[159] [161]Für Charlotte von Lengefeld
Ein blühend Kind, von Grazien und Scherzen
Umhüpft – so, Lotte, spielt um dich die Welt,
Doch so, wie sie sich malt in deinem Herzen,
In deiner Seele schönen Spiegel fällt,
So ist sie doch nicht. Die Eroberungen,
Die jeder deiner Blicke siegreich zählt,
Die deine sanfte Seele dir erzwungen,
Die Statuen, die – dein Gefühl beseelt,
Die Herzen, die dein eignes dir errungen,
Die Wunder, die du selbst getan,
Die Reize, die dein Dasein ihm gegeben,
Die rechnest du für Schätze diesem Leben,
Für Tugenden uns Erdenbürgern an.
Dem holden Zauber nie entweihter Jugend,
Der Engelgüte mächtgem Talisman,
Der Majestät der Unschuld und der Tugend,
Den will ich sehn – der diesen trotzen kann.
Froh taumelst du im süßen Überzählen
Der Glücklichen, die du gemacht, der Seelen,
Die du gewonnen hast, dahin.
Sei glücklich in dem lieblichen Betruge,
Nie stürze von des Traumes stolzem Fluge
Ein trauriges Erwachen dich herab.
Den Blumen gleich, die deine Beete schmücken,
So pflanze sie – nur den entfernten Blicken,
Betrachte sie! – doch pflücke sie nicht ab!
Geschaffen, nur die Augen zu vergnügen,
Welk werden sie zu deinen Füßen liegen.
Je näher dir – je näher ihrem Grab!
Weimar d. 3. April 1788.