Lehrjahre der Männlichkeit
Pharao zu spielen mit dem Anscheine der heftigsten Leidenschaft und doch zerstreut und abwesend zu sein; in einem Augenblick von Hitze alles zu wagen und sobald es verloren war, sich gleichgültig wegzuwenden: das war nur eine von den schlimmen Gewohnheiten, unter denen Julius seine wilde Jugend verstürmte. Diese eine ist genug, den Geist eines Lebens zu schildern, welches in der Fülle der empörten Kräfte selbst den unvermeidlichen Keim eines frühen Verderbens enthielt. Eine Liebe ohne Gegenstand brannte in ihm und zerrüttete sein Innres. Bei dem geringsten Anlaß brachen die Flammen der Leidenschaft aus; aber bald schien diese aus Stolz oder aus Eigensinn ihren Gegenstand selbst zu verschmähen, und wandte sich [35] mit verdoppeltem Grimme zurück in sich und auf ihn, um da am Mark des Herzens zu zehren. Sein Geist war in einer beständigen Gärung; er erwartete in jedem Augenblick, es müsse ihm etwas Außerordentliches begegnen. Nichts würde ihn befremdet haben, am wenigsten sein eigner Untergang. Ohne Geschäft und ohne Zweck trieb er sich umher unter den Dingen und unter den Menschen wie einer, der mit Angst etwas sucht, woran sein ganzes Glück hängt. Alles konnte ihn reizen, nichts mochte ihm genügen. Daher kam es, daß ihm eine Ausschweifung nur so lange interessant war, bis er sie versucht hatte und näher kannte. Keine Art derselben konnte ihm ausschließend zur Gewohnheit werden: denn er hatte eben so viel Verachtung als Leichtsinn. Er konnte mit Besonnenheit schwelgen und sich in den Genuß gleichsam vertiefen. Aber weder hier noch in den mancherlei Liebhabereien und Studien, auf die sich oft sein jugendlicher Enthusiasmus mit einer gefräßigen Wißbegier warf, fand er das hohe Glück, das sein Herz mit Ungestüm foderte. Spuren davon zeigten sich überall, täuschten und erbitterten seine Heftigkeit. Am meisten Reiz hatte der Umgang aller Art für ihn und so oft er auch sogar sie überdrüssig ward, waren es doch die gesellschaftlichen Zerstreuungen, zu denen er endlich immer wieder zurückkehrte. Die Frauen kannte er eigentlich gar nicht, ungeachtet er schon früh gewohnt war, mit ihnen zu sein. Sie erschienen ihm wunderbar fremd, oft ganz unbegreiflich und kaum wie Wesen seiner Gattung. Junge Männer aber, die ihm einigermaßen glichen, umfaßte er mit heißer Liebe und mit einer wahren Wut von Freundschaft. Doch war das allein für ihn noch nicht das rechte. Es war ihm, als wolle er eine Welt umarmen und könne nichts greifen. Und so verwilderte er denn immer mehr und mehr aus unbefriedigter Sehnsucht, ward sinnlich aus Verzweiflung am Geistigen, beging unkluge Handlungen aus Trotz gegen das Schicksal und war wirklich mit einer Art von Treuherzigkeit unsittlich. Er sah wohl den Abgrund vor sich, aber er hielt es nicht der Mühe wert, seinen Lauf zu mäßigen. Er wollte lieber gleich einem wilden Jäger den jähen Abhang rasch und mutig durchs Leben hinunterstürmen, als sich mit Vorsicht langsam quälen.
Bei diesem Charakter mußte er oft in der geselligsten und fröhlichsten Gesellschaft einsam sein, und er fand sich eigentlich am wenigsten allein, wenn niemand bei ihm war. Dann berauschte er sich in Bildern der Hoffnung und Erinnerung und ließ sich absichtlich von seiner eignen Fantasie verführen. Jeder seiner Wünsche stieg mit unermeßlicher Schnelligkeit und fast ohne Zwischenraum von der [36] ersten leisen Regung zur grenzenlosen Leidenschaft. Alle seine Gedanken nahmen sichtbare Gestalt und Bewegung an und wirkten in ihm und wider einander mit der sinnlichsten Klarheit und Gewalt. Sein Geist strebte nicht die Zügel der Selbstherrschaft fest zu halten, sondern warf sie freiwillig weg, um sich mit Lust und mit Übermut in dies Chaos von innerm Leben zu stürzen. Er hatte weniges erlebt und war doch voll Erinnerungen, auch aus früher Jugend: denn ein sonderbarer Augenblick von leidenschaftlicher Stimmung, ein Gespräch, ein Geschwätz aus der Tiefe des Herzens blieb ihm ewig teuer und deutlich, und noch nach Jahren wußte er's genau, als wäre es gegenwärtig. Aber alles was er liebte und mit Liebe dachte, war abgerissen und einzeln. Sein ganzes Dasein war in seiner Fantasie eine Masse von Bruchstücken ohne Zusammenhang; jedes für sich Eins und Alles, und das andre was in der Wirklichkeit daneben stand und damit verbunden war, für ihn gleichgültig und so gut wie gar nicht vorhanden.
Noch war er nicht ganz verdorben als im Schoß der einsamen Wünsche ein heiliges Bild der Unschuld in seine Seele blitzte. Ein Strahl von Verlangen und Erinnerung traf und entzündete sie und dieser gefährliche Traum war entscheidend für sein ganzes Leben.
Er gedachte an ein edles Mädchen, mit dem er in ruhigen glücklichen Zeiten der frischen Jugend aus reiner kindlicher Zuneigung freundlich und fröhlich getändelt hatte. Da er der erste war, welcher sie durch sein Interesse an ihr reizte, so wandte auch das liebliche Kind ihre junge Seele nach ihm hin, wie sich die Blume zum Licht der Sonne neigt. Daß sie kaum reif und noch an der Grenze der Kindheit war, reizte sein Verlangen nur um so unwiderstehlicher. Sie zu besitzen, schien ihm das höchste Gut; er war entschlossen alles zu wagen und glaubte nicht ohne das leben zu können. Dabei verabscheute er die entfernteste Erinnerung an bürgerliche Verhältnisse, wie jede Art von Zwang.
Er eilte zurück in ihre Nähe und fand sie ausgebildeter, aber noch eben so edel und eigen, so sinnig und stolz wie ehedem. Was ihn noch mehr reizte als ihre Liebenswürdigkeit, waren die Spuren von tiefem Gefühl. Sie schien nur fröhlich und leichtfertig durchs Leben zu schwärmen wie über eine blumenreiche Ebne, und verriet doch seinem aufmerksamen Auge die entschiedenste Anlage zu einer grenzenlosen Leidenschaftlichkeit. Ihre Neigung, ihre Unschuld und ihr verschwiegenes und verschlossenes Wesen boten ihm leicht Mittel dar, sie allein zu sehen, und die Gefahr, die damit verbunden war, [37] erhöhte den Reiz des Unternehmens. Aber mit Verdruß mußte er sich's gestehen, daß er seinem Ziele nicht näher kam und schalt sich zu ungeschickt, ein Kind zu verführen. Willig überließ sie sich einigen Liebkosungen und erwiderte sie mit schüchterner Lüsternheit. Sobald er aber diese Grenzen zu überschreiten versuchte, widersetzte sie sich, ohne beleidigt zu scheinen, mit unerbittlichem Eigensinn; vielleicht mehr aus Glauben an ein fremdes Gebot als aus eignem Gefühl von dem, was allenfalls erlaubt sei und von dem, was durchaus nicht.
Indessen wurde er nicht müde zu hoffen und zu beobachten. Einst überraschte er sie, als sie es am wenigsten erwartete. Sie war schon lange allein gewesen und mochte sich ihrer Fantasie und einer unbestimmten Sehnsucht mehr als gewöhnlich überlassen haben. Da er dies gewahr ward, wollte er den Augenblick, der vielleicht nie wieder käme, nicht verscherzen und geriet durch die plötzliche Hoffnung selbst in einen Taumel von Begeisterung. Ein Strom von Bitten, von Schmeicheleien und von Sophismen floß von seinen Lippen. Er bedeckte sie mit Liebkosungen und er geriet außer sich vor Entzücken, da das liebenswürdige Köpfchen endlich an seine Brust sank, wie sich die zu volle Blume an ihrem Stengel senket. Ohne Zurückhaltung schmiegte sich die schlanke Gestalt um ihn, die seiednen Locken der goldnen Haare flossen über seine Hand, mit zärtlicher Sehnsucht öffnete sich die Knospe des schönen Mundes, und aus den frommen dunkelblauen Augen strahlte und schmachtete ein ungewohntes Feuer. Sie setzte den kühnsten Liebkosungen nur noch schwachen Widerstand entgegen. Bald hörte auch dieser auf, sie ließ plötzlich ihre Arme sinken, und alles war ihm hingegeben, der zarte jungfräuliche Leib und die Früchte des jungen Busens. Aber in demselben Augenblick brach ein Strom von Tränen aus ihren Augen, und die bitterste Verzweiflung entstellte ihr Gesicht. Julius erschrak heftig; nicht sowohl über die Tränen, aber er kam nun mit einem Male zur vollen Besinnung. Er dachte an alles was vorhergegangen war, und was nun folgen würde; an das Opfer vor ihm und an das arme Schicksal der Menschen. Da überlief ihn ein kalter Schauder, ein leiser Seufzer stahl sich aus tiefer Brust über seine Lippen. Er verschmähte sich selbst von der Höhe seines eignen Gefühls, und vergaß die Gegenwart und seine Absicht in Gedanken von allgemeiner Sympathie.
Der Augenblick war versäumt. Er suchte nur das gute Kind zu trösten und zu besänftigen, und eilte mit Abscheu von dem Orte hinweg, wo er den Blütenkranz der Unschuld mutwillig hatte zerreißen wollen. Er wußte wohl, daß mancher seiner Freunde, der noch [38] weniger an weibliche Tugend glaubte wie er, sein Benehmen ungeschickt und lächerlich finden würde. Er war beinah selbst dieser Meinung, da er wieder mit Kälte zu überlegen anfing. Indessen hielt er seine Dummheit doch für ausgezeichnet und interessant. Er glaubte, es sei notwendig, daß edle Naturen in gemeinen Verhältnissen und in den Augen der Menge einfältig oder rasend erscheinen müßten. Da bei dem nächsten Wiedersehn, wie er schlau bemerkte oder sich einbildete, das Mädchen eher unzufrieden schien, daß es nicht ganz verführt sei, bestätigte er sich in seinem Mißtrauen und geriet in eine große Erbitterung. Es wandelte ihn beinah eine Art von Verachtung an, zu der er doch so wenig berechtigt war. Er floh, zog sich wieder in die alte Einsamkeit zurück und verzehrte sich in seiner eignen Sehnsucht.
So lebte er von neuem eine Zeit auf die alte Weise in einem Wechsel von Schwermut und Ausgelassenheit. Der einzige Freund, der Kraft und Ernst genug hatte, ihn trösten und beschäftigen zu können und auf dem Wege zum Verderben einzuhalten, war weit entfernt, und seine Sehnsucht also auch von dieser Seite unbefriedigt. Heftig streckte er einst die Arme nach ihm aus, als müsse er nun endlich da sein, und trostlos ließ er sie wieder sinken, nachdem er lange vergeblich gewartet. Er vergoß keine Träne, aber sein Geist fiel in eine Agonie von hoffnungsloser Wehmut, aus der er sich nur zu neuen Torheiten ermannte.
Er freute sich laut, da er im Glanz der prachtvollen Morgensonne auf die Stadt zurücksah, die er schon als Kind geliebt und wo er nur noch eben so ganz lebte, und die er nun auf immer zu verlassen hoffte. Er atmete schon das frische Leben der neuen Heimat, die ihn in der Fremde erwarten sollte, und deren Bilder er schon mit Heftigkeit liebte.
Er fand bald einen andern reizenden Wohnort, wo ihn zwar nichts fesselte, aber doch vieles anzog. Alle seine Kräfte und Neigungen wurden rege durch die neuen Gegenstände; ohne Zweck und Maß in seinem Innern, nahm er teil an allem Äußern, was nur irgend merkwürdig war, und ließ sich überall ein.
Da er auch in diesem Geräusch bald Leerheit und Überdruß empfand, so kehrte er oft zurück zu seinen einsamen Träumen und wiederholte das alte Gewebe seiner unbefriedigten Wünsche. Eine Träne entfiel ihm über sich selbst, da er einst im Spiegel sah, wie trübe und stechend das Feuer der unterdrückten Liebe aus seinem dunkeln Auge brannte und wie sich unter wilden schwarzen [39] Locke leise Furchen in die kämpfende Stirn gruben, und wie die Wange so bleich war. Er seufzte über seine ungenutzte Jugend; sein Geist empörte sich und wählte unter den schönen Frauen seiner Bekanntschaft die, welche am freisten lebte und am meisten in der guten Gesellschaft glänzte. Er nahm sich vor, nach ihrer Liebe zu streben und er erlaubte seinem Herzen, sich ganz zu überfüllen mit diesem Gegenstande. Was so wild und willkürlich begonnen wurde, konnte nicht gesund endigen, und die Dame, welche eben so eitel als schön war, mußte es sonderbar und mehr als sonderbar finden, wie Julius sie mit der ernsthaftesten Aufmerksamkeit förmlich zu umgeben und zu belagern anfing und dabei bald so dreist und zuversichtlich war wie ein alter Besitzer, bald so schüchtern und fremd wie ein völlig Unbekannter. Da er sich so seltsam zeigte, hätte er bei weitem reicher sein müssen, als er war, um solche Ansprüche haben zu dürfen. Sie hatte ein leichtes, munteres Wesen und ihm schien sie artig zu reden. Aber was er an der Geliebten für göttlichen Leichtsinn nahm, war nichts als ein gedankenloses Schwärmen ohne eigentliche Freude und Fröhlichkeit, und auch ohne Geist, ausgenommen so viel Verstand und Schlauigkeit, als es braucht, um alles absichtlich und zwecklos zu verwirren, die Männer zu locken und zu lenken und sich selbst in Schmeicheleien zu berauschen. Zu seinem Unglücke erhielt er einige Zeichen von Gunst; von der Art, welche die Geberin nicht binden, weil sie sich nie dazu bekennen darf und welche den gefangenen Neuling durch den Zauber der Heimlichkeit noch unauflöslicher fesseln. Ihn konnte schon ein verstohlner Blick und Händedruck ganz bezaubern, oder ein Wort, was vor allen gesagt in seiner eigentlichen Beziehung und Anspielung nur ihm verständlich war, wenn die einfache und wohlfeile Gabe nur durch den Schein einer eignen sonderbaren Bedeutsamkeit gewürzt wurde. Sie gab ihm, wie er glaubte, ein noch deutlicheres Zeichen und es beleidigte ihn tief, daß sie ihn so wenig verstehe, daß sie ihm so sehr zuvorkomme. Er war nicht wenig stolz darauf, daß ihn das beleidigte und doch reizte es ihn unwiderstehlich, wenn er dachte, er dürfe nur schnell sein und die günstige Gelegenheit ergreifen, um ohne Hindernis ans Ziel zu gelangen. Er machte sich schon bittre Vorwürfe über seine Langsamkeit, als er plötzlich Verdacht schöpfte, ihr Zuvorkommen sei nur Täuschung, sie meine es auch mit ihm nicht ehrlich; und da ein Freund ihn vollends aufklärte, konnte ihm kein Zweifel bleiben. Er sah, daß man ihn lächerlich finde und mußte sich gestehn, daß es ganz in der Ordnung sei. Darüber geriet er etwas in Wut und hätte leicht Unheil begonnen, [40] wenn er diese leeren Menschen, ihre kleinen Verhältnisse und Mißverständnisse und das ganze Spiel geheimer Absichten und Rücksichten nicht genau beobachtet und also gründlich verachtet hätte. Auch wurde er wieder ungewiß und da sein Argwohn nun keine Grenzen mehr kannte, so war er gegen sein eignes Mißtrauen mißtrauisch. Bald sah er den Grund des Übels nur in seinem Eigensinne und übertriebnem Zartgefühl und faßte dann neue Hoffnung und neues Zutrauen; bald sah er in allem Unglück, was ihn in der Tat absichtlich zu verfolgen schien, nur das künstliche Werk ihrer Rache. Alles schwankte, nur das ward ihm immer klarer und fester, daß vollendete Narrheit und Dummheit im Großen das eigentliche Vorrecht der Männer sei, mutwillige Bosheit hingegen mit naiver Kälte und lachender Gefühllosigkeit eine angeborne Kunst der Frauen. Das war alles, was er lernte durch sein angestrengtes Bestreben nach Menschenkenntnis. Im einzelnen verfehlte er immer auf eine scharfsinnige Art das Rechte, weil er überall künstliche Absichten voraussetzte und tiefen Zusammenhang, und gar keinen Sinn hatte für das Unbedeutende. Dabei wuchs seine Leidenschaft zum Spiel, dessen zufällige Verwickelungen, Sonderbarkeiten und Glücksfälle ihn auf eben die Art interessierten, wie wenn er in höhern Verhältnissen mit seinen Leidenschaften und ihren Gegenständen aus reiner Willkür ein hohes Spiel wagte oder zu wagen glaubte.
So verwirrte er sich immer tiefer in die Intrigen einer schlechten Gesellschaft und was ihm noch übrig blieb von Zeit und Kraft in dem Wirbel der Zerstreuungen, wandte er auf ein Mädchen, die er so sehr als möglich allein zu besitzen strebte, obgleich er sie unter denen gefunden hatte, die beinah öffentlich sind. Was sie ihm so interessant machte, war nicht allein das weshalb sie allgemein gesucht und gleichsam berühmt war, ihre seltne Gewandtheit und unerschöpfliche Mannichfaltigkeit in allen verführerischen Künsten der Sinnlichkeit. Ihr naiver Witz überraschte ihn mehr und reizte ihn am meisten, wie die hellen Funken von rohem tüchtigem Verstand, vorzüglich aber ihre entschiedne Manier und ihr konsequentes Betragen. Mitten im Stande der äußersten Verderbtheit zeigte sie eine Art von Charakter; sie war voll von Eigenheiten und ihr Egoismus nicht im gemeinen Stil. Nächst der Unabhängigkeit liebte sie nichts so unmäßig wie das Geld, aber sie wußte es zu brauchen. Dabei war sie billig gegen jeden, der nicht sehr reich war und selbst gegen die andern treuherzig in ihrer Habsucht und ohne Ränke. Sie schien ganz sorgenlos nur in der Gegenwart zu leben und war doch immer auf die Zukunft bedacht. Sie [41] sparte im Kleinen um nach ihrer Art im Großen zu verschwenden und im Überflüssigen das Beste zu haben. Ihr Boudoir war einfach und ohne alle gewöhnlichen Meublen, nur von allen Seiten große, kostbare Spiegel und wo noch Raum übrig blieb, einige gute Kopien von den wollüstigen Gemälden des Correggio und Tizian, desgleichen einige schöne Originale von frischen, vollen Blumen- und Fruchtstücken; statt der Lambris die lebendigsten und fröhlichsten Darstellungen in Basrelief aus Gips nach der Antike; statt der Stühle echte orientalische Teppiche und einige Gruppen aus Marmor in halber Lebensgröße: ein gieriger Faun, der eine Nymphe, die im Fliehen schon gefallen ist, eben völlig überwinden wird; eine Venus, die mit aufgehobenem Gewande lächelnd über den wollüstigen Rücken auf die Hüften schaut und andre ähnliche Darstellungen. Hier saß sie oft auf türkische Sitte Tage lang allein und die Hände müßig im Schoß, denn sie verabscheute alle weiblichen Arbeiten. Sie erfrischte sich nur von Zeit zu Zeit mit Wohlgerüchen und ließ sich dabei von ihrem Jockey, einem bildschönen Knaben, den sie sich in seinem vierzehnten Jahre eigens verführt hatte, Geschichten, Reisebeschreibungen und Märchen vorlesen. Sie gab wenig darauf acht, außer wenn etwas Lächerliches vorkam, oder eine allgemeine Bemerkung, die sie auch wahr fand. Denn sie achtete nichts und hatte Sinn für nichts als für Realität und fand alle Poesie lächerlich. Sie war einmal Schauspielerin gewesen, aber nur kurze Zeit und sie machte sich gern lustig über ihr Ungeschick dazu und über die Langeweile, die sie dabei ausgestanden. Es war eine von ihren vielen Eigenheiten, daß sie bei solchen Gelegenheiten in der dritten Person von sich sprach. Auch wenn sie erzählte, nannte sie sich nur Lisette, und sagte oft, wenn sie schreiben könnte, wollte sie ihre eigne Geschichte schreiben, aber so als ob es ein andrer wäre. Für Musik hatte sie gar kein Gefühl, für die bildenden Künste aber so viel daß Julius oft mit ihr über seine Arbeiten und Ideen sprach, und die Skizzen für die besten hielt, die er unter ihren Augen und bei ihrem Gespräch entworfen hatte. Doch schätzte sie an Statuen und an Zeichnungen nur die lebendige Kraft, und an Gemälden nur den Zauber der Farben, die Wahrheit des Fleisches und allenfalls die Täuschung des Lichtes. Sprach ihr jemand von Regeln, vom Ideal und von der sogenannten Zeichnung, so lachte sie oder hörte nicht zu. Selbst etwas zu versuchen, so viele bereitwillige Lehrer sich auch anboten, war sie viel zu träge und verwöhnt und befand sich zu wohl bei ihrer Lebensart. Auch traute sie allen Schmeicheleien nicht und blieb fest überzeugt, [42] sie würde es mit aller Not und Arbeit in der Kunst zu nichts Ordentlichem bringen. Lobte man ihren Geschmack und ihr Zimmer, in welches sie nur selten auserwählte Lieblinge führte, so rühmte sie dagegen auf eine komische Weise zuerst das gute alte Schicksal, die schlaue Lisette und dann die Engländer und Holländer als die besten Nationen unter allen, die sie kenne; weil die volle Kasse einiger Neulinge von dieser Sorte zuerst einen guten Grund zu ihrer reichlichen Einrichtung gelegt hatte. Überhaupt freute sie sich sehr damit, wenn sie jemanden, der dumm war, übervorteilt hatte: aber sie tat es auf eine drollige, fast kindische Art, mit Witz und mehr aus Übermut als aus Rohheit. Ihre ganze Klugheit wandte sie darauf, sich der Zudringlichkeit und Unart der Männer zu erwehren, und es gelang ihr so sehr, daß die rohen, wüsten Menschen mit einer innigen Achtung von ihr sprachen, die dem, welcher sie nicht kannte und nur von ihrem Gewerbe wußte, sehr komisch dünkte. Das war es auch, was den neugierigen Julius zuerst reizte, eine so sonderbare Bekanntschaft zu suchen und er fand bald noch mehr Ursach zu erstaunen. Bei den gewöhnlichen Männern litt und tat sie, was sie schuldig zu sein glaubte; genau, mit Geschicklichkeit und mit Kunstsinn, aber ganz kalt. Gefiel ihr ein Mann, führte sie ihn gar in ihr heiliges Cabinet; so schien sie eine ganz neue Person zu werden. Sie geriet dann in eine schöne bacchantische Wut; wild, ausschweifend und unersättlich vergaß sie beinah der Kunst und verfiel in eine hinreißende Anbetung der Männlichkeit. Darum liebte sie Julius, und auch weil sie ihm so ganz ergeben schien, ungeachtet sie davon nicht viele Worte machte. Sie merkte bald, ob jemand Verstand habe, und wo sie den zu finden glaubte, ward sie offen und herzlich, und ließ sich dann gern von ihrem Freunde erzählen, was er von der Welt wußte. Mancher hatte sie belehrt, keiner aber hatte ihr innerstes Wesen so verstanden, so fein geschont und ihren eigentlichen Wert so geachtet wie Julius. Darum hing sie auch mehr an ihm als sich sagen läßt. Sie erinnerte sich vielleicht zum erstenmal mit Rührung an ihre erste Jugend und Unschuld und gefiel sich nicht in der Umgebung, mit der sie sonst ganz zufrieden war. Julius fühlte das und freute sich damit, aber er konnte nie über die Geringschätzung Herr werden, die ihm ihr Stand und ihr Verderben einflößte, und sein unauslöschliches Mißtrauen schien ihm hier gerecht zu sein. Wie entrüstet war er daher, als sie ihm einst unerwarteter Weise die Ehre der Vaterschaft ankündigte. Und er wußte es doch, daß sie trotz ihres Versprechens noch vor Kurzem Besuche von einem andern angenommen hatte. Das Versprechen [43] konnte sie ihm nicht abschlagen. Sie selbst hätte es wahrscheinlich gern gehalten, aber sie brauchte mehr als er geben konnte; sie wußte nur eine Art, Geld zu erwerben, und aus einer Delikatesse, die sie einzig für ihn hatte, nahm sie nur das wenigste von dem, was er geben wollte. Alles das bedachte der aufgebrachte Jüngling nicht, er hielt sich für betrogen, er sagte es ihr mit harten Worten und verließ sie in dem leidenschaftlichsten Zustande, wie er glaubte, auf immer. Nicht lange nachher suchte ihn der Knabe mit Tränen und Klagen und ließ nicht ab, bis er mit ihm ging. Er fand sie fast entkleidet in dem schon dunkeln Cabinet, er sank in die geliebten Arme, mit denen sie ihn so heftig an sich riß wie sonst, aber sie sanken sogleich an ihm nieder. Er hörte einen tiefen stöhnenden Seufzer, es war der letzte; und da er sich ansah, war er mit Blut bedeckt. Voll Entsetzen sprang er auf und wollte fliehen. Er verweilte nur, um eine große Locke zu ergreifen, die neben dem gefärbten Messer auf dem Boden lag. Sie hatte dieselbe in einem Anfalle von begeisterter Verzweiflung kurz zuvor, ehe sie sich die vielen Wunden gab, von denen die meisten tödlich waren, abgeschnitten. Wahrscheinlich mit dem Gedanken, sich dadurch dem Tode und dem Verderben als Opfer zu weihen. Denn nach der Aussage des Knaben sprach sie dabei mit lauter Stimme die Worte: »Lisette soll zu Grunde gehen, zu Grunde jetzt gleich: so will es das Schicksal, das eiserne.«
Der Eindruck, den diese überraschende Tragödie auf den reizbaren Jüngling machte, war unauslöschlich, und brannte durch seine eigne Kraft immer tiefer. Die erste Folge von Lisettens Ruin war, daß er ihr Andenken mit schwärmerischer Achtung vergötterte. Er verglich ihre hohe Energie mit den nichtswürdigen Intrigen der Dame, die ihn verstrickt hatte, und sein Gefühl mußte laut entscheiden, daß jene sittlicher und weiblicher sei: denn diese Kokette gab nie eine kleine oder große Gunst ohne Nebenabsicht; und doch ward sie von aller Welt geachtet und bewundert, wie so viele andre, die ihr gleichen. Darüber widersetzte sich sein Verstand mit Heftigkeit allen falschen und allen wahren Meinungen, die man über die weibliche Tugend hat. Es war Grundsatz bei ihm, die gesellschaftlichen Vorurteile, welche er bisher nur vernachlässigte, nun ausdrücklich zu verachten. Er gedachte an die zarte Louis, die beinah ein Raub seiner Verführung geworden wäre und er erschrak. Denn auch Lisette war von guter Familie, früh gefallen, entführt und in der Fremde verlassen, zu stolz gewesen umzukehren, und durch die erste Erfahrung so belehrt wie andre nicht durch die letzte. Mit schmerzlichem Vergnügen[44] sammelte er manchen interessanten Zug von ihrer frühen Jugend. Sie war damals mehr schwermütig als leichtsinnig, aber in der Tiefe ganz Flamme und schon als kleines Mädchen traf man sie bei Gemälden von nackten Gestalten oder bei andern Gelegenheiten in sonderbaren Äußerungen der heftigsten Sinnlichkeit.
Diese Ausnahme von dem, was Julius für gewöhnlich hielt beim weiblichen Geschlecht, war zu einzig und die Umgebung, in der er sie fand, zu unrein, als daß er dadurch zu einer wahren Ansicht hätte gelangen können. Vielmehr trieb ihn sein Gefühl, sich fast ganz von den Frauen und von den Gesellschaften, wo sie den Ton angeben, zurück zu ziehen. Er fürchtete seine Leidenschaftlichkeit und warf seinen ganzen Sinn auf die Freundschaft mit Jünglingen, die wie er der Begeisterung fähig waren. Diesen ergab er sein Herz, nur sie waren für ihn wahrhaft wirklich, die übrige Menge gemeiner Schattenwesen freute er sich zu verachten. Mit Leidenschaft und mit Spitzfindigkeit stritt er innerlich und grübelte über seine Freunde, über ihre verschiedenen Vorzüge und Verhältnisse zu ihm. Er erhitzte sich in seinen eigenen Gedanken und Gesprächen und war berauscht von Stolz und von Männlichkeit. Auch glühten sie alle von edler Liebe, unentwickelt schlummerte hier manche große Kraft, und sie sagten nicht selten in rohen aber treffenden Worten erhabene Dinge über die Wunder der Kunst, über den Wert des Lebens und über das Wesen der Tugend und Selbstständigkeit. Vorzüglich aber über die Göttlichkeit der männlichen Freundschaft, die Julius zum eigentlichen Geschäft seines Lebens zu machen gesonnen war. Er hatte viele Verbindungen, und war unersättlich immer neue zu knüpfen. Jeden Mann, der ihm interessant erschien, suchte er, und ruhte nicht, bis er ihn gewonnen und die Zurückhaltung des andern durch seine jugendliche Zudringlichkeit und Zuversicht besiegt hatte. Es läßt sich denken, daß er, der sich eigentlich alles erlaubt hielt und sich selbst über das Lächerliche wegsetzen konnte, eine andre Schicklichkeit im Sinne und vor Augen hatte als die, welche allgemein gilt.
In dem Gefühl und Umgang des einen Freundes fand er mehr als weibliche Schonung und Zartheit bei erhabenem Verstande und fest gebildetem Charakter. Ein zweiter brannte mit ihm in edlem Unwillen über das schlechte Zeitalter und wollte etwas Großes wirken. Der liebenswürdige Geist des dritten war noch ein Chaos von Andeutungen: aber er hatte zarten Sinn für alles und ahndete die Welt. Den einen verehrte er als seinen Meister in der Kunst würdig zu leben. Den andern dachte er als seinen Jünger und wollte sich nur vor der [45] Hand zur Teilnahme an seinen Ausschweifungen herablassen, um ihn ganz zu kennen und zu gewinnen, und dann seine große Anlage zu retten, die so nah am Abgrunde wandelte wie seine eigne.
Es waren große Gegenstände, nach denen sie mit Ernst strebten. Indessen blieb es bei hohen Worten und vortrefflichen Wünschen. Julius kam nicht weiter und ward nicht klarer, er handelte nicht und er bildete nichts. Ja er vernachlässigte seine Kunst fast nie mehr, als da er sich und seine Freunde mit Projekten überströmte von allen Werken, die er vollbringen wollte, und die ihm im Augenblick der ersten Begeisterung schon fertig schienen. Die wenigen Anwandlungen von Nüchternheit, die ihm noch übrig blieben, erstickte er in Musik, die für ihn ein gefährlicher, bodenloser Abgrund von Sehnsucht und Wehmut war, in den er sich gern und willig versinken sah.
Diese innere Gärung hätte heilsam sein können, und aus der Verzweiflung wäre endlich Ruhe und Festigkeit hervorgegangen, und er wäre klar geworden über sich selbst. Aber die Wut der Unbefriedigung zerstückte seine Erinnerung, er hatte nie weniger eine Ansicht vom Ganzen seines Ich. Er lebte nur in der Gegenwart, an der er mit durstigen Lippen hing, und vertiefte sich ohne Ende in jeden unendlich kleinen und doch unergründlichen Teil der ungeheuren Zeit, als müsse es nun in diesem endlich zu finden sein, was er schon so lange suche. Diese Wut der Unbefriedigung mußte ihn bald mit seinen Freunden selbst verstimmen und entzweien, von denen die meisten bei den herrlichsten Anlagen ebenso untätig und mit sich uneins waren wie er. Dieser schien ihn nicht zu verstehn, jener bewunderte nur seinen Geist, äußerte aber Mißtrauen gegen sein Herz und tat ihm wirklich unrecht. Da hielt er seine innerste Ehre gekränkt und fühlte sich von geheimem Haß zerrissen. Er überließ sich diesem Gefühl ohne Scheu, denn er glaubte, nur wen man achten müsse, dürfe man hassen, und nur Freunde könnten einer dem andern das zarteste Gefühl so tief verletzen. Der eine Jüngling war durch eigne Schuld zu Grunde gegangen; der andre fing gar an selbst gewöhnlich zu werden. Mit einem dritten war sein Verhältnis verstimmt und fast gemein geworden. Es war ganz geistig gewesen, und so hätte es auch bleiben sollen. Aber eben weil es so zart war, mußte mit der feinsten Blüte alles verloren gehn, als die Gelegenheit es gab, daß einer dem andern Dienste leistete. Da gerieten sie in Wettstreite von Großmut und Dankbarkeit und fingen endlich an, in der geheimsten Tiefe der Seele irdische Foderungen an sich zu machen und zu vergleichen.
[46] Bald hatte der Zufall ohne Schonung aufgelöst, was nur durch Willkür leidenschaftlich verbunden war. Immer mehr und mehr geriet Julius in einen Zustand, der von der Verrückung nur dadurch verschieden war, daß es einigermaßen auf ihn ankam, wann und wie weit er sich seiner Gewalt hingeben wollte. Auch war sein äußeres Betragen jeder bürgerlichen und gesellschaftlichen Ordnung gemäß, und grade jetzt fingen die Menschen an, ihn vernünftig zu nennen, da eine Verwirrung aller Schmerzen sein Innres wild zerriß, und die Krankheit des Geistes immer tiefer und geheimer an dem Herzen nagte. Es war mehr eine Raserei des Gefühls als des Verstandes, und das Übel war nur um so gefährlicher, weil er äußerlich froh und lustig schien. So war seine gewöhnliche Stimmung, und man fand ihn sogar angenehm. Nur wenn er mehr Wein genossen hatte als gewöhnlich, ward er überaus traurig und zu Tränen und Klagen geneigt. Aber selbst dann sprudelte er, wenn andre zugegen waren, von bitterm Witz und allgemeinem Spott, oder er trieb sein Spiel mit sonderbaren und dummen Menschen, deren Umgang er nun über alles liebte, und die er in die beste Laune zu setzen wußte, so daß sie sich von Herzen mitteilten und ganz zeigten, wie sie waren. Das Gemeine reizte und unterhielt ihn; nicht aus liebenswürdiger Herablassung, sondern weil es nach seiner Ansicht närrisch und toll war.
An sich selbst dachte er nicht, nur dann und wann überfiel ihn ein klares Gefühl, er werde plötzlich zu Grunde gehn. Die Reue unterdrückte er durch Stolz, und die Gedanken und Bilder des Selbstmordes waren ihm schon in seiner frühsten jugendlichen Schwermut so geläufig gewesen, daß sie den Reiz der Neuheit für ihn verloren hatten. Einen solchen Entschluß auszuführen, wäre er sehr fähig gewesen, wenn er nur überhaupt zu einem Entschluß hätte kommen können. Es schien ihm kaum der Mühe wert, weil er doch nicht hoffen wollte, der Langeweile des Daseins und dem Eckel über das Schicksal auf diesem Wege zu entfliehn. Er verachtete die Welt und alles, und war stolz darauf.
Auch diese Krankheit wie alle vorigen heilte und vernichtete der erste Anblick einer Frau die einzig war, und die seinen Geist zum erstenmal ganz und in der Mitte traf. Seine bisherigen Leidenschaften spielten nur auf der Oberfläche, oder es waren vorübergehende Zustände ohne Zusammenhang. Jetzt ergriff ihn ein neues unbekanntes Gefühl, daß dieser Gegenstand allein der rechte, und dieser Eindruck ewig sei. Der erste Blick schon entschied, beim zweiten wußte er's, und sagte sich's, daß es nun gekommen, und wirklich da sei, was er [47] so lange dunkel erwartet hatte. Er erstaunte, und erschrack, denn wie er dachte, daß es sein höchstes Gut sein würde, von ihr geliebt zu werden und sie ewig zu besitzen, so fühlte er zugleich daß dieser höchste und einzige Wunsch ewig unerreichbar sei. Sie hatte gewählt und hatte sich gegeben; ihr Freund war auch der seinige, und lebte ihrer Liebe würdig. Julius war der Vertraute, er wußte daher alles genau, was ihn unglücklich machte, und urteilte mit Strenge über seinen eignen Unwert. Gegen diesen wandte sich die ganze Kraft seiner Leidenschaft. Er entsagte der Hoffnung und dem Glück, aber er beschloß, es zu verdienen, und Herr über sich selbst zu werden. Nichts verabscheute er so sehr, als den Ge danken, das Geringste von dem was ihn erfüllte, auch nur durch ein undeutliches Wort, durch einen verstohlnen Seufzer zu verraten. Gewiß wäre auch jede Äußerung widersinnig gewesen, und da er so heftig, sie so fein, und das Verhältnis so zart war, hätte ein einziger Wink, von denen, die unwillkürlich scheinen, und doch bemerkt sein wollen, immer weiter führen, und alles verwirren müssen. Darum drängte er alle Liebe in sein Innerstes zurück, und ließ da die Leidenschaft wüten, brennen und zehren; aber sein Äußeres war durchaus verwandelt, und so gut gelang ihm der Schein der kindlichsten Unbefangenheit und Unerfahrenheit und einer gewissen brüderlichen Härte, die er annahm, damit er nicht aus dem Schmeichelhaften ins Zärtliche fallen möchte, daß sie nie den leisesten Argwohn schöpfte. Sie war heiter und leicht in ihrem Glück, sie ahndete nichts, scheute also nichts, sondern ließ ihrem Witz und ihrer Laune freies Spiel, wenn sie ihn unliebenswürdig fand. Überhaupt lag in ihrem Wesen jede Hoheit und jede Zierlichkeit, die der weiblichen Natur eigen sein kann, jede Gottähnlichkeit, und jede Unart, aber alles war fein, gebildet, und weiblich. Frei und kräftig entwickelte und äußerte sich jede einzelne Eigenheit, als sei sie nur für sich allein da, und dennoch war die reiche, kühne Mischung so ungleicher Dinge im Ganzen nicht verworren, denn ein Geist beseelte es, ein lebendiger Hauch von Harmonie und Liebe. Sie konnte in derselben Stunde irgend eine komische Albernheit mit dem Mutwillen und der Feinheit einer gebildeten Schauspielerin nachahmen, und ein erhabenes Gedicht vorlesen mit der hinreißenden Würde eines kunstlosen Gesanges. Bald wollte sie in Gesellschaft glänzen und tändeln, bald war sie ganz Begeisterung, und bald half sie mit Rat und Tat, ernst, bescheiden und freundlich wie eine zärtliche Mutter. Eine geringe Begebenheit ward durch ihre Art sie zu erzählen so reizen wie ein schönes Märchen. Alles umgab sie [48] mit Gefühl und mit Witz, sie hatte Sinn für alles, und alles kam veredelt aus ihrer bildenden Hand und von ihren süß redenden Lippen. Nichts Gutes und Großes war zu heilig oder zu allgemein für ihre leidenschaftlichste Teilnahme. Sie vernahm jede Andeutung, und sie erwiderte auch die Frage, welche nicht gesagt war. Es war nicht möglich, Reden mit ihr zu halten; es wurden von selbst Gespräche und während dem steigenden Interesse spielte auf ihrem feinen Gesichte eine immer neue Musik von geistvollen Blicken und lieblichen Mienen. Dieselben glaubte man zu sehen, wie sie sich bei dieser oder bei jener Stelle veränderten, wenn man ihre Briefe las, so durchsichtig und seelenvoll schrieb sie, was sie als Gespräch gedacht hatte. Wer sie nur von dieser Seite kannte, hätte denken können, sie sei nur liebenswürdig, sie würde als Schauspielerin bezaubern müssen, und ihren geflügelten Worten fehle nur Maß und Reim, um zarte Poesie zu werden. Und doch zeigte eben diese Frau bei jeder großen Gelegenheit Mut und Kraft zum Erstaunen, und das war auch der hohe Gesichtspunkt, aus dem sie den Wert der Menschen beurteilte.
Diese Größe der Seele war die Seite, von der Julius im Anfange seiner Leidenschaft ihr Wesen am meisten ergriff, weil diese zu dem Ernst derselben am besten stimmte. Sein ganzes Wesen war gleichsam von der Oberfläche zurückgetreten nach dem Innern; er versank in eine allgemeine Verschlossenheit und floh den Umgang der Menschen. Rauhe Felsen waren seine liebste Gesellschaft, am Gestade des einsamen Meeres hing er seinen Gedanken nach, und ging zu Rate mit sich selbst, und wenn das Sausen des Windes in den hohen Tannen rauschte, so wähnte er, die mächtigen Wogen tief unter ihm wollten sich aus Teilnahme und Mitleiden ihm nähern, und schwermütig blickte er den fernen Schiffen nach und der sinkenden Sonne. Dieser Ort war sein Liebling, er ward ihm durch die Erinnerung zu einer heiligen Heimat aller Schmerzen und Entschlüsse.
Die Vergötterung seiner erhabenen Freundin wurde für seinen Geist ein fester Mittelpunkt und Boden einer neuen Welt. Hier schwanden alle Zweifel, in diesem wirklichen Gute fühlte er den Wert des Lebens und ahndete die Allmacht des Willens. Er stand in Wahrheit auf frischem Grün einer kräftigen mütterlichen Erde, und ein neuer Himmel wölbte sich unermeßlich über ihm im blauen Äther. Er erkannte in sich den hohen Beruf zur göttlichen Kunst, er schalt seine Trägheit, daß er noch so weit zurück sei in der Bildung und zu weichlich gewesen war zu jeder gewaltigen Anstrengung. Er ließ sich nicht in müßige Verzweiflung sinken, sondern er folgte der weckenden [49] Stimme jener heiligen Pflicht. Alle Mittel, die ihm die Verschwendung noch gelassen hatte, spannte er nun an. Er zerriß alle Bande von ehedem, und machte sich mit einem Streich ganz unabhängig. Seine Kraft und seine Jugend weihte er der erhabenen künstlerischen Arbeit und Begeisterung. Er vergaß sein Zeitalter und bildete sich nach den Helden der Vorwelt, deren Ruinen er mit Anbetung liebte. Auch für ihn selbst gab es keine Gegenwart, denn er lebte nur in der Zukunft und in der Hoffnung, dereinst ein ewiges Werk zu vollenden zum Denkmal seiner Tugend und seiner Würde.
So litt und lebte er viele Jahre, und wer ihn sah, hielt ihn für älter als er war. Was er bildete, war groß gedacht und in altem Stil, aber der Ernst war abschreckend, die Formen fielen ins Ungeheure, das Antike ward ihm zu einer harten Manier, und seine Gemälde blieben bei aller Gründlichkeit und Einsicht steif und steinern. Es war vieles zu loben, nur die Anmut fehlte; und darin glich er seinen Werken. Sein Charakter war rein gebrannt im Leiden göttlicher Liebe und glänzte in heller Kraft, aber er war spröde und starr wie echter Stahl. Er war aus Kälte ruhig, und nur dann geriet er in Aufruhr, wenn ihn eine hohe Wildnis der einsamen Natur mehr als gewöhnlich reizte, wenn er seiner entfernten Freundin treuen Bericht gab von dem Kampf seiner Bildung und dem Ziel aller Arbeit, oder wenn ihn die Begeisterung für die Kunst in Gegenwart andrer überraschte, daß nach langem Schweigen einige geflügelte Worte aus seinem innersten Gemüt brachen. Doch das geschah nur selten, denn er nahm so wenig Anteil an den Menschen als an sich selbst. Über ihr Glück und ihr Beginnen konnte er nur freundlich lächeln und er glaubte es ihnen aufs Wort, wenn er bemerkte, wie sie ihn unliebend und unliebenswürdig fanden.
Doch schien ihn eine edle Frau etwas zu bemerken und vorzuziehn. Ihr feiner Geist und ihr zartes Gefühl zog ihn lebhaft an, da sie noch durch den Reiz einer liebenswürdigen und dabei sonderbaren Gestalt und durch ein Auge voll stiller Schwermut erhöht wurden. Aber so oft er herzlicher werden wollte, ergriff ihn das alte Mißtrauen und die gewohnte Kälte. Er sah sie häufig und konnte sich nie äußern, bis auch dieser Strom von Gefühl zurückfloß in das innere Meer allgemeiner Begeisterung. Selbst die Gebieterin des Herzens trat in ein heiliges Dunkel zurück, und würde ihm fern geblieben sein, wenn er sie wiedergesehn hätte.
Das einzige was ihn milder und wärmer stimmte, war der Umgang mit einer anderen Frau, die er als Schwester ehrte und liebte, [50] und die er auch ganz so betrachtete. Er stand schon länger in bürgerlichen Verhältnissen mit ihr, sie war kränklich und etwas älter wie er; dabei aber von hellem reifem Verstand, von gradem gesundem Sinn, und selbst im Auge der Fremden bis zur Liebenswürdigkeit rechtlich. Alles was sie unternahm, atmete den Geist freundlicher Ordnung, und wie von selbst entwickelte sich die gegenwärtige Tätigkeit allmählich aus der vorigen und bezog sich still auf die künftige. In dieser Anschauung begriff es Julius klar, daß es keine andre Tugend gebe als Konsequenz. Aber es war nicht die kalte steife Übereinstimmung berechneter Grundsätze oder Vorurteile, sondern die beharrliche Treue eines mütterlichen Herzens, das den Kreis seiner Wirksamkeit und seiner Liebe mit bescheidner Kraft erweitert und in sich selbst vollendet, und die rohen Dinge der umgebenden Welt zu einem freundlichen Eigentum und Werkzeug des geselligen Lebens bildet. Dabei war ihr jede Beschränktheit häuslicher Frauen fremd, und mit tiefer Schonung und gefühlter Milde sprach sie über die herrschenden Meinungen der Menschen, und über die Ausnahmen und Ausschweifungen derer, die gegen den Strom leben: denn ihr Verstand war so unbestechlich als ihr Gefühl rein und unverfälscht. Sie sprach überhaupt gern, vorzüglich über sittliche Gegenstände, wo sie den Streit oft ins Allgemeine spielte und auch wohl an Spitzfindigkeiten Gefallen hatte, wenn sie etwas zu enthalten schienen und sinnreich klangen. Sie war nicht sparsam mit Worten und ihr Gespräch ward durch keine ängstliche Ordnung gelenkt. Es war eine reizende Verwirrung von einzelnen Einfällen und allgemeiner Teilnahme, von fortgesetzter Aufmerksamkeit und plötzlicher Zerstreuung.
Die Natur belohnte endlich die mütterliche Tugend der vortrefflichen Frau und es keimte, da sie es kaum hoffte, ein neues Leben unter ihrem treuen Herzen. Das erfüllte den Jüngling, der so sehr an ihr hing und an ihrem häuslichen Glücke den wärmsten Anteil nahm, mit lebhafter Freude: aber es regte vieles in ihm an, was lange geschwiegen hatte.
Da nun einige seiner künstlerischen Versuche auch in seiner Brust ein neues Zutrauen weckten, und ihn der erste Beifall großer Meister aufmunterte; da ihn die Kunst an neue sehenswürdige Orte und unter fremde fröhliche Menschen führte: so erweichte sich sein Gefühl und floß mächtig, wie ein großer Strom, wenn das Eis schmilzt und bricht, und die Wogen mit neuer Kraft sich durch die alte Bahn reißen.
[51]Er war verwundert sich wieder ausgelassen und fröhlich in der Gesellschaft der Menschen zu fühlen. Seine Denkart war männlich und rauh, aber sein Herz in der Einsamkeit wieder kindlich und schüchtern geworden. Er sehnte sich nach einer Heimat und dachte an eine schöne Ehe, die mit den Foderungen der Kunst nicht streiten sollte. War er dann unter der Blüte junger Mädchen, so fand er leicht eine oder mehrere von ihnen liebenswürdig. Heiraten, meinte er, wolle er sie gleich, wenn er sie schon nicht lieben könne. Denn der Begriff und selbst der Name der Liebe war ihm überheilig und blieb ganz in der Ferne. Bei solchen Gelegenheiten lächelte er dann über die scheinbare Beschränktheit seiner augenblicklichen Wünsche und fühlte wohl, wie unermeßlich viel ihm noch fehlen möchte, wenn sie durch einen Zauberschlag sogleich erfüllt würden. Ein anderesmal lachte er lauter über seine alte Heftigkeit nach so langem Enthalten, da ihm eine schnelle Gelegenheit einen frischen Genuß anbot, und sein Gemüt durch einen Roman, der in wenigen Minuten angefangen, vollendet und beschlossen war, wenigstens von einigem Brennstoff befreite und erleichterte.
Einem sehr gebildeten Mädchen gefiel er, weil er ihr seelenvolles Gespräch und ihren schönen Geist mit sichtbarer Innigkeit bewunderte, und ihr, ohne eine Schmeichelei auszusprechen, bloß durch die Art seines Umgangs huldigte, so gut, daß sie ihm nach und nach alles erlaubte, außer das letzte. Und selbst diese Grenze setzte sie ihm nicht aus Kälte, noch aus Vorsicht und Grundsatz: denn sie war reizbar genug, sie hatte eine starke Anlage zum Leichtsinn und lebte in den freisten Verhältnissen. Es war weiblicher Stolz und Scheu vor dem, was sie für tierisch und roh hielt. So wenig nun ein solches Beginnen ohne Vollendung nach Julius Sinne war, und obgleich er über die kleine Einbildung des Mädchens lächeln mußte, wenn er bei diesem verkehrten und verkünstelten Wesen an das Schaffen und Wirken der allmächtigen Natur, an ihre ewigen Gesetze, an die Hoheit und Größe der Mutterwürde, und an die Schönheit des Mannes dachte, den in der Fülle der Gesundheit und Liebe die Begeisterung des Lebens ergreift, oder des Weibes, das sich ihr hingibt: so freute er sich doch bei dieser Gelegenheit zu sehn, daß er den Sinn für zarten und feinen Genuß noch nicht verloren habe.
Bald aber vergaß er diese und andre ähnliche Kleinigkeiten, da er eine junge Künstlerin traf, welche das Schöne gleich ihm leidenschaftlich verehrte, die Einsamkeit und Natur ebenso zu lieben schien. In ihren Landschaften sah und fühlte man den lebendigen Hauch [52] wahrer Luft, es war immer ein ganzer Blick. Die Umrisse waren zu unbestimmt, und zwar auf eine solche Weise, daß sie den Mangel einer gründlichen Schule verrieten. Aber alle die Massen stimmten zusammen zu einer Einheit für das Gefühl, die so klar und deutlich war, als sei es unmöglich, etwas anderes dabei zu fühlen. Sie trieb die Malerei nicht wie ein Gewerbe oder eine Kunst, sondern bloß aus Lust und Liebe, und warf jede Ansicht, so wie auf ihren Wanderungen ihr eine gefiel oder merkwürdig schien, nach Zeit und Laune mit der Feder oder in Wasserfarben aufs Papier. Zum Öl hatte es ihr an Geduld und an Fleiß gefehlt, und selten malte sie ein Portrait, nur wann sie ein Gesicht sehr ausgezeichnet und wert hielt. Dann arbeitete sie mit der gewissenhaftesten Treue und Sorgfalt und wußte die Pastellfarben mit einer bezaubernden Weichheit zu behandeln. So bedingt und gering der Wert dieser Versuche für die Kunst sein mochte, so freute sich Julius doch nicht wenig über die schöne Wildheit in ihren Landschaften und über den Geist, mit dem sie die unergründliche Mannichfaltigkeit und wunderbare Übereinstimmung der menschlichen Gesichtszüge auffaßte. Und so einfach die der Künstlerin selbst waren, so waren sie doch nicht unbedeutend, und Julius fand in ihnen einen großen Ausdruck, der ihm immer neu blieb.
Lucinde hatte einen entschiednen Hang zum Romantischen, er fühlte sich betroffen über die neue Ähnlichkeit und er entdeckte immer mehrere. Auch sie war von denen, die nicht in der gemeinen Welt leben, sondern in einer eignen selbstgedachten und selbstgebildeten. Nur was sie von Herzen liebte und ehrte, war in der Tat wirklich für sie, alles andre nichts; und sie wußte was Wert hat. Auch sie hatte mit kühner Entschlossenheit alle Rücksichten und alle Bande zerrissen und lebte völlig frei und unabhängig.
Die wunderbare Gleichheit zog den Jüngling bald in ihre Nähe, er bemerkte, daß auch sie diese Gleichheit fühle, und beide nahmen es gewahr, daß sie sich nicht gleichgültig wären. Es war noch nicht lange daß sie sich sahen und Julius wagte nur einzelne abgerißne Worte, die bedeutend aber nicht deutlich waren. Er sehnte sich mehr von ihren Schicksalen und ihrem ehemaligen Leben zu wissen, worüber sie gegen andre sehr geheimnisvoll war. Ihm gestand sie nicht ohne gewaltsame Erschütterung, sie sei schon Mutter gewesen von einem schönen starken Knaben, den ihr der Tod bald wieder entrissen. Auch er erinnerte sich an die Vergangenheit und sein Leben ward ihm, indem er es ihr erzählte, zum erstenmal zu einer gebildeten Geschichte. Wie freute sich Julius, da er mit ihr über Musik [53] sprach, und seine innersten und eigensten Gedanken über den heiligen Zauber dieser romantischen Kunst aus ihrem Munde hörte! Da er ihren Gesang vernahm, der sich rein und stark gebildet aus tiefer weicher Seele hob, da er ihn mit dem seinigen begleitete, und ihre Stimmen bald in Eins flossen, bald Fragen und Antworten der zartesten Empfindung wechselten, für die es keine Sprache gibt! Er konnte nicht widerstehn, er drückte einen schüchternen Kuß auf die frischen Lippen und die feurigen Augen. Mit ewigem Entzücken fühlte er das göttliche Haupt der hohen Gestalt auf seine Schulter sinken, die schwarzen Locken flossen über den Schnee des vollen Busens und des schönen Rückens, leise sagte er herrliche Frau! als die fatale Gesellschaft unerwartet hereintrat.
Nun hatte sie ihm nach seinen Begriffen eigentlich schon alles gewährt; es war ihm nicht möglich zu künsteln an einem Verhältnis, das er sich so rein und groß dachte, und doch war ihm jede Zögerung unerträglich. Von einer Gottheit, dachte er, begehrt man nicht erst das, was man nur als Übergang und Mittel denkt, sondern man bekennt sogleich mit Offenheit und Zuversicht das Ziel aller Wünsche. So bat auch er sie mit der unschuldigsten Unbefangenheit um alles, was man eine Geliebte bitten kann, und stellte ihr in einem Strome von Beredsamkeit dar, wie seine Leidenschaftlichkeit ihn zerstören würde, wenn sie zu weiblich sein wollte. Sie war nicht wenig überrascht, aber sie ahndete wohl, daß er nach der Hingebung liebender und treuer sein würde wie vorher. Sie konnte keinen Entschluß fassen, und überließ es nur den Umständen, die es so fügten, wie es gut war. Sie waren nur wenige Tage allein, als sie sich ihm auf ewig ergab und ihm die Tiefe ihrer großen Seele öffnete, und alle Kraft, Natur und Heiligkeit, die in ihr war. Auch sie lebte lange in gewaltsamer Verschlossenheit, und nun brachen zwischen den Umarmungen in Strömen der Rede das zurückgedrängte Zutrauen und die Mitteilung mit einemmale hervor aus dem innersten Gemüt. In einer Nacht wechselten sie mehr als einmal heftig zu weinen und laut zu lachen. Sie waren ganz hingegeben und eins und doch war jeder ganz er selbst, mehr als sie es noch je gewesen waren, und jede Äußerung war voll vom tiefsten Gefühl und eigensten Wesen. Bald ergriff sie eine unendliche Begeisterung, bald tändelten und scherzten sie mutwillig und Amor war hier wirklich, was er so selten ist, ein fröhliches Kind.
Durch das, was seine Freundin ihm offenbart hatte, ward es dem Jünglinge klar, daß nur ein Weib recht unglücklich sein kann und recht [54] glücklich, und daß die Frauen allein, die mitten im Schoß der menschlichen Gesellschaft Naturmenschen geblieben sind, den kindlichen Sinn haben, mit dem man die Gunst und Gabe der Götter annehmen muß. Er lernte das schöne Glück ehren, was er gefunden hatte, und wenn er es mit dem häßlichen unechten Glück verglich, was er ehedem vom Eigensinn des Zufalls künstlich erzwingen wollte, so erschien es ihm wie eine natürliche Rose am lebendigen Stamm gegen eine nachgemachte. Aber weder im Taumel der Nächte noch in der Freude der Tage wollte er es Liebe nennen. So sehr hatte er sich beredet, daß diese gar nicht für ihn sei und er nicht für sie! Es fand sich leicht ein Unterschied, um diese Selbsttäuschung zu bestätigen. Er hege, so war sein Urteil, eine heftige Leidenschaft für sie und werde ewig ihr Freund sein. Was sie ihm gab und für ihn fühlte, nannte er Zärtlichkeit, Erinnerung, Hingabe und Hoffnung.
Indessen floß die Zeit und die Freude wuchs. Julius fand in Lucindens Armen seine Jugend wieder. Die üppige Ausbildung ihres schönen Wuchses war für die Wut seiner Liebe und seiner Sinne reizender, wie der frische Reiz der Brüste und der Spiegel eines jungfräuliches Leibes. Die hinreißende Kraft und Wärme ihrer Umschließung war mehr als mädchenhaft; sie hatte einen Anhauch von Begeisterung und Tiefe, den nur eine Mutter haben kann. Wenn er sie im Zauberschein einer milden Dämmerung hingegossen sah, konnte er nicht aufhören, die schwellenden Umrisse schmeichelnd zu berühren, und durch die zarte Hülle der ebnen Haut die warmen Ströme des feinsten Lebens zu fühlen. Sein Auge indessen berauschte sich an der Farbe die sich durch die Wirkung der Schatten vielfach zu verändern schien und doch immer eine und dieselbe blieb. Eine reine Mischung, wo nirgends Weiß oder Braun oder Rot allein abstach oder sich roh zeigte. Das alles war verschleiert und verschmolzen zu einem einzigen harmonischen Glanz von sanftem Leben. – Auch Julius war männlich schön, aber die Männlichkeit seiner Gestalt offenbarte sich nicht in der hervorgedrängten Kraft der Muskeln. Vielmehr waren die Umrisse sanft, die Glieder voll und rund, doch war nirgends ein Überfluß. In hellem Licht bildete die Oberfläche überall breite Massen und der glatte Körper schien dicht und fest wie Marmor, und in den Kämpfen der Liebe entwickelte sich mit einemmale der ganze Reichtum seiner kräftigen Bildung.
Sie erfreuten sich des jugendlichen Lebens, Monate vergingen wie Tage und mehr als zwei Jahre waren vorüber. Nun ward Julius erst allmählich inne, wie groß seine Ungeschicklichkeit sei und sein Mangel [55] an Verstand. Er hatte die Liebe und das Glück überall gesucht, wo sie nicht zu finden waren, und nun da er das Höchste besaß, hatte er nicht einmal gewußt oder gewagt, ihm den rechten Namen zu geben. Er erkannte nun wohl, daß die Liebe, die für die weibliche Seele ein unteilbares durchaus einfaches Gefühl ist, für den Mann nur ein Wechsel und eine Mischung von Leidenschaft, von Freundschaft und von Sinnlichkeit sein kann; und er sah mit frohem Erstaunen, daß er eben so unendlich geliebt werde wie er liebe.
Überhaupt schien es vorherbestimmt, daß jede Begebenheit seines Lebens ihn durch ein sonderbares Ende überraschen solle. Nichts zog ihn anfangs so sehr an, und hatte ihn so mächtig getroffen, als die Wahrnehmung, daß Lucinde von ähnlichem ja gleichem Sinn und Geist mit ihm selbst war, und nun mußte er von Tage zu Tage neue Verschiedenheiten entdecken. Zwar gründeten sich selbst diese nur auf eine tiefere Gleichheit, und je reicher ihr Wesen sich entwickelte, je vielseitiger und inniger ward ihre Verbindung. Er hatte es nicht geahndet, daß ihre Originalität so unerschöpflich war wie ihre Liebe. Ihr Aussehn sogar schien jugendlicher und blühender in seiner Gegenwart; und so blühte auch ihr Geist durch die Berührung des seinigen auf und bildete sich in neue Gestalten und in neue Welten. Er glaubte alles in ihr vereinigt zu besitzen, was er sonst einzeln geliebt hatte: die schöne Neuheit des Sinnes, die hinreißende Leidenschaftlichkeit, die bescheidne Tätigkeit und Bildsamkeit und den großen Charakter. Jedes neue Verhältnis, jede neue Ansicht war für sie ein neues Organ der Mitteilung und Harmonie. Wie der Sinn für einander, wuchs auch der Glauben an einander, und mit dem Glauben stieg der Mut und die Kraft.
Sie teilten ihre Neigung zur Kunst und Julius vollendete einiges. Seine Gemälde belebten sich, ein Strom von beseelendem Licht schien sich darüber zu ergießen und in frischer Farbe blühte das wahre Fleisch. Badende Mädchen, ein Jüngling der mit geheimer Lust sein Ebenbild im Wasser anschaut, oder eine holdselig lächelnde Mutter mit dem geliebten Kinde im Arm waren beinah die höchsten Gegenstände seines Pinsels. Die Formen selbst entsprachen vielleicht nicht immer den angenommenen Gesetzen einer künstlichen Schönheit. Was sie dem Auge empfahl, war eine gewisse stille Anmut, ein tiefer Ausdruck von ruhigem heitern Dasein und von Genuß dieses Daseins. Es schienen beseelte Pflanzen in der gottähnlichen Gestalt des Menschen. Eben diesen liebenswürdigen Charakter hatten auch seine Umarmungen, in deren Verschiedenheit er unerschöpflich war. [56] Die malte er am liebsten, weil der Reiz seines Pinsels sich hier am schönsten zeigen konnte. In ihnen schien wirklich der flüchtige und geheimnisvolle Augenblick des höchsten Lebens durch einen stillen Zauber überrascht und für die Ewigkeit angehalten. Je entfernter von bacchantischer Wut, je bescheidner und lieblicher die Behandlung war, je verführerischer war der Anblick, bei dem Jünglinge und Frauen ein süßes Feuer durchströmte.
Wie seine Kunst sich vollendete und ihm von selbst in ihr gelang, was er zuvor durch kein Streben und Arbeiten erringen konnte: so ward ihm auch sein Leben zum Kunstwerk, ohne daß er eigentlich wahrnahm, wie es geschah. Es ward Licht in seinem Innern, er sah und übersah alle Massen seines Lebens und den Gliederbau des Ganzen klar und richtig, weil er in der Mitte stand. Er fühlte, daß er diese Einheit nie verlieren könne, das Rätsel seines Daseins war gelöst, er hatte das Wort gefunden, und alles schien ihm dazu vorherbestimmt und von den frühsten Zeiten darauf angelegt, daß er es in der Liebe finden sollte, zu der er sich aus jugendlichem Unverstand ganz ungeschickt geglaubt hatte.
Leicht und melodisch flossen ihnen die Jahre vorüber, wie ein schöner Gesang, sie lebten ein gebildetes Leben, auch ihre Umgebung ward harmonisch und ihr einfaches Glück schien mehr ein seltnes Talent als eine sonderbare Gabe des Zufalls. Julius hatte auch sein äußeres Betragen verändert; er war geselliger, und obgleich er viele ganz verwarf, um sich mit wenigen desto inniger zu verbinden, so unterschied er doch nicht mehr so hart, wurde vielseitiger und lernte das Gewöhnliche veredeln. Er zog allmählich manche vorzügliche Menschen an sich, Lucinde verband und erhielt das Ganze und so entstand eine freie Gesellschaft, oder vielmehr eine große Familie, die sich durch ihre Bildung immer neu blieb. Auch vorzügliche Ausländer erhielten den Zutritt. Julius sprach seltner mit ihnen, aber Lucinde wußte sie gut zu unterhalten; und zwar so, daß ihre groteske Allgemeinheit und ausgebildete Gemeinheit zugleich die andern ergötzte, und weder ein Stillstand noch ein Mißlaut in der geistigen Musik erregt ward, deren Schönheit eben in der harmonischen Mannichfaltigkeit und Abwechselung bestand. Neben dem großen, ernsten Styl in der Kunst der Geselligkeit sollte auch jede nur reizende Manier und flüchtige Laune ihre Stelle darin finden.
Eine allgemeine Zärtlichkeit schien Julius zu beseelen, nicht ein nützendes oder mitleidendes Wohlwollen an der Menge, sondern eine anschauende Freude über die Schönheit des Menschen, der ewig [57] bleibt, während die einzelnen schwinden; und ein reger und offner Sinn für das Innerste in sich und in andern. Er war fast immer gleich gestimmt zum kindlichsten Scherz und zum heiligsten Ernst. Er liebte nicht mehr nur die Freundschaft in seinen Freunden, sondern sie selbst. Jede schöne Ahndung und Andeutung die in der Seele liegt, strebte er im Gespräch mit ähnlich Gesinnten ans Licht zu bringen und zu entwickeln. Da ward sein Geist in vielfachen Richtungen und Verhältnissen ergänzt und bereichert. Aber die volle Harmonie fand er auch von dieser Seite allein in Lucindens Seele, wo die Keime alles Herrlichen und alles Heiligen nur auf den Strahl seines Geistes warteten, um sich zur schönsten Religion zu entfalten.
Ich versetze mich gern in den Frühling unsrer Liebe; ich sehe alle die Veränderungen und Verwandlungen, ich lebe sie noch einmal, und ich möchte wenigstens einige von den leisen Umrissen des entfliehenden Lebens ergreifen und zu einem bleibenden Bilde gestalten, jetzt da es noch voller warmer Sommer in mir ist, ehe auch das vorüber und es auch dazu zu spät wird. Wir Sterblichen sind, so wie wir hier sind, nur die edelsten Gewächse dieser schönen Erde. Die Menschen vergessen das so leicht, höchlich mißbilligen sie die ewigen Gesetze der Welt und wollen die geliebte Oberfläche durchaus im Mittelpunkte wieder finden. Nicht also du und ich. Wir sind dankbar und zufrieden mit dem was die Götter wollen und was sie in der heiligen Schrift der schönen Natur so klar angedeutet haben. Das bescheidne Gemüt erkennt es, daß es auch seine wie aller Dinge natürliche Bestimmung sei, zu blühen, zu reifen und zu welken. Aber es weiß, daß eines doch in ihm unvergänglich sei. Dieses ist die ewige Sehnsucht nach der ewigen Jugend, die immer da ist und immer entflieht. Noch klaget die zärtliche Venus um den Tod des holden Adonis in jeder schönen Seele. Mit süßem Verlangen erwartet und sucht sie? den Jüngling, mit zarter Wehmut erinnert sie sich an die himmlischen Augen des Geliebten, an die sanften Züge und an die kindlichen Gespräche und Scherze, und lächelt dann eine Träne, hold errötend, auch sich nun unter den Blumen der bunten Erde zu erblicken.
Andeuten will ich dir wenigstens in göttlichen Sinnbildern, was ich nicht zu erzählen vermag. Denn wie ich auch die Vergangenheit überdenke, und in mein Ich zu dringen strebe, um die Erinnerung in klarer Gegenwart anzuschauen und dich anschauen zu lassen: es [58] bleibt immer etwas zurück, was sich nicht äußerlich darstellen läßt, weil es ganz innerlich ist. Der Geist des Menschen ist sein eigner Proteus, verwandelt sich und will nicht Rede stehn vor sich selbst, wenn er sich greifen möchte. In jener tiefsten Mitte des Lebens treibt die schaffende Willkür ihr Zauberspiel. Da sind die Anfänge und Enden, wohin alle Fäden im Gewebe der geistigen Bildung sich verlieren. Nur was allmählig fortrückt in der Zeit und sich ausbreitet im Raume, nur was geschieht ist Gegenstand der Geschichte. Das Geheimnis einer augenblicklichen Entstehung oder Verwandlung kann man nur erraten und durch Allegorie erraten lassen.
Es war nicht ohne Grund, daß der fantastische Knabe, der mir am meisten gefiel unter den vier unsterblichen Romanen, die ich im Traum sah, mit der Maske spielt. Auch in dem was reine Darstellung und Tatsache scheint, hat sich Allegorie eingeschlichen, und unter die schöne Wahrheit bedeutende Lügen gemischt. Aber nur als geistiger Hauch schwebt sie beseelend über die ganze Masse, wie der Witz, der unsichtbar mit seinem Werke spielt und nur leise lächelt.
Es gibt Dichtungen in der alten Religion, die selbst in ihr einzig schön, heilig und zart erscheinen. Die Poesie hat sie so fein und reich gebildet und umgebildet, daß ihre schöne Bedeutsamkeit unbestimmt geblieben ist, und immer neue Deutungen und Bildungen erlaubt. Unter diesen habe ich, um dir einiges von dem anzudeuten, was ich über die Metamorphosen des liebenden Gemüts ahnde, die gewählt, von denen ich glaubte, der Gott der Harmonie könnte sie, nachdem ihn die Liebe vom Himmel auf die Erde geführt und ihn zum Hirten gemacht, den Musen erzählt oder doch von ihnen angehört haben. Damals an den Ufern des Amphrysos hat er auch, wie ich glaube, die Idylle und die Elegie ersonnen.