[207] Höchstes Ziel

Wonach auch der Mensch
Ringe und strebe:
Als höchstes Ziel sei stets ihm gewiesen
Erkenntniß des eigenen Selbst.
Denn so er nicht ermessen kann
Seines Wesens Inhalt,
Und wie weit er selber
Im Guten gehen wird und im Bösen:
Was soll die stets geübte Beurtheilung
Und Verurtheilung des Nächsten?
Und eh' er nicht ganz und voll erkennt,
Was nichtig an ihm und verwerflich,
So lang er nicht gewahrt die eigenen Schwächen:
So lang auch
Ist er ein Spielball
Thörichter Einbildung und verächtlicher Eitelkeit.
Mehr als je
Gilt heute noch des Evangeliums Wort
Vom Splitter und Balken,
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Und ringsum zeigt sich,
Wie tief in der Menschheit wurzelt
Gemeine Selbstverblendung.
Aus allen Umhüllungen tritt sie zu Tage:
Aus dem Hermelin,
Dem Philosophenmantel,
Dem Dichtertalar –
Aus des Senators Toga
Und dem schäbigen Wamms des Volkstribuns.
Daher auch noch immer
Der Mächtigen Dünkel,
Der neidvolle Verläumdungsruf der Schwachen,
Das Haßgezänk der Parteien,
Die hohlen Phrasen der Weltverbesserer –
Und in der Kunst
Das eitle Pack der Dilettanten und Kritikaster ...

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TextGrid Repository (2012). Saar, Ferdinand von. Gedichte. Gedichte. Drittes Buch. Rhapsodien. Höchstes Ziel. Höchstes Ziel. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-AE75-F