Das verschlossene Thor

Hinwälzt sich wild durch Ktesiphon
Das Römerheer mit Brand und Morde.
Verwüstet hat die Räuberhorde
Des Ormuzd großen Tempel schon;
Durch Reihn gesunkener Pilaster
Nun dringt sie in die Halle vor,
Wo um das Feu'r des Zoroaster
Anbetend kniet ein Magierchor
Und Greife von Granit und Drachen
Ein ries'ges Thor von Erz bewachen.
[310]
In krausen Zügen wunderbar
Flammt Spruch auf Spruch an jenem Thore,
Und dumpf schallt zu der Römer Ohre
Das Lied der Magier vom Altar:
»Ihr Priester, schürt das heil'ge Feuer,
Uebt an der Pforte treu die Wacht!
Gebunden sind die Ungeheuer,
Die Schreckgeburt der alten Nacht,
So lang der düstre Schlund versiegelt;
Weh, würde je das Thor entriegelt!«
Durch der betroffnen Krieger Herz
Ziehn Schauer hin bei dem Gesange;
Der eine weicht zur Seite bange;
Scheu blickt der andre bodenwärts.
Der Feldherr aber: »Seid ihr Memmen,
Daß ihr vor Märchen zagen wollt?
Geschwind, die Eisen einzustemmen!
Die Riegel sprengt! Sie bergen Gold!
Das ist der Sinn der Zauberworte!«
Er ruft's und bricht sich Bahn zur Pforte.
Die Magier nahen pflichtgetreu,
Den Weg dem Räuber zu vertreten!
Bei Zoroaster, dem Propheten,
Verwegner, weich' von hinnen scheu!«
Doch jener hebt das Beil; als Tote
Hinsinken sie von seinem Stahl;
Das heil'ge Feuer schlägt, das rote,
Noch einmal auf mit hellem Strahl;
Der Altar sinkt in dumpfem Falle,
Und finster wird es in der Halle.
Die Klammern bricht der Feldherr los;
Es kracht das Thor; die Riegel springen;
[311]
Giftqualm und Schwefeldünste dringen
Gewitternd aus des Abgrunds Schoß;
Und alle taumeln häuptlings nieder –
Doch siehe, wo die Tiefe klafft,
Da regt sich's, halb wie Menschenglieder,
Halb wie Dämonen; grauenhaft,
Vom Sturm emporgewirbelt, steigen
Drei Weiber auf in wildem Reigen.
Die eine schwingt in rechter Hand
Die Geißel, die zu Raub und Morden
Aufpeitscht die wilden Völkerhorden,
In linker einen Feuerbrand;
Weithin durch die beeisten Oeden
Fliegt sie zur ew'gen Nacht am Pol,
Wo Gog und Magog sich befehden,
Und treibt südwärts ans Kapitol,
Mit Strömen Blutes alle Dämme
Durchbrechend, die Barbarenstämme.
Ihr folgen, blaß und abgezehrt,
Die Hungersnot als treuer Scherge,
Die Pest, die über Leichenberge
Frohlockend im Triumphzug fährt.
Schon ziehen auf die Fahrt der Schrecken
Die grausen drei, mit Todeskrampf
Die Erdenländer zu bedecken.
Weh, Rom! Das ist dein letzter Kampf!
Es geht die Welt aus ihrer Fuge,
Wo diese nahn im Würgerzuge.

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TextGrid Repository (2012). Schack, Adolf Friedrich von. Gedichte. Gedichte. 3. Romanzen und Balladen. Das verschlossene Thor. Das verschlossene Thor. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-B6D6-7