In der Nacht
Sanft hat der Tag die strahlenhellen
Sehmüden Augen zugethan;
Zur Ruhe sammelt seine Wellen
Der laute Lebensocean,
Und von dem Wechsel der Gestalten,
Der unten ewig wogt und kreist,
Schaut wieder zu der Nacht, der alten
Geliebten Freundin, auf dein Geist.
Still blickt sie mit vertieftem Sinnen,
Die Mutter, die vor allem war,
Auf dich herab, und Schauer rinnen
Durch deine Seele wunderbar;
[346]Dir ist, als ob die teuren Züge
Du sähest, die dich angelacht,
Als deine Kindheit in der Wiege
Aus ihrem ersten Schlaf erwacht.
Ein groß Geheimnis, ahnst du, trage
Die Göttliche in ihrem Schoß;
Du spähst danach in banger Frage –
Umsonst, sie schweigt und lächelt bloß;
Doch wie ihr Blick unwiderstehlich,
Dich bannend, auf dich niederschaut,
Fühlst du, wie über dich allmählich
Ein inniges Genügen taut.
Die Frage stirbt auf deinem Munde,
Und jeder Zweifel wird Gebet;
Du fühlst, wie aus dem Weltabgrunde
Ein Odem dir entgegenweht:
Nicht wähnst du ferner dich verstoßen,
Nicht heimatlos, und frei von Harm
Kehrst zu dem Tagewerk, dem großen,
Zurück du aus des Schlummers Arm.