Die erste Schwalbe
Nun der Himmel wieder lichter
Und die letzte Flocke schwand,
Kehrst du, wie dem Griechendichter,
Kehrst du mir vom Morgenland?
Unter Palmen und Eypressen,
Schöne Sängerfreundin, ward
Nicht der Freund von dir vergessen,
Der im Norden dein geharrt?
Grüßend unsre Nacht, die kalte,
Hat dich jener Strand geschickt,
Wo noch ungetrübt das alte
Flammenauge niederblickt,
Und du singst uns von den Küsten,
Die das heil'ge Meer umschmiegt,
Das an seinen Mutterbrüsten
Unsern ersten Schlaf gewiegt;
Von dem Land, das, eh die Blindheit
Unsern Geist mit Nacht umgraut,
Mit dem Seherblick der Kindheit
Wir in Träumen oft geschaut;
[342]Wo wir, wenn die frische Quelle
Uns zu ihren Borden lud,
In des Erdenmorgens Helle
Mit den Hirten oft geruht.
Sing denn mit dem Ruf des Werde
Das erstorbne Leben wach;
Durch das große Herz der Erde
Laß es pulsen hundertfach,
Daß in Frühlingswonne klopfend
Es die Winterbande sprengt,
Und der erste Tau sich tropfend
An die erste Blüte hängt!
Ach! in seinen Schmerz versponnen
Schlief mein Herz den Winterschlaf,
Wo kein warmer Blick der Sonnen
Den verpuppten Träumer traf;
Alle meine muntern Geister,
Die sonst Lebenslust gesprüht,
Neigten starrend in beeister
Nacht die Häupter schlummermüd.
Doch bei deiner Stimme ersten
Klängen klopfte hoch mein Herz;
Wie aus Gräbern, wenn sie bersten,
Die Erstandnen himmelwärts,
Schwangen aus der Seele Tiefen
Wünsche, tief verhüllt vom Tod,
Hoffnungen, die lange schliefen,
Jubelnd sich ins Morgenrot.
Aus des Kummers Grabgespinste,
Ein befreiter Falter, brach
Meine Liebeslust und blinzte
In den goldnen Frühlingstag;
[343]Um sie flatterten und summten
Freuden aus der Gruft empor,
Wirbelte der lang verstummten
Lieder muntrer Lerchenchor.
Sei denn, da der alte Härmer,
Da der Gram des Winters wich,
Sei der erste Sang der Schwärmer
Dir geweiht – wie nenn' ich dich?
Rettungsbotin dem Gefangnen,
Oder gottgesandter Geist,
Der vom Grabe des Vergangnen
Auf die bess're Zukunft weist!