2. Die drei Federn des Drachen.

Tief in einem Walde stand ein verwünschtes Schloß. Darin befanden sich drei verwünschte Prinzessinnen und ein Prinz. Mit diesen war zugleich die gesammte Dienerschaft verwünscht, und selbst die Thiere waren dem Zauber verfallen. Sie konnten nur von einem Jünglinge erlöst werden, der rein und tugendhaft war und noch nie ein Weib berührt hatte; bei wem das nicht der Fall war, dem konnte die Erlösung nicht gelingen und er muste dabei sein Leben verlieren. Schon hatten es viele versucht und waren dabei um ihr Leben gekommen. Da geschah es, daß ein »Knecht« sich in dem Walde verirrte und endlich ganz ermattet und vom Hunger gequält das Schloß fand. Er ging hinein. Die tiefste Ruhe herrschte darin und alles war wie ausgestorben. In dem ersten Zimmer, in welches er trat, war nichts zu sehen als ein Tisch, worauf etwas Brot, eine Flasche mit Wein und ein Glas stand. Da er hungerig und durstig war, so schenkte er sich ein Glas Wein ein und trank es aus; die Flasche aber war alsbald wieder so voll, wie sie vorher gewesen war, und das wiederholte sich, so oft er ein Glas füllte. Er ging dann in ein zweites Zimmer; hier war alles schon viel schöner, und ein Tisch stand da mit köstlichen Speisen besetzt. Er aß davon, aber so viel er auch essen mochte, so blieb der Speise doch so viel, wie Anfangs da gewesen war. Aus dem zweiten Zimmer gelangte er in ein drittes, aus dem dritten in ein viertes, aus dem vierten in ein fünftes, aus dem fünften in ein sechstes. Das eine Zimmer war immer noch schöner und herrlicher, als das andere. Aus dem sechsten Zimmer führte eine Treppe in ein unterirdisches Gemach, darin saßen drei Prinzessinnen in einem Halbkreise; [257] alle drei waren schön, aber die mittlere war die schönste. In einer Kammer daneben befand sich der Prinz. Der Knecht redete die Jungfrauen an, und fragte sie, was sie da machten. Das erste und zweite Mal erhielt er keine Antwort, als er aber zum dritten Male fragte, öffnete die mittlere den Mund und sagte, sie wären verwünscht, er aber könne sie erlösen. Zu dem Ende möge er zu dem gläsernen Berge gehen, darauf stehe ein Schloß, worin ein grimmiger Drache hause. Den Drachen werde er schlafend finden und eine Frau damit beschäftigt, ihn zu lausen. Drei Tage hinter einander müsse er zu dem Glasberge gehn und jedes Mal eine Feder des Drachen holen; er solle sich an einen heimlichen Ort stellen, die Frau werde ihm dann schon die Feder geben. In der Nacht würden dann auch noch Katzen kommen und ihn übel zurichten, doch würde er jedes Mal wieder geheilt werden, er möge also nur geduldig alles ertragen. Er ging zu dem Glasberge, und fand, wie die Jungfrau gesagt hatte, den Drachen schlafend. Er hatte seinen Kopf einer Frau auf den Schoß gelegt und diese war damit beschäftigt ihn zu lausen. Er fragte die Frau, ob er hier auf dem Glasberge sei? Sie bejahte es. Er sagte darauf, daß er gekommen sei drei Fräulein zu erlösen. Da hieß sie ihn unter das Bett kriechen, damit der Drache ihn nicht sähe, denn wenn dieser ihn erblickte, so würde er ihn zerreißen und auffressen. Als er das gethan hatte, riß sie dem schlafenden Drachen eine Feder aus und warf dieselbe unter das Bett. Davon erwachte der Drache, gerieth in große Wuth und brüllte schrecklich. Er fragte die Frau, wer da wäre, er rieche Menschenfleisch und das müsse er haben. Sie erwiederte, daß kein Mensch da wäre, und sprach ihn zufrieden. Als er nun wieder fest schlief, gab sie dem Knechte unter dem Bette einen Wink, worauf dieser alsbald hervorkam und sich schnell davon machte. Mit der Feder eilte er hin zu dem verwünschten Schlosse in eine Kammer, worin er allein schlafen muste. Am anderen Tage ging er wieder zum Glasberge und holte die zweite Feder, und so auch am dritten Tage. Aber das letzte Mal bekam ihn der Drache, als er davon eilte und schon halb den Berg wieder hinunter war, zu Gesicht, setzte ihm in großer Wuth nach, und spie Feuer nach ihm. Doch der Knecht erreichte glücklich den Fuß des Berges, wo der Drache ihm nichts mehr anhaben konnte. So oft er mit einer Feder des Drachen in das verwünschte [258] Schloß zurückgekehrt war und sich in seiner Kammer zum Schlafen niedergelegt hatte, erschienen Nachts zwischen elf und zwölf Uhr in derselben Katzen, in der ersten Nacht zwölf, in der zweiten vier und zwanzig, in der dritten sogar dreißig. Diese rissen ihn aus dem Bette, zerbissen und zerkratzten ihn auf das schrecklichste, und rissen selbst ganze Stücke von seinem Leibe. Er hielt aber alles geduldig aus. Sobald mit dem Glockenschlage zwölf die Katzen verschwunden waren, erschien schweigend eine alte Frau – es war das aber eine der drei Jungfrauen – winkte ihm sich auf einen Stuhl zu setzen, bestrich dann seine Wunden mit einer Salbe und fügte alles wieder zusammen, was die Katzen zerrissen hatten. Als er nun die dritte Feder zurückgebracht und den Besuch der Katzen überstanden hatte, ward er in die Kammer der drei Prinzessinnen gerufen. Die mittlere von ihnen sprach zu ihm, ehe sie völlig erlöst wären, sei noch eins nöthig, sie müsse noch ein Bad nehmen; er dürfe aber um des Himmels willen nicht neugierig sein und sie im Bade sehen; sonst sei das Werk der Erlösung nichtig. Sie begab sich nun in eine Kammer, um das Bad zu nehmen; er aber vermochte nicht seiner Neugierde zu widerstehn, begab sich an die Thür der Kammer, und sah durch das Schlüsselloch. Die Prinzessin bemerkte ihn sogleich, weinte und jammerte, und sagte: nun sei es noch schlimmer, als vorher; jetzt könne er sie nur noch erlösen, wenn er sechs Jahre lang täglich Mittags eine Stunde zu einem bestimmten Teiche gehe. Auf diesem würden drei Enten schwimmen, nach der mittleren derselben solle er schießen; er werde sie zwar schwerlich treffen, doch, wenn das sechste Jahr gekommen wäre, dann möge er sich zusammennehmen und ja treffen. So ging er nun fünf Jahre lang täglich zu dem Teiche, ohne zu treffen; als aber von dem sechsten Jahre ein Vierteljahr um war, da gelang ihm sein Schuß und er traf die mittlere der drei Enten. Sogleich waren alle drei verschwunden; als er aber zu dem verwünschten Schlosse zurückkehrte, kamen ihm auf halbem Wege die drei Jungfrauen schön gekleidet entgegen und führten ihn hinein. Hier fand er alles ganz verändert; die Diener waren alle wieder erwacht; in dem Hofe und in den Ställen waren die Hühner, Tauben und Gänse, die Hunde, Kühe und Pferde, kurz alles Vieh, wieder lebendig geworden. Nicht lange nachher hielt der Knecht mit der mittleren der Prinzessinnen Hochzeit; er ward König, sie [259] ward Königin und beide lebten noch lange glücklich und zufrieden mit einander.

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TextGrid Repository (2012). Schambach, Georg. Märchen und Sagen. Niedersächsische Sagen und Märchen. B. Märchen. 2. Die drei Federn des Drachen. 2. Die drei Federn des Drachen. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-C029-9