Ludwig Rubiner
Neuer Beginn
[173] Verbrauchte Epochen der Menschheit:
Das geozentrische Bewusstsein stellte das Einzelinteresse des Subjekts in die Mitte der Welt. Epoche des Egoismus; Individualismus; Trotz aus Isolation. Astrologie, oder: der Kosmos ist um des Ichs willen da.
Das heliozentrische Bewusstsein stellte das Aussermenschliche des Objekts in die Mitte der Welt. Epoche des Relativismus; Determinismus; Angst aus Isolation. Naturwissenschaft, oder: das Ich ist um des Kosmos willen da.
Anbruch der neuen Zeit:
Das humanozentrische Bewusstsein. Epoche des Brudergefühls; Gemeinschaftsidee; Simultanismus; Allgegenwarts-Sinn. Erdballgesinnung, oder: der Mensch ist um des Menschen willen da.
Zukunft des nächsten Weltalters:
[173]Der Mensch in der Mitte!
Erinnerung
Zu einer Zeit, da Böse und Gut sich noch nicht so deutlich schieden wie heute, erschien der grundlegende Teil dieses Buches in der »Aktion«, der Zeitschrift meines Freundes und Kameraden Franz Pfemfert. Das war kein Zufall. Und ich gedenke mit Sympathie der Tage, in denen eine Gemeinsamkeit des Ziels, die heute durch äussere Ereignisse alle Welt zu teilen geneigt ist, noch mit dem Gewissen erkämpft wurde und Bekenntnis unabhängiger Herzen war.
Zürich 1916
Ludwig Rubiner
Diese, zweite, Auflage des Werkes »Der Mensch inder Mitte«, – das 1916 zuerst veröffentlicht wurde, – erscheint jetzt, nach dem Tode des Verfassers. Ludwig Rubiner starb am 27. Februar 1920 zu Berlin, achtunddreissigjährig. Die Grippe überfiel ihn, als er dabei war, sein Buch »Der Mensch in der Mitte« für die Neuauflage umzuarbeiten: zu einer Zeit, da er selbst aus den Thesen der Forderung die Konsequenzen der Handlung gezogen hatte, wollte er seine Rufe zur Gemeinschaft noch unmittelbarer, noch unmissverständlicher, eindeutiger ertönen lassen. Doch die arbeit sollte nicht vollendet werden, und ich, seine Weggefährtin, übergebe sie der Öffentlichkeit in der Gestalt, wie ich sie aus seinen Händen empfangen habe.
Im Mai 1920
Frida Rubiner