48. Theophania an Junia Marcella.
Nicäa, im September 302.
Mit welchen Empfindungen, geliebte Freundin! wirst du dieses Blatt in die Hand nehmen, das dir Nachricht von dem Leben, von dem Schicksale eines Wesens gibt, dessen Tod deine Freundschaft seit acht Monaten als gewiß beweint hat? Ja, ich lebe noch! Es hat der Vorsicht gefallen, mein Daseyn auf eine unverhoffte, wunderbare Weise zu erhalten; aber ich würde mich dieser wunderbaren Fügung durch eine Falschheit unwürdig machen, wenn ich sagen wollte, daß ich sie für ein Glück erkenne, und jetzt in dieser Lage, in der ich mich befinde, mein verlängertes Leben für ein wünschenswerthes Gut halte. Ich kann mir die tausenderlei Empfindungen und Fragen vorstellen, die sich aus deinem liebevollen Herzen nach meinen Schicksalen, meiner Erhaltung, meinem jetzigen Zustande hervordrängen; aber da ich sie nicht alle zugleich beantworten kann, so genüge dir indeß zu wissen, daß ich gesund und ruhig bin, daß ich zu Nicäa im Schooße einer sehr rechtschaffenen Familie bei Heliodors Bruder, dem achtungswürdigen Lysias, lebe, und – laß mich nun langsam und ordentlich die sonderbaren Zufälle erzählen, die mein Leben erhielten, und bis jetzt fristeten.
In jener Schreckensnacht, als plötzlich ein gräßlicher verwirrter Lärmen die Bewohner unserer Villa aus dem Schlafe aufschreckte, und Demetrius durch kein Flehen von seinem Vorhaben, sich den Barbaren zu widersetzen, [52] abzubringen, und zur Flucht zu bereden war, sah ich mich, nachdem er alle waffenfähigen Männer mit sich genommen hatte, mit ein paar alten Sclaven und meinen Weibern ganz allein. Mir war diese Lage nicht unerwartet, ich hatte sie vorher sehen können, und war darauf vorbereitet. Ich kann nicht sagen, daß ich sehr erschrocken oder verwirrt gewesen wäre; denn mein Vorsatz war gefaßt. Ich ließ meine Leute zu mir kommen, stellte ihnen die Lage der Dinge vor, und überließ es ihrer Wahl, was sie thun, ob sie den Ausgang des Gefechtes abwarten, oder sich noch in Zeiten retten wollten. Ich selbst erklärte für mich, daß ich bis zum entscheidenden Augenblicke meinen Gemahl und die Villa nicht verlassen, und mich nur in der höchsten Noth durch die Flucht retten würde. Nachdem ich ihnen dieses verkündet hatte, ergriffen Einige die Flucht auf der Stelle, Einige verbargen sich in dem Garten, Einige blieben im Hause, unter ihnen Melyte, die schönste und jüngste meiner Sclavinnen, indem sie, verführt durch allerlei Gerüchte, daß die Gothen nichts weniger als unempfindlich gegen die Schönheit wären, und manches gefangene Mädchen ein glänzendes Glück bei ihnen gemacht habe, nichts befürchtete. Ich versuchte vergebens, ihr die Thorheit dieser Hoffnung begreiflich zu machen; sie beharrte auf ihrem Entschluß, und von allen meinen Leuten blieb nur eine Einzige, die treue Evadne, bei mir. Mit dieser begab ich mich in eines der Gartenhäuser, von wo aus uns im schlimmsten Falle die Rettung auf das Feld, und dann durch Auen und Gebüsche, die ich wohl kannte, bis zu einem eine Stunde weit entlegenen Dorfe offen stand. Wir zogen männliche Sclavenkleider an, steckten einige Kostbarkeiten,[53] und jede ein kurzes Schwert und einen Dolch zu uns, und so harrten wir, betend in banger Erwartung, der Entscheidung unsers Schicksals. Ein alter Sclave gab uns von Zeit zu Zeit Kunde von dem Gefecht, das länger zweifelhaft blieb, als ich Anfangs gedacht hatte. Endlich überzeugte uns die schreckliche Nachricht, daß mein Gemahl mit den meisten seiner Leute erschlagen sey, und nur einige Wenige sich durch die Flucht zu retten suchten, von unsrer drohenden Gefahr. Trotz aller Leiden, die meine Verbindung mit Demetrius über mich gebracht hatte, erschütterte mich sein Tod doch auf's Aeusserste, ich brach in Thränen aus, und wollte auf's Schlachtfeld, zu sehen, oh noch Rettung, noch Hoffnung für ihn übrig war. Meine Leute hielten mich ab, sie stellten mir die Gefahr, ja die Unmöglichkeit des Schrittes vor, sie drangen in mich, zu entfliehen. Ich folgte ihnen zuletzt. Wirent flohen, und kamen glücklich beinahe eine Viertelstunde weit durch das Dickicht fort. Wie mir damals war, kann ich nicht sagen. Tausend schmerzliche Gefühle strebten in meiner Seele empor, aber das mächtigere der gegenwärtigen Gefahr hielt sie alle nieder, und richtete alle meine Gedanken nur auf den einzigen Punkt meiner Rettung. Schon singen wir an einige Hoffnung zu nähren, als plötzlich einige Barbaren, die sich während des Gefechts in der Gegend zerstreut hatten, uns von der Seite überfielen. Flucht war unmöglich; wir suchten uns also zu wehren, so lange wir konnten. Noch begreife ich nicht, woher mir diese Entschlossenheit kam. Es war nicht der Muth der Verzweiflung, denn ich behielt eine ziemlich klare Ansicht meiner Lage; aber ich schreibe sie zuerst der Güte Gottes zu, der ja jedes Wesen [54] mit den zu seiner Erhaltung nöthigen Gaben ausgerüstet hat, und dann, meiner geringen Furcht vor dem Tode. Ich fühlte wohl, daß uns die Barbaren schonten, daß sie uns lebend zu fangen trachteten; das gab mir Zuversicht. Aber was sind weibliche Kräfte, und ein Arm, ungeübt, das Schwert zu führen? Ungeduldig und erzürnt über meinen fruchtlosen Widerstand zückte der Gothe seinen Säbel, und haute nach mir. Ich glaubte den Todesstreich zu empfangen, aber er wollte mich vermuthlich nur wehrlos machen. Sein Streich traf meine Wange, die sogleich heftig zu bluten anfing, und wie ich erschrocken mit der Hand darnach fuhr, entriß er mir leicht das Schwert, an das ich in der Bestürzung nicht gleich dachte. Evadne schrie laut auf, da sie mich bluten sah, und warf ihr Schwert weg, um mir zu helfen. Ich winkte ihr, uns nicht durch übertriebene Sorgfalt zu verrathen; sie schwieg, aber ich sah Thränen in ihren Augen, und dieser Anblick gab mir mitten in meiner traurigen Lage ein angenehmes Gefühl. Jetzt fielen die Gothen über uns her, und banden uns die Hände; aber indeß sie noch damit beschäftigt waren, nahte sich ein zweiter Haufe zu Pferd, an dessen Spitze ein Mann von edlem Ansehen ritt.
Sie sprengten auf uns zu, sie sprachen unter einander, sie sahen uns öfters an, wir konnten sehen, daß wir der Gegenstand ihres Gespräches waren. Endlich näherte sich uns der Anführer, er ließ unsere Bande auflösen, und sagte uns in gebrochenem Griechisch, indem er uns als Knaben anredete, unser Muth hätte ihm gefallen, er wolle uns nicht binden lassen, er traue unsrer Ehrlichkeit, wir sollten ihm zu den Schiffen folgen. Jetzt war Alles verloren, und unser Loos das schlimmste, das [55] uns treffen konnte – Gefangenschaft. Meine einzige Hoffnung, meine einzige Rettung bestand noch in dem Dolche, den ich auf's sorgfältigste zu verbergen mich bestrebte. Man führte uns zu den Schiffen. Der ziemlich weite Gang, die kalte Luft hatten die Schmerzen meiner Wunde sehr vermehrt. Der edle Fritiger, so hieß der Anführer, sah mir meine Leiden an. Er ließ den Zug bei einer Quelle halten, ein bejahrter Gothe trat auf seinen Befehl hinzu, wusch meine Wunde, legte Kräuter, die er bei sich trug, darauf, und verband sie, so gut es Eile und Ort erlaubte. Ich fühlte bald einige Linderung, und mußte die Güte der Vorsicht bewundern, die diese Wilden in den rohen Erzeugnissen der Natur einfache Heilmittel finden läßt. Wir bestiegen die Schiffe – ach, und wie die Morgenröthe anbrach, sah ich die geliebten Ufer der Heimath schon ziemlich fern in Nebeln sich verlieren. Bei diesem Anblick brachen meine Thränen heftig hervor, und das ganze Gefühl meines Unglücks, die ganze Uebersicht Alles dessen, was ich verlor, und die Schrecken, die meiner warteten, fielen auf einmal auf mich. Ich glaubte zu vergehen. Zweimal zuckte meine Hand nach dem Dolch – zweimal hielt mich blos der Gedanke an die Unrechtmäßigkeit des Selbstmordes ab. Doch blieb der Entschluß fest, ihn zu brauchen, sobald mein Geschlecht entdeckt und meine Ehre in Gefahr seyn würde. Dann hielt ich das letzte Rettungsmittel für erlaubt. Zwei Tage vergingen in diesem trostlosen Zustande auf dem elenden Kahn, der uns, unbegreiflich genug, dennoch über den unsichern Euxin trug. Am dritten Abend erschien uns die westliche Küste. Jetzt erwachten alle meine Schmerzen, welche Ergebung in den Willen der Vorsicht, und das [56] Mitleid unsers edelmüthigen Gebieters etwas besänftigt hatten, wieder. Ich war so erschüttert, daß ich schwankte. Fritiger sah meine Schwäche, er nahm mich wie ein Kind auf den Arm, und trug mich an's Land. Hier sprach er mir von Neuem Trost ein. Er sagte mir, daß ich ihm angehörte, daß ich sein Sclave sey, daß er mich aber recht gut halten wollte, wenn ich es verdiente. Aus seinen männlichen Zügen sprach nichts Grausames, aus den großen blauen Augen sogar Güte. Er war nun das einzige Wesen auf der Welt, dem ich angehörte, das an mir Theil nahm, das mich schützen konnte. Ein Grauen überlief mich, aber ich sah die Nothwendigkeit ein, mich in mein Geschick zu ergeben; ich gelobte ihm Gehorsam und Treue, und bat ihn um Geduld. Er versprach mir, väterlich für mich zu sorgen. Der Zug ging dem Walde zu, aus dem uns bald mit lautem Freudengeschrei ein großer Haufe von Weibern und Kindern entgegeneilte, die Zurückkehrenden zu empfangen. Eine Art von Freude strahlte in meine Seele, als ich eine schöne große Frau von mittleren Jahren, und drei sehr wohlgebildete Mädchen, deren ältestes etwa fünfzehn Jahr alt seyn mochte, auf meinen Gebieter zueilen, und ihn als Gemahl und Vater bewillkommen sah. Er stellte ihnen seine beiden Sclaven vor, und ich sah wohl, daß Evadne, die einem ganz hübschen Jüngling glich, die Aufmerksamkeit und Theilnahme Gisella's, des ältesten Mädchens, auf sich gezogen hatte. Dort nahm man uns Beide gütig auf, und wir kamen bald zu den Wohnungen des Stammes und in Fritigers Hütte.
Wie diese Hütte aussah, wie hier jede Bequemlichkeit fehlte, an die der Bewohner des gebildeten Landes gewöhnt [57] ist, und welche Leiden und Entbehrungen uns daraus entsprangen, wäre überflüssig zu schildern, du kannst es dir vorstellen. Doch die stille unwiderstehliche Gewalt der Gewohnheit machte uns zuletzt auch diese Beschwerlichkeiten erträglich. Ich lernte hier unter diesen einfachen Menschen einsehen, wie wenig die Natur bedarf, wie viele Lasten uns unsre Bedürfnisse auferlegt haben, und in der Denkungsart und Behandlung unsrer Gebieter fanden wir Trost und Erleichterung. Ach, meine Liebe! wir schelten diese Menschen Barbaren, und ich habe Tugenden und Gefühle unter ihnen angetroffen, die wir in der gebildeten Welt bald nur dem Namen nach kennen werden. Ihre Sitten sind rauh, aber einfach, ihre Gefühle heftig, aber wahr, und in diesen starken unverdorbenen Gemüthern ist Großmuth, Treue, Aufopferung und Liebe bis zum Tod keine bewundernswürdige Seltenheit. Ihre meisten Fehler sind Folgen ihres einsamen Zustandes, ihres Mangels an Beschäftigung. Die Frauen besorgen den Haushalt, der Männer einziger Beruf ist Jagd und Krieg, und in den vielen müßigen Stunden, die diese Lebensart mit sich bringt, verfällt der Geist, der doch immer thätig seyn will, auf gefährlichen niedrigen Zeitvertreib. Spiel und Trunk füllen diese Stunden aus, und da in diesen großen kräftigen Gemüthern jede Neigung bald zur Leidenschaft wird, so fallen hierdurch oft schreckliche empörende Auftritte vor. Das sind aber auch die einzigen Laster, die wir ihnen mit Recht vorwerfen können. Sonst beschämen sie uns in den meisten Tugenden, und wahrlich, die Frauen hätten vor Allem Ursache, die Sitten dieser sogenannten Wilden zu preisen. Ihre Weiber sind nicht, wie beinahe [58] im ganzen Orient, Sclavinnen der Männer, oder höchstens ein Spielwerk, mit dem sie tändeln, so lange es ihren Augen gefällt. Die Frau des gothischen Kriegers ist seine Freundin, seine erste Vertraute, die Theilnehmerin aller seiner Entschlüsse, oft seine Begleiterin in der Schlacht. Dort darf sie hinter dem Treffen seiner harren, sie verbindet seine Wunden, sie trocknet den Schweiß von seiner Heldenstirn, sie theilt seinen Ruhm, oder stirbt mit ihm, wenn er fällt, um seinen Verlust und ihre Freiheit nicht zu überleben. Ach wie oft habe ich mir in jenen ängstlich schönen Zeiten, als das Heer bei Edessa und Nisibis stand, ein solches Verhältniß geträumet, ohne zu ahnen, daß es schon wirklich irgendwo vorhanden sey! Wenn ich damals mit gedurft hätte – wenn ich ihn hätte begleiten, seine Lanze tragen, meine Brust zu seinem Schilde machen, sein Blut mit meinem Schleier stillen dürfen – ich würde nicht gezittert haben, alle weibliche Furchtsamkeit wäre vor dem Gedanken entwichen, bei ihm zu seyn, und ihn zu schützen. Eitle Wünsche! Damals gebot die Pflicht – und jetzt – – Doch ich will meiner Erzählung nicht vorgreifen.
Die Güte, womit wir behandelt wurden, die Strenge und Reinheit der Sitten, in Absicht auf den Umgang der beiden Geschlechter, die ich unter diesem Volke herrschend sah, und vor Allem Gisella's Empfindungen gegen Evadne, die durch die fortgesetzte Täuschung immer lebhafter wurden, bewogen mich, der Mutter unser Geheimniß zu offenbaren, und ihr zu sagen, daß wir Frauen wären. Man nahm diese Entdeckung mit Erstaunen, aber ohne Widerwillen auf, und die Sorgfalt, die man von dem Augenblicke an für unsere strenge Absonderung von [59] den männlichen Bewohnern des Hauses, und für angemeßne Kleidung trug, zeigte mir, wie zweckmäßig dieser Schritt war, und wie wenig wir in dieser Hinsicht zu fürchten hatten. Ich lebte nun ziemlich ruhig, aber in tiefer Schwermuth fort. Die Trennung von allen meinen Lieben, die mannigfaltigen Beschwerden meiner Lage, und die wenige Hoffnung auf eine Aenderung beugten mich tief.
So verging der Winter, dessen Macht ich hier erst mit Schrecken und mit körperlichem Schmerz kennen lernte, als ich den tiefen Schnee die ganze Gegend unwegsam machen, und die großen breiten Ströme, von Eis gefesselt, starr und still stehen sah. Indessen fand mein Gemüth auch in diesen rauhen Tagen eine Beschäftigung, an der es mit Liebe und Zufriedenheit hing. Ich lehrte meine Hausgenossinnen allerlei Arbeiten, Vortheile und Annehmlichkeiten des Lebens und Haushalts kennen, ich und Evadne wurden ihre Meisterinnen, und bald sah ich die unwiderstehliche Macht der höheren Bildung über rohe aber unverdorbene Gemüther. Wir bekamen immer mehr Schülerinnen aus den benachbarten Hütten. Sie, die befehlen konnten, horchten begierig auf unsern Unterricht, sie ehrten uns wie bessere Wesen, und hätten sich unsere Befehle gefallen lassen, wenn der Wunsch zu gebieten in meiner oder Evadnens Brust gelegen hätte. Aber wenn ich auch ihren Gehorsam nicht verlangte, so war es mir doch ein süßes Gefühl, Gutes unter ihnen verbreitet, und schönen Saamen ausgestreut zu haben, der noch in später Zukunft Früchte tragen könnte. Du wirst es mir für keine Eitelkeit auslegen, wenn ich dir sage, daß uns mehr als ein Antrag von gothischen Jünglingen, ja von [60] einigen ihrer ersten Heerführer gemacht wurde. Eben so leicht wirst du mir auch glauben, daß es mich weder Ueberwindung noch Ueberlegung kostete, sie auszuschlagen. Bei Evadnen, deren freies Herz sie nicht nach dem Vaterland zurückzog, deren Stand ihr manche Härte ihrer jetzigen Lage erträglicher machte als mir, gelang es dem edlen tapfern Kattwald besser. Er ist Fritigers Neffe, und wahrlich, ich habe wenig schönere Männer gesehen, als diesen hohen, beinahe riesenmäßig gebauten Jüngling, mit seinen dunkelblauen Augen und seinem goldnen Gelocke. Er warb um sie, und sie gab ihm nach der Neigung ihres Herzens, nach dem Rath der Familie, und nach meinem eignen ihre Hand.
Jetzt war der Frühling gekommen, der tiefe Schnee und das Eis der Flüsse schmolz zu einem unendlichen Gewässer, das fürchterliche Verheerungen in der Gegend anrichtete, und in mir die Sehnsucht nach dem schönen Himmel meines Vaterlandes, nach Allem, was dort lebte, mit solchem Schmerz erregte, daß ich manchmal wirklich vor Sehnsucht zu sterben fürchtete. O meine Liebe! Wie schwach, wie thöricht war ich! Ich fürchtete mich zu sterben; denn trotz aller Hindernisse nährte ich die Hoffnung der Rückkehr, der jetzt schuldlosen ewigen Vereinigung mit dem Freunde meiner Jugend. Das Leben war mir lieb geworden – um seinetwillen! Ich zitterte vor dem Gedanken, es jetzt zu verlieren, und in diesem wilden Lande, einsam, von ihm geschieden, zu sterben.
Die Wasser verliefen, die Gegend stand im Frühlingsschmuck, die Wege wurden wieder gangbar, und mit ihnen kam uns Kunde, daß Fremde – Christen, Griechen [61] in der Nachbarschaft wären. Den Eindruck, den mir diese Nachricht machte, kann ich dir nicht beschreiben. Ich ward krank vor Freude, denn die entzückende Hoffnung, daß sie um meinetwillen, mich zu suchen, da waren, daß Er unter ihnen sey, brachte mich fast außer mir. Immer hatte ich diesen heimlichen Wunsch gehegt, und ihn, was auch meine Vernunft dagegen einwenden mochte, nie aus dem Sinne verlieren können. Daß es noch nicht geschehen war, schrieb ich der Jahreszeit, und den Stürmen des Meeres zu. Diese schöne Täuschung verschwand bald, aber es blieb noch Stoff genug zur Freude für mich. Es waren Griechen, Landsleute, dieselben, von denen du mir nach Trachene geschrieben, die aus dem frommen Endzwecke, das Christenthum zu verbreiten, sich in diese rauhen Gegenden, unter dieses barbarische Volk gewagt hatten. Die Mühseligkeiten und Gefahren, die sie auf ihren Pilgerfahrten ausgestanden, die Standhaftigkeit, mit der sie Alles ertrugen, der Eifer, mit dem sie ihre Bequemlichkeit, ihr Leben wagten, rührte mich tief, und flößte mir heilige Ehrfurcht vor ihnen ein. Auch waren sie schon so glücklich gewesen, schöne Früchte ihrer Bemühungen zu sehen. Die einfachen Lehren des Christenthums hatten Eingang in die unverdorbenen Herzen gefunden, und die Milde, womit diese frommen Männer ihre neuen Schüler in den Lehren der Religion sowohl, als manchen nützlichen Arbeiten und Künsten unterrichteten, gewann ihnen die Liebe derselben. Sie hatten Ackergeräthe, Handwerkszeug, Sämereien mitgebracht. Sie machten ihnen den Nutzen dieser Dinge, den großen Vortheil des Ackerbaues, und einer steten Lebensart einsehen, und schon waren [62] hie und da kleine Gemeinden errichtet, die dichten Wälder, die dieses Land in feuchte kalte Schatten hüllen, stellenweise niedergehauen, und das frische Erdreich mit nützlichem Saamen gebaut, den die Hand der neuen Christen unter feierlichem Gebete und Segnungen ihrer ehrwürdigen Lehrer in frommem Vertrauen ausgestreut hatte. Man kündigte auch uns ihren Besuch an, und eine entzückende Hoffnung auf Rettung durch sie, und Rückkehr in mein Vaterland durchdrang mein gebeugtes Gemüth, und machte mich unaussprechlich froh. Sie kamen an, es war Heliodor mit noch zwei Gefährten. Nie werde ich den Eindruck vergessen, den der Anblick der Landsleute, der Ton der Muttersprache aus ihrem Munde auf mich machte. Fritiger nahm sie mit Achtung und Liebe auf. Ihr Geschäft gelang auch hier zum Verwundern gut. Ich hatte das himmlische Vergnügen, die Familie meines Wohlthäters in den Bund der Christen angenommen, und so den Keim zu tausend künftigem Guten in diesen Gegenden empor wachsen zu sehen.
Heliodor war seinerseits nicht wenig erstaunt, mich hier zu finden. Ich entdeckte ihm mein Schicksal, und bat ihn, mich zu retten, und zu den Meinigen zu bringen. Er versprach zu thun, was er vermöchte; denn er war ohnedies entschlossen, bald nach Bythynien zurück zu kehren, dem Bischof Nachricht von dem Fortgang seiner Unternehmungen zu geben, und ihn um Unterstützung in seinem Geschäfte, und um mehrere Gefährten zu bitten. Er trug Fritigern meine Bitte vor. Ich hatte nicht den Muth dazu, denn ich wußte wohl, daß man mich nicht gern ziehen lassen würde. Was ich gefürchtet hatte, geschah. Des Gothen ganze Wildheit brach ungestüm hervor, [63] als man ihm von dem Verluste einer Person sprach, an die er sich mit Liebe gewöhnt hatte. Heliodors unwiderstehlicher Beredtsamkeit, seinem ehrwürdigen Ansehen gelang es endlich, das stürmische Gemüth zu besänftigen; er hörte ihn gelassener an – aber mich fort zu lassen, dazu war er auf keine Weise zu bewegen. Er ließ mich rufen, er schalt, er drohte, endlich bat er mich mit Thränen, ihn nicht zu verlassen. Ach, das war ein harter Kampf! Es gehörte alle Macht treuer Liebe dazu, um hier zu widerstehen. Ich weinte heftig, ich sank vor ihm nieder, küßte seine Hand, wie die eines Vaters, und wahrlich mit denselben Empfindungen; ich schilderte ihm Alles, was ich in meinem Vaterlande zurückgelassen hatte, was meiner wartete, ich sprach endlich seine eigne Vaterlandsliebe an, ich bat ihn, sich an meine Stelle zu setzen, und für mich zu entscheiden.
Er stand eine Weile stumm – dann sagte er mit heftigem, aber nicht rauhem Tone: »Geh hin; ich weiß, du kannst hier nicht glücklich seyn, aber wir können dich auch nicht vergessen.« Ich ergriff seine Hand, drückte sie an mein Herz, und wollte ihm danken. In dein Augenblicke sagte Heliodor etwas von dem Lösegelde, das er für mich bestimmen sollte. Ich hatte vorher mit Heliodor darüber gesprochen, und dabei auf die kleinen Schätze, die ich und Evadne gerettet und bisher verborgen hatten, und falls diese nicht zureichen sollten, auf deine und meines Jugendfreundes Reichthümer und Liebe gerechnet; aber ein geheimes Gefühl erlaubte mir nicht, dieses Anerbietens in diesem Augenblicke zu erwähnen. Heliodor that es doch, und Fritiger fuhr wild empor. Zorn sprühte aus seinem Blick, er entriß mir seine Hand, und stieß [64] mich unsanft weg: »Was denkst du,« rief er entrüstet, »was wagst du mir anzubieten? Ich kann dich frei lassen, ich kann dich verschenken – verkaufen werde ich dich nie. Geh in dein Vaterland zurück, weil du nicht mehr bei uns bleiben willst, und sage deinen Landsleuten, daß uns Barbaren das, was wir lieben, nicht um Gold feil ist.« Er wandte sich rasch weg, und wollte sich entfernen. Ich eilte ihm nach, ich ergriff seine Hand, ich küßte sie, ich beschwor ihn, mich nicht im Zorn zu entlassen, mir zu sagen, daß er mir vergebe, und mir eine Schuld nicht anzurechnen, die ich nicht begangen hatte. Er blieb stehen, sah mich ernst, aber ohne Zorn an, drückte mir endlich die Hand und sagte: »Du bleibst doch meine Tochter, wenn du auch jenseits des Meeres wohnen wirst.« Ich gelobte es ihm, ja ich gelobte ihm sogar, wenn ein widriges Schicksal meine Hoffnungen zerstören, wenn ich in meinem Vaterlande nicht glücklich werden sollte, zu ihm und seiner Familie zurückzukehren. Und bei Gott, Innia! es scheint, ich werde dieses Versprechen halten!
In den wenigen wehmüthig frohen Tagen, die wir noch mit einander zubrachten, wurden alle Anstalten zu unserer Abreise gemacht. Fritiger und sein Neffe Kattwald besorgten uns ein Schiff, und die geschicktesten Ruderer, die sie unter ihrem Stamme fanden. Evadnens Herz wurde in seltsamen Widerspruch aufgeregt, als sie hörte, daß ich mit Heliodor nach unserm gemeinschaftlichen Vaterlande zurückkehren würde; aber der Gedanke an ihren Gatten besiegte jeden Zweifel, machte jeden Wunsch verstummen. O was kann ein Weib nicht dem geliebten, dem liebenden Manne aufopfern! Er wird [65] ihr Vater und Mutter, Heimath und Vaterland, und wo er ist, findet sie ihr Glück. Welche Hoffnungen, welche Auftritte schwebten nicht vor meinem Blicke? Was habe ich nicht für Scenen geträumt? Ach, ja wohl geträumt!
Unter sehr gemischten, aber doch meist frohen Empfindungen sah ich den Tag der Abreise sich nähern. Er kam; ich schied mit heißen Thränen von meinem gütigen Gebieter, von seiner Familie, von meiner treuen Evadne. Nicht allein Fritigers Haus, alle Nachbarn, sogar manche fern wohnende Familien kamen, uns noch einmal zu sehen, mich, die sie gekannt und geliebt, und den würdigen Priester, den sie als einen Gottgesendeten Lehrer verehrt hatten. Er versprach ihnen, bald wieder zu kommen, und Fritigern und Evadnen Nachricht von mir zu bringen. Am Ufer knieete ich vor Fritiger und seiner Gemahlin nieder, und bat sie um ihren Segen. Sie gaben ihn mir im Namen des Gottes, den sie durch Heliodor hatten kennen gelernt. Nun stiegen wir in's Schiff, und nach einer ziemlich ängstlichen Fahrt an den Küsten des Euxin herab in einem schlecht gebauten Kahn, und mit gothischen Ruderern, langten wir in Byzanz an.
Hier sandten wir unsre Schiffer zurück, so reich beschenkt, als ich es vermochte, und mit tausend dankbaren Grüßen an unsre Freunde. In der Stadt bat ich Heliodor, mir sogleich Alles zu verschaffen, was nöthig war, um wieder anständig unter gebildeten Menschen zu erscheinen. O meine Liebe, welchen zauberischen Reiz gibt lange Entbehrung den gemeinsten Dingen! Wie wenig erkennen wir den Werth unserer Bequemlichkeiten beim alltäglichen Gebrauche! Mit wahrer Wollust hüllte ich [66] mich in die gewohnten Gewänder, ordnete mein Haar, und genoß in dem einfachen Anzug eine Befriedigung, die mir nie der kostbarste Putz verschafft hatte. Aber dennoch sah ich in dem ersten Spiegel, der seit acht Monaten mein Gesicht zurück strahlte, mit einigem Schrecken die Veränderung, die das rauhe Klima und eine ziemlich tiefe Narbe auf meiner Wange hervorbrachte. Ich war nie schön – ich hatte diesen Vorzug an Andern wohl erkannt, aber nie bei mir vermißt – ich war ja auch ohne ihn von dem Freund meiner Jugend geliebt, von einem würdigen Gemahl geachtet worden. Jetzt flößte mir doch die große Veränderung eine Art von Aengstlichkeit ein, und mit zitternder Zuversicht, die dieser Empfindung einen neuen innigen Reiz gab, hoffte ich auf die unwandelbare Treue, auf die edle Denkart meines Freundes. Wir fanden ein segelfertiges Schiff im Hafen, das nach Chalcedon bestimmt war, und landeten glücklich an der vaterländischen Küste.
Doch mein Brief ist unmäßig lang – ich verspare die Erzählung der ferneren Begebenheiten, und meiner jetzigen Lage auf einen zweiten. Leb' wohl!