Vorwurf

An Laura


Mädchen, halt – wohin mit mir, du Lose?
Bin ich noch der stolze Mann? der große?
Mädchen, war das schön?
Sieh! Der Riese schrumpft durch dich zum Zwerge,
Weggehaucht die aufgewälzten Berge
Zu des Ruhmes Sonnenhöhn.
[75]
Abgepflücket hat du meine Blume,
Hast verblasen all die Glanzphantome,
Narrenteidigst in des Helden Raub.
Meiner Plane stolze Pyramiden
Trippelst du mit leichten Zephyrtritten
Schäkernd in den Staub.
Zu der Gottheit flog ich Adlerpfade,
Lächelte Fortunens Gaukelrade,
Unbesorgt, wie ihre Kugel fiel.
Jenseits dem Cocytus wollt ich schweben,
Und empfange sklavisch Tod und Leben,
Leben, Tod von einem Augenspiel.
Siegern gleich, die wach von Donnerlanzen
In des Ruhmes Eisenfluren tanzen,
Losgerissen von der Phrynen Brust,
Wallet aus Aurorens Rosenbette
Gottes Sonne über Fürstenstädte,
Lacht die junge Welt in Lust!
Hüpft der Heldin noch dies Herz entgegen?
Trink ich, Adler, noch den Flammenregen
Ihres Auges, das vernichtend brennt?
In den Blicken, die vernichtend blinken,
Seh ich meine Laura Liebe winken,
Sehs, und weine wie ein Kind.
Meine Ruhe, gleich dem Sonnenbilde
In der Welle, wolkenlos und milde,
Mädchen, hast du hingemordt.
Schwindelnd schwank ich auf der gähen Höhe,
Laura? – wenn mich – wenn mich Laura flöhe?
Und hinunter strudelt mich das Wort.
Hell ertönt das Evoe der Zecher,
Freuden winken vom bekränzten Becher,
Scherze springen aus dem goldnen Wein.
[76]
Seit das Mädchen meinen Sinn beschworen,
Haben mich die Jünglinge verloren,
Freundlos irr ich und allein.
Lausch ich noch des Ruhmes Donnerglocken?
Reizt mich noch der Lorbeer in den Locken?
Deine Leir, Apollo Cynthius?
Nimmer, nimmer widerhallt mein Busen,
Traurig fliehen die beschämten Musen,
Flieht Apollo Cynthius?
Will ich gar zum Weibe noch erlahmen?
Hüpfen noch bei Vaterlandes Namen
Meine Pulse lebend aus der Gruft?
Will ich noch nach Varus' Adler ringen?
Wünsch ich noch in Römerblut zu springen,
Wenn mein Hermann ruft? –
Köstlich ists – der Schwindel starrer Augen,
Seiner Tempel Weihrauchduft zu saugen,
Stolzer, kühner schwillt die Brust. –
Kaum erbettelt itzt ein halbes Lächeln,
Was in Flammen jeden Sinn zu fächeln,
Zu empören jede Kraft gewußt. –
Daß mein Ruhm sich zum Orion schmiegte,
Hoch erhoben sich mein Name wiegte
In des Zeitstroms wogendem Gewühl!
Daß dereinst an meinem Monumente,
Stolzer türmend nach dem Firmamente,
Chronos' Sense splitternd niederfiel' –
Lächelst du? – Nein! nichts hab ich verloren!
Stern und Lorbeer neid ich nicht den Toren,
Leichen ihre Marmor nie –
Alles hat die Liebe mir errungen,
Über Menschen hätt ich mich geschwungen,
Itzo lieb ich sie!

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TextGrid Repository (2012). Schiller, Friedrich. Gedichte. Gedichte (1776-1788). Anthologie auf das Jahr 1782. Vorwurf. Vorwurf. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-CB91-5