[153] Lydia
Noch ist dein Antlitz hell und mild
Und sanft sind deine Augen;
Du könntest zum Madonnenbild,
Mit himmlischem Genügen
In jungfräulichen Zügen,
Dem frömmsten Maler taugen.
Noch könnt' ein starkes, schlichtes Herz,
Nicht achtend deines Falles,
Mit stumm zurückgewies'nem Schmerz
Bekränzen, früh Verirrte,
Dein Haupt mit weißer Myrte –
Verzeiht doch Liebe Alles!
Noch könntest du so treu, so gut –
Wenn du mit reu'ger Thräne
In jenes Herzens milder Hut
Gebüßt die Schuld der Erden –
Zum reinsten Weibe werden,
Wie einstens Magdalene.
[154]
Das könntest du! – Doch büßen bleibt
Ja fremd der raschen Jugend;
Das Leben zum Genusse treibt –
Wer möcht' es ihr verargen,
Daß sie verlacht den kargen
Und matten Lohn der Tugend?
Wohlan denn – so genieße, Kind!
Laß deine jungen Sinne –
Wie Wölkchen oft vom Frühlingswind
Zu heimlichen Gewittern
Herangefächelt – zittern
Im heißen Strahl der Minne.
Doch wenn die Stunde kommen muß –
O dann beglücke Jenen,
Der längst nach deinem Feuerkuß,
Nach deines Gürtels Sinken
Und deiner Glieder Blinken
Gelechzt mit trunk'nem Sehnen.
Der längst erkannt, daß deinem Haupt,
Dem schwer zurückgebog'nen,
Der Unschuld erster Kranz geraubt –
Daß mit bewußtem Trachten
Schon diese Augen schmachten,
Die bläulich leicht umzog'nen.
[155]
Und was du hast an Gluth und Blut,
Das lasse glüh'n und wallen –
Und laß, umwogt von hoher Fluth,
Wenn sich die Lippen pressen
In seligem Vergessen
Den letzten Schleier fallen!
Das könntest du. – Doch matt und schwach
Schlägt in der Brust das Herz dir –
Und sorglos trägst du deine Schmach:
Denn jener Tag vor allen,
An welchem du gefallen,
Bracht' weder Lust noch Schmerz dir.
Nicht einmal zürnen kannst du, Weib,
Wie schön es dir auch stünde;
Du schmückst nur lächelnd deinen Leib,
So schwach im Widerstreben,
So treulos ohne Beben –
So kühl selbst bei der Sünde.
Ich aber, wie Pygmalion,
Der schönheitstrunk'ne, wilde,
Ich nahe mich zertrümmernd schon,
Weil ich mich müh' vergebens
Um einen Strahl des Lebens,
Dem stummen Götterbilde!