Epistel an einen Freund

O Freund, du hast mir da fürwahr
Ein Evangelium verkündet:
In deinem Haus' ist hell und klar
Ein neues Lebenslicht entzündet,
Daß mit der holden Töchter Paar
Ein Knäbchen nun sich noch verbindet,
Und bald die ganze frohe Schaar
Mit zarten Armen dich umwindet;
Daß wenn dir manches flücht'ge Jahr
Bei'm Kuß der besten Gattin schwindet,
Ihr Beide dennoch immerdar
In ihnen eure Jugend findet.
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Es ist gewiß nicht wunderbar,
Da solche Lust dein Herz empfindet,
Daß, was du schreibst und sprichst sogar,
Sich, wie von selbst, in Versen ründet.
Gern säng' ich Jubellieder zwar,
Wenn ihr, o Musen, bei mir stündet.
Allein ich krau' umsonst mein Haar,
Der Roßquell ist mir zugespündet;
So flink ich sonst zur Dichtkunst war,
Die ich in Hühners Buch ergründet,
Scheint heute doch vom grauen Staar
Mein geistig Auge ganz erblindet:
Die Reime bieten sich nicht dar,
Erschöpft sind alle schon auf indet.
Wird meine Schande offenbar,
So lauf' ich vom Apoll Gefahr,
Daß er wie Marsyas mich schindet.

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TextGrid Repository (2012). Schlegel, August Wilhelm. Gedichte. Scherzhafte Gedichte. Epistel an einen Freund. Epistel an einen Freund. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-D272-7