[128] Pipin

Auf einem Schlosse der Vogesen,
Das Blitzburg heißt,
Spuckt, wie wir in der Chronick lesen,
Ein Poltergeist.
Ein Fräulein ists, halb Weib halb Drache,
Aus Schwabenland,
Von einer bösen Fey aus Rache
Hieher gebannt.
Es liegen hunderttausend Kronen
Bereit, den Held,
Der sie erlöset, zu belohnen.
Ein schönes Geld!
Zehn Ritter hatten sich verbürget,
Sie zu befreyn;
Allein man fand sie all erwürget
Im nahen Hayn.
[129]
Pipin, ein Knapp aus Lotharingen,
Der Kempen Schmuck,
Von dem noch heut die Ammen singen,
Vernahm den Spuck.
Nun kann er weder ruhn noch rasten;
Er steigt zu Roß,
Und kömmt am Abend vor Frohnfasten
Zum Zauberschloß.
Er setzt, ermattet von der Reise,
Am Thor sich hin:
Drey Uhus und drey Fledermäuse
Begrüßen ihn.
Kaum schlug es zwölf in der Kapelle,
So barst das Thor:
Ein großer Hund lag vor der Schwelle,
Schwarz wie ein Mohr.
Was thut der Knapp? Er macht in Eile
Das Kreutz auf ihn;
Husch! flieht das Thier mit Angstgeheule,
Gott weiß, wohin?
[130]
Nun führt ein Irrwisch ihn zum Throne,
Wo Bertha saß,
Bekränzt mit einer Grafenkrone
Von Chrysopras.
Blaß, wie der Nix, erschien die Dirne:
Ihr Augenpaar
War grün, ein Vorgebürg die Stirne,
Und fahl ihr Haar.
Der Junker stutzt, blickt nach dem Schatze,
Und bey dem Glanz
Des Golds, vergißt er Berthens Fratze
Und Schuppenschwanz.
Wie soll ich dir die Freyheit geben,
Du holde Magd?
Sprach er: Mit Freuden sey mein Leben
Daran gewagt!
Ein Kuß erlöst mich, sprach die Holde
Vom Schlangenleib,
Und schenkt mich dir mit diesem Golde
Zum Eheweib.
[131]
Er naht sich ihr mit kühner Hitze;
Ha! welch ein Graus!
Ihr Mund speit plötzlich rothe Blitze
Und Donner aus.
Doch Helden schreckt nicht Rad noch Wippe,
Nicht Cerberus.
Pipin dringt vor und spitzt die Lippe,
Und raubt den Kuß.
O Greuel! Kaum berührt er Berthen
Mit seinem Bart,
Als sie, statt ganz ein Weib zu werden,
Ganz Drache ward.
Sie stürzt ihm zischend in die Arme:
Er bebt zurück;
Doch knacks bricht sie, daß Gott erbarme!
Ihm das Genick.
Nun hört man ihn mit wildem Prasseln,
Durch Thal und Hayn,
Um Mitternacht im Gelde rasseln
Und Zetter schreyn.
[132]
Wie mancher ruft bey diesem Mährchen
Voll Herzeleid:
Ich Thor! auch ich hab ein Megärchen
Ums Geld gefreyt.

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TextGrid Repository (2012). Pfeffel, Gottlieb Konrad. Gedichte. Fabeln und Erzählungen. Zweyter Theil. Drittes Buch. Pipin. Pipin. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-736C-6