[829] Personen.
- Frau Gerth
- Sophie, ihre Tochter kurz verheiratet mit
- Ernst Erben, Ingenieur
[829] Personen.
Immer wieder möcht ich durch das ganze Haus gehn. Liebes Kind, du hasts wirklich gut. Wenn ich denk, unsere Böden in den alten Häusern, da in der Spornergasse. Du weißt ja: wenn man herunterkommt, wie aus dem Kamin kommt man. Bei dir? Strudelteig könnt man auf den Dielen rollen, nicht ein Stäubchen ... Sie unterbricht sich plötzlich. Aber das hab ich dich fragen wollen, Sophie. Gefällt dir das da? Sie weist nach der Couchette. Ich kann nicht daran vorübergehn. Es steht mir überall im Weg. Was ich mich herumgestritten hab mit dem Tapezier. Er hat halt immer behauptet, sowas muß schief stehen. Nicht sehn kann ichs.
Gott, so schlimm ist das ja nicht. Gar so weit muß es ja auch nicht vorstehn, und wenn dann erst alles in Ordnung ist, kann mans ja noch überlegen, vorläufig laß ichs so ...
Denk dir nur, Kind, auch den Schreibtisch hat er so stellen wollen; so quer in die Stube herein. »Mann,« sag ich ihm, »sind Sie denn ...« Na, offenbar war er so ein bißchen Macht eine Handbewegung vor der Stirne. Einen Schreibtisch stellt man doch an die Wand.
Ja richtig; die dumme Ausrede hat er gehabt. [830] 's ist kein Licht so. Wozu denn auch? Man sitzt ja sowieso 's ganze Jahr keine zweimal beim Schreibtisch.
Ja tun Sie nur nicht so – bald hätt ich Fräulein gesagt – so 'ne Beleidigung. Aber man sieht dirs wirklich schon an, daß man zu dir ›gnädige Frau‹ sagen muß. Du bist ja ganz stolz und ordentlich groß geworden.
Versteht sich. Und drum sag ich ja auch: du wirst auch nicht oft bei dem Zeug da sitzen, seit du mit dem Herrn Ernst jede Weile – so – Macht die Mundbewegung des Küssens. reden kannst. Was? Früher da sind wohl die heimlichen Brieferl nur so hin und her. Da war der Schreibtisch wichtiger wie's Bett. Hm?
Noh jetzt ist ja der Kampf zu Ende. Jetzt habt ihrs ja durchgesetzt! Jetzt kann mans ja sagen. Ich habs ja lange gewußt und hab ja den Papa nicht mehr losgelassen.
Es werden ehrliche und achtbare [831] Leute sein – gewiß – wenn auch vielleicht nicht sehr gebildet. Das stört den Papa. Du weißt ja. Rasch abbrechend. Aber es ist doch umso schöner von Ernst, daß er sich so hinaufgearbeitet hat. Nicht? Immer war er Vorzugschüler, und jetzt ist er auch in der Fabrik der Fleißigste. Alle haben ihn gern. Er wird Karriere machen ... aber – erzählich dir von den Tugenden deines einzigen Ernst. Als ob du das nicht am Besten könntest!
Ja, ja – ich weiß. – Aber ich will doch lieber erst gehn, Kind. Wenn ich dieses Tugendregister zuende anhöre, so verhungern sie zu Hause: der Papa und die Agla. Das heißt die Agla denkt wohl nicht ans Essen. Aber der Papa muß pünktlich sein Abendbrot auf dem Tisch haben, und ich habe der Köchin noch nichts herausgegeben. – Belehrend. Und das mußt du dir auch so einteilen. Pünktlichkeit. Das ist die Hauptsache. Um ein Uhr wird gegessen: Punkt Eins muß die Suppe auf dem Tisch sein. Um acht Uhr wird genachtmahlt – und auch mit dem Frühstück ... Na, das hab ich dir ja Alles schon zehntausendmal gesagt ... Diese alte pedantische Mutter, wirst du dir denken. Aber – es muß so sein. Wo keine Ordnung ist, ist das Geld doppelt so rund als anderswo ...Macht Anstalten zu gehn.
Nein, wart noch. Ernst muß ja gleich da sein. Er versprach um fünf zu kommen, und Ernst ist Mit besonderer schelmischer Betonung. eben auch ›pünktlich‹.
Das will ich doch gleich mal sehen. Die paar [832] Minuten wart ich also. Sie setzt sich auf das Ende der Couchette, Sophie neben sie. Man weiß gar nicht, wie und wo man sitzen soll auf solch einem Ding. Umblick haltend. Aber trotzdem: schön ist es bei dir – so hell und heimlich. Und auch, daß ihr den kleinen Garten habt ... Das ist doch tausendmal besser wie eine Hochzeitsreise, nicht?
Weißt du – nach Venedig. Ja. Wie ich gehört hab, daß der Ernst jetzt keinen Urlaub bekommt, hat mirs eine Weile wirklich leid getan. Aber nur eine Weile. Da hab ich ja noch gedacht, wir werden in der Stadt wohnen müssen. Du hast uns ja so überrascht damit.
Du sollst nichts entbehren. Später sollt ihr ja hinunter, nach Italien. Ihr Schwärmer. Die Tauben auf dem Markus-Platz werden bis dahin nicht verhungert sein.
Oh jetzt bin ich ja so zufrieden hier. Es ist ja so schön, und man ist doch gleich im Eigenen. Ernst meint auch: wenn man sich erst so recht eingewohnt hat.
Du sollst hören, Mama. Gerade der letzte Schlag fünf. Und hier, ich habe die Ehre, dir meinen pünktlichen Gemahl vorzustellen.
Ja, mein lieber Schwiegersohn, ich habe viele gute Eigenschaften an dir entdeckt, auch, daß du nicht rauchst usw. Aber seit ich weiß, daß du pünktlich bist – ich sag dir: du kannst mich um den Finger wickeln.
Und Scherzhaft. was liegt auch an dem Beifall der Schwiegermutter. Die kommt ja ohnehin nur auf des Teufels Geheiß jeden Augenblick ins Haus ...
Ach was danken. Im Glück ist man undankbar und soll es sein. Ja, ja. Aber ich muß mich eigentlich wirklich entschuldigen, daß ich schon wieder da bin.
Nicht bei dir, bei deinem Herrn Gemahl. Und besser als alle Entschuldigung ist wohl, wenn ich mich jetzt zusammenpacke.
Du darfst uns nicht die Ruhe wegtragen, und du kränkst mich auch, wenn du gehst, eben, da ich eintrete.
Wie immer: gut, bis auf seine Launen und seine Gicht. Die macht ihm jetzt im Frühjahr wieder mehr zu schaffen, und er ist gleich ganz klein, wenn er Schmerzen hat. Zudem weiß er nicht was anfangen, seit er nicht mehr in die Kanzlei geht. Ich kann ihm auch nicht grade was Munteres erzählen, das ihn herausreißt und aufheitert, na und ... wir sind halt beide altes Eisen.
Darüber bin ich beruhigt. Wer so tätig ist, wie du, Schwiegermama, der kommt nicht zum Rosten. Und schließlich ist das die Hauptsache: daß man nicht rostet.
Ja, das mit dem Rosten wird vielleicht auch nicht mehr lange dauern. Mir mags gar nicht mehr behagen in meinen vier Mauern, seit ich bei euch alles gesehen hab. Und dann ist auch das mit der Agla.
Immer die alte Geschichte. Ich versteh das nicht: sie liegt über Büchern den ganzen Tag, oder sie läuft auf den Gassen herum. Weiß ich warum? Entweder sie spricht gar nichts, oder so, daß ich nichts begreife. Ich frag mich: ist das so gescheit was sie sagt, oder ist es ganz Unsinn.
Aber, das was du kennst, das war ja noch gar nichts. Jetzt solltest du sie hören. Seit du verheiratet bist. Ganz furchtbar ist das seither. Bis es dem Papa zuviel geworden ist, und der ist doch immer voller Nachsicht mit ihr. Und denk dir nur, das muß ich euch erzählen: Neulich sag ich ihm, er soll doch mal mit dem Kind reden, energisch, mein' ich. Wie ich nach zwei Stunden hineinkomme, sitzt euch der alte Mann da, mit leuchtenden Augen sitzt er euch da und horcht und die Agla spricht. So übertrieben wie immer. Ich glaube gar, sie hat ihm irgendeine Lehre gegeben. Ich weiß nicht, es ist etwas in dem Mädel – wenn ich mich und dich anschau – Sophie, – ich kanns gar nicht glauben, daß das meine Tochter ist. Du bist doch so vernünftig, so häuslich ...
Ach was, ich war doch auch selbstständig und ihr hättet mich schön angeschaut, wenn ichs so getrieben hätte.
Nehm ich sie mal vor und sag ihr: Agla, das [836] schickt sich nicht. Gut. Sie sperrt sich in ihr Zimmer ein, und bleibt drin, ganz folgsam, bis ich sie endlich bitten muß, wieder auszugehen. Wie sieht sie denn aus. Sie wird achtzehn jetzt und ist doch noch so zart. Sie muß ja an die Luft. – Wenn sie schon sonst nirgends hin will. Längst hätt ich sie einführen können. Die Verbindungen in der Gesellschaft hat man noch gehabt. Alle deine Tänzer hätten sich für deine Schwester interessiert. Das ist nun alles vorbei. Ja, das sind so Sorgen.
Sag ihr nur, ich laß ihr sagen, daß sie ein Kind ist, daß – – – sie weiß schon, was ich ihr sagen lasse.
Dabei sieht sie wirklich so elend jetzt aus, daß man kaum wagt, ihr was zu sagen. – Da ist halt auch noch die Stadtluft obendrein. Ich hab mir schon gedacht, jetzt, wo die Sonne Wunder tut, für zwei oder drei Tage, natürlich nur für zwei oder drei Tage irgendwo hinaus ....
Länger könnts ja nicht sein – aber vielleicht kann sie, damit sie nicht unter Fremden ist, im Garten bei euch zwei bis drei Tage? ...
Nein, bin ich aber auch – Mit mir ist doch nichts mehr anzufangen. Einem jungen Ehepaar Gäste anzutragen. Nein, und so verrückte Gäste. Und in den ersten Flitterwochen. – – Lachend. Schau mal, Mäuschen, ich glaube gar dein Mann wird für dich rot. Was? oder bist du's am Ende auch – richtig. Du auch! Nein, was ihr herzig seid. Wie zum Spielen. Beide werden sie rot. Sie liebkost Sophien. Nun, nun – diese ungeschickte Schwiegermutter. Denkt daß zwei, drei Tage ein kleiner Verlust wären, zwei, drei Tage – eine Ewigkeit. Nein, das kommt davon: ich werde wieder jung bei euch, Kinder. Und gründlich gleich so jung, daß ich ganz naiv bin. – Aber so werde doch nicht schon wieder rot. Gott, Gott. Jetzt schau ich aber, daß ich fortkomm. Weiß der Himmel, was ich sonst noch anstell. Bitt dich,Packt den Ernst zärtlich am Arm. sie ist ganz rot. Schau zu, wie du's abwaschest ... Schau zu ... Sie küßt Sophien rasch, zwinkert Ernst zu und geht zur Tür. Zu Ernst, der sie begleiten will. Geh nur, ich find schon. – Wirst du zum Frauchen! Lacht. Ab.
Richtig, davon haben wir noch gar nie gesprochen. Küßt sie auf die Stirn. War mein kleines Frauchen auch fleißig?
Und wie. Es ist auch eine Freude mit allen diesen Dingen zu schaffen. Du, ich muß dir auch mal die Küche zeigen. Alles ist neu und blitzblank. Zu ihm, der eine Bewegung macht. Nein, noch nicht; Zu dieser festlichen Gelegenheit muß erst Alles ganz fertig sein. Soweit bin ich noch nicht. Die Küche darfst du nicht sehen, solange sie nicht ebenso glänzend ist, wie deine Schreibstube staubig ist. Sag mal, muß denn das so sein?
Du vergißt, Kind, daß in unserer Kanzlei nicht so liebe Hände, wie die deinen, sondern irgend ein paar faule Diener aufräumen, welche obendrein nichts anrühren dürfen auf den Tischen.
So, die dürfen nichts anrühren. Hm. Also so geheime Dinge treibt ihr dort. Weißt du, wenn ich dir nicht zu dumm bin, so nimm mich mal mit in[839] deine graue Kanzlei und sag mir Sie faßt ihn beim Arm. das muß so liegen und das so und das, was du nicht sehen kannst vor lauter Staub, so ...
Nein ganz im Ernst, dann räum ich dir auf. Es ist nicht nur so. Du mußt ja auch krank werden, wenn du sowas einatmest Tag für Tag. Du siehst mir ja auch schon ganz gelb aus!
Hmmm! Auf den kannst du wirklich ein bißchen eifersüchtig sein. Das schadet dir auch sicher nicht. Wenn der Hoch würden so ungefähr um vierzig Jahre jünger war, und wenn er nicht Hochwürden war und wenn du nicht auf der Welt wärst, – hätt ich ihn gewiß geheiratet. Na – da hat doch nicht viel gefehlt?
Nein. – Eine Kleinigkeit, die ja vielleicht auch noch auszubessern geht. Deswegen hab ich ihm gesagt, er möchte nur recht bald kommen. Ich wollt ihn gleich mitbringen.
Das ist lieb. Mama wird wohl gleichzeitig mit ihm zuhause ankommen. Ja ich vergeß ganz, willst du Tee – Ernst?
Du Kindskopf. Was du auch Alles hörst. Wie kann man seltsam ›nein‹ sagen. Man sagt eben ›ja‹ oder ›nein‹. – Nun ich hab mir in Anbetracht verschiedener Umstände, die ich dir Er zieht sie auf den Schooß. gern näher erklären will, erlaubt, das letztere zu wählen. Du hast doch genau dasselbe gesagt?
Arg ist es vielleicht nicht. Ich kanns nur nicht verstehen. Sie steht von seinem Schooß auf. Du wirst ja verstehen, was es ist. Sie steht sinnend vor ihm.
Kämpft mit einem Entschluß und reicht Sophieen dann einen Brief. Lies das da übrigens. Das wird das beste sein.
Die eigene Schwester. Plötzlich in jähem Mißtrauen. Und bist du nie, nie hingegangen, auch nicht einmal?
Ich versprech es dir. Und nun hör zu. Wir wollen jetzt ruhig darüber reden. Setz dich. Sie sitzen nebeneinander auf der Couchette.
Sehr lieb, Sophie. Nun gieb mal acht. Alle diese wahnsinnigen Briefe, welche deine Schwester mir geschickt hat, habe ich verbrannt, die meisten ohne sie zu lesen. Das war unrecht. Wir hätten sie zusammen lesen sollen und irgend etwas dagegen tun – zusammen.
So wäre vielleicht längst schon Alles in Ordnung. Eine Frau findet da eher das Richtige. Ich versteh solche Sachen nicht. Mir graut vor solchen Überspanntheiten. [843] Solche Dinge sind nicht wert, daß man drüber nachdenkt, und doch stören sie einen immer wieder in der Arbeit und in allem Möglichen. Deine Schwester ist krank. Das sind ja alles Worte, die sie gar nicht versteht. Phantasieen, die gewiß mich selbst gar nichts angehen, sie kennt mich ja kaum, sondern irgend einen Traumhelden. Wenn ich mal mit ihr sprechen könnte, wäre sie wohl am schnellsten enttäuscht. –
Nein, das geht indessen nicht. Sie steckt zu tief drin. Und drum wollen wirs so machen. Wir wollen dagegen ankämpfen wie zwei gute Kameraden. Das heißt: Wir wollen ganz aufrichtig sein gegeneinander. Uns Alles ohne Rückhalt erzählen, was diese Sache betrifft. Willst du?
Nein, da kannst du ruhig sein, Sophie. So schnell geht man nicht ins Wasser. Das schreibt sich ja sehr schön und paßt ja auch so gut als Schlußkapitel in den Roman. Aber tun – nicht mal sagen –
Gott, ich hab dirs ja immer sagen wollen. Aber es war so furchtbar. Verzeih mirs. Ich – – Sie bricht in heftiges Weinen, aus.
Ja. Faßt sich. In der Nacht vor der Hochzeit. Ich war schon im Bett. Da ist sie zu mir gekommen. Die Stimme stockt ihr vor Erregung.
Sie ist zu mir gekommen und hat gesagt: »... Du ... du darfst ihn nicht heiraten ... ich hab ihn lieb er gehört mir ...«
Erst hab ich gelacht; ich hab ja doch gewußt ... Aber die Agla war so zum Fürchten. Ganz groß [845] waren ihre Augen im Finstern, ganz wild. Mir ist schrecklich bang geworden. »Er muß mir gehören« hat sie gesagt.
Ich? Ich weiß nicht mehr. Daß ichs der Mutter verraten würde, – daß wir uns versprochen haben, daß du mich gern hast ... daß du mich sehr gern hast – lieb hast ... und da – Ernst streicht ihr, vor ihr stehend, leise das Haar. Da ist sie fortgegangen. Und bei der Tür hat sie mit ganz anderer Stimme – ganz fremd hat sie gesagt: »Dann geh ich – dann geh ich ...« Sie klammert sich bang an Ernst. Ich hörs noch. – Sie hat nicht mehr gesagt. Aber ich hab gefühlt, sie tuts – sie tuts. Sie geht sterben. Du, das war eine Nacht. Ich hab den Gedanken nicht los werden können: Dir ist was geschehn. Ich war am liebsten zu dir. Ich hab gebetet bis früh. Ich hab so viel gebetet. Und mir ist doch nicht leichter worden. Erst wie ich dich dann früh gesehn hab – froh und gesund .... Sie umarmt ihn leidenschaftlich.
Alles ... Und jetzt ist es von mir. Es war immer noch auf mir gelegen. Jetzt will ich wieder froh sein, wie damals früh. Sie umarmt ihn wieder.
Gönn dir doch noch eine Weile. Schau wie schön das draußen ist. Und wenn man jetzt so hinaussieht, meint man da nicht, unser Garten reicht weit, weit bis an die Türme.
Ich lerns jetzt. Zu Hause war nicht recht die Ruhe dazu – aber jetzt. Und dann: ich war auch noch nicht reif genug.
Ja, man muß dazu reif sein, wenns nämlich wirklich eine Kunst sein soll. Man muß erst Jemanden sehr gern haben, so wie ich dich.
Ja siehst du, das kommt schon davon, daß ich das Schwärmen lerne. Jetzt möcht ich dich so mit langen, goldenen Locken. Lacht ausgelassen. Aber, Ernst, einmal hast du doch auch Gedichte gemacht. Nicht wahr? Nun – du darfst mich nicht so grimmig ansehen. Ich meine vor langer, langer Zeit. So mit siebzehn? –
Mit siebzehn? Ich will dir ganz genau sagen, Kind, was ich mit siebzehn getan hab. Wart mal: Da war ich auf dem Gymnasium und außerdem habe ich faulen Kindern Privatstunden gegeben und nachts – da werd ich wohl um paar Groschen irgendwas abgeschrieben haben, so lange Licht und Augen aushielten. Und wenn dann noch ein Stück Nacht übrig war, hab ich wahrscheinlich doch am liebsten geschlafen – statt Gedichte zu machen. Sophie schweigt verlegen. Ja zum Romantischsein hat mir immer die Zeit gefehlt. Es ist ganz wie mit den langen Haaren. Wer zeitig bei schlechtem Licht aufstehen muß, bleibt auch nicht lang vor dem Spiegel stehn. – Erst du hast mich ja ein wenig eitel gemacht, Kind ... – Sophie steht immer noch in Gedanken. Was denkst du denn?
Ich muß daran denken, daß du in den Nächten abgeschrieben hast. – Aber nicht wahr – du hast doch nie – – Hunger hast du doch nie gelitten?
Nun, ich habs ja ohne Schaden überstanden. – Aber du siehst jetzt ein, meine Zeit war knapp. Wenn ichs so gemacht hatte, wie die meisten, wo war ich jetzt. Für mich hats geheißen, gradaus nicht rechts und nicht links schaun – immerzu. Drum hab ich mich auch so vor allen Frauenzimmern gefürchtet und auch vor dir.
Du warst die Erste, an die ich hab denken müssen. Ja, du Kindskopf, du hast mich furchtbar gestört. Für dich hab ich eben Zeit finden müssen. Aber zum Schwärmen bleibt mir auch jetzt keine übrig. Ich seh ganz deutlich, wo unser Garten zu Ende ist.
Dann reißt sie den Umschlag heftig auf und überfliegt den Brief, im Kreise der Lampe neben Ernst stehend, der sehr vertieft scheint. Sie liest ihn dann noch einmal und langsam ein drittes Mal, schiebt ihn zögernd in den Umschlag und legt die Hand auf Ernstens Schulter. Ich glaube, wir müssen nicht mehr kämpfen.
Es war recht von dir, Ernst, daß du hast den Doktor kommen lassen. So weiß man wenigstens, woran man ist. Merkwürdig. Die Sophie war immer so gesund, ich hätt nicht gedacht, daß diese Zeit sie so arg hernehmen wird. Aber gewiß: wenn sie das überstanden hat, wird sie erst recht aufblühn. Ernst trommelt an die Scheiben. Du mußt wohl bald in die Kanzlei?
Es ist ein rechtes Malheur, daß du gerade jetzt so außergewöhnlich viel zu tun hast. Und nun schon durch Wochen. Wird das noch lange dauern?
Schau, Ernst, ist es nicht möglich, daß du dir ein bißchen mehr Freiheit schaffst – jetzt – du hast ja ohnehin keinen Urlaub genommen?
Ich fühle mich ja wirklich ganz gesund Laut und gequält. und ich muß arbeiten, arbeiten. – Aufblickend. Wirklich, Mama, ich bin jaganz wohl.
Es ist nicht allein deshalb. Ernst sieht sie fragend an. Das macht nämlich auch, verzeih mir, ich bin immer ganz offen, – daß die Sophie gar so elend ist. Sie ist soviel allein. Ernst zuckt die Achseln. Sie braucht dich doppelt in dieser Zeit. Da will dein Frauchen gehegt und gehätschelt sein. Hat ja Schmerzen um dich. Und ist den ganzen Tag allein und kommt auf allerlei Gedanken.
Ja, sie beobachtet sich und grübelt zu viel. Sie sinnt auf das und dies und warum und wozu. Und zu dem kommt immer die Sorge um dich, ob alles im Hause ist, wie du es brauchst, und ob dir nichts abgeht. Sie möchte gern nach allem sehen und kann es doch nicht und weiß, daß kein Verlaß ist auf die Dienstleute. Das quält sie. Und wenn du dich so wenig um sie bekümmerst, muß sie wirklich glauben, du nimmst ihr übel, daß sie nicht hinter allem her ist. Sie kann doch nicht.
Sie faßt es so auf und grämt sich. – Schau, der Winter ist vor der Tür. – Wenn sie so elend in die kalten Tage hineinkommt – – Pause.
Es ist Winter, ja Fährt sich über die Stirne, [853] müde, wie unwillkürlich. und sie ist im Frühling gestorben, – mitten im Frühling ... Rasch. oh ich muß arbeiten – viel arbeiten.
Der Vater? Er ist noch ganz gebrochen. – Das hab ich dich auch bitten wollen, – wenn du mal zu uns kommst, sprich nicht von Agla mit ihm; es greift ihn zu sehr an. Und denk selbst nicht daran. Ich hab gehofft, du hast es längst vergessen.Pause.
Vergessen. Was hab ich denn zu vergessen? Ich hab ja kaum eine Erinnerung an sie. Ich hab sie ja kaum gekannt. Ich weiß ja kaum, wie sie ausgesehn hat. Ich rate ja nur: war sie blond? ja. Ungefähr. War sie klein, war sie ....? Ich rate ja nur. Ich weiß ja nichts. Ich weiß nur, daß sie für mich gestorben ist. Er bricht in Tränen aus.
Noch eine Weile hör mich, Ernst. Du bist doch ein so nüchterner und vernünftiger Mensch, du darfst dich doch nicht hinreißen lassen von solchen Dingen.
Ja. Ich hab mich immer so sicher gefühlt davor, [854] so drüber hinaus ... Aber gerade deshalb. Siehst du, Mama. Ich habe immer Alles verstanden im Leben. Es hat für mich keine Wunder gegeben, nicht einmal Überraschungen. Alles war so klar. Alles war: Arbeit. Sogar meine Liebe, Sophie. Ich hab mir sie still und sicher erworben Schritt für Schritt. Und da auf einmal kommt das Eine, das ich nicht verstehe Laut. es giebt etwas, das ich nicht verstehe. Darüber komm ich nicht hinaus. Ich glaube mir nichts mehr. Ich kann mir ja nichts mehr glauben. Ich bin ja widerlegt. Ich kann von vorn anfangen.
Also dir ist es nichts Besonderes. Du meinst, das kommt so alle Tage vor. Man spricht nicht weiter darüber. Du hörst zufällig: der und der ist für dich gestorben. Du hast ihn kaum gekannt. Aber du fragst nicht danach. Was war er denn eigentlich? Wie sah dieses Leben aus, das er um deinetwillen zerstört hat; was war drinnen? Du fragst nicht. Es paßt dir so ganz in deine Erfahrungen. Es hält dir einer sein Leben hin, wie ein weißes Blatt, und bittet: schreib deinen Namen drauf. Wenn du's nicht magst – zerreißt er das weiße Blatt natürlich – vor deinen Augen – mitten durch. Das ist ja so einfach. Oh. Schlägt mit einem Seufzer die Hände vors Gesicht.
Sst! – Ernst, ich bitte dich. Du erschreckst mich. Näher herzutretend. Haben wir nicht früher oft in aller Ruhe darüber gesprochen? Es war doch alles gut. Du bist wirklich überreizt jetzt. Nimm dich doch zusammen. Du kommst darüber weg.
[855]Ja, wenn ich überm Pult bin. Oder wenn ich in der Fabrik irgendwo mit angreife, wenn ich an der Maschine stehe, und sehe, wie glatt und hart und sicher sich alles dreht. Da ist es fort. Da denk ich, so ist das Leben. Da gehör ich wieder mir – aber ....
Und wenn du etwas auf eine alte Frau giebst, so will ich dir das beste Heilmittel sagen. Bleib mehr zu Hause. Setz dich zu Sophie. Lies ihr etwas vor, erzähl ihr etwas.
Glaub mir. Sie hat dich so lieb. Sie wird dirs danken. Sie ahnt ja nichts von dem, was dich quält und darfs nicht ahnen. Aber gerade deshalb kann sie dirs so leicht fortnehmen von der Seele. Denkst du denn nie daran, daß sie dir ein Leben unterm Herzen trägt, daß das eine heilige Zeit ist ...
Ich muß jetzt fort. Zögernd. Aber – vielleicht mach ich mich ein wenig frei und bin in einer Stunde wieder da ....
Gleich. Wird die sich freuen. Glücklich. Mein lieber starker Junge. Unsereins ist doch auch über manches hinausgekommen und ist doch lang nicht aus so gesundem Holz.
[856]Warum nicht gar. Wirst du das lassen, du unvernünftiges .... Wirst du schauen, daß du auf dein schiefes Sofa kommst! Eigentlich hättest du gar nicht aufstehen sollen ....
Ganz wie sichs gehört gehts dem kleinen Mütterchen – nur unvorsichtig ist sie, und steigt zuviel im Haus herum und faßt zuviel an, und drum sollte sie am sichersten im Bett bleiben.
[857]Das ist ja auch nicht notwendig. Ich weiß ja, du magst viel lieber dein verrücktes Canapee. Wart, ich hol gleich ein Kissen und eine warme Decke herunter.
Nichts. Da ziert man sich nicht. Mein Frauchen setzt sich jetzt hier her und schaut sich die Zeitung an – Drückt sie in einen der Fauteuils vorn und legt eine Zeitung auf den runden Tisch. und wartet bis ich wiederkomme und ihr das Lager bereite; und dann stellen wir einen bequemen Stuhl hart an das schiefe Canapee – aber das sag ich erst bis ich komme, – für wen.
Erstaunt. Was – spielt das Frauchen Verstecken? Sie wirft [858] Kissen und Decke auf den Stuhl. Ich will sie schon finden, ich ... Bemerkt die Tochter im Fenster; diese kommt mit mattem Lächeln nach vorn.
Was das aber schon wieder ist; so nah beim Fenster! Wo die kalte Luft hereinkommt. So ein Leichtsinn.
Du bist ja jetzt wieder eine ganze Weile auf den Beinen gewesen, hast einen großen Spaziergang gemacht bis ans Fenster, und warst leichtsinnig wie, immer. Es ist Zeit, daß du dich wieder ausruhst.
Nein, danke. Das interessiert mich nicht. Es ist ja so weit von mir, alles das. Erzähl mir lieber ....
Also – zuerst das von früher. Rückt einen Fauteuil herbei. Siehst du, da stell ich jetzt einen Stuhl ganz nah zu dir her. Und vorläufig setz ich mich drauf. Aber er ist nicht für mich. Vielleicht schon in einer halben Stunde sitzt wer anderer drin – rat mal wer?
Nein, Kind, ich muß ja nach Hause. Heute bin ich ohnehin ungewöhnlich lang ausgeblieben und der, welcher kommt, ist dir auch viel lieber.
Er hat sie begraben in geweihter Erde und hat ihr den Segen gegeben. Und er hat doch gewußt, daß sie in Sünden gestorben ist und mit Willen ....
Warum lügt ihr denn alle? Ihr wißt es doch. Die Agla war so klar wie ich und wie du, als sie ins Wasser ist ... und der Hochwürden hats auch ganz gut gewußt. Nein – ich kann, ich will ihn nicht sehen. Bitte!
Ja – – guten Morgen, Mama, – guten Morgen, Sophie. Küßt ihr Hand und Stirne. Es giebt heute einmal weniger zu tun ... und da darf ich doch wohl ...? Stockt verlegen.
So mein Kind. Nun schön stille daliegen! Brav sein! Und du Zu Ernst. sei streng mit ihr. Sie reicht Ernst die Hand und sieht ihn fest an; sie tauschen einen Blick des Verstehens – Ernst will sie zur Türe geleiten.
Ja, sei doch so gut und laß mal oben nachsehen. [861] Es muß irgendwo ein Fensterladen los sein. Es schlägt immer so gegen das Haus. Das ängstigt mich.
Übrigens wir werden tüchtig frieren hier – im Winter. Wir sind doch halb und halb auf dem Lande, – ganz frei von allen Seiten ... Wenn man das nicht gewohnt ist ...
Im Frühjahr wird es hier draußen herrlich sein. Wenn man einen kleinen Garten hat, kommt man dem Frühling näher, man ist – – gleichsam verwandt mit ihm ...
Ja und diese kurze freie Zeit sollst du nicht hier versitzen. Nicht – hier bei mir. In der dumpfigen Krankenluft.
Wirklich. Wozu? – Wenn du nun auch noch krank wirst. Denk nur. Geh spazieren, oder ins Kaffeehaus. Du wirst Bekannte treffen, wirst dich amüsieren. Ein gesunder Mensch gehört zu Gesunden. Das ist keine Erholung – das.
Ich sage nur die Wahrheit; es hat ja keinen Sinn. Ich fürchte mich nicht, ich bin kein Kind. Ich kann allein bleiben.
Geh. In deiner Kanzlei kannst du ja denken an sie, den ganzen Tag. Aber mich verschon doch. Mich verschone. In Verzweiflung. Siehst du denn nicht, daß du mich schändest, wenn du mit diesen Gedanken hereinkommst [863] in mein Zimmer, daß du mich erniedrigst, daß du mich elend machst? Sie bricht in Tränen aus.
Dann streckt sie die Hand aus. Schau. Siehst du sie? Da. Sie sieht gar nicht so klein aus in dem grünen Kleide, was, gar nicht so wie ein Kind. Und ihre schwarzen Augen, wie die glänzen. Siehst du? Warum lächelt sie so? Du mußt es ja wissen, warum sie so lächelt? Lächelt sie immer so? Und das Haar hat sie gelöst. Sie hat so schönes, schweres, schwarzes Haar. Und so blaß ist sie und doch sind ihre Lippen ganz rot. Ganz blutrot. Sie kommt zu dir. Ganz leise. Sie ist doch gar nicht mehr wie ein Kind, – – Ihre Stimme ist ruhiger, sie schöpft Atem und fragt müde. Siehst du sie?
Ja. Sophie sieht erstaunt und entsetzt sein verzücktes Gesicht und macht ein paar abwehrende Bewegungen mit den Händen, ehe sie in tiefem Schmerz zusammen sinkt. Ernst starrt noch immer nach dem Phantom. Seine Züge werden dunkler und dunkler.