[279] Metella

Siehst du das Weib im Kleid der Trauer,
Das Tag für Tag seit Jahresdauer
Durch Rom dahinwankt hauptverhüllt,
Und seine Hügel all, die sieben,
Rastlos vom Schmerz umhergetrieben,
Mit lauter Weheklage füllt?
Schon frühe mußte sie den Gatten
In seiner Väter Gruft bestatten;
Die Kunde ward ihr dann gebracht,
Daß er, den sie geliebt vor allen,
Ihr Sohn, ihr Lentulus, gefallen
In Cannäs mörderischer Schlacht.
Und als ihr kam der Trauerbote,
Da, selber bleich wie eine Tote,
Rief sie am Herd die Götter an:
»Laßt mich, ihr Lenker der Geschicke,
Allein auf Erden nicht zurücke!
Erlöst mich von des Lebens Bann!«
Zwölf Monde sind seitdem geschwunden;
Sie hat den Tod zu allen Stunden
Als einz'gen Retter sich erfleht;
Sie trat durch jede Tempelpforte
Und stammelte dieselben Worte,
Doch unerhört blieb ihr Gebet.
Und, Asche auf das Haupt sich streuend,
Irrt sie, den Wehruf stets erneuend,
Vom Quirinal zum Palatin:
»Das einz'ge war er, was ich hatte;
Mehr noch, als da mir starb der Gatte,
Verwitwet bin ich nun durch ihn.
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Wen soll ich an die Brust nun pressen?
Auf wessen Lippen, ach, auf wessen
Drück' ich den warmen Mutterkuß?
Wer wird mich jetzt im Alter stützen,
Wer plaudernd mir zur Seite sitzen,
Seitdem dahin mein Lentulus?
Ach, hold und schön, mit achtzehn Jahren
Durch Schwerter blutiger Barbaren
Fiel er dem grimmen Mars zum Raub,
Und fern dem Sitz der hohen Ahnen
Umschweifen ruhlos nun die Manen
Des Jünglings windverwehten Staub.
Mich aber hält, daß von der Erde
Ich nicht hinweggenommen werde,
Der strengen Götter Machtgebot;
Nichts rettet mich vom Leid, dem herben;
In Jammer muß ich ewig sterben,
Und ewig flieht mich doch der Tod!«
So klagt sie laut; da plötzlich schreitet,
Vom Jubelruf des Volks begleitet,
Im Erzgewand mit hurt'gem Fuß
Ein junger Krieger durchs Gedränge;
»Sieh da!« – so ruft es aus der Menge –
»Metella, sieh! dein Lentulus!«
Und sprachlos, ohne sich zu regen,
Starrt sie dem Kommenden entgegen,
An ihren Busen sinkt der Sohn;
»O Mutter, Mutter! lang im Lager
Hielt mich gefangen der Karthager;
Den Göttern Dank, ich bin entflohn!«
Doch sie bleibt stumm; umklammert hält sie
Den Teuren, dann zu Boden fällt sie,
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Und durch die Menge raunt es sacht:
»Für immer hat sie ausgerungen!
Was nicht dem langen Gram gelungen,
Das hat die Freude schnell vollbracht.«

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TextGrid Repository (2012). Schack, Adolf Friedrich von. Gedichte. Gedichte. 3. Romanzen und Balladen. Metella. Metella. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-B6F7-C