[35] Phantasie an Laura

Meine Laura! Nenne mir den Wirbel,
Der an Körper Körper mächtig reißt,
Nenne, meine Laura, mir den Zauber,
Der zum Geist monarchisch zwingt den Geist.
Sieh! er lehrt die schwebenden Planeten
Ewgen Ringgangs um die Sonne fliehn
Und, gleich Kindern um die Mutter hüpfend,
Bunte Zirkel um die Fürstin ziehn;
Durstig trinkt den goldnen Strahlenregen
Jedes rollende Gestirn,
Trinkt aus ihrem Feuerkelch Erquickung,
Wie die Glieder Geister vom Gehirn.
Sonnenstäubchen paart mit Sonnenstäubchen
Sich in trauter Harmonie,
Sphären ineinander lenkt die Liebe,
Weltsysteme dauren nur durch sie.
Tilge sie vom Uhrwerk der Naturen –
Trümmernd auseinander springt das All,
In das Chaos donnern eure Welten,
Weint, Newtone, ihren Riesenfall!
Tilg die Göttin aus der Geister Orden,
Sie erstarren in der Körper Tod,
Ohne Liebe kehrt kein Frühling wieder,
Ohne Liebe preist kein Wesen Gott!
Und was ists, das, wenn mich Laura küsset,
Purpurflammen auf die Wangen geußt,
Meinem Herzen raschern Schwung gebietet,
Fiebrisch wild mein Blut von hinnen reißt?
Aus den Schranken schwellen alle Sennen,
Seine Ufer überwallt das Blut,
[36]
Körper will in Körper überstürzen,
Lodern Seelen in vereinter Glut;
Gleich allmächtig wie dort in der toten
Schöpfung ewgen Federtrieb
Herrscht im arachneischen Gewebe
Der empfindenden Natur die Lieb.
Siehe, Laura, Fröhlichkeit umarmet
Wilder Schmerzen Überschwung,
An der Hoffnung Liebesbrust erwarmet
Starrende Verzweifelung.
Schwesterliche Wollust mildert
Düstrer Schwermut Schauernacht,
Und entbunden von den goldnen Kindern
Strahlt das Auge Sonnenpracht.
Waltet nicht auch durch des Übels Reiche
Fürchterliche Sympathie?
Mit der Hölle buhlen unsre Laster,
Mit dem Himmel grollen sie.
Um die Sünde flechten Schlangenwirbel
Scham und Reu, das Eumenidenpaar,
Um der Größe Adlerflügel windet
Sich verrätrisch die Gefahr.
Mit dem Stolze pflegt der Sturz zu tändeln,
Um das Glück zu klammern sich der Neid,
Ihrem Bruder Tode zuzuspringen
Offnen Armes Schwester Lüsternheit.
Mit der Liebe Flügel eilt die Zukunft
In die Arme der Vergangenheit,
Lange sucht der fliehende Saturnus
Seine Braut – die Ewigkeit.
[37]
Einst – so hör ich das Orakel sprechen –
Einsten hascht Saturn die Braut,
Weltenbrand wird Hochzeitfackel werden,
Wenn mit Ewigkeit die Zeit sich traut.
Eine schönere Aurora rötet,
Laura, dann auch unsrer Liebe sich,
Die so lang als jener Brautnacht dauert,
Laura! Laura! freue dich!

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TextGrid Repository (2012). Schiller, Friedrich. Gedichte. Gedichte (1776-1788). Anthologie auf das Jahr 1782. Phantasie an Laura. Phantasie an Laura. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-C98E-1