sich alle Herzen lenken,
Nach dem die stillen Wünsche alle fragen,
Dem ewig Einz'gen ewig zu entsagen,
Das Herz voll Gram in kalte Nacht zu senken.
Schon freut mich meiner alten Freuden keine;
Die Jagdlust selbst kann keine Lust gewähren.
Ich kann mich oft der Tränen nicht erwehren,
So daß ich selbst das arme Reh mir scheine,
Mir zürnend dann, daß ich so bitter weine.
ALVARO.
Mit Staunen, Fürstin, sah ich so dich heute
Im kühnsten Lauf des Sieges angehalten,
Die Flammen deines Mutes schnell erkalten,
Als ob der Sieg zu klein dir, dich gereute,
Unwert das Ziel der Blicke, dem sie galten.
LAURA.
Kannst du des Herzens Wünsche nicht bezwingen,
Mußt du der Einbildung ihr Spiel vergönnen,
Die Zeichen wieder vor die Augen bringen.
Den Bildern der Erinn'rung mag's gelingen,
Daß sie dir neue Hoffnung noch gewönnen.
SOLISA.
So laß die alte Torheit mich erneuen,
Mit Angedenken spielen um mein Leiden,
An Ringen, Locken töricht mich erfreuen,
An des Geliebten Bild die Blicke weiden,
[51] Und hingegeben kein Erröten scheuen.

Laura bringt ihr ein Kästchen.

Nun komm, Alarcos, sieh die stolze Fürstin,
An diesem Schauspiel mag dein Herz sich laben.
Sie kann die Liebe länger ja nicht bergen;
Vor ihren Leuten spielt sie die Verlaßne,
Die sich mit Sehnsucht an dem Bildnis weidet
Des Mannes, dessen Herz für sie einst flammte.

Sie nimmt das Bildnis heraus und betrachtet es.

Wie schnell ist aller Zorn und Stolz verschwunden,
Wenn ich der Züge Hoheit hier betrachte!
Alarcos, ich bekenne meine Liebe. –
Was ist das Höchste neben solchem Manne? –
O fraget, wer an Kühnheit, edlen Sitten,
An Schönheit aller Fürsten Heldenblume;
Der schon in starker Jugend sich erstritten,
Sein Haupt umstrahlt zu sehn von solchem Ruhme,
Daß keiner wohl ihm noch den Preis bestritten,
Er sei der erste Mann im Rittertume?
Es werden alle Einen anerkennen,
Einstimmig nur Alarcos Namen nennen.
Ich seh ihn noch vom Rosse siegreich blicken,
Den kühnen Federbusch vom Haupt ihm wehen,
Das schwarze Feuer in den hohen Blicken; –
Oh, wer in diesem Spiegel sich gesehen,
Den lockt es ewig nur, auf ihn zu blicken,
Der muß in tiefer Liebesglut vergehen,
Kann nicht verhüllen seine wilden Schmerzen;
Sie strömen allzu heiß vom vollen Herzen.
Nur die ist Königin, die seine Liebe
Anbetend sich zur Herrin auserwählte;
Denn königlich hat die Natur mit Liebe
Ihn ausgeschmückt, dem keine Tugend fehlte,
Wenn er sich selber kennend durch die Liebe,
Dem königlichen Glücke sich vermählte,
[52] Als König siegend selbst dem Sieg geböte,
Und meinen Stolz durch seinen noch erhöhte.

Sie gibt das Bildnis an Laura, welche sich damit entfernt.

Nun sprich, Alvaro, ob es wohl zu dulden,
Daß dieser Herrliche sich so verkannte,
Mit einem Kinde töricht sich vermählte,
Um eine Königstochter zu verlassen?
Und wär's nicht recht, die Ehe zu vernichten,
Den Grafen zu befreien von den Banden,
Die ihn von aller Glorie nur entfernen,
Um in Gewöhnlichkeit ihn festzuhalten?
ALVARO.
Wie magst du jene Torheit Ehe nennen,
Die niemals solche Gültigkeit kann haben,
Da er ja dir zuvor sich selbst versprochen! –
Sie ist als nicht geschehen zu betrachten.
Und hätt' er auch dies Wort dir nicht gegeben,
Dein Wille löste wohl noch fest're Bande!
Wie glücklich muß der Glückliche sich schätzen,
Dem hohe Gunst aus solchen Sonnen strahlet!
Laß mich die Sache meines Freundes führen,
Zu seinem Besten es freimütig wagen,
Nicht länger mehr verschweigend, was ich denke,
Dich selber bei dir selber anzuklagen.
O Fürstin, dieses Zaudern, dieses Zögern; –
Es wird zerstören meine schönsten Plane.
Ich habe alles sorgsam vorbereitet,
Gesprochen mit dem König, deinem Vater.
O sag', was hält dich ab, ihm zu vertrauen,
Ihm alles, was geschehen, frei zu sagen?
SOLISA.
Sein wild erschrecklich eisenhart Gemüte.
Wie darf ich meine Wünsch' ihm offenbaren?
[53]
ALVARO.
Wenn diese diesmal nun zu seinen stimmten,
So daß er ungeduldig dich erwartet?
Mir hat er deutlich zu verstehn gegeben,
Du sollst dein Recht nur förmlich geltend machen,
Wie dir Alarcos einst die Eh' gelobet,
Ihm nur bezeugen, dann ihn handeln lassen.
Doch fürcht' ich, wenn du allzu lange zögerst,
Wird, was er jetzt beschlossen, wieder wankend.
SOLISA.
Wie soll es enden, bleibt die Gräfin leben?
ALVARO.
Das darf uns wohl die kleinste Sorge machen.
Ja freilich wird man sie entfernen müssen.
Den König kann dies nicht zurücke halten;
Er liebte wahrlich niemals dies Geschlechte.
SOLISA.
So ist es wahr denn, was die Menschen sagen,
Es sei der Gräfin Bruder, Don Garcia,
Mit Eurem Wissen durch den Dolch gefallen?
ALVARO.
Er paßte gar nicht in die Welt des Hofes,
Und wollte hier mit strenger Tugend prahlen,
Bis es dem König wohl mißfallen mußte.
SOLISA.
Doch fürcht' ich, wir gewinnen nicht den Grafen.
ALVARO.
Du zweifelst an der Allmacht aller Reize,
Die je geblend'te Augen trunken machten?
[54] Die hoher Geist und kühner Mut erhöhen,
Der Fürstenhoheit Sonnenglanz umstrahlet?
So zweifle, daß die lichten Sterne glänzen,
Und zweifle an des Himmels blauer Klarheit! –
Ein Wort des Königs öffnet ihm die Augen,
Und jene Täuschung muß von selber fallen,
Die seinen Geist auf kurze Zeit betörte.
Er wird mir bald mit heißer Liebe danken,
Und mich den treusten seiner Freunde nennen,
Weil ich sein wahres Heil allein erkannte.
SOLISA.
So gehe, mich dem König anzumelden;
Ich will mich deiner Führung überlassen.

Alvaro geht ab.

Daß sich sein Herz erweichte,
Daß liebend wieder ihn mein Arm erreichte,
Ihn ewig zu umschlingen,
In Flammen aufgelöst ihn zu durchdringen!
O laß es mir gelingen,
Die sel'gen Zeiten uns zurückzubringen,
Sie schöner zu erneuern,
Dich wieder zu Triumphen zu befeuern! –
Ich kann es hoch beteuern bei der Treue,
Die ich mit bittrer Reue oft beweinet;
Ich will mit dir vereinet alles dulden,
Und jedes Frevels Schulden auf mich laden.
In grausem Blute will ich kühn mich baden,
Wirst du, Geliebter, mir zurückgegeben.
Ich will vor keiner argen Tat mehr beben,
Um dich zu haben, gern die Seele geben.
2. Szene
[55] Zweite Szene.
Ein Zimmer des Königs.
Ricardo. Octavio.

RICARDO.
Habt Ihr den König heute schon gesprochen?
OCTAVIO.
O nein, noch keiner ist vor ihn gekommen.
Er will allein sein, scheint vertieft in Sorgen.
Ein kund'ger Freund hat eben mir beschworen,
Daß die Infantin jetzt ihn sprechen wolle,
Ein feierlich Gehör bei ihm gefordert,
Und man erwartet davon wicht'ge Folgen.
RICARDO.
Da kommt er. – Seht, wie blickt er ernst und zornig!
So laßt uns gehn, eh' er uns wahrgenommen.

Sie entfernen sich, indem der König hereintritt.
DER KÖNIG.
Wie große Burgen lasten auf dem Boden,
Der sich dem schweren Drucke nie entzogen;
So auf des Herrschers Haupt die goldne Krone,
Und auf den Untertanen die Gebote,
Die jener diesen auflegt zu befolgen.
Es müssen alle seufzend doch gehorchen,
Sich schweigend beugen dem gewalt'gen Joche,
Vom König alles leiden, Niedr' und Hohe.
Oh, daß mein Haus nur so den Wünschen folgte,
Wie meine Länder zittern meinem Zorne!
Ich habe nur die eine einz'ge Tochter,
Und weiter keinen Erben. Diese Sorge
Ist mir ein scharfer Dorn in meiner Krone,
Und weckt mit bitterm Schmerz mich jeden Morgen.
[56]
ALVARO
der hereintritt.
Erlaubst du, Herr, daß die Infantin jetzt dir naht?
DER KÖNIG.
Sie komme, wie ich dir erlaubt und anbefahl.

Alvaro führt die Infantin herein. Sie läßt sich vor dem König auf ein Knie nieder. Alvaro tritt in den Hintergrund zurück.
SOLISA.
Zu meines Vaters Füßen such' ich Trost und Rat.
Und wie das Leiden auch den Mut mir niederwarf,
So beugt das Knie sich, auszusprechen meine Schmach;
Des festen Sinnes, daß ich aufstehn will erst dann,
Wenn, was ich bitte, du mir hilfreich zugesagt.
DER KÖNIG.
So sag ich, daß du wieder aufstehn kühnlich darfst,
Wenn was du bittest, irgend nur in meiner Macht.
Mein Wort bestätigt diese königliche Hand.
SOLISA.
Nun Herz! sei standhaft, waffne mutig dich mit Kraft!
Das Auge schlägt sich nieder vor dem heft'gen Kampf,
Es färbt die jungfräulichen Wangen hohe Scham.
Du siehst mich in der vollsten Jugendblüte Glanz; –
O hielte nicht die teure Mutter schon das Grab,
Sie hätte wohl mich zugeführt schon dem Gemahl,
Und festlich hätte mir die Fackel schon gestrahlt!
Ich will's bekennen, es gefällt mir nicht mein Stand,
Wo selbst die Hoheit endlich wird zur schweren Last.
DER KÖNIG.
Wie muß ich staunen über dem, was du gesagt!
Die höchsten Fürsten warben schon um deine Hand,
Von denen mancher aus der fernsten Fremde kam,
[57] Weil dort auch deiner Schönheit Ruf sein Ohr durchdrang;
Doch keinem gabst du jemals das erwünschte Ja.
Und weit entfernt, daß ich die Sorg' um dich vergaß,
Gedacht' ich dessen oft mit Schmerz und tiefem Gram.
Was hast du jemals noch gewünscht, das nicht geschah?
SOLISA.
O nein, kein Fremder werde jemals mein Gemahl!
Wie sollt' ich gleich verlassen dies mein Vaterland,
Wo Rittertum und hohe Liebe freudig strahlt,
Wenn mich zur Frau begehrte irgend ein Barbar,
Weil ihm zum Erbteil etwa eine Krone ward?
Es sei der, dem ich folgen soll, ganz meine Wahl.
DER KÖNIG.
Ich selber wählte mir für dich nicht solchen Mann,
Denn keinen Erben hat der Staat und unser Stamm.
Des Zweifels Unmut, Tochter, sei von dir verbannt,
Und rasch sogleich der mutige Entschluß gefaßt!
Turnier und Feste sollen gleich zur würd'gen Wahl
Die Würdigsten versammeln; und der hohe Dank
Sei dein Besitz, du selbst des Siegers Ehrenkranz.
SOLISA.
Es ist zu spät, mein Vater. – Denn schon ist die Wahl
Geschehn, und der mich liebte, meine Seele traf,
Mir bald die Freiheit raubte, Graf Alarcos war's.
Er hat, noch eh' er jetzt zur Frau die Gräfin nahm,
Mir zugeschworen, er nur werde mein Gemahl.
DER KÖNIG.
Ist's möglich, hab' ich deine Worte recht gefaßt?
SOLISA.
Ich habe alles, was du wissen mußt, gesagt.
[58]
DER KÖNIG.
Kannst du beteuernd schwören, daß dies alles wahr?
SOLISA.
So helfe ewiglich mir Gottes höchste Macht.
DER KÖNIG.
In kurzer Rede hast du Großes mir gesagt.
Zum zweitenmal nimm hier die königliche Hand,
Und statt der Antwort eil' ich gleich zur Rach' und Tat.
Das erstgegeb'ne Wort soll halten dir der Graf,
Sonst wird er mit dem Tode billig gleich bestraft.
Wie mag doch gegen seinen Herrn der Untertan
Sich so vergehen, sich erkühnen solcher Tat?

Der König und die Infantin gehen von verschiedenen Seiten ab.
ALVARO.
Der größte Schritt ist endlich nun geschehen,
Beharrlichkeit hat dennoch überwunden! –
Alarcos wildes Herz ist leicht zu lenken,
Auf ewig die Infantin mir verbunden;
So werd' ich einzig im Verborg'nen herrschen,
Und Beßres bringen noch die künft'gen Stunden,
Oh, wenn des Königs Tod uns bald erfreute,
Dann hätt' ich meiner Mühe Lohn gefunden!

So nahe nun dem lang ersehnten Ziele,
Muß wieder ich in Furcht und Zweifel schweben.
Wer andre gern mit Klugheit lenken möchte,
Oh, welche Welt von Sorg' ist dem gegeben!
Er muß der Menschen Leidenschaften nutzen,
Und doch vor jeder Laune ängstlich beben,
Die seine tiefsten Pläne stören könnte;
Ein ewig wacher Zwang nur ist sein Leben.
3. Szene
[59] Dritte Szene.
Ein anderes Zimmer im Schlosse.
Ricardo. Octavio. Alarcos.

RICARDO.
So wollt Ihr stets derselben Dame dienen,
Und achtet über alles nur die Treue?
ALARCOS.
Ich denke, leichter Wechsel bringt uns Reue;
Den preis' ich glücklich, dem sein Ziel erschienen.
Nur der weiß von der Liebe Glück zu sagen,
Der seine Einz'ge ewig sich erkoren,
Und ewig hält, was er ihr zugeschworen.
OCTAVIO.
Erlaubt mir, werter Graf, nur eins zu fragen;
Ihr seid der Dinge Meister, kennt die Liebe.
Leicht wird ein rasch Verheißen ausgesprochen,
Doch leichter wohl vom Leichtsinn noch gebrochen;
Ist's möglich denn, daß Ein' uns alles bliebe?
ALARCOS.
O wollt Ihr das nach meinem Sinn ermessen,
Ist Eurem jeder Zweifel bald entschwunden;
Und wer bezweifelt's, der sein Glück gefunden?
Wer einmal liebte, der kann nie vergessen.
Weg mit den leichten flüchtigen Gefühlen,
Die gleich den schnell verwelkten bunten Blüten,
Am ersten heißen Sommertag verblühten.
Ich kann das Ewige nur ewig fühlen.
So lebt ich liebend stets in treuem Bunde,
Das mag ich bei dem Teuersten beschwören.
[60]
DER KÖNIG
der während der letzten Worte hereingetreten ist.
Ich freue mich, Alarcos, das zu hören,
Ein rechtes Ehrenwort aus teurem Munde.
ALARCOS.
Ja, Ehre hab' ich, Herr, zum Ziel genommen,
Und lebe, wie es ihr Gesetz mich lehrte.
DER KÖNIG.
Ich wüßte keinen, den ich höher ehrte.
Dir dies zu zeigen, war ich jetzt gekommen,
Ich will auf deine Tugend Felsen bauen;
Du sollst der Erste sein in meinen Reichen,
Nur mir allein, sonst keinem andern weichen.
Jetzt aber will ich Wicht'ges dir vertrauen.

Ricardo und Octavio entfernen sich.

Du siehst, wie ich als Vater deiner schone,
Und wenn ich löwengleich dir zürnen sollte,
Die Schrecken meiner Macht dich fühlen lassen,
Treibt mich das Herz, als Liebling dich zu ehren.
ALARCOS.
Wie mocht' ich solchen Zorn, o Herr, verdienen?
DER KÖNIG.
So darfst du, Kühner, noch verwegen fragen?
Hast du vergessen, was du der Infantin
Mit einem teuren Eide einst versprochen,
Noch eh' du jene Mißheirat vollzogen
Mit dem verhaßten widrigen Geschlechte?
ALARCOS.
Du siehst bestürzt, beschämt mich vor dir stehen.
Ich kann, was die Infantin sagt, nicht leugnen.
[61]
DER KÖNIG.
Und dennoch konntest du dich selbst vergessend,
Nur eben jetzo deine Treue rühmen?
ALARCOS.
Es war ein Übermut, doch unter Freunden;
Ich glaubte nicht, daß uns der König hörte.
Auch war das, was ich meinte, treu der Wahrheit;
Denn fern war die Infantin meiner Seele,
Ich dachte nicht an sie bei diesen Worten.
DER KÖNIG.
So leicht vergißt du, was du heftig liebtest?
ALARCOS.
Und wenn wir noch so heftig ernst uns liebten,
Wie dürften deine Billigung wir hoffen?
Sie ist dein Blut, ich nur der erste Ritter.
DER KÖNIG.
Du bist gemacht, vor aller Welt zu glänzen.
Dein tapfer Schwert, dein Ruhm und Herzens Kühnheit
Sind königlicher Art, voll Größ' und Würde;
Was fehlt dir, als ein König nur zum Vater?
Ich will es sein, so du mein Sohn willst werden.
ALARCOS.
Wie sollt ich Mut zu solcher Hoheit fassen,
Jetzt da die eigne Schuld mich tief entadelt?
Ich fühle zwiefach schrecklich mich gebunden! –
Was aber soll aus meinem Weibe werden?
DER KÖNIG.
Wie kann den künft'gen Fürsten das erschrecken,
So kleiner Zweifel deinen Weg dir hemmen,
[62] Den ich so hoher Dinge würdig achte?
Es gibt gar manche Zuflucht für Verstoß'ne,
Und wenn kein schonend Mittel Hilfe leistet,
Zerhaut mit einem Streich der Mut den Knoten.
ALARCOS.
So soll ich meine Hand mit Blut beflecken,
Und sie so schuldlos für den Schuld'gen büßen?
DER KÖNIG.
Warum nicht? oder soll ich meine Ehre,
Der Tochter Rettung etwa lieber opfern?
Schon mancher hat für seines Königs Ehre
Schuldlos, weil's nötig war, den Tod erduldet;
So mag dasselb' auch wohl die Gräfin leiden.
ALARCOS.
Ich muß jetzt meine Schuld zu schwer noch fühlen:
Es ist mir neu und fremd, es drückt mich nieder.
Doch hoff' ich bald mich wieder zu erheben
Mit der gewohnten Kraft. Ich muß mich fassen;
Doch nimm hier meine Hand, daß ich vollführe,
Was ich gelobt, was es auch gelten möge.
Das einz'ge hab' ich fest sogleich beschlossen.
DER KÖNIG.
So starke Seelen sind allein am stärksten;
Drum überlass' ich jetzo dich dir selber.
Zuvor, vertrauend dem zum zweiten Male
Gegebnen Worte, laß mich nun als Vater
An meine königliche Brust dich drücken.

Er umarmt ihn und geht ab.
ALARCOS.
Das also war die Absicht, das dein groß' Vertraun?
Du hältst mich deiner würdig, ja und glaubst fürwahr,
[63] Ich werde schändlich handeln um den schnöden Lohn,
Ist nur die schwarze Sünde mit dem Gold des Throns
Zum Schein verhüllt, gedankenlos zufrieden sein,
Bis deinen Laster immer kühner folgt mein Schritt.
O Greuelbildnis, König ohne Ehr und Scham!
Nun glaub' ich, daß du schuld bist an Garcias Tod,
Und daß er fiel durch deine Meuchelmörderhand.
»Warum nicht?« sagst du, möchtest trinken heißes Blut,
Die heil'ge Unschuld töten, so dir Gott vertraut,
Das Recht zerbrechend schnöde spotten aller Scham;
Und immer noch – »warum nicht?« – früg' dein eifern Herz.
Mir sei die Ehre heilig ohne Wandel stets,
Und lieber geb' ich all' mein bestes Gut und Blut,
Und träf' auch tödlich recht mein Herz ihr hoher Strahl,
Als daß ich mich empörte gegen ihr Gesetz.
Weh mir, daß dennoch dieser Argen es gelang!
Sie scheut kein Unheil, das nur Sieg bringt ihrem Wunsch.
Es wird geschehn, es muß; doch nicht so, wie sie denkt.
Weh mir, daß die Verhaßt' ich je mit Augen sah!
Der kurze Wahnsinn wird ein unauflöslich Band.
An das Verbrechen kettet mich das eine Wort,
In ew'gem Zwiespalt blutet rastlos nun mein Herz.
4. Szene
Vierte Szene.
Ein Garten bei der Burg Alarcos. Im Hintergrunde ein Grabmal.
Donna Clara, Dagobert, nachher Donna Cornelia.

CLARA.
O möchte unser Herr nun endlich kommen,
Und daß er froh und heiter bei uns bliebe,
Zufrieden mit der Unschuld meiner Liebe,
So wäre aller Wünsche Ziel gekommen.
Dann wäre alle Sorge weggenommen,
[64] Dann dürft' ich Stolze keinen König scheuen,
Dann könnt' ich mich erst meiner Blumen freuen,
Da nichts ohn' ihn mir Lust und Leben frommen.

So will ich ihm denn volle Kränze winden,
Die schönsten Knospen, sorgsam wählend, brechen,
Ihm meine innre Liebe auszusprechen,
Wo alle Worte im Gefühl verschwinden.
Mag er uns hier im grünen Garten finden,
Mit Blumen soll das Kind den Helden kränzen,
In Ros' und Lilie ihm entgegenglänzen,
Daß Zorn und Sorge aus der Seele schwinden.

Ja, glücklich wär' ich, Dagobert, und heiter,
Blieb' unser Herr entfernt vom Glanz des Thrones.
Alarcos ist zu edel für die Menschen,
Die weltlich ganz zur Arglist nur erzogen.
Die Ehre, die sein großes Herz begeistert,
Für die er hochgesinnt das Liebste opfert,
Sie ist ein leerer Schall in ihrem Munde,
Der kleinen Absicht Werkzeug oft geworden.
Gott weiß, ob meine Seele richtig ahnet,
Ob arges Mißtraun in mein Herz gekommen;
Ich denke oft, der König nur war schuldig,
An meines Bruders Don Garcias Tode.
Selbst an Alvaros Treue muß ich zweifeln,
Als hätt' auch er das edle Blut vergossen.
O wenn Alarcos, was er dort verschwendet,
Auf dich doch übertrüge, dir nur folgte,
Dein graues Haupt zum Licht und Führer wählte,
So würde rechte Tugend recht vergolten.
DAGOBERT.
Wohl möcht' er keinen treuern Diener finden,
Und wenn er alle Herzen prüfen wollte.
Ich lieb' ihn unbegreiflich, ganz sein Eigen;
[65] Was er auch sagt, ich würd' ihm blind gehorchen.
Wenn er mit dir, was nie geschehn mag, zürnte;
Ich würde trauern, doch ich würd' ihm folgen.
Ja wenn, was Gott verhüt', ihn Schuld befleckte,
Ich müßt' ihm doch die alte Liebe zollen.
Doch weiter hab' ich kein Verdienst als dieses,
Daß ich den rechten Sternen treulich folge;
Und schenkt er falschen Männern sein Vertrauen,
Wie sollte da mein schlichter Mut wohl frommen?
Ich kann nur grade denken, tapfer schlagen;
Und weiß ich auch das Rechte, fehlen Worte,
Mit sanfter Überredung ihn zu lenken,
Wenn er sich selbst verkennt im heißen Zorne.
Wahr ist es, daß ich nie zu diesen Männern
Aus Herzens Grunde Glauben fassen konnte.
Wie anders wär' es, mußt' ich oftmals denken,
Trüg' unser teurer Herr die goldne Krone,
Der immer sich so königlich gebrauchte,
Als sei er gleich zum König schon geboren!
Dann wäre Recht und Ehre allen heilig,
Die Tugend strahlend und die Zeiten golden.
Verrat und Mißtraun würde niemand denken,
Und keine Mutter an dem Grab des Sohnes,
So wie Cornelia, Fluch in Tränen mischen,
Gedenkend, daß er heimlich sei ermordet.
O schau, wie dort sie an dem Grabmal stehet
Im eignen Tiefsinn schmerzlich ganz verloren!
CLARA.
Der Schmerz hat ihren Geist entrückt der Erde,
Das große Herz nur höher noch erhoben.
Wenn ich die Hohe so im Gram betrachte,
Dann fühl' ich von mir allen Mut genommen,
Daß jede Freude nichtig mir erscheinet,
Das Leben selbst der Eingang nur zum Tode.
[66]
DAGOBERT.
Sie liebt sich einsam selber zu betrachten:
So laßt uns weggehn, ihren Gram verschonen.
CLARA.
Ich weiß es, ja ich sollte nicht so reden,
Für jetzt verscheuchen jede dunkle Sorge,
Nur an die Rückkehr des Gemahls gedenken,
Und kindlich froh des Frühlings Schönheit loben.
Doch wer vermag dem Herzen zu gebieten,
Des innern Denkens vielverschlungnem Strome?
EINE WÄRTERIN.
Dein Kindlein, Herrin, will nach dir verlangen.
O komm und gib ihm deine Brust zum Troste!
CLARA.
Ich eile schon, will es mit Blumen zieren,
Und festlich alles schmücken in dem Schlosse.
O wenn ich in des Mädchens Lächeln schaue,
Dann kann ich wieder lebensmutig hoffen.

Clara, Dagobert und die Wärterin gehen ab.
CORNELIA.
Nicht Blumen will ich auf dein Grabmal streuen;
Wie auch des Frühlings Schönheit schmeichelnd riefe,
Es kann die Eitelkeit dich nicht erfreuen.
Der Schmerz, der nie in meiner Brust noch schliefe,
Hat ja auch mich getötet und versteinet;
In deinem Tod sah ich des Lebens Tiefe.
Was andre preisen, wird von mir beweinet;
Sie leben nur dem Leben hingegeben,
Ich bin im Herzen schon dem Tod vereinet.
Die Freude kann mir bittres Leid nur geben,
Seit meine Augen durch die Hülle sehen,
Der alten Bosheit immer neues Streben:
[67] Wie alle sorglos ins Verderben gehen,
Kaum einmal träge nach dem Himmel schauen,
Bewußtlos in der Hölle Schlingen stehen.
O welchem Lichte soll die Hoffnung trauen,
Wenn alles täuscht? – Wir finden nirgends Labe,
Als dort auf jenen sternenlichten Auen.
Drum seid ihr Schmerzen hier mein bestes Habe!
Die Mutter bringt das Köstlichste dem Sohne,
Ihr eigen herzlich Leiden dar zum Grabe,
Aus bittern Wunden eine Dornenkrone.
5. Szene
Fünfte Szene.
Ein Wald; im Hintergrunde die Burg Alarcos.
Don Alvaro. Alarcos.

ALVARO.
Der Abend naht, der Wald wird immer dunkler,
Im Mond erscheinen dort schon deine Burgen.
Zum König eil' ich nun zurück im Fluge,
Das Unheil abzuwehren, was im Sturme
Dort etwa blinde Leidenschaft versuchte,
Mit weiser Überredung goldner Zunge,
Die schnell oft wiederbringt die milde Ruhe,
Wo Zorn und Liebe wild bewegt den Busen.
Ich lasse dich ansetzt mit sicherm Mute,
Weil ich so stark entschlossen dich gefunden.
Wie wird die Fürstin freun sich dieser Kunde,
Daß sie vertrauen dürfe deinem Schwure,
Und Hoffnung in das Herz nun wieder rufen,
Das liebend in Verzweiflung oft geblutet.
ALARCOS.
Ich hab' als rechten Freund dich stets erfunden,
So klug als gutgesinnt, im Sturm auch ruhig.
[68]
ALVARO.
So lerne du von mir denn diese Klugheit,
Wie ich mich deiner Kühnheit nachgeschwungen.
Verschmäh' nicht, was so leicht, im Übermute.
Du stehst im hellen Glanz des höchsten Ruhmes,
Den schnell ein einz'ger kleiner Fleck verdunkelt.
O daß man nicht einst sagt aus einem Munde:
Es fehlt ihm nur an dieser einen Tugend,
Daß er sich selber hätte überwunden!
Ja, handle mäßig, schonend und mit Ruhe;
Behutsamkeit heilt oft die schlimmste Wunde.
Es gibt der Dinge, die das Schwert nicht dulden,
Und manches was er tat, weil er es mußte,
Hüllt der Verständ'ge in ein weises Dunkel.
Vorsicht hat nie ein Unheil noch verschuldet.
Nun lebe wohl, und nimm in diesem Kusse
Der Liebe Pfand! – Noch einmal sei umschlungen
Von deinem treusten Freunde, Diener, Bruder.

Alvaro geht ab.
ALARCOS.
Ja geh nur hin! – So milde wie du klüglich denkst,
Wird dieses große Unheil wahrlich nicht geschehn.
Dein Herz hat nie der Liebe Flammensturm bewegt;
Drum ist die hohe Ehre dir ein kalt Gesetz;
Und große Tat dir, so wie groß Verbrechen, fremd.
Ruhm, Liebe, Glorie, Lust sind mir des Lebens Herz,
Wo hoch in Flammen all die Kraft vereinigt brennt;
So lichter Fackel folgend, hab' ich stets gelebt,
Fortan auch mutig will ich vorwärts ferner gehn,
In Sturm mich selber reißend, achten keinen Schmerz,
Ging auch durch Höll' und Pein und Blut der dunkle Weg!
Des Todes Grimm quillt plötzlich aus der höchsten Lust,
Schnell färbt sich rosenlichte Liebe oft in Blut,
Und Leichen häuft auf Leichen zorn'ge Ehr' in Wut.
[69] Denn schrecklich rächt oft Ehre noch so kleine Schuld,
Und muß sie uneins zürnen gar dem eignen Tun,
Reißt unaufhaltsam wachsend alles fort der Fluch,
Macht in Verwüstung ihre Allmacht greulich kund.
Wie meine Burg dort glänzend glorreich oben thront,
Der Väter Denkmal, sonst Alarcos hoher Stolz,
Die nun als Wohnsitz grausen Unheils mich bedroht!
Vielleicht daß Donna Clara jetzt um mich besorgt,
Auf jeden Fußtritt merkend, sorgsam leise horcht,
Mit stiller Sehnsucht auf die Rückkehr dessen hofft,
Der heimlich hingab ihrem Feind sein eisern Wort,
Der eignen Brust ein ewig schneidendscharfer Dolch.
Bald öffnet nun die hohen Pforten dort das Schloß,
Mit freud'gem Blick tritt Clara mir entgegen schon;
Doch Gruß und Freude geben dem wohl keinen Trost,
Der nichts mehr denkt und glaubt und sieht als bittern Tod.
So ich verstummt nur tiefer, schweige immer noch,
Bis einsam nächtlich alles still im ganzen Schloß.
Da bricht der Schmerz aus tiefem Herzen endlich los;
»Wie traurig, unglücksel'ge Gräfin, ist dein Los!
Wie bitter ist dein Schicksal, fern von allem Trost!'« –
»Nein! glücklich, spricht sie, freudenreich ist wohl mein Los,
Weil du zur glücklichen Genossin mich erkorst.« –
»Das eben, Gräfin, raubt dir wahrlich allen Trost.«
Und wie den Lippen diese herbe Red' entflohn,
Da hält dann länger nicht der Schmerz, und sieh, es sproßt
Aus vollen Augen zwiefach mir der heiße Strom.
O weh, es schwillt das Auge wahrer Tränen voll,
Indes ich so in Träum' und Mitleid mich verlor;
Schmerzübermannt fließt unaufhaltsam fort der Strom
Der bittern Zähren aus des Herzens vollem Born.

Er weint.

Wohlan, Alarcos, mutig nun der Burg genaht!
Und wie dein Wort du rasch entschlossen zweimal gabst,
So schreite jetzt auch mutig rasch zur dunkeln Tat.
[70] Ich nahe dir, o Burg, mit innerm Grausen.
Die Mauern sehn mich an wie Grabessteine,
Die hohen Fenster mit trübsel'gem Scheine:
Es ist, als könnte da nur Unheil hausen.
Und wie im Wind die alten Eichen sausen,
Mehrt sich die Angst; ich sehe mich alleine,
Die Schrecken alle drohend im Vereine,
Und höre dumpf die Hölle unten brausen.
Es ziehn herbei die schwarzen Geisterhorden,
Hohnlachend, daß sie bald in Blut sich laben,
Seh ich sie all' auf mich die Blicke richten;
Im Wahnsinn will ich alles dann vernichten,
Den Leib im Schutt der eignen Burg begraben,
Und grausam selbst das treue Weib ermorden.

Er geht auf die Burg zu.
6. Szene
Sechste Szene.
Ein Zimmer der Infantin.

SOLISA
allein.
Du bleicher Mond, der von dem hohen Himmel
Allein mein einsam Leiden
Mitleidig weinend anzuschauen würdigt!
O sei mir freundlich, kühle diese Flammen,
Die innerlich das heiße Blut entzünden,
Daß ich die Arme glutverlangend öffne
Nach dem, der treulos meiner Glut vergessen,
Mein Diadem verschmähte,
Ein tugendbleiches Kind mir vorgezogen,
Statt königlich die Fürstenbraut zu wählen,
Und stolz in meinem Sonnenglanz zu strahlen,
Von Lust und Glorie trunken,
An diese Brust zu sinken,
Die ihn nur fühlt, und strebt mit heißen Schlägen
[71] Ihn zu umschlingen, liebend zu umfangen,
Umarmt an ihm zu hangen,
Die Seele von den Lippen ihm zu trinken,
In Glut gebadet, immer neu zu fühlen
Das brennende Verlangen.

Du himmlisch freundlich milde Kraft des Mondes!
O träufle kühle Lind'rung
Nur einen Tropfen, einen einz'gen Tropfen,
In dieses Meer von Glut und Scham und Liebe,
Das mir die volle Brust bedrängend schwellt!
O wehe kühl und freundlich
An diese Stirne, Wangen, Lippen, Augen,
Die so von Scham und Unmut schmerzlich brennen,
Daß keine Worte solche Schmerzen nennen!
Wenn lang umsonst sich ausgestreckt die Arme,
Das Herz umsonst so glühend hat geschlagen;
So kann die Kraft es länger nicht ertragen,
Dann stockt der Busen plötzlich,
Und Todeskälte schleicht durch alle Glieder,
Das wilde Feuer drängt sich in die Wangen,
Um schamrot meine Schmach mir zu verkünden.
So hält der Schmerz mich inniglich gebunden,
Zerstört den stolzen Tempel meiner Schönheit!
Doch du bist bleich und kalt;
Wie konnt' ich Glüh'nde meine Glut dir klagen?
Es gleicht dein kranker Schein
Der stillen Todeslampe
Viel eher als der mut'gen Hochzeitfackel.
Vielleicht daß oft dein Blick uns Unheil sendet,
Du eben jetzt das Opfer schon erwartest,
Das heimlich deinem Neide fallen soll.
O wenn es doch die Gräfin wäre, daß sie
Noch heute diese Nacht, so bleich wie du,
Im weißen Leichentuche vor mir läge!

2. Akt

[72] Zweiter Akt.

Ein Saal auf dem Schlosse des Grafen.
Alarcos. Donna Clara. Dagobert.

ALARCOS.
Jetzt geh, mein treu'ster Mann und Freund, und mache nun,
Was ich dir anbefahl, den Dienern allen kund.
Mein Schirm und meine Burg, ja auch mein Schwert sei du!
Wer, was du sagst, nicht schnell erfüllt in stiller Furcht,
Der büße solchen Frevel stracks mit seinem Blut;
Denn wilde Dinge hegt die eisenharte Brust,
Seit mir ein liebend Wort die Freuden all' erschlug.
DAGOBERT.
So folge Glorie dir und Sieg, mein Herr und Graf,
Wie deinem Worte schnell entspricht die treue Tat.
Du bist des Dagobertes Herz und er dein Arm;
Ja auch dein Auge will ich sein. Wie du befahlst,
Soll Schweigen diese Burg umgeben wie ein Grab,
Daß fern von ird'schem Laut allein sei dieser Saal;
Und wenn du mein bedarfst, bin ich dem Rufe nah,
So fordert es vielleicht, was du beschlossen hast.
Verborgnes Laster wird geheim mit Recht bestraft,
Und schwarze Sünde birgt sich oft in reinstem Glanz.
Was es auch sei, steht Dagobert gewaffnet da,
Am Tage dir getreu und jetzt um Mitternacht.
Ich weiß ja, wer du bist, und wer du immer warst,
Ganz bieder, ehrenvoll und adlig, was du tatst,
Im heißen Zorne selbst dem Rechte treu dein Rat.
[73]
ALARCOS.
Hab' ich so zorn'ge Worte unbewußt gesagt?
Vergiß es, deut' es nicht zum Argen. Nein fürwahr,
Es war nicht arg gemeint, ich dachte nicht an Haß.
Ja freilich, Dagobert, drückt mich die schwere Last
Der bittern Sorgen hart, und wär' nicht mein Gemahl
Und du, fehlt' es mir, glaub' ich, bald an Mut und Kraft!
CLARA.
In Unschuld freudig träumt Verdienst von Kranz und Lohn,
Und heimlich schleicht Verleumdung in des Fürsten Ohr.
So ging der höchste Ritter traurig oft vom Thron!
Betrogen wird gar leicht, wer auf den Freund gehofft.
Wie selten ist der Treuste treu bis in den Tod!
Es tötet unaufhaltsam oft ein schnelles Wort:
Doch in der Liebe blüht für alle Schmerzen Trost.
Drum sprich, Alarcos, welches Unheil uns bedroht?
O träf' es mich allein, und bliebest du verschont!
ALARCOS.
Was ich zu sagen habe, flieht den lichten Tag.
Und was geschehen muß, geschehe nur in Nacht.
CLARA.
So tu nun, Dagobert, wie dir dein Herr gebot,
Und zögre länger nicht. Du stehest Wach' am Tor,
Wir wechseln insgeheim hier manch geheimes Wort.
DAGOBERT.
Ach teure Gräfin, heißest du mich selber gehn?
Erst war ich eisern ganz, das hat mein Herz bewegt.
ALARCOS.
Verräter, weibisch Ding, zaghaft ohnmächt'ger Wurm!
Zu handeln ohne Tränen, ist der Männer Ruhm.
Vollstrecke deine Pflicht, sonst schlage dich mein Fluch.
[74]
DAGOBERT.
Verwirrt, zerrissen ganz hat dich der wilde Schmerz.
Ach Herr, wie schmähtest du wohl sonst den treusten Knecht?
Ich gehe nun, ich gehe, muß ja endlich gehn.
Wie unbeweglich du im heißen Zorne stehst,
Den großen Geist in blutgesinntem Grimm verzehrst,
So sah ich oft den Stier im wütenden Gefecht
Ganz angewurzelt stehn, das große Haupt gesenkt,
Der bald alsdann die grüne Flur mit Mord bedeckt.
Wie du jetzt furchtbar rot das Flammenauge drehst,
So blickt der Tiger seitwärts uns Entsetzen her.
Ich geh und grauses Unheil wird hier bald geschehn.
O weh dir, weh der Gräfin, weh uns allen, weh!

Dagobert geht ab.
CLARA.
Alarcos, Freund, Gemahl! nun sag', was meint dein Zorn?
O sprich! noch schlägt das bange Herz; bald bin ich tot,
Bald ist die letzte Kraft der schwachen Brust entflohn.
ALARCOS.
Der König war's, der König schaffte diese Wut.
Den König treffe Grausen, treffe ew'ger Fluch!
CLARA.
Ach nein, ich weiß, das ist es nicht. Ich sagt' es wohl,
Als glaubt' ich selbst, Alarcos, daß dein herber Groll
Sei durch Verrat erregt, der oft umgibt den Thron.
Doch seh' ich nur zu gut, es ist weit mehr wie sonst;
Es geht uns näher an, es ist ein tiefer Zorn,
Es hat der liebste Freund mit Undank dir gelohnt.
Alvaro zielt vielleicht nach dir mit gift'gem Dolch.
ALARCOS.
Rein von Verrat und Leidenschaft ist seine Brust.
O wären wir so frei, wie er, von arger Schuld!
[75]
CLARA.
So bin ich selbst die Schuld'ge wohl mir unverhofft?
O sage, sprich, wie kam's, daß ich dein Herz verlor,
Und wenn ich es verlor, warum wird mein's verschont,
Das schon bereit zu sterben ohne Rat und Trost?
ALARCOS.
Es sterben schnell oft, die noch blühend und gesund;
Doch sah ich nie den kleinsten Fehl in deinem Tun.
CLARA.
Ganz fremd, verwandelt ganz, betratst du heut dein Schloß.
In froher Liebe naht' ich dir, dein Weib, getrost;
Du trittst zurück und machst mich vor den Dienern rot.
Es rührt dich nicht mein Blick, das Kind dich nicht im Schoß,
Ja seltsam heftig willst du und befiehlst, ich soll
Gleich es entfernen, fort aus deinen Augen, fort;
Ich war erstaunt, doch hab' ich schweigend dir gehorcht.
ALARCOS.
Es frißt am innern Leben oft ein bittrer Wurm;
Dann wird der kalte Schmerz der schönen Liebe stumm.
CLARA.
Brich dein furchtbar Schweigen endlich, schrecklicher Gemahl!
ALARCOS.
Worte gibt es nirgend für den Abgrund dieser Tat.
CLARA.
Konntest du beflecken alter Tugendehre Glanz?
ALARCOS.
Ehre selbst gebietet's, Ehre wandelt Lieb' in Haß.
[76]
CLARA.
Weh der Liebe, steht sie mit der hohen Ehr' in Kampf!
ALARCOS.
Weh der Liebe, die um hohe Ehre mich gebracht!
Weh der Ehre, die der hohen Liebe Tod gebracht!
Weh mir selber, daß ich, um zu tilgen alte Schmach,
Neue Greuel schlimmer zu vollführen rasch versprach.
CLARA.
Also sind sie nur beschlossen und noch nicht vollbracht?
ALARCOS.
Nein, es soll geschehen diese Stunde, diese Nacht.
CLARA.
Sieh mich dir zu Füßen liegen, mich verläßt die Kraft.
ALARCOS.
Herz, ich halte dich nicht länger, Schmerzen, ihr seid frei!
Aus der innern Tiefe laß die bittern Leiden schrein!
Feige Schonung fliehe, heißer Blutdurst komm herbei!
Fluchen will ich und verwünschen, erst den Mutterleib,
Daß er mich geboren, der geboren nur zur Pein;
Dann der treuen Sorge, die gepflegt den bösen Keim,
Bis des Stammes Kraft gewaltig und an Zweigen reich;
Die verderben alle, weil das Gift im Marke schleicht.
Fluch dem Leben, Fluch dem Tode, der so lange weilt,
Bis das Bild des grausen Mordes alle Kraft zerfleischt.
Fluch der Sonne, die uns leuchtet, Fluch dem warmen Mai;
Denn zu bittre Dornen bringt der kurzen Freuden Zeit.
Fluch der Schönheit und der Liebe, die ihr lockend reizt,
Heimlich dann vergiftet den in Lust berauschten Geist,
Bis dem schreckenvollen Morde blutig er geweiht.
Fluch Alarcos, dir und verloren sei dein Heil,
Daß du sollst des Weibes Mörder, dann dein eigner sein!
[77]
CLARA.
Kann ich sterbend dich erretten, sieh mich hier bereit.
Bittrer schneidet nicht das Eisen, als dein Klaggeschrei.
ALARCOS.
Dürft ich gleich mich selber töten, so dem Weh entfliehn!
Oder wärest du Solisa, und der König hier,
Ließ' ich nicht die Arme sinken, wie ein wehrlos Kind,
Ginge schnelle mit den beiden schrecklich ins Gericht.
CLARA.
So dacht' ich schnell es ahnend gleich im stillen Sinn;
Es kann nur die Infantin sein, denn sie, nur sie
Allein kann unhold mir beneiden, was ich bin,
So wie sie einst gestrebt, dich von mir wegzuziehn.
Es zeigt sich mir aus schwarzer Nacht ein schrecklich Licht!
Enthülle weiter, was mein Geist nur halb vernahm.
Wie ist's, daß du gehorsam willst, was sie befahl?
Wer gab der klugen Zaub'rin wieder solche Macht?
Warum wird Unschuld hingeopfert dem Verrat?
ALARCOS.
Vernimm denn, was ein Wort, ein Augenblick verbrach,
Was du nicht ahnen konntest, Seele ohne Falsch,
Was frei gestanden minder unheilbringend war,
Wenn nicht, was Leichtsinn schnell gesündigt, falsche Scham
So tief verhehlt, bis an das Licht das Unheil sprang,
Nun seine Wogen mich bestürmen ohne Maß,
Und ohne Rettung fort mich ziehn zu ew'ger Qual,
Wenn ich erst selbst entblättert meiner Ehre Kranz.
Zu jener Zeit, du warst noch meiner Hoffnung Braut,
Und unser Leben glich dem ros'gen Morgentraum;
Du weißt, wie diese Fürstin ihren Stolz vergaß,
Um Ehr und Herz mir liebeglühend zu vertraun.
Im heißen Sommerglanz der üpp'gen Jugendkraft,
[78] Verführt von fremder Schönheit, eignem Übermut,
Verstrickt in schlauer Reden süßverwirrend Spiel,
Absichtlich absichtsloser Winke künstlich Netz;
Ein rascher Augenblick, und ewig war's geschehn.
Ich gab der Ehre Wort, sie gibt es nie zurück.
Ich hab' es dir verhehlt, drum muß ich untergehn.
Ja, ich vergaß dich, Mitleid machte, daß ich schwur,
Ich hab' als künftige Gemahlin sie umarmt!
Nun mahnt mich die Infantin an das rasche Wort;
Der blutgesinnte König fordert deinen Tod,
Zeigt mir von ferne böser Taten goldnen Lohn,
Und freut im voraus tückisch sich des fremden Mords,
Wie er bezahlt im Hasse gegen euch den Dolch,
Der deines Bruders Blut gefärbt mit grausem Rot.
Der Ehre grades Recht ist unerbittlich streng,
Mir Lüg' und Schonung fremd; ich will nun untergehn.
CLARA.
Freud'ger geh' ich nun zum Tode, weil du frei von Schuld,
Was ich still geahnet, mir bestätigt hat dein Mund.
Da du nur in Worten fehltest, blieb ja rein die Brust.
Deine Ehre rein zu waschen, geb' ich froh mein Blut;
So mich nur Alarcos liebt, trag' ich hohen Mut.
Ruhe find ich keine, bis ich schnell dich freigemacht;
Hast du dann dein Wort vollzogen, folgest du mir bald.
ALARCOS.
Im Tod auch eins mit dir, das sei mein einz'ger Rat.
CLARA.
So laß es uns mutig vollenden.
Es kann ja die Schickung nicht Hoffen noch Furcht von uns wenden!
Was sollen wir bange denn klagen?
Das bleibe den Bösen; die mögen noch sterbend verzagen!
[79]
ALARCOS.
Laß ab, zu streben nach dem Dolch mit rascher Hand.
CLARA.
O gib mir die leuchtende Waffe,
Daß ihr mich vermählend, ich himmlische Freiheit mir schaffe!
Nun rette mich, blutende Wunde,
Daß fern von den Banden, im Tod ich zum Leben gesunde.

Sie verwundet sich.
ALARCOS.
Es ist geschehn. Du warst zu wild gesinnt, zu rasch.
CLARA.
Es will noch nicht entfliehn das holde Leben;
Ich fühl in tiefer Brust es annoch leben.
Doch muß schon jeder ird'sche Schmerz entschweben
Dem Geist, der nur den Bildern hingegeben,
Die rosenhell der Kindheit Traum uns weben,
Und sehe fern Gesichte sich erheben.
ALARCOS.
Ein heitrer Tod sei deiner Tugend Ehrenkranz.
CLARA.
Du tatst, wie ich gewollt. Nun bitt' ich nur noch eins;
Ach laß mein Kind im Arm mich nochmals hegen,
Noch einmal Mutter an die Brust es legen,
Daß ich es seh' mit süßer Lust sich regen,
Die Augen, Händlein zu mir hinbewegen,
Es säugend mit den Herzensschlägen.
ALARCOS.
Wie sollt' ich grausam so verdoppeln deine Qual?
[80]
CLARA.
Die Wunde traf recht tief ins innre Herz hinein,
So bittre Wunde fühlt ich nie, so wildes Leid.
Ach, Freund, laß ab zu töten dein getreues Weib!
ALARCOS.
Du redest irr, es täuscht dich, Teure, wilder Wahn.
CLARA.
Weh dir, Alarcos, wehe!
Mich dünkt, daß ich mit dir am Throne stehe,
Und wie ich bebend flehe,
In Schmerzen doch vergehe
Ein ewig Weh nur sehe.
ALARCOS.
Ein ewig Weh', ich fühle, daß mich's wütend faßt.
CLARA.
Mein Retter, Richter, Rater! sieh, ich wende
Zu dir hinauf in Demut flehnde Hände,
Daß bald ein selig Ende
Dein Engel hilfreich sende,
Und nicht der Schmerz den Geist mit Wahnsinn blende.
ALARCOS.
O Gott, jetzt gib mir Kraft, jetzt mache mich von Stahl!
CLARA.
Die Seele will im roten Blut verströmen;
Drum laß mich, eh' die letzte Kraft entschwunden,
Vom bleichen Mund prophet'sche Reden strömen.
Die, deren Rat mir schlug die herben Wunden,
Ihr Leib soll heimlich schwinden und vergehen,
Der schwarze Geist dann nimmermehr gesunden.
[81] In dreien Tagen soll'n zu Recht sie stehen,
Sie sind geladen hin vor Gottes Throne;
Nun laßt sie denken, wie sie da bestehen.
In dreien Tagen meldet euch zum Lohne,
Daß schuldig ihr so schuldlos Blut vergossen,
Und seht, wie euer dann der Ew'ge schone;
Und wenn umsonst ihr Tränen dann vergossen,
In manchem heißen Reuestrom um Gnade,
So denkt, daß ihr unschuldig Blut vergossen.
Vernehmt, wie ich vor Gottes Stuhl euch lade,
Trauend den Mächten, so die Unschuld schufen,
Daß ich die Wunden bald in Balsam bade.
Und dies mein letztes schmerzenlautes Rufen,
Ihr werdet bald trotz eurem Schlaf es merken,
Und dort erscheinen an den ew'gen Stufen,
Um zu empfah'n den Lohn von euren Werken.
ALARCOS.
Ich kann, ich will es nun nicht länger tragen;
O Hölle! komm, ich bin ja schon dein eigen.
Es sollen gleich die bleichen Lippen schweigen,
Die mir das innre Herz mit Reden spalten.
O Clara, konntest du so schnell erkalten,
Der Lieb' und inn'gen Treue nicht gedenken?
Willst du im Tode nur an Rache denken,
Darf ich mein Herz der Mild' und dir verschließen?
Nun laß von neuem Blut zum Blute fließen,
Und stirb du schönes Bild, zerbrich in Stücken!
In dir will ich mich wütend selbst zerstücken,
Und so im Wahnsinn vor der Angst mich retten.
Was es auch sei, ich sprenge diese Ketten;
O Herz! sei stark, du hast es ja geschworen.
Nun laß die weiße Brust mich gleich durchbohren,
Den reinen Leib zerrissen lieber sehen,
Als länger hören dies ihr schmerzlich Flehen!

Er tötet sie.

[82] Nun bist du frei, Alarcos; schon der erste Schritt
Geschehn. Was übrig noch, ist leichter zu vollziehn.
Was möcht' es sein, das dem noch Furcht und Schrecken gibt,
Dem schon das beste Blut aus eignem Herzen quillt?
Wie leicht, daß der nun jedes andre Blut vergießt!
Dein Will' ist jetzt vollbracht, Tyrann; und sei gewiß,
Daß ich, sobald du selbst es willst, dein Eidam bin.
Ob es dich aber nicht gereut, das weiß ich nicht.
Wie ist es jetzt so still! Mich dünkt, ich bin allein,
Und sehe niemand als der düstern Lampe Schein.

Wie seltsam! Wenn ich dieses Blut betrachte,
Dünkt mich, als wär' es mir, mir selbst entflossen,
Was eben in den Adern noch ergossen,
In wilde Flammen meinen Zorn anfachte;
Und wenn ich gleich der Phantasie nicht achte.
Fühl' ich mich doch von Mattigkeit umschlossen,
Der Blick ist an den Leichnam festgeschlossen,
Den stets der Lampe Schein noch bleicher machte.
Es ist, als läg' ich selbst vor mir erschlagen;
Es winkt mir, mich von neuem zu ermorden,
Als dürft' ich so die innre Angst wohl stillen.
Ich kann den Anblick länger nicht ertragen;
Ich will, an Furcht ein banges Kind geworden,
Die stumme Leiche jedem Blick verhüllen.

Er verhüllt die Leiche, Dagobert tritt herein.
DAGOBERT.
Ich wag' es, Herr, und tret' herein. Mit Ungeduld
Hab' ich geharrt, gehorcht am Tor auf deinen Ruf.
Ich weiß nicht wie, da ich nichts Böses mir bewußt,
Es überfiel mich draußen plötzlich eine Furcht;
Nun ich dich sehe, schlägt mir wieder frei die Brust.
Jetzt ist's vollbracht. Bestraft, nicht wahr, ist nun die Schuld,
Die Ehre wieder rein und still des Zornes Flut?
[83]
ALARCOS.
Was meinst du Alter, redest wie im Traum verkehrt?
Die Gräfin ist ermordet, ja da hast du recht.
Doch hat sie nie sich mit der kleinsten Schuld befleckt,
Und hat die Ehre nie vergessen, noch sich selbst.
DAGOBERT.
Beschämt, erschrocken, ganz zerschlagen steh' ich da,
Mit einem Wort hast du ein dreifach Weh gesagt.
Die eben noch ein Rosenbild der Tugend war,
Verhüllt erblaßt dem Aug' ein leichenweiß Gewand;
Du selbst entadelt durch die ungerechte Tat,
Der sonst mein Haupt und Lebens Freude war, der Mann,
In argen Frevel nun verstrickt, der Hölle Sklav';
Sein eigner Herr der alte Dagobert fortan,
Sich selber unnütz und Allein im grauen Haar.
ALARCOS.
Das bist du nicht, nur bitt' ich, richte nicht zu schnell.
Ja freilich war es meine Hand; doch weit, weit mehr
Sind andre schuldig. Wisse, daß ich einst die Eh'
Der Fürstin allzu rasch versprach, mich selbst verschenkt.
Das ist des ganzen grausen Unheils einz'ger Quell!
Der König hat schon lang nach diesem Blut gestrebt;
Ihm nutzt das Wort, womit er tückisch mich erschlägt.
Du weißt nun zur Genüge alles was geschehn;
Was noch zu tun, ist sicher deinem Blick nicht fremd.
Ich habe, wenn mein Wort erfüllt, genug gelebt.
Vielleicht wird manche Leiche noch dahingestreckt
Durch diesen Arm, das letzte Opfer bin ich selbst.
Komm wieder denn an meine Brust, du wackrer Held!
Daß sie an deiner sich mit starkem Mut erhebt.
DAGOBERT.
Du mußt dem alten Diener, teurer Herr, verzeihn.
Gott mag es richten, Gott dein rechter Richter sein!
[84] Dein Wort ist dunkel, schwer zu schlichten dieser Streit;
Drum will ich ferner wie bisher vertraun auf dich.
Und wollt' ich gleich dich lassen, ach, ich kann es nicht!
ALARCOS.
Ja ich muß selbst erstaunen, kenne mich selbst nicht mehr.
Jetzt könnt' ich fühllos morden alles um mich her,
Dem König wohl das Haupt zerspalten, meinem Herrn,
Das flehnde Weib durchbohren grausam mit dem Schwert,
Totdrücken selbst den Säugling an mein eisern Herz.
Dann fühl' ich plötzlich wieder weich und möchte gern
In Tränen kniend Gott versühnen, alles Weh
Auf meine Brust nur häufen, die der Schmerzen wert,
Und jeden, den ich sehe, um Vergebung flehn.
Noch eines will ich dir vertrau'n, mein Dagobert!
Die Gräfin lud, eh' sie verschied, im Todesschmerz,
All' die vor Gottes Stuhl, die Schuld an diesem Werk.
O sage mir, glaubst du, ich müsse auch hingehn?
Glaubst du, daß diese Ladung auch auf mich gestellt?
DAGOBERT.
Ach, Herr! ich habe, was du fragst, schon oft erlebt.
Wen blut'ge Unschuld sterbend ruft in jene Welt,
Den sieht man plötzlich bleichen, schwinden und vergehn.
Seit alter Zeit hat uns Erfahrung das gelehrt.
Umsonst, daß du dem Höchsten zu entfliehen strebst;
Ihm hat sich ohne Schergen jeder noch gestellt.
Hat sie in stiller Seele, Herr, auch dich gemeint,
So leidet's keinen Zweifel, daß du dort erscheinst.
ALARCOS.
Erst war sie milde gegen mich, doch bald nachher,
Als Phantasie im Todessturm sie ganz beherrscht,
Hat sie mich mit den andern Schuldigen vermengt;
Drum muß ich ohne Zweifel bald vor Gott mich stell'n.
[85] Wohin sie mich geladen, werd' ich willig gehn.
Jetzt rufe alle meine Diener zu mir her;
Ich will zum letzten Male alle um mich sehn.
DAGOBERT.
Aufs erste Zeichen ist die ganze Schar bereit.

Die Diener des Grafen treten gewaffnet in den Hintergrund des Saals.

Du siehst, gewaffnet dringen alle sie herein,
Erwarten fern in stummer Ehrerbietigkeit,
Was dein Befehl gebieten wird, um dann sogleich
Freudig gehorchend zu vollziehn, was es auch sei.
ALARCOS.
Ihr Männer all', Grundfesten dieser alten Burg,
Genossen, Tapfre! die umkränzt mein Rittertum,
Des Glorie wir oft neugefärbt mit hoher Lust
In unsres kühnen Herzens eignem heißem Blut;
Die alte Ehr' in tiefer Brust, der lichte Ruhm
Dem festen Aug' in Nacht der einzig helle Punkt –
So folgten einem Stern wir all' vereint im Bund.
Der Bund ist nun zerschlagen durch den herben Fluch,
Der mich im Strudel fortreißt fremd und eigner Schuld.
Mich zwingt, von hier zu eilen, ein geheimer Ruf;
Nach fernen Orten muß ich in drei Tagen, muß
Ein groß Geschäft vollenden, und die Frist ist kurz.
Wer weiß, ich kehre nimmer wohl zu euch zurück,
Schau' nimmer wieder aus den Fenstern dieser Burg
Die Wälder, Ströme, Berg' und all' die grüne Lust,
Die mir im Frühling oft geschwellt den Übermut.
Drum lass' ich euch den Dagobert zum Schirm und Schutz,
Ihn mach' ich euch als euren Herrn und Führer kund.
Von Eisen scheint er ganz gebaut, doch in der Brust
Schlägt drinnen ihm ein freundlich Herz, und froher Mut
Erquickt uns leuchtend in dem Auge sonder Furcht.
Ein Bild der alten Zeiten scheint er selber uns,
[86] Sein Silberhaar ein hell Panier geweihten Ruhms.
Was dieser Mann gebietet, sollt ihr freudig tun.
Er sei mein Erbe, Haupt und Herr in dieser Burg;
Entlassen seid ihr aller Pflichten gegen uns.
DAGOBERT.
Verworrne dunkle Töne sagen dir den Schmerz,
Den deine Diener fühlen, weil du von uns gehst.
Sie denken treu, die Worte hat das Leid gehemmt.
ALARCOS.
Mich dünkt in ihrem Blick, Gebärden klar zu sehn,
Daß gern ihr Herz in dir den neuen Herrn erkennt.
DAGOBERT.
Oh, könnt' ich die Erschrocknen alle trösten in dem Weh!
Doch horch, was nähern sich für Stimmen fern dem Saal?
Wes frevler Mut hat einzudringen hier gewagt?
Sieh her! ein neues Schreckenbild. Cornelia naht,
Gleich einer Königin im Zorn an Blick und Gang,
Verwildert ganz von Schmerz die würdige Gestalt,
Das hohe Haupt umflossen vom gelösten Haar,
Das tiefgebeugt und trauernd, deutlich uns besagt,
Daß unser Frevel, dieses Leid ihr Herz schon traf.

Cornelia tritt ein.
CORNELIA.
Sage mir, Alarcos, ob sie lebet oder tot.
Sage, wo ist Donna Clara? Bringe mich zum Ort,
Wo sie zu verbergen dein Gewissen wohl gehofft.
Sieh, ich kam, um zu fordern; denn geflügelt schon
Eilt der Ruf von deinen Taten, dir zu hohem Lob,
Kam bei mir der Morgensonne eilend noch zuvor,
Drang bis zu der Kammer, wo mein Klagen einsam wohnt.
Wildes Chaos sind' ich alles hier im düstern Schloß;
[87] Alle Männer durcheinander, alle Bande los,
Oder stumm und schweigend, wie erwartend ihren Lohn.
Wie die Löwin für das Junge siehe mich im Zorn!
Gib mir meine Tochter wieder, wahrlich oder sonst
Dringet mit der Mutter Fluchen Schrecken in dein Ohr,
Bleibt von Hölle keine Ader, Blut'ger, dir verschont,
Wenn verwundend der Gedanke in dem Herzen tobt,
Daß du selbst gemordet, ewig blutest von dem Mord
All' dein Heil verloren bleibet und der Gnade Trost.
ALARCOS.
Dies weiße Tuch verhüllt, o Mutter, die du suchst;
Und weiß, schau her, ist auch der Leib, den du mit Lust
In frischer Kraft oft an dein großes Herz gedrückt.
Die roten Ströme dort verkünden meine Schuld,
Und wo solch Zeichen schreit, verstummt die starre Brust.
Du weißt was du gewollt, der Worte sind genug.
CORNELIA.
Keine Mutter hat so mütterlich wie ich gesorgt!
Keine Mutter hat so mütterlich wie ich geschont!
Keine Mutter hat so mütterlich wie ich gehofft!
Mutter bin ich nun nicht ferner, seit dies Blut hier floß,
Fühle wild und kann nur fluchen, denke Rach' und Mord.
ALARCOS.
O spare deine Worte! Was du fluchen magst,
In dreien Tagen wird's erfüllt, wenn ew'ge Nacht
Uns, die geladen sind, in dunkeln Armen faßt.
CORNELIA.
Es spricht zu laut die Tat, die keines Fluchs bedarf,
Noch werden die schuldigen Mörder dem Richter entfliehen,
Doch will ich, Alarcos, dir zeigen, wie Gott mir verliehen,
Aus prophet'scher Herzenstiefe Wunder ohne Zahl,
[88] Die dunkle Burg, den Ort der Angst, der Sünd und Qual.
Nie dringt des Vaters Sonnenstrom in dieses Tal,
Die liebeleuchtenden Augen der ewigen Mutter
Können nimmer nicht erleuchten diesen Schreckensort.
Da wird nie gesprochen, nie ein freundlich liebend Wort,
Da blüht auch keine Blume, alle denken Mord,
Und trachten im mordenden Hasse sich selbst zu zerreißen.
Du liebst das tückische Morden, ich kann dir verheißen,
Zur Genüge wirst du finden, was begehrt dein Mut;
Im Abgrund eine Riesenwelt von Tück' und Blut.
Wir alle sterblich, atmen Jammer, und die Flut
Bittrer Schmerzen facht den alten Neid zur wilden Glut.
Du siehst verwandelt zur Leiche in grimmiger Schlacht
Die grünende Erde; es öffnet die Wunde den Mund,
Zeigt in blut'gen Eingeweiden uns die Tiefe kund.
Doch die schlimmste Krankheit dieser Erd' ist Tand und Traum,
Des dreimal schlimmre Wahrheit wohnt in jenem Raum,
Wo nicht mehr wirkt der schöne Trieb hinauf zum Licht,
Die treibenden Kräfte zurück in sich dränget die Angst.
Uns Lebend'gen ward vom Himmel Tröstung noch erteilt,
Daß zurück zum Paradiese Freiheit tapfer eilt,
Fern erhaben von den Greueln, nur zu Gott gewandt,
Wie Pflanzen liebend aufwärtsstrebend nach dem Land,
Wo hell die blaue Unschuld Sternenkränze fand,
Wenn sich aus der Sündentiefe los die Tugend wand.
Im Dunkel dort ist aber Rettung unbekannt.
Wer den Abgrund einmal schaute, der wird nie gesund,
Fühlt ewig starr sein blutend Herz und kalt und wund,
In bittren Frost und heiße Wut sein Selbst geteilt,
Die Schmerzen von Schmerzen zerrissen und nimmer geheilt.
Zu neuem Marterleben erwacht die Welt der Sünde stets,
In der Qual des eignen Todes festgehalten lebt
Die Riesenleich' im ew'gen Sterben ewig fort,
Daß aus Krankheit, Laster, innrer Bosheit, Hitz und Gift,
[89] Nur neue Krankheit, Blut und Angst und Schmerz und Frost
Stets wilder sproßt, in sich verschlungner üppig wächst.
DAGOBERT.
Du hast mit herben Worten unser Herz durchbohrt,
Wo Schmerz und Grausen sich vermischen wie im Tod.
Doch schaut, welch schmerzbeladner Mann so langsam naht!
Es tritt gekleidet ganz in Schwarz, mit ernstem Gang
Die Reih'n durchwandelnd, Don Alvaro in den Saal.
Welch neu Verhängnis wird durch ihn uns überbracht?
Was deutet solche festlich stille Trauer an?

Alvaro tritt ein.
ALVARO.
Nun waffne, Don Alarcos, deine Seele!
Denn schwarz gekleidet bring ich schwarze Kunde.
So wie die Sonne heute seltsam zaudert,
Des Tages Licht in Dämmrung trüb ermattet,
So wird auch meine Rede furchtsam zögern,
Bis sie den traurigen Bericht erstattet.
Und oh, wie schmerzt mich, daß ich auserkoren,
Um dir zuerst zu schlagen diese Wunde!
DAGOBERT.
Auch uns sind Wunden hier nicht fremd und bittre Qual.
Hier steht mit stummem abgewandtem Blick der Graf,
Und dort der Mutter furchtbar schmerzliche Gestalt!
Du rätst nun leicht, wes Herz des Todes Sense traf.
ALVARO.
So hast du Leidenschaft, auch hier gewütet,
Und mit verworrnem Sinne wild verschwendet
Der langen Jahre Frucht, und rasch vollzogen,
Was nun kein Mut und keine Klugheit wendet?
[90]
DAGOBERT.
So rede! Lautet deine Botschaft nur von Tod,
Von Schreck und Weh, so dringt sie leicht in unser Ohr.
ALVARO.
Du weißt wie die Infantin immer tiefer
Sich selbst verstrickt in selbstgeschaff'nes Leiden,
In wilde Liebe hoffnungslos verloren,
Am eignen Schmerze nur sich schien zu weiden.
Die liebe Jagd gab ihr nun keine Freude;
Sie blieb allein mit sich und ihrer Laute,
In Liedern lebend, Bildern, Zeichen, Briefen,
Den Angedenken, die sie dir vertraute.
Sie ward seit kurzem bleich, nicht mehr so klagend,
Doch krank in eigensinn'gen Phantasien;
Es schien ihr unsichtbar die Kraft zu rauben,
Sie heimlich von der Erde wegzuziehen.
Gestehend, daß die Kunst hier nichts mehr wisse,
Will auch kein Arzt dem tiefen Übel wehren,
Desgleichen keiner niemals noch gesehen;
So muß hilflos die Schöne sich verzehren.
O Freund, was soll ich langsam dich nur quälen?
Sie ist nicht mehr! Das Unheil ist geschehen,
Und dieses hier dein Bild, es war das letzte,
Wonach ihr Auge liebend hingesehen.
DAGOBERT.
So gebe Gott, daß dieses Bild, Musik und Jagd,
Die Briefe, Tränen, Locken, all' der Liebestand
Ihr helfe, daß des Ew'gen Spruch sie nicht verdammt,
Die Schuld des Blutes ihr nicht werde zuerkannt,
Des Schrei zum hohen Himmel schnell Gehör schon fand,
Wie uns bewährt der plötzlich schnelle Todesfall.
Soviel gilt dort der Unschuld still bescheidne Kraft!
[91]
ALARCOS.
Zerbrochen lieg' am Boden hier das falsche Bild!
Es lügt nur Schönheit, Kraft und Stolz, ich bin es nicht.
Verflucht sei jene Stunde, jene Nacht, da ich
Vom Stolz geblendet, dieses stolze Weib geliebt,
Und ihr zum Angedenken gab dies Bildnis hier,
Des Urbild bald bei ihm in Stücken liegen wird!

Und du fahr' hin, ruchloser Mann, am Throne zu knien,
Den Staub zu lecken, atmend von des Königs Blick!
Auf wen die Höll' ihr Augenmerk gestellt, dem gibt
Sie solchen eiteln falschgesinnten Freund wie dich,
Des kalte Zunge unser grades Herz verwirrt,
Sich selbst nur fröhnend gern das Köstlichste verdirbt.
Enteile schnell, sonst wirst du meines Zornes Ziel!

Alvaro geht ab.

Oh, zürne nicht, Gemahlin! heil'ge Leiche, die
Voll Mitleid mir ins Auge schaut, o zürne nicht,
Daß noch in deiner Gegenwart der wilde Sinn
So heftig braust. Ich nah' in Demut betend dir,
Den Saum des weißen Kleides fassend, bitt' ich dich,
Es sei auch dieser letzte Fehltritt mir verziehn.
Bald bin ich ewiglich getrennt von deinem Licht,
Wenn mir im Tod die letzte Hoffnung noch verlischt.
Mein Wort ist frei, die schlimmste Furcht ist nun gestillt;
Das End' ist da, mein töricht Leben ausgespielt.
Fahr' wohl denn, Teure! sag' ich, eh' das Herz mir bricht,
Fahr' wohl du Reine, deren Lieb ich nie verdient,
Fahr' wohl du Schöne, himmlisch heilig Angesicht!

Mich hält die Hölle fest schon in den Armen,
Das Herz verstummt, bald schweigen auch die Klagen.
Wer Liebe treulos brach und Treu erschlagen,
Der sind't im eignen Herzen kein Erbarmen.
[92] Du Zeit, wo Sieg und Liebe sich umarmen,
O Jugend, wann wir königlich uns tragen,
Wie fühlt' ich stolz mein Herz zu Rosse schlagen,
Im Schoß der Freude glühend dann erwarmen!
Nun liegt der Schild, die Wappen da, zerbrochen,
Verweht der Jugend Federbusch im Sturme,
Zerrissen das Panier, die Lanz' ein Splitter!
Schon drohn im Abgrund brüllend die Gewitter,
Kein Panzer rettet mich vom Todeswurme,
Ich habe über mich den Stab gebrochen.

Ricardo und Octavio kommen.
RICARDO.
O weh des schreckenvollen Jammertages!
Und weh dem Lande, dessen Haupt gefallen!
OCTAVIO.
Weh dir, Alarcos, den mit Wohlgefallen
Als Sohn der König ehrte hoch im Glücke!
RICARDO.
Kein rechter Erbe bleibt dem Reich zurücke,
Das schöne Land steht offen den Barbaren.
OCTAVIO.
Vernichtet, tot ist alles was wir waren,
Da mit den Zweigen auch der Stamm zerschlagen.
RICARDO.
Wir kommen, dir ein großes Leid zu sagen;
Des Königs Tod mußt du von uns erfahren.
OCTAVIO.
Wie seine letzten Reden Leiden waren,
Die Zunge stockt verzagt, es auszusprechen.
[93]
RICARDO.
Es hat den hohen Mann der Tod getroffen,
Inmitten seiner Pracht und Glückes Fluten.
Er durfte manchen hohen Sieg noch hoffen,
Da nahten grimmig ihm des Todes Fluten.
OCTAVIO.
Er sah, noch lebend, schon den Abgrund offen,
Und wilder tobten stets des Schreckens Fluten;
Es hielte Raserei sein Herz umwunden,
In Höllenketten Arm und Kraft gebunden.
RICARDO.
Er schrie heftiglich, die Haare starrten;
Beteuert hoch, er will noch nicht verderben,
Die Diener scheltend, die mit Lieb' ihn warten.
Dann ruft er: Jetzt ist's Zeit, ich soll nun sterben;
Glaubt, daß sie tückisch seinen Tod erwarten,
Beklagt sein Alter, daß es ohne Erben.
Entsetzt zu sterben, ist er so gestorben,
Hat wütend sich in Angst den Tod erworben.
OCTAVIO.
Es frommte nichts sein Wüten, Schelten, Schreien;
Er mußt' in Tod die starre Seel' ergeben.
Uns ziemt es nicht, ihn seiner Schuld zu zeihen;
Gott wollt' ihm alle gnädiglich vergeben.
Die Wachen sah'n erschreckt durch ihre Reihen
Ein weißes frauengleiches Wesen schweben;
Man hört' des Königs Namen dreimal schallen,
Und mit dem dritten Schrei ihn tot hinfallen.
DAGOBERT.
Habt ihr dies Zeichen selbst geseh'n, so schau't dorthin,
Ob es derselbe Geist wohl sei, den ihr erblickt!
[94] Die Gräfin ist's. – Des tück'schen Königs arge List,
Durch dessen Dolch Garcia auch gestorben ist,
Erzeugt' den Mord; doch hat er dessen nicht Gewinn.
Die Täter werden oft dem Opfer nachgeschickt.
Schon zeigt's sich schnell und deutlich, wer die Schuld'gen sind,
Die sie zum dritten Tag geladen vor Gericht;
Dem Todesengel dünkt zu langsam noch die Frist.
ALARCOS.
Ich komme, ja ich komme, folge schon dem Ruf.
Ich höre schmettern meinen Namen, sehe schon
Des Vaters zornig Auge, wie es tötend trifft,
Im Flammenkranze strahlend den gewalt'gen Thron,
Und wie des Todes blut'ge Fahne rauschend weh't,
Der Sturm in Falten den allmächt'gen Mantel schlägt,
Der blaue Glanz verdunkelt wird in blutig Rot,
Der sterndurchwirkte Teppich flatternd sich bewegt.
Die reine Leich' erscheint im hellsten Licht, zeigt noch
Die Wunden offen; schwarze Schatten heben fern,
Die Riesenglieder höllewinkend zu mir her,
Die Brust zerfällt und es verlischt der Hoffnung Stern.
Die Felsen reißen, brechen, wankend sinkt der Grund;
Die eisenfesten Mauern, Türme, alles bricht.
Die kühne Burg liegt da, zerstückt der alte Ruhm,
Und predigt noch in Trümmern Gottes streng Gericht.
Es tobt die wilde Furie siedend mir im Haupt,
Und laut und immer lauter schreit es in der Brust.
Verzweigung stößt den grimm'gen Arm ins eig'ne Herz,
Sich selbst zerschlagend in verworrner Todeslust.

Er tötet sich.
RICARDO.
So stürzt der Held nun hin zu eig'nen Handen,
Der eben noch geprangt in Übermute.
[95]
OCTAVIO.
Der sicher ganz in Glückes Schatten ruhte,
Den hat daselbst das Unglück schnell erschlagen.
RICARDO.
Es wird der Enkel nach den Burgen fragen,
Dann zeigen Greise warnend die Ruinen.
OCTAVIO.
Der Tod ist hier im höchsten Glanz erschienen;
Weib, Mutter, Kind und Burg muß mit versinken.
RICARDO.
Die Mauern scheinen Unheil selbst zu winken;
Bald stehn verödet da die blut'gen Steine.
OCTAVIO.
Der Diener Schar, die Mutter dort alleine
Sind wie ein steinern Denkmal anzuschauen.
RICARDO.
Wie darf der Mann dem Übermut noch trauen,
Wenn Gottes Rache spricht in solchen Zeichen?
OCTAVIO.
In blut'gen Tränen reden diese Leichen
Von Unschuld, Schuld, Verzweiflung, Gottes Rache.
DAGOBERT.
Freiwillig ging von dannen so der stolze Held,
Erwartend nicht, bis seiner Freiheit Schmach gescheh'n.
Du hast vom Leben dich errettet mit dem Schwert!
Wer lebt, ist tot, der bittern Schmerzen feiger Knecht;
Die fesseln mich an diesen öden Mauern fest.
Ich bleibe hier. Ihr, liebe Waffenbrüder, geh't,
[96] Das Leben zu verdienen, Kämpfe zu besteh'n;
Es schütze euern tapfern Lauf ein bess'rer Stern!
Den Zweig, der noch zurückgeblieben vom Geschlecht
Alarcos, dieses einz'ge Kind des teuren Herrn,
Ich trag' es zu den heil'gen Schwestern in der Näh';
Da wird des zarten Mägdleins sicher gut gepflegt,
Bis sie dereinst mit andern Jungfrau'n Gott verehrt.
Ich bleibe bis zum Tode hier in meinem Schmerz,
Den Rosenkranz in Händen führend statt des Schwerts,
Zu frommer Buße angewandt der kleine Rest
Des mühevollen Lebens, treu im Dienst des Herrn,
Zum Kloster ganz die waffenlaute Burg verkehrt.
Und wenn dereinst der Wandrer stillesteht
Ob diesem Ort, berichtet ihn der Landmann gern:
»In Asch' und Trübsal wohnet da der Dagobert,
Des Klage sich zum Himmel Tag und Nacht erhebt.
Der alte Mann bewacht noch treu den alten Herd,
Und singt zur dumpfen Glocke traurig sein Gebet.«

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TextGrid Repository (2012). Schlegel, Friedrich. Drama. Alarkos. Alarkos. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-D74B-8