[251] 6.
Oft wenn mein Blick im letzten Abendschein
Vom Turme des Comares niedergleitet,
Und unten durch die schlanken Säulenreihn
Von Hof zu Hof der Schatten weiter schreitet,
Dann füllt sich in dem Glanz des blassen Lichts
Der Myrtensaal mit dämmernden Gestalten;
Die Angel bebt am Thore des Gerichts,
Ein Rauschen hör' ich wie von Kaftanfalten;
Und Lautenklänge tönen sanft gedämpft,
Und alle sie, die Helden ew'ger Lieder,
Die hier geliebt, gelitten und gekämpft,
Durchwandern die Alhambrasäle wieder.
Am Haremfenster blinkt es silberweiß;
Im Winde wallen duftgewobne Schleier;
Beim Brunnen um den märchenkund'gen Greis
Reihn sich die Lauschenden zur Abendfeier.
Und in der Vega schallt Drommetenton;
Im Lager seh' ich Zelt an Zelt sich drängen,
Und rote Wachtfeu'r auf den Hügeln lohn
Und durch die Schluchten hin die Agas sprengen.
Doch wenn das Ave von dem Turm erklingt,
Geht leises Zittern durch die Säulengänge;
Gleich einem Lichtstrahl, den die Nacht verschlingt,
Entflieht der Schattenbilder bunte Menge.
Stumm wieder liegt die Vega, wie ein Grab;
Die Geier kreisen um die Schloßaltane,
Und neben mir vom Dach ins Thal hinab
Schwenkt still der Todesengel seine Fahne.