Erwin von Steinbach
»Dank dir, Ew'ger! Meine Sendung
Auf der Erde ward vollbracht;
Denn in herrlicher Vollendung
Strahlt das Werk, das ich erdacht,
Um den ungebornen Jahren
Künft'ger Zeit zu offenbaren,
Daß ich nicht umsonst gelebt.«
Erwin also vor dem Münster,
Der zum Abendhimmel finster
Seine Riesenmauern hebt.
Ueber den gewalt'gen Zinnen
Steigt der Mond ins Aetherblau;
Und noch lang in tiefem Sinnen
Steht der Meister vor dem Bau,
Während um ihn, stumm und stummer,
Schon die Welt in sanften Schlummer
[301]Ihre kleinen Sorgen wiegt
Und auf ihren Menschenzwergen
Von dem Turme, hoch gleich Bergen,
Der erhabne Schatten liegt.
Da, so wie im Jugendschwunge
Dichterlippen zum Gesang,
Hebt des Domes Glockenzunge
Sich zum ersten Feierklang;
Schallend öffnet am Portale
Sich das Thor der Kathedrale,
Und von innen dröhnt ein Ruf;
Wohl versteht der Greis die Mahnung,
Und er tritt mit ernster Ahnung
In die Welt, die er erschuf.
Festlich grüßen ihn die hehren
Hallen mit dem mächt'gen Chor,
Von den prangenden Altären
Wallt der Myrrhenrauch empor;
Mystisch aus der Fensterrose
Sieht er durch die grenzenlose
Wölbung einen Schimmer glühn,
Sieht ihn droben von den Knäufen
Der gewalt'gen Säulen träufen,
Hier in den Kapellen blühn.
Und ihm ist, zu allen Seiten
Rege sich der Bau um ihn,
Wo die eh'rnen, langgereihten
Bilder in den Nischen knien;
Seltsam flimmert's an den Wänden;
Die Apostel in den Blenden
Oeffnen ihr geweihtes Buch,
Und von Jungfraun, die zum Segen
[302]Ihre Lippen sanft bewegen,
Hört er rings den Atemzug.
Horch! und von den Höhn des Domes
Quillt herab der Orgelklang,
Wallt und flutet mächt'gen Stromes
Durch den Strebebogengang;
Und aus allen Schiffen brechen,
Wie das Meer in tausend Bächen
Ueber seine Dämme braust,
Echoreiche Katarakten,
Deren Fall an den gezackten
Pfeilern in die Tiefe saust.
Erwin kniet, ein stummer Beter,
Und hernieder durch das Dach
Strömt auf ihn ein Sonnenäther
Heller als der Erdentag;
Durch die hohen Säulenlauben
Schweben weiße Gottestauben
Und beschwingte Seraphim,
Und ein Rauschen heil'ger Palmen
Und Gesang von Himmelspsalmen
Wogt und flutet über ihm.
»Meister, Meister!« – tönt's im Chore –
»Tritt aus der, die du gebaut,
In die himmlische Empore,
Die du oft im Traum geschaut!
Durch die Reihn der lichtumwallten
Vierundzwanzig hehren Alten,
Wo die sieben Fackeln lohn,
Durch die Halle, jaspissäulig,
Und das Heilig, heilig, heilig,
Folg' uns nun zu Gottes Thron!«
[303]
Also rauscht es im Chorale
Durch die nächt'ge Wunderwelt;
Aber als mit erstem Strahle
In den Dom der Morgen fällt:
An dem Pfeiler da, nach oben
Betend noch den Blick erhoben,
Liegt der greise Meister tot,
Und der Tempel der Gesänge
Schickt die letzten Orgelklänge
Sterbend in das Morgenrot.