Dritter Theil
Die beiden Lords, Ormond und Richmond, hatten zwar die Gewißheit, Lady Melville werde mit ihrem Willen von Membrocke geleitet, aber bei dem lebhaften Protest des Fräuleins gegen jeden Gedanken einer Entführung hatten sie gleichwol sich überzeugt, daß sie dessen ungeachtet das Opfer einer Täuschung ward, wofern nicht ihrem ganzen Handeln ein Geheimniß anderer Art zum Grunde lag, das sie ihnen zu verheimlichen gesucht hatte.
Den Rückweg bis zum Schlosse legten sie unter tausend Plänen und Vermuthungen über dies Ereigniß zurück, wobei sich indeß das Herz Beider sträubte, ihr eine innigere Verbindung mit Lord Membrocke als Grund unterzulegen, wozu ihre Handlungsweise an und für sich allerdings einigen Verdacht darbot.
Die Hauptfrage blieb indeß, was unter solchen Umständen ferner für sie zu thun sei. Denn hätte sie auch durch die genossene Gastfreundschaft sich verpflichtet halten können, Rechenschaft von ihren Handlungen zu geben, so war ihr doch das Recht unbestritten, über sich selbst zu verfügen, und hiermit auch den Nachforschungen ihrer Freunde eine Grenze gesetzt.
Zwei so zartfühlende Männer würden sich dieser Beschränkung ihres Schutzes unter andern Umständen unbedenklich gefügt haben, wären nicht Beide von der Unmöglichkeit überzeugt gewesen, Membrocke könne je eine andere, als schlechte Absicht mit Frauen haben, und hätten nicht Beide mit Zuversicht [1] geglaubt, er habe durch die schlauesten Lügen dies klare, nur zu offene Gemüth bethört, ihm zu folgen.
Sie vermutheten, daß die Schwierigkeiten, die sich der Familie Nottingham entgegen gestellt hatten, ihr Auskunft über ihre Verwandten zu verschaffen, benutzt worden wären, um ihrem Vertrauen eine andere Richtung zu geben, und aufs Neue stieg ihre Sorge, wohin sie wohl geführt sein möchte.
Die Entdeckung ihrer Flucht hatte dabei die Mutter Richmonds und die alte Herzogin so erschüttert, daß die Beiden von Besorgniß erfüllt waren, so ohne alle Milderung dieses schmerzlichen Gefühles, ja, fast mit erhöhten Sorgen für die junge Lady, zurückkehren zu müssen.
Doch schon fanden Beide die Umstände verändert. Die jüngere Herzogin lehnte alle Erklärungen durch die Kälte ab, mit der sie augenblicklich die Sache abzuschließen trachtete. Keine Spur war mehr übrig von der heftigen Unruhe, die bei der ersten Nachricht sie fast ihrer stolzen Haltung beraubt hatte.
Wir sind uns das Zeugniß schuldig, die Pflichten der Menschenliebe und der Gastfreundschaft an dieser jungen Person vollkommen erfüllt zu haben, erwiederte sie dem lebhaften Vortrage ihres Sohnes, glauben uns aber jetzt für uns selbst und unsere Umgebungen ihrer vollkommen entledigt durch das Stillschweigen und unerhörte Dunkel, worein sie sich zu hüllen für gut befunden hat.
Ich, die ich dieser jungen Person eine mütterliche Güte erzeigte, ich fühle, daß ich die Einzige bin, die sich von dieser Handlung gekränkt ansehen kann. Ich gebe aber dies Gefühl und das damit verbundene Recht meines fernern Schutzes hiermit auf, da ich einsehe, daß ich überhaupt nur dies zartere Recht besaß, sie von der eigenen Lenkung ihres Schicksals abzuhalten. Ich danke Ihnen daher, Mylord Ormond, und Dir, mein Sohn, für die Bereitwilligkeit, die Wünsche meiner ersten Ueberraschung [2] zu erfüllen; ich erkläre die ganze Sache damit beendigt und werde, wenn es mir späterhin zulässig erscheint, aus eigenem Gutdünken darüber bestimmen, ob noch das Eine oder das Andere in dieser störenden Episode unseres würdigen Familienlebens zu thun sei, und im Fall ich dabei der Hülfe bedürfte, die Eure jeder andern vorziehn.
Du wirst gewiß Deiner Großmutter selbst Deinen Bericht machen wollen. Meine Abreise nach Godwie-Castle ist auf morgen festgesetzt, und ich freue mich Deiner Begleitung, mein Sohn! In Wahrheit, wir alle haben wichtigere Pflichten und Sorgen, als die Thorheiten einer Fremden zu beleuchten oder uns zu Herzen zu nehmen. –
So entfernte sich die Lady, jede Gegenrede abschneidend, und so fanden die Lords auch die alte Herzogin, deren vorherrschende Güte zwar eine so stolze Härte nicht zuließ, aber doch von sich selbst fast jedes Interesse ablehnte und mit einem leisen Anhauch von Empfindlichkeit Alles an ihre Schwiegertochter verwies.
Beide Lords trennten sich mit der Ueberzeugung, es sei während ihrer Abwesenheit zu unangenehmen Erörterungen zwischen den beiden Damen gekommen, wobei jedoch Richmond unbekannt blieb, wie er selbst durch die Aeußerungen seiner Theilnahme dieser mißtrauischen Frau eine bedeutende Veranlassung geworden, gegen Lady Melville kälter zu werden, und wie daraus eine Abweisung der Vorschläge ihrer Schwiegermutter entstand, welche diese engelgute Frau selbst nicht ohne einige Empfindlichkeit vernehmen konnte.
Was jedoch die Gefühle anbetrifft, die Richmond in Anspruch nahmen, so fühlte er auf der Stelle den Vorwurf der Mutter, und wie frei er sich auch davon wußte, ihn verdient zu haben, gelobte er sich doch fest, daß kein anderes Interesse, als das seines ehrwürdigen Großvaters, dessen schwierige Lage er [3] besser noch, als seine Mutter kannte, ihn vorherrschend beschäftigen solle, bis jene Angelegenheiten eine erwünschtere Wendung genommen haben würden. Dann, sprach er zu sich selbst, und eine tiefe Röthe drängte sich hervor, dann sei mir Gott gnädig! –
Wir finden bald nachher die herzogliche Familie in Godwie-Castle versammelt. Die alte Herzogin hatte Burtonhall verlassen, um sich zu ihrer Schwiegertochter zu begeben, welche bald nach dem letztgemeldeten Ereigniß nach Godwie-Castle zurückgekehrt war. Die Jahreszeit war zu weit vorgerückt, um andere Versammlungsörter zu bieten, als die, welche die gesellige Flamme von den behauenen Fichtenstämmen, in den weiten Räumen der hohen Kamine durch alle Gemächer heimliche Wärme verbreitend, darbot. Der Nordwind erreichte das Schloß durch die unbelaubten Wälder, die Sonne blieb verhüllt oder blickte nur matt durch dichte Nebelschleier, Licht und Wärme waren von außen her nicht mehr zu erwarten, und die einsamen Bewohner kehrten mechanisch in die alten Gewohnheiten der winterlichen Zeit zurück.
Es war kaum anzunehmen, daß die Anordnung der Zeit und die Obwaltung des Hauses von denen ausgehe, die ihr Rang dazu berief, viel eher schien es, jene fügten sich in das, was von der Dienerschaft in jahrelanger Gewohnheit und schweigsamen Gehorsam nach dem einmal gekannten Willen ihrer Herrschaften auch jetzt wieder sorgsam ohne Frage eingerichtet war. Man verließ die eigenen Gemächer und verfügte sich in die Versammlungszimmer, wenn die aufwartenden Diener die Stunden dazu meldeten; man trennte sich, wenn die Zeit zu diesem Beisammensein durch den Aufhub der Tafel oder des Frühstücks angezeigt war, und der Zwang, der über Allen waltete, schob die streng gehaltenen Stunden selten hinaus.
[4] Es war die Zeit einer bangen Erwartung, die Alle zur Unthätigkeit verdammte, während Sorge, beleidigter Stolz und die Bürde eines großen, erlittenen Unrechts im Geheim die Leidenschaften Aller steigerte, und weder ein Abschließen mit dem Leben zuließ, noch eine muthige Anstrengung für die Wiedererlangung des gestörten Friedens.
Wohl wußte die erhabene, also geprüfte Familie, daß England den Kummer theile und über die Beleidigung murre, die jeden edeln Mann in Bezug auf die schimpfliche Behandlung des Grafen Bristol zu betreffen schien. Aber es sind nicht alle Gemüther gestimmt, in der Theilnahme der Menge Trost finden zu können. Graf Bristol war am Ende eines glücklichen und ruhmvollen Lebens nicht vorbereitet, es so traurig zu beschließen, und das stolze Herz seiner Tochter widerstand dem Unglück mit ergebungslosem Unwillen.
Lord Bristol war vom Hofe und aus London verwiesen. Der Stolz, womit er das Parlament zum Schiedsrichter zwischen seinem Ankläger und sich gestellt wissen wollte, war eine Herausforderung zu gefährlicher Art für Buckingham, als daß er nicht eine Verweisung vom Könige erpressen sollte, um alle Anstrengungen mit einem Male zu vernichten, die von Seiten der mächtigen Familie des Grafen gemacht wurden, um ihn glänzend zu rechtfertigen. Machtlos stand Lord Bristol vor diesem harten Gebot. Das Antlitz seines Königs war ihm entzogen; der Prinz von Wales, wie es schien, theilte die Meinung des verwegenen Herzogs; zu widerstehen war der Gewalt nicht; der Graf mußte vor den Thoren von London umwenden und in der Verbannung sich für begünstigt halten, daß man das Schloß der Herzogin von Nottingham als Zufluchtsort anzusehn, ihm verstattete.
Was ihm von hier aus zu thun möglich war, beschränkte sich darauf, die Wirksamkeit des Grafen Archimbald und des [5] Lord Richmond durch Alles zu unterhalten, was ihm zu seiner Rechtfertigung an Beweisen zu Gebote stand; doch der Widerstand und die gesetzwidrigen Hindernisse, welche diese auf allen Wegen von Buckinghams Kreaturen aufgestellt fanden, machte ihr Streben zu dem erfolglosen Geschäft der Danaiden und setzte ihre eigene, stets behauptete achtungsvolle Stellung allgemach herab. Ihre offenen Bemühungen hatten zuerst das Mißfallen des Hofes zur Folge, welcher sich nicht an eine Sache erinnert sehen wollte, die nicht zu rechtfertigen war, und in Ansehung der betreffenden ausgezeichneten Person nicht in der Stille sich beseitigen ließ.
Die Minister des Königs, obwol von der Unschuld des Grafen überzeugt, hatten Buckinghams Willen gegenüber keinen Einfluß auf den König, und Lord Salisbury hatte mit engherziger Strenge sich von jeder Theilnahme an seiner Familie ausgeschlossen, sobald sie gegen den einmal ausgesprochenen königlichen Willen lief. So geschah es, daß der Mann, der noch vor Kurzem im Mittelpunkte der Gnade zweier großen Höfe, von den Freundschafts- und Gnadenbezeigungen der spanischen und englischen Majestäten überhäuft, und im Begriff gewesen war, eine glänzende Allianz für sein Vaterland durch die heiligsten Bande zu befestigen, und sich den Segen und den Dank seines Königs und seines Vaterlandes zu verdienen – jetzt, durch die beispiellose Unverschämtheit eines ungeschickten und leichtsinnigen Thoren, sich zum Spielball der boshaften Willkür desselben herabgesetzt sah, angeklagt treulosen Verraths des königlichen Vertrauens, angeklagt öffentlich und laut vor ganz England, vor ganz Europa, und durch den grausamsten Machtspruch zur Verbannung und zu einem Schweigen verdammt, das diesen geachteten Namen zu einem Gegenstande des Zweifels machte.
Bis zu dem Augenblicke waren alle Bemühungen seiner Freunde, ihm Gelegenheit zur Rechtfertigung auszuwirken, [6] vergeblich gewesen. Ihre Bitten erreichten Jakobs wohlverwahrtes Ohr nicht mehr. Der Prinz zeigte eine Kälte dagegen, die den besorgten Freunden des Vaterlandes die Wahrheit zu bestätigen schien, es habe der Karakter des Prinzen nach der Rückkehr aus Spanien eine traurige Umänderung erlitten, die man dem entschieden hervorgetretenen Einflusse Buckinghams zuzurechnen, sich für berechtigt hielt.
Der König von Spanien, Bristols unermüdlicher Freund und Bewunderer, hatte, trotz der feindlichen Stellung, die beide Länder jetzt gegeneinander annahmen, seine gerechte Empfindlichkeit überwunden, und in einem eigenhändigen Schreiben an Jakob seinen Liebling vertheidigt und den König für ihn zu gewinnen gesucht. Jakob hatte diesen Brief nie erhalten, und dem großmüthigen Philipp ward angedeutet, daß seine Vorliebe dem Grafen eben nicht zum Besten gereiche, da er gerade verklagt sei, der katholischen Majestät zu vortheilhaft gesinnt gewesen zu sein.
Ein gleiches Schicksal hatte Lord Bristols erhabene Freundin, die edle und unglückliche Pfalzgräfin Elisabeth, die Tochter Jakobs, die, aus dem Besitzthum ihres Gemahls vertrieben, in trostloser Verlassenheit, jetzt auch der Hoffnung beraubt war, nachdem mit Bristols Sturz der spanische Einfluß auf ihr Schicksal verloren gegangen, von dem sie ihr gesunkenes Glück wieder aufgerichtet zu sehen hoffte. Vergeblich sagte man ihr, daß Frankreich die Rolle Spaniens ersetzen, daß sie bei dieser politischen Umwälzung nichts verlieren würde; ihr Langmuth war erschöpft, und die Verzweiflung gab ihrer Sprache die ungeschminkte Färbung der Wahrheit. Die dringenden Briefe dieses Inhalts an ihren Vater, die stets von heftigen Ausbrüchen gegen Buckingham und von Betheuerungen für Bristols Unschuld erfüllt waren, wurden nicht unterdrückt, sondern Buckingham weidete sich daran, wie sie selbst den Zweck zerstörten, den sie [7] erreichen sollten. Jakob hatte die unglückliche Verbindung stets als eine Plage betrachtet, wovon sein ängstlich bewachtes Friedenssystem bedroht und seine stets sparsam gefüllten Kassen zum Oeftern geplündert wurden, und wenn er seiner Tochter diese beiden Belästigungen bisher verziehen hatte, geschah es immer nur in so fern, als das Unheil eines Krieges noch wirklich abgewendet worden war. In dem Augenblicke, wo seine sinkenden Lebenskräfte ihn herzloser und übellauniger, als je, machten, erbitterte ihn die Vorstellung, dem Kriege mit Spanien nicht mehr entgehen zu können, so heftig, daß er, getäuscht über die wahren Urheber desselben, sich durch die Vertheidigung Bristols, der ihm als ein solcher vorgespiegelt worden, wahrhaftig empört fühlte; zumal, da diese Vertheidigung von einer Prinzessin ausging, von welcher er stets, in trüber Vorahnung, die Veranlassung zu einer Katastrophe erwartet hatte, die ihn jetzt eben durch ihren Schützling erreicht zu haben schien. Er hörte daher nicht auf, sich auf das Lauteste über die Mahnungen der Pfalzgräfin zu beklagen, und es konnte Niemandem entgehen, daß diese Bemühungen die Sache des Grafen noch mehr verdarben.
So wenig nun unter diesen Umständen sich ein Weg zu öffnen schien, dessen Verfolgung günstigere Resultate hoffen ließ, war doch Graf Archimbald eben, wie Richmond, entschlossen, festen Fußes das bestrittene Feld zu behaupten, da es außer allem Zweifel blieb, daß London und der Hof, bewacht in allen seinen Abwechselungen, Gelegenheit geben müßte, die nie aufzugebende Sache an ein klareres Licht zu ziehen.
So blieben Beide freiwillig von Godwie-Castle getrennt, während der junge Herzog, in einer stillen, leidend ruhigen Fassung, in dem Hause seiner nunmehr anerkannten Braut in London, seine Zeit in gleichem Antheil dem Kummer seiner Familie, wie den Pflichten seines Berufs widmete.
[8] Die jüngere Herzogin begriff unter den offen daliegenden Ursachen des Kummers alle Empfindungen ihres Herzens, wie manches ihnen auch beigemischt sein mochte, was sie sich oder Andern einzugestehen nicht geneigt war. Sie hatte sich mit der Angelegenheit der angeblichen Gräfin Melville seit ihrer freiwilligen und heimlichen Entfernung von Burtonhall für abgefunden erklärt, und sich, wie ihren Umgebungen, mit der ihr eigenen Art, welche keine andere Meinung aufkommen ließ, jede weitere Nachforschung nach dem fernern Aufenthalte nach Ergehen derselben untersagt. Der Name des liebenswürdigen Wesens war daher in den einst von ihr belebten Räumen verklungen, oder wurde nur schüchtern in den langen Wintergesprächen der Dienerschaft erwähnt, welche alle dem gütigen Fräulein zugethan verblieben.
Lord Bristol hatte die endlich geöffneten Gemächer des verstorbenen Herzogs bezogen, und sein rastloser Geist war hier mit der Abfassung von Memoiren beschäftigt, die sein reiches und einflußreiches diplomatisches Leben betrafen. So sich in die Vergangenheit vertiefend, behielt er doch seine gegenwärtige Stellung unverrückt im Auge, und auf die Liebe des Königs zu ihm bauend, die er einst so vollständig besessen, ging sein lebhafter Wunsch dahin, sich auf irgend eine Weise ihm nähern und sich vor ihm selbst vertheidigen zu können.
Eine einzige Vertraute dieses Wunsches gab es für ihn; dies war seine Tochter. Wie sonst bei Lebzeiten ihres Gemahls, ruhte die Herzogin heute in dem Lehnstuhle, dem Arbeitstische ihres Gemahls gegenüber, von welchem her jetzt das ernste, gefurchte Antlitz des Vaters zu ihr blickte, um dessen hohe Stirn die Locken des starken Haares, von dem Reife des Alters gebleicht, sich majestätisch bauten und den erhabenen Eindruck seiner ganzen Erscheinung zu krönen schienen.
[9] Ich habe meinen Namen vor England nicht zu vertheidigen, meine Tochter, setzte er gelassen ein mit ihr geführtes Gespräch fort, und hätte ich es, so würde, nach menschlicher Wahrscheinlichkeit, die Zeit nicht aus bleiben, wo es geschehen könnte; aber zu jener Rechtfertigung, nach der, ich gestehe es Dir, mein Herz sich sehnt, dazu möchte es bald an der Zeit sein, oder für immer zu spät. Mein theurer, daß ich es sagen muß, mißleiteter König ist am Ende seiner Tage. Soll er sein Auge schließen, ohne es noch einmal versöhnt und wohlwollend auf seinen treuen Diener, den er einst seinen Freund nannte, gerichtet zu haben?
Er hatte sich während dieser Worte erhoben und schritt gedankenvoll durch das kleine Gemach.
Sein stolzes Haupt hatte sich nachdenkend auf seine Brust gesenkt, seine Armen lagen gekreuzt über einander.
Die Herzogin begleitete ihn mit den ausdrucksvollen Blicken, die ihr so eigen waren, wenn sie sich einen Gegenstand bis zur Klarheit ausdachte, und hier verfolgte sie den Gedanken, daß die persönliche Ungnade des Königs, der Gespiele, Freund und Vertrauter ihres Vaters gewesen, dem dieser mit grenzenloser Hingebung und einer an Enthusiasmus grenzenden Liebe gedient, dies edle Herz tiefer verwundete, als eine öffentliche Anklage, an die Niemand im Ernste glaubte, wenn auch sie zu widerlegen, außer dem Interesse der Mehrzahl lag.
Sie hatte die ruhende Stellung aufgegeben, Gedanke an Gedanke, beflügelt von der Liebe zu dem edeln, innigverehrten Vater, ordneten sich in ihrem Kopfe und rötheten das blasse, zusammengefallene Antlitz mit einem Anhauche früheren Glanzes.
Nun wohl, theurer Vater, so lasset uns handeln! sprach sie endlich und erhob sich, lebhaft vor ihn hintretend. Die Witwe des Herzogs von Nottingham ist nicht vom Hofe verbannt, ihr wird der Zugang nicht verwehrt sein zu den Stufen des [10] Thrones. Lasset Eure Tochter als Euren Boten voran nach London eilen, diese wankenden Knie werden sich leicht beugen, um für den Vater Gerechtigkeit zu erflehen, und Jakob wird die Tochter hören, die von dem Herzen des Vaters zu dem seinigen reden will. Ich fürchte diesen Buckingham nicht, und Ihr wißt, setzte sie stolz hinzu, ich habe ihn nie gefürchtet; auch ist ja meine Sendung eine Sendung des Friedens! Möge England ungewiß bleiben, ob Jakob versöhnt ist mit seinem edelsten Diener; seid nur Ihr es nicht länger, sei nur von diesem Herzen der Schmerz genommen, der es jetzt ergriffen hält.
Bristol betrachtete seine Tochter; ein sanfter Ausdruck glitt über seine bekümmerten Züge und seine Arme lösten sich, die Hände der Tochter zu ergreifen.
Ich danke Dir, Arabella, für den warmen Antheil, den Du mir bewahrt hast, sprach er sanft, aber vielleicht bedarf ich ihn nicht, um Dich einem so ungewissen Unternehmen auszusetzen, dessen Mißlingen Dich tiefer verletzen würde, als Du berechnen kannst. Diese ersehnte Zusammenkunft ist vielleicht nicht mehr fern, und ich war eben gesonnen, Dich auf meine mögliche kurze Entfernung vorzubereiten, welche mit einem mir gemachten Vorschlage, den König zu sehen, zusammenhängt, und welche den Bewohnern dieses Schlosses zu deuten, ich Deiner Klugheit überlassen muß.
Und habe ich so viel Anspruch an Euer spätes Vertrauen, verehrter Herr, um hier mehr als ein blinder Hüter Eurer mit Fremden verabredeten und mir bis jetzt so wohl entzogenen Pläne zu sein? sprach die Herzogin, sich nach ihrem Sessel zurückziehend.
Ja wohl, Fremde! seufzte hier Lord Bristol schwer auf, denn in England scheint kein Herz mehr nach dem Takte alter Ehre und alten Rechtes zu schlagen, sondern, wie die Furcht das feige Blut regiert, im jähen Wechsel von Hast und Gleichgültigkeit.
[11]Die Hülfe, die man mir beut, sie kömmt von jenen, die aus dem Untergange meiner lang gepflegten, für England segensreichen Pläne ihre eigenen aufblühen sehen. Richelieu bietet sich zum Vermittler an, durch Richelieu's geheimen Einfluß soll ich den König sehen. –
Richelieu! rief die Herzogin, in der Ueberraschung ihre Empfindlichkeit vergessend, Richelieu, der Jesuit! der Feind aller Freiheit, aller Tugend! Euer Feind, so lang Ihr England mit Spanien zu vereinen strebtet, er, er würde Euern Einfluß zu heben suchen, nachdem ihm durch Euren Sturz der beste Vortheil ward, und er begierig mit Eurem Feinde Buckingham die Bande schürzte, die auf immer Alles trennen, was Ihr mit langer Weisheit in andrer Richtung angeknüpft! Vater, wollt Ihr mich glauben lehren an den Ruf, der Richelieu zu dem verschlagensten Staatsmanne Europa's stempelt! Wenn er Euch zu täuschen wüßte, glaube ich an Alles!
Eben weil ich Dich als so rasch in Urtheil und Aeußerungen kenne, erwiederte Lord Bristol, entzog ich Dir, wie Du bestätigst, nicht ohne Grund, die langsam entstehenden Beweggründe, die endlich mich zu diesem Punkte führen konnten; doch weiß ich, die Ueberzeugung wird Dir bald nöthig sein, daß Dein in den Wegen der Politik grau gewordener Vater nicht jetzt in die Schlingen eines französischen Kardinals gefallen, sondern daß hier zum ersten Male der Fall eingetreten ist, daß Beide in einem Interesse handeln.
Da die Herzogin ihn nicht unterbrach, fuhr Graf Bristol fort: Was ich zum Wohle des Ganzen mit Spanien so sorgfältig angesponnen, ist unwiderruflich dahin. Frankreich hat mit neidischen Augen eine Verbindung betrachtet, welche England einen überwiegenden Einfluß auf alle europäischen Beschlüsse verhieß, und wohl wissend, von wem dieser Plan ausging und geleitet ward, und wie nach ihm Keiner ihn führen [12] könnte, war ich seinen geheimen Machinationen unaufhörlich preisgegeben. Alle Schwierigkeiten des römischen Hofes wurden von Frankreich geleitet und scheiterten allein an dem seltenen persönlichen Verhältniß, welches zwischen mir und Philipp bestand, und mein einfaches Wort höher gelten ließ, als alle Intriguen des ehrgeizigen Kardinals. Daß aus der unbegreiflichen Versöhnung des Prinzen mit Buckingham diese verderbliche Reise entstehen dürfte, die Alles vernichten mußte, das lag außer der Berechnung selbst der kühnsten Wünsche Frankreichs; doch ward es eben so schnell zu dessen Vortheil benutzt, wie es außer meinen Kräften lag, es unschädlich zu machen. Eine wunderbare Erscheinung in der Welt hat sich hier wiederholt, daß oft die Weisheit durch die Schellenkappe von ihrem Throne gejagt wird, um das Laster darauf zu krönen. Was Richelieu nicht zu hintertreiben gelang mit dem ganzen drohenden Apparate des römischen Hofes, das gelang dem wahnsinnigen Uebermuthe eines boshaften Thoren, der vielleicht in toller Laune seine Schuhschnallen gegen diese Verbindung gewettet hatte. So brutal, so planlos, so ohne Hehl seiner bösen Absicht trat dieser Mensch auf, und dennoch so unwiderstehlich, da er kein Mittel scheute, um gerade das zu zerstören, worauf Alles beruhte: Treue und Glauben an englische Redlichkeit und reine Sitte. –
Und der Prinz? rief die Herzogin. Nie werde ich das Räthsel lösen können, was er uns dabei aufgiebt. Nicht hoch ist meine Meinung von ihm gewesen, sie ist gerechtfertigt; seine erste Handlung zeigt ihn als einen Mann ohne Haltung, ohne Güte und wahres Ehrgefühl. Wie konnte er je die Hand Buckinghams ergreifen, die sich einst freventlich gegen ihn erhob, und sich von allen denen wenden, für die er früher nur zu leben schien.
Der Prinz, erwiederte Bristol, zeigt sich freilich abweichend von dem, was früher wir von ihm erwarten durften; aber ehe [13] ich Dir beipflichte, müßte ich ihn näher beobachten können. Ganz rechne ich seinem Karakter diese Verwandlung nicht zu; es liegt hier irgend ein äußeres Anreizungsmittel zum Grunde, das bis jetzt zu erforschen mir nicht gelang. Doch leider ist so viel gewiß, daß, seit er in Deinem Gemahl sei nen guten Engel verloren, er in die Gewalt eines bösen Geistes gerieth, der mindestens seine Handlungen der Welt entstellt wiedergiebt. Vielleicht hätten wir den Schlüssel zu allem diesem, wenn Dein Gemahl Zeit behalten hätte, mir den Grund seiner Reise nach Spanien zu entdecken; daß sie vom Prinzen veranlaßt war, ist das Einzige, was mir klar geworden.
Wunderbar, sagte die Herzogin düster vor sich hin, er hat ihn mir mißgönnt vom ersten Augenblicke an, er hat ihn mir entzogen, so viel er vermochte, er hat ihn mir endlich für immer geraubt!
Bristol umging es, diese bittere Anklage seiner Tochter durch Widerspruch zu schärfen, und sie abziehend, führte er die abgewichene Unterredung auf ihren Anfang zurück.
Frankreich hat einerseits erreicht, was es wollte, aber indem es an die Stelle der Infantin die französische Prinzessin gesetzt, betrachtet es schon voll Argwohn denjenigen, durch dessen wahnsinnigen Eifer dies erreicht ward. Die Prinzessin soll eine Abgesandte Richelieu's werden, ihr unbestrittener Einfluß auf den Prinzen muß gesichert werden, und schon wird Alles in Bewegung gesetzt, Buckingham zu stürzen oder ihm ein Gegengewicht zu geben, und somit ist Richelieu darauf bedacht, mich an das Interesse der Fürstin zu knüpfen, durch sie mich mit dem Hofe zu versöhnen und Buckingham entgegen zu stellen. –
Verzeiht, erwiederte die Herzogin, hier kalt ihn unterbrechend, wenn ich Euch dies Mal nicht verstehe. Einfach, wie Ihr mich erzogen, habe ich von keinem andern Wege, Glück [14] und Gunst zu erlangen, Begriff bekommen, als von dem offenen Wege des Rechts. Durch eine Kabale Richelieus den Platz Euch wieder gewinnen zu sehen, den Euch vor ganz Europa eine Ungerechtigkeit zu rauben wagte, darauf wäre ich nicht verfallen; freilich, die einfache Bitte einer Tochter um Gerechtigkeit für ihren Vater könnte den stolzen Kardinal beleidigen, indem der Erfolg seine feinen Pläne zu übereilen drohte.
Arabella, sagte Bristol, indem er das gesenkte, strenge Antlitz der Tochter lächelnd betrachtete, Du bist dieselbe noch, wie damals, als Du in dem großen Thurmzimmer auf dem alten Stammschlosse der Digby, eine echte Erbin ihres stolzen Blutes, mit dem Filetstock Deinem Vater drohtest, wenn er in Deinen Plänen, die Welt zu beherrschen, einige Abweichungen anzurathen wagte. Ohne Zwang bist Du erwachsen, ohne Zwang geblieben bis jetzt; schön und vollständig ist Deine Natur entwickelt, sich selbst Gesetz geworden. Mir schien es stets der einzige Weg, die tiefe Leidenschaftlichkeit Deiner stolzen Natur in sich selbst sich bezwingen zu lassen, und viel hast Du wahr gemacht, was das Vertrauen des Vaters Dir übertrug; was damit nicht erreicht werden konnte, soll mich nicht überraschen, denn ich stellte es stets in Zweifel.
O Vater, rief die Herzogin, sich seinen Augen entziehend, es steht nicht wohl, die zu schelten, die, müde von Schmerz und Täuschung, ungleich in ihrem Innern bewegt von Gleichgültigkeit gegen sich selbst und heißer Liebessorge für die Ihrigen, das einfache Recht zu ihrer Richtschnur wählt. –
Auch schelte ich nicht, noch weniger zürne ich Deinen raschen Worten, doch hüte Dich, wie eben jetzt, den verletzten Stolz, der Dich hier so selbst erhoben richten läßt, nicht zu verwechseln mit dem rührenden Bedürfniß nach einfachem Recht.
[15] Die schöne Seele, die nur darnach lechzt, sie verfehle vor allen Dingen nicht, sich selbst zu prüfen, ob sie rein genug gestimmt war, um Recht von Unrecht rein zu scheiden.
Wenn ich die schmutzige Hand ergreife, die sich mir bietet, wer zweifelt, und vor Allem, warum zweifelst Du, daß es ein Opfer ist, was ich in höherer Absicht bringe? Die Feinde meines Vaterlandes stehen an dem Fuß des Thrones, verloren ist die Hoffnung Englands, verloren der Prinz, bleibt er in den Händen Buckinghams. Mir fehlt, um die Ketten, worin er langsam eingeschmiedet wird, zu brechen, jetzt die Kraft.
Hat Richelieu sich verrechnet, indem er sie für mich zu brechen sucht, ich habe ihn nicht getäuscht, er kennt mein Leben, es trägt keinen Hauch von Selbstsucht; unvorenthalten blieb es ihm, daß dieses Herz nichts eingebüßt von seiner warmen Liebe für England und sein erlauchtes Herrscherhaus. Das Antlitz, was ich wirklich trage, hat Richelieu als Maske vorgenommen; er spricht von Sorge für England und seinen Thronerben, ich empfinde sie; er heuchelt mir Vertrauen, als ob ich allein das Unheil hindern könnte, und ich fühle in Wahrheit dazu die Kraft, den Willen. So reden wir dieselbe Sprache; er die Sprache, die mich täuschen soll, um mich als vorläufiges Mittel gegen Buckingham zu gebrauchen, ich die Sprache der Ueberzeugung und des Herzens, an die er keinen Glauben hat, die er für Verstellung hält, da er nie eine Beleidigung vergeben würde, wie ich sie erfuhr, und da er wähnt, ich trachte nur nach einem Standpunkt des Herrschens, entfernt von dem Platz, wo ich Ehre und Ruhm erlangte.
Dem Könige mich zu versöhnen, lag außer seinem Willen, und hält er es für eine Grille, die mich ihm fast verächtlich macht, daß ich auf der Versöhnung mit einem für ihn völlig abgethanen, leeren Greise so ernst bestand; und doch war, diese zu bewirken, meine erste Bedingung. Ich erwarte [16] die Nachrichten, die mich von hier abrufen sollen mit jeder Stunde. –
Am Abende desselben Tages hielt an derselben Treppe der Terrasse, welche einst den leblosen Körper der unglücklichen Maria trug, ein kleiner Trupp wohl bewaffneter Reiter mit einem leeren Handpferde. Aus dem italienischen Flügel glitt der Schein eines wandernden Lichtes an den Fenstern vorüber, bis es verschwand. Bald öffnete sich eine kleine Pforte nach der Terrasse hin. Eine hohe männliche Gestalt, in einen Mantel gehüllt, trat hervor, legte den Weg bis zur Treppe schnell zurück, rief dort ein fremdes Losungswort, welches sogleich erwiedert ward, stieg die Treppe hinab und bald verklang der Hufschlag der schnell davon eilenden Rosse in den hart gefrornen Wegen des Waldes.
Die Herzogin von Nottingham brachte ihrer Schwiegermutter am andern Morgen, in Gegenwart ihrer Tochter und der versammelten Dienerschaft, die Empfehlungen des Grafen von Bristol, welcher sich auf einige Tage nach Digby-Castle begeben. Sie trug dabei jene kalte abweisende Miene, welche ihre sanfte Schwiegermutter nie zu verändern versucht hatte, und die alle Uebrigen wie durch eine Mauer entfernt hielt, und so zog ein düsterer Schleier mehr sich um die einsamen Bewohner des in Nebel gehüllten, von Stürmen umwehten Schlosses.
Noch ein Mal sollte das alte Whitehall, das, seit die Gesundheit des Königs immer mehr zu sinken begann, verödet war, den Glanz und das Gepränge einer Hofceremonie erleben.
Buckingham hatte trotz des Widerstandes des fast sterbenden Jakobs es durchgesetzt, in einer feierlichen Audienz, im Angesichte aller Großen des Reichs, vom Könige selbst als [17] Stellvertreter des Prinzen von Wales zur feierlichen Vermählung mit Henriette von Frankreich dahin abgesendet zu werden.
Es war allein eine Befriedigung seiner Eitelkeit, welche ihn dies Opfer von dem kranken Könige erzwingen ließ, und die Freude an den mißlaunigen Gesichtern der Lords, die zu seinem Triumphe erscheinen mußten, und denen jede Miene des übermüthigen Mannes zurufen sollte: Ihr empfangt durch mich Eure Königin!
Fast hätte er gewünscht, Bristol aus seiner Verbannung erlösen zu können, um ein Zeuge des Triumphes über ihn zu sein. Das Hotel des Herzogs glich einem Markte, auf dem alle Erzeugnisse der Kunst und des Luxus in der größten Auswahl und Schönheit aufgestellt waren, bewacht und mit ängstlicher Sorgfalt dem Momente aufgehoben, wo ein Blick des Wohlgefallens, ein Neigen des Hauptes, Dies oder Jenes zum Eigenthum des Herzogs machen würde. Er versagte den Tage lang Harrenden oft diese ersehnte Ehre, obwol er täglich zwischen ihnen durch nach seinen Zimmern ging, so hartnäckig, daß sie ihm nicht an ders vorzukommen schienen, als die leblosen Figuren in den Tapeten der Wände. Keiner wagte ihn zu erinnern, daß sie lebten und litten, Keiner der Ehre und Vermögen zugleich an selten verlangte Gegenstände und deren glücklichen Verkauf geknüpft hatte, durfte um Gehör bitten, wenn er nicht erleben wollte, vertrieben, vielleicht ohne seine Güter aus dem Raume gejagt zu werden, welchen einzunehmen, Allen schon zur Gunst angerechnet ward.
Die großen Säle des Erdgeschosses waren in Packhäuser umgewandelt, und die kostbarsten Silber-Services, die seltensten Geschirre aller Art, um ein glänzenden Haus von wenigen Wochen in Paris zu machen, wurden hier zum Transport über das Meer eingerichtet.
[18] Nur Maxwell, der die Launen seines Herrn oft durch eben so hartnäckige zu vertreiben wußte, ließ sich mit seinen Anträgen, bei dem Ankauf neuer Stickereien und Juwelen zu den zahllosen prachtvollen Kleidern nicht so zurückweisen, und eine kurze Audienz, die der mächtige Kämmerling forderte, nöthige dem Herzog seine Meinungen ab.
Diesem ganzen wüsten Treiben, welches der großen Katastrophe der Abreise voran ging, fehlte zur höchsten Ungeduld des Herzogs noch immer die eine Person, von der er sich selbst und alle seine Angelegenheiten am liebsten beherrschen ließ, wenn ihm dazu selbst die Laune verging.
Dies war Lord Membrocke. Längst war die Zeit vorüber, welche ihn zurückführen mußte; aber weder von ihm selbst, noch von dem Verlauf seines Auftrages waren Nachrichten eingetroffen, und die Boten, welche Buckingham nach dem Schlosse gesendet, welches er für den Empfang seiner Nichte einzurichten befohlen, waren alle mit der Meldung zurückgekommen, daß man dort noch immer die fremde Dame erwarte und von Lord Membrocke keine Spur sich gezeigt habe.
Buckingham würde nicht gezweifelt haben, daß Membrocke seine Nichte entführt habe, hätte er nicht gewußt, daß derselbe zu einer solchen romanhaften Entschließung überhaupt zu gleichgültig und bequem sei, und am wenigsten in einem Augenblicke sich dazu hinneigen würde, wo er ihm die Aussicht zu einer der glänzendsten Reisen an seiner Seite eröffnet und hiermit seiner einzigen Leidenschaft, seiner grenzenlosen Eitelkeit, das weiteste Feld zur Ernte dargeboten hatte.
Buckingham war in der seltenen Lage, Geduld haben zu müssen, und dies brachte ihn jeden Tag, wo er durch irgend eine Toiletten-Bagatelle an Membrocke's Abwesenheit erinnert ward, ein paar Mal in die entsetzlichste Wuth, worin er ihn verwünschte, die größten Züchtigungen und Kränkungen ihm [19] verhieß, bis er es wieder vergessen oder ein paar neue unnütze Boten abgesendet hatte, die den frühern Bescheid wiederholten.
Es war am Tage vor der großen Audienz in Whitehall, als die Thür des Kabinets sich öffnete, in dem der Herzog mit Maxwell rathschlagte, und Membrocke mit seinem eigenthümlichen eleganten Anstande und mit der Sicherheit einer vollkommen gerechtfertigten Erscheinung hereintrat.
Maxwell sah voll Erstaunen, wie Buckingham in seine Arme flog, ihn herzte und küßte, und nicht glücklich genug sich preisen konnte, daß er eben heute komme, einen Tag vor der Audienz, die er jetzt mit der größten Geläufigkeit ihm zu schildern begann. Alle dabei gehofften Triumphe, von der lächerlich dargestellten Angst des alten Königs bis zu dem Wamse und den Juwelen, die ihn dabei zieren sollten, wurden aufgezählt, und er ruhte nicht, bis er, voll Sorge, Membrocke's Toilette würde nicht glänzend genug dabei erscheinen, ihm von seinen fertig daliegenden, noch ungemachten Stickereien aufgenöthigt hatte, was sich dazu eignete, den Glanz seines Begleiters zu heben.
Wer Beide beobachtete und die früheren Ausbrüche des leichtsinnigen Herzogs vernommen, mußte glauben, er supplicire um die Freundschaft und Verzeihung Membrocke's, und dieser sei der Beleidigte und Zürnende; doch nur augenblicklich. Wer wie Maxwell seinen Herrn kannte, den konnte es nicht befremden, denn so beherrschte ihn stets der Augenblick.
Jahrelang konnte er Menschen und Verhältnisse verfolgen, und mit allen Fäden der feinsten und boshaftesten Intrigue umspinnen, und in demselben Augenblick, wo er die verschlagensten Pläne ersonnen, zerstreuten ihn bis zur kindischsten Sorglosigkeit und Albernheit die kleinsten Interessen der Geselligkeit und Eitelkeit.
Dagegen trat Membrocke, der sich in seinem Betragen gegen ihn eine gewisse vornehme Zurückhaltung zum Grundsatz [20] gemacht hatte, mit einer sehr merklichen Verstärkung dieses Wesens vor ihm auf, so daß es endlich der Herzog, aus seiner Zerstreuung zu sich kommend, wohl merken mußte. Sogleich, wie vom Blitz von dem Gedanken getroffen, daß er ihm habe zürnen wollen, sprang er auch im Nu in diese Stimmung über.
Ha, Mylord, rief er, hochroth vor Zorn, ich verstehe jetzt, warum Ihr ansteht, Euch freundlich und offen zu betragen; Ihr fürchtet die Rechenschaft, die Ihr mir abzulegen habt. Sprecht augenblicklich, wo habt Ihr sie? Was habt Ihr gewagt gegen meinen Willen zu thun? Ha, gegen meinen Willen! Ihr sollt es fürchterlich beklagen, – gegen meinen Willen! Bösewicht! Verräther!
Halt! überschrie Membrocke die wüthende Stimme des Herzogs und drückte den Andringenden so überlegen zurück, daß jener mit versetztem Athem inne halten mußte. Ich bin nicht gesonnen, hier in Eurem Kabinette eben so der Spielball Eurer ungezogenen Launen zu sein, wie Ihr bei der Angelegenheit mit dieser Dame gewagt habt, mich außer diesem Hause umher zu jagen. Von Euch begehre ich Rechenschaft! Warum habt Ihr diese Dame, die ich als ein wahrer Edelmann geschützt und behütet habe, meiner Sorgfalt entzogen? Warum mich auf das Unnützeste umherziehen, Euch überall vergeblich erwarten lassen? Bis ich endlich, gegen Euern Willen ohne Zweifel, den einzigen mir zusagenden Ausweg ergriff, hierher zu gehn und von Euch selbst Rechenschaft zu begehren. Ihr erwartet ein freundliches Gesicht, da ich Euch in tiefem Frieden mit Euch selbst beschäftigt finde, wahrscheinlich ohne Gedanken daran, daß Ihr mich umher jagtet, fast bis zum Augenblicke, wo Euer mir gemachtes Reiseanerbieten nicht mehr ausführbar gewesen wäre und das Meer uns zu trennen die Güte gehabt hätte.
Nein, nein! rief Buckingham hier, ernst und besorgt blickend, es ist Alles nicht so, wie Du sagst. Laß uns das [21] Geschwätz von Vorwürfen enden, damit wir zur Wahrheit kommen; es ahnet mir, wir sind beide betrogen, und eine Verständigung unter uns ist nöthig. Nimm mein Wort, Du hast seit meinem letzten Briefe zu Burtonhall keinen weitern Auftrag von mir erhalten. –
Aber drei Mal die Chiffern, die Deinen bestimmten Willen andeuten, welche ein Mal mich Deine Nichte in andere Hände übergeben ließen und zwei Mal mich zu vergeblichen Rendezvous führten. –
Wir sind betrogen! fuhr Buckingham wild auf. Wo sind die Chiffern? Man hat Dich getäuscht. Voll Ungeduld habe ich die Anzeige Deiner Rückkehr und der Sicherheit Deiner Schutzbefohlenen abgewartet. Erzähle schnell! Eben so schnell müssen die Mittel ergriffen werden, dies Bubenstück zu entlarven. Ha, von woher kann mir dies kommen? Glaubst Du von den Nottinghams? Doch nein! Sie hätten sie Dir mit dem Degen in der Faust abgenöthigt, größere Feinheiten kennen sie nicht.
Auch haben sie nicht unterlassen, diese Feinheit gegen mich zu versuchen, und nicht ich habe es gehindert, sondern Deine erhabene Nichte selbst. –
Sie selbst? schrie Buckingham, halb lachend; hattest Du sie schon am Angelhaken Deiner schönen Augen? Wie, Du hast gewagt, sie in Dich verliebt zu machen? –
Ich würde es nicht gehindert haben, sei gewiß, wenn meine Reize dies Wunder bewirkt hätten. Doch dies Mal kann ich bei meiner sonstigen ziemlichen Wahrnehmung aller Schattirungen weiblicher Entzückung, die meine unwiderstehliche Person hervor zu rufen vermag, nicht anders, als eingestehn, daß ich auf den ersten, schwachen Anfang vergeblich gewartet habe. Sie hat mich vom ersten bis zum letzten Augenblick mit Mißtrauen behandelt, und nur ihre unbegreifliche Klugheit lehrte [22] sie, während der Reise ihr hochmüthiges Zurückstoßen in eine kalte Höflichkeit umzuändern, womit sie mir die einzige Gelegenheit zur Vertraulichkeit abschnitt; denn ich hatte mich jetzt nicht einmal über irgend etwas gegen sie zu beklagen. –
Ganz natürlich, fiel Buckingham hier ein, Deine unbegreifliche tolle Art, ein Verhältniß mit ihr anzuknüpfen, mußte diesen Phönix, in dessen Adern das stolzeste Blut von England fließt, empören und Dir den Stab brechen. Weiberkenner! spottete er, dies Mädchen war zu hoch für Deine verbrauchten Theorien!
Thor, rief Membrocke ärgerlich, hättest Du mir neue Lehren geben wollen? Sie gehörte nicht zu denen, die ich durch Launen, Uebersehn, Quälereien und einen eingestreuten Sonnenblick der Anbetung besiegen konnte; sie hätte das Alles nicht bemerkt, und ihre unbegreifliche Hoheit – ich muß es Dir gestehn – machte sie von Niemand abhängig. Aber wenn ich sie nach dieser Ueberzeugung unter die zweite Rubrik der Frauen stellte, mußte ich aus meiner Gemächlichkeit heraus, und ihr Verzweiflung, Wahnsinn, bleiche Wangen und todte Augen zeigen. Ha, hätten Euer Liebden bessern Rath gewußt? Ich habe noch keine Frau gekannt, die dies lange mit ansah und nicht wenigstens durch einen holden Blick voll Theilnahme lindern wollte; keine fast, die mit diesem ersten Blicke, den ich blos der Tugend und Menschlichkeit verdankte, nicht mein Eigenthum geworden wäre.
Diese armen Kreaturen fühlen sich so gering, und sehen uns so allgewaltig und unabhängig über sich, daß sie dem Wahnsinn nahe kommen, wenn wir den Glauben in ihnen erwecken, unser Leben, unser Glück, hänge an der Richtung und dem Schimmer ihrer schönen Augen. Habe ich etwa Unrecht? Kanntest Du eine Tugend, die nicht eben dieser ihrer Tugend zum Opfer ward? –
[23] Aber meine Nichte, lachte Buckingham, meine Nichte! Hat der erhabene Kenner weiblicher Herzen, vor dem ich armseliger Schüler mich beugen muß, hat er eine dritte Rubrik für die Nichte des stolzesten Herzogs erfinden müssen? Was sagte sie zu dem Fußfall, zu dem Wahnsinn, zu den bleichen Wangen und todten Augen?
Membrocke riß ärgerlich den Mantel um die Schulter, und sich im Sessel dehnend, rief er: So viel un nütze Bemühung! Sie schalt mich wie einen Schulknaben und sah mich später so wenig an, daß es gleich war, ob ich roth oder blaß aussah. Hätte ich Kühneres gewagt, sie hätte ihren Hund auf mich gelassen und die kleinste Unbesonnenheit brachte mich gleich in Gefahr, den tugendhaften Nottinghams verrathen zu werden; denn ihr Widerwillen, mir nur ein heimliches Wort zu gönnen, war durch die größte Zurückhaltung nicht mehr zu überwinden.
Göttlich, göttlich! rief Buckingham und rieb sich voll Freude die Hände, als ob er nicht grade das Gegentheil gewollt, und mit dem tollsten Leichtsinne Ehre und Tugend seiner Nichte an den verdorbensten Mann, den er kannte, gewagt hätte. Aber, rief er plötzlich, nun mußtest Du Gewalt gebrauchen, sie zu entführen, oder sollte sie dem Briefe gefolgt sein?
So war es, erwiederte Membrocke. Sie glaubte früher nicht an meine erdichtete Verbindung mit ihrem in ein fabelhaftes Dunkel gehüllten Oheim; aber der unbegreifliche Umstand, daß sie seinen Namen nicht kannte, nachdem ihr die Nachforschungen der Nottinghams bewiesen, es sei kein Graf von Marr, machte sie empfänglich für den Namen Saville, den ich unterschob, da ich vermuthen mußte, die Familie könne ihn gelegentlich bezeichnen, als in Bristols Angelegenheiten bös verwickelt. Mißtrauen gegen mich und Furcht, den zu verrathen, den sie anbetet, und den ich bei ihrem ersten Worte an die Familie zu entdecken drohte, hielten sich die Waage und ließen sie allein [24] dies Einverständniß mit mir ertragen; aber unmöglich wäre es mir geworden, sie auf mein Wort zu einer Flucht zu bewegen. Da kam der Brief! Erschüttert ward sie gewaltig bei seinem Anblick, aber es blieb etwas in ihr zurück. Die Handschrift hatten wir getroffen, nicht so den Ausdruck, die Art und Weise, woran sie gewöhnt war. Ihr Gefühl ward dadurch unterbrochen, zurückgedrängt, doch – lache nur ihrer Unschuld! – das Siegel des Ringes entschied. Sie weiß noch nicht, daß man auch unfreiwillig durch Ringe solche Zeichen versenden kann.
Genug, dies war seine Hand. Sie ließ sich seitdem von mir leiten. Auch sagte sie mir später, bemüht, mich zu ihrem eigenen Trost zu rechtfertigen, die Frau Herzogin selbst habe den Namen Saville in einer Unterredung mit Lord Richmond als einen Feind des Grafen Bristol bezeichnet. Du kannst denken, daß sie überzeugt war, den rechten Weg zu gehn, denn sie bestand den harten Kampf gegen Richmond und Ormond, welche uns verfolgten, ihre Flucht zu vertheidigen und sich in ihrer Gegenwart aufs Neue meinem Schutze zu übergeben.
Die Tugendhelden zogen ab, drohend und lärmend und von meinem Betragen, welches Kälte und Ruhe leicht zu spielen hatte, aufs Aeußerste verletzt.
Sie hatten mir doch Schaden gethan; denn da ich mich den ganzen Tag von ihrer Sänfte entfernt gehalten, sagte man mir am Abend, die Lady sei krank. Sie hatte ein brennendes Fieber, und ich war froh, sie der Hülfe jener Abigail überlassen zu können, deren Haus wir bald erreichten. Dort kostete sie mir eine schlaflose Nacht; denn sie schien todtkrank, und ich glaubte unsere Reise unterbrochen. Gleichwol ließ sie mich am andern Morgen rufen. Ich fand sie zwar bleich und mit verweinten Augen, aber völlig angekleidet und zur Abreise fest entschlossen. Ja, sie dankte es mir sogar, als ich ihr bald darauf meldete, daß die Abreise vor sich gehen könne. Obwol [25] sie sichtlich litt, that sie sich doch die größte Gewalt an und bestieg sogar für die Hälfte des Tages ihr Pferd, welche Bewegung, so wie der Genuß der freien Luft ihr sehr wohl that.
Wir hatten am Abend Sir Patricks Schloß erreicht, wo sie sich, wie immer, nur um Ruhe und Alleinsein bittend, zurückzog. Als ich am Abend aus den innern Gemächern Patricks trete, schlüpft eine kleine graue Gestalt über die Gallerie und übergiebt mir einen Brief. Er war von Dir! –
Nein, nein, er war nicht von mir! schrie Buckingham. –
Eine Deiner unverschämten Chiffern. –
Und welche? rief Buckingham gespannt. –
Sieh und gehorche! Darunter von fremder Hand, daß ich die Lady zur selben Stunde an Patrick übergeben solle, mit dem Befehl, den Begleitern, die Du am andern Morgen senden würdest, sie auszuliefern; ich aber solle schnell in demselben Augenblick aufbrechen, und mich nach Rodwic-House begeben, wo ich Dich selbst in dringender Angelegenheit finden würde. –
Und Du warst wahnsinnig genug, dies zu thun? schrie Buckingham außer sich; war es doch meine Handschrift nicht, wie konntest Du Dich so betrügen lassen?
Und wann hättest Du Dich je herabgelassen, Deine Befehle selbst zu schreiben? erwiederte Membrocke finster. Wie oft habe ich solche thörichte Botschaften erhalten, wie oft hast Du wiederholt, daß diese Botschaften mit einer der bekannten Chiffern Deiner Unterschrift gleich geltend wären? Hast Du in Thorheit und Leichtsinn sie verrathen, so trage nun die Strafe dafür, denn gewiß ist es, mehrere, wo nicht gar alle sind verrathen. Mich wenigstens haben drei umhergeneckt, aus einer Gegend des Königreichs in die andere, nach langem Harren wieder weiter, bis ich endlich selbst der Sache müde ward und, ohne mich an etwas anderes zu kehren, hierher kam.
[26] Fort, zu Patrick! schrie Buckingham, mit beiden Beinen aufspringend; laß Surveillant rufen, augenblicklich muß er fort, und Patrick soll her, lebend oder sterbend, gleich viel; alle Chiffern sollen ins Feuer! Ueberall sollen sie eingetauscht werden, wir müssen neue erfinden. Wer, wer hat dies gethan, wer hat dies wichtige Geheimniß errathen können, das nur wir beide wissen?
Wer sagt Dir, erwiederte Membrocke, daß die Nottinghams Dir nicht auf der Spur sind? Glaubst Du, sie verkennen die Wichtigkeit der Person, wenn sie Ahnung oder Gewißheit haben?
Ich glaube es nicht, sagte Buckingham abweisend, dies ist eine Weise, zu der sie kein Geschick haben und daher die hohe Miene der Gradheit annehmen, wohinter jeder Dummkopf seine Beschränktheit verstecken kann. Sie hätten in Corpore eine Audienz gefordert, das Knie gebeugt und in Demuth gesprochen: Wir hatten die Ehre, einer Tochter Euer Gnaden das Leben zu retten, Lord Membrocke hat sie uns aber gestohlen, und so weiter und so weiter. Jetzt, glaube nur, schweigen sie aus Hochmuth; sie schämen sich des ganzen Abenteuers. Aber laß mich jetzt, besorge Dir anständige Kleider und versuche es, des Glanzes nicht unwürdig zu erscheinen, der morgen mich umstrahlen wird. O könnte ich morgen Bristol eine Stunde hier haben zum Zeugen dieser Audienz! Jetzt, jetzt nehme ich den Platz bei der schönen Henriette von Frankreich ein, den er schon mit einem Fuße bei seiner steifen Infantin inne hatte.
Es wird Zeit sein, sagte Membrocke phlegmatisch, nach Orklei-Street zu fahren, Lord Marcliff hält dort ein Wettrennen zu Pferde, ich habe für ihn Partie genommen.
Ich kann nicht sagen, ob ich Zeit finden werde, an morgen zu denken, Lady Hiacinthe will mich nach ihrem Landhause nehmen. –
[27] Und ich massakrire Dich, wenn Du nicht morgen erscheinst, wie ich will, rief Buckingham dazwischen und drohte Membrocke nach, der sehr anmuthig grüßend langsam aus dem Zimmer entglitt.
Wenn Buckingham nicht fest überzeugt gewesen wäre, daß kein Mann der Erde sich ihm vergleichen könne, er würde einem argwöhnischen Gefühl nicht haben entgehen können, indem er Lord Membrocke am Tage der Audienz in einer so sorgfältigen und berechneten Toilette wiederfand, daß Lady Hiacinthe wahrscheinlich allein nach ihrem Landhause gefahren war, um der hierzu erforderlichen Geistesanstrengung Raum zu lassen.
Doch Buckingham, voll kindischer Eitelkeit für sich selbst, übertrug diese auf seine Lieblinge, die er blos als Staffage ansah, als Träger des von ihm selbst abfallenden Glanzes. Und so lachte er vor Freude über Membrockes Galanterie gegen ihn, wie er's auslegte, und rief ihm blos eine Kondolenz für Lady Hiacinthe zu, die Membrocke mit einem so freundlich zerstreuten Gesicht anhörte, als läge ihm das Verständniß allzu fern.
Doch Buckingham hatte sich verrechnet, wenn er sich als den Augenpunkt der ganzen Versammlung dachte. Er empfing durch die grausame Härte, womit er den todtkranken König herausgerissen, seine Strafe. Sein böses Fieber hatte den König lang von dem Anblick aller seiner Unterthanen getrennt, und sein Erscheinen unter ihnen erregte eine Theilnahme, einen Schmerz, der um so heftiger wirkte, da Alles sich hier zu einem Triumph des gefährlichen Mannes vereinigt sah, der als Quäler und Beleidiger des geliebten Monarchen angesehen ward. Entsetzlich war die Blässe seines Gesichts und die Abzehrung seiner Gestalt. Seine Schwäche machte ihn unfähig, allein sich aufrecht zu erhalten. Der Prinz von Wales stützte ihn, während Jakob nur zuweilen die müden Augen umher warf, und dann mit seiner alten, steifen Art die Hand ausstreckte und mit den [28] Fingern sonderbar schnippte, was aber Alle, die ihn kannten und liebten, als freundlichen Gruß wohl verstanden, und was eine größere Bewegung unter ihnen hervorbrachte, als die rührendsten Worte es vermocht hätten.
So ward aus dem glänzenden Triumphe Buckinghams eine höchst rührende Abschiedsscene von einem König, der viel Liebe genoß, und den man um so trauriger scheiden sah, als mit ihm nicht zugleich der scheiden wollte, den zu lieben, man als seinen einzigen Fehler, zumal in einem Augenblick, ansah, wo der Alles versöhnende Tod über der widerstandlosen Gestalt des alten Königs schwebte.
Jeder erinnerte sich einer von ihm empfangenen Güte. Was man getadelt, seine Liebe zum Frieden, seine oft spöttelnde Gelehrsamkeit, seine Toleranz gegen die Katholiken, Alles diente jetzt zu seinem Lobe, und um die allgemeine Rührung und den Schmerz zu motiviren, den der Anblick der menschlichen Hinfälligkeit, ungeschützt von Purpur und Krone, einem Jeden hervorrief. Die zahlreiche, glänzende Versammlung drängte sich dem Throne zu, Jeder wollte noch einen Blick haben oder seine Hand, sein Gewand küssen; Jeder kehrte mit Thränen sich weg, und Buckinghams Augen, welche allein trocken blickten, sahen nur erweichte, traurige Menschen, die wenigstens auf einen Augenblick unempfindlich geworden waren für den Neid und beschämten Stolz, womit er sie sämmtlich zu peinigen gehofft.
Uebereilt, gedrängt und fast unbeachtet ging die eigentliche Audienz vorüber, und sonderbarer Weise schien ein unbedeutendes Ereigniß mehr Antheil zu erregen, als dieser lang vorbereitete Pomp. Einen Augenblick frei stehend, sein Gefolge hinter sich lassend, trat der französische Gesandte noch ein Mal dem König nah und bemächtigte sich seiner Hand, indem er ihm zwei Worte leise zuflüsterte. Der König stieß ihn fast zurück, krampfte die Hand, die der Gesandte losließ, schnell [29] zusammen und steckte sie in sein Wams. Im selben Augenblicke kniete ein Jüngling, an der Hand des Gesandten, vor dem Könige nieder. Lord Richmond Derbery, sprach der Gesandte ziemlich laut; der König hörte seine Worte theilnehmend an und legte, wie zum Segen, die Hand auf sein Haupt. Aber dann zog er beide Hände ängstlich in die Höhe, der Prinz von Wales trat hinzu, und der Gesandte, wie Lord Richmond traten in die Menge zurück.
Wüthend über die ganz mißlungene Audienz und von unbestimmten Ahnungen bei dem eben Geschehenen ergriffen, stürzte Buckingham von der Thür zurück, wohinter der König verschwunden, und gerade auf Richmond zu, welcher, wie vorbereitet, festaufgerichtet den Herzog zu erwarten schien.
Uebermüthiger Mensch, was habt Ihr gewagt, Euch zu erlauben? Mit welchem Rechte nahmt Ihr für Euer armseliges Interesse den wichtigsten Augenblick einer Stunde in Anspruch, die mir allein gehörte? Entschuldigt Euch, damit ich vergesse, daß Ihr zu den Knaben einer Familie gehört, die ich hasse und verachte. –
Blickt umher, Herr Herzog, sagte Richmond kalt, ohne seine Stellung zu verändern, Euch gehörte diese Stunde nicht allein. König Jakob hat sie allen seinen Edeln geschenkt, und ich habe einen Theil erhalten, den Ihr mir nicht rauben könnt, der auch nicht gegen Euch der Entschuldigung bedarf, am wenigsten von Einem aus dem Hause Nottingham, wo die Knaben früh zu Männern werden.
Ha, Kind! lachte Buckingham, kannst Du Deinen Degen heben, oder hat ihn Dir die Mutter mit Seide in der Scheide festgenäht? Ha, Kind, antworte doch!
Ihr wißt, sagte Richmond, daß Ihr jetzt nur eine Antwort verdient, die mir diese heiligen Mauern nicht zu geben erlauben; aber nehmt es hin, da Ihr es wollt: Der ist feig, der da reizt, wo er unverletzlich ist!
[30] Ha! schrie Buckingham, außer sich vor Wuth, und Beide hatten die Hände am Degen und traten sich mit blitzenden Augen gegenüber, aber mit Gewalt trennten die Andern sie, und der Prinz von Wales stand plötzlich unter ihnen, und rief laut und streng: Der König befiehlt Frieden und Ruhe!
Schon hatte der französische Gesandte, der dem Prinzen zur Seite erschien, Richmond entfernt, und Buckingham ward ebenfalls hinweg gedrängt.
Noch hingen die dicksten Nebel gleich grauen Vorhängen vom Himmel herab und hüllten die frühe Morgenstunde des folgenden Tages in ihr trübes Licht, als ein kleiner Trupp wohlbewaffneter Männer vor einem Brückenthor anhielt, welches einen Seitenflügel des alten Schlosses von Whitehall mit dem untern Theile der Stadt verband. Einem Pfeifchen wurden in bestimmten Absätzen drei Töne entlockt, und bald hörte man Tritte über die Brücke nahen, die Thüren drehten sich langsam auf, und den stillen Gruß still erwiedernd zogen die Reiter über die Brücke in den Hof, der hier zunächst von den Stallgebäuden umschlossen war.
Man stieg ab, und drei von den Männern folgten dem Thorwart in den mittlern Eingang, während die Zurückbleibenden die Pferde bei Seite führten, ohne sie abzuzäumen. Durch mehrere alte Theile des Schlosses führte sie eine breite Treppe auf eine Gallerie, welche, vernachläßigt, von Staub und abgefallener Stuckatur verunstaltet, in ihrer früheren Bestimmung wohl nicht diese Vernachläßigung erlitten hatte.
Durch diese Gallerie, sprach einer der Männer, ging ich zu meiner ersten Audienz bei der Königin Elisabeth. Dies war damals der Haupteingang; und nicht wahr, wir kommen [31] hier in ihr Bibliothekzimmer? fragte er, sich zum Thorwart wendend.
Euer Gnaden zu Befehl, erwiederte dieser. Hier pflegte die erhabene Frau zuweilen, mit einem Buche die Bibliothek verlassend, lustwandelnd auf und nieder zu gehen, während oft die höchsten Personen fremder Länder hinter den kleinen Fensterchen lauschten, die, sonst klar und heller, als jetzt, von den äußern Vorzimmern hierher die Aussicht öffneten; und sie war so gnädig, darauf Rücksicht zu nehmen, und zeigte sich oft, gar prachtvoll, wie ihrer Schönheit es am besten stand, gekleidet.
Mit einem leichten Zucken der Achseln schritt der Fragende weiter; der alte Kastellan öffnete nun die kleine, spitze Thür, und sie traten in den weiten Raum, an dessen Wänden zwar noch die in Eichenholz gearbeiteten Bücher-Nischen sich zeigten, aber leer von den Schätzen, welche Elisabeth mit so großem Nutzen darin gesammelt.
Hier behielten die Wanderer Zeit zu ihren Betrachtungen, denn ihr Führer verließ sie, und sie folgten ihm nicht. Der ältere der Anwesenden näherte sich dem hohen, schmalen Fenster, welches nur matt durch seine kleinen Scheiben den trüben Tag einließ, und an dessen tiefer Nische der hohe eichene Sessel stand, an dessen Seitenlehnen durch einen ziemlich rohen Mechanismus ein Pult eingeschraubt war, das man von sich schieben und nach sich ziehen konnte. Lange blieb er schweigend davor stehen.
Wie viel große und weise Bestimmungen sind von diesem rohen Gestelle für mein theures Vaterland ausgegangen, sprach er dann, zu seinen Begleitern gewendet. Wer könnte sich der Wohlthaten bewußt sein, die ihr großer, ihrer Zeit vorangeeilter Geist über England ausgeschüttet, und noch der Schwächen gedenken wollen, die ihre Zeit leichter auffaßte, als ihre Größe, da jene ihr gemeinsames Theil waren, und zu dieser sie erst heranreifen mußte, um sie zu verstehen. Nur Eins, nur Eins [32] aus Deinem Leben weg, und Du wärest rein, ein Gipfel aller Herrschergröße!
Aber er hat Dir auch dies vergeben; er konnte nicht Dein Nachfolger sein, nicht überall die Spuren Deiner Größe auf seinem Wege finden, ohne nicht deshalb Dir zu vergeben. Bald, fuhr er fort, aus seinem Selbstgespräche erwachend, bald werdet Ihr Euch wiederfinden und rein verständigen, wenn Wiederfinden nicht zu den frommen Träumen gehört, die den Reiz der Erde zu Gunsten des Himmels entkräften sollen. Wie scheint mir jede Hoffnung längerer Erhaltung des königlichen Lebens zu schwinden, wie treulos war es, ihn der Qual des gestrigen Tages auszusetzen. –
Ja wohl, Mylord, erwiederte hier der Zweite sehr lebhaft; und wie viel Uebermuth, wie viel Gewalt-Bewußtsein gehörte dazu, dies durchzusetzen; wenn wir den Herzog tadeln, der ewig uns zu tadeln giebt, erleben wir nichts Neues. Doch nicht zu übersehen bleibt, daß dem König ein Sohn, wie es scheint, vergeblich an der Seite lebt. Warum, muß man sich mit Erstaunen fragen, warum geschieht, was ein Wort aus seinem Munde unbezweifelt hindern konnte. Sollte der Herzog auch diesen Mund nicht mehr zu fürchten haben? Dann, Mylord, liegt freilich ein unabsehbar weites Feld trübseliger Befürchtungen vor England und allen denen, die durch Verwandtschaft bald nurein Interesse mit ihm haben sollen. Was meint Ihr, Mylord, was ein Gesandter Frankreichs nach dem gestrigen Tage zu berichten habe?
Gewiß wird er den Verlauf des heutigen Morgens abwarten, ehe er die Depesche siegelt, erwiederte der Aeltere lächelnd; denn schwerlich möchte der gestrige Tag ihm Notizen zu etwas Neuem, seinem Hofe Unbekanntem, geliefert haben. Auf alle Fälle würde ich aber als französischer Gesandter der königlichen Prinzessin von Frankreich den Rath geben, nichts Anderes an [33] dem Hofe ihres Gemahls sein zu wollen, als eine gute Hausfrau, ja, ich glaube sogar, es war dies der Rath, den der spanische Gesandte in London der damals verlobten Infantin gab, und das auf Anrathen eines in Spanien anwesenden Engländers.
Nun in Wahrheit, lachte der Andere, es wäre dem französischen Gesandten zu rathen, daß er nie einen andern Rath befolgen möchte, als den des braven Engländers, der sicher sein Terrain kannte. –
Wenn der Erfolg entscheiden soll, so hätte er es schlecht gekannt, und ihm wäre wenig zu trauen. –
Und dennoch wage ich es mit ihm, rief der Andere mit Wärme, näher tretend; sein Stern steht noch über England, und sein Wohl ist an ihn geknüpft; nur war es des Himmels Wille, daß er nicht Spanien, sondern Frankreich leuchten sollte.
Eine kaum merkliche Verbeugung ward durch den schnellen Eintritt eines alten Mannes unterbrochen, dessen kleine, feine Gestalt und saubere Kleidung den wohlbekannten Master Porter, den Kämmerer des Prinzen von Wales, anzeigte.
Während der Aeltere sich zurückzog, trat der Zweite schnell ihm entgegen. Master Porter, rief er, ich hoffe, Ihr bringt uns gute Nachrichten.
Dies zu beurtheilen, würde über mein Verhältniß hinausgehn, erwiederte Porter, sich tief nach allen Richtungen verneigend; ich kann blos sagen, daß Seine Majestät entschlossen sind, im Bette den Herrn Gesandten zu sprechen, und daß die Herren, die ihn begleiten, sehr leicht in einem Vorzimmer Zutritt erhalten können, wenn der Herr Gesandte sie für sein Gefolge erklärt.
Schon gut, Alter, schon gut! Wir wollen diese Erklärung abgeben, lachte der heitere Marquis; aber was meinst Du, werden wir sicher sein?
[34] Der Alte griff schnellend mit der Hand in die Luft und lächelte ein wenig. Ich glaube, der Herr Herzog zürnen etwas mit Seiner königlichen Hoheit, dem Prinzen, und erwarten seinen Besuch wegen der Vorfälle bei der Audienz, die mein gnädigster Herr zu mißbilligen geruht haben. Ich habe in einer halben Stunde die Ehre, den gnädigsten Prinzen zu Seiner Majestät zu begleiten; vielleicht befehlen mir der Herr Marquis, den Prinzen auf die Gegenwart Euer Gnaden vorzubereiten.
So ist denn Alles, wie wir es nur wünschen konnten; lasset uns eilen, theure Lords, rief der Marquis, sich zum Weggehen anschickend.
Bitte unterthänigst zu bemerken, sprach Porter mit etwas zähem Tone dazwischen, daß wenig auf die Launen des Herrn Herzogs zu rechnen ist, daß wir zur Bewachung der Vorzimmer Niemand stellen durften, um nicht unnützes Aufsehen zu machen. Mein gnädigster Herr, der Prinz, würde es aber niemals vergeben, wenn durch ein unerwartetes Eindringen des lebhaften Herrn Herzogs eine neue Erschütterung des Königs erfolgen sollte, da mein gnädigster Herr die des gestrigen Tages schon mit großer Bekümmerniß sah und den Herrn Herzog bis zu seiner Abreise entfernt zu halten wünscht. Sollten der Herr Marquis dazu Jemand ersehen, würde ihn die Vollmacht des Königs berechtigen, im ersten Vorzimmer einem Jeden den Eingang zu verweigern.
Machet mich zum Riegel an der Thür, Herr Marquis, sprach jetzt der Jüngere der Begleiter, und er wird halten, bis Ihr selbst ihn wegschiebt.
Junger Mann, lachte der liebenswürdige Marquis, daß Ihr, von Stahl und Eisen, leicht Funken sprüht erlebte ich schon gestern, aber mir wäre in Wahrheit um ein so edles Metall leid, es dem Zerbrechen auszusetzen. Ihr fordert einen gefährlichen Posten.
[35] Ich suche die Gefahr nicht und habe Euch gestern wenig kaltes Blut gezeigt, ich weiß es, ohne es zu bereuen, erwiederte Jener; aber es gilt heute ein höheres Interesse, als mich gestern beherrschen konnte, leichtsinnigem Uebermuthe gegenüber. Ihr sollt, im Falle es gilt, auch mein kaltes Blut kennen lernen.
Vertraut ihm, sagte der Aeltere, ich weiß, er wird können, was er verspricht. –
Wohlan, so zeigt uns den Weg, denn die Hintertreppen in Whitehall hat meine französische Verschlagenheit noch nicht erspäht.
Aber um Gott! lieber Marquis! rief der alte König aus seinem Bette dem eintretenden Gesandten entgegen, ich fürchtete mich gestern nicht vor Euch, aber sehr sonderbar war es doch, daß Ihr meine Hand so öffentlich ergriffet, und zwar, wie mich dünkt, sehr gegen die Dehors, die man einem königlichen Haupte schuldig ist, obwol ich sehr geneigt bin, Euch als Repräsentanten meines nächsten Verwandten, meines Bruders von Frankreich, anzusehen.
Und dieser thut hiermit für seinen ungestümen Gesandten Abbitte, sprach der Marquis; denn mein königlicher Herr war es, der mir diesen Schritt befahl, und auf dieser Unterredung habe ich bestanden in sei nem Namen. Geruhen Euer Majestät, aus meinen Händen dies Privatschreiben meines gnädigen Herrn zu empfangen.
Er kniete nieder, es ihm zu übergeben. –
Ich bitte Euch, mein lieber Marquis, steht auf, ich bitte Euch; ich erlaube Euch zu sitzen und bin sehr erfreut über die Freundschaft meines königlichen Bruders, aber nicht sehr über [36] dessen Mittheilungen hinsichtlich des armen Jungen, des Buckingham, gegen den Alle böse sind, außer mein Kronprinz und ich. Euer Zettelchen hätte mich fast böse gemacht auf Euch, und ich denke, Ihr wollt ihn selbst hören, er wird sich sehr zu rechtfertigen wissen. Denn daß er den Bristol nicht leiden kann, ist blos Liebe zu mir, weil Bristol mich betrogen, mir den Krieg gebracht, mit dem Feinde konspirirt und die beste Partie in Europa für meinen Prinzen hintertrieben, was gottlos und schändlich ist, da mir Bristol lieb war, wie mein Auge im Kopfe, und mein ältester Freund.
Der König gerieth hier in ein kurzes Schluchzen, dessen erste Laute der Marquis abwartete und dann schnell in die Klagen des Königs eingriff:
Euer königlichen Majestät zu beweisen, daß der Herr Herzog von Buckingham die Sache falsch angesehen hat und sehr geneigt war, diesen alten Freund Euer Majestät nicht neben sich in dem Herzen zu dulden, davon hat mein königlicher Herr unumstößliche Beweise erhalten. Es war ihm daher unmöglich, zuzugeben, daß Euer Majestät gekränkt würden durch den Verdacht gegen einen alten treuen Diener, den der Herr Herzog vielleicht aus eifersüchtiger Liebe zu Euer Majestät zu verstärken trachtete.
Ja, ja, da habt Ihr Recht, sagte der alte König, nachdenkend; Steeny, wie ich den Buckingham wohl nenne, liebt mich zu sehr, er könnte wohl ein bischen eifersüchtig sein.
Aber, verstärkte der Marquis die Wirkung, wenn diese Schwäche auch um des erhabenen Gegenstandes willen verzeihlich scheint, was muß der treue Diener leiden, der von Jugend auf Euer Majestät mit Leib und Leben gedient, wenn er das Opfer dieser Eifersucht würde? Und so ist es mit Euerm Bristol, gnädigster Herr! Er verschmachtet, getrennt von Euch, ohne den Trost Eurer Gnade, die das Sonnenlicht seines ganzen Lebens war.
[37] O, Herr Gesandter, rief der alte König, und sein Gesicht zuckte vor Rührung, Ihr sprecht sehr gut, aber Ihr seid sehr eingenommen für den Lord. Mein Lebelang habe ich Gerechtigkeit geübt, auch war es zum ersten Male, daß Bristol gegen mich gefehlt. Ich werde Buckingham bitten, mir die Wahrheit zu sagen, und verhält es sich so, ist mein lieber alter Bristol mir treu gewesen, dann soll er seinen alten König wieder finden. Und hört, Herr Marquis, wir könnten uns viel erzählen aus der alten Zeit, gute und schlechte Tage haben wir erlebt; hatte ich nichts, da stand Bristols Kasse offen, nachher konnte ich nicht Alles lohnen; seht, es hat mir immer geahnet, es möchte so ein bischen von Buckingham herrühren, daß mein alter Bristol plötzlich ein Verräther sein sollte. Aber läßt er sich wohl bedeuten? Gleich wird er wüthend, tobt und tollt, wie ein Kind, und der alte Bristol glaubt es doch nicht, daß ich ihm zürne. Mit dem Grämen, Herr Marquis, da ist es nur nichts, das bildet Ihr Euch ein, weil Ihr nicht wißt, was wir für alte Freunde sind. –
Und wenn es nun doch so wäre, Euer Majestät, wenn es dem alten Lord am Leben nagte, daß sein königlicher Freund ihn nicht mehr vor sein Antlitz läßt, daß er nicht noch einmal das Wort des Vertrauens und der Güte hören soll, was von seiner Jugend her ihn ermuntert hat zum Leben und Wirken für seinen königlichen Herrn; wenn der Gram darum sein Haupt bleicher gefärbt, als seine Jahre, und die Ruhe der Nächte sich in dem Wunsche verzehrt, noch ein Mal die Hand seines Herrn zu küssen, wie dann, Euer Majestät?
O, ich bitte Euch, lieber Herr Marquis, haltet mich doch nicht für so hart und böse, gern würde ich ihn wiedersehen, besonders wenn er, wie Ihr im Namen meines königlichen Bruders von Frankreich mir versichert, wenn er unschuldig ist; aber Ihr seht selbst ein, daß das gar nicht möglich ist, denn [38] wenn es Buckingham hörte, – und ihm bleibt nichts verborgen, – wenn er hörte, Bristol wäre hier gewesen, Ihr könnt denken, was dann nicht allein ich und mein Prinz leiden würden, sondern auch Bristol. Er schlüge ihn todt, wo er ihn fände, und seine Einwilligung zu diesem Wiedersehn gäbe er nie, da ich ihn nun einmal habe verbannen müssen. Denkt, daß Ihr selbst nur durch eine List bei mir seid, die mich zwar gestern in der Audienz sehr erschreckte, die ich aber Euch gern verzeihe, um Euers Eifers willen für meinen alten Freund Bristol.
Der Marquis fühlte sich von dem Anblick dieses kranken, schwachen Mannes bewegter, als er geahnt. Sein gutes Herz und sein sanfter Sinn war so eingeschüchtert, daß er keinen Begriff mehr von seiner ihm zustehenden Gewalt hatte und, ganz zum Kinde geworden, die Zuchtruthe des übermüthigen Günstlings mehr, als jede andere Regung, fürchtete.
Und dies, sagte er endlich, sich zusammen nehmend, soll mein Bescheid sein? Der Bescheid, auf den Bristol mit banger Sorge harrt! –
Ich verspreche Euch, lieber Marquis, ich werde Alles außerdem in Ueberlegung nehmen, und meinem alten Bristol sagt nur, – denn Ihr, schlauer Herr, steht doch mit ihm in Verbindung, – ich lasse ihm sagen, er solle sich nicht grämen; denn wenn er unschuldig ist, wie ich gern glaube, so habe ich ihn eben so lieb, wie vorher. Auch soll er nur sich Zeit lassen, wir versöhnen uns schon noch einmal! Freilich, setzte der alte König nachdenklich hinzu, von seiner verfallenen Gestalt, gutmüthig lächelnd, zum Marquis aufblickend, freilich, viel Zeit haben wir dazu meinerseits nicht mehr!
O, rief der Marquis, überwältigt von Rührung, so benutzen Euer Majestät diesen freien, sichern Augenblick! Ja, ich stehe mit ihm in Verbindung, unter dem Schutze Frankreichs, den ich für ihn in Anspruch nehme, führte ich ihn hierher, im [39] Nebenzimmer harrt er. O sprecht ein Wort, und er liegt zu Euern Füßen! –
Um Gott, was ist das! Hülfe, Hülfe! Verrath ich bin verloren, man gebraucht Gewalt! Steeny! Steeny! Baby! zu Hülfe, zu Hülfe! So schrie der alte König, indem er die Decken seines Bettes in seiner trostlosen Geistesverwirrung sich vorhielt!
Der Marquis hatte Ueberwindung nöthig, diesen fast widrigen Zustand gelassen anzusehen: er faßte sich aber, entschlossen, sein Werk zu vollenden.
Ich muß Euer Majestät erinnern, hob er mit feierlicher Stimme an, daß hier vor Euch der Gesandte Frankreichs steht, beauftragt von Dero königlichem Bruder, Euer Majestät eine Bitte in Bezug auf den Grafen von Bristol vorzutragen. Es sind weder Mörder, noch Verräther, die zu Euer Majestät reden; mein Auftrag ist ein Werk des Friedens.
Nun, nun, sagte der König, zu sich kommend und etwas beschämt, ich verstehe wohl, und ist mir einen Gesandten zu empfangen, nichts Fremdes. Er schob sich unruhig in seinem Bette umher, und seine Augen irrten immer nach der Thür hin, durch die der Gesandte eingetreten. Endlich sah er ihn lächelnd an und winkte ihm näher. Leise sagte er dann: Ist er wirklich da?
Der Marquis bejahte es.
Nun hört, sagte er, freudig mit den Augen blinzelnd, dann laßt ihn ein Augenblickchen herein, ehe es Jemand sieht, und haltet Wache, hört Ihr!
Der Marquis flog in das Nebenzimmer. Der große Augenblick war gekommen, wonach Bristols Herz so innig sich gesehnt, es sollte geschehen. Der Marquis eilte auf ihn zu, und den Mantel selbst von seinen Schultern ziehend, rief er: Glück auf, er ist versöhnt! Doch, setzte er wehmüthig hinzu, [40] faßt Euch, und vor allen Dingen begnügt Euch mit seiner wieder aufgelebten Liebe, vertheidigt Euch nicht! Er versteht Euch nicht, und Ihr verliert die Zeit!
Wehmüthig drückte Bristol die Hand des Marquis und trat schnell in das bekannte Zimmer seines Königs.
Ein ununterbrochenes Weinen, mit Worten vermischt, drang aus dem Bette des Königs ihm entgegen. Aber Bristol kniete vor seinem kaum noch kenntlichen Könige, dessen physisches und geistiges Hinscheiden ihm schmerzlich beim ersten Anblicke einleuchtete, mit derselben Verehrung nieder, wie einst vor den Stufen des Thrones, als er diesen noch in seiner höchsten Kraft besessen.
Der König neigte sich über ihn und legte seine Hände zärtlich auf sein Haupt. Bristol wagte nicht zu sprechen, er ehrte, selbst allzu sehr erweicht, die Bewegung des verehrten Monarchen.
Sprich nur, Digby, sagte dieser endlich gefaßter, Du hast Deinen König nicht zu fürchten; denn ich glaube es dem guten Marquis, daß Du mich nicht hast verrathen wollen.
Da sei Gott vor! sprach Bristol und hob sein Haupt frei in die Höhe, daß ein Tropfen Blutes in diesen Adern flösse, der gegen meinen gnädigen Herrn sich auflehnte; Bristol hätte ihn selbst mit der Spitze seines Degens hervorgelockt. –
Ich dachte es wohl, mein alter Freund! Aber Du weißt wohl, die Jugend will immer klüger sein, und ich muß Dir im Vertrauen sagen, alles, was Du mit der Infantin damals abgeredet, war mir doch lieber, als was mein lieber Steeny jetzt mit der Französin vor hat. Indeß sehe ich ein, daß, da es die Infantin nicht sein konnte, uns nur diese königliche Prinzessin noch übrig blieb, und immer bleibt gegen Steeny's Eifer nichts zu sagen, wenn er auch darin zu weit gegangen ist, Dein Verdienst schmälern zu wollen. Doch bitte ich Dich um meinetwillen, [41] halte Ruhe und gieb nicht zu, daß aufs Neue Streit entsteht. Sieh, Bristol, ein Anderer wird bald an meiner Statt sein, und ihm werde ich Dich empfehlen, aber meine Stunden sind gezählt, und gern möchte ich sie ungestört haben. –
Und nimmer sollen durch mich diese kostbaren Stunden, die Gott verlängern mag, gestört werden, erwiederte Bristol, tief gerührt von dem völlig wieder erlangten Vertrauen des theuern Königs. Ich habe nur einen Wunsch gekannt, er war, mit meinem Könige versöhnt zu sein und noch einmal voll Vertrauen die Hand küssen zu dürfen, die huldvoll über mein ganzes Leben reichte.
Du hast Recht gehabt, dies zu wünschen, und Du hast dadurch Deinem alten Freunde wohlgethan. Sie sagen, mein böses Fieber sei jetzt zu Anfang des Frühjahrs heilsam; aber dies gilt nur für die Jugend, ich weiß es besser. Gestern, das war meine letzte Audienz! Bald hoffe ich, setzte er mit Andacht und Ruhe hinzu, vor dem Audienz zu haben, welcher der König der Könige ist. Im Ganzen, Bristol, fürchte ich ihn nicht. Denn ob ich gethan, was möglich war auf meinem Platze, das kann nur der wissen, der allein meine Kräfte richtig zu schätzen weiß; aber selten habe ich unterlassen, was ich als Recht erkannte, und wenn Du mir verzeihen willst, alter Freund, dann denke ich, wird mich ein mildes Gericht erwarten. –
Bristols lange unbenetzte Augen flossen hier über; schluchzend drückte er sein Gesicht in die fieberheiße Hand des Königs und stöhnte schmerzlich: O mein König, mein theurer Herr, muß ich noch lange nach meinem theuern Könige leben, so wird jeder Hauch Dank und Liebe für ihn sein; aber vielleicht vereinigt mich Gottes Hand bald wieder mit dem, dem ich hier ausschließlich meine Kräfte weihte.
Ja, sieh, mein Freund, fuhr der König fort, und immer freier und ruhiger ward sein Ausdruck, wenn wir reif sind, [42] hier aufzuhören, das sagt freilich kein Mensch dem andern voraus, aber es giebt etwas in unserm Innern, welches zum Wegweiser dient nach jener Welt; das Leben löst sich von uns selbst ab, es schrumpft zusammen, wir sehen es in allen seinen Theilen verkleinert, wie aus weiter Ferne! Dann, glaube mir, ist es Zeit, da oben wird es weiter und größer, und der Trieb, der uns Zeitlebens beherrscht, dahin zu wollen, wo wir uns freier bewegen können, der führt uns zuletzt ohne Scheu über die Grenze hinüber. Sie ziehn noch an mir herum, und Jeder will etwas anders, und ich will nichts als Ruhe, um sterben zu können; da denke ich, es wird nicht mehr viel schaden, was ich zugebe, und der da oben macht es wieder gut, wenn es meinem armen Lande Schaden bringen sollte. Ich empfehle Dir meinen Kronprinzen. Du weißt am besten, was für Prinzipia wir befolgt haben, es könnte ihm Noth thun. Bleibe ihm zur Seite, das heißt, wenn Du mit Buckingham versöhnt sein wirst, wozu ich Dir Glück wünschen will; aber ich sage Dir, was er sich einmal in den Kopf gesetzt, das hält er fest, ich könnte Dir viel davon erzählen, ohne ihn deshalb verkleinern zu wollen.
Jetzt stutzte der König und hielt inne, denn ziemlich vernehmlich ward im Nebenzimmer gesprochen; man unterschied die kalte und etwas abstoßende Sprache des Prinzen, und die helle und lebendige Stimme des Marquis.
Der König ward etwas roth, während er horchte, dann schien er sich zu beruhigen. Leise und heimlich ein wenig lächelnd, sagte er: Steeny ist nicht dabei, der wäre schon hereingebrochen; Karl ist aber ein guter Sohn, er wird seinen alten Vater nicht betrüben wollen. Doch höre, Lieber, Du thust mir zu Gefallen ein bischen blöde und stellst Dich hinter den Bettvorhang, nun höre, thue es!
Bristol litt empfindlich bei dem Gedanken, sich verbergen zu sollen; er stand mit gebeugtem Haupte, und ehe noch die [43] Bitte des Königs den alten Stolz überwinden konnte, öffnete der Marquis dem Prinzen die Thür, und beide traten ein.
Der Prinz hielt sich abgewendet von Bristol, als sähe er ihn nicht, und ging auf das Bett seines Vaters zu, ohne daß Bristol sich von seinem Platze geregt hätte.
Der König streckte ihm mit unruhiger Zärtlichkeit die Hände entgegen, die der Prinz in kindlicher Ehrfurcht küßte.
Mein lieber Sohn, mein theures Kind! Gott segne Dich dafür, daß Dein alter Vater Dein erster und letzter Gedanke ist; komm ganz nahe heran, setz Dich auf mein Bett, mein guter Sohn; – so redete Jakob seinen Sohn mit dem sichtlichsten Bestreben an, ihn durch Liebe und Freundlichkeit milde zu stimmen. –
Ich hoffe, mein theurer Vater befindet sich leidlich, und was hier in meiner Abwesenheit mindestens Unbesonnenes geschehen ist, hat, wie ich hoffen will, keinen Einfluß ausgeübt über die so leicht erschütterte Gesundheit Eurer Majestät. –
Gesundheit, Kind! lächelte der König, sieh, Kind, das paßt nicht mehr; wo ist hier noch Gesundheit? Und meine Krankheit, Kind, der wollen wir gern eine wohlthätige Erschütterung gönnen.
Wohlthätig, betonte der Prinz, wollte Gott, es gäbe eine solche; aber da ich sie nicht herbeiführen kann, werde ich jeden ohne Unterschied für eine nachtheilige verantwortlich machen.
Nun, nun, sagte der alte König etwas empfindlich, wenn Du erlaubst, mein Kronprinz, wollen wir selbst es noch übernehmen, unsere Angelegenheiten zu ver treten. Höre, Kind, so mußt Du mir nicht kommen, Frieden will ich haben, und Du wirst um meinetwillen ihn nicht mehr lange zu halten brauchen. Nun, setzte er schnell zu seinem gutmüthigen Tone zurückkehrend hinzu, ich habe Dir nichts Unangenehmes sagen wollen, mein Prinz, komm näher und thue mir die Liebe und vertrage Dich [44] mit dem, der hinter Dir steht und nach Deinem gnädigen Angesicht verlangt.
Mein gnädigster Vater, erwiederte der Prinz, ohne sich umzusehn, hat zu befehlen, wen ich sehn soll, und aus Gehorsam werde ich selbst das thun, was meinem Gefühl widerstrebt. Aber ich möchte es dem zu überlegen geben, der dies Opfer veranlaßt, ich könnte nicht immer in der Stimmung sein, mich dessen mit Nachsicht zu erinnern.
Höre, sagte der König, nach seiner Weise entrüstet, Du mußt nicht drohen, denn da Du bald König sein wirst, ist Dein Zorn viel fürchterlicher, wie der meinige. Abgesehen davon, wie er mir erscheinen muß, da ich Dein König und Dein Vater zugleich bin, sage ich Dir, mein Prinz, Du hast schon viel von unserm lieben Herzog gelernt, und obwol mir Eure Freundschaft lieber ist, als Eure Feindschaft vor der spanischen Reise, ist mir doch nicht sonderlich lieb, daß Du eben so störrisch wirst, wie Buckingham. Aber Du wirst jetzt gut sein, denn Du bist immer lenksamer, als Buckingham, gewesen. Drum bitte ich, mache mir die Freude und sieh Dich gnädig um.
Ich muß glauben, gnädigster Herr, sprach der Prinz im hartnäckigen Ton einer festgefaßten Meinung, daß der, den Ihr mir empfehlt, weder den Wunsch hat, meinen Blicken zu begegnen, noch den Muth des reinen Gewissens, mir, dem schwer Gekränkten, gegenüber zu stehn.
Doch diese Worte waren kaum ausgesprochen, als ein paar tönende Schritte den Grafen von Bristol vor den Prinzen führten, und ihn nach einer ehrfurchtsvollen Verbeugung ruhig und fest, wie in die Erde gewurzelt hinstellten.
Ich konnte in Demuth harren, sprach er sanft und ernst, so lang mein gnädiger König für mich sprach, aber ich kann nicht irren, wenn ich annehme, diese letzten Worte Eurer königlichen Hoheit waren an mich gerichtet. Ich bin hier, und der [45] Muth eines reinen Gewissens leitete den heißen Wunsch eines treuen Unterthanen, das Antlitz der hohen Herrscher in Gnade zu schauen, für die er redlich und treu gearbeitet, bis grausamer Verdacht seine Kräfte lähmte und sein Haar bleichte!
Der Prinz blieb vor seinem Anblick nicht ohne Eindruck. Dieser schöne Mann hatte so den unverkennbaren Ausdruck einer hohen Seele, daß es fast unmöglich war, an Verrath und bösen Willen ihm gegenüber zu glauben. Der Prinz entging diesem Eindruck nicht, und erwiederte fast unwillkürlich des Grafen Gruß. Aber wenn er auch nicht glauben konnte, er habe seine Verbindung mit der Infantin getrennt, war er doch von Buckingham so heftig bestürmt, ihn als den Urheber des Krieges anzusehn, und zuletzt so gegen den Grafen eingenommen worden, daß er sich fast angewöhnt hatte, die oft wiederholt gehörte Lüge wegen jener Verbindung, selbst gegen die Stimme seines Innern, als wahr ihm anzurechnen. So hielt der Eindruck der ehrwürdigen Persönlichkeit des Grafen gegen so viele eingeimpfte Täuschungen nicht aus, die überdies noch ein Unrecht verkleiden mußten und ein Geheimniß, dessen der Prinz sich bewußt war.
Ich darf jetzt nicht länger übersehn, Graf Bristol, sprach er kalt, daß Ihr es seid; doch wenn ich mich weigerte, Euch früher anwesend zu glauben, denke ich, bezeigte ich damit eben meine Ehrfurcht gegen den Willen des Königs, der Euch von London verbannte, wo ich Euch dennoch jetzt anwesend finde, ohne daß mir in dem Willen des Königs eine Aenderung bekannt ward.
Dieser Vorwurf Eurer königlichen Hoheit trifft mich um so schmerzlicher, erwiederte Bristol sanft, als ich ihn mir lange genug als Einwurf gegen die wohlwollenden Absichten meiner Freunde vorhielt. Aber möge ein sanfteres menschliches Gefühl die strengste Gerechtigkeit Eurer königlichen Hoheit unterstützen [46] und den Gründen Eingang verschaffen, die mich ungehorsam werden ließen.
Schon wandte sich der Prinz ungeduldig ab, aber der König, neugierig zuhorchend, bog sich mit dem halben Leibe aus dem Bette hervor und rief lebhaft: Erzähle, Bristol, erzähle, Du hast sicher gute Gründe, wenn Du mir ungehorsam warst, was Dir überdies schon vergeben ist, aber laß nur hören, wie das Alles zuging, ich hatte ganz vergessen, danach zu fragen.
Der Prinz blieb nun, aber mit allen Zeichen finsteren Widerwillens und trotz der Bitten des Königs, sich nieder zu lassen, steif von Bristol und dem Marquis abgewendet.
Als ich dem Befehl Eurer Majestät gehorchend, sprach nun Bristol zum Könige gewandt, mich von London entfernte und mich auf die Güter meiner Familie zurückzog, geschah es nur mit dem festen Willen, von der Gerechtigkeit Euer Majestät die Widerrufung eines Befehls zu begehren, der den unangetasteten Namen eines Mannes beleidigte, den Euer Majestät bisher durch die schwierigsten und gefahrvollsten Aufträge zu ehren gewußt hatten. Aber es war unmöglich, diese unablässig wiederholten Bitten, die in Demuth nur um Gelegenheit zu meiner Vertheidigung nachsuchten, bis zu Euer Majestät gelangen zu lassen; sie sind alle an dem bösen Willen gescheitert, mir diese meinen Feinden gefährliche Gunst zu versagen.
Mylord, sprach hier der Prinz heftig, es steht dem Angeklagten schlecht, anklagend aufzutreten und Mißtrauen als Vorbereitung einer sehr zweifelhaften Rechtfertigung redender Thatsachen auszustreuen.
Angeklagt, betonte mit hoher Stimme der Graf, angeklagt und ungehört, zurückgewiesen von dem Richterstuhle meines Vaterlandes, von dem Throne meines Königs! Angeklagt und vergeblich um Raum zur Rechtfertigung flehend. Ja, ich wiederhole es noch ein Mal, Graf Archimbald Glanford [47] brachte in meinem Namen drei Mal dieselbe Bitte vor; meinen König hat sie nicht erreicht.
Nein, nein! rief Jakob, es ist so, Carl; ich habe nichts erfahren, zu meinem großen Leidwesen! –
Da gab ich mich endlich dem großmüthigen Mitleiden des erhabenen Monarchen hin, der bald durch die heiligsten Bande dem Interesse Englands verwandt sein wird und jetzt schon mit wahrer Freundschaft ihm ergeben ist. Die Zerstörung der einst vortheilhaft genannten Pläne, die den mit niederriß, der sie in treuer Absicht eingeleitet, sie war der Anfang eines Glücks für Frankreich, worauf es zu viel Werth legt, als daß es nicht milde und theilnehmend für den fühlen sollte, der darunter gelitten.
Der Herr Marquis hat sich lange vergeblich bemüht, Gehör zu finden; die gestrige Audienz machte es ihm möglich, während er um die Gnade bat, den Grafen Richmond einzuführen, der für seinen Großvater um Gerechtigkeit flehte, Euer Majestät ein Papier einzuhändigen, welches von den vergeblich gemachten Versuchen benachrichtigte und diese Audienz für den Herrn Marquis erbat.
Ja, ja, sagte der alte König, das ist Alles so. Ein wenig auffallend war der Schritt, den mein lieber Marquis that; aber wahr ist es, und wir hatten nichts dagegen, auch ohne den Fußfall des jungen Lords, Deines Enkels, mein Bristol, hätten wir eingewilligt.
Aber diese Scene, sagte der Prinz, zum Marquis etwas bitter lächelnd, maskirte vortrefflich die Uebergabe Eurer Depesche.
Der Marquis lächelte, so unbefangen und höflich sich verneigend, als ob der Prinz ihm eine Galanterie gesagt hätte, und zeigte blos mit der Hand auf den entgegengesetzten Eingang des Zimmers, welcher nach dem Vorzimmer des Königs führte. Der Marquis hatte allein den wachsenden Sturm eines Streites [48] vernommen, welcher von daher immer heftiger sich hören ließ, und den er nicht ungern bisher von den drei lebhaft angehört Sprechenden überhört sah. Doch jetzt schien die Sache auf dem Punkte, wo er nicht sehr wünschen konnte, die Unterredung verlängert zu sehen; denn das Interesse Frankreichs an dem Grafen durfte nicht über die leichte Theilnahme menschenfreundlichen Wohlwollens hinausgehend erscheinen, und ein heftiger Schlag gegen eine Thür des Vorzimmers unterbrach jetzt Alle zugleich.
Da haben wir es, schrie der König ganz außer sich, das ist Buckingham! O mein Gott, ich armer, alter Mann, muß ich so gequält werden! Macht Euch gefaßt, er wird wüthend sein. Bristols Namen durfte ich nicht nennen, und nun ist er selbst hier. O, Bristol, wie kannst Du verantworten, mich in eine so unangenehme Lage zu stürzen!
Mit welchen Empfindungen auch bisher der Prinz und Bristol sich gegenüber standen, schnell vereinigte sie das Gefühl der Beschämung über das Betragen des alten Königs. Ja, der Prinz mochte, dem edeln und treuen Bristol gegenüber, vielleicht mit minderer Wärme an den Diener denken, dessen Einfluß auf seinen Vater er unmöglich billigen konnte, wenn er sah, zu welcher kindischen Furcht seine fernste Annäherung ihn verdammte.
Euer Majestät, sagte der Prinz rasch vortretend, wird mir gewiß den Befehl geben, den unanständigen Streit, den man wagt in die Zimmer meines königlichen Vaters zu verlegen, augenblicklich zu beendigen. Wenn Euer Majestät unterdessen den Grafen von Bristol beurlauben wollen, wird der Herr Marquis die Hinterthür wohl wieder finden, die sich vorher seinen Wünschen aufthat.
Ich danke Euer Königlichen Hoheit! erwiederte der Marquis schnell, dem Gesandten Frankreichs sollte hier jeder Weg [49] offen stehen. Uebrigens muß ich bedauern, daß ein Zufall denjenigen gerade jetzt versperrt, den ich vorzog zu kommen. Die Thür jenes Kabinets ist verschlossen, wie ich eben untersucht habe. Doch wenn Seine Majestät den Grafen Bristol beurlauben, so darf ich wohl nicht zweifeln, daß er durch jenen Ausgang an meiner Seite Eurer Königlichen Hoheit ungehindert folgen darf.
Der Prinz drückte die Lippen ein, und es war sichtlich, daß er sich keineswegs dem Herzog gegenüber so sicher fühlte, wie der Marquis in seiner plötzlich stolzen Haltung ihm aufnöthigen wollte.
Aber es war hier ein schneller Entschluß nöthig. Denn theils brannte der Prinz vor Begierde, dem Marquis den Anblick des Königs zu entziehen, der Alles, was gesprochen ward, mit Klagen bekleidete, welche die grenzenlose Gewalt des Herzogs andeuteten, theils mußte der Prinz fürchten, der Herzog erzwinge den Eingang, und vor dem Bette des Königs könnten sich Scenen ereignen, die er zu fürchten hatte.
Herr Graf von Bristol, sagte er daher plötzlich mit der stolzen Fassung, die ihm so wohl stand, bittet den König, Euch zu beurlauben.
Stumm kniete Bristol vor dem Bette nieder, und dieser Augenblick, der ihn für immer von seinem königlichen Freunde trennte, ward ihm erleichtert durch die Ueberzeugung, daß, wie auch wenige Augenblicke vorher ihr ruhiges Beisammensein noch einige Symptome seines frühern edlen Geistes geweckt, doch der, für dessen Beifall er so gern gelebt und gewirkt, längst von Krankheit, Alter und fremder Anmaßung unterdrückt war.
Ja, geh nur, sagte der König, ihm grämlich die Hand gebend, ich will es Dir verzeihn, daß Du mich so beunruhigst; aber Du hättest es wohl lassen können und abwarten, bis [50] Karl König ist, der Deine Angelegenheiten dann besser ausfechten mag, als ich.
O, entlassen mich Euer Majestät nicht so! rief Bristol schmerzlich; ich kam nur, um einen Blick der alten Gnade zu empfangen, um ein Mal mir sagen zu können: Ich blieb immer treu, unwandelbar.
Ja, ja, rief der König, das bestreite ich auch nicht; aber sieh, daran habe ich nie gezweifelt, und darum hättest Du nicht zu kommen brauchen, aber nun thue mir die Liebe und geh. Leb' wohl, leb' wohl! Es ist Alles gut, Alles gut zwischen Dir und Deinem König.
Bristol gab jeden weiteren Versuch auf; stumm küßte er noch einmal die Hand, womit der König nun unablässig zum Weggehn winkte und, sich gegen die Wand wendend, jede Unterredung abschnitt.
Vor den Zimmern des Königs hatte sich Lord Richmond ruhig vor die Thür gestellt, die sich nach dem letzten Zimmer vor dem Schlafgemach des Königs öffnete, mit dem festen Vorsatze, hier die Zusammenkunft seines Großvaters mit dem Könige vor Störungen zu sichern. Doch, eingedenk der Warnungen des Marquis, hatte er den Degen unter dem Mantel, entschlossen, sich jeder Reizung gegenüber fest zu halten, und hoffend, sie werde ihm erspart bleiben.
Doch was konnte früh oder spät in dem Palaste von Whitehall geschehen und dem verborgen bleiben, der seine besoldeten Aufseher in jedem Winkel desselben hatte.
Richmond blieb, als er den Herzog von fern hörte, kein Zweifel, in welcher Absicht er komme. Schon im Vorzimmer [51] hörte er das Bestreben, den dienstthuenden Kämmerer zu ängstigen und die Miene sorgloser Unbefangenheit anzunehmen.
Nun, mein Kind, rief er dem alten Manne entgegen, wie steht es da drinnen? Bist Du ungestört auf Deinem Platze geblieben? Befand sich mein königlicher Herr ganz wohl diese Nacht?
Ohne die leise Antwort zu beachten, fuhr er fort: Ich hoffe den alten Herrn durch meinen frühen Besuch, den er nicht mehr erwartet, angenehm zu überraschen. Sieh, ich hatte Clervon mit seiner Harfe schon um sechs Uhr an meine Thür bestellt, um, so erweckt, in der rosigsten Laune von der Welt mein erstes Frühstück unter Jakobs Pantoffeln und ledernen Nachtwämsern zu verzehren. Na, so lache doch, bin ich denn nicht sehr spaßhaft, Alter?
Sehr, sehr, Euer Gnaden! stotterte der alte Mann, von Buckinghams Hand sich etwas erleichternd, die, wie eine eiserne, den alten Mann fast zu Boden drückte.
Nun, nun, lachte Buckingham, geh und laß Dir einen Morgentrank geben; die Zunge klebt Dir am Gaumen. Oeffne mir die Thür, ich will Dich nicht aufhalten.
Dies war das, was der alte Mann nicht durfte, denn der König hatte ihm sagen lassen, sie nicht früher zu öffnen, als bis er es ihm befehlen ließe.
Seine Majestät – stammelte der alte Mann.
Es ist schon gut, schrie Buckingham mit steigender Wuth, denn er wußte nun, daß ihm der Eingang versagt war; schon gut, ich brauche Deinen Bericht nicht mehr, öffne mir die Thür, der König wird mir selbst das Weitere sagen.
Eben Seine Majestät haben jeden Eingang verboten. –
Verboten? lachte Buckingham, ja, ganz recht; aber was, denkst Du, daß mich das angeht? –
Seine Majestät haben keine Ausnahme befehlen lassen. –
[52] So will ich Dir über Deine Bedenklichkeiten weghelfen; aber ich werde es Dir gedenken, daß Du mir gegenüber sie haben konntest; und fort schleuderte er den alten Mann und stieß mit den Füßen die Thür auf.
Voll Erstaunen gewahrte er hier die nächste Thür wieder bewacht, und das von seinem Widersacher vom vergangenen Tage. Dies überstieg seine Erwartung.
Wer zum Könige gekommen, wußte er nicht, nur, daß der Marquis mit im Spiele sei, ahnete er, ohne sein Interesse für Bristol möglich zu halten.
Bei Richmonds Anblick durchzuckten ihn zuerst unbestimmte Ahnungen, worüber er sich nähere Aufklärung zu verschaffen entschlossen war.
Ohne Richmonds Stellung zu bemerken, ging er auf die Thür zu, als könne ihm kein Widerstand begegnen.
Als er im Begriff war, die Hand an das Schloß zu legen, trat Richmond vor.
Herr Herzog, sprach er, sich verneigend, der König hat für Jedermann den Eingang untersagt.
Der Herzog trat zurück und betrachtete spöttisch den Grafen. Ach, sagte er, sich verneigend, ein neuer Page? Ja so, das wußte ich nicht; gab man Dir gestern Abend die Achselbänder, daß Du heute Morgen noch so laut krähst?
Sieh Kind, Du bist neu, darum habe ich Lust, Dir einen Rath zu geben: Ich bin der Herzog von Buckingham, für mich existirt nie ein Verbot der Art, als Du auswendig gelernt.
Ich kenne den Herzog von Buckingham, sprach Richmond kalt, und habe ihn nicht nöthig zu erinnern, daß ich Degen und Sporen führe, also nicht Page bin. Aber beauftragt bin ich von Seiner Majestät, hier auch für den Herrn Herzog von Buckingham keinen andern Bescheid zu haben, als den vernommenen.
[53] Ich will Euch der Verantwortlichkeit überheben, diese Thorheit zu wiederholen, sagte Buckingham erbittert; ich befehle Euch zurück zu treten, ich verlange den Eingang zum König.
Der Herr Herzog sind zerstreut, erwiederte Richmond, hier ist nicht Buckinghams Palast, hier ist Whitehall, und dieß sind die Gemächer des Königs, worin nur ein Wille gilt, den ich Euch genannt, und den ich zu vertreten habe.
Was ist das? schrie Buckingham jetzt auf, soll das Wahrheit sein? In diesen Räumen, vor dieser Thür, wagt ein Knabe mir den Weg zu verwehren?
Ich bitte Euch, Herr Herzog, rief Richmond schnell und warm, mäßigt Eure Ausdrücke, daß sie ein Edelmann ertragen kann, der wehrlos gemacht ist durch den Dienst für den König. –
Und Ihr haltet es für möglich, im Dienst des Königs mir mit einem Worte entgegen sein zu dürfen. Ihr glaubt, Euer Wort, das Wort von ganz England, die Worte der Welt, die Worte des Königs und aller Könige der Erde würden Buckingham hier wegtreiben, wenn er einzutreten denkt? Noch einmal, verlaßt diesen Platz und hindert keinen Augenblick länger mich in meinem Vorsatz, oder, bei Gott! Ihr werdet es bereuen in Eurer Unwissenheit, wie ich noch zu Eurer Entschuldigung es nehmen will, hier gewesen zu sein! –
Entschuldigt mich mit nichts, Mylord, entgegnete Richmond, als mit meinem Willen, hier auf diesem Platz zu bleiben; ich will von Euch nicht entschuldigt sein, denn ich bedarf es nicht!
Ha, Trotz! rief Buckingham, Du stößt die Nachsicht zurück, die ich habe, so fühle denn! Wüthend rannte er gegen die Thür und schlug mit dem Griff seines Degens auf das Schloß. Aber eben so sicher und gewandt unterlief Richmond den Herzog, und hielt ihn ruhig und eisern mit steifem Arm von der Thür ab.
[54] Zieh und vertheidige Dich! schrie Buckingham, seinen Degen ziehend; aber Richmond löste sein Degengehänge und schleuderte es mit dem Degen in die Mitte des Zimmers.
Ich versprach, nicht zu ziehn, sagte er fest, jetzt steht es Euch frei, einen Mord zu begehen; aber dieser erst eröffnet Euch den Eingang. Er schlug seinen Mantel von einander und stand so mit unbeschützter Brust vor Buckingham, der von so viel Festigkeit einen Augenblick überrascht ward, aber dann, von dem Gedanken des Widerstandes wie wahnsinnig gemacht, gegen die Thür und Richmond rannte.
Buckingham war für einen Riesen an Kraft bekannt, und der Jüngling hatte seine volle Gewandtheit nöthig, den Herzog zu pariren und seinen Posten zu behaupten; doch im selben Augenblick öffneten sich von Innen die Flügel, und der Prinz von Wales zeigte sich in der offenen Thür.
Im Namen des Königs Frieden! rief er dem erbosten Herzog entgegen und winkte ihn zurück, der auf nichts sinnend, als die Thür zu erreichen, sich sogleich hineinwerfen wollte.
Der König, Herr Herzog. fuhr der Prinz gegen Buckingham fort, ist erstaunt, Euch noch in London anwesend zu hören; er hatte geglaubt, daß die gestrige Audienz keinen Zweifel über Eure schnelle Abreise zuließe.
Seine Majestät, entgegnete Buckingham überrascht, wird den Wunsch nicht verkennen, ihn noch ein Mal zu sehen, und da seine Majestät schon so früh Audienz gaben, setzte er höhnisch hinzu, den Marquis und Bristol hinter dem Prinzen gewahrend, durfte ich nicht zweifeln, auch ich würde empfangen worden sein, hätte hier nicht ein Unberufener die Rolle eines Thürwarts übernommen.
Des Prinzen Auge streifte an Richmond, der sich tief verneigte.
Dies hat mit dem Wunsche des Königs für Eure glückliche Abreise nichts gemein, sagte der Prinz, ich füge den meinigen [55] hinzu und hoffe Euch unter glücklichern Umständen wieder zu sehn.
Buckingham erstarrte vor Wuth. Er hatte die Anwesenheit des Prinzen nicht gewußt, er wagte nie, ihn so zu reizen, wie den König, da der Prinz seine Würde wohl kannte und sie, war er einmal entschlossen, vollkommen zu behaupten verstand. Auch legte der Marquis ihm Zwang auf, und nur sein lang genährter Uebermuth konnte ihn noch an Widerstand und Bosheit denken lassen.
Ich weiß die Befehle dieses Mundes zu achten, hob er an, und bitte nur um die Gnade, mich in dem Schutze des Herrn Marquis wegbegeben zu dürfen, da ich in Wahrheit mir keine bessere Sicherheit in diesem von jungen Raufbolden bewachten Palast denken kann.
Dies soll Euch gewährt sein, sprach der Prinz sehr ernst. Herr Marquis, ich entlasse Euch! Mylord von Bristol lebt wohl! Ich denke, wir werden uns wiedersehn. Seid indessen sicher, daß ich die Worte meines königlichen Vaters nicht überhört habe, und Ihr, Lord Richmond, folgt Eurem Verwandten. Ich verkenne nicht, daß Ihr die ersten Zierden eines männlichen Karakters, Muth und Mäßigung, in sehr jungen Jahren heute vereinigt habt. Nehmt Euren Degen auf, Ihr wußtet besser, wo er in dem Palast des Königs hingehört. Herr Marquis, wir werden den Grafen von Bristol mit unserm Gefolge aus Euerm Palaste abholen lassen, und er mag sich dann desselben bis zu seinem eigenen Schlosse bedienen.
Der Prinz grüßte stolz und ging voran durch die jetzt mit Hofleuten angefüllten Säle, gefolgt von den so mühsam bezähmten Parteien; er hielt, den Herzog grüßend, den Marquis mit einigen Worten zurück, bis jener mit seinem Gefolge über den Schloßhof sprengte.
[56] Noch saß die Herzogin von Nottingham, nachdem sie sich für die Nacht zurückgezogen hatte, träumend der allmälig sinkenden Glut ihres Kamins gegenüber und suchte der Sorge zu wehren, die für den geliebten Vater, je länger, je mehr ihr Herz erfüllte.
Da öffnete sich die Thür hinter ihrem Rücken; herein trat Lord Bristol und weckte die Sinnende mit leis aufgelegter Hand.
Es war eine ernste, tief empfundene Freude der beiden schwer Geprüften, und Lord Bristol fühlte erst recht den Umfang des Erlebten in der Mittheilung an seine Tochter.
Ich bin für immer von meinem königlichen Herrn geschieden, Arabella, so schloß er seine lange Erzählung, aber das Schwerste war mir, ihn von sich selbst geschieden zu sehn!
Und der Prinz? sagte die Herzogin, an die Zukunft denkend. –
Gott wird geben, daß seine ausgezeichneten Eigenschaften sich selbst zu ächter Thätigkeit überlassen bleiben, dann wird mein Vaterland zu beneiden sein. Ich selbst, Arabella, setzte er hinzu, ich werde in ihm nicht den Erben des Wohlwollens finden, welches Jakob zu meinem Freunde machte. Doch laß uns diesen trüben Gegenstand beendigen, ich habe Dir Freundlicheres vorzutragen. Anna Dorset bittet durch mich um Deinen Segen! Sie ward in derselben Stunde, als ich London verließ, die Gemahlin Deines Sohnes. Daß Du mir diese Ueberraschung zugedacht, that mir wohl. Der Anblick eines glücklichen Familienkreises, worin wahrhaft menschliche Tugenden walten und ungestört sich entwickeln dürfen, ist der Balsam, der Noth thut, wenn der größere Schauplatz menschlicher Thätigkeit ein trübes Bild böslich sich durchkreuzender Leidenschaften darstellt.
Darum, erwiederte die Herzogin, ist tugendhafte Behauptung des Rechts und der Ordnung im Schooße edler Familien so wichtig, weil aus ihnen die einzelnen Geister hervorgehn, [57] die in das äußere Gewirre kleinlicher Interessen muthig eingreifen und ihrer Zeit den Karakter aufnöthigen, der das erdrückte Gute wieder belebt. Mit sicherer Hoffnung sehe ich auf die eben geschlossene Verbindung meines Sohnes; er wird den ehrwürdigen Namen, den er trägt, in der Ehe mit einem Wesen, wie Anna Dorset, würdig fortpflanzen und seinem Vaterlande ein Repräsentant alt-adeliger Ehre und Sitte sein. –
Ich habe die beste Meinung von meinem Enkel und freue mich seiner Nähe; denn Du darfst sie erwarten, sie sehnen sich nach Deinem Segen. Ollony wird sie begleiten, und einige Wochen später denkt die Gräfin Dorset mit Lord Ormond ihnen zu folgen. –
Und Richmond, fragte die Herzogin, darf ich ihn nicht erwarten? –
Richmond, erwiederte der Lord, scheint vorläufig ein anderes Interesse zu verfolgen, welches näher, als in einigen Andeutungen, zu erfahren, weniger Mangel an Vertrauen zu mir war, als es in unserer ungemein gedrängten Zeit lag. So viel ist gewiß, daß der edle Jüngling sich für gebunden hielt in allen eignen Wünschen und Handlungen, ehe erreicht war, was ich zu meiner Ruhe gewünscht. Ich habe dies errathen können und muß die edle Hingebung, die er mir bezeigt, um so mehr verehren, da jenes Andere kein unbedeutendes Interesse haben kann, indem er augenblicklich, nachdem ich mich befriedigt erklärt, sich ihm ausschließlich hingab.
Er sendet Dir die ehrerbietigsten Grüße und läßt Dir sagen, daß Lord Membrocke plötzlich bei Hofe erschienen sei, und von ihm und Lord Ormond zur Rechenschaft gezogen, ihnen die Ueberzeugung gegeben habe, daß das Fräulein von Melville nicht mehr in den Händen des Lords sei, daß der Lord selbst aber nichts von ihr zu sagen wisse und in Bezug auf die ganze Sache die Verstimmung über einen gescheiterten Plan zeige; daß [58] er von unbekannter Hand eine Art von Notiz über ihr ferneres Schicksal erhalten, die er zu verfolgen denke, und nicht ruhen werde, bis er Dir über Deine Schutzbefohlene gute Nachricht bringen könne.
Mein Sohn, fuhr die Herzogin mit schneidendem Tone auf, hätte, denke ich, abwarten können, bis meine Befehle ihn zum Ritter dieser Dame kreirt hätten. Mit Erstaunen und Unwillen sehe ich ihn aus eignem Willen eine Angelegenheit wieder aufnehmen, die ich für beendigt erklärt habe. –
Meine Tochter, unterbrach sie der Lord mit einem sanften Lächeln, wir dürfen nie übersehen, daß eine Zeit für unsere Kinder eintritt, wo sie, von den Tugenden der Aeltern zur Entwickelung getrieben, diese erreicht haben und sich als selbstständig erkennen. Die Zeit tritt dann am entscheidendsten hervor, wenn das Herz von der gewaltigsten Macht über die Menschen ergriffen wird, ich meine, wenn die Liebe zuerst ihren Einzug hält.
Großer Gott! rief die Herzogin mit der ihr eigenen Heftigkeit, ich will nicht hoffen, mein Vater, Ihr sprecht von einem vorliegenden Falle! Nein, Ihr habt nur im Allgemeinen bemerkt, nicht Richmond wähnt Ihr in diesem Falle, von ihm glaubt Ihr dies nicht! –
Und wenn ich eben ihn bezeichnet hätte, liebe Arabella, was erschreckt Dich daran so heftig? Unmöglich kann Richmond eine unedle Wahl treffen, Melville ist ein alter Name, er nennt sie Deine Schutzbefohlene, er verweist mich an Dich, um über ihren Werth, ihre Tugenden Auskunft zu erhalten. Robert spricht mit Entzücken von ihr; er treibt den Bruder zur Thätigkeit, – wie? Legt dies nicht Alles ein gutes Zeugniß für sie ab? –
Laßt das, bester Lord! sagte die Herzogin mit bebender Stimme und bleicher Stirn, laßt das und sagt, ich beschwöre [59] Euch, sagt, was Ihr glaubt, ob Richmond eine solche Neigung bekannte, oder ob Ihr sie wahrgenommen? –
Richmond ist zart, fast jungfräulich in seinen Aeußerungen, aber dennoch glaube ich, er liebt das Fräulein, und Robert hat es mir bestätigt, und sein heißester Wunsch scheint diese Verbindung. Doch was ist's mit dieser jungen Person? und Gott! weshalb erschüttert Dich dies so heftig, meine Tochter? –
Die Herzogin hatte sich bei den letzten Worten des Lords erhoben, sie wollte ihre Verzweiflung dem väterlichen Auge entziehen, aber es strömte ein solches Uebermaaß von Schmerz und bangen Gedanken auf sie ein, daß sie nicht fähig war, Fassung zu behalten. Sie stützte sich betäubt auf die Lehne ihres Stuhles, unfähig, ein Wort auf die dringenden und besorgten Bitten des Vaters zu erwiedern. Mühsam wehrte sie endlich seinem Forschen mit der Bitte um Ruhe, und diese ihr als nothwendig erkennend, eilte der Lord, Mistreß Morton herbei zu rufen.
Wir haben Lord Richmond, seit seiner letzten Anwesenheit in London, nur in öffentlichen Beziehungen wiedergefunden und kehren um so lieber zu ihm zurück, da uns durch die eben erwähnte Mittheilung des Grafen Bristol eine Andeutung über ihn zukömmt, die wir um so lieber verfolgen, da sie uns wieder mit unserer eigentlichen Schutzbefohlenen in Verbindung zu bringen scheint.
Als er eines Abends spät nach dem Palaste seines Bruders zurückkehrte, meldete man ihm, es harre auf ihn ein Fremder, der nur ihm selbst seinen Namen sagen wolle.
Richmond begab sich nach seinen Zimmern, und alsbald führte man den Fremden vor, der durch seinen würdigen [60] Anstand, wie durch seine Kleidung sogleich den Geistlichen der herrschenden protestantischen Kirche verkündigte. Sein freundlich ernstes Gesicht und der ruhige Aufblick seiner Augen nahmen sogleich Lord Richmonds Theilnahme in Anspruch, und dieser führte ihn selbst in seine innern Zimmer, ihn hier verbindlich zu seinen Mittheilungen einladend. –
Ich weiß nicht, Mylord, ob ich die Angelegenheit, die mich zu Euch führt, eine eigene oder eine fremde nennen soll; gewiß aber bin ich dazu berufen, mich derselben mit allen meinen Kräften anzunehmen. Mein Name ist Brixton und Euch vielleicht in Bezug auf eine junge Dame nicht unbekannt, deren sich Eure verehrungswürdige Familie auf das Gnädigste angenommen hat. –
Brixton, rief Richmond freudig überrascht, Ihr seid derselbe würdige schottische Geistliche, an den uns Lady Melville verwies, um näheren Aufschluß über ihre Verhältnisse zu erhalten? –
Derselbe, Mylord, entgegnete Brixton, der durch die unglücklichste Verflechtung von Umständen, durch eine lange Abwesenheit in Irland, an der großen und heilig gelobten Pflicht verhindert ward, dem Fräulein allen Beistand zu leisten, den ihre höchst unerwartete Lage nöthig machte. Erst als ich wieder in Edinburg war, erhielt ich die Briefe, welche man mir nachzusenden bei der Unstätigkeit meiner Reise für unmöglich gehalten hatte, zugleich aber die Erlaubniß meines ehrwürdigen Bischofs, mich nach Godwie-Castle selbst zu begeben.
Hier stockte er und eine flüchtige Verlegenheit zeigte sich auf seinem Gesichte. Sodann fuhr er mit Höflichkeit fort:
Ich habe die Ehre gehabt, die Frau Herzogin selbst zu sprechen, und von ihr die niederschlagende Nachricht erhalten, daß dies unglückliche verlassene Fräulein einen Schritt gethan hat, der sie nicht allein der Mißdeutung aussetzt, sondern [61] wahrscheinlich auch in die unglücklichsten Verhältnisse gestürzt hat, wenn nicht bald etwas zu ihrer Rettung geschieht.
Es gab eine Zeit, an die ich mit Schmerz als eine vorübergegangene denke, wo alle Macht und alles Ansehn der erlauchten Familie Nottingham sich vereinigt haben würde, um diese Rettung zu beschleunigen.
Ich mache der Frau Herzogin aus ihrer Weigerung keinen Vorwurf; ich konnte mich ihr nur mit halbem Vertrauen mittheilen, da ich durch frühere Versprechungen gehindert bin, mich über das ganze Verhältniß der jungen Dame genügend auszusprechen; ich mußte daher auf eine Theilnahme rechnen, die sich vielleicht für sie hier vorfand, auf ein Vertrauen, welches mir, dem Fremden, um dieses Kleides willen vielleicht geschenkt ward. Frauen sind zu einer größeren Vorsicht bei Verschenkung ihres Vertrauens berechtigt; auch sind die eignen Familienangelegenheiten ganz geeignet, das größere Interesse der Frau Herzogin in Anspruch zu nehmen. So habe ich allerdings sehr wenig Erläuterndes über den unglücklichen Schritt des Fräuleins erfahren können.
Ich mußte mich darein finden und that es um so eher, da mir eine Reise nach London jedenfalls den Schutz zu gewähren verhieß, dessen ich bedurfte. Die Sache hatte sich hier jedoch anders gestaltet. Unfähig, die Personen zu erreichen, die ich als hülfreich kannte, bin ich von einer mir verborgen bleibenden Partei in allem, was ich vorhabe, beobachtet und gehindert; ja, ich habe Ursache zu glauben, daß selbst meine persönliche Sicherheit gefährdet ist. –
Sir, rief hier Richmond, dessen anschwellendes Herz aufathmete, diesem Manne, der wahrscheinlich in Godwie-Castle keine freundliche Aufnahme erfahren hatte, und der ihm doch so über Alles hinaus wichtig erschien, sein Wohlwollen bezeigen zu können, nehmt denn vor Allem den Schutz an, den dies[62] Schloß und der Name Nottingham zu leihen vermögen; mein Bruder, der diesen Namen von seinem verehrungswürdigen Vater erbte, trägt ihn nicht mit minderer Ehre.
Freundlich sich neigend nahm der Geistliche diesen Antrag auf.
Ich kann nicht läugnen, daß Eure Güte die Bitte erfüllt hat, die ich um so sicherer an Euch thun wollte, als ich mich selbst, setzte er lächelnd hinzu, für wichtig erklären muß; doch, fuhr er ernster fort, ein Blättchen vorzeigend, ich hatte nicht den Muth, das Interesse Eurer Familie so fortdauernd in Anspruch zu nehmen, glaubte aber in einer unsichern Lage den von einem Unbekannten und anscheinend Wohlwollenden mir angezeigten Weg nicht verschmähen zu dürfen. Kennt Ihr die Handschrift?
Richmond nahm das Blättchen. In unorthographischer Schrift stand darauf:
»Eure persönliche Freiheit ist bedroht, sucht das Palais der Nottinghams auf, Lord Richmond wird Euch Schutz verleihen.«
Sonderbar! rief Richmond, wer kann Eure Sicherheit bedrohen? Habt Ihr darüber Vermuthungen? –
Ich kann in diesem Augenblicke nicht darüber urtheilen, Mylord; es ist so Vieles, so Unerwartetes in meiner Abwesenheit geschehen, daß ich nicht im Stande bin, zu übersehen, welche Ausdehnung dadurch ein Mitwissen um Verhältnisse erhielt, die bisher wohl berechnet in ein wohlthätiges Dunkel gehüllt waren. –
Und gehen diese Verhältnisse die junge Dame ausschließlich an, die sich Eure Schülerin nannte? fragte Richmond. –
Sie war bis zu dem entsetzlichen Augenblicke, der sie plötzlich aller ihrer Stützen beraubte, der Gegenstand der zärtlichsten Sorgfalt und Liebe, der stolzesten Hoffuungen, der glücklichsten Aussichten für die Zukunft; und alle, die sie kannten, fühlten [63] sich durch Pflicht und Liebe berufen, ihr die größte Verehrung zu weihn. Ach! ich bin in diesem Augenblicke der einzige, der von so vielen und würdigen Personen ihr geblieben ist. Aber es lebt noch außer mir ein Wesen, bestimmt, ihr Schutz zu sein von Gott und Rechtswegen, und dies zu erreichen, ist die Absicht meines Hierseins. –
Ihr sprecht von dem Oheime des Fräuleins, den wir vergeblich getrachtet haben ihr wieder zu finden, nach dem sie sich unablässig sehnte. Sagt, Sir, habt Ihr ihn entdeckt, lebt er hier, und können wir uns mit ihm vereinigen, das Fräulein aufzufinden? –
Wie sehr beklage ich, Mylord, Euerm wahren und aufrichtigen Eifer nicht mit dem vollen Vertrauen begegnen zu können, von dem ich mich zu Euch durchdrungen fühle; aber, mag es zu Anfang unserer Bekanntschaft gleich ausgesprochen sein, daß ich Euch auf alle Fragen die Antwort schuldig bleiben muß, wenn sie gegen Verpflichtungen streiten, die ich nicht aufzuheben vermag.
Könnt Ihr Euch entschließen, mir ohne dies Euer Vertrauen zu schenken, könnt Ihr Euch mit mir vereinigen, wo ich Hülfe bedarf, zur Rettung der unglücklichen jungen Dame, so darf ich Euch bei der Würde meines Amtes schwören, Ihr weihet Beides keiner unedeln Sache, vereinigt Euch mit keinem Unwürdigen. –
Genug, Sir; ich achte Eure Zurückhaltung und werde stets nur das Vertrauen von Euch verlangen, was sich mit jenen früheren Verpflichtungen verträgt. Glaubt indessen nicht, daß wir so schnell das Fräulein aus den Augen verloren. Ihr Weg ist verfolgt worden von einer Person, auf deren Treue wir uns verlassen konnten, und sie ist, von Lord Membrocke getrennt, in einem Schlosse in Nordhampton zurück gelassen worden, während der Lord seinen Weg allein fortgesetzt hat, doch zur [64] Zeit noch nicht in London eingetroffen ist, wo er indessen von seinem Freunde, dem Herzog von Buckingham, erwartet wird, da er auf der Liste der Kavaliere steht, die dem Herzog nach Frankreich folgen werden. Mein Diener ist übrigens dem Lord Membrocke gefolgt, bis er von dem Aufenthalte des Fräuleins zu entfernt war, um seine Rückkehr dahin erwarten zu können. Unbezweifelt ist jedoch, daß auch dort ihre Gegenwart mit der größten Sorgfalt verhehlt wird, da es ihm bei seiner Rückkehr sogar nicht möglich ward, über die Anwesenheit der Lady die geringste Spur zu erhalten, viel weniger sie selbst zu sehen.
Die Angelegenheiten meiner Familie legten mir eine Verpflichtung auf, die mich an London band; sonst würde ich viel früher geeilt haben, die Spur zu verfolgen, die wir dadurch gefunden, und die mich wenigstens in der einen Beziehung beruhiget, sie nicht mehr in Lord Membrockes unmittelbarem Gewahrsam zu wissen, obwol ich ihn noch dabei im Spiele glauben muß, da der Edelmann, der Besitzer jenes Schlosses, ein Vertrauter des Herzogs von Buckingham ist. –
Des Herzogs von Buckingham! rief mit sichtlicher Ueberraschung Master Brixton. Wie? Hat der Herzog Kunde von dem Fräulein? Glaubt Ihr, Mylord, daß Lord Membrocke blos als Agent des Herzogs handelte?
Ich muß dies dahin gestellt sein lassen, erwiederte Richmond, doch rechne ich es mehr der verliebten Thorheit Membrockes zu, womit er das Fräulein, obwol Anfangs sehr zu ihrer Mißbilligung, verfolgte.
Anfänglich? erwiederte Brixton. Zweifelt nicht; dieser Thorheit, wie Ihr es richtig nennt, unterlag die Lady auch später nicht, wie Ihr anzudeuten scheint. Auf eine andere Weise hat man sie zu diesem Schritte veranlaßt. Ich kenne sie zu genau, um nicht zu wissen, daß dringende Anforderungen an sie ergangen sein müssen, sie zu diesem gehässigen Schritte zu bewegen.
[65] Sir, rief Richmond bewegt, Ihr habt ein so festes Vertrauen! Denkt Ihr auch ihrer Jugend, ihrer leicht gereizten heftigen Natur? Diese Quelle ihrer eigenthümlichen Seelenschönheit ist zugleich einer Frau so verderblich, führt sie so leicht über die Grenzen hinaus, ach, die sie nicht mit ihren Augen überschreiten darf, ohne in Gefahr zu sein.
Ich ehre Euer feines Gefühl für die heilige Atmosphäre der Sittlichkeit, worin Ihr die weibliche Ehre einhüllet, und theile diese Ansicht ganz, erwiederte Brixton; aber Lady Maria ist die schönste Mischung kindlicher Unschuld und eines starken Bewußtseins von Recht und Unrecht; sie hat für ihre Jugend eine Selbstständigkeit des Karakters, die man nur begreift, wenn man ihre Erzieher und den Zweck ihrer Erziehung kennt. Es ist wahr, Mylord, sie gehört nicht zu den schönen bewußtlosen Seelen ihres Geschlechtes, die aus dem Bereiche einer rein gebliebenen Empfindung alles unwillkürlich entfernt halten, was sie verletzen könnte, instinktartig sich bewahren und eine schöne ehrenwerthe Erscheinung bleiben. Lady Maria ist mit Absicht geweckt und zum Bewußtsein geführt worden. Was wahrhaft rein und vor Gott beständig ist, hat sie scheiden lernen von dem leeren, inhaltlosen Formenwesen, wohinter verkrüppelte Seelen sich mit allen Ansprüchen auf Achtung zu flüchten vermögen, und wobei das reinere und höhere Gefühl des Menschen oft mit erdrückter Ueberzeugung dem Banne der tyrannischen Gewalt unterliegt. Sie steht mit dem Maaße ihrer Hingebung oder Versagung stets vor dem Throne einer großen Idee, die, rein entwickelt, stets unerreichbar, sie demüthig erhält vor Gott, kalt und völlig abweisend gegen die von anderswo kommenden Weisungen der Menschen. Sie ist dadurch gerade wärmer und nachgiebiger gegen den großen Verband, den die Natur unter den Menschen knüpfte, sie ist voll Ehrfurcht gegen die geselligen Pflichten, die ergänzend eintreten, wo dieser [66] nicht stattfindet. Aber sie ist dies Alles mit einer Feinheit und einem Bewußtsein, was eben nothwendig sie rücksichtslos erscheinen läßt nach gewöhnlichen Voraussetzungen.
Richmonds Augen ruhten während dieser Worte am Boden; er gedachte des Ideals seiner Brust, er wollte prüfen, ob es sich mit den Worten des Geistlichen vertrug; er konnte nicht damit fertig werden; unsicher wogten die Bilder durch einander, und endlich fühlte er, daß sein Nachdenken schon zu lange gewährt. Mit einer desto bereitwilligeren Miene eilte er, das Schweigen zu unterbrechen.
Es steht mir in keinem Falle zu, Sir, sprach er rasch, an Worten Zweifel zu hegen, die durch die Erscheinung des Fräuleins selbst bestätigt sind, und jedes Mißtrauen, das ein so außerordentliches Schicksal an dem Karakter der Person selbst mit sich führt, würde um so unedler sein, fest zu halten, als es ohne Zweifel die schmerzlichste Zugabe desselben ist. Noch ein Mal nehmet die Versicherung, daß ich zu jeder Mitwirkung bereit bin und in einigen Tagen hoffen darf, mit meinen Angelegenheiten weit genug gediehen zu sein, um dann die Spur der Lady verfolgen zu können. Erhaltet Euch der Sache, Sir, der Ihr so nützlich werden könnt; es ist mit Euerm Erscheinen ein Hinderniß gehoben, dessen Bedenklichkeit ich stets empfand. Euch wird die Lady vertrauen und Euch zu folgen einwilligen, wenn wir so glücklich sind, sie aufzufinden; was wir jetzt kaum hoffen durften, nachdem es uns schon ein Mal verweigert wurde, wo die eigene Ueberzeugung von Membrockes bösem Willen vielleicht noch nicht eingetreten war. –
Seid daher vorsichtig und verlaßt den Schutz dieses Hauses nicht, bis zu unserer Abreise. Kennen wir die Absichten des unbekannten Warners nicht, hat er sich doch darin nicht geirrt, Euch hier gesichert zu halten. –
[67] Lord Richmond gab nun selbst Befehl, einige Zimmer, die an die seinigen grenzten, für einen Gast in Bereitschaft zu setzen, und ließ dessen Reisegepäck von einem verschwiegenen Domestiken, der die Livree ablegte, aus der Herberge herbeischaffen, ohne zu erlauben, daß er die Mauern des Schlosses wieder verlasse.
Der andere Tag ward dazu verwendet, mit dem jungen Herzoge die nöthigen Verabredungen zu treffen und Brixton mit denselben bekannt zu machen; zu welcher Berathung sich auch Lord Ormond einfand. Außer Zweifel waren die Empfindungen der hier zusammentreffenden Männer ganz geeignet, Brixton die Hoffnung eines kräftigen Beistandes zu verheißen, und er beschloß innerlich, mit denselben erst Alles zu versuchen, um seine junge Freundin ihren falschen Beschützern zu entführen, da er sich in jedem anderweitigen Schritte, der ihm Aussicht auf Hülfe verlieh, mannigfach gehindert sah, und er die Warnung, für seine Freiheit zu sorgen, nicht unbegründet finden mochte.
Der Widerstand, den er erfahren, schien ihm von einer gemachten Entdeckung über das Fräulein herzurühren, und er konnte ihr Verschwinden mit seiner eigenen Verfolgung in Zusammenhang bringen, obwol es ihm höchst unwahrscheinlich blieb, daß dies von der Seite des Herzogs von Buckingham herkommen sollte, den er unmöglich mitwissend und doch verfolgend denken konnte.
Einen Schritt bei Letzterem zu thun, schien ihm bei der Veränderung der Dinge, die über Alles so viel Dunkelheit gebracht, ein zu gewagtes Unternehmen, da seine Aufmerksamkeit zu erregen, schon Gefahr brachte, ein ihm bisher heilig gehaltenes Geheimniß bloszustellen. Er beschloß demnach, zuerst ihre Befreiung als das Nöthigste anzusehen und der Zeit alle fernere Entwickelung anheim zu stellen.
[68] In der größten Zurückgezogenheit wartete er daher die Zeit ab, die seinem jungen Beschützer erlauben würde, sich ganz der Sache seines Schützling zu widmen, die aber für den Augenblick noch in Anspruch genommen war von den uns bereits bekannten Vorgängen in der Familie Nottingham.
An dem Hochzeittage seines Bruders begleitete Richmond seinen Großvater, den ehrwürdigen Lord Bristol, trotz des prinzlichen Gefolges, bis an die Grenzsteine der väterlichen Besitzungen, und eilte dann mit dem glühendsten Eifer zurück, um sich zu Brixtons Bestimmung zu stellen.
Sein erster Schritt war jetzt, Lord Membrocke aufzusuchen, da nur noch wenige Stunden bis zu dessen Abreise blieben, indem dem Herzoge von Buckingham, zu dessen nächster Umgebung er gehören sollte, keine Zögerung mehr gestattet war. Doch fand er dies eitle Kind der Welt in ein solches Gewirre der gewöhnlichsten Lebensbeziehungen verwickelt, so von Schneidern, Juwelieren, Stickern und Handelsleuten aller Art umgeben, daß ihm keine Beziehung zu Lord Richmond in Erinnerung geblieben schien und er diesen aufforderte, der Tanzstunde beizuwohnen, die ein französischer Tanzmeister ihm geben wolle, um ihn in den neuesten zu Paris bei Hofe gebräuchlichen Tänzen zu unterrichten.
Ich denke, Mylord, sprach Richmond mit dem vollsten Ausdrucke der Geringschätzung, Euch wird nicht ganz entfallen sein, daß ich Euer Haus nicht betreten haben kann, um Euern Späßen beizuwohnen, daß es unter uns ernstere Beziehungen giebt, die erörtert sein wollen, ehe ich Euch erlauben kann, in diesem Tone Euch zu vergnügen.
Richtig rief Membrocke mit sehr natürlichem Erstaunen, da ihm wirklich im Augenblicke erst die Veranlassung zu Richmonds Besuch einfiel. Wir haben, setzte er lachend hinzu, über die kleine schlaue Miß eine Zwiesprache zu halten, die ich Euer Liebden strenger Aufsicht entführte.
[69] Richmonds Stirn brannte bei der geringschätzigen Art, wie er hier ein Wesen erwähnen hörte, gegen das er sich selbst noch jeden Zweifel vorwarf.
Ich bin nicht gewohnt, Mylord, rief er, ungeduldig ihm näher tretend, in der Gegenwart solcher Thoren ernste Angelegenheiten zu besprechen; zeigt mir Euer Kabinet.
Allerliebst, lachte Membrocke mit schon annehmender guter Laune, allerliebst! Ihr hier versammelte Gesellschaft von Thoren, Ihr meine liebenswürdigen Gefährten, amüsirt Euch wohl, indessen ich in meinem Kabinet ein paar Fledermäuse jagen will, die über Nacht herein geflogen. Wollt Ihr mir dabei helfen, Mylord, so nehmt den Vortritt.
Mit stolzer Heftigkeit trat Richmond an ihm vorüber in das Kabinet, welches der Lord ihm geöffnet, und trug dies auch eben so den Stempel der Thorheit, wie das erstere, so waren es doch nicht Menschen, sondern leblose Gegenstände, die hier sich jeder ernsteren Beziehung zu widersetzen schienen.
Laßt mich stehn, rief Richmond, als der Lord ihn auf ein mit allerlei Kram belegtes Ruhebette einlud; was ich mit Euch zu reden habe, muß bald abgethan sein. Erklärt Euch, ob Ihr der Familie Nottingham, die durch mich zu Euch redet, den angethanen Schimpf gut machen wollt, aus ihrem Kreise ein von ihr beschütztes unbescholtenes Mädchen entführt zu haben, ob Ihr es gut machen wollt, indem Ihr mir bekennt, zu welchem Zwecke und wohin Ihr sie entführt; oder ob Ihr es vorzieht, zu jeder Euch beliebigen Stunde mit mir Euern Degen zu kreuzen?
Wahrlich, rief Membrocke, der bei aller Verworfenheit die gewöhnliche Kavalier – Bravour hatte, um jeden Preis möchte ich das Letztere wählen, um des Vergnügens willen, Euern jungen Degen kennen zu lernen.
[70] Wohlan, die Bekanntschaft soll Euch werden, erwiederte Richmond, er ist nicht jung genug, um die Sache der Unschuld nicht vertheidigen zu können, und, unentweiht, noch nie gezogen worden, um die Laster seines Besitzers zu vertreten.
Dies liegt außer Zweifel, lieber Lord, spöttelte Membrocke, die Nottinghams sind alle wahre Tugendhelden, Ihr seid alle, glaube ich, von Eurer gestrengen Frau Mutter erzogen worden; man sagt, sie habe ihre Erziehungsmethode bei Euerm Vater eingeübt bis sie Euch dann übernommen.
Nennt den Namen meiner Mutter nicht! rief Richmond heftig; ihr erhabener Karakter und ihre Tugenden liegen außer Euerm Bereich; ich kann nicht zugeben, ihn von Euch zu hören.
Wahrlich, unterbrach ihn Membrocke zurückweichend, Ihr beschneidet sehr den Stoff unserer Unterredung! Wovon beliebt es Euch zu sprechen, wenn nicht von den lieben Angehörigen? Ich dachte, wie gut ich es gemacht hätte.
Wir haben überhaupt nichts mehr zu sprechen, Mylord, erwiederte Richmond kalt; was wir noch vorhaben, wird mit wenig Worten abzuthun sein. Wo werden wir uns finden!
Ja so! sagte Membrocke, und sein Gesicht ward plötzlich nachdenkend, das ist eine schlimme Sache, wo soll ich dazu Zeit finden? Diesen Abend reist der Herzog ab, ich habe noch unabsehbar viel vor bis dahin, Ihr setzt mich wahrlich in Verlegenheit.
Ist das die Sprache eines Mannes von Ehre, sprach Richmond, oder beabsichtigt Ihr eine neue Beleidigung gegen mich durch Eure Ausflucht? Ihr werdet Zeit finden, und sollte es der gegenwärtige Augenblick sein und dies Zimmer unser Kampfboden!
Halt! Halt! rief Membrocke, wir müssen nicht mit der Thorheit anfangen, an unserer gegenseitigen Bravour zu zweifeln; die hat jeder Edelmann unseres Namens, so viel wie [71] nöthig, um wegen ein paar Unzen Blut mehr oder weniger sich nicht zu kümmern. Ich habe nicht die Absicht, Euch zu beleidigen, ja, eigentlich, setzte er gutmüthig hinzu, achte ich alle Männer Eures Stammes wegen ihrer makellosen Ehre, aber Ihr müßt Euren Maaßstab, zu handeln, nicht den heiteren Kindern der Welt aufnöthigen, die andere Ansichten von Lebensgenuß haben, und darum nicht gleich einen ganz gewöhnlichen kleinen Liebesroman als eine Ehrensache ansehn.
Richmonds Herz zog sich krampfhaft zusammen. Es lag das Eingeständniß eines solchen Verhältnisses mit Lady Melville in diesen Worten, und er schauderte zurück, ihrer so erwähnen zu hören. Halb abgewendet, um seine Erschütterung zu verbergen, rief er mit dem tiefsten Ausdruck von Zorn und Schmerz:
Es kann kein Streit unter uns sein über Dinge, worüber wir zu verschieden denken, als daß unsere Meinungen sich je erreichen werden. Doch sollen Eure Worte ein solches Verhältniß zur Gräfin Melville andeuten, so sehe ich Euer Verhalten dabei als eine Beleidigung für unser unbescholtenes Haus an und bestehe auf der einzigen Genugthuung, die Ihr geben könnt.
Mylord, sagte Membrocke, hätte ich Zeit, so würde ich mich nicht bemühen, Euch mit Worten aufzuklären, denn ich liebe, gleich Euch, die prompte Sprache von zwei guten Klingen; so aber will ich, der Aeltere, auch der Gemäßigtere und Verständigere sein. Aufrichtig gesagt, es ist mir die Sache, für welche Ihr mein Blut fordert, herzlich gleichgültig geworden, und ich habe die Prüderie der kleinen Närrin längst vergessen. Sie ist nicht der Mühe werth, daß zwei Männer, wie wir, uns darum raufen.
Gut, rief Richmond, der einige trostreiche Worte vernommen, mit mehr Ruhe. Auch ich bin kein Kind, das blos seine Waffen versuchen will; doch fordere ich dann von Euch [72] einen offenen Bescheid darüber, wo Ihr das Fräulein hinführtet, in welcher Lage sie sich befindet.
So weit reicht mein guter Wille nicht, Mylord, erwiederte ruhig Membrocke; nun aber seid ruhig und hört mich, fuhr er fort, da Richmond heftig auffuhr. Ihr sollt Alles wissen, was Euch interessiren kann, ich verspreche es Euch; aber seid nicht wie ein gereizter Löwe, ich bin meines Lebens ja nicht sicher mit Euch.
Etwas beschämt über seine Heftigkeit, die ihn diesem gering geschätzten Manne gegenüber fast in Nachtheil brachte, zog sich Richmond kalt zurück, entschlossen, genau und scharf, aber ohne Unterbrechung zu hören.
Wir wiederholen hier nicht eine Mittheilung, deren Gegenstand wir bereits kennen. Membrocke ließ der Tugend des Fräuleins Gerechtigkeit widerfahren; ohne Buckingham zu nennen, verrieth er, daß sie ihn als Begleiter zu ihrem Oheim gewählt, und legte ziemlich aufrichtig die Machinationen dar, womit er das Fräulein entfernt hatte, wobei er jedoch den Brief verschwieg und dadurch ihre Leichtgläubigkeit dem Erstaunen Richmonds überließ. Das Ende und ihren Verlust in Sir Patricks Schloß, von wo ihn eine Einladung des Herzogs zu der vorhabenden Reise weggeführt, wußte er gleichfalls von der eigentlichen Wahrheit fern zu erzählen, und ihre Flucht von dort, die ihm bis jetzt wirklich ein Räthsel war, in das überzeugende Licht der Wahrheit zu stellen. Richmond hatte einen Trost empfangen, der ihn willfährig machte, die übrigen Umstände günstig zu finden, er glaubte Membrocke alles Uebrige, da er so gern an dessen Unschuldserklärung des Fräuleins Glauben hatte. Ihre zugleich dabei hervortretende Unbesonnenheit schien ihm nur zu sehr mit seinen eigenen Wahrnehmungen über sie zu stimmen, als daß er diesen Theil der Erzählung hätte in Zweifel ziehen sollen. So erklärte er sich denn innerlich [73] zufrieden und stand auch nicht an, es auszusprechen, da er es aufgeben mußte, der verworfenen Moral des Lords das Unwürdige seiner Handlungsweise bemerklich zu machen.
Ja, Mylord, sprach Richmond auf dessen Frage, ich will mich zufrieden geben mit Eurer jetzigen Mittheilung und danach handeln, aber seid sicher, Ihr bleibt mir verantwortlich für die Folgen Eures strafbaren Verfahrens; und hörte ich hier nicht die Wahrheit, so werdet Ihr nach Eurer Rückkehr wohl Zeit finden, mir Antwort zu geben auf das, was ich Euch dann zu sagen haben werde.
O, sicher und gewiß! rief Membrocke, wieder in seinen nachläßigen Ton verfallend; was kann mir angenehmer sein, als eine so ehrenvolle Aussicht bei meiner Rückkehr.
Mit der größten Kälte und Höflichkeit trennten sich Beide, und es sei uns nur noch erlaubt, hinzu zu setzen, daß Membrocke seinem Freunde, dem Herzog von Buckingham, nichts von dieser Unterredung mittheilte. Sein Betragen ließ keinen Beifall hoffen, da des Herzogs Haß gegen die Nottinghams stets nach Gelegenheit trachtete, sie anzugreifen; vielleicht auch war es eine gewisse Schadenfreude, die diese edeln Gefährten gegen einander hegten, und welcher eine mögliche Befriedigung bevorstand, wenn es den Nottinghams gelang, das Fräulein aufzufinden und damit die ehrgeizigen Pläne des Herzogs zu durchkreuzen. Membrocke zweifelte nicht, Richmonds leidenschaftliche Stimmung würde ihm bei ihrem Auffinden schon eingeben, das zu thun, was sie für den Herzog alsdann ziemlich verloren machte; genug, der Lord entschloß sich, darüber zu schweigen.
Lord Richmond dagegen eilte in größter Eile zurück, um mit seinen Freunden nach diesen empfangenen Mittheilungen die nächsten Beschlüsse nehmen zu können. Dies war nicht minder schwierig, als früher, geworden, und die einzige zu verfolgende [74] Spur mußte sich von dem Schlosse des Sir Patrick aus anknüpfen lassen, wohin sie sich zuvörderst zu begeben beschlossen, und zwar Brixton und Richmond, von einigen bewährten Dienern begleitet.
Wir führen unsere Leser an einem Nachmittage durch die weitläuftigen Gänge und Gallerien des alten königlichen Schlosses an manchem anscheinend einladenden Eingange vorüber, und öffnen am Ende eines solchen Ganges eine kleine unscheinbare Thür, die uns in ein leeres und düsteres Vorgemach führt. An dem schwachen Torffeuer des Kamins finden wir einen Jüngling in häuslicher Tracht knieend, in einigen Tiegeln einen Teig rührend, der, nach dem daneben ausgebreiteten Leinenzeuge und dem starken Geruch von Kräutern zu schließen, einen Umschlag für irgend einen Leidenden zu enthalten schien.
Schnell und geschickt sehen wir ihn jetzt eben den hinreichend erwärmten Teig in die Tücher schlagen, und leicht und geräuschlos mit der vollen Elastizität der Jugend in ein Nebenzimmer springen, dessen kleine Thür uns, hinter ihm her, in ein größeres Zimmer führt, was an Höhe, Umfang und Bauart dem besseren Theile des Schlosses angehört.
Seine innere Einrichtung bietet die seltsamen Widersprüche von geschmacklos geordneten und unreinlich gehaltenen Gegenständen des Luxus zu den nöthigen Verrichtungen der geringeren Beschäftigung eines niedern Standes dar. Alles zeigt überdies von längerer Vernachläßigung, denn wir finden Kleider und Wäsche in unsaubern Zuständen über einander geworfen, und diese Zerstörung bald erklärt, wenn wir den Seufzern folgen, die uns nach einem Winkel des Gemaches zu [75] einem Lager ziehn. Hinter seinen zurückgeschlagenen Vorhängen sehn wir die bleiche abgezehrte Gestalt eines Greises, die sich seufzend den Handreichungen des geschickten Jünglings unterzieht, der eben seine erwärmten Umschläge um den Leib des Kranken legt.
Nun werden die Schmerzen nachlassen, Ohm, spricht er alsdann mit der sichersten Zuversicht; Du wirst dann einschlafen; wenn Du aufwachst, wirst Du Hunger haben und Dich satt essen, und wenn morgen früh die Sonne scheint, schleppe ich Dich nach Deinem Fenstersitz, und dann bist Du gesund.
Trotz der kühnen Reihefolge der zu hoffenden Zustände und der wenigen Wahrscheinlichkeit ihrer Erfüllung, richteten sich die kleinen, trüben Augen des Kranken doch einen Augenblick voll Hoffnung nach dem jugendlichen Tröster, als läge in seinen Worten schon ein Balsam, dessen Wohlthat nicht ganz ohne Wirkung bleiben könne.
Doch nach der Art alter Leute, der Jugend ihre glücklichen Kombinationen nicht zu gestatten, selbst wenn ihre Erfüllung die eigenen geheimen Hoffnungen ausspräche, schüttelte der Alte unwirsch das Haupt, und unter vielen Seufzern hob er fast scheltend an:
Thorheit, Thorheit! Siehst Du so wenig ein, wie ich leide und heruntergebracht bin, um mich in zwölf Stunden durch Deinen Brei wieder auf die Beine bringen zu wollen? Alles steht zwar in der Macht des Herrn, setzte er beinah weinerlich hinzu, und ist mein Ziel noch nicht gekommen, werde ich genesen, aber vielleicht, vielleicht erstehe ich auch nimmer mehr von diesem Schmerzenslager.
O schweig doch! rief der Jüngling mit jugendlicher Ungeduld, wie wirst Du doch sterben, Du bist ja noch gar nicht alt und bekömmst ja so schöne Arznei, wie der König selbst. [76] Der Mensch kann viel aushalten, sagte immer Dein Bruder, Margarithens Vater, und da mußt Du Geduld haben. Ich gebe Dir auch bald wie der Tropfen, und der Brei wird sicher Deinem Leibe gut thun.
Dies schien in Wahrheit der Fall zu sein, denn das leidende Gesicht des Alten zog sich ruhiger zurecht, und dem ängstlichen Stöhnen folgte eine Ermattung, die in einen leichten Schlummer überging.
Still saß der Jüngling und blickte in die wohlthätige Ruhe, die sich nach und nach um ihn verbreitete. Sein jugendliches Gesicht trug, trotz der eben bewährten Thätigkeit, die Spuren der Uebermüdung, die vielleicht einige Nächte, an dem Schmerzenslager durchwacht, ihm zugezogen hatten. Seine Augen ruhten erst mit aller Anstrengung weit geöffnet auf seinem Pflegebefohlenen; als aber dessen ruhiger Athem anzeigte, daß die Süßigkeit des Schlafes ihn beschlichen, wurden sie immer matter, und von dem Bilde der Ruhe vor sich sympathetisch ergriffen, senkten sich die schweren Augenlider. Bald fand er eine Stütze auf den weichen Decken des Fußbodens, und es sank ein fester und anhaltender Schlaf auf seine bedürftige Natur.
Nicht lange hatte so die Stille gewährt, da schlichen leise Schritte durch das Vorzimmer, und in einen weiten Mantel gehüllt erschien eine männliche Gestalt, die, mit schnellen Blicken das Zimmer überfliegend, die ganze Lage aufzufassen strebte und dann leise den Armstuhl an dem Bette des Kranken einnahm, zu dessen Füßen der Jüngling den Schlaf der Unschuld schlief.
Seine lebhaften kleinen Augen flogen von einem Schläfer zum andern, und es war nicht ohne Interesse, die Gedanken darin zu lesen, welche unbewacht sich ganz den so eben empfangenen Eindrücken hinzugeben schienen.
[77] Den Greis vor sich prüfte er mit der geringschätzigen Miene eines sicheren Kenners von Leben und Tod, und zog die Lippe gleichgültig empor, als er ihm innerlich das Letztere zuerkannt hatte.
Auf den Jüngling zu seinen Füßen starrte er dagegen mit einem Ausdruck von Neid und Neugierde hin. So ruhig, so heiter schlafen können! War es ein Glück, das er nicht mehr begriff, und das ihn doch heimlich an seine verlorne Seligkeit mahnte; war das Geringschätzung gegen ein so unbewegtes Leben, gegen eine so unbedeutende Existenz? Er zuckte mit dem Fuße, der fast dicht an dem lockigen Haupte des vom Schlaf Gerötheten stand, und zog ihn mit verächtlichem Lächeln zurück. Doch der Alte hatte nur wenig Augenblicke Ruhe gefunden, vielleicht hatte ihn der stechende Blick des Ankommenden aus dem Nebellande der Träume zurück gelockt.
Unwillkommen schien das Bild des Harrenden dem müden Auge; es schloß und hob sich nur mit einem Seufzer.
Es geht bedeutend besser, wie ich sehe, Alter, rief der Angekommene, ich denke, Du hast überwunden.
Etwas Ruhe und Schlaf würden vielleicht bei so geschwächten Kräften das Nöthigste sein, doch wie Ihr befehlt, ich bin Euch zu gehorchen bereit, was steht zu vollführen? erwiederte ergeben der Kranke.
Deine Genesung ist allerdings nöthig und gern gesehn, erwiederte der Angeredete, und die Wohlgeneigtheit Deiner Freunde wünscht sie zuerst um Deinetwillen, weniger machen die äußern Angelegenheiten für jetzt sie nöthig.
Seufzend legte der Alte sein Haupt auf die Kissen zurück. Nach einer kleinen Pause hob er an:
Ist es mir erlaubt zu hören, auf welche Weise man mit Master Brixton fertig wurde?
Porter! Porter! drohete der Andere mit der erhobenen Hand; Deine erste Frage ist nach diesem Schleicher, den wir [78] Deiner Obhut anvertrauten, und nun, da wir ihn fast erreicht hatten, um ihn unschädlich zu machen, ist er verschwunden, und bis jetzt bleibt jede Auskunft über ihn uns aus. Man argwöhnt nicht ohne Grund, daß er von Dir selbst eine Art Warnung oder gar irgendwo Sicherheit empfing, und es ist nicht mein letzter Auftrag, hierüber Dein Gewissen zu rühren.
Die lauernde Aufmerksamkeit, womit Porter – denn diesen uns wohlbekannten Diener des Prinzen von Wales haben wir vor uns – den drohenden Worten gehorcht hatte, ermäßigte sich gegen das Ende derselben zu einer stillen Duldermiene.
Mein ganzes elendes Leben ist dem Gehorsam gewidmet gewesen, für die erhabenen Zwecke, denen ich blind dienen mußte, da sie zu erkennen, mein schwaches Vermögen nicht ausreichte. Wo bin ich gegen den höheren Willen mit dem meinigen eingeschritten? Warum läßt man jetzt am Siechbette des Unterliegenden so harte Worte wie an einen Treulosen ergehen? –
Nicht immer sind wir Deines blinden Gehorsams gesichert gewesen; sehr viel hatte man Dir vertraut, und sieht man auf die endlich zu hoffenden Resultate zurück, sind sie ausgeblieben. Prinz Carl, denke ich, verräth wenig Neigung, seinen unglücklichen katholischen Unterthanen dereinst Schutz zu verleihen; die erhabene Frau, die wir dieser großen Rache zur Beschützerin erkoren, wird hier einen einsamen Sitz finden und das Herz ihres Gemahls mehr gegen ihre Absichten verschlossen, als darauf vorbereitet.
Hochwürdiger Herr, erwiederte Porter zurückgehalten, Ihr seid gekommen, Euch um jeden Preis zu erzürnen; darum häuft Ihr Verbindlichkeiten auf mich, die nothwendig unerfüllt bleiben mußten, da sie bei weitem meine Fähigkeiten und meine Stellung überstiegen. Habt Ihr selbst je mehr von mir gewollt, als die Abneigung, die man dem gnädigsten Herrn durch unsere gebenedeite [79] Kirche einzuflößen trachten könnte, zu ermitteln und die hochwürdigen, zu seinem geistigen Wohl verbündeten Herren in Kenntniß der geheimen Handlungen zu erhalten, die einem so geringen Diener, wie ich, zur Kenntniß kommen konnten?
Und doch denke ich, daß Vieles uns davon entgangen ist, entgegnete der Zürnende, was bei besserer Bedienung Deinerseits uns jetzt nicht so bedeutende Mühe machen würde. Wann erfuhren wir denn die wahren Verhältnisse der Gräfin von Buckingham? Etwa, wie es noch Zeit war, ihre wichtige und gefährliche Beziehung zu hindern?
Nein, erwiederte der alte Mann bitter lächelnd, erst da erfuhrt Ihr sie, als der Prinz überhaupt ein werthvoller Gegenstand ward durch den Tod seines erlauchten Bruders. Bis dahin mußte ich zwar aushorchen, aber selten wurden meine Notizen abgefordert, denn die Augen der hohen Brüder waren nur auf den dereinstigen Thronerben gerichtet, und Graf Archimbald war damals gefährlicher, als alle schönen Gräfinnen des Königreichs. Den Posten bei diesem erlauchten Prinzen hattet Ihr aber einem Andern anvertraut, den ich gern späterhin zu meinem gestrengen Herrn hätte übergehen lassen, hätte die unverdient mir geschenkte Gnade des Prinzen dies zugelassen.
Es mag sein, erwiederte in einiger Verlegenheit über den zurückgewiesenen Vorwurf der Fremde, daß Deine Dienste erst später Wichtigkeit erhielten, doch nimmt das den Vorwurf einer lässigen Bedienung nicht von Dir; vielmehr sind Deine Obern der Meinung, daß Du viel gut zu machen habest, wenn nicht die Folgen der frühern Vernachläßigung Einfluß gewinnen sollen.
Mit dem kläglichsten Ausdruck wandte sich der Kranke, wie unter wiederkehrenden Körperschmerzen, auf seinem Lager, und die Erdfarbe seiner Züge wechselte mit einzelnen rothen Streifen, wie sie Zorn oder Angst hervorrufen. Er schien die strengen [80] Worte des Redenden eben so wenig ertragen zu können, als sich hinreichend rechtfertigen zu dürfen, und ließ übellaunig ihn dadurch im Vortheile über sich.
Indessen konnte dieser Zustand von Gegenwehr gegen einen fremden despotischen Willen, wodurch er auch hervorgerufen war, immer nur eine vorübergehende Erscheinung in dem durch lange Gewohnheit zum Knecht gestempelten Geiste sein. Das Joch, wenn auch abgeschüttelt, umschloß doch bald um so fester wieder seinen Nacken, und es war, als ob der, den wir so rauh verfahren sehn, keinen Zweifel hegte an dieser Unterwerfung, denn er sah mit anscheinend vollkommener Ruhe den Konvulsionen der Empörung zu, die den Alten bewegten, bis sie, in sich ersterbend, nichts zurückließen, als die aschgrauen, mienenlosen Gesichtszüge blindester Unterwerfung.
Porter, hob er an, nachdem er dem Alten die nöthige Zeit gegönnt, wann sahest Du den Prinzen zuletzt, und wie war damals seine Stimmung?
Der gnädige Herr, erwiederte leise der Kranke, benutzen seit meiner Krankheit den Durchgang durch diese Zimmer, um zu Seiner Majestät zu gelangen, und so geschieht es, daß ich ihn jeden Morgen einige Augenblicke die Gnade habe zu sehn, nicht selten einige Worte zu hören, die allerdings weit über mein Verhältniß reichen und nur dem früheren Vertrauen in Bezug auf Dinge zuzuschreiben sind, die dem armen Herrn das Herz beschweren.
Gut, gut, unterbrach ihn ziemlich ungeduldig der Andere. Wie weit sind wir?
Nicht sehr weit, erwiederte besorgt der Alte, keinesweges so weit, wie zu wünschen stände, und ein alter Diener, der Jahre lang von früh bis spät seinen Herrn sieht und beobachtet, kann wohl wahrnehmen, was sich verändert und umwandelt in wichtigen Augenblicken.
[81] Nun, nun, rief der Fremde dringend, was meinst Du damit? –
Ich bin ein kurzsichtiges Werkzeug meiner Obern, aber wenn mir nach menschlicher Schwäche eigne Gedanken über die Angelegenheiten kommen wollen, die freilich in den besten Händen sind, möchte mir oft scheinen, es sei nicht gerathen, dem gnädigsten Herrn das Herz so zu zerreißen und ihn so ohne Trost zu lassen. Still und sehr tiefsinnig war seine Gemüthsart immer, aber sehr milde, gütig und fügsam, wohlwollend gegen alle Menschen zu gleicher Zeit; und die hohe Dame, die bis dahin im Geheim den gnädigsten Herrn beglückte, und das schöne Kind dieses Bundes erhielten neben mancher Sorge doch das Herz des Herrn in dieser gesegneten Stimmung. Seit aber dieses geheime Glück durch Gottes Willen dem gnädigsten Prinzen genommen, seit auch das holdselige Kind verschwunden, welches die trostreiche Unterstützung bei seinem Gram hätte werden können, ist die Gemüthsart des armen Herrn sehr verändert, und seine Anlagen scheinen eine sehr überraschende Entwickelung zu erleiden. –
Wie meinst Du das? rief aufmerksam werdend der Fremde und rückte dem Bette näher, den fest schlafenden Jüngling leise mit dem Fuße weiter rollend.
Es ist nicht gut, fuhr Porter vorsichtig fort, wenn einem verwöhnten Herrn, wie unserm gnädigsten Prinzen, plötzlich Alles fehl schlägt. Nicht alle Gemüther halten derlei Erschütterungen aus, ohne große Umwandlungen, am öftersten nachtheilige, zu erleiden. Der Schreck, wenn wir erfahren, wie ohnmächtig unsere eigenen Kräfte dem Schicksale gegenüber sind, wird sehr häufig ein Zürnen und nicht selten ein Erzürntbleiben gegen die ganze Welt, was Weh erzeugt um uns her, Weh zurückführt in das also gemarterte Herz – und Wehe! Wehe! ehrwürdiger Herr, wenn es dem inne wohnt, der einen [82] Thron besteigen soll. Den Widerstand, den er gefunden, läßt er erleiden, das Glück, an das er nicht mehr glaubt, versagt er um so leichter Andern; und menschliche Mittel als unwirksam erfahren zu haben am eignen Schicksal, vertritt der Menschenachtung den letzten Zugang, und ein eigenwilliges, stolzes Selbstvertrauen bleibt der Vertraute solcher gefährlichen Seeleneinsamkeit. –
Alter! Alter! unterbrach ihn hier sein Zuhörer mit einem lebhaften Ausdruck der Theilnahme, der eben sowol der Sache selbst, als der schlauen Beobachtung dessen galt, der so gern als unbedeutend erscheinen wollte und doch nur zu häufige Proben der tiefer gehenden Menschenbeobachtung gab, die ihn zu dem Werkzeuge jener umsichtigen Machthaber gestempelt hatte, welche kein Talent in ihrem Bereich verkannten oder unbenutzt ließen. Sprich, fuhr er fort, sind dies Wahrnehmungen, die Du mit Deiner Schlauheit kombinirst? Stützen sie sich auf Thatsachen? Gehören die Winke und Andeutungen dazu, die über die Folgen der Krankheit des Prinzen von Dir schon öfter gegeben wurden, die sogar unter dem Volke sich verbreitet finden? Wäre es mehr, als dies launische Uebelbefinden eines Genesenden? Oder sind es nur von Dir herbeigeführte Schlüsse, die Deiner Lieblingsidee dienen sollen?
Der Alte zog die Decke über seine hagern Schultern und sagte so gleichgültig, wie er vermochte:
Legt meine Worte aus, wie Ihr wollt, was hülfen mir weitere Betheurungen; seid Ihr doch einmal darauf gestellt, mich zu kränken und mir zu mißtrauen! Lieblingsideen verlernt der am ersten zu hegen, dem kein freier Wille blieb, den kleinsten Wunsch zu fördern; es ist lange her, daß ich von Lieblingswünschen träumte, ich weiß nichts mehr davon.
Du täuschest mich nicht, fuhr der Unerbittliche fort, ich weiß sehr wohl, wie Du uns überreden möchtest, dies Unglückskind [83] könne der Welt und seinem Vater erhalten werden, ohne unsere größern Absichten zu durchkreuzen. Läugne, wenn Du kannst, daß sich alle Deine Beobachtungen bequemen müssen, um dieser Idee unschädlich zu werden; läugne diese Schwäche, diese Thorheit für ein junges unbedeutendes Mädchen, für die Schwäche eines väterlichen Herzens, welches doch, zu dem reichsten Ersatze bestimmt, nur diese leichte Krisis von Schmerz zu überstehen haben wird, um dann die endlosen Sorgen, die an diesem Wesen ihm gegeben wären, in rechtmäßige Freuden verwandelt zu sehn.
Wer könnte wagen wollen, Euch zu täuschen, Hochwürdiger, erwiederte der Alte unterwürfig, die Hauptsachen können Euerm scharfen Blicke nimmer entgehn, nur traut Ihr meiner Aufrichtigkeit zu wenig. Was ich Euch über eine große, sehr ernst scheinende Karakterumwälzung des gnädigen Herrn gesagt, verwerft es nicht! Denn der Todesschweiß auf König Jakobs Stirn prophezeihet, daß Alles bald zu Tage kommen wird, was in diesem armen Herrn glüht und gährt. Gedenket daran! Er hat die Ungeduld des Unglücklichen; er wird handeln, um sich zu zerstreun. Gebt Acht, wie seine ersten Schritte sein werden; denn was Ihr hofft, wird vorerst Euch täuschen. EinWeib legt ihm so bald, nach dieser, keine Zügel an; Henriette von Frankreich wahrscheinlich nimmer, wenn irgend Eine, so wäre es vielleicht das gefangene Mädchen, das sich mit vollem Rechte Maria Stuart nennt, und das Ihr vielleicht zu Euerm eignen Nachtheil zurückhaltet.
Nachdenkend schob der Mönch die Kappe von der breiten Stirn und zeigte damit für einen Augenblick das Antlitz des Pater Johannes, des Beichtigers auf dem Schlosse der Lady Howard. Er bemerkte die lauernden Augen des alten Porters nicht, der die Wirkung seiner Worte auf dem enthüllten Antlitz suchte, und erkannte, daß sie mit großer Sorgfalt geprüft wurden.
[84] Ja, hob der Pater dann nachdenkend an, wenn dies Mädchen, die Du so gern Maria Stuart nennst, den glaubensvollen Eifer ihrer großen Ahnfrau hätte, diese unbesiegbare Liebe zu unserer heiligen Kirche, die ihr Haupt fallen ließ und selbst ihren gemordeten Schatten noch zu einem drohenden Panier gegen diese Afterkirche machte, was denkst Du, daß wir Deines Rathes bedürften, ihr einen bedeutenden Platz anzuweisen und eben sie der Welt zu erhalten? Aber ketzerisches Blut von beiden Eltern in den Adern, ketzerisch genährt und erzogen, ist sie starr geblieben gegen die Segnungen meines Unterrichts, meiner Belehrungen, gegen die überzeugenden Beispiele täglicher kirchlicher Feier, gegen Alles, was ein Gemüth sonst empfänglich macht, wie strengste Einsamkeit, Entziehung von Luft und Bewegung und jener eiteln weltlichen Geistesbeschäftigung, durch deren Angewöhnung ihre lasterhafte Erziehung aus diesem Kinde an Jahren, einen Mann an Festigkeit in ihren Irrthümern gemacht hat.
O, o! sprach hier mit vieler Theilnahme der Kranke, steht es so schlimm mit dem armen Kinde?
Ja, so schlimm steht es, erwiederte recht innerlich entrüstet der Andere, und so, fürchte ich, wird es bleiben und damit ihre Zukunft von ihr selbst herbei geführt sein. Glücklich müssen wir uns preisen, daß uns darüber die Verfügung gestellt ist, denn in Buckinghams Händen, mit der Zuthat höfischer Weltklugheit, die er nicht ermangelt haben würde ihr zu geben, hätte die erhabene katholische Fürstin, die sich hierher begiebt und als eine wahre Gesandtin des Herrn dies Ketzerland betritt, die Märtyrer-Krone früh genug um ihre Schläfe fühlen können. Und unser so spärlich gedeihender Einfluß? – Er hielt inne, als fehle ihm die Ergebung, um den Gedanken zu vollenden, der sich ihm nur wider Willen aufgedrängt hatte. Auch Porter schien von ernster Unruhe bei diesen Worten ergriffen, denn zu [85] tief hatten ihn die zu verpflichten gewußt, die sein Gewissen und seine Stellung mißbrauchten, als daß er sein Interesse von dem ihrigen hätte ganz abwenden können. Die Liebe zu seinem Prinzen, die vielleicht das einzige warme Gefühl dieses abgetödteten Herzens war, trat doch immer wieder verschüchtert zurück, wenn dieses mächtige Interesse aufkam. Der geheime Wunsch, den Prinzen endlich seiner Kirche zuzuwenden, verdeckte ihm dabei die bösen Wege, die er ging, und die Treulosigkeit, die er in jeder andern Beziehung sich gegen ihn weder erlaubt, noch verziehen hätte, erschien ihm durch solchen Zweck geheiligt.
Es ist freilich dabei Manches zu bedenken, fuhr der Mönch fort, und nicht unwichtig ist die Hartnäckigkeit des Sinnes, den Du, eben daher abgeleitet, bei dem Prinzen wahrzunehmen vorgiebst. Aber es dürfte dies Alles eher zu bestätigen sein, als dies Mädchen, so wie sie jetzt ist, hervortreten zu lassen und Buckinghams Einflusse, der gebrochen werden soll, damit eine neue Verstärkung zu geben.
Hochwürdigster, hob hier der Alte an, wie von einem frischen Gedankenstrome belebt, sagt mir doch, beabsichtigten nicht frühere Pläne, das Fräulein der gnädigsten Prinzessin zu übergeben, als ein Geschenk für den Vater, sein Herz damit ganz der großmüthigen Gemahlin zuzuwenden.
Man hat auch dies bedacht, allerdings, erwiederte Pater Johann, doch blieb es nur damals erwünscht, als ihr Besitz noch nicht entschieden war.
Seit sie unser gesichertes Eigenthum geworden, ist der Plan wenigstens nicht weiter in Anregung gewesen, und selbst unter dem Einflusse der Prinzessin bleibt ihr Hervortreten gefährlich; denn Buckingham hat unbestreitbare Rechte über sie, und wird sie sich ihm nicht leichter zuwenden, als der katholischen Fürstin?
[86] Der Alte schwieg und vertiefte sich in seine Gedanken, bis er endlich an einer neuen Frage, die sich ihm aufdrängte, angelangt war, die er sich jedoch hütete, als solche zu stellen.
Der Einfluß und die Geschäftigkeit einer großen Anzahl von Personen, die ihm aus Furcht und Gewinnsucht dienen, setzten den Herrn Herzog oft auf eine sehr überraschende Weise von Dingen in Kenntniß, die man weislich verborgen hält. Ich habe eine schmerzliche Sorge für das heilige Schloß und seine Bewohner. Seit lange, glaube ich, gehen über dasselbe, bis jetzt freilich mehr verlachte und gering geachtete Gerüchte; käme aber der Herr Herzog bei vergeblicher Nachforschung auf den Gedanken, von welcher Hand diese ihm wichtige Person ihm entzogen worden und verborgen werde, sollte er da nicht im Weiterschließen diesen Ort finden können und denselben dann der brutalsten Nachsuchung aussetzen?
Alter, erwiederte der Angeredete, Du schießest an Deinem Ziel vorüber. Alles zu übersehn, ist Dir nicht verliehn, und Deine Vorsorge macht Dich hier kurzsichtig und einfältig, als ständen Dir keine Erfahrungen zur Seite. Wer hat denn bisher spielend diese Verhältnisse geleitet, wer diese Verbindung, dies Kind gehütet, und stets sie bereit gehalten zum beliebigsten Gebrauche, zur Hintertreibung oder Erreichung nöthiger Zwecke, und zwar mit so fester und doch ungeahneter Hand, daß sie sich in völliger Freiheit und Sicherheit träumte?
Hm, erwiederte der Alte mit dem boshaftesten Lächeln, welches er in seiner ganzen Schärfe vortreten ließ, ich weiß, Sir, daß es dieselben ehrwürdigen und weisen Herren waren, die endlich die Lady, ohne Ahnung ihres Todes, von ihrem eignen Bruder, der blos zufällig nicht der Herr Herzog selbst war, begraben, und den lang bewachten und festgehaltenen Schatz entwischen ließen, in ziemlicher Ungewißheit, wo er[87] eine Zuflucht gefunden, oder ob ihm überhaupt noch eine Zuflucht auf dieser Erde nöthig sei.
Ein Fehler, unläugbar ein Fehler, stotterte verwirrt Pater Johann, aber sehr verzeihlich und durch die Umstände entschuldigt. Der höchst weise Hilarius, der diese Aufsicht übernommen hatte, ward abgefordert nach des Höchsten Rathschluß. Pater Clemens, der uns allgemein würdig schien, das große Geheimniß zu theilen, noch in Frankreich, der Prinz und der Herzog in Spanien, das Kind in Schottland – es schien wenig Gefahr vorhanden. Gewiß war es ein merkwürdiges Beispiel, wie das kleinste Versäumniß oft zur Zerstörung der klügsten Unternehmungen führen kann. Indessen fehlen dem Klugen selten die Mittel, eine solche blos menschliche Befährniß wieder abzuwenden, wie der Erfolg gelehrt.
Wohl, sagte trocken Porter, aber es war freilich eine eigne Befährniß, Sir, daß das Fräulein, wie durch Instinkt getrieben, zu diesen Nottinghams, ihrem alten Schutze, flüchten mußte und es endlich der Kabalen des Herrn Herzogs bedurfte, sie aus dieser strengen Obhut zu locken.
Ja, rief der Andere kurz auflachend, es war ein Meisterstück, diesen eiteln Lord, diesen Membrocke, so blos als Handlanger unserer Pläne handeln zu sehen, und Beide, Buckingham wie ihn, Einen um den Andern, anzuführen.
Denkt Ihr, rief warnend Porter, der Herr Herzog habe dies nicht erkannt? Denkt Ihr, er werde es ruhen lassen? Wie Viele haben jetzt schon den Verrath seiner Chiffern büßen müssen; er stürmt in Wuth gegen alle Verdächtige an, nur immer an dem Einen vorüber, der ihm zu nah steht, um ihm verdächtig zu sein; aber darum ist doch die Entdeckung nicht unmöglich, und Maxwell würde sich durch nichts retten, als indem er uns alle verriethe, daran zweifelt nicht.
[88] Kann sein, erwiederte gleichgültig Pater Johann, fürs Erste hat er Alles vergessen, und das Spielzeug, das wir ihm gegeben, der Glanz und die Ehre dieser Brautsendung, die seiner Thorheit eben so viel Nahrung als Gefahren giebt, wird ihn, denke ich, auch nach seiner Rückkehr hinreichend beschäftigen. Die Gewitter, die über ihm stehen, und die er für blauen Himmel hält, werden den Wind aus Frankreich haben und hinter ihm herziehen, bis sie sich in England über ihm entladen.
Die Scene, die der Prinz durch Buckinghams Unverschämtheit in Whitehall, in Gegenwart des französischen Gesandten, bei Bristols Zusammenkunft erlebte, hat ihn über Vieles nachdenkend gemacht, und er forscht in der Stille, ob wohl an Bristols sogenanntem Verrathe wirklich etwas sein möge. Abwesenheit ist immer Verlust für solche Günstlinge; Buckingham wird, denke ich, die Verhältnisse verändert wieder finden. –
Um so mehr, sprach der Alte bedächtig, wird er das Mittel wieder zu erlangen suchen, was ihm ein großes Gewicht sichert und sein Ansehen wieder herstellen, wenn nicht erhöhen muß.
Denkt, Sir, daß zur Zeit, als Ihr Mutter und Kind in der selbst gewählten Lage nur bewachen durftet, der Herzog von ihrer Wichtigkeit, ja, theils von ihrer Existenz keine Ahnung hatte; jetzt ist es anders, und selbst der Groll, so lange darüber getäuscht worden zu sein, schärft das Interesse. Es war eine schwarze Stunde und folgenreich in allen Beziehungen, als mein gnädigster Herr ungewarnt und gerade durch den Herzog die Nachricht des Todes derjenigen erhalten mußte, um derentwillen er eben so große Opfer gebracht, so große politische Pläne hatte scheitern lassen, selbst eine Verbindung mit dem früher so gehaßten Herzog eingegangen war. Von da an schreibt sich Alles, was die hochwichtigen früheren Pläne verwirrt und gefährdet hat, und der Herzog hat, wohl erkennend, welchen [89] ungeahneten Vortheil er verloren, schnell übersehn, wie wir anerkennen müssen, was ihm nun zu thun oblag. So haben wir ihn sehr richtig würdigen sehn, daß jetzt ihm vorläufig nur Schaden daraus erwachsen und seinem hochmüthigen Plane, sich zum Schöpfer einer eben so glänzenden Verbindung zu machen, als der, wegen welcher Graf Bristol unterhandelt hatte, diese Entdeckung jetzt keineswegs wünschenswerth sein könnte. Darum mußte das Wesen, dessen Werth für die Zukunft er wohl fühlte, für den Augenblick, da der zärtliche Schmerz des Vaters ihr eine gefährliche, Frankreich beleidigende Legitimität geschenkt hätte, zurück gehalten werden, aber glaubt mir, er wird es, wenn nur erst die Vermählung vollzogen, nicht vergessen, daß sie ihm entwandt ist, um seine späteren Pläne zu vereiteln. Wer weiß, ob er nicht schon jetzt ihren Aufenthalt kennt und Euch blos eine Aufsicht über sie läßt, welche selber zu führen, ihm beschwerlich sein würde. –
Eine ungeduldige Bewegung des Pater Johannes unterbrach die schnellen fieberisch gesprochenen Worte des Alten.
Ich bin nicht gekommen, Deine Weisheit zu hören, rief er ziemlich übellaunig, und mich Schwätzereien hinzugeben, die von zu ungleichen Personen geführt werden, um irgend zu einer Ausgleichung führen zu können. Mein Auftrag an Dich geht diesen Brixton an, der jedenfalls jetzt entfernt und um jeden Preis von dem Prinzen zurückgehalten werden muß.
Dies habe ich, antwortete mit völlig gesenkter Stimme der Kranke, so lange gethan, als es mir möglich war, den Prinzen allein zu beobachten. Es ist ihm nicht gelungen. Seine Briefe sind in meine Hände gekommen, seine täglichen Besuche an allen Zugängen zu den Gemächern des Prinzen vereitelt worden, zwei Mal, kurz vorher, ehe der gnädigste Herr sich aus denselben begeben, ist er auf meinen Befehl von den Wachen weggetrieben und hiernach von allen Bewohnern des Schlosses [90] verjagt worden, wo er sich zeigte. Von meinem Lager aus habe ich noch Warnungen und Befehle gegen ihn ergehen lassen, und er zeigt sich jetzt nicht mehr; doch, daß er aus seiner Herberge verschwunden, war mir neu.
Seine Wichtigkeit ist nicht zu übersehn, sprach der Pater; wir würden ihm zwar seinen so wohl unterrichteten Zögling zu entziehn wissen, wie einem Jeden, doch ist es besser, wenn sie dort unter strenger Aufsicht ihr Leben beschließt, als daß wir zu dem äußersten Beschluß schreiten müßten. Uebrigens sichert die nahe Küste von Frankreich ihre schnelle, und dann unerreichbare Entfernung und Trennung von allen Verbindungen mit ihrem Vaterlande.
Brixton würde indessen durch die Spuren, die er selbst von ihrer Flucht und ihrem Aufenthalte bei den Nottinghams entdeckt hat, dem Prinzen ein willkommener Bote sein und wenigstens die Gedanken ihres Todes, die ihm nach und nach einzuflößen sind, von ihm entfernen; auch ist es nicht rathsam, setzte er flüchtig hinzu, einen Mann zu ihm zu lassen, der, einer der gefährlichsten Feinde unserer Kirche, eben jetzt sich nachtheilig zeigen könnte.
Wohl, wohl, bekräftigte der Alte; er darf nicht in Verbindung treten mit dem gnädigsten Herrn, dies sehe ich selbst ein, und überhaupt alle müssen entfernt bleiben, die ihn daran erinnern, was er verloren; weshalb auch Gersey und Hanna mit allen ihren Gesuchen abgewiesen sind.
Diese Beiden, sprach der Pater, hat der Herzog selbst für gut befunden, unschädlich zu machen. Zur Ruhe gebracht, in der vortheilhaften Stellung, das leere Schloß zu hüten, worin sie ein langes Leben der nun zerronnenen Hoffnung widmeten, einst mit diesem gehegten Kinde selbst einen hoch vermögenden Platz einzunehmen, hat Alter und überstandene Gefahr sie fügsam gemacht, und sie werden Dich nicht mehr belästigen. Du [91] hast fürs Erste den Prinzen fortwährend auf den Tod der Gesuchten vorzubereiten. Unsere ersten Berichte über die Hoffnungen, die sie zu geben schien, sind durch Pater Clemens nach Frankreich gegangen; doch konnte ich seine Ansichten von Anfang an nicht theilen, denn der gute Herr sieht die Dinge selten in ihrer natürlichen Gestalt. Meine folgenden Berichte sind daher ganz anders ausgefallen, und ich denke die Antwort wird so sein, daß sie es einst bereuen wird, meinen hohen und anerkannten Ruf in Bekehrung ketzerischer Gemüther durch ihren Widerstand angegriffen zu haben. Wenn's nach mir geht, verläßt sie nie wieder die Mauern dieses guten, festen Schlosses! – Die Glut des Zornes war am Ende dieser Rede auf die breite Stirn und die düster funkelnden Augen des hochmüthigen Paters getreten, und Porter erkannte genau, was das Fräulein zu erwarten hatte, vertrauten nämlich die höheren Lenker dieses Gewebes den Berichten des in seinem geistlichen Hochmuth verletzten Priesters.
Aber Brixton, unterbrach der alte Mann den Gang des Gesprächs, was denket Ihr mit ihm zu thun? Vielleicht hat er, abgeschreckt durch die vergeblichen Versuche, bereits seine Rückreise angetreten. –
Damit wirst Du uns wenigstens nicht rathen wollen, die Versuche zu seiner Wiederauffindung einzustellen. Ich werde seine Spur finden, verlaß Dich darauf und gehabe Dich bis dahin wohl!
Offenbar in der übelsten Laune, die er sich erregt, theils durch die Erinnerung an die Verletzung seines Hochmuths, theils durch den stets wieder auflebenden Verdacht, Porter möchte sie nicht redlich bedienen, erhob sich der Pater. Stolz grüßend verließ er das Krankenlager des Vertrauten, dem er in einer durch Alter und Einsamkeit genährten Geschwätzigkeit wohl mehr mitgetheilt hatte, als er bei einer ruhigen Berathung mit [92] seinem Verstande und den Gründen des Verdachts gegen ihn für rathsam gehalten haben würde.
Porter blickte dem Abgehenden mit einem Ausdrucke nach, der an das boshafte Spiel der Katzen erinnerte, welche, in ruhiger Stellung ihrem schon getroffenen Feinde gegenüber, blos mit der Schärfe ihres Blickes ihn hüten, sicher, daß ihnen der beliebige Augenblick zu Gebote steht, wo das Ausstrecken der bekrallten Pfote seiner Freiheit Grenzen setzt.
Dessen ungeachtet sehen wir diesen Ausdruck gemäßigt durch die Betrachtungen, die dem Alleingelassenen sich aufnöthigen, und nicht undeutlich zog mancher schwere Seelenkampf über dies gefurchte Gesicht, und konvulsivisch sehen wir ihn seine Decken drücken, und sich selbst zusammen ziehen und strecken, so daß es schwer wurde, an die Wirksamkeit des Umschlages zu glauben, den der ruhig schlummernde Jüngling so vertrauungsvoll ihm umgelegt. Doch wir wissen, daß die Seele des Menschen in eine Zerrüttung verfallen kann, die Konvulsionen zu erregen vermag, unzugänglich den Linderungen von Außen und in uns selbst den Arzt fordernd, der mitleidend oft lange die nöthige Hilfe versagt.
Der innere Streit, den wir hier zu schildern suchen, ging, wie immer, dahin, ob die Liebe zu dem von seiner Jugend auf ihm anvertrauten Prinzen, dem er die einzige warme Regung seines Herzens verdankte, und der ihm eben darum vielleicht in der Stille als sein Wohlthäter erschien, siegen sollte. Eben so mächtig war der Einfluß dieser Priester, durch Erziehung, Gewohnheit, Religion und den fanatischen Eifer der Kir che, ein so mächtiges Werkzeug des Ruhmes zu gewinnen, in seinem tiefsten Leben gewurzelt.
Es findet sich in der innern Geschichte aller Menschen mehr oder weniger ein Streit zwischen den Eindrücken der Erziehung und den späteren Ueberzeugungen, und es möchte nicht [93] schwer sein, die Macht der ersteren in jedem Individuum wieder zu erkennen, wie sehr sie auch oft in dem entwickelten Geiste verarbeitet erscheint. Eben so häufig aber tritt uns die Erscheinung entgegen, eine gänzlich ihr hingegebene Natur zu finden, die, tyrannisch beherrscht von den ersten Eindrücken, jede freiere Entwickelung sogar von sich stößt und wie ein Sklave im selbst gewählten Joche durchs Leben keucht. Beschränkt und der edlen Bestimmung entgegen, das durch Erziehung überliefert Erhaltene blos als Basis höherer Entwickelung zu benutzen, scheint uns ein solches Wesen verächtlich und unbeachtenswerth; wie oft aber würden wir von diesem zuversichtlichen Verwerfungsurtheile abstehen müssen, wäre uns ein freier Blick in das Innere erlaubt. Es wächst unter der Last befestigter alter Gewohnheiten und Vorurtheile oft dem Allen entgegen, immer zum geheimen Widerspruche geneigt, ein kleiner zarter Keim freierer Ueberzeugung empor, die vor der schweren Erde, die hoch darüber lastet, nicht bis zur Entwickelung an das äußere Leben gedeiht; aber wenn das nahe Ende den Hochbejahrten aus dem irdischen Sein, worin seine Fesseln haften, hinausgeführt, dann erblicken wir zuweilen eine plötzliche Veränderung, von der wir uns angewöhnt haben zu sagen: Er ist so sanft, er wird bald sterben. Es sind aber nicht die letzten Tage, die erst dies höhere Leben erzeugen, es sind die verhüllten schwachen Versuche der ganzen unfruchtbaren Vergangenheit, die in den letzten Tagen an dem ferner gerückten Leben keinen Widerstand mehr finden, und nun den kleinen Keim gedeihen lassen, den Gott alsobald zum Verpflanzen hinwegnimmt.
Von dieser Betrachtung aus finden wir uns vielleicht in den Zustand des Greises zurecht, dessen zuckendes Gesicht zuletzt von einer diesen Zügen sonst so fremden Rührung zeugt. Bald ist es überwunden; er schaut über den Rand des Bettes nach dem Schläfer, und endlich, nachdem er die Nothwendigkeit, [94] ihn zu wecken, erkannt, streckt er die dürre Hand über das blühende Gesicht.
Tief in die Süßigkeit des Schlafes versenkt, wehrt der Jüngling die Störung ab, sich anders wendend, um im Schlummer fortzufahren, und bald auch dahin verfolgt, kehrt er aus dem Taumel seiner unschuldigen Träume zurück und strengt sich an, zu erwachen. Er richtet sich endlich empor und sieht und hört nicht viel, und muß immer wieder von der kalten, dürren Hand gereizt werden, ehe er Alles zusammen findet, was zum Erwachen nöthig.
Armer Schelm, ruft der Alte ihm mitleidig zu, hast noch lange nicht ausgeschlafen, wie ich sehe, und wirst böse genug sein, daß ich Dich wecke! Setze Dich auf mein Bett und erhole Dich; sieh, da sind schöne gesottene Früchte, erquicke Dich erst, ich habe einen Auftrag für Dich.
Gern, gern, rief der wieder ermunterte Knabe freundlich! ach, sage mir doch, wie geht es Dir, Ohm, bist Du gesund, hat der Brei geholfen?
Helfen thut Alles, so lange es an der Zeit ist, lächelte trübe der Alte: der Tod aber hilft sich auch, wenn er die Arbeit in Empfang nehmen will. Doch laß das, guter Lanci, und nimm Deine Sinne recht zusammen, denn Du mußt zeigen, daß Du ein kluger und verschwiegener Junge bist.
Verschwiegen bin ich, rief Lanci zuversichtlich, das hat meine gute Mutter oft gerühmt, und klug könnt Ihr mich ja machen, Ohm, denn Ihr habt's in Fülle, wie ich weiß.
Wir wollen sehn, mein Kind, sprach Porter, doch sag' mir ein Mal, möchtest Du wohl Margarith wiedersehen?
O Ohm, sprach der Jüngling verschämt, wie kannst Du davon sprechen, Du weißt, daß ich hier bin, Dich zu pflegen; Du selbst hast es gewollt, einen von Deinen Verwandten wolltest Du um Dich haben, und ich bin gern gekommen, denn [95] ins Schloß durft' ich mich so nicht mehr wagen, und da hab' ich Dich gern gepflegt, bleibe auch bei Dir, bis Du umherläufst, wie sonst, aber dann redest Du mit dem alten Miklas über die Margarith und mich, denn zu Weihnachten werde ich Jäger, und dann will ich sie auch.
Was ich versprochen, werde ich halten, erwiederte der Ohm, sei aber versichert, daß Alles davon abhängt, wie Du Dich jetzt zeigst. Das beste Loos harrt Dein, wenn Du treu und klug meine Befehle erfüllest, und das Gegentheil kann Dein unabwendbares Schicksal sein, zeigst Du Dich hier nicht, wie es nöthig ist.
Ach Ohm, Ihr macht mich ängstlich. Wie soll ich so große Gefahr bestehen? Werde ich das können? Die arme Margarith, was soll aus ihr werden, wenn ich sie nicht befreie?
Befreie? wiederholte der Alte streng; weißt Du denn, ob sie jetzt Dir folgen würde, da die junge Lady, von der Du mir sagst, ihr Herz ganz besitzt und sie nicht von ihr will.
Ach, ich kann's nicht glauben, rief Lanci betrübt. Gesagt hat sie es freilich, und die arme schöne Dame, sie müßte sich auch todt weinen, wenn Margarith nicht um sie wäre, die sie immer tröstet.
Das glaube ich auch, Lanci, sagte Porter, darauf eingehend, und darum sollst Du die junge Dame retten helfen, dann hast Du Margarith obenein und keine Noth weiter.
Jesus, Maria, Joseph! rief der Jüngling und machte einen Freudensprung durch die Stube. Rede, Ohm, sage, was ich thun muß, alles und klug dazu; verschwiegen obenein will ich sein; Du sollst Dich sehr freuen über mich; aber nun sage auch, damit ich darnach thun kann.
Porter blickte den Aufgeregten nachdenklich an und schien noch einmal den Entschluß zu prüfen, der ihm darum so bedenklich däuchte, weil er dies junge Wesen, halb Kind, halb [96] Jüngling, darein verwickeln mußte; und doch blieb ihm keine Wahl. Ihm, der zu jeder Intrigue sonst mehr als eine Hand bereit hatte, ihm fehlte es zum ersten Male an einer solchen, da seine Handlungen abweichen sollten von dem bisher befolgten Systeme; ihm kostete auch dies noch einen Seufzer, dann zog er den Jüngling näher. Es mußte, was geschehen sollte, schnell geschehen.
Du mußt noch heute abreisen, doch ganz im Geheim. Wenn die Dunkelheit einbricht, so nimm Deinen Mantel und schleiche Dich aus dem Schlosse. Nimm die westliche Seite des Schlosses wahr und gehe durch den breiten Weg um Buckinghams-Lodge herum; einen weiten, unangebauten Platz mußt Du in nördlicher Richtung durchschneiden, dann kommst Du auf den Weg, der Dir bald die großen, weitläuftigen Gebäude zeigen wird, die Dich zu dem Schlosse des Herzogs von Nottingham führen. Hier melde dich beim Thorwart und bitte ihn, daß er Dich zu Lord Richmond führt; will man nicht, so dringe so lange, bis man nachgiebt; ist er nicht anwesend, so harre am Thore, bis er erscheint.
Sodann verlange, daß er Dich allein spricht, und geschieht dies, wie ich nicht zweifle, denn es ist ein herablassender Herr, so sage ihm, die Reise, die er morgen antreten wolle, führe zu nichts, mit Dir müsse er gehn, wolle er erreichen, was er vorhabe. –
Aber was will er denn erreichen? unterbrach Lanci den Ohm.
Schweig, fuhr der Alte fort, Du mußt ohne Unterbrechung hören. Er will eben die Lady im Schlosse Howard befreien, und will durch die Welt, und weiß nicht wohin und wo sie zu finden ist.
O, lachte Lanci freudig, dazu bin ich gut, Ohm! Da soll er nur mit mir kommen.
[97] Siehst Du es ein, wozu ich Dich bestimme? fragte der Alte milder. Ja, so ist's. Fragt er Dich nun, so vertraue ihm, wo sie ist, aber was er auch anstellen mag, von wo Du kommst, sage ihm nicht, nie komme mein Name über Deine Lippen, nie verrathe ein Wort Dein Verhältniß zu mir; aber alles Andere wende an, um den Lord von der Wahrheit dessen zu überzeugen, was du sprichst; Alles thue, damit er Dir schnell und unbedingt vertraue, und seine Abreise aufs Lebhafteste beschleunige. Sage ihm, der unbekannte Freund, der Dich sende, lasse ihm die höchste Vorsicht, die größte Eile empfehlen; nur durch List würde er das Fräulein retten. Offene Gewalt würde sie sogleich aus dem Schlosse, selbst aus ihrem Vaterlande führen. Meinem Bruder Miklas wirst Du einen Brief überbringen, den ich sogleich schreiben werde, Du wirst ihn in seine Hände zu spielen wissen und dann genau vollziehen, was er, dadurch veranlaßt, Euch zu thun heißen wird.
Ist die Lady befreit, so sage dem Lord Richmond, es gebe nur einen Ort, wo sie sicher sei, dies sei in dem Schlosse seiner Mutter, doch selbst da nur, wenn über ihren Aufenthalt das tiefste Geheimniß beobachtet werde, da sie von vielen Seiten bedroht sei und jede Kunde von ihrem Aufenthalte ihre nachdrücklichste Verfolgung herbeiführen könnte.
Jetzt überlege das Gehörte, wiederhole es mir dann, bevor Du fortgehst, noch ein Mal, und dann gieb mein Schreibzeug und ein Blatt her, worauf ich an Miklas schreiben will. –
Der lang erwartete Augenblick war gekommen, der 8te April des Jahres 1625 hüllte England in Trauer. König Jakob war dem Fieber unterlegen, das er so richtig selbst als den Verkünder seines nahen Endes erkannt hatte. Der Tod versöhnte [98] auch dies Mal alle Herzen mit dem Hingeschiedenen, an den sich zahllose Vorwürfe und Klagen hefteten, als der Hauch des Lebens noch in ihm zitterte. Milde und Güte schien jedes Wort auszusprechen, und es bestätigte sich abermals, daß der Tod allein die Härte und den Unfrieden der Menschen versöhnt, daß nur, was den Kreisen des Lebens entrückt wird, aus dem Bereich ihrer Anfeindung tritt.
Schnell kehrten sich Aller Augen auf das neue Gestirn, das seine Laufbahn beginnen sollte, und es fehlte nicht an argwöhnischer Zergliederung, an Befürchtungen möglicher Uebel, um für das, was wirklich geschah, die Laune zu verderben.
Das schreckenvolle Loos, welches Carl beschieden war, hat für Mit- und Nachwelt ein weites Feld der Betrachtung eröffnet. Doch gewiß bleibt es, so fürchterliche Katastrophen in der Geschichte eines Volks sind nicht von dem einen Haupte verschuldet oder herbei geführt, das als Sühne des Kampfes fällt. Das langsam schleichende Uebel vieler Generationen, worin zuletzt ein Volk verwickelt wird, macht es zum erzürnten Manne, der sich rächen will für ein tief empfundenes Leid und, blutend aus vielen Wunden, Linderung sucht, und den zuerst opfert, der ihm zunächst die Farben des Feindes trägt, wäre das Individuum auch der Schuld fremd geblieben.
Fremd war Carl wohl nicht der Schuld, aber jedenfalls der Schuld fremd, die eine solche Strafe verdienen konnte, und wenn wir ihn, in Widersprüche verstrickt, bald mit glühendem Eifer seine Pflichten erfüllen, und milde und voll guten Willens alle Mittel zur Beseitigung wachsender Uebel ergreifen, bald wieder düster und eigenwillig Menschen und Verhältnisse verkennen, und die keimende Empörung durch seltsame Mißachtung reizen sehen, so müssen wir der Worte des alten Porters gedenken: Er wird mit der Heftigkeit eines Unglücklichen handeln, der sich zerstreuen will.
[99] Wenn es uns gestattet wäre, die geheime Geschichte der Menschen zu kennen, die auf der großen Bühne der Welt uns ihre Rolle vorspielen, und deren Motive zu ergründen, während wir oft nur das zu erwägen vermögen, was eben wieder als geschichtliche Thatsache vor unsere Sinne tritt, wir würden erstaunen, wie tief aus dem fest verschlossenen Raume des Herzens oft die Farbe gestiegen ist, die ihre Handlungen tragen! Nachdenkend halten wir ein vor dieser Betrachtung auf der glatten Bahn des Urtheils. Ein schmerzliches Gefühl drängt sich uns auf, wie getrennt der Mensch vom Menschen steht, wie eher alle Güter der Erde sich mittheilen lassen, als dies geheimnißvolle Gut des Innern, wofür keine Sprache zum Verständniß gegeben scheint, wofür es vielleicht eine giebt, die aber wenig mehr als ein Traum der Jugend scheint, und deren Laute bald verklingen in der Verhärtung des Herzens und des Lebens! Diese Einsamkeit jedoch, die wir uns eingestehen müssen, oft in den reichsten Kreisen des Lebens, sie ist vielleicht die Heimat unserer Andacht, unseres Zusammenhanges mit Gott, dessen ausreichendes Verständniß wir empfinden, und das uns erquickt durch die Ahnung einer unverlierbaren Gerechtigkeit!
Das äußere Leben Carls des Ersten zu verfolgen, finden wir keine Spuren in den Familienpapieren, die wir hier der Welt übergeben. Wenn sie auch, Manches von dem geheimen Geschick des Prinzen in leichten Andeutungen verrathend, über seinen Karakter einen Aufschluß geben könnten, so liegt es doch außer dem Bereich unserer Absicht, darauf weiter einzugehen.
Carl empfand den Tod seines Vaters mit einer rein kindlichen Hingebung; er hatte bis zum letzten Augenblick ihm Zeit und Ruhe gewidmet, und seine Pflege bis zu den geringsten Handreichungen mit den übrigen Umgebungen getheilt.
[100] Gewiß hatte so viel Liebe das Ende des Königs erleichtert und selbst in das gequälte Herz des Sohnes jenen Frieden, jene Stille gebracht, die aus der Erfüllung einer heiligen Pflicht entspringt.
Sein dunkles melancholisches Auge blickte um so rührender aus dem bleichen Gesicht, und als er an der Leiche des Vaters den gleich ihm ermüdeten Hofstaat entließ, um die Vorkehrungen zur Beisetzung nicht zu behindern, konnten die treuen Diener kaum dem Gedanken entgehn, daß der neue Träger der Krone, gleich dem verschiedenen, wie die Zierde eines Paradesarges aussehe.
Langsam, von Wenigen gefolgt, durchschritt er die öden Zimmer, bis er das uns bekannte Gemach des kranken Porters erreicht hatte, wo er allein, schweigend und gesenkten Hauptes, an das Bett des immer noch Leidenden trat.
Dein Herr und König ist nicht mehr, wiederholte er die schon bekannt gewordene Nachricht. Ich habe keine Eltern mehr, der Grabstein auf dieser Erde wird immer breiter für mich. Sprich es jetzt aus, was Du seit langer Zeit andeutest, habe ich auch das Letzte, was mich an diese Welt band, verloren? Fürchte nicht, fuhr er fort, da Porter in entsetzlichem Kampfe nach einer Antwort rang; eben jetzt bin ich bereit Alles, auch das Schwerste zu hören.
So tröste Gott Euer Majestät, stammelte der Alte und öffnete die Lippen, mehr zu sagen, als der König, kurz zusammenfahrend, seinen Degen fest an die Seite drückte, ihm Stillschweigen zuwinkte, und wie ein Nachtwandler starr und steif aus dem Zimmer schritt.
Porter blieb in Verzweiflung zurück; nicht dies hatte er gewollt; aber Carls schnelle Auslegung vermöge der im Augenblick des Schmerzes ihm zunächst liegenden Weise, und seine Entfernung machten es Porter, der selbst ans Bett gefesselt blieb, unmöglich, den König zu beruhigen. Ein längeres Nachdenken[101] drängte endlich seine Theilnahme ziemlich in den Hintergrund und ließ ihn sogar Sicherheit für seine eigenen Schritte in dieser Annahme finden, wobei er den Vorsatz fest hielt, bei der Nachricht von ihrer Rückkehr nach Godwie-Castle dem Könige die Hoffnung zu geben, daß sie noch lebe.
Von der Leiche eines Fürsten, dessen Tod der Anfang einer eben so wichtigen Epoche für England ward, als sein Leben bei seinem stillen Gange und seinen wenig hervortretenden Ereignissen kaum eine Spur hinterließ, wenden wir uns zu dem letzten Ruhebette eines Greises, zu gering, um in den Registern der Geschichte einen Raum für seinen Namen zu finden, wichtig genug für den Mittelpunkt, für die Hauptperson unserer Erzählung, um ihn nicht zu übersehen.
Wir treten in ein leeres Zimmerchen, welches uns schon bekannt ist, und mit seiner hochgewölbten Decke, seinen tiefen bis an den Boden reichenden Fenstern uns die Wohnung des alten Miklas, im Schlosse der Herzogin von Sommerset, zeigt.
Leer sehen wir die Wände und mit schwarzen Vorhängen bezogen; kein gastliches Feuer in dem leeren Kamin verbreitet Helle und Wärme; im trüben, matten Lichte umgeben zwölf Wachskerzen den erhöhten Sarg, wo wir die erblaßte ehrwürdige Gestalt des alten Miklas gewahren, dessen gefaltete Hände, in denen der Rosenkranz hängt, und die stille Miene des Gebets und der sanftesten Ruhe eher einen in heilige Andacht Versenkten, als einen Gestorbenen ankündigen.
Laut hören wir seitwärts schluchzen und sehen Margarith, in Trauer gehüllt, auf der Erde vor Lady Melville knieen, die, auf einem schlichten Stuhl am Sarge sitzend, die Todtenwache mit der trostlosen Tochter theilen will. Auf der andern Seite [102] hören wir ein leises Murmeln von Gebeten, mit der lauteren Betonung einzelner heiliger Namen, und finden Schwester Electa, welche sich dem Dienste unterzogen hat, die Sterbegebete an der Leiche herzusagen.
Sanft hören wir dazwischen die Stimme Marias, die, mit der eignen Wehmuth kämpfend, ein liebevolles linderndes Wort für die arme Margarith spricht.
Aber wie sind die Züge verwandelt, in die sonst mit dem Schmelz der Jugend und Schönheit zugleich die frische, kräftige Natur solche Fülle des Ausdrucks legte, eine Beweglichkeit der Mienen, den Blick fast wider Willen fesselnd. Die schönen gerundeten Wangen sind länglich und kränklich verfeinert, die Blässe der Haut geht in das Weiß der kleinen Binde über, die der Klosterhaube sich anschließt, keine Spur des reichen Haares zeigend. Der schöne Mund hat den tiefen Ausdruck des Leidens mit seinen gesenkten Winkeln, seiner erblaßten Farbe, und die schöne Nase scheint wie durchsichtig in Feinheit und bläulichem Schein. Drüber ruhen die größer blinkenden Augen, wie trostlose Gefährten, nichts mehr von Außen suchend, von Innen nichts mehr findend, um ihr voriges Licht anzufachen, nichts bewahrend, als den Abglanz einer reinen erhabenen Seele.
Von der schluchzenden Margarith richtet sich ihr Auge zu dem lieben Greise, von ihm zu ihr zurück. Sie theilt den Schmerz der Tochter nicht aus Mitleiden allein, sondern in dem Gefühl des großen Verlustes, den auch sie an dem edlen, gütigen Greise erlitten, welcher stets bestrebt war, die Härte ihrer Lage durch stille Wohlthaten zu erleichtern. Er hatte sie mit Margarithen oft zur Nachtzeit durch geheime Gänge und Thüren an die ihr versagte Luft geführt, und sie sah nun eine Existenz vor sich, die wenig von der in einem Kerker unterschieden war, und dieser an Luft und Bewegung Gewöhnten ein baldiges Siechthum zu drohen schien.
[103] Ergeben sieht sie in die Zukunft; nach und nach sind alle ihre Hoffnungen auf Rettung zusammen gefallen. Sie will die Erinnerung fern halten und hat doch kein anderes Leben, als eben in der Erinnerung mit ihren Anklängen von Seligkeit, die den tiefen Schmerz ihrer Brust nähren und den Giftbaum wachsen lassen, unter dessen weit sich ausbreitenden Zweigen die Blüten ihres jugendlichen Lebens welk werden und niedersinken. Sie kömmt sich alt vor und denkt, es sei lange her, daß sie jung war; sie könnte denken, schon einmal gelebt zu haben, und zwischen ihrer früheren Existenz und ihrer jetzigen liege ein Grab, aus dem sie gestiegen, um als ein wankender Geist umher zu gehen, nicht lebend und nicht todt.
Ihr ward nicht der Trost zu Theil, der den schiffbrüchigen Lebenswanderer aufs Neue ansiedelt, um in irgend einer Thätigkeit, in der ungestörten Andacht einer reinen Religiosität die Vergangenheit zu überwinden. Die ausgesuchteste ihrer Qualen war der Zwang, der ihr auferlegt war, in der Nähe und steten Umgebung von Personen zu leben, die in sinn- und geistlose Beschäftigungen sie zu verflechten trachteten, und deren Religiosität bei näherer Bekanntschaft die Abneigung bestätigen mußte, die sie gleich bei den ersten Versuchen des Pater Johannes dagegen empfunden hatte.
Der Haß, den ihr bloßer Anblick in dem Herzen der Lady Sommerset erregte, da sie die schönen Züge der Schwester Buckinghams trug, desjenigen, der die Stelle eines Lieblings, wie Sommerset dem Könige war, nach dessen Fall ersetzte und damit ihr tödtlicher Feind ward, – dieser Haß trat in jedem Augenblick hervor. Er entlud sich mit Schadenfreude an dem unschuldigen Abkömmling, ja, Gelindigkeit schienen ihr noch stets die niederbeugenden Maaßregeln gegen die Arme, und entschlossen war sie im Innern, daß Buckingham seine Pläne auf sie nie erfüllt sehen sollte, und sollte sie auch zum Aeußersten [104] schreiten und dies Leben hinwelken lassen, ihm sollte es nie Nutzen schaffen können.
Pater Johann, der sein Beichtkind vollkommen kannte, wenn auch die Beichte selbst ihm darüber nur mittheilte, was sie selbst für gut fand, schützte Anfangs, wo ihm die Hoffnung auf Marias Bekehrung eine neue Glorie vorspiegelte, seinen Zögling gegen die offenbaren Verfolgungen der Lady. Aber seine üble Laune stieg in dem Maaße, als ihm jenes Ziel entrückt ward, und schnell benutzte die scharfe Beobachterin die schwache Seite des Priesters, um strengere Einschränkungen über sie zu verfügen. Sie schritt so, wenig Widerstand mehr findend, in ihren tyrannischen Anforderungen fort, bis sie jede kleine Gemächlichkeit, jede Beschäftigung des Geistes, jede Erquickung des Körpers ihr entzogen sah, und suchte die Demüthigung des Geistes, die Trostlosigkeit des Herzens durch die härtesten Worte und Reden zu vollenden.
Maria setzte Anfangs diesen Dingen den jugendlichen Muth, den Stolz ihres edeln Blutes entgegen und fügte sich auf eine Weise, die ihre Beobachterin unsicher machte, ob sie es vermocht hätte, sie zu demüthigen. Als aber ihr Geist in seiner Thätigkeit unterdrückt war, als die Entbehrung der freien Natur ihre Gesundheit untergrub, zeigten sich in ihrem Aeußeren jene Spuren, die wir bereits andeuteten, und ihre Feindin sah den Erfolg ihrer Bestrebungen und fuhr fort, sie danach zu behandeln.
Maria bewohnte längst nicht mehr die reich ausgestatteten Zimmer, die Pater Clemens im gutmüthigen Eifer für sie eingerichtet hatte. In einem überhängenden Thurm des ältesten Theiles des Schlosses, nach dem Meere hinaus, war ein ödes, leeres Zimmer ihr angewiesen, worin sie nichts als ihr Lager, ein Betpult und einen Schrank fand, ihr Nonnenkleid und das wenige ihr gelassene Gepäck zu verwahren.
[105] Kein Buch, kein Schreibgeräth ward ihr gestattet. Schon am frühen Morgen ward sie von ihrem harten Lager durch die Glocken aufgeschreckt, die im Innern des Schlosses, fast neben ihrem Zimmer hingen und so mächtig zur Frühmesse riefen, daß der Thurm zu schwanken schien, der keine andere Basis hatte, als einen kleinen Pilaster, der ihn an eine niedere Fensterfronte anlehnte.
Sie stieg dann, dem Sinne verwirrenden Geräusch entfliehend, und von bösen Worten über Ketzerei und Lauigkeit der Andacht empfangen, in die Gruft, welche die Kirche der Fanatiker war, mit allem Glanze des katholischen Kultus ausgeschmückt und auf den ermüdeten Geist Marias oft wohlthätig wirkend, da ihr Herz doch auch hier in seiner Sprache zum Himmel sich erheben konnte und die Schönheit des Raumes, mit dem übrigen dürren Geistes-Leben kontrastirend, den Mißlaut beschwichtigte, in dem ihr Herz den Tag über zitterte.
Seufzend stieg sie dann ans Licht zurück, denn sie konnte von da an sich nicht mehr von ihren Umgebungen trennen, und mußte mit ihnen widrige Handarbeiten treiben und ihr noch widrigeres Geschwätz anhören.
Bei Tafel saß sie an einem gesonderten Tische, um die ehrwürdigen Frauen nicht zur Zeit ihrer Erholung zu stören durch ihre unheilige Nähe. Hier war es, wo Lady Sommerset mit allen Stachelreden der Verachtung und des Hasses ihre geringe Kost zu vergiften suchte, und wenn die Thränen des Schmerzes die holden Wangen der Verfolgten immer mehr auszubleichen schienen, verstärkte die Unerbittliche ihre Worte, in der Gewißheit des Erfolgs.
Spät am Abend erst ward sie auf ihren Thurm entlassen, der, seiner öden Wände und ungastlichen Einrichtung ungeachtet, ihr wie eine Freistatt des Friedens erschien.
In den schmalen Raum des Fensters gedrückt, blickte sie oft stundenlang in das melancholisch rauschende Meer hin, und [106] rang in der Ermattung ihres ganzen Wesens nach Kraft und Geduld vor Gott. Da stellte sich dann der heimliche Trost ein, der ihr auf offenen Wegen längst entzogen war, und Miklas mit seiner Tochter erschien, und Beide schütteten in das verwaiste Herz der Dulderin den Trost einer Theilnahme, einer Liebe und Verehrung, der sie nirgends mehr begegnete.
Miklas, war es, der sich der Gefahr freiwillig unterzog, dem verschmachtenden Wesen die Wohlthat der frischen Luft zu verschaffen. Durch eine unscheinbare Thür, auf dem Vorplatze dieses luftigen Baues, stieg man eine schmale Treppe hinab, vielleicht nur von Miklas gekannt, und erreichte dadurch einen kurzen verdeckten Weg, der, von dem ehemaligen Festungswerk herrührend, unmittelbar in den jetzt ausgetrockneten und zur Weide benutzten Schloßgraben führte, wo, von beiden Seiten durch Wälle verdeckt, jetzt die Spazierenden gegen die Unfreundlichkeit der Nachtstürme und der Jahreszeit in etwas geschützt waren.
Unbeschreiblich war das Entzücken und die Dankbarkeit Marias für diese Wohlthat, die ihr zwar nicht oft zu Theil ward, aber sie dann auf das Wunderbarste stärkte, wozu das herzliche, liebevolle Gespräch mit Margarith beitrug, deren ganze Seele an der geliebten Lady hing und nebenbei ihren kleinen Kummer ausschüttete, da Lanci zum Ohm nach London berufen war und das unschuldige Sehen der beiden Liebenden dadurch sein Ziel gefunden hatte.
Tief erschütterte Maria daher die Nachricht, daß Miklas von einem bösen Fieber befallen darnieder läge, und überwältigt von dem Gefühl, wie Margarith leiden möge, wagte sie die erste Bitte an Lady Sommerset, die Pflege des Alten mit der Tochter theilen zu dürfen.
Die Lady ließ ihren Falkenblick mit allem Ausdruck höhnischer Schadenfreude auf der Bittenden ruhen; dann gewährte [107] sie mit einem boshaften Lächeln; denn bereits war Maria dazu ausersehn, diese Pflege zu übernehmen, da man das Fieber für bösartig und ansteckend hielt.
Furchtlos und freudig eilte sie zu ihrem alten Freunde, aber er kannte sie nicht mehr, und Maria hatte bald keinen Zweifel, worauf sie Margarith vorzubereiten habe.
Diese Sorge nahm ihren Geist so in Anspruch, daß sie fast übersah, was ihr selbst damit auferlegt ward, und erst an dem Sarge, wo wir sie wieder finden, ergriff sie das trostlose Gefühl, wie viel sie verloren habe. –
An dem erwähnten Tage ritt in das Städtchen Boxhall, welches zunächst dem Schlosse der Lady Howard lag, eine kleine Anzahl Männer ein, deren ermüdete Pferde hinreichend zeigten, daß sie nicht geschont worden waren, und deren fragende Blicke, die sie an den elenden Häusern des öden, kleinen Städtchens umherwarfen, deutlich ihr Verlangen nach einer Herberge andeuteten, die den Reitern, wie den Rossen gleich nöthig schien. Ein solcher Aufenthalt fand sich allerdings, wie in jedem kleinen Orte, auch hier, und die Herberge zum weißen Lamm, wie sie sich nannte, obgleich ohne große Unterstützung durch häufigen Verkehr mit Fremden, übertraf durch äußere und innere Einrichtung die geringe Erwartung, womit die Reisenden sich ihr genähert hatten.
Master Haxford, der Wirth, erschien wohlgekleidet mit großer Gravität an der Thür des zweistöckigen, geräumigen Hauses, als das Getrappel der Pferde die seltene Erscheinung von Gästen verkündigte, und lugte unter seinen dicken Augenbrauen prüfend nach den Ankommenden hin, während er zuweilen, ihre Bedürfnisse schon von fern taxirend, einzelne Befehle in das Haus zurück rief.
So fanden die Reisenden bei ihrer Ankunft den Hausflur mit mehreren Domestiken angefüllt, deren weiblicher Theil von [108] einer Frau kommandirt ward, welche das empfehlendste Schild aller Wirthshäuser, eine immense Korpulenz und eine glänzende, fast prunkhafte Reinlichkeit, an ihrer kleinen Gestalt zeigte.
Die Reiter, die sich demnach erwartet sahn, stiegen ohne Weiteres ab, wobei Master Haxford mit Genauigkeit und Schlauheit ihr Rangverhältniß zu ermitteln trachtete, da ihre durchaus unscheinbare Kleidung sie nicht von einander unterschied.
Es kam darüber später unter den Eheleuten zu einem Streit, indem Mistreß Haxford den älteren Herrn für den vornehmsten halten wollte und die Kurzsichtigkeit ihres Mannes, der den jüngern dafür nahm, belächelte, weil dieser sich beeilt habe, vom Pferde zu kommen, um den ältern ehrerbietig herunter zu heben.
Weib, rief der Wirth vom Lamme, ich kenne diese Vornehmen besser, als Du. Jetzt macht er sich nichts aus seinem Range, eben weil kein Vornehmer dabei ist, den er damit ärgern kann, daß er sich brüstet. Das sind immer die Herablassendsten gegen die Geringeren, wo sie Niemand sieht, die nachmals die Hochmüthigsten werden. Herabgehoben hat er ihn, aber über die Schwelle ging er zuerst, nach dem Gepäck sah er sich nicht um, während der alte Herr sich aufhielt, selbst Einiges davon mitzunehmen.
Und der schöne Page, hob die Wirthin an, ist das nach Deiner Klugheit vornehmes oder geringes Blut?
Vornehm oder gering, fuhr der Wirth ihr entgegen, alle haben sie Magen, alle sind sie hungrig und durstig, und Dein Platz ist in der Küche. Er selbst aber stieg mit einem Schlüsselbunde und kleinem Laternenstock durch eine Fallthür in den wohleingerichteten Keller, und entging dadurch den Worten seiner beleidigten Ehefrau, die in der That keinen ungegründeteren Vorwurf bekommen konnte, als den der Versäumniß der [109] wichtigen Küchenangelegenheit, da sie dieser in einer seltenen Vollkommenheit vorzustehen verstand.
So sahen die Reisenden bald zu ihrem Vergnügen in dem hellen und wohnlichen Gemach, wo sie das Feuer eines großen Kamins schon empfangen hatte, auch Vorkehrungen zum Mittagsbrote machen, die ihnen eine ziemliche Bekanntschaft mit den feineren Bedürfnissen der Tafel zu verrathen schienen, vervollständigt durch mehrere staubige und wohlverpichte Flaschen, die Master Haxford selbst sorgfältig auf den Schenktisch niedersetzte.
Eine kurze Pause bis zum Auftragen der Speisen, welche die Diener entfernte, benutzten die Reisenden zu einem Austausch ihrer Gedanken.
Jetzt, Mylord, redete Brixton Richmond an, der in schwermüthiges Hinbrüten verloren, in die Glut des Kamins starrte, jetzt, wo wir so nah an unserm Ziele sind, muß ich mit Betrübniß eine Veränderung in Eurer Stimmung wahrnehmen, die, verzeiht mir, fast mich fürchten läßt, es finden sich Hindernisse in Euch ein, die Ihr vorher nicht erkannt hattet, oder Euch leuchten Schwierigkeiten ein, die mir entgangen sind.
Fürchtet dies nicht, theurer Sir, erwiederte Richmond, sich emporraffend und freundlich zu ihm hinblickend, weder ein Zweifel, noch die kleinste Aenderung meines festen Entschlusses, Euch um jeden Preis in Euerem Vorsatz beizustehen, ist in mir eingetreten; im Gegentheil, so nah dem Ziele, fühle ich es lebhafter, als früher, wie nöthig es ist, alle unsere Gedanken auf die Erreichung desselben zu richten. Mir bleibt nur ein Zweifel, doch geht dieser nicht die Sache selbst, sondern das Verfahren an, das uns durch diesen unbekannten Rathgeber aufgenöthigt und meiner Natur so widerstrebend ist, daß ich für mein Verhalten fast besorgt sein möchte. Erhält mich etwas bei der Ueberzeugung, daß wir uns dieser Vorschrift fügen sollen, so ist es Eure Nachgiebigkeit, bester Sir, da Ihr allerdings [110] besser, als ich, übersehen könnt, ob dies einem geraden und offenen Verfahren, wozu ich immer die Neigung behalten werde, vorzuziehen sei.
Nachdenkend hörte Brixton diese Worte an und schien noch ein Mal verständig die Umstände zu prüfen.
Mylord, hob er darauf an, meine Einsicht ist nicht so klar, wie Ihr denken mögt. Ich habe dies früher bekannt, ich muß es wiederholen, wie weit die Entdeckungen sich erstrecken, die durch den Tod ihrer Beschützer über das Fräulein gemacht sind, weiß ich nicht. Ob Wahrheit oder neue Täuschungen ihre Verfolgung herbeiführten, ob eine elende Galanterie diesen Lord Membrocke leitete, oder eine tiefere, von näher Unterrichteten herrührende Absicht, ich kann es nicht wissen. Jedenfalls ist jedoch hier eine Partei thätig gewesen, die listiger und mächtiger vielleicht ihm entgegen wirkte, und in deren Gewalt wir sie uns denken müssen.
Auffallend, erwiederte Richmond, ist das hartnäckige Schweigen des Jünglings, dessen Wahrhaftigkeit ich übrigens vertrauen muß, und der doch diejenigen oder den einen nicht nennen will, der ihn uns gesendet; welche Absicht kann da zum Grunde liegen? Tausend Mal hätte ich Alles für eine Falle gehalten, in die man uns lockt, gerade um uns abzuziehen, wären die Erzählungen zu bezweifeln, die der Knabe in der höchsten Unschuld und mit der vollen Geschwätzigkeit der absichtslosen Unbefangenheit giebt, und die so glaubwürdige Nachrichten über das Fräulein enthalten, daß wir nicht zweifeln können, sie zu finden, wohin wir ihm folgen, wenn, was Gott verhüten möge, ihre Verfolger sie nicht schon weiter geführt haben.
Ich bin vollkommen Eurer Meinung, entgegnete Brixton, ich kann nicht zweifeln, daß uns der Knabe redlich bedient; seine eigene zärtliche Sehnsucht nach Margarith, die er seine Geliebte nennt, ist nicht erheuchelt und ist in vollkommener [111] Uebereinstimmung mit allen übrigen Aussagen. Auch muß ich noch bekennen, daß mir seit seiner kindischen Heimlichthuerei, die jedoch alles verräth, was er verhehlen möchte, über die Geheimnisse des Schlosses eine Ahnung kömmt, die in Bezug auf das Fräulein allerdings einen neuen Feind bezeichnen könnte.
Ihr meint, rief Richmond, daß die Einwohner von Howards Schloß Katholiken sind?
Habe ich das gesagt? rief eine überraschte Stimme, und Lanci, der leis hereingetreten war und diese letzten Worte gehört hatte, stand glühend vor Schreck vor beiden Männern.
Du hast es unendlich oft verrathen, doch wohl nie eigentlich beabsichtigt, es zu sagen, sprach Brixton ruhig; sei aber unbesorgt, es soll von uns nicht weiter gebracht werden.
Es thut mir leid, wenn ich es verrathen habe, sagte Lanci, Ihr werdet mich aber nicht so unglücklich machen, davon zu sprechen. Doch hier im Hause, muß ich Euch sagen, passen sie alle sehr auf uns auf; die dicke Wirthin wollte durchaus, ich sollte ihr sagen, wer der Vornehmste sei, sie wollte mich mit Kuchen und Aepfeln füttern, wie einen Affen, ich habe sie aber laufen lassen und habe gesagt, – verzeiht Mylord – wir wären alle nicht vornehm.
Richmond und Brixton konnten ein Lächeln nicht unterdrücken, welches sich noch verstärkte, als der Knabe wichtig fortfuhr: Es ist aber Zeit, daß wir jetzt beschließen, wie wir die arme Lady loskriegen, und da denke ich, daß ich den Vorläufer mache. –
Dabei werde ich Dich begleiten, unterbrach Richmond ihn rasch, jeder Schritt, der jetzt geschieht, ist zu wichtig, ihn allein Deiner jungen Ueberzeugung anzuvertrauen. Master Brixton mag sich hier einige Erholung gefallen lassen, bis wir ihm Nachricht geben können und seine Gegenwart nöthig wird.
[112] Der Knabe schwieg; nach einem Augenblicke sah er beide Herren an und schüttelte den Kopf.
Nun, Lanci, sprach Richmond, gefällt Dir der Plan nicht?
Ich müßte lügen, wenn ich Ja sagte, erwiederte er offen; ich möchte nicht, daß Einer hier bleibe, nicht, daß Einer jetzt mit mir ginge.
Und weshalb? fuhr Richmond fort, sei offen, mein Kind, wir wollen gern hören, was Du Dir ausdenkst, da Du bis jetzt Dich treu und gescheidt gezeigt.
Seht, Mylord, hob Lanci an, ich denke, ich muß noch heute weiter. Es ist Freitag, morgen ganz früh liefert der Wildmeister das nöthige Wild für den Sonntag in die Schloßküche, dabei muß ich sein, es ist die einzige Art, wie ich oder mein Brief mit herein kommen. Unterdessen, dachte ich, müßtet Ihr aber doch nachrücken, damit Ihr zur Hand seid bei den Vorschlägen, die Vater Miklas austheilen wird, und die ich nicht wissen kann. Auch sehe ich jetzt wohl, wo ich bin, und hätte besser gethan, uns und die Pferde noch einen halben Tag hungern zu lassen, als Euch hierher zu bringen.
Was beunruhigt Dich hier, rief Richmond aufstehend; hältst Du es für möglich, daß man uns hier vom Schlosse aus beobachten könnte?
Ja, erwiederte Lanci, so denke ich; der alte Wildmeister hat mir immer von einer Herberge erzählt, wo es hoch hergeht, und wo die Katholischen, denn Ihr wißt es ja nun einmal, aus- und einziehen, die von und nach dem Schlosse wollen. Diese ist hier, jetzt habe ich das Schild gesehn: Zum Lamm; so hieß sie, aber der Wildmeister wußte auch nicht, daß sie im Städtchen liegt, er sagte immer in den Hügeln.
Und glaubst Du, sprach Richmond, daß diese Leute im Solde des Schlosses sind, daß man die Fremden anzeigt, die hier einkehren? –
[113] Ja, so sagte der Wildmeister, und er weiß es am besten. –
So laßt uns sogleich wieder aufbrechen, rief Richmond, und sie auf alle Weise über unsern Weg täuschen, damit wir sie unsicher machen oder früher, als ihre Nachricht, eintreffen.
Brixton stand auf, seine Bereitwilligkeit zu zeigen, als die Thüren sich öffneten und die Diener mit den Speisen eintraten, der Wirth mit einer wehenden Serviette voran und mit großer Geschicklichkeit beiden Gästen zu gleicher Zeit die Stühle herbeiziehend.
Ein Blick tauschte die Gesinnungen der Beiden aus. Um jedes Aufsehn zu vermeiden, nahmen sie die Mahlzeit an; auch sagte sich Richmond bei einigem Nachdenken, daß jedenfalls den Pferden Ruhe zu gönnen sei, ohne welche jedes weitere Unternehmen Gefahr liefe.
Sie hatten sich kaum niedergelassen, als neues Pferdegetrappel sich vor der Thür hören ließ und der Wirth nach einem flüchtigen Blicke durch das Fenster dem Ankommenden entgegen eilte.
Freundliche und ehrerbietige Begrüßungen hörte man wechseln, und es erhob sich eine ziemlich lange Zwiesprache im Hausflur. Dann hörte man die Treppe hinansteigen, und zuletzt erschien der Wirth, den neuen Gast hinter sich, in der Thür und bat um Erlaubniß, den eben angekommenen Herrn an der Mahlzeit Theil nehmen zu lassen.
Es war wenig dagegen zu sagen, da der Fremde sogleich eintrat, und sehr höflich und mit vielen Worten die Gastfreundlichkeit der Anwesenden in Anspruch nahm.
Kalt ward ihm zugestanden, was nicht gut verweigert werden konnte, und er nahm sehr gemächlich an der andern Seite des Tisches Platz, wo ihm auch Anfangs die Stillung seiner Eßlust hinreichende Beschäftigung gewährte, was ihn jedoch nicht abhielt, seine kleinen stechenden Augen mit großer [114] Beweglichkeit auf allen anwesenden Personen herumfliegen zu lassen.
Während er, um Athem zu holem, seine Kravatte einen Augenblick lüftete, begann er, sich gegen seine Tischgenossen verneigend:
Es ist selten, an dieser Tafel mit so geehrten Gästen zusammenzutreffen; die Gegend ist sonst unbesucht, hat keinen Verkehr; die Nähe des Hafens von Dover zieht dorthin alle Reisenden von Bedeutung.
Diese Rede blieb eine Zeitlang unerwiedert. Endlich fragte Richmond, halb zum Wirthe, halb zum Fremden gewendet: Wie weit rechnet man Dover, und wie ist der Weg dahin?
Sollten Euer Gnaden nach Dover zu gehen beabsichtigt haben, rief der Fremde, muß ich sehr erstaunen über einen so bedeutenden Umweg; da, wie ich aus Kleidung und Art zu schließen wage, Dero Weg von London herkömmt.
Nicht Jeder beabsichtigt gerade den kürzesten Weg, erwiederte Richmond, und jedenfalls wird Dover erst in einiger Zeit lebhaft werden, wenn die Prinzessin von Frankreich dort anlangt.
Es wird wenig Feierlichkeiten geben, sagte der Fremde nachdenkend, die Landestrauer verbietet jedes Geräusch.
Die Landestrauer? rief Brixton, was meint Ihr damit, mein Herr, wo ist Landestrauer?
Wann habt Ihr denn London verlassen, werthe Herren, sprach der Fremde, daß Ihr den Tod des Königs nicht mehr erfuhret?
Des Königs! riefen Alle auf ein Mal.
Und wann starb der theure Herr? fuhr Richmond fort.
Am Abende des achten dieses Monats, erwiederte der Fremde.
Also am Tage unserer Abreise, sagte Brixton mechanisch.
[115] Ich reiste am andern Morgen ab, fuhr der Fremde fort, bin also doch etwas rascher gereist, als die geehrten Herren. Handelsleute, wie ich, fuhr er fort, die meist auf Reisen ihr Leben zubringen, sind aber auch besser mit all den kleinen Vortheilen vertraut, die das Fortkommen erleichtern.
Diese Worte blieben wieder ohne Entgegnung, da Richmond wie Brixton sich tief erschüttert fühlten von der Nachricht, die sie so eben erfahren hatten. Die Gedankenfolge errathend, nahm der Fremde das Gespräch wieder auf.
Die Trauer in London war sehr groß und allgemein; so lange die guten Leute auch darauf vorbereitet waren, schien es doch, als habe der Tod den König im Jünglingsalter, in der Fülle der Kraft hinweggenommen. So geht es aber, was man lange besessen, denkt man nie verlieren zu können; dieselben, die jetzt weinen und stöhnen, sprachen früher frevelhaft über ein so weit ausgesponnenes Lebensziel; nun es da ist, schreien sie wieder über die neuen Aussichten für den Thron und sehen überall Gespenster.
Thoren giebt es immer, zu allen Zeiten, bei allen Veranlassungen, sagte Richmond gleichgültig, die Stimme des Volkes war anders über Jakob, und die Hoffnungen für seinen Nachfolger lassen sich nicht von Gespenstern verscheuchen, die nur Kinder oder Narren sehen.
Wohl, wohl! erwiederte der Fremde mit niedergeschlagenen Augen, eine treffliche Scheibe Schinken zerlegend; aber diese Vermählung, diese unglückliche Vermählung! Es mag immer eine gute Dame sein, diese nunmehrige Königin von England, die unter Papisten geborne und erzogene Prinzessin von Frankreich; eine verhaßte Katholikin bleibt sie doch, und daß der junge König diese mit sich zieht bei seiner Thronbesteigung, hat seine Nachtheile, glaubt mir Sir.
[116] Ich glaube Euch weder, sprach Richmond stolz, noch halte ich es für schicklich, über die Gemahlin meines Königs mich in Klügeleien einzulassen. Ihr Glauben ist Sache ihres Herzens, worüber ihr nicht schon jetzt von jedem müßigen Geschwätz das Gift zubereitet werden sollte. Ich hasse derlei Voraussetzungen, wie ich das Böse hasse, das es ist.
Er stand bei diesen Worten auf, sich gegen Brixton ehrerbietig, gegen den Fremden flüchtig verneigend, und verließ das Zimmer, da er schon seit dem Eintritte des Fremden Lanci vermißte, mit dem er jetzt ihre Abreise verabreden wollte.
Lanci war jedoch nicht zu finden, und er hörte von seinem herzukommenden Bedienten, daß derselbe schon vor einer halben Stunde, nach einer flüchtigen Mahlzeit, zu Pferde gestiegen und eilig durch die Hinterthür davon geritten sei.
Als Richmond nach seinem Zimmer zurück wollte, näherte sich ihm sein Kammerdiener, und er merkte bald, daß dieser ihm etwas zu sagen habe, was keine Zeugen litt.
In den Hausflur zurücktretend, erzählte ihm derselbe, wie Lanci ihm gesagt, er müsse eilen, das Schloß früher zu erreichen, als der angekommene Fremde, denn wäre der erst dort mit der Nachricht von der Anwesenheit einer so starken Gesellschaft, als die Euer Gnaden hier, so würde es gewiß unmöglich sein, in das Schloß einzudringen. Euer Gnaden sollte ich dies sagen, und vor dem Fremden warnen, zugleich möchtet Ihr den angekommenen Herrn sicher machen, als ob ihr zu verbleiben gedächtet, vielleicht verzögere er dem zu Folge wohl selbst seine Abreise, in der Hoffnung, Euch zu beobachten. Den Leuten im Hause aber habe er weiß gemacht, er habe ein Stück unserer Reiseequipage im letzten Nachtquartier zurückgelassen, was er eilig holen müsse, ehe es die Herrschaft vermisse.
Richmond übersah schnell das gescheidte und treue Verhalten des ehrlichen Lanci, und der höchst unangenehme Eindruck, [117] den auf ihn der Fremde gemacht, fand nun seine Bestätigung. Er glaubte nämlich in ihm den Kaplan des Schlosses zu erkennen, von dessen böser Autorität Lanci genug verrathen hatte, um ihn als einen Feind und Verfolger der unglücklichen Lady Maria anzusehen. Es war ihm daher fast unmöglich, ihn in der ersten Aufregung, die in ihm durch diese Entdeckung bewirkt wurde, wieder zu sehen. Er eilte nach seinem Schlafzimmer und ließ Master Brixton dahin bescheiden.
Nachdem er ihm alles Erfahrene mitgetheilt, beschlossen sie, der ferneren Weisung des ehrlichen Jünglings zu harren, da es allerdings gewiß schien, daß ihnen bei der Anwesenheit des Pater Johannes kein Schritt möglich werden dürfte, auf den sie nicht seine Aufmerksamkeit gerichtet fänden.
So peinlich diese Lage, besonders für Richmonds wärmeres Blut, war, beschloß er doch mit dem Anscheine der Ruhe, den Pater zu täuschen und ihn dadurch bis zum morgenden Tage aufzuhalten; ob er selbst länger auszuharren vermögen würde, wagte er sich nicht zu versprechen.
Von dem Augenblicke an, wo Miklas zur Beerdigung fortgetragen war, fühlte Maria eine Schwäche über ihre Glieder sich verbreiten, daß sie nicht ohne Unterstützung zu gehen vermochte.
Electa, die zwar bigott und in fanatischen Gefühlen glühend, doch stets mitleidig und theilnehmend gegen Maria blieb, leitete die halb Ohnmächtige die hohen Stiegen nach ihrem Thurmzimmer hinauf, da Margarith in fast gefühlloser Trostlosigkeit auf ihrem Lager ruhte und selbst die geliebte Lady nicht mehr sah, die ihrer Hülfe bedürftig wurde.
Electa, die noch nie das verpönte Gemach der unglücklichen Maria betreten hatte, konnte kaum ihr Erstaunen bei [118] dessen Anblick unterdrücken. Unruhig suchten ihre Blicke nach irgend einer Bequemlichkeit für die Kranke; sie fand nichts als das dürftige Lager, das, in dem kleinen Gemache in der Nähe des losen Fensters stehend, von dem unablässig eindringenden Winde bestrichen ward, der in dieser Höhe und von dem Meere aus nie einen Augenblick seine heulende Stimme unterbrach.
Sie legte die jetzt in Ohnmacht Versunkene auf diese elende Lagerstätte und nestelte ihren eigenen Schleier los, um ihn gegen das Fenster aufzuhängen.
Aber nur etwas kaltes Wasser fand sie in einem irdenen Kruge, die Ohnmächtige zu erfrischen. Doch that dies einfache Mittel seine Wirkung, und die Unglückliche öffnete die Augen und blickte in die mitleidigen Züge Electa's.
Ihr hier? fragte sie sanft; wie ist mir geschehen? Nachsinnend brach sie plötzlich in sanfte Thränen aus, die in etwas die Last von ihrer Brust wegnahmen.
Wie ist Euch nun? fragte Electa. Soll ich Euch entkleiden und zur Ruhe bringen!
Liebe Electa, sagte Maria, bedenkt wohl, was Ihr thut. Man will hier nicht, daß ich Hilfe finde, ich möchte Euch nicht Verweise zuziehen, laßt mich lieber allein; Gott wird mir Kraft geben, oder sein Wille hat es auch anders vor, nun denn – – –
Electa schlug die Augen nieder, sie fühlte sich beschämt von der Lage des armen Wesens, dem sie nicht zürnen konnte, für wie verderblich sie auch ihre Geistesverkehrtheit hielt. Ihr Beistand bei ihrer Hinfälligkeit zu leisten, schien ihr doch nicht zu viel.
Ich zweifle nicht, sprach sie daher sich ermannend, unsere ehrwürdige Oberin wird gestatten, daß ich Euch beistehe, und ich gehe, ihre Erlaubniß zu holen.
[119] Maria fühlte sich zum Widerstande zu schwach, und kaum sah sie sich allein, als der furchtbare Geist des Fiebers über sie kam, und ihrem Gehirn jene schmerzhaften Bilder von Angst und Grauen eindrückte, die das Blut verzehren und alle Nerven zu zerreißen drohen. Angstvoll, stöhnend, ohne Kraft und Gegenwehr, nagte so der schreckliche Wahnsinn an der Unglücklichen, ohne daß Electa oder eine andere Hilfe zu ihrer Linderung erschien. Schon war die Nacht weit vorgerückt, schon brach sich die Wuth des Fiebers, da nahete aufs Neue ein wildes Geheul ihrer Thür. Selbst in der Verwilderung ihres Geistes erkannte sie die grauenhaften Töne, die so oft zur Nacht das Schloß aufstörten durch den Wahnsinn der furchtbaren Lady Sommerset, und ein heller Schrei des Entsetzens entfuhr ihren Lippen, als sie die Thür aufreißen sah, und die Wahnsinnige mit einem Doppelleuchter und zwei Kerzen hereinstürzte.
Langsam heulend nahte sie sich lauschend; vorgebogen streckte sie den Leuchter nach dem Lager vor und betrachtete mit starren, trüben Augen das Schlachtopfer ihrer Wuth.
Ich komme, Dich selbst zu pflegen, rief sie höhnisch, da ich Dir Electa eingesperrt habe. Ja, Du wirst bald genesen, koste nur erst von meiner Arznei! Ein schauderhaftes Lachen folgte diesen Worten. Sie setzte den Leuchter taumelnd auf die Erde und rieb sich wie in großer Angst die Hände.
Arznei war es! schrie sie plötzlich furchtbar auf, über Maria hinaus blickend, wie nach einem andern Gegenwärtigen. Ich sage Dir, Arznei war es, die ich Overbury schickte, nicht Gift! nicht Gift! nicht – nicht Gift! Furchtbar röchelnd wiederholte sie dies letzte Wort viele Mal hinter einander, während sie, starr zum Boden blickend, alles Andere vergessen zu haben schien und so furchtbar zitterte, daß ihre dürren Glieder zu knistern schienen. Doch plötzlich, mit dem schnellen Wechsel des Wahnsinns, fuhr sie empor.
[120] Aber Du, Du, rief sie, auf Maria einstürzend, sollst mir büßen! Er war so schnell, den Platz einzunehmen, von dem er ihn verdrängt; Herzog mußte der Bube Villiers werden, Herzog, Herzog! wie mein Sommerset, und ich sollte mich nicht rächen? Habe ich doch Dich, auf die er neue Pläne des Ehrgeizes baut, bist Du mir doch sicher. Nie, nie sollst Du sie wiedersehn! Nennt mich die ganze Welt Giftmischerin, Mörderin, wohlan, ich will den Ruf verdienen, an Dir verdienen.
Mit diesen Worten flog sie auf Maria zu und umklammerte sie mit der Stärke des Wahnsinns.
Starr vor Entsetzen hatte die Unglückliche den ganzen Vorgang mit angesehn und, von der eignen Qual des heißen Fiebers beherrscht, kein Gebein geregt.
Als sie sich aber jetzt in der Todesnoth von den wüthend eingegrabenen Händen des schrecklichen Weibes fast erwürgt fühlte, erwachte alle Kraft der Jugend, erhöht durch die Ueberspannung des Fiebers, und sie riß sich mit der schrecklichen Last empor und schleuderte die würgenden Hände von ihrem Halse los. Doch wenn auch ihr erstes Erstaunen, Widerstand zu finden, die Wahnsinnige abgewiesen hatte, mit neuer Wuth fühlte sich Maria bald umklammert, und ihre eigenen Kräfte, vom Fieber verzehrt, schienen zu erlahmen, ihre Besinnung ward undeutlich, ihr Haupt heiß und schwer, ihr Auge ließ sie alle Gegenstände im Kreise tanzend sehen.
Noch eine angstvolle Bewegung, sich loszuwinden, machte sie, dann brachen ihre Kniee, sie sank mit ihrer Verfolgerin zur Erde, so daß sie den Armleuchter umwarf und die Kerzen erloschen.
Die tiefste Dunkelheit, welche jetzt beide Ringende umfing, änderte plötzlich die Scene. Die Wahnsinnige schien zu vergessen, was sie vorhatte, als sie Maria nicht mehr sehen konnte; sie ließ sie los und richtete sich auf.
[121] Wo bist Du, Sommerset? sprach sie leise; sprich, mein Gemahl, wo soll ich Dich finden? Warum gehst Du so einsam durch die Nacht? Overbury starb ja nicht an Gift, Du, Du wenigstens bist ja unschuldig; ich werde Dich suchen, Du darfst nicht ohne Beichte sterben. Komm in Dein Zimmer, heulte sie von Neuem furchtbar auf, stirb nicht auf der Treppe, ehe Dir die Kirche vergab! – Seine Leiche, seine Leiche! schrie sie plötzlich auf, als sie an Maria's daliegenden Körper stieß, und eilte, sich aus der Thür zu stürzen, die eben von Außen geöffnet ward und einen matten Lampenschein eindringen ließ. Wüthend und blind für jeden Gegenstand stürzte die Elende an der Eindringenden vorüber, den langen Gang in grauenvoller Schnelligkeit hinabfliegend, von dem aus sie einen erleuchteten Vorplatz erreichte.
Zum Tode erschreckt trat Margarith nun näher; denn diese arme Leidtragende hatte nach der Ermüdung in ihrem Kummer voll Sorge ihres Fräuleins gedacht und sich einsam durch die langen Wege geschlichen, die Einzige zu erreichen, bei der sie Linderung hoffte, die Einzige, die ihr in diesem Schlosse geblieben.
Doch wie fand sie dieselbe, todtenbleich und einer Leiche ähnelnd, mit zerrissenen Kleidern, mit blutender Stirne! Margarith zweifelte nicht, das entsetzliche Weib habe sie erdrosselt. Ihr Schmerz und ihre Verzweiflung drohten sie anfänglich zu überwältigen, aber das Gefühl, wie viel darauf ankäme, daß sie bei Besinnung bliebe, und die gänzliche Hülflosigkeit ihrer Lage riefen ihre Kräfte ins Leben und gaben ihr die Mittel ein, eine Rettung zu versuchen.
Sie brachte die Unglückliche nach ihrem Bette, sie wusch das Blut ab und verband die Wunde, deren Ursache sie an dem blutig daneben liegenden Armleuchter erkannte, und hatte die unaussprechliche Genugthuung, bald einen Seufzer, [122] dann ein leises Athmen wiederkehren zu hören und endlich die Augen sich öffnen zu sehen, die nun keinen Zweifel ließen, daß sie lebe.
Aber wie wenig schien damit erreicht, als Margarith nun erst erkannte, wie zerstört die geliebte Herrin war.
Angstvoll und unsicher irrten die Augen der Erwachten umher, sie verstand keine Frage, die Margarith that, oder konnte doch die krampfhaft verschlossenen Lippen nicht öffnen; nur zusammenschaudern sah man sie oft und Margarith versuchte, den fast starren Körper auf das elende Lager zu legen und ihn mit Allem zu bedecken, was in dem elenden Zimmer sich vorfand.
Doch hiermit sah sie auch ihre Hilfsmittel erschöpft, denn wie sie ihr weiteren Beistand verschaffen oder einen der Schloßbewohner zur Hilfe bewegen sollte, da ihr Vater nicht mehr lebte, der Einzige, der es gewagt, die strengen Befehle der Schloßfrau hinsichtlich der Unglücklichen zu umgehen, sah sie nicht ein und schien ihr ein hoffnungsloser Versuch. Dabei kam es ihr vor, als fürchte die Kranke ihre Entfernung, als erkenne sie den Schutz ihrer Nähe, denn so starr die Züge waren, drückten sie doch Angst aus, wenn Margarith nach der Thür ging. Schon brach der Morgen an und sendete ein fahles trostloses Licht auf diese Verlassenen, und noch saß Margarith in Plänen zu Maria's Rettung vertieft, und verwarf, was sie beschlossen, und beschloß, was sie aufs Neue verwerfen mußte. Dabei blieben die Augen der Kranken starr und trübe, aber weit offen; der Schauder durchrüttelte, wie es schien, höchst schmerzhaft zuweilen ihren kalten, gelähmten Körper, und längst hatte Margarith aufgehört zu fragen, denn angstvoll aber vergeblich war die Anstrengung, zu antworten.
Endlich in immer steigender Angst kniete sie dicht an ihrem Kopfkissen nieder und rief:
[123] Ihr braucht nicht zu antworten, liebe Lady, ich werde Euch nur sagen, was ich thun will; denn so könnt Ihr nicht länger liegen bleiben; ich will ins Schloß gehn, Eure Thüre unterdessen verschließen und Euch herbeischaffen, was Gott mich vielleicht finden läßt.
Auch hier blieb die Antwort aus, aber der Ausdruck von Angst und Betrübniß kehrte stärker zurück, als vorher, und hätte beinahe Margarith zurückgehalten, hätte sie sich nicht schnell entschlossen, davon zu laufen.
Ihre Sorge war nur, wie sie die Thür, die ohne Schloß war und nur von Innen einen Riegel hatte, verwahren sollte. Sie schleppte einiges Gerümpel, was den früher erwähnten Eingang verbarg, zusammen. Sie hatte dadurch wenigstens den ersten Versuch verhindert, einzudringen, und durfte um so mehr auf einige freie Zeit hoffen, da Lady Sommerset den auf solche Nachtzustände folgenden Tag über gewöhnlich in ihrem Bette blieb.
So eilte sie nun flüchtigen Fußes zurück in den bewohnten Theil des Schlosses und hatte in ihrem frommen Eifer, zu helfen, so ganz vergessen, was sie selbst betroffen hatte, daß sie fast vor Entsetzen zurücktaumelte, als sie in das schwarz behangene Zimmer trat, dessen ganze frühere Einrichtung verschwunden war, nur das leere hölzerne Gestell zeigte noch den Ort, von wo, am Abend vorher, der Sarg des Vaters zu seiner Bestattung abgehoben wurde.
Gott sei mir gnädig! rief sie und wäre fast zurückgewichen, aber ein unschuldiges junges Gemüth rechnet sich die Furcht vor einem verehrten Verstorbenen immer als ein Unrecht an, auch war mit der gänzlichen Verlassenheit ihrer Lage und den Ansprüchen, die eben jetzt an ihre Entschlossenheit gemacht wurden, der zarte Uebergangspunkt zu einer höhern Periode des jugendlichen Daseins eingetreten, wo die erste Anforderung an eigne [124] Wahl und eigne Entscheidung jenes Gefühl von Selbstständigkeit hervorruft, das die Seele süß und weh mit der Ahnung eines nun eingetretenen höhern Lebens durchschauert.
Ach, mein Vater! rief sie, kindlich die Hände faltend und an dem leeren Gerüste niedersinkend, als trüge es noch den geliebten Todten, lenke Du meine Schritte, führe Du die Rettung herbei, die uns Noth thut, Du, der Du Alles segnen wirst, was ich für die Arme thue.
Muthig und gestärkt erhob sie sich, und durchmaß furchtlos das kleine Gemach, das der Morgen schon mit einzelnen Sonnenstrahlen erhellte. Sie selbst löste die schwarzen Vorhänge an der Hinterwand und öffnete das dahinter verborgene Schränkchen.
Da hörte sie das Anschlagen der Hunde an der äußeren Mauer; die Eingangsglocke läutete, und sie überlegte nun, daß die Thätigkeit im Schlosse erwacht und ihr Rückzug nicht ohne Gefahr sei. Sie horchte, und die kleine Pforte drehte sich, ein lautes Hundegebell gesellte sich innerhalb zu dem frühern von Außen.
Ach, nie konnte sie dies Gebell hören, das ihr fast so lieb war, wie bekannte Menschenstimmen, ohne der süßen Zeit zu gedenken, wo mit dem Wildmeister, dessen muntere Rüden es anschlugen, Lanci einzuziehn pflegte und bei der Ablieferung des Wildes die Gelegenheit wohl zu benutzen wußte, ihr einen zärtlichen Gruß zuzuflüstern.
Seufzend dachte sie seiner weiten Entfernung, und Thränen traten in ihre Augen über so viel Mißgeschick. Doch, sich zusammenraffend, nahm sie ein Säckchen mit Kräutern, welche, gekocht, der Vater oft bei plötzlichen Erkrankungen für sich und Andere angewendet hatte; sodann auch noch eine große, warme Decke von bunter Seide mit den Abbildungen von Adam und Eva, ein Prachtstück aus dem Nachlaß ihrer Mutter, womit [125] sie nun die arme erstarrte Lady zu erwärmen beschloß. Ferner legte sie in einen kleinen Tragkorb den Torf, der am Kamin unverbraucht lag, steckte ein Töpfchen dazu, um die Kräuter zu kochen, nahm das Feuerzeug des Vaters und wollte eben den Rückweg antreten, da sie aus dem lauten Gespräche im Hofe schließen konnte, daß der Weg im Schlosse noch frei sei: als ihr Auge durch das uns bekannte Fenster blickte und theilnehmend an der großen Gestalt des guten Wildmeisters hängen blieb, der ihr Pathe war, Lanci geliebt und das Liebesspiel der unschuldigen Kinder nie gestört hatte.
Er stand mit dem Gesichte nach dem Fenster gekehrt und zählte aus einem Korbe, den ein Bursche, gebeugt unter der Last, auf der Schulter trug, dem Koche seinen Vorrath zu. Sie ging fast mechanisch näher und drückte ihr blasses Gesicht gegen die Scheiben, fast wünschend, er möge sie sehn, ihr ein Wort des Trostes sagen über den Vater, den er so geliebt.
Da war es ihr, als zeige der Alte nach ihr hin, der Koch wandte sich um und nickte, wie zur Bestätigung. Er hatte sie erkannt, er wollte sie sprechen, das war gleich zu sehn, denn er betrieb die Ablieferung eilig und warf das große, innen gegerbte Fell, das den Vorrath verdeckt hatte, ungeduldig über den leeren Korb, daß der Bursche selbst fast damit bedeckt ward. Dann schritt er, ihn mit sich nehmend, fest über den Hof dem Fenster zu, das Margarith schon öffnete, um, mit Thränen überschüttet, den alten Freund des Vaters zu erwarten.
Armes Mädchen, sagte der Wildmeister, ihr näher tretend, weine nur, kaum weint man genug um solchen Ehrenmann, solchen Vater! Du bist jetzt schlimm dran, armes Ding! In dem verwünschten alten Eulennest kannst Du ohne Schutz nicht bleiben, fügte er hinzu, als ein Blick auf den Hof ihn überzeugte, daß der Koch beschäftigt war.
[126] Ach, unterbrach Margarith das Schluchzen, ich bin noch viel schlimmer dran, als Ihr denkt; könntet Ihr mir doch nur Rath geben.
He, Gumpricht! rief der Wildmeister den Koch an, laß mir ein Maaß Gewürzsuppe kochen, es ist klamm heut Morgen; ich komme zu Dir, wenn ich das Mädel ein wenig getröstet.
Schon gut, schon gut, entgegnete Gumpricht, sollst wohl sonst noch einen Bissen zur Stärkung finden, komm nur, am Heerde ist's nicht klamm. Zugleich zog er mit seinen beiden beladenen Knechten in das Schloß hinein.
Margarith, deren Thränen an dem Entschlusse ins Stocken gerathen waren, den Wildmeister um Rath für ihr Fräulein anzugehn, hörte jetzt erst mit Erstaunen, wie heftig der Bursche schluchzte, der, noch immer von dem Felle verhangen, sich an die Mauer des Fensters lehnte.
Was fehlt Euerm Burschen, Pathe? Hört, wie er weint, hat er den Vater auch gekannt? –
Ich glaube wohl, sagte der Wildmeister trocken, und zog ihm Korb und Fell vom Kopfe, und zugleich hielt er seine große Hand auf Margarithens Mund, die mit einem Schrei zusammen fuhr, als sie Lanci's theure Züge jetzt erkannte.
Schweigt alle Beide oder ich jage Euch von einander, rief der Wildmeister, die eigne Rührung unter angenommenem Zorn verbergend; willst Du mit Deinem Geschrei das Schloß zusammen rufen, dummes Mädchen? – Und Du, laß das Heulen! schrie er auf Lanci ein, der es schon ließ und bereits das Fenstergesims erstiegen hatte, Margarith in seine Arme schließend. Jetzt mußt Du nicht wie ein Mädchen sondern wie ein Mann thun, setzte er hinzu, die jungen Leute, die sich stumm umfaßt hielten, gutmüthig mit seiner durch einen Mantel breiter gemachten Gestalt deckend.
[127] Ach Margarith, rief jetzt Lanci, unser guter, alter Vater, war er auch sterbend noch bös auf mich?
Niemanden hat er mehr gekannt, Lanci, weinte Margarith. Keinen Segen hat er mir gegeben, aber als er lebte, hat er oft von Dir gesprochen, hatte Dich sehr lieb und sagte immer, der Onkel Porter würde Alles schon machen mit Dir und mir.
Hat er das gesagt! schrie Lanci freudig auf, o, dann thue auch, was Dir Onkel Porter befiehlt, und folge mir mit Deinem Fräulein, wozu wir Alles bereit haben! –
Großer Gott! Lanci, Du bist ganz verwirrt, wo sollen wir hier fortkommen, wo Du weißt, daß die Lady Alles bewachen läßt. –
Sei ruhig, erwiederte Lanci, ist uns auch viel dadurch verdorben, daß Dein guter Vater uns keinen Rath mehr geben kann, müssen wir doch fort, und das sobald als möglich, und ehe Pater Johann zurück kömmt, der schon im Städtchen angelangt ist. –
Nun dann sei uns Gott gnädig, wenn der schon im Städtchen ist! Lanci, wir können, fürchte ich, auch wenn die Thore aufstünden und Keiner uns aufhielte, sobald nicht fort. –
Seht Ihr wohl, sprach Lanci mit ausbrechendem Zorn zum Wildmeister, habe ich es Euch nicht gesagt, daß das Mädchen nicht fort will, daß sie ihr altes Schloß lieber hat, als mich! Aber, wendete er sich zu ihr, die Lady soll ja mit, um ihretwillen geschieht ja Alles.
Wenn Du vernünftig zuhörtest, was Dir gescheidte Leute zu sagen haben, dann würdest Du nicht so unsinniges Zeug von mir reden, rief Margarith, nun auch schmollend; eben um der Lady willen geht es nicht, denn sie liegt sterbenskrank darnieder.
Großer Gott, welch' ein Unglück! rief Lanci, nun sind wir Alle schön dran! Die arme Lady, was fehlt ihr denn, sie wird doch nicht sterben, wo ist sie denn, kann ich nicht zu ihr?
[128] Ach, sprach Margarith, ich weiß Dir nicht auf alle Deine Fragen zu antworten, könntest Du nur hier bleiben und mir helfen! Denke nur, sie liegt im Thürmchen nach dem Meere zu, hat ein hartes Lager, kein Feuer, keine Arznei, und vorige Nacht wollte die alte Lady sie erwürgen, als ich dazu kam und sie dadurch gerettet ward. Ach, wenn Du sie siehest, kein Mensch erkennt mehr das schöne Fräulein; so haben diese Unmenschen sie mißhandelt.
Selbst der Wildmeister schlug vor Erbarmen die Hände zusammen, und Lanci gebehrdete sich ganz trostlos.
Was sollen wir denn thun? rief er endlich, hier stirbt sie gewiß, und was werden die Herren sagen? Wildmeister, sprecht doch, rathet uns doch!
Hört, sagte der Alte, das Ding ist schlimm und, wie mich dünkt, nicht viel zu machen. Lanci habe ich einmal hier, beim Koch will ich bis Mittag verweilen, indeß, Margarith, suche Du Lanci hinauf zu bringen, daß er ihr sagt, wie's steht. Hören wird sie ihn doch können, und verständig ist sie auch, wie Miklas sagte, da laßt sie selbst den Bescheid überlegen; auch thut ein Bischen Hoffnung oft so gut, wie Arznei. Also fort, macht leise und gescheidt, und haltet Euch nicht unnütz auf mit Euch selbst; länger als bis Mittag kann ich nicht bleiben.
Die jungen Leute waren sogleich bereit, zu folgen, und wenn der Weg über den Flur zurückgelegt war, blieb nicht viel mehr zu fürchten. So schickten sie sich mit ihrer kleinen Last an, den Versuch zu machen, und der Wildmeister schritt über den Hof zurück, nach dem Wirthschaftsflügel, wo der Koch sein Reich hatte, der ihn lustig und heiter empfing, und am Heerde niedersetzen ließ.
Die ersten Schritte der beiden jungen Leute waren zagend und unsicher, dann flogen sie wie gejagte Rehe und hatten bald den gefährlichen Platz hinter sich. Da es in den Gängen erst [129] spät Tag ward, und heute der im ganzen Schlosse schon bekannt gewordene Zustand der Lady Allen längere Ruhe gönnte, so erreichten sie ohne Hindernisse den kleinen Thurm, dessen Thür sie noch zu ihrem großen Troste mit demselben Gerümpel versetzt fanden, wie Margarith es angeordnet hatte.
Nun laß mich erst hinein und verkrieche Dich indeß, sonst möchte sie bei deinem plötzlichen Anblick zu sehr erschrecken, rief die Kleine, und nahm, was er trug, und schlüpfte hinein, so leise sie es nur vermochte.
Noch lag die Kranke auf derselben Stelle, mit demselben starren Blick, der nur einen bestimmteren Ausdruck von innerer Angst zeigte.
Ach, seufzte Margarith schmerzlich, indem sie ihr näher trat, immer noch so sehr krank, nicht ein wenig besser, liebe Lady?
Der Versuch, zu antworten, den die Kranke machte, mißlang wieder, und das verständige junge Mädchen erkannte bald, daß hier keine Nachrichten helfen würden. Sie breitete daher ihre schöne, warme Decke aus, und hüllte Schultern und Füße besorglich ein, dies Alles mit liebreichen Worten begleitend. Dann aber flog sie zum Kamin und legte auf den lange Zeit ungebrauchten Rost die trockenen Torfstücke, machte an kleinen Bündeln Stroh das Feuer an und war entzückt, als es lustig aufloderte, sie nun ihr Töpfchen mit Wasser hineinschob und die Kräuter bereit hielt, sie in das siedende Wasser zu schütten. So gelang es ihr endlich, der Leidenden das warme Getränk einzuflößen, welches dieselbe mit besonderem Bestreben zu sich nahm, und dessen wiederholter Gebrauch zu Margariths unaussprechlicher Freude die Starrheit der Züge zu lösen schien, ja, es ihr endlich möglich machte: Gute Margarith, zu stammeln, was auszusprechen, sich ihr ganzes Herz gesehnt hatte. Ihr Blick ward nun milder, ja, die Augenlider senkten sich und blieben [130] endlich ruhen. Margarith lauschte mit angehaltenem Athem; sie war nach einiger Zeit völlig gewiß, daß der Schlaf seinen stillen Segen über die Leidende gesenkt hatte.
Nun schob sie sich leise zum Heerde, schürte das sanfte Torffeuer, das die kalte Luft des Thurmes wohlthätig veränderte, und blickte sehnsuchtsvoll nach der Thür, tausend Mal die Wonne, sie zu öffnen, gegen die Gefahr abwägend, die Kranke dadurch zu erwecken. Sie bezwang sich lange, dann verstärkten sich die Ueberredungsgründe, es zu wagen, sie glaubte die Lady tiefer eingeschlafen; gegen Mittag mußte sie ja ohnehin erweckt werden, um zu entscheiden über Lancis Mittheilungen. Genug, sie öffnete leise, und der dicht davor lauschende Lanci, der sich ziemlich den Zusammenhang gedacht, schlüpfte leise herein, und Beide kauerten sich nun, sich durch mitleidige Blicke nach dem Lager verständigend, am Heerde hin und blickten sich an, stumm lächelnd vor Seligkeit.
Wohl mischten sich Margariths sanfte Thränen und Lancis leise Wehklagen um den Vater ein, aber wer wüßte nicht, daß kein Gefühl des Schmerzes lange Raum findet in der Brust, die von dem Wohllaut beglückter und vereinigter Liebe erfüllt wird! Jede Lage, welche die Glücklichen vereinigt, und wäre es das letzte Brett des gescheiterten Schiffes in der tobenden Fluth, wär' es unter dem Ausbluten der tödtlichen Wunde, die Beiden den Tod sichert, wär' es in der tiefsten Gruft des Kerkers, die sie schiede von der übrigen Welt, wenn nur sie Beide nichts scheidet: – jeder Ort ist ihnen dann die kleine glückselige Insel, auf der sie sich befinden, als zur Seligkeit bestimmt, nichts wahrnehmend, was ihnen gebräche, durchdrungen von der Atmosphäre innigster Befriedigung! Wer nach dieser letzten geretteten Frucht des Paradieses greifen, und ohne Furcht und ohne Reue ihren geheimnißvollen beseligenden Inhalt genießen darf: er schweige ohne Klagen still, wenn das Leben andere[131] Opfer fordert; zu einer Ewigkeit von Leiden würde er das Gegengewicht finden. – Bald flüsterten sie lauter, und wechselten schneller Frage und Antwort, in der glücklichsten Sicherheit die ganze Welt vergessend. Da hörten sie plötzlich leise und endlich lauter wiederholt die Worte:
Wo bin ich? Margarith, bist Du hier? Wer umgiebt mich?
Erschrocken sprangen Beide auf, und Margarith flog nach dem Bette. Aufgerichtet saß hier Lady Maria, und blickte matt und fragend in Margariths treue Augen.
Theure Lady! rief das gute Mädchen heiter, o Gott sei gedankt, daß Ihr so weit seid, Ihr könnt ja sprechen und Euch bewegen, nicht? Euch ist besser?
Besser, gutes Kind, erwiederte Lady Maria sanft, wenn auch nicht genesen; ich bin sehr matt, aber Deiner liebevollen Mühe danke ich, daß der qualvolle Zustand endete, in den mich die schreckliche Lady versetzt hatte. Wie hat man Dich aber zu mir gelassen, und wie werde ich zu sichern sein gegen die schreckliche Frau, deren Anblick ich fürchte wie den Tod. Doch sage mir, fuhr sie fort, sind wir allein, oder bewegt sich hinter Dir Jemand?
Margarith trat schüchtern seitwärts und zeigte Lanci, der sich auf den Knieen hinter ihr verborgen hatte.
Zürnt ihm nicht, theure Lady, sprach sie dabei, er meint es gut, will uns Beide retten.
Lanci, sagte Lady Maria, bist Du aus London zurück? Gutes Kind! hier sind schlimme Zeiten indeß eingetreten; Margarith und ich haben unsern einzigen Beschützer verloren.
Ja, Lady! rief Lanci, noch immer auf seinen Knieen liegend und zugleich überwältigt von Verehrung und Betrübniß über ihren Anblick; ja, es ist viel Trauriges geschehn, aber hat Gott Euch einen Beschützer genommen, so hat er Euch zwei dafür wiedergegeben, die Alles anwenden, Euch hier wegzuführen.
[132] Lady Maria schwieg einen Augenblick, und sah ihn trübe und nachsinnend an; dann sprach sie muthlos:
Niemand von Allen, die mir einst Schutz gaben, kennt mein Gefängniß, guter Lanci, wer sollte außer ihnen sich mein erbarmen wollen?
Doch, doch, sprach Margarith eifrig und zog Lanci näher, indem Beide vor dem Bette niederknieten, es sind alte Freunde von Euch, liebe Lady!
Nicht wahr, fragte Lanci, recht beglückt lächelnd, Master Brixton ist ein alter Freund von Euer Gnaden?
Brixton! rief Maria, und die Ueberraschung goß ein lang verschwundenes Purpurlicht über ihr Gesicht. Mein Lehrer! Mein Freund! Mein zweiter Vater!
Ja, Lady! rief Lanci, er ist in Eurer Nähe, und für Eure Flucht wird gesorgt sein, so bald Ihr gehen könnt; werdet nur gesund.
Gesund? rief Maria, als früge sie sich selbst, ob sie noch krank sein könne bei dieser Botschaft. Ich bin gesund, gesund genug, um diesem Kerker entfliehen zu können. Steht auf, Kinder, damit ich meine Kräfte prüfe, sie können mich nicht verlassen wollen, wo sie mir dienen sollen.
Sie warf die Decke weg und stand plötzlich in ihrem groben Nonnenkleide vor dem erstaunten Lanci. Aber dieser schnelle Aufschwung der Kräfte, dem Ruf des starken Geistes gehorchend, war nur vorübergehend; schwindelnd fühlte sie ihr Haupt von heftigen Schmerzen durchzuckt und sank fast eben so schnell erbleichend auf ihr Lager zurück.
Betrübt sahen die jungen Leute diesen Zustand mit an und mochten daraus bange Schlüsse für ihre Lage ziehn, als Lady Maria sich anstrengte, sich aufzurichten, und, von Margariths Armen unterstützt, aufrecht zu sitzen suchte.
[133] Sprich, mein Kind, sprach sie zu Lanci, Du mußt mir viel zu sagen haben. Schickte er mir kein Zeichen seines Daseins, hast Du keine Zeile von ihm an mich? –
Nein, theure Lady, das nicht. Ich mußte heimlich von da fort, wo wir zuletzt rasteten, um Euerm Feinde zuvorzukommen, denn Pater Johannes ist im Anmarsch. Hätte der mich gesehn, so wär' ich und vielleicht der ganze Plan verloren gewesen. So bin ich nun vorangeeilt, damit Ihr nur erst wüßtet, daß wir da sind, und in der Hoffnung, daß wir eher, als er, ankämen. –
Ach, rief Maria schmerzlich, warum verläßt mich meine Kraft! Wie dringend nöthig scheint sie mir, um aus diesem wohlverwahrten Kerker zu entfliehn, wo die Lady mich bald vermissen wird und ich dann aufs Strengste bewacht sein werde, erfährt sie mein Unwohlsein. Denkt denn aber Master Brixton nicht daran, mich von der Lady selbst zu fordern? Wie darf sie mich zurückhalten, da sie kein Recht über mich haben kann? –
Nein! Nein! liebe Lady, das dürfen sie nicht, das würde uns alle unglücklich machen. Einer, der Alles angeordnet hat, dem sie folgen, weil er es am Besten versteht, er hat es streng verboten. –
Und wer ist dieser Eine? fragte Maria. –
Ich darf ihn nicht nennen, liebe Lady, fraget mich nicht, aber er meint es gut mit Euch, und ich bin sein Bote, und Ihr werdet mir doch vertrauen? –
Ach! sprach Maria, wenn Brixton Dir vertraut und es also will, wie darf ich da noch zweifeln. Doch was kann geschehn, damit ich entkomme, wie soll ich es anfangen? –
Diese Frage ward durch einen schleichenden, schleppenden Schritt auf dem Gange unterbrochen, den Alle zugleich mit nicht geringem Entsetzen hörten. Es nahte Jemand, dies war [134] gewiß, und Lanci durfte nicht entdeckt werden, ohne Verdacht zu erregen, da er überdies aus dem Schlosse verwiesen war. Das Gemach hatte nur die eine Thür, welcher man sich jetzt von Außen immer mehr näherte. Kein Schlupfwinkel, kein Raum war zu ersehn, und beinah außer sich schweiften die Blicke der Verrathenen umher. Da zeigte Maria sprachlos auf das Fenster, wovor noch Electas Schleier ausgebreitet hing, und Lanci schlüpfte ohne Bedenken dahinter, da schon an die Thür gepocht ward und jede Zögerung beim Oeffnen Verdacht erwecken konnte.
Maria legte sich schnell nieder, und Margarith eilte zu öffnen, doch fuhr sie fast mit einem Schrei zurück, als sie Pater Johannes vor sich sah, der mit seinem tückischen, lauernden Blick sie und das Zimmer, in das er einschritt, überflog.
Nichts als Kranke finde ich, rief er, Maria's Lager näher kommend, wahrlich große Unordnungen, man kann nicht wohl abwesend sein, ohne es bereuen zu müssen! Nun was fehlt denn? Bloße Einbildungen, nicht? Frauentücken? Kenne dergleichen, wird sich finden.
Maria war im ersten Augenblick vom Schreck und Schwäche so überwältigt, daß sie nicht zu sprechen vermochte; der Unmuth stieg aber heiß empor, und abgebrochen, aber deutlich sprach sie jetzt:
Pater Johann, ich glaube, wir haben uns Beide zu genau kennen gelernt, als daß Ihr mich einer Verstellung fähig halten solltet oder ich Euch zu täuschen suchen möchte.
O! rief Margarith, Muth gewinnend, Hochwürdiger Herr, glaubt doch dies nicht! Sterbend war die arme Lady diese Nacht; sie hatte ganz starre Glieder und war ganz sprachlos, und wär' ich nicht dazu gekommen, hätte die hochwürdige Lady sie erwürgt. Ihr seht noch das Blut am Kopfe von ihrem Falle, als die Lady sie nieder warf.
[135] Schweig, rief der Pater ihr zu, wer fragte Dich, und wie kommst Du überhaupt hieher? Wer hat Dir erlaubt, hier Pflege zu übernehmen?
Ihr eigenes menschliches Herz, Sir, rief Maria, da ich, von aller Hülfe verlassen, den grausamsten Mißhandlungen preisgegeben war. Habt Erbarmen und laßt sie nicht büßen dafür, daß sie mir vielleicht das Leben rettete; ich will alles dulden, was Euer Unmuth über mich verhängt, nur dies Mädchen treffe nicht Euer Zorn.
Pater Johannes warf einen finstern Blick auf Margarith, aber er hielt inne, als spare er ihr Theil ihr wenigstens noch auf. Sodann zu Maria sich wendend, ergriff er ihre Hand und prüfte lange schweigend ihren Puls.
Unruhig geht er, fieberisch, vollblütig, murmelte er abgerissen; hat nichts zu bedeuten, fügte er hinzu, sie loslassend. Etwas Seeluft wird gut thun. Steht nur auf und haltet Euch zu einer kleinen Wasserfahrt bereit; um Mittag wird der Wind gut gehen, dann werdet Ihr dies Schloß, was Ihr so haßt, verlassen, und die kleine Ueberfahrt nach Frankreich wird Euch schneller herstellen, als Ihr denkt, setzte er höhnisch hinzu, das tödtliche Erschrecken, das sich auf Marias Zügen zeigte, mit Schadenfreude bemerkend.
Großer Gott! schrie Margarith, das Fräulein soll sterbend, wie sie ist, auf die See? Ist das zu glauben? Erbarmt Euch doch, hochwürdiger Herr, sie stirbt Euch ja unterwegs!
Schweig! rief er, wild auffahrend und gegen Margarith so anlaufend, daß diese voll Entsetzen zurückwich, bei dem engen Raume des Zimmers aber unglücklicherweise in den Schleier Electas sich verwickelte, und nun, doppelt entsetzt für die Folgen zitternd, zu schwanken begann und nach manchem Versuche, sich aufrecht zu erhalten, vor dem keifenden Pater niederfiel. In diesem Augenblicke riß der Schleier von seiner schwachen [136] Befestigung und zeigte dem Pater einen Anblick, der ihn in ein so ungemessenes Erstaunen versetzte, daß seine scheltenden Worte augenblicklich verstummten. Er wandte seine Blicke von Maria zu Margarith und Lanci, und Erstaunen, Wuth und Freude, sie ertappt zu haben, sprachen gleich stark aus seinem anschwellenden Gesicht, während Lanci mit einem kräftigen Sprunge über das verhüllende Gewand setzte und Margarith die Hand reichte, aufzustehen, ohne dem Pater eine größere Aufmerksamkeit zu schenken, als nöthig war, ihn eben bei seinem Sprunge nicht umzuwerfen.
Man sah dagegen deutlich, daß der Pater Johannes fast verwirrt war von dem reichen Stoffe, der sich hier darbot, um Zorn und Verfolgung und alle bösen Absichten, die er für die Anwesenden in seinem Herzen trug, auszulassen. Zweifelhaft, wie er vernichtend genug sich sogleich ausdrücken sollte, ließ er als Vorspiel in Augen und Mienen lesen, was sie zu erwarten hatten.
Das Demüthigende dieser Lage machte aber eine so lebhafte Anforderung an Marias Gefühl, daß sie alle ihre Kräfte aufbot, um Schreck und Schmerz zu überwinden.
Ihr habt nicht nöthig, Pater Johann, sprach sie ernst und zürnend, indem sie sich aufrecht setzte, die Beleidigungen auszusprechen, die Euer müßiges Erstaunen genugsam angekündigt. Dieser Jüngling ist allerdings vor Euch verborgen worden, wißt es aber Euch selbst Dank, daß selbst die unschuldigsten Dinge dem, der sie thut, noch Furcht vor Eurer Auslegung einflößen, ich sage Euch, jedoch – – –
Und ich sage Euch, brüllte Pater Johann, in namenloser Wuth sie unterbrechend, daß jetzt über Euch alle der Stab gebrochen ist, daß ich genug von diesem Buben weiß, um einzusehn, in welcher Verbindung Ihr mit ihm stehn mögt, daß mir Krankheit, Pflegerin und Gesellschafter, alle diese verschiedenen [137] Machinationen, mich zu hintergehn, ganz klar sind und Alles geschehn wird, zweifelt nicht, Euch so zu stellen, daß Ihr es bereuen werdet.
Ganz gut, sagte Lanci trotzig, aber mich könnt Ihr nicht halten; ich bin des Wildmeisters Bursche, gehöre gar nicht in dies Schloß und verlange, daß Ihr mich augenblicklich ungehindert fortlaßt.
Fort? brüllte der Pater, fort? Eher wollte ich Dich mit eigenen Händen erdrosseln, als Dich fortlassen, Du Bube, den ich schon hätte zertreten müssen, als Du, Dich schlafend stellend, vor dem Bette Deines alten heuchlerischen Oheims lagest. Ha! wenn ich denke, daß er Dich herließ, daß Du ihm nicht entsprungen bist, ha, welch' ein schnöder Verrath ahnet mir dann, und wie zur rechten Stunde bin ich da gekommen, Euch alle zu vernichten!
Das soll Euch schwer werden! schrie Lanci, sich aus den Händen der zitternden Margarith losreißend, den Pater bei Seite stoßend und wie ein Pfeil durch die Thür in den langen Gang entspringend. Eben so schnell flog Margarith nach der Thür und suchte sie vor dem nachdringenden Pater wenigstens augenblicklich zu verschließen, um Lanci einen kleinen Vorsprung zu gönnen. Aber ihre Kräfte reichten gegen die des Paters nicht aus, und Lady Maria eilte ihr nicht zu Hülfe, obwol sie sich von ihrem Lager erhoben hatte; denn lieber wollte sie das Kommende ertragen, als in ein persönliches Handgemenge mit dem verachteten Manne gerathen. So unterlag Margariths Widerstand nur zu bald, und nun setzte das Geschrei des Paters dem armen Lanci schneller nach, als es sein schwerfälliger Schritt vermochte. Bald sah sich der unglückliche Jüngling von mehreren herbeigerufenen Aufpassern des Schlosses ergriffen und zu einem der festen Zimmer geführt, welche gelegentlich dienten, die aufzunehmen, die dem Zorne des Paters oder der Lady verfallen waren.
[138] Indessen blieben die beiden unglücklichen Frauen in einem Zustande von Kummer zurück, den beide nach ihrer Art äußerten. Während Margarith in Verzweiflung die Hände rang, blickte Maria stumm und ohne Worte vor sich nieder, und fühlte die völlige Verödung, die nach großen Gemüthserschütterungen uns das Gefühl gänzlicher Hoffnungslosigkeit läßt.
Jeden Augenblick erwarteten sie ihren Peiniger zurückkehren zu sehen, und eine Stunde nach der andern schlich träge in dieser bangen Erwartung dahin, ohne ihn oder einen Andern herbei zu führen. Mittag war vorüber, Beide fingen an, aus der ersten Betäubung zu erwachen, Margariths Thränen hörten auf zu fließen, Maria begann ihre Lage aufs Neue zu betrachten, und die Nähe eines Wesens, das für sie sorgte und handelte, wie sie auch bedroht war, ihm entführt zu werden, unterließ doch nicht, einiges Leben in ihr aufzuwecken.
Da seufzte Margarith schwer auf und trat vom Fenster zurück, woran sie sich so lange gelehnt hatte. Denn tief unten an dem kleinen Vorsprunge der natürlichen Bucht, in der das Schloß lag, sah sie das Segel-Boot rüsten und Pater Johannes mit dem alten Küsten-Schiffer, der seine Leute antrieb, im eifrigen Gespräche begriffen.
Der Plan wird also ausgeführt werden, rief hier Maria mit neuem Schmerz, als auch sie sich von jenen Vorkehrungen am Ufer überzeugt hatte, und ehe mich die väterliche Liebe meines Wohlthäters erreichen kann, werde ich ihm entrissen, auf immer nach einem fremden Lande entführt, wo mir Tod oder ewiges Gefängniß droht, und kein Arm der Liebe mich mehr erreichen wird.
Welch' ein unerklärlich trauriges Loos ist mir beschieden, und wer bin ich, daß selbst Fremde sich die Hand zu bieten scheinen, mich zu verfolgen und in einer grauenvollen Abgeschiedenheit zu erhalten? Warum giebt man mir nicht lieber den [139] Tod, als mich so langsamen Qualen preiszugeben? O Margarith, armes Wesen! was wird aus Dir werden, und wie habe ich Dein und Lanci's Schicksal zu Euerm Unglück mit in das meine verflochten! –
O denkt nicht an uns, theure Lady, rief hier weinend Margarith, denkt doch nur, ob wir nicht entkommen können, da uns doch außerhalb des Schlosses Hülfe harrt.
Ich kann die Möglichkeit nicht finden, erwiederte Maria ängstlich umherblickend; Du weißt, wie alle Ausgänge bewacht sind, und wie man in diesem Augenblicke auf uns beide Acht haben wird. Dazu kömmt, daß es Tag ist, daß man uns hier nicht lassen wird, bis die Nacht eingebrochen, und doch wäre der einzige Ausweg zu entkommen sicher nur, wenn uns die Nacht deckte.
Ihr meint auf dem Wallwege, den der Vater Euch so oft geführt hat, sagte Margarith, ja, hundert Mal habe ich daran schon gedacht, aber wie sollen wir die kleine eiserne Thür öffnen, da alle Schlüssel des Vaters längst in die Hände des neuen Kastellans übergegangen sind, der sie alle, wie Gold im Beutel, an seinem Gürtel trägt.
Dies ist also auch nicht möglich, sprach Maria, und wir wollen uns trösten, da das Gelingen dennoch sehr zweifelhaft bliebe; denn der Schloßgarten liegt noch innerhalb der Schloßmauer, obgleich ein Theil derselben wahrscheinlich wegen der Hirten und der Weide in den Gräben abgetragen ist.
So ist es allerdings, erwiederte Margarith. Außer meinem Vater, glaube ich, kannte auch Niemand diese Verbindung mit dem Schlosse, und ein Entkommen wäre sicher möglich, hätten wir nur den Schlüssel.
Nach einigem Nachdenken rief Lady Maria, plötzlich aufstehend: Und doch, Margarith, versuchen müssen wir es. Laß uns jetzt gleich die Thür untersuchen, was kann uns geschehen, [140] wenn man uns entdeckt? Uebleres, als man schon vor hat, schwerlich, und wer kann mir wehren, die Freiheit zu suchen, die Niemand ein Recht hatte mir zu rauben?
Sie erhob sich, doch war ihr Geist stärker, als ihr Körper. Die unleidlichen Schmerzen am Kopfe traten stärker hervor, und die Steifheit ihrer Glieder hatte sich noch nicht gänzlich gehoben. Mit tiefem Kummer machte sie die traurige Wahrnehmung, ohne sie jedoch zu äußern, und versuchte Margarith zu folgen, die rüstig vor ihr her schritt und, als sie den Gang leer fand, sich über das Gerümpel hermachte, welches vor dem Treppenthürchen aufgestellt war.
Lady Maria war bemüht, ihr dabei zu helfen, aber ihre Schwäche und ihr krankhaftes Gefühl ließen sie fast unterliegen. Sie gab daher Margariths Bitten nach und bewachte blos den Gang, um, wenn sich etwa Jemand nähern würde, sogleich es anzeigen zu können. Gedankenvoll schlich sie bis zu einem kleinen Vorsprung, der einen Blick auf die größere Treppe zuließ, ohne sie selbst zu verrathen. Sie sah an der unruhigen Bewegung der verschiedenen Schloßbewohner, daß etwas Ungewöhnliches geschehen sein müsse, und bald erschien Pater Johannes, von Außen herbei gerufen und von einem athemlosen Diener begleitet, eilig die Treppe herauf steigend.
Warum hat man meine Vorschrift übersehn? rief er wild und mit allen Tönen des Zornes; hatte ich nicht ausdrücklich befohlen, daß Hände und Füße gebunden bleiben sollten?
Ja, antwortete der angstvolle Diener, wo aber Stricke hernehmen, die der Kraft widerstanden, welche die Lady anwendete? Wir alle flogen wie Spreu im Winde, als sie auf uns zulief, und wer konnte denken, daß sie gerade nach der Treppenthür laufen würde, wovor sie sonst sich so fürchtete. Es hat wohl sein sollen, daß beide Herrschaften auf derselben Stelle –
[141] In diesem Augenblick schloß sich die Thür, die Worte waren verhallt, und nur einzelne Diener schossen noch zuweilen in großer Eile über die Treppe hin.
Von unbestimmtem Grauen beschlichen, stieg die Ahnung in Maria auf, daß der Wahnsinn der Nacht bei Lady Sommerset angehalten habe, und daß in diesem Zustande etwas von ihr unternommen sein müsse, was an den Unfall und Tod des unglücklichen Lords erinnere. Die Treppenthür und deren Beziehung auf diese schreckliche Katastrophe kannte sie nur zu wohl, und eilte daher, so schnell sie es vermochte, zurück, um Margarith eine Nachricht zu bringen, die einige Hoffnung gab, man werde ihnen bei der Verwirrung im Schlosse Zeit zur Ausführung ihres Planes gönnen, welche vielleicht die Aufmerksamkeit des Pater Johannes mehrfach in Anspruch nahm und ihn an der beabsichtigten Entführung jetzt hinderte.
Margarith nahm zwar an der Hoffnung Theil, aber ihr Herz war doch betrübt, da sie die kleine Thür zwar erreicht, aber jeden Versuch, sie zu öffnen, vergeblich gesehen hatte.
Verlieren wir nur jetzt nicht den Muth, sprach dagegen Maria, da uns ein kleiner Hoffnungsschein dämmert. Laß es uns wagen, und den Armleuchter der Lady anzünden und hierher bringen, vielleicht entdecken wir noch irgend ein Mittel gegen dies hartnäckige Thürchen, wenn wir den ganzen Raum untersuchen können.
Margarith zeigte sich gleich bereit und eilte zurück, während bis zu ihrer Wiederkehr Maria noch ein Mal den Gang hinabschlich, ihre Beobachtungen anzustellen.
Die Ruhe war wieder hergestellt, Flur und Treppen leer, und alle Thätigkeit, wie zu hoffen stand, in dem Innern der Gemächer vereinigt.
Froh ging sie jetzt dem Scheine des Lichtes entgegen, der ihr Margariths Annäherung verkündigte, und Beide untersuchten [142] nun mit größter Aufmerksamkeit die kleine Thür und den angrenzenden Raum des Schlupfwinkels. Aber die Thür war zu fest, um an ihre Oeffnung auf andere Weise, als vermittelst des Schlüssels denken zu können, und die Mauer umher so dick und von so starken Steinplatten, daß Beide muthlos von ihren Bemühungen abstanden.
Als sie in das kleine Thurmgemach zurückkehrten, mit dem Gefühl, sich in ihr Schicksal ergeben zu müssen, wenn ihnen von Außen nicht Hilfe käme, sahen sie, daß der Abend herangerückt war, und überließen sich nun der Hoffnung, daß die Vorfälle im Schlosse die Absichten des Paters durchkreuzt und die gefürchtete Abreise verschoben haben könnten. Zeit zu gewinnen, schien ihnen jetzt das Wichtigste, denn sie durften hoffen, daß der Wildmeister, der von allen Vorfällen des Schlosses unterrichtet sein konnte, mit ihrem Beschützer in Verbindung stehe, und daß vielleicht von dort Versuche gemacht würden zu ihrer Rettung.
So hielten sie sich hin, Eine in der Andern Hoffnung nährend, während dieselbe immer schwächer wurde in der eigenen Brust.
Da der Sturm zur Nacht heftiger ging und die Brandung an der Stelle, wo das Segelboot lag, sich zu mächtig brach, sahen sie dessen Segel einziehen und es langsam in die große Bucht lenken, die es vom Schlosse einige hundert Schritt entfernte und ihren Blicken entzog.
Schon wollten sie der Hoffnung Raum geben, die Reise sei heute ganz aufgegeben, indem die Nacht mit schrecklicher Dunkelheit anbrach und der Sturm sich steigerte; da scheuchte plötzlich ein Schlag an die Thür sie auf. Beim Oeffnen derselben trat Pater Johannes in Begleitung zweier Diener herein. Es blieb ihnen nun kein Zweifel darüber, was ihnen bevorstand, da die Diener einige warme [143] Mäntel trugen, welche Pater Johannes ihnen anzulegen befahl.
So schrecklich dieser Augenblick war, konnten sie doch beide nicht übersehn, in welchem Grade das ganze Wesen des Pater Johannes sich noch verfinstert hatte, und wie blaß und unruhig sein Ausdruck war.
Eilt, rief er oft dazwischen, es ist keine Zeit zu verlieren, die See geht immer höher. Du kannst auf der Reise weinen, rief er Margarith zu, welche, die Hände ringend, ihre Lady und sich selbst umhüllte, und beobachtete unterdeß die Züge Maria's, die, zu stolz um ihr Gefühl zu verrathen, weder Wort noch Blick an ihren Peiniger richtete, sondern mit Ruhe, und so weit körperliche Schwäche es gestattete, selbst ihre Kleidung befestigte und ihm nicht den Triumph gönnte, worauf er noch immer zu hoffen schien, daß sie nämlich verzweifelnd ihn anflehen würde.
Doppelt erzürnt über diese Täuschung, ließ er nach den nöthigen Vorkehrungen keine Zeit weiter vergehn, sondern schritt nun voran, die Frauen in Begleitung der beiden Diener ihm nach, durch den unbewohnten Theil des Schlosses, endlich eine schmale Wendeltreppe in der Mauer niedersteigend und dann eine Thür aufstoßend, die unmittelbar ins Freie führte.
Pater Johannes blieb hier einen Augenblick stehn und schien irgend etwas zu erwarten. Maria behielt Zeit, um wahrzunehmen, wie sie auf einem schmalen gepflasterten Wege standen, der sich hinabsenkte bis zu den Dünen, welche mit ihrem weißen Kalksande wie ein leuchtendes Band das schwarze Meer umsäumten, welches hochkochend, zischend und im raschen Takte seine Wellen gegen die Küsten peitschte.
Nach einem Weilchen vernahm sie ein leises Pfeifen, Pater Johannes erwiederte es, und Maria sah, daß unterhalb des [144] Steinweges, auf dem sie standen, zwei Männer sich näherten, denen Pater Johannes entgegen ging.
Nach einer kurzen Unterredung mit dem einen derselben, rief er den Begleitern der Frauen zu, sie hinab zu führen.
Maria schritt abwärts, ohne Hilfe anzunehmen, während Margarith, von Schmerz überwältigt, kaum mit der Hilfe beider Männer sich auf den Füßen zu erhalten vermochte.
Es sind Umstände eingetreten, die mich verhindern, Euch zu begleiten, rief Pater Johannes, hier habt Ihr dagegen Euern Führer, der mich ersetzen wird, und dem Ihr unbedingt gehorchen müßt. Er wird Euch auf der Reise mit allem Nöthigen versorgen und nach Eurer Landung an den Ort bringen, wo es fürs Erste räthlich befunden worden ist, Euch zu bewahren. Nur strenger Gehorsam kann Eure Lage erleichtern, der geringste Widerstand würde sie verschlimmern und dennoch nutzlos sein!
Wenn etwas der Verzweiflung in Maria's Busen ein Gegengewicht lieh, so war es der Unwille, sich so beleidigend behandelt zu sehen. Stolz wendete sie sich von dem grollenden Pater, der jedes seiner Worte mit Gift hätte tränken mögen, um seinen Unmuth an ihr auszulassen.
Eure Erinnerungen sind überflüssig, rief sie kalt, Alles, was ich in diesem Schlosse und von Euch erfuhr, war widerrechtlich und verbrecherisch. Gegen Mißhandlungen der Art hat der Machtlose nur die Waffe der Verachtung. Ich muß mich in Euern bösen Willen fügen, aber vor Gott und Menschen protestire ich feierlich gegen die eben beabsichtigte Entführung aus meinem Vaterlande. Die Folgen, welche zu lenken, in einer höhern Macht steht, als in der Eurigen, kommen über Euch; denn so es Gott gefällt, wird die Stunde nicht ausbleiben, die Euch zur Rechenschaft zieht, und vielleicht ist sie Euch näher, als Ihr denkt.
[145] Mit dem hohen Anstande eines gesicherten Selbstgefühls, und als wäre sie die Freie und Befehlende, schritt sie jetzt vor, so daß die Männer zurückwichen und Pater Johannes, den ihre Worte wie die Stimme einer Prophetin seltsam erschütterten, einen Augenblick wie gelähmt dastand. Dann fuhr er wild ihr nach und schien sie ergreifen zu wollen, aber es lag in der hohen, ruhig voran gehenden Gestalt die furchtlose Würde der Unschuld, die selbst den Pater zurückhielt, als wäre er durch eine fremde Atmosphäre von ihr getrennt.
Sie schaute nicht mit einem Blicke zurück und verfolgte den Weg nach den Dünen, wo, wie sie wußte, das Schiff lag, ohne Zögerung oder Schwäche zu verrathen.
Pater Johannes winkte den Andern, zu folgen, er selbst starrte dem Zuge sprachlos nach, und ein kalter Schauer lief über ihn hin, als sähe er einem Leichenzuge nach, dessen Gespenst ihn berührt habe. Er versuchte zu rufen, doch die Laute erstarben ihm in der Beängstigung der keuchenden Brust. Ein heimliches Gericht ward über ihn gehalten, der Augenblick, der wie ein Blitzstrahl die Seele des Sünders erreicht und im Nu Alles ausbrennt, womit er sein Gewissen verhüllt hatte, er war eben jetzt gekommen und erhellte das schnöde Gewebe, welches er bis dahin blos Klugheit genannt. Die wenigen Worte, womit die gemißhandelte Unschuld sich vor ihm geltend gemacht hatte, sie waren der zündende Blitz geworden. Es rief ihm zu, daß er sie in ihr Verderben, in ihren Tod sende, der, nähme sie das wilde Meer nicht auf, ihr sicherer noch an dem Orte zu Theil werden würde, wo er sie hinsendete, seiner eigenen Rache genügend und sie jedem andern Bekehrungsversuche entziehend, der, ihm mißlungen, keinem Andern wenigstens Ruhm geben sollte.
Aber die Gewohnheit, zu sündigen, läßt Gewissensqualen alt werden, ehe sie Handlungen umgestalten: oft bleibt es [146] dabei, daß sie neben einander sich wechselweis bekämpfen, und wer Sieger ward, bleibt uns dann unenthüllt.
Er versuchte, seines Gewissens zu spotten, er wollte zurückkehren nach dem Schlosse und sein Auge verfolgte doch noch den letzten schwarzen Schatten der Geopferten, bis er in dem Umwenden nach dem Ankerplatze verschwand. Er athmete auf und wendete sich so eben, um den Steinweg zu ersteigen, der nach dem Schlosse führte. Lange blieb er hier wie angefesselt stehen, als es ihm schien, er höre einen Schuß aus der Gegend, die er eben mit seinen Blicken verlassen. Das Geräusch des Meeres machte jedoch Alles unsicher, bis endlich ein zweiter Knall, ganz deutlich von einem Feuergewehre, den Lauschenden überzeugte, daß er sich nicht getäuscht.
Muthig und seiner athletischen Stärke vertrauend zögerte er keinen Augenblick, nach der Gegend hinzustürzen, wo er jetzt einen Ueberfall fürchten mußte, dessen Abweisung allein von ihm selbst das unvermeidliche Verderben abwenden konnte. –
Doch kehren wir lieber zu Lady Maria zurück, welche bei dem tiefen Gefühle ihres harten, unverschuldeten Geschicks jene Innerlichkeit zu finden wußte, welche das Vertrauen auf uns selbst als eine Stütze erkennen läßt, die uns erhalten wird, und den Würdigen uns zugesellet, von deren geistiger Gemeinschaft kein Druck der äußeren Welt uns zu trennen vermag.
Unter dem zerrissenen, düstern Gewölke des weiten Nachthimmels, der mit der lauten Stimme des Sturmes, mit dem Brausen des aufgewühlten Meeres ein zürnendes Wechselgespräch zu führen schien, schritt die verlassene Jungfrau dahin. Ihre Gedanken waren Gebete, und ihr Haupt hing auf der Brust mit dem heiligen Ausdrucke innern Friedens.
Hoch hob der Wind den Schleier, als wollten Himmel und Wellen das schöne Antlitz betrachten, welches, zur Lilie erblaßt, in dem Glanze der Unschuld zu leuchten schien.
[147] Ihre Begleiter folgten zwar, aber sie näherten sich ihr nicht, als ahneten sie den erhabenen Zustand von Einsamkeit, in den sie sich versenkt hatte, als trügen sie Scheu vor einem Wesen, welches sie nicht verstehn konnten, das aber den Zauber einer hohen und vollendeten Individualität um sich verbreitete.
So mit jedem Schritte sich äußerlich mehr dem trostlosen Ziele nähernd, stieg innerlich reiner und reiner, geschieden von Furcht und Bangen, ihre Seele freier empor. Das Ringen mit der Außenwelt hörte auf, sie fühlte sich auf der Welt allein, aber im selben Augenblicke wendete ihr ganzes Innere sich ungetheilt auf die ausreichende Fülle göttlicher Gemeinschaft; die Blüten ihres Geistes, die welk hernieder hingen, richteten sich auf; und sie bedurfte nichts mehr, weder Glück, noch Tod.
So innerlich gesichert, kehrte sie mit der stillen Theilnahme nach Außen zurück, die am ersten da eintrifft, wo wir uns selbst nicht mehr darin suchen.
Sie hörte bald hinter sich zwei bekannte Stimmen, die zusammen klagten und in diesem Zusammenklagen wohl den süßesten Trost für ihre Klagen fanden. Auch täuschte sie sich nicht, es war Lanci's und Margariths Stimme.
Wie, Lanci? sagte sie, sanft zurückblickend, sollst Du mit uns entführt werden? Hat man die Gruft des Meeres für sicherer gehalten, als die Haft des Schlosses? Armer Schelm! Dich hat Dein treuer Eifer für mich ins Verderben gestürzt, und ich kann nichts thun, als leiden, wie Du und Deine Margarith, und damit ist Euch wenig gedient. Brixton, mein theurer Lehrer, Du wirst in unserm Verschwinden eine traurige Antwort empfangen!
Ach, theure Lady! rief Lanci, lieber sterbe ich mit Euch und Margarith, als getrennt von Euch zu leben und nichts zu Eurer Rettung thun zu können. Die uns verfolgen, [148] haben mir einen größeren Dienst geleistet, als sie dachten und wollten.
Gott behüte, fuhr Lady Maria fort, daß Master Brixton sich zu Schritten verführen lasse, die seiner Sicherheit nachtheilig würden. Auch dies, fügte sie hinzu, muß ich ergehen lassen, wie Gott es verhängt; es wird Alles ein Ziel haben, auch sein Schmerz, seine Leiden um mich.
Sie hatten jetzt den Punkt erreicht, wo sich der Weg nach dem Ankerplatze herum zog, und da sie zugleich sich den Fischerhütten näherten, die hier zerstreut hinter dürftigem Gestrüppe versteckt lagen, trat der von Pater Johannes bezeichnete Führer, welcher Lanci mitgebracht hatte, hervor und nöthigte die Lady, in eine der kleinen Hütten einzutreten, aus deren niedern Fenstern ein mattes Licht von dem nassen Torffeuer drang, das vom Heerde aus den winzigen Raum erhellte, wohin sie jetzt dem Führer folgten,
Bleibt hier einen Augenblick, sprach er, bis ich sehe, ob Alles zur Abfahrt bereit ist. Ihr könnt ein wenig Wärme sammeln zur Reise, es wird Noth thun.
Er zog sich zurück, die beiden Bootsknechte an die Thür zur Wache stellend.
Gedankenvoll setzte Maria sich auf einen kleinen Schemmel am Heerde der Hütte nieder, deren abwesende Bewohner ihre geringe Habe ohne Aufsicht zurückgelassen hatten, da sie auf die langsamen Fortschritte des Feuers an den nassen Torfstücken sich verließen.
Nicht lange saß sie so in sich gebückt, da hörte sie Hufschlag von Pferden, gleich darauf aber einen heftigen Wortwechsel vor der Thür der Hütte, welcher eben so schnell damit endete, daß der Eingang erzwungen ward und Lady Maria einen Mann gewahrte, der mit der größten Kraft die Bootsleute zurückstieß, die sich an ihn hängten, um seinen Eintritt zu hindern.
[149] Bewegt sprang sie auf, eine unbestimmte Ahnung erschütterte sie, und im selben Augenblicke stürzte sich Lanci aus dem Winkel der Hütte in die Gruppe der Ringenden und unterrannte den einen der Schiffer mit solcher Wuth, daß er strauchelte und von seinem Gegner abließ. Mit der größten Gewandtheit verfolgte dieser den nun wieder gleich gewordenen Kampf und schleuderte den andern Schiffer fort, während er sein Pistol zog, welches zu gebrauchen ihm bisher unmöglich gewesen war. Indem er es auf den Schiffer, der, von Lanci nur augenblicklich abgehalten, sich nun zum neuen Anfall anschickte, abdrückte, streckte er diesen, an der Schulter verwundet, zur Erde nieder.
Rettet Euch, Mylady! rief er im selben Augenblick, gegen Maria gewendet, die, nunmehr Lord Richmond erkennend, eine Schwäche und Betäubung fühlte, die sie willenlos und bebend ohne Bewegung auf ihrem Platze ließ.
Habt Vertrauen, mir zu folgen, fuhr er dringend fort, sanft ihr seine Hand reichend; es ist Brixton, der mich sendet, den Ihr finden werdet. O, um Gottes willen, vertraut mir! Er sah sie schmerzlich bewegt und angstvoll an, da hob sie die Augen zu ihm auf, versuchte aufzustehn und schwankte. Doch er faßte sie auf, schnell gewann sie sich Kraft und reichte ihm die kalte, zitternde Hand. Indem er sie gegen den Eingang hinzog, stürzte sich der zweite Schiffer vor ihn hin, nach Hilfe rufend und vergeblich von Lanci daran verhindert.
Zurück! rief Richmond, indem er ihm das zweite Pistol vorhielt, oder theile das Schicksal Deines Kameraden. Doch hinderte ihn an schneller Ausführung dieser Drohung die Sorgfalt für die zitternde Maria, und das Hilfegeschrei durchdrang die Luft im Augenblick, als Richmond mit ihr ins Freie trat.
[150] Lanci, rief Richmond entschlossen und zog Maria nach dem Walde zu, Du findest dort ein Pferd, welches Lady Maria Dir erlauben wird mit ihr zu theilen, Du kennst den Dünenhort im Walde, links von der Straße. Vorläufig findest Du dort Schutz, während ich hier ihre Verfolgung hindern werde, so lange wie möglich. Triffst Du meinen Diener auf dem Wege, so laß ihn zu mir eilen; Du aber verfolge Deinen Weg, dessen er unkundig ist.
In diesem Augenblick stieß Maria einen Schmerzensschrei aus, denn die Hand, die Richmond noch hielt, ward durch einen heftigen Schlag aus der seinigen geworfen, und sie mit solcher Stärke umfaßt und fortgetragen, daß sie sich ohne Widerstand darein fand. Die Dunkelheit hatte nachgelassen, und der Himmel leuchtete mit großen weißen Windwolken, so daß Maria, die beim ersten Hinaustreten aus der Hütte, vom Feuer geblendet, das Nahen ihres Feindes nicht bemerkt hatte, jetzt in ihm den Anführer erkannte, dem Pater Johannes sie übergeben hatte. Aber ihr Auge durchdrang auch den nächsten Raum, und sie sah, wie Richmond von zwei Männern gehalten ward, gegen deren Stärke er vergeblich ankämpfte.
Jeder Augenblick entführte sie weiter von ihm, nach dem Strande hin, und der Kummer, den sie fühlte, drohte sie zu tödten.
Jetzt verschwanden in der düstern Nacht zu immer undeutlichen Umrissen die Gestalten der Kämpfenden, und verzweifelnd rang sie mit ihrem Entführer. Da hörte sie einen Schuß und wenige Augenblicke darauf eine Stimme, die sie angstvoll beim Namen rief und sich ihr zu nähern schien. Sie antwortete mit einem lauten Hülferuf, ward aber im selben Augenblick von ihrem Träger mit den wüthendsten Flüchen so unsanft in seinem Mantel fast erstickt, daß ihr kaum Athem zum Leben übrig blieb.
[151] Dabei verdoppelte er seine Anstrengungen, und sie hörte nun ganz nah das Geräusch der Wellen und fühlte durch ihre Umhüllung den scharfen Seewind, so daß sie sich überzeugte, jetzt hinter den Dünen, dicht am Meere angekommen zu sein. Auch mußte ihr Führer sich sicherer fühlen, da er in seiner Eile nachließ, ja, endlich sie niedersetzte und ihr zu gehen befahl.
Lady Maria warf den erstickenden Mantel zurück, als sie Boden unter ihren Füßen fühlte, und rasch nach allen Seiten blickend, sah sie sich in einem kleinen Versteck, den eine Spalte in den Dünen bildete, und vor sich das Meer und das unruhig darauf tanzende Boot in kaum fünfzig Schritten Entfernung.
Ich werde Euch nicht folgen, rief sie entschlossen, sich zu ihrem Führer wendend, sondern jeden Widerstand leisten und, so nah der Hülfe, die mir Gott sendete, nichts unversucht lassen, Eurer Willkür zu entkommen. Habt Ihr aber Mitleiden mit dem Loose, welches man mir zugedacht, und wollt Ihr mir folgen und mich zu meinen Beschützern zurückkehren lassen, so sollt Ihr fordern dürfen, und kein Preis wird mir zu hoch scheinen.
Was Ihr werth seid, weiß ich schon, lachte der Führer, und hab's in der Tasche. Dem Pater Johann zu dienen, wird mir wohl besser bekommen, als Euch zu folgen, wo ich nicht Haus noch Hof fände, oder erst kriegen müßte, was ich hier schon habe. Geht nur! Geht! An Euch ist nichts gelegen, und was den Widerstand betrifft, den Ihr leisten wollt, da seht Euch vor, meine Vollmacht reicht weit. – Er hielt ihr grinsend ein Pistol vor und fügte hinzu: Seht, so viel seid Ihr werth, wenn Ihr Lust kriegt, zu schreien; ich steche dann in die See, und Euch suchen die Raben! Dabei pfiff er leise nach dem Boote zu, was sogleich beantwortet ward.
Nun, rief Maria, so sei mir Gott gnädig! Ist der Tod mein Loos, habe ich mich um so weniger zu scheuen, und ergeben will ich mich nicht und fürchte Euer Pistol nicht. Mit einer [152] Schnelligkeit und Kraft, die nur der Ueberreizung ihres ganzen Wesens möglich werden konnte, hatte sie sich ihrem Wächter entrissen, und von der großen körperlichen Gewandtheit unterstützt, die ihre Erziehung ihr gegeben hatte, erkletterte sie den steilen Abhang der Dünen und hatte im Angesichte des überraschten Führers die Höhe fast erreicht, als das Pistol knallte und sie getroffen in den Sand sank.
Doch dieser Schuß gab ihrem Retter die Richtung wieder, die er bei dem Dunkel der Nacht verloren hatte. Lord Richmond und Lanci, welcher unablässig seine Kraft zur Verstärkung des Ersteren anstrengte, erreichten die Höhe der Dünen und stürzten sich den steilen Abhang hinab, in dessen Grunde sie das Boot erblickten, und am Rande des Meeres die dunkle Gestalt des Verfolgten, welcher, Lady Maria auf seinen Armen tragend, in wilder Eile das Boot zu erreichen strebte.
Wüthend stürzte sich Richmond ihm entgegen. Ihn ergreifend, schlug er ihm das nicht mehr geladene Pistol, das er noch in der Hand hielt, ins Gesicht und riß ihm Lady Maria aus seinen Armen. Dem Schmerze, der schweren Last und der vorangegangenen Anstrengung weichend, überließ er dem Lord fast ohne Gegenwehr die jetzt werthlos gewordene Beute und trachtete nur das Boot zu erreichen, ehe die Entdeckung des Vorgefallenen ihn der Rache preisgäbe.
Erschrocken über den leblosen Zustand der Lady, die keine Frage beantwortete, kein Zeichen der Selbsthülfe machte, wandte Lord Richmond auf den Entfliehenden keine Aufmerksamkeit und eilte den Weg zurückzunehmen, den er gekommen, als sich abermals die Scene änderte und ein neuer Gegenstand sich ihm entgegen setzte.
Pater Johann hatte den Schauplatz erreicht, und von demselben Schuß, der Richmond leitete, hierher gezogen, erkannte und überschaute sein Falkenauge augenblicklich die [153] Lage der Dinge. Während er brüllend den fliehenden Schiffer zurück rief, lief er gegen den Lord an, und Beide erkannten sich nun sogleich als die Tischgefährten des verflossenen Tages. Halt, mein Herr, rief der Pater, den Arm des Lords ergreifend, unsere Freundschaft von gestern Mittag ist wohl nicht ausreichend, Euch eine Einmischung in meine Angelegenheiten zu gestatten; darum geht, wohin Ihr wollt, und bald, rathe ich Euch. – Diese Dame aber bleibt bei mir, sie ist mir anvertraut.
Da sei Gott vor, rief Richmond, ehrloser Pfaffe, daß sie Dir überlassen bliebe. Der letzte Blutstropfen in mir wird sie noch gegen Dich vertheidigen. Und ohne ihn weiter zu beachten, eilte er, so schnell es ihm der immer schwerer werdende Körper der Lady erlaubte, der eben verlassenen Gegend zu, da die bangen Ahnungen, die in ihm über den Zustand seines Schützlings aufstiegen, vor allen Dingen es ihm wichtig machten, Menschen und Hülfe für sie zu erreichen.
Doch war Pater Johann kein so schnell zu besiegender Feind, und Richmond war kaum einige Schritte vorgedrungen, als Lanci aufseufzte, denn er hörte das kleine Hörnchen blasen, welches der Pater stets auf seiner Brust trug, und welches den ihm untergebenen Hüttenbewohnern ein unüberhörbares Zeichen war, sich seinem Schalle nach zu sammeln.
Der Sturm hatte die Mehrzahl zu Hause gehalten oder in der Nähe der Hütten beschäftigt; doch aufmerksam gemacht durch die gefallenen Schüsse und das wiederholte Hülferufen, hatten sie sich schon in der Stille gesammelt, ihre Neugierde zu befriedigen. Der Ton des wohlbekannten Horns überzeugte sie nun, daß ihr mächtiger Zwingherr, in dessen Hände ihr bescheidenes Loos gelegt war, ihrer Hülfe bedürfe, und in größter Schnelligkeit drangen von allen Seiten jetzt schwarze Schatten heran, die sich durch Anrufen kund gaben, während Andere, von Weibern [154] und Kindern geschäftig begleitet, nach den Hütten liefen, um Kienfackeln anzuzünden, welche dort für den Gebrauch der Fischer bereit lagen.
Richmond übersah die Gefahr seiner Lage sehr wohl, und die Ahnung, ihr unterliegen zu müssen, wenn ihm keine wirksamere Hülfe würde, als Lanci's schwacher Arm, mischte in das Gefühl des Muthes und der Entschlossenheit, das ihn beseelte, jenen bittern Tropfen der Verzweiflung, der die Kräfte steigert, aber die Besonnenheit unterjocht.
Er faßte krampfhaft den bewegungslos bleibenden Körper der Lady in seinen linken Arm, und seinen Degen in der Rechten, schickte er sich an, die Gruppe der Männer zu durchbrechen.
Doch es war ein Leichtes, ihn, der nur einen Arm zur Vertheidigung behielt, durch zehn starke Arme, die auf Pater Johannes Befehl auf ihn eindrangen, zu entwaffnen, und er fühlte sich übermannt und seines Schwertes beraubt, binnen weniger Augenblicke.
Hoch auf schäumte sein Blut bei dem Gedanken dieser Gewaltthat, und das Schicksal, welches nun Lady Maria bevorstand, steigerte seine Kräfte bis zum Uebermenschlichen. Er riß sich noch ein Mal los und schlang beide Arme so fest um den leblosen Körper, den er trug, daß er den Bemühungen trotzte, sie zu trennen.
Da durchdrang plötzlich eine helle Stimme das dumpfe Gemurmel der Wuth, und Lanci erkannte Margarith, welche laut rufend herbei lief und unablässig ein Wort ausstieß, das plötzlich die geschäftigen Hände von Richmond abzog und den ungleichen Kampf unterbrach.
Die Miliz! Die Miliz aus Dunferling! Rette sich, wer kann! schrie das brave Mädchen, athemlos neben Richmond niederstürzend, der bei der augenblicklichen Stille sogleich das Pferdegetrappel erkannte, welches ihm Rettung verhieß.
[155] Ha! rief Pater Johann, wie ein gereizter Tiger vorspringend, wer that mir das? Woher kommt diese Gaunerbande und so schnell herbei? Die Fackeln, die, zu andern Zwecken herbeigeschafft, jetzt aus den Hütten ihr blutrothes Licht näherten, beleuchteten die wilden Züge des Verrath ahnenden Priesters, dessen racheglühender Blick wie ein Pfeil hervorschoß.
Sorgfältig sich noch immer schützend, aber freier in der Hoffnung der Rettung, streckte Richmond den Nahenden den verhüllten Arm entgegen.
Wahret Euch! rief er, so laut er vermochte, Euer Stunde hat geschlagen, der Tod der Herzogin von Sommerset ist bekannt, die Milizen nahen, Euch und das Schloß im Namen des Königs in Beschlag zu nehmen.
Alle wichen entsetzt bei dieser lauten Rede zurück.
Pater Johannes warf einen Blick umher, in welchem er mit Wuth und Entsetzen zu fragen schien, ob der Augenblick gekommen, der seiner hier so lang geübten Macht Grenzen setzte. Er fand auf allen den rauhen Gesichtern, die, von den Fackeln erhellt, ihn anglotzten, nur den Ausdruck der scheuen Furcht, welche die achtbare und strenge Miliz von Dunferling sich erworben hatte, verbunden mit der dumpfen Vorstellung von der unbestreitbaren Macht des königlichen Namens.
Pater Johann hatte mit einem Blick die Wahrheit erkannt; er durfte auf ihren Beistand nicht mehr rechnen, aber sein zweiter Gedanke, welch' eine Hölle ward er ihm jetzt! Die Rückkehr zum Schlosse gewährte ihm keine Sicherheit mehr; das Boot, die brüllende See, auf deren unsichere Wellen er vor wenigen Augenblicken das unschuldige Opfer seiner beleidigten Eitelkeit schonungslos hinaus zu stoßen dachte, blieb jetzt seine zweifelhafte Zuflucht, wenn er es erreichen könnte, ehe die dem Fackelschein zueilenden Milizen ihn daran verhinderten. Aber mit der Ueberzeugung, daß sein Schicksal nun entschieden sei, schoß die [156] wilde Glut der Wuth und Rache so gewaltsam in ihm auf, daß er, anstatt zu fliehen, wie ein Wüthender sich auf Richmond stürzte.
Muß ich weichen, brüllte er mit gräßlichem Geheul, so soll es Euch wenigstens nichts helfen; Du widerspenstiges Weib sollst untergehn! Mit diesen Worten zog er einen langen blitzenden Dolch aus seinem Busen, um ihn der von ihrem Schleier überdeckten Maria in die Brust zu stoßen. Doch Richmond, stets ihn beobachtend, ließ sie aus seinem Arm zur Erde sinken und unterlief den Pater, waffenlos, nur von seinem Mantel geschützt.
Die Miliz, die Miliz! riefen jetzt mehrere Stimmen.
Die Gefahr war nahe, keine Zeit zu verlieren. Wüthend stieß der Pater die Menge zurück und floh dem Strande zu, in der Dunkelheit bald dem Auge entschwindend.
Richmond dachte nicht daran, ihn zu verfolgen. Rasch kehrte er zu dem Kreise zurück, der, von den Fackeln erhellt, ihm die Lady am Boden liegend zeigte, Margarith und Lanci neben ihr knieend.
Ein lauter Schrei Margariths, die so eben den Schleier gelüftet, richtete Aller Blicke dahin.
Sie ist todt! schrie diese krampfhaft auf, sie schwimmt im Blute, er hat sie doch getroffen!
Unmöglich! rief Richmond, näher fliegend. Aber wie hätte der noch zweifeln dürfen, welcher die schöne Leiche sah, überschüttet von ihrem Blute, mit dem blauen Schein des Todes auf Mund und Wangen.
Richmond stand starr und betäubt, sein männliches Herz kämpfte gegen ein bisher ungekanntes Gefühl, das ihn zu ersticken drohte. Er hörte nicht, was um ihn geschah; alle Kräfte seiner Seele schienen in dem einen Bewußtsein untergegangen, daß sie todt sei. Erst als einige Personen sich anschickten, die Todte zu berühren, erwachte er aus seiner Betäubung.
[157] Rührt sie nicht an! schrie er heftig auf, den Personen sich zur Abwehr entgegen stürzend, die bisher, von ihm unbemerkt, sich genähert hatten, Keiner darf sie berühren, Keiner!
Er blieb wieder stehn und betrachtete sie, und der Ausdruck seiner Züge veränderte sich von Minute zu Minute, als ob Jahre an ihm vorüberzögen, die Blüthen der Jugend von seinen Wangen raubend.
Da erhob sich seufzend eine knieende männliche Gestalt an ihrem Haupte, und sich zu Richmond wendend, sagte Brixton tief bewegt:
Ich halte sie nicht für todt, aber ihren Tod für gewiß, wenn sie hier ohne Hülfe bleiben muß.
Ich bitte Euch, Sir, sprach der Anführer der Milizen, Oberst Crawford, erlaubt, daß wir die Verwundete nach dem Schlosse bringen, was bereits von meinen Leuten besetzt ist und ganz zu Ihrer Verfügung steht; wir werden dort der Kranken allen Beistand leisten können und gewiß in den Hütten hier Matten finden, von denen eine Bahre zu machen wäre.
Ich danke Euch, Herr Oberst erwiederte Brixton, Ihr gewährt mir mit dieser Nachricht großen Trost; ich wußte nicht, daß Ihr so schnell Euer Recht wahr genommen hattet.
Meinen Leuten Eingang zu verschaffen, sprach der Oberst, hat leider meine Ankunft hier verspätet und, wie ich fürchte, mehr Unheil zugelassen, als mit der Besitznahme des Schlosses gut gemacht werden kann; doch lasset uns keine Sorgfalt sparen.
Er gab sogleich seinen Leuten die nöthigen Befehle zur Besorgung einer Bahre und eilte selbst, durch seine Gegenwart die Eile zu beflügeln.
Richmond hatte sich indessen erholt; die Möglichkeit, ihr Leben noch zu erhalten, hatte ihn zu sich selbst gebracht. Sein Gefühl schnell mit der alten Kraft beherrschend, gewann er nun Thätigkeit und Aufmerksamkeit für das, was Noth that.
[158] Er unterstützte Brixton in seiner Bemühung, die Lady in eine sitzende Stellung zu bringen, und eilte alsdann, die Anordnungen des Obersten zu unterstützen, durch welche auch bald eine vortreffliche Bahre von weichen Matten, an Stangen gebunden, herbei geschafft ward, worauf man, mit Brixtons und Margariths Hülfe, den leblosen Körper legte, der nun, durch vier Milizen getragen, langsamen Schrittes nach dem Schlosse gebracht ward.
Welch' eine Veränderung war im Verlauf weniger Stunden hier eingetreten.
Die Thore, die, sonst streng verschlossen, Keinem den Eingang verstatteten, der nicht vorher schon er wartet ward oder eine Beglaubigung brachte, wie sie der Lady Howard oder dem Pater Johann genügte, standen weit geöffnet; im Thorwart-Häuschen saß der alte Hüter neben einem Miliz-Soldaten und blickte auf die geöffneten Thore, als necke ihn ein Traum mit versäumter Dienstpflicht.
Der Zug ging, ohne ihm Rede stehen zu müssen, an ihm vorüber, die Brücke entlang über den weiten Hof und verschwand endlich in der Halle des Schlosses.
Hier stand der neue Kastellan in unfreiwilliger Erwartung der Befehle, die eine fremde, sonst so verachtete Autorität ihm geben würde, und wagte nicht die bunte Menge zurück zu weisen, die sich dem Zuge nachdrängte, in doppelter Neugierde, das unzugängliche Schloß, das wie ein bezauberter Schatz zu den unerhörtesten Historien Anlaß gegeben, in Augenschein zu nehmen und zu erfahren, ob der gefürchtete Pater Johann das schöne Mädchen wirklich erstochen habe.
Längst hatte Richmond hierüber Brixton seine Meinung mitgetheilt; Beide hielten diese Verwundung für unmöglich.
Richmond kam der Wahrheit näher, indem er den Schiffer, dem er sie am Strande abgenommen, für ihren Mörder hielt; [159] auch hatte Oberst Crawford bereits Befehl gegeben, die Flüchtigen zu verfolgen und das Abgehen des Bootes zu verhindern, was durch den mit neuer Wuth sich erhebenden Sturm wahr scheinlich auch außerdem unmöglich geworden war.
Als sie in der Halle angekommen waren, entstand die Frage, wohin man das Fräulein bringen sollte. Margarith trat sogleich dazwischen und empfahl die Zimmer des Erdgeschosses, die uns bereits bekannt sind und von Maria, auf Veranlassung des wohlmeinenden Pater Clemens, bei ihrer Ankunft bewohnt worden waren.
Der Kastellan eilte daher, von mehreren Dienern, die Lichter trugen, begleitet, voran, und bald zog der blutige, entstellte Körper derjenigen in diese Räume ein, welche sie einst glänzend und in aller Fülle jugendlicher Schönheit und Gesundheit betreten hatte.
Eine zweite schwierige Frage war die nach ärztlicher Hülfe; denn der Arzt, nach welchem Richmond mit Erlaubniß des Obersten einen reitenden Boten gesendet, war nicht vor Tage zu erwarten und bei dem starken Blutverluste schnelle Hülfe dringend nöthig.
Margarith, welche in ununterbrochener Aufmerksamkeit ihrer geliebten Lady zur Seite blieb, wußte auch hier Auskunft zu geben.
Sie bat Lord Richmond, die Schwester Electa von dem Kastellan herbei führen und ihr wissen zu lassen, daß eine tödtlich Verwundete ihrer Hülfe bedürfe. Sie versicherte zugleich, daß diese fromme Schwester stets, in Abwesenheit des Pater Johann, die Kranken des Schlosses besorgt, und große Kenntnisse von schweren Verwundungen und deren Behandlung habe.
Diese Nachricht, die viel Glaubhaftes hatte, da sie mit dem wohlbekannten Gebrauch in Häusern der Art übereinstimmte, wie man hier vorgefunden zu haben nicht mehr bezweifeln konnte, [160] erregte eine neue Hoffnung für die bekümmerten Freunde der Lady, und als sich nach einiger Zeit die Thür öffnete und Electa, von zwei Frauen begleitet, welche verschiedene Spezereien trugen, eintrat, eilte ihr Richmond mit einer Lebhaftigkeit entgegen, vor der das schüchterne Wesen fast entsetzt zurückbebte.
O, fürchtet keine Beleidigung, fromme Frau, fügte er schnell hinzu mit dem herzgewinnenden Tone, der ihm so eigen war. Ihr findet hier höchst bekümmerte Freunde, die von Eurer Hülfe Trost und Hoffnung erwarten, wenn nicht den Ausspruch, daß Alles verloren sei.
Schwester Electa antwortete nicht, angstvoll strebte sie nur, sich den Blicken so vieler Männer zu entziehen, und wagte nicht den Fuß vorwärts zu setzen, nicht sich zu bewegen, noch zu fragen, wer ihrer Hülfe bedurfte.
Da schlüpfte Margarith um Richmond herum und rief, an Electa's Kleid zupfend:
O eilt, eilt, Schwester Electa! Eure Hülfe ist nöthig, es ist Lady Maria, die Pater Johannes erstochen hat.
Mit einem matten Tone des Entsetzens fuhr die bebende Gestalt empor, aber damit schien auch alle Scheu von ihr genommen. Sie schaute angstvoll auf und glitt nun rasch, hinter Margarith her, nach der Bahre hin, die noch in der Mitte des Zimmers stand.
Einen Augenblick kniete sie nieder und starrte mit dem tiefsten Schmerze in die Züge der Lady, während sie krampfhaft ihre Hände rang; dann stand sie auf, und indem sie gesenkten Blickes vor Lord Richmond trat, sprach sie leise:
Ich muß allein sein. Entfernt Eure Gefährten! Augenblicklich befolgte Richmond ihr Begehr, und bald sah sich Electa, blos von Frauen umgeben, mit der Hülfsbedürftigen allein.
Ihre ganze besonnene Thätigkeit trat sogleich auf das Vortheilhafteste hervor. Während sie eine der Frauen entsendete, [161] ein Kräuterbad zu besorgen, mußte die andere gegen den Kamin, dessen helles Feuer alsbald entzündet war, das feine Leinen zum Umkleiden, die Kompressen und Binden des chirurgischen Apparats ausbreiten, und mit feinen Essenzen durchräuchern; während sie selbst mit Margariths Hülfe die in Blut getränkten Kleider der Verwundeten ablöste, um erst zu entdecken, wo die Ursache dieses Zustandes zu finden sei.
Brust und Schultern zeigten sich gesund, und bald entdeckte sich über der linken Hüfte die von der Kugel zerrissene Stelle, die eine Ader oder sonst ein bedeutendes Blutgefäß gefaßt, und den heftigen Blutverlust veranlaßt haben mußte, dessen Folgen noch nicht zu bestimmen waren.
Unablässig weinend, rief Margarith bei jeder Bewegung Electa's:
Sagt, ist sie todt, wird sie sterben? Lebt sie nicht wieder auf?
Electa war vertieft in ihre Untersuchungen, und da sie die Kugel am Hüftknochen sitzend fand, eilte sie zu ihrer Instrumententasche und schickte sich an, mit sicherer Hand den tieferen Einschnitt zu machen, nach welchem die Kugel augenblicklich zur Erde rollte.
Ein Schrei der Freude drang aus Margariths Munde, während sie ihre Fragen nach Leben oder Tod mit verdoppelter Ungeduld wiederholte.
An dieser Wunde stirbt sie nicht, sprach Electa, jetzt zum ersten Male die Lippen öffnend; aber was der Blutverlust bereits gethan, ist nicht zu bestimmen. Sie legte jetzt einen vorläufigen Verband um die Wunde und brachte den starren Körper in das duftende, stärkende Bad, dessen gelinde Wärme die Kälte und Starrheit des Todes zu lösen schien. Auf das Sorgsamste legte alsdann Electa den zweiten Verband an, und ließ sie in die mitgebrachte erwärmte und von geistigen Wässern [162] belebte Wäsche hüllen, und nach ihrem Schlafzimmer tragen, dessen Luft, wie das Lager selbst, Leben kräftigende Düfte und sanfte Wärme zu athmen schien.
Noch hatte kein Zeichen des Lebens diese verständigen und sorgfältigen Bemühungen gelohnt, und jetzt erst begannen Electa's Versuche, ihren geschlossenen Lippen einige Tropfen zur innern Belebung einzuflößen. Schläfe, Pulse und Wangen wurden dabei sanft mit geistigen Wassern gerieben, und der Mund, welcher jetzt, geöffnet, größere Portionen einflößen ließ, gab nicht mehr willenlos zurück, was er empfangen.
Electa konnte nicht umhin, durch ein Zeichen diese Veränderung kund zu thun, bald zeigte sich auch ein leises Röcheln, ein Kampf des schwachen Athems mit der äußern Luft, ein Höhersteigen der Brust, ein leises Zucken, ein Seufzer, eine matte Bewegung, endlich ein plötzliches Aufschlagen der großen Augen.
Electa's strafender Blick hielt Margariths Freudengeschrei zurück; denn Besinnung war der Erschöpften noch nicht wiedergekehrt, und leise fuhr Electa fort, den jetzt wieder bewegbaren Lippen ihre stärkenden Tropfen einzuflößen.
Margariths volles Herz trieb sie aber leichten Schrittes aus dem Zimmer, und nun stürzte sie von Freude gejagt durch die Nebengemächer, die Frauen fast überrennend, die das Vorzimmer aufräumten, und so laut Lord Richmond rufend, daß, als sie die Halle erreicht, er ihr schon entgegenstürzte, in namenlosem Gefühle der Angst.
Sie lebt! rief sie, ihm in die Arme fliegend, eben hat sie die Augen geöffnet!
Tief erschüttert drückte er das treue Mädchen die so bald mit weiblicher Feinheit ihn errathen hatte, so unschuldig ihm ihre Entdeckung verrieth, an seine Brust und setzte sie dann sanft zur Erde, zu Brixton eilend, [163] der in banger Qual, zum Tode erschöpft, ihm entgegen harrte.
Eine dankbare Rührung verbreitete sich bei der glücklichen Botschaft auf allen Gesichtern, und Margarith weinte in Lancis Armen, von seinen eigenen Thränen begleitet, die Bewegung aus, die seit den letzten Stunden das arme Mädchen erschüttert hatte.
Da trotz der Erschöpfung, die Brixton fühlte, eine eigentliche Ruhe für den Rest der Nacht ihm undenkbar schien, entschied man sich, nach dem Vorzimmer zurück zu kehren, das an das Zimmer Maria's stieß. Bald waren hier einige Matratzen gegen die angenehme Glut des Kamins gelegt, und Brixton willigte ein, so ruhend, sich einige Erholung zu gönnen, während Richmond und Oberst Crawford, in Sesseln sitzend, durch Unterhaltung die Stunden bis zum Morgen zubringen wollten, und Margarith theils die Botin für die Nachrichten aus dem Krankenzimmer machte, theils mit Lanci in einem Eckchen die reichen Begebenheiten ihrer letzten Vergangenheit durchsprach.
Schon seit langer Zeit, Mylord, erwiederte Oberst Crawford eine Frage Richmonds, war unsere Aufmerksamkeit auf den geheimnißvollen Inhalt dieses Schlosses gerichtet. Es stand meinen Vorgängern ein Recht zu, hier in beliebiger Frist einzukehren und sich der wirklichen Gegenwart dieser Verwiesenen zu versichern. Eine lange Reihe von Jahren hatte indessen sowol ihre Verbrechen, als ihre Personen zu der Gleichgültigkeit herabgesetzt, die ihnen eine Art von Freiheit zurück gab. An ihre Entweichung war um so weniger zu denken, da ihnen in ihrem Eigenthume Reichthum genug geblieben war, um ein bequemes Leben zu führen, und die Kränklichkeit Beider, die allgemein bekannte Geisteszerrüttung des Lords einen solchen Schritt nicht wahrscheinlich machte.
[164] So hatte man nach gerade Besuche unterlassen, die immer etwas Gehässiges behielten, ungern empfangen, mit widrigen Eindrücken für den Besucher endigten und in allen Beziehungen zwecklos waren. Dagegen blieb unsere Aufmerksamkeit stets rege in Bezug auf diesen Theil des Küstenstrichs, weil hier der Schleichhandel mit einer Unverschämtheit getrieben ward, die sehr nah an seeräuberische Ueberfälle streifte und doch von einem Rückhalte gedeckt war, der unsere Aufmerksamkeit endlich auf das Schloß richtete und den Lord Devenant, der vor mir hier befehligte, zu dem Entschluß brachte, das fast verjährte Recht wieder in Anwendung zu bringen und seinen Besuch im Schlosse mit einer Untersuchung der Seite, die nach der See zu geht, zu verbinden. Ich übergehe die zahllosen Schwierigkeiten, die ihm entgegengesetzt wurden, und die, wenn sie auch seinen Verdacht vermehrten, ihn dennoch zu keiner Entdeckung kommen ließen.
Er berichtete darüber nach London, ehe jedoch die Antwort für ihn eintraf, wurde ihm eine indessen ausgewirkte Erlaubniß des Königs präsentirt, welche jede Beunruhigung des Schlosses bei Lebzeiten der Herzogin von Sommerset verbot, die man offenbar als tödtlich leidend dargestellt hatte.
Indessen hatte der Bericht des Lord Devenant doch zur Folge gehabt, daß mir nach seiner Abberufung der Befehl ward, das Schloß aus der Ferne streng zu beobachten, besonders die Verbindung, die es mit der Umgegend unterhielte, und genau den Augenblick wahrzunehmen, wo die Lady mit Tode abgehen würde, wonach der König, dem die Besitzungen als Lehnsherrn zufallen, berechtigt wäre, sogleich davon Besitz zu nehmen, und dies, unter Vorzeigung der mir dazu behändigten Vollmacht, augenblicklich ins Werk zu setzen, um wo möglich zu entdecken, ob der Argwohn, den die Bestimmung des Schlosses erregt, wirklich begründet sei. –
[165] Wir dürfen nicht läugnen, Sir, sprach Richmond, daß, wenn wir auch nicht alles Unglück haben verhüten können, wir doch einer glücklichen Kombination von Zufälligkeiten unsere gemeinschaftliche Wirksamkeit verdanken.
Es ist mir nicht vergönnt, die Verhältnisse der Dame, zu deren Rettung ich dem ehrwürdigen Herrn hier meine Hülfe lieh, ganz klar zu übersehn, und der Grund, warum man sie hierher führte, bleibt mir deshalb gleichfalls dunkel. Jedenfalls jedoch haben wir ihre Entführung verhindert, welche, zur Nachtzeit und bei so heftigem Sturme unternommen, entweder das Interesse zeigt, das man an ihren Besitz knüpfte, oder bei der Gefahr, der man sie rücksichtslos aussetzt, auch die empörende Absicht verrathen kann, sie lieber aufzuopfern, als in ihre früheren Verhältnisse zurückkehren zu sehn. –
Und glaubt Ihr, Mylord, fragte der Oberst, daß man die Nähe ihrer Freunde ahnete, daß Eure Absicht, sie hier aufzusuchen, errathen war?
Ich darf daran nicht zweifeln, erwiederte Richmond; langsamer, als ich gewünscht, ist unsere Reise von London hierher vor sich gegangen; sie mehr zu beeilen, wäre mit Gefahr für das Alter und die Gesundheit des ehrwürdigen Herrn verbunden gewesen, dem ich wiederum eben so wenig voraneilen durfte, da ich seiner vollständigen Kenntniß des Schicksals der Lady in jedem Augenblick bedürfen konnte und auch zweifeln mußte, ob die junge, oft schon bitter getäuschte Dame mir ohne den Schutz ihres anerkannten Freundes folgen würde.
Meinen Entschluß, über Dunferling zu gehen, wo, wie ich aus Lanci's Erzählung wußte, die einzige bewaffnete Macht vorhanden war, die wir zu Hülfe rufen konnten, wenn der Weg heimlicher Unterhandlung, die uns von einem wohlmeinenden Unbekannten empfohlen ward, nicht zum Zwecke führen sollte, muß ich jetzt als ein großes Glück ansehn, obwol er[166] durch die nothwendige Verzögerung, die er mit sich führte, unser Zusammentreffen mit dem Pater Johannes herbei führte, welchem unsere Absicht zu verbergen, ich gleich für eine Unmöglichkeit hielt und daher den Entschluß faßte, durch eine schnelle Ausführung, wo möglich, seinen Einwirkungen zuvor zu kommen und die Hilfe eines Ehrenmannes in Anspruch zu nehmen; welches Vorhaben dann durch die Ehre meiner Bekanntschaft mit Euch so sehr begünstigt ward.
Der Oberst verneigte sich. Richmond fuhr fort:
Lanci vorläufig blos durch meinen persönlichen Beistand zu unterstützen, trieb mich die Ahnung einer nahen Gefahr. Wenige Stunden nach Ankunft des Pater Johann, und nachdem ich ihn über mein Verbleiben getäuscht hatte, eilte ich ohne alle Begleitung fort, dem Master Brixton die Bitte zurücklassend, ferneren Bescheid abzuwarten, und hoffend, durch die Gegenwart desselben und meiner Leute den Pater Johann über meine Entfernung zu täuschen. Auch war damals meine Absicht, den Anspruch an Eure Hilfe nur für Deckung unserer Flucht geltend zu machen, welche ich, ungewiß über die Mittel, die dem Pater Johann zu Gebote standen, um des Fräuleins willen keiner Gefahr aussetzen durfte. Da der Weg jedem Kinde bekannt ist und bei Erreichung der ersten Anhöhe nach Lanci's Beschreibung leicht zu finden war, und endlich auch zu Anfang des Waldes ein glückliches Zusammentreffen mit einem Jägerburschen mich begünstigte, so erreichte ich die Wohnung des alten Wildmeisters, wohin mich Lanci verwiesen, von wo aus er selbst alles Weitere zu unternehmen dachte, und wo sich die bequemsten Verstecke vorfanden. Ueberdies war es mir klar geworden, welch unbedingtes Vertrauen in den Alten gesetzt werden konnte.
Da ich erst am Abend meine Wanderung angetreten hatte, so war es bereits Nacht, als wir die Wohnung des Wildmeisters [167] erreichten, und als mich Lanci empfangen und mit dem Alten bekannt gemacht hatte, hörte ich den wenige Tage vorher erfolgten Tod des alten Kastellans, an den wir von unserem unbekannten Freunde hauptsächlich empfohlen waren, und durch dessen Mitwirkung mir die Sache allein ausführbar schien.
Von diesem Augenblick an gab ich die Hoffnung einer heimlichen Entführung auf und war entschlossen, mich am andern Tage in Begleitung Brixtons, den ich erwarten durfte, und dessen Gegenwart jeden Argwohn fern halten mußte, nach dem Schlosse zu begeben, Einlaß zu begehren und das widerrechtlich gefangen gehaltene Fräulein zurück zu fordern.
Als ich jedoch meine Absicht mittheilte, mußte ich entschiedenen Widerspruch erleiden. Lanci warf sich mir fast zu Füßen und berief sich auf seine bestimmten, dem zuwiderlaufenden Befehle, mit einer seltsamen Mischung kindischer Furcht vor dem Zorn desjenigen, der ihn ausgesendet, und einer großen Festigkeit, die sein Alter zu überschreiten schien, in Verschweigung des Namens, den ich ihm nochmals abforderte.
Der alte Wildmeister, dessen schweigsame Würde mich sehr anzog, schlug sich endlich, von mir zur Erklärung aufgefordert, auf Lanci's Seite; er sagte, mit dem Finger auf den Brief zeigend, den Lanci an den alten Kastellan überbringen sollte:
Lanci nennt zwar auch mir nicht den Namen dessen, der ihn gesendet; aber ich kenne die Handschrift, und der dies schrieb, wußte Zeitlebens mehr, als andere Menschenkinder, und man hat gut gethan, sich genau nach seinen Vorschriften zu richten.
So willigte ich endlich ein, den Besuch des Wildmeisters auf dem Schlosse, wobei er Lanci mitzunehmen versprach, abzuwarten, da dem Fräulein eine Andeutung der Versuche, die zu ihrer Rettung gemacht wurden, zu wünschen war, auch mit Margariths Hilfe sich vielleicht ein Mittel erdenken ließ, die [168] Flucht heimlich einzuleiten, wogegen ich nichts einzuwenden hatte, da Master Brixton dies stets vorzuziehen schien.
Wir alle kürzten die Zeit der Nachtruhe ab, und der Wildmeister entfernte sich, beladen mit dem Wildvorrath für das Schloß, worunter er Lanci als Träger zu verbergen hoffte.
Der tödtlichen Spannung, worein Unthätigkeit vor einer wichtigen Katastrophe den Geist versetzt, zu entgehn, verließ ich die Wohnung bald nach meinem Wirthe und suchte das Schloß auf, das so wunderbar verborgen, und gleichwohl eine so kühne und sichere Position gefaßt hält. Vergeblich suchte ich von Außen eine Möglichkeit zu erspähen, die unserm Unternehmen günstig werden könnte.
Der Sturm hatte vom Morgen an mit wüthender Heftigkeit getobt, die kleinen, elenden Hütten, welche zerstreut hinter den Dünen am Strande lagen, gewährten ein trostloses Bild von Armuth und Elend, und während ich an ihnen hinstrich, sah ich, wie die Fischer aus der See zurückkehrten, und als ich mich unter sie mischte, hörte ich, daß der Sturm zu heftig sei, um sich hinaus zu wagen.
Um so mehr fiel es mir auf, daß nach Verlauf von etwa einer Stunde einer der Schiffer ein Boot losmachte und trotz des zunehmenden Sturmes in See ging. Ich redete den Trupp der zurückbleibenden Schiffer an, die ihn mit Theilnahme auf der See verfolgten, und seine Gefahr oder seine Geschicklichkeit mit einzelnen Ausrufungen begleiteten, und fragte sie nach der Ursache dieses Wagnisses.
Meine ganze Gegenwart schien unangenehm oder verdächtig. Sie wichen meinen Fragen aus, und nur als ich endlich das Unternehmen als thöricht tadelte, fuhr mich ein alter Fischer ziemlich unsanft an, indem er ausrief:
Er muß wohl fort, der arme Junge, es ist Befehl gekommen, den Küstenschiffer mit seinem Fahrzeug zu holen.
[169] Vom Schlosse? fragte ich plötzlich von der Wahrheit ergriffen; also ist Pater Johannes schon zurück?
Ja, sagte ein Anderer, gewiß, denn wer sollte sonst ein solch Wagstück befehlen, wem sonst würde der Küstenschiffer gehorchen?
Ich war von dem Augenblick an überzeugt, daß man die Lady zur See entführen wollte, und eben diese Ueberzeugung, daß unsere Hilfe, wenn nicht gleich, dann vergebens kommen würde, trieb mich vom Ufer zurück, nach der Wohnung des Wildmeisters, den ich nun in der größten Unruhe erwartete.
Muthlos sah ich ihn endlich nahen. Nach dem, was er auf dem Schlosse erlebt und erfahren, hielt er Alles für verloren, da Lanci entdeckt und gefangen war, die Lady am Morgen im Wahnsinne ihren Wächtern entsprungen, und eben die Treppe, auf der sie ihren Gemahl vor Jahren todt gefunden, und auf der sie ihn beständig in ihrem Wahnsinn suchte, hinabgestürzt war und mit gebrochenem Genick ihren Tod gefunden hatte, wodurch, seines Erachtens, die ganze Herrschaft an Pater Johann überging und keine Gnade mehr zu hoffen schien.
Von Euch, Herr Oberst, unterrichtet über Eure Vollmachten in Bezug auf diesen Tod, brauche ich Euch nicht zu sagen, daß dies mir jetzt gerade die größte Hoffnung für uns alle gab. Doch überzeugt, wie sehr im Interesse des Pater Johann es sein würde, die Nachricht zu verheimlichen, beschwor ich den alten Wildmeister, sich nach Dunferling zu begeben, Euch die wichtige Nachricht von diesem Tode mitzutheilen und Euch um schnelle Hilfe zu bitten.
Ich selbst aber kehrte nach der Küste zurück, Alles anzuwenden entschlossen, um eine Entführung der Lady, wenn man sie noch beabsichtigen sollte, zu verhindern. Hierzu blieb mir allerdings kein anderes Mittel, als meine Pistolen und mein Degen; denn da ich Eure Ankunft für wichtiger hielt, als die [170] des Master Brixton und meiner Leute, so sollte der Wildmeister erst auf der Rückkehr nach dem Städtchen gehn, um ihre Ankunft zu veranlassen.
Ich hielt mich jedoch am Strande verborgen, um den Verdacht der Schiffer nicht aufs Neue zu reizen, und sah bald das Küstenboot vor Anker liegen, das zu einer längeren Fahrt gerüstet zu werden schien. –
Die Unterredung der beiden Männer ward hier durch eine Meldung unterbrochen, die ein Unter-Lieutenant der Milizen dem Obersten machen wollte.
Der Oberst beurlaubte sich von Lord Richmond und unterredete sich eine Zeitlang mit dem Offizier, dann verabschiedete er ihn und kehrte wieder ins Zimmer zurück.
Das Richteramt, Mylord, ist vollstreckt ohne menschliche Zuthat. Eine furchtbare und erschütternde Fügung hat das, was Pater Johannes zum Untergang der unglücklichen jungen Dame bestimmte, zu seinem eigenen herbei führen lassen.
Wie, Sir! rief Richmond aufspringend, wie meint Ihr dies?
Der anbrechende Tag, erwiederte der Oberst, hat die zerschellten Leichname des Pater Johann und des Küstenschiffers an den Strand getrieben, während das Wrack des Schiffes auf der hohen See seinem Untergange entgegen treibt.
Es entstand eine augenblickliche Pause unter den beiden Männern, die dem Gefühl der Ehrfurcht Raum gab, welches den Menschen ergreift vor dem mächtigen Einschreiten einer göttlichen Gerechtigkeit, das die Kombinationen des Menschengeistes überbietet und seine Absichten durchschneidet.
Es ist ein gerecht Gericht gehalten, Sir, hob Richmond nach einer kleinen Pause an. Der böse Mensch übersieht in dem hochmüthigen Dünkel, womit er die Mittel zu seinen Zwecken herbeiführt, daß er selbst die Gewalt entwickelt, die in zerstörender [171] Gegenwirkung sich auf ihn wälzen wird, daß der Keim des Untergangs nothwendig dem Unrecht inne wohnt und dieselben Mittel, die ihm dienen sollten, ihn zerstören werden.
Ich habe Befehl gegeben, ihre Körper zu beerdigen, begann endlich der Oberst und beurlaube mich, meinen Bericht nach Hofe zu machen, da mir nähere Befehle über mein ferneres Verhalten fehlen.
Bei dem Tode der beiden hauptsächlich Betheiligten, versetzte Richmond, ist allerdings zu erwarten, daß man eine stille Beilegung der hier vorgefundenen Anzeigen über die Bestimmung des Schlosses vorziehen wird. Ich muß Euch noch außerdem bitten, alle Andeutungen über die Anwesenheit und Verhältnisse der Lady Melville und unserer Gegenwart aus Euerm Berichte weg zu lassen, da dies aufs Neue Verfolgungen veranlassen könnte, denen wir das Fräulein zu entziehen trachten müssen.
Ich willige um so eher in Euern Wunsch, erwiederte der Oberst, als ich dies als eine Privatsache ansehen muß, die zu meinen Dienstpflichten in keiner Beziehung steht.
Master Brixton hatte eine kurze Ruhe gefunden, und erblickte bei seinem Erwachen seinen jungen Freund, der bereit war, ihm die tröstlichen Nachrichten zu wiederholen, welche Margarith von Zeit zu Zeit aus dem Krankenzimmer herüber brachte.
Der Morgen war indessen vollends angebrochen, und die Männer hielten eine Berathung über ihre nächsten Schritte.
Eine sichere und jede Bequemlichkeit darbietende Zuflucht gewährte ihnen das Schloß, und dies war das augenblicklich nöthigste Bedürfniß für Lady Maria.
Ein kurzer Aufenthalt schien selbst dem Master Brixton nöthig, da seine Gesundheit offenbar gelitten hatte, und so entschlossen sie sich, den Obersten Crawford, den sie offenbar [172] vorläufig als ihren Wirth ansehen mußten, um diese Bewilligung zu bitten.
Dagegen suchte Brixton es zu verhindern, daß Richmond Nachrichten an seine Familie sende, oder suchte doch sie zu verzögern, indem er ihn bat, den Ausspruch Electas abzuwarten, wann ihre Abreise möglich sein werde.
Richmond willigte um so lieber ein, als er eine Art Scheu fühlte, sich über das Fräulein gegen seine Familie zu äußern.
Oberst Crawford kehrte unterdeß zu ihnen zurück, und nachdem er ihren Wunsch auf das Zuvorkommendste bewilligt, folgten ihm die Herren, um das Schloß in Augenschein zu nehmen, und für sich und ihre Leute die Zimmer zu wählen. In diese zogen sie sich dann zu einiger Ruhe zurück, während Oberst Crawford in aller Stille die Ueberreste der Herzogin in den schon seit lange bereit stehenden Sarg legen und in das Erbbegräbniß neben ihrem Gemahle beisetzen ließ, und damit das dritte Begräbniß seit seinem kurzen Aufenthalt besorgte.
Den Frauen des Schlosses machte er jeder einzeln in ihrem Zimmer einen Besuch, und forderte sie auf, ihm ihre Verhältnisse zur Welt und zur verstorbenen Herzogin zu entdecken.
Er bekam hier genug Veranlassung, sich zu überzeugen, daß die meist aus Frankreich stammenden Frauen, welche hier der Herzogin eine Beschäftigung für ihre bösen Launen gewährt hatten, bis auf zwei, die in fanatischer Stupidität von jeder Mittheilung sich abwendeten, ohne alle Empfindung für das Ableben ihrer Patronin waren, und daß die Furcht vor der Strafe, die ihrer Korporation harre, ihr einziges Gefühl blieb.
Der Oberst verhieß ihnen Fürsprache und empfahl ihnen ein ruhiges Verhalten in ihren Zimmern. Eben so versammelte er die Dienerschaft der Herzogin, und nachdem er sie von der Straffälligkeit ihres bisherigen Lebens unterrichtet hatte und von den Verhältnissen, in denen er vorläufig zu ihnen stehe, [173] schickte er sie an ihre Plätze zur Obwaltung des Hauses, ließ dann mit militärischer Strenge von seinen Milizen die äußeren Posten besetzen und Keinem den Ausgang gestatten. Zur Versorgung der zahlreichen Bewohner war ein bedeutender Vorrath aller Bedürfnisse vorhanden, und die reichgefüllten, nach der See hin gelegenen Gewölbe bestätigten vollkommen den Verdacht, dessen Oberst Crawford, in Bezug auf die Kontrebandirer, bereits erwähnt hatte.
In dem Krankenzimmer der Lady Maria ging das Geschäft der Pflege und Heilung seinen stillen geräuschlosen Gang.
Electas Geschicklichkeit und Sorgfalt zeigte sich so vollkommen ausreichend, daß der herbeigerufene Arzt nur täglich den Puls zu fühlen übrig behielt, wonach er stets Gefahrlosigkeit und baldige Genesung prophezeihete, und endlich wohlbeschenkt das Schloß verließ.
Es war ein höchst ergreifender Anblick, als Electa endlich den ehrwürdigen Brixton an das Bett seines geliebten Zöglings führte.
Maria wollte seine Hand küssen; er legte sie segnend auf ihr Haupt. Aber was er ihr sagen wollte, konnte seine bewegte Stimme nicht hervorbringen. Still setzte er sich ihr gegenüber, blickte sie an und fühlte die Thränen nicht, die über sein ehrwürdiges Gesicht flossen.
Mein Wohlthäter! mein Vater! mein Erretter! rief das erschütterte Mädchen; welchen Gefahren, welchen Beschwerden habt Ihr Euch ausgesetzt, mich zu retten. O Ihr, mein einziger Schutz auf dieser Erde!
Beruhigt Euch, Lady Maria, erwiederte sanft der ehrwürdige Geistliche, Ihr dürft Euch nicht Euern Gefühlen überlassen; [174] Eure Genesung ist zu wichtig. Aber Ihr werdet es bald erkennen, daß Euch noch viele Freunde geblieben sind.
Ach, Sir! seufzte Maria, wißt Ihr denn alle, die der unerbittliche Tod von meiner Seite nahm? Könnt Ihr sagen, daß mir außer Euch noch irgendwer geblieben ist, da der Einzige, den ich zu meinem Unglück vergeblich zu erreichen strebte, sich mir gegen meine Hoffnung entzieht?
Vertraut mir, theure Lady, sprach Brixton dringend, vertraut mir jetzt Euer Schicksal an, da ich unfehlbar klarer darin sehe, als Ihr selbst. Ihr seid für den Augenblick in sicherem Schutze, und nichts als Eurer Genesung bedarf es, um Euch würdigen und beglückenden Verhältnissen zurück zu geben.
Maria's Auge hatte erwartungsvoll auf Brixton geruht; es senkte sich jetzt von einer unbestimmten Ah nung erfaßt zur Erde, und die dringenden Worte verstummten in einer süßen Ruhe, die der Hoffnung verwandt war.
Brixton behielt Zeit, sie unterdeß zu betrachten und mit Schmerz zu bemerken, wie die überstandenen Leiden und die sie beherrschende Erschöpfung diesen schönen jugendlichen Zügen eingeprägt waren. Er gedachte derer, die dies Kind mit so grenzenlosen Hoffnungen erzogen hatten, und ihren jetzigen Zustand weder ahnen, noch verhindern konnten; er erinnerte sich, wen er eigentlich vor sich sah, zu welchen Ansprüchen er selbst sie hatte entwickeln helfen, und daß von allen diesen Ansprüchen in ihm jetzt nichts übrig geblieben war, als das Verlangen, ihr ein unbemerktes Loos zu sichern, keinem früher genährten Wunsche, nur dem des Herzens entsprechend.
Dann fühlte er mit einer wahrhaft demüthigen Beruhigung, daß es das erreichte Ziel nicht ist, sondern der Weg dahin, der über den Werth des zurückgelegten Lebens entscheidet, daß im Verfolgen dieses Weges ein höheres Resultat der Vernunft sich entwickelt und das Ziel vertritt, welches wir mit [175] den eiteln Kombinationen unsers Verstandes zu erreichen trachteten.
Und darf ich die Frage wagen, ohne Euch zu erzürnen, hob sie schüchtern nach einer Pause an, wohin Ihr mich zu führen denkt, verehrter Sir? wann meine Abreise möglich sein wird? Darf ich es wissen? –
Ich hoffe, Lord Richmond, der mit großmüthigem Eifer mich unterstützt hat, wird Euch und mich zur Herzogin, seiner Mutter, zurückführen, bis natürlicher Schutz Euch Rang und Unabhängigkeit zurückgeben kann.
Gewiß, rief Maria, ich irrte mich also nicht, als ich Lord Richmond zu erkennen hoffte? Und zu meiner Wohlthäterin soll ich zurück? Sagt, hat sie mir verziehen, wird sie der flüchtigen Thörin ihre Hand noch ein Mal reichen? Wer hat sie über den Betrug aufgeklärt, dem ich unterlag?
Schont Euch, theure Lady, sprach Brixton besorgt, da er sie so erregt und die Farben wechseln sah. Werdet erst gesund und erwartet dann das Weitere.
Ich will, sagte sie sanft und lehnte, Electas Ermahnungen folgend, sich in die Kissen zurück.
Ruhe und Einsamkeit war jetzt ein willkommenes Gebot für das reiche Leben der Hoffnung in ihrer Brust.
Electa erstaunte selbst über die schnellen Fortschritte, welche die Kranke in ihrer Genesung machte. Die Wunde heilte schnell unter ihren sorgsamen Händen.
Maria stand und ging bald, ohne weitere Hülfe zu bedürfen, als Margariths jeder Zeit bereiten Arm, und in ihrem Antlitze leuchtete durch die Lilienweiße ein feiner Anhauch wiederkehrender Lebenskraft.
So trug Electa denn selbst in ihrer schüchternen Weise die Bitte der Herren vor, der Lady ihre Glückwünsche darbringen zu können. Nach einem still verlebten Morgen, den Maria, sich [176] selbst überlassen, in ernstem Nachdenken und einer damit verknüpften tiefen Bewegung ihres Herzens zugebracht, empfing sie die Nachricht, daß die Herren in ihrem Wohnzimmer sie erwarteten.
Sie blieb noch einen Augenblick mit niedergeschlagenen Augen sitzen, dann erhob sie sich, und auf die harrende Margarith sich lehnend, schritt sie langsam der Thüre zu.
Wie das erste Mal, als sie hier eintrat, standen die Lehnsessel um das glühende Feuer des Kamins, zu traulichem Beisammensein einladend.
Aber nicht leer waren sie; nicht Fremde, nicht feindlich Gesinnte hatten Platz darauf genommen. Die sich jetzt erhoben und ihr entgegen gingen, waren theure Freunde, Beschützer, die mit einem Mal die Bürde, sich selbst schützen zu müssen, von ihr genommen hatten.
Dem Obersten Crawford, als Fremden, als Seneschall des Schlosses, gebührte der Vorzug, von Brixton ihr zuerst vorgestellt zu werden und ihre ersten schüchternen Worte des Dankes zu hören, die der Oberst mit Ehrerbietung erwiederte, aber sichtlich überrascht von der Erscheinung der Lady, die selbst im blassen Kolorit der Krankheit noch allen Zauber ihrer rührenden Schönheit und Anmuth übte.
Richmond hatte während dessen versucht, sich zu fassen als ihr erster Aufblick ihn aber traf, näherte er sich ihr, ohne Worte finden zu können. Beide fanden sie nicht, aber sich gegenüber zu stehn, das Bewußtsein dieser Nähe, versenkte sie auf einen Augenblick in ein so süßes Gefühl von Befriedigung und Ruhe, daß sie der Worte nicht bedurften.
Es giebt Augenblicke im Leben, die alle Schmerzen der Vergangenheit auslöschen, sprach Richmond mit bewegter Stimme, ein solcher ist der gegenwärtige.
Mein Retter! stammelte Maria, während einzelne Thränen aus ihren gesenkten Augen fielen.
[177] O nennt mich nicht so! rief Richmond, schmerzlich aufseufzend, ich habe Euch nicht schützen können, nicht retten vor den grausamen Mißhandlungen, denen Euer Leben fast erlegen wäre! –
Erlegen wäre, fiel Maria rasch ein, wenn Ihr mich nicht gerettet; das zerschellte Boot hätte mich nicht geschützt, da es seine Besitzer untergehen ließ, und doch hätte man mich trotz meiner Verwundung darin fortzuschleppen gesucht, hättet Ihr nicht großmüthig mich meinem Entführer abgekämpft. –
Lassen wir diese grauenhaften Erinnerungen, fiel Brixton sanft ein, nehmt bei uns Platz, theure Lady, daß wir des Glückes inne werden, Euch genesen zu sehn.
Sanft lächelnd reichte Maria dem ehrwürdigen Herrn den Arm und nahm einen der Lehnstühle ein, die nun um sie her von so theuern Personen besetzt wurden.
Mein Herz sehnt sich, theurer Sir, hob Maria an, sich zu Brixton wendend, Euch Rechenschaft zu geben von meinem Leben, seit ich durch den Tod meiner Tante mir selbst überlassen blieb, und Euch, Mylord, fuhr sie gegen Richmond fort, bin ich ebenfalls Rechenschaft schuldig über die traurige Verblendung, die mich aus dem Schutze meiner großmüthigen Wohlthäterin, Eurer Mutter, führte, die mich so hartnäckig widerstehn ließ, wie Ihr und Lord Ormond einen großmüthigen Versuch machtet, mich derselben zu entziehen. Möchtet Ihr in dem, was ich hierüber zu sagen haben werde, einigen Anlaß finden, mich mild zu richten. Ich hatte mit einem plötzlichen Lebenswechsel nicht die Schärfe des Urtheils, den Schatz der Erfahrung erhalten, die meine Handlungen hätten leiten können, mit Beschämung habe ich die thörichte Sicherheit erkannt, womit ich geneigt war, meiner jungen Ueberlegung zu folgen; laßt es Euch rühren, wie sehr ich dafür bestraft ward, setzte sie mit einem Lächeln voll Anmuth hinzu, das die sanfteste Bitte um Nachsicht aussprach.
[178]Es ist wenigen Menschen ein so außerordentliches Schicksal zu Theil geworden, als Euch, erwiederte Richmond, wer könnte wünschen, daß Euer unschuldiges Herz, Euer hochgestellter Geist eine Ahnung gehabt hätte von den bösen Absichten, die man Euch sicher mit größerer Schlauheit zu verhüllen suchte, als Ihr vorauszusetzen vermochtet. Wir konnten nur beklagen, daß uns kein Recht zustand, in Euern mißleiteten Willen mit höherer Gewalt einzuschreiten, als eben das einer kurzen Freundschaft, die das Glück uns gegönnt.
Daß ich diese nicht ausreichend fand, erwiederte Maria, daß irgend etwas mich abhalten konnte, sie für meine Autorität anzuerkennen, muß ich mir zum schmerzlichsten Vorwurf machen und kann Eure gütige Absicht, mir Beschämung zu ersparen, nicht wegläugnen; aber gewiß ist es, und ich halte dies zu meiner Rechtfertigung gern fest, daß meine Lage traurig und ungewöhnlich war, und gewiß geeignet, Neigung und Pflichtgefühl in einem unerfahrenen Wesen in Verwirrung zu bringen. Ganz, fuhr sie nun ruhiger fort, ist es mir noch nicht möglich, den Plan und die Absicht zu durchschauen, um derentwillen man mich dem ehrwürdigen Schutze Eurer Familie, Lord Richmond, entzog. Betrogen scheint mir aber jedenfalls von meinen spätern Feinden der gewesen zu sein, der mich zuerst betrog. Doch betrogen werden um Freiheit und Lebensglück sollte ich, und vielleicht erhielt diese erste Absicht hier noch eine Ausdehnung durch den Haß der Lady Sommerset, welche selbst meinen Tod herbei zu führen suchte.
Es wird mir schwer, fuhr sie nach einigem Nachdenken fort, welches keiner der gespannt Lauschenden zu unterbrechen wagte, unter meine Feinde einen Mann zu zählen, der mir Hochachtung und Vertrauen, ja, Dankbarkeit eingeflößt hat, da er mich von der verhaßten Nähe des Lord Membrocke befreite. Er war es zwar, der mich hier in mein Gefängniß führte, aber[179] es schien mir nur zu oft, daß er wider Neigung und Gefühl einem Zwange gehorchte, der seinen lichtvollen Geist in Fesseln hielt, den er mir auch später andeutete, und der ihn als einen Anhänger des Ordens Jesu bezeichnete. Er war Mönch und nannte sich mit seinem Ordensnamen Clemens.
Mußte er mich auch hier begraben, so war er doch freundlich bemüht, mich im Schutze meiner Beschäftigungen und einiger wohlthuenden Aeußerlichkeitn zu erhalten, denn diese Zimmer bestimmte er mir selbst und endlich die größte Wohlthat, Margarith theilte er mir zu.
Lange habe ich gehofft, er würde es sein, dem ich meine Befreiung danken könnte, und habe ich mich darin getäuscht, so kann ich die Ueberzeugung nicht aufgeben, daß er nur gehindert ward, vielleicht durch eben die Autorität, der er sich so willig beugte, obschon sein Geist über ihr stand.
Ich habe ihm daher geglaubt, als er mir die Täuschungen enthüllte, die mich in mein Verderben stürzten, obwol ich nicht einzusehn vermochte, warum ich so wichtig war für einen der mächtigsten und, wie Pater Clemens ihn nannte, einen der verdorbensten Großen des Landes, von dem Lord Membrocke nur als Mittelsperson gebraucht worden war, mich zu entführen, und den er den Herzog von Buckingham nannte. –
Herzog von Buckingham! rief Brixton, so heftig aufspringend, daß Maria zusammenfuhr, ist es möglich, großer Gott, in dessen Händen waret Ihr? Und kannte er Euch, sagt, wußte er, wen er in Euch hatte?
Theurer Sir, sagte Maria in sanftem Vorwurf, Ihr vergeßt, daß ich selbst mich nicht kenne, daß ich nicht zu sagen wissen würde, ob er mich kannte, hätte er mir selbst einen Namen beigelegt. Doch jedenfalls wußte er mehr von mir, als ich erwarten konnte, denn betrogen hat er mich nur durch diesen Brief und dieses Petschaft, denen ich zu folgen für Pflicht hielt, [180] wie ich denn früher jede andere Art, mich zu überreden, zurückgewiesen hatte.
Maria zog hier Beides hervor, es Brixton überreichend.
Großer Gott! rief Brixton, als sein Blick auf diese Gegenstände fiel, es ist Alles verrathen!
Pater Clemens, fuhr Maria mit dem Bestreben, den Erschrockenen zu beruhigen, schnell fort, sagte mir, dieser Brief sei nicht von meinem Oheim, dessen geliebte Handschrift er trägt, er sei nur nachgeahmt, und der Inhalt hätte mich warnen sollen, trotz seiner liebevollen Worte: und dieser Ring, den ich so oft spielend von seinem Finger gezogen, er sei ihm heimlich genommen.
Ach theure Lady, sagte Brixton, es ändert wenig; war der Herzog unterrichtet, daß Beides von Bedeutung sei, so mußte eine höchst wichtige Entdeckung bereits geschehen sein, und Eure Sicherheit bleibt dann noch von einer gefährlichen Seite her bedroht!
Ich hoffe, rief Richmond mit glühender Stirn, keine Gefahr, welche den freien Willen der Lady Maria bedroht, kann eintreten, so lange sie Euch vertraut und mir vergönnt, ihren Willen gegen jede Anmaßung zu vertreten.
Wobei Ihr über ein so starkes Gefolge von Milizen, als Euch gut dünkt, ja, über meine eigene Person, so weit es meine Dienstpflicht erlaubt, gebieten mögt, rief Oberst Crawford, mit tiefer Ehrerbietung sich vor Lady Maria neigend.
Unsere Abreise muß so sehr beschleunigt werden, als es Eure Gesundheit erlaubt, theure Lady, sprach Brixton, von Gedanken, wie es schien, überfüllt. Ich hoffe, die Frau Herzogin, Eure Mutter, Lord Richmond, wird dem Fräulein vorläufig einen Schutz verleihen, den die hochgeehrte Frau dereinst nicht bereuen wird, gewährt zu haben; während ich dafür Sorge tragen will, ihr den mächtigen [181] und ehrenvollen Schutz zu verschaffen, zu dem ihre Geburt sie berechtigt.
Seid sicher, Mylady, sprach Richmond, Eure freiwillige Rückkehr wird jeden Zweifel bei meiner Mutter versöhnen, und jetzt, wie früher, werdet Ihr über uns alle zu gebieten haben.
Wir müssen uns dieser Hoffnung um so mehr freuen, unterbrach Brixton Marias Versuch zu danken, da wir nicht zweifeln dürfen, daß der geheime Obere, dessen Gesandter unser junger Freund Lanci ist, und dessen Namen er uns so hartnäckig verschweigt, nicht nur ein wohlmeinender Freund ist, indem er uns das Fräulein wirklich finden ließ, sondern zugleich auch weit mehr unterrichtet über das, was man mit ihr vor hatte, als uns fürs Erste erlaubt ist zu übersehen. Wir sind ihm daher das Vertrauen schuldig, seiner dringend empfohlenen Anweisung zu folgen, welche eben dahin ging, den Schutz Eurer Familie, Mylord, vorläufig in Anspruch zu nehmen.
Ich hoffe, Lady Maria wird kein Bedenken tragen, entgegnete Richmond, durch die Befolgung dieser Anweisung meine Familie zu ehren und zu beglücken.
Ich habe nur die Nachsicht und Verzeihung derselben in Anspruch zu nehmen, erwiederte Maria, und zu erwarten, ob meine Jugend und Unerfahrenheit mir Fürsprecher sein werden.
Habt indessen die Güte, hob Brixton an, uns aufs Genaueste, wenn es Euch beliebt, Alles mitzutheilen, sowol wodurch man Euch zu dieser Flucht bestimmte, als was Euch in deren Verfolg begegnete.
Mein Herz sehnt sich nach dieser Mittheilung, erwiederte Lady Maria, und es soll Euch nichts davon entgehen, denn mein Gedächtniß ist mir treu. Doch erlaubt mir, verehrter Sir, ehe ich beginne, Euch eine Frage vorlegen zu dürfen, welche immer dringender wird, je mehr mein Bewußtsein in Bezug auf die Verhältnisse der Welt durch das, was ich erlebte, [182] geweckt ist. Wer bin ich? fuhr sie mit bebender Stimme fort, als Brixton in ahnungsvoller Verlegenheit schweigend zur Erde blickte. Bin ich des Namens berechtigt, den ich jetzt nur bestritten trage? Leben mir Angehörige, und dürfen meine Verhältnisse jemals aus dem Dunkel treten, das sie bis jetzt zu einem Gegenstande des Verdachtes macht und ihre Ehrbarkeit in Zweifel stellt? Ich kann nicht zweifeln, Ihr müßt mir Aufschluß geben können, denn Ihr waret der Freund, der Vertraute der geliebten Menschen, welche meine Jugend behüteten.
Ihr habt Recht, Lady Maria, sprach Brixton mit Fassung, aber auch mit tiefem Ausdruck wehmüthiger Empfindung. Ich bin unterrichtet von allen Euern Verhältnissen, aber es ist mir nicht vergönnt, Euch jetzt schon darüber Aufschluß zu geben, so würdig Ihr trotz Eurer Jugend es seid, Eure Geburt und alles damit Verknüpfte zu kennen. Meine Ueberzeugung darf hier nicht entscheiden, mich bindet ein Schwur, dessen Lösung mir nicht zusteht. Habt noch eine kurze Geduld, der Augenblick ist von Außen unterdessen schon gekommen, der, wie ich hoffe, jedes Hinderniß beseitigen wird, und hat sich Eure Zukunft auch anders gestaltet, als Eure Freunde träumten, Ihr werdet Gerechtigkeit finden, verliert nur nicht das Vertrauen darauf.
Maria schwieg, aber in ihren zarten Zügen war der schmerzliche Kampf zu lesen, den sie mit ihrem Zartgefühl für Ehre zu kämpfen hatte, da, über die wichtigsten Beziehungen derselben aufs Neue in Ungewißheit zu bleiben, sie, je länger, je mehr herab zu setzen schien.
Ihr selbst, Sir, sprach sie dann mit dem tiefen Ausdruck eines bekämpften Gefühls, Ihr selbst und alle meine Umgebungen, denke ich, haben, so viel ich mir bewußt bin, darauf hingewirkt, ein starkes Ehrgefühl in mir zu wecken, und jede Unklarheit zu hassen und von mir fern zu halten. Vergebt mir daher, daß ich, im Begriff in die Welt zurück zu kehren, mit [183] Widerstreben einwillige, mich namenlos und geheimnißvoll ihr wieder darstellen zu müssen. – Jedoch, fuhr sie fort, mit kindlicher Hinneigung zu Brixton sich wendend, der sichtlich zu leiden schien, ich will den einen Gedanken festhalten, daß ich Euch durch nichts besser mein unbegrenztes Vertrauen, meine Hochachtung bezeigen kann, als indem ich mich dieser peinlichen Lage unterziehe, ohne Euch weiter zu belästigen.
Seid sicher, erwiederte Brixton gerührt, ich werde mit allem, was mir zu Gebote steht, eilen, Euch derselben sobald wie möglich zu entziehen, jetzt aber versucht, uns Eure Mittheilungen zu machen.
Ich bin bereit dazu, sprach Maria mild, wenn anders mein gütiger Arzt, der sich dort an der Thür schon einige Mal gezeigt hat, es nicht anders bestimmt.
Ich würde wagen, Euch eine kurze Ruhe vorzuschlagen, sprach Electa, sich schüchtern nähernd und den Puls fühlend; Ihr seid sehr bewegt und eine Wiederkehr des Fiebers wäre nicht erwünscht.
Gewiß nicht! rief Richmond, lebhaft aufstehend, beurlaubt uns, Mylady, bis wir uns ohne Furcht, Euch zu schaden, wieder nähern dürfen.
Lady Maria willigte ein, und die Herren zogen sich nach dem Vorsaal zurück, indeß sie auf ihrem Bette ruhte.
Doch mußte Electa ihr bald den Wunsch zugestehn, zurück zu kehren, und nachdem sich Alle um sie versammelt hatten, erzählte sie, was uns bereits bekannt ist so weit ihre eigene Kenntniß der Umstände reichte.
Wir unterlassen es, ausführlich den Eindruck zu schildern, den diese Mittheilungen in ihren verschiedenen Beziehungen auf die Zuhörer machen mußten, und erwähnen nur, daß, während sich Nichmond gelobte, Membrockes ehrlose Betrügereien zu strafen, Brixton sich in Besorgnisse gestürzt fühlte, die um so [184] quälender waren, je weniger es ihm möglich war, die sich durchkreuzenden Absichten in Uebereinstimmung zu bringen mit einer Entdeckung der Geburt des Fräuleins, die Buckingham höchst unwahrscheinlich zu ihrem Feinde machen konnte. Er fühlte, daß ihm nur eine Annäherung an die höchste und dabei zumeist interessirte Person genügend Aufschluß geben könnte, und er kehrte aus seinem tiefen Nachdenken mit einer Aeußerung zurück, die alle seine Wünsche einschloß, indem sie die mögliche Beschleunigung ihrer Abreise empfahl.
Electa's Entscheidung war hiebei die wichtigste. Sie bat noch um zwei Tage Ruhe, und die Herren, sich diesem Ausspruch fügend, eilten alle Anstalten so zu treffen, daß jede Sorgfalt mit der möglichsten Eile sich vereinigte.
Diese Tage, die Lady Maria in ungestörtem Umgange mit ihren Freunden verlebte, hatten einen so auffallenden Einfluß auf ihre Gesundheit und Stimmung, daß sich kein weiterer Aufschub der Reise nöthig zeigte und sie dies Haus des Schreckens mit völlig leichtem Herzen verlassen haben würde, hätte sie das Schicksal ihrer Wohlthäterin Electa nicht mit Sorge erfüllt. Dies zarte Wesen, dessen Gemüth ohne Kraft und eigne Bestimmungsfähigkeit, den einzigen Anhalt ihres verfehlten Daseins in der selbst gewählten Knechtschaft gegen ihre geistlichen Oberen gefunden hatte, und jede unschuldige Sehnsucht nach der Welt als die schnödeste Sünde in sich verfolgte, der sie doch immer wieder unterlag, fühlte sich nun sogar erschüttert in ihrem Glauben, in ihrer Ergebung gegen diese ihre bisherigen Vorbilder durch die Kenntniß ihrer wahren Gesinnungen, wie sie die letzten Begebenheiten ihr von allen Seiten schonunglos gegeben hatten.
Sie lebte nur so lange noch in leidlicher Fassung, als die Wunde der Lady Maria ihr eine ihrer früheren Existenz gemäße Beschäftigung gab.
[185] Jetzt, als von dieser Seite ihre Thätigkeit aufhörte und die nahe Abreise der Lady ihr das einzige Wesen zu rauben drohte, zu dem sie sich noch hingezogen fühlte, von dem sie sich geschützt sah, da sank ihr ganzes Wesen in Trostlosigkeit zusammen, und Vergangenheit und Zukunft schien ihr eine ununterbrochene Kette von Unglück und Leiden.
Mit zarter Theilnahme suchte Maria den Zustand der Leidenden nach und nach zu erforschen, und wagte es endlich, den Gedanken einer Rückkehr in die Welt in ihr anzuregen. Aber sie fand hier das einzige entschiedene Gefühl der Armen in bestimmter Abneigung dagegen und erfuhr genug, um ein schmerzlich verrathenes Herz zu ahnen, das nur durch gänzliche Flucht aus jeder Beziehung des Lebens Rettung gefunden hatte.
Sinnend sah sie der unentschlossenen Leidenden nach dieser gewonnenen Ueberzeugung gegenüber, muthlos selbst ihrer Zukunft gedenkend, als sie plötzlich von einem Gedanken ergriffen ward, dem sie schnell die Frage folgen ließ, ob sie den Aufenthalt des Pater Clemens kenne?
Electa schien von dem bloßen Namen wie electrisirt, und augenblicklich gab sie das Kloster in Frankreich an, wohin der Pater sich zurückgezogen hatte.
Nun, rief Maria lebhaft, so geht zu ihm und unterwerft Euer Leben seiner ferneren Bestimmung!
Engel des Himmels! rief Electa, sich mit Begeisterung vor Maria hinwerfend, welche Eingebung sprach aus Euch. Ja, Ihr habt das Rechte getroffen; doch wie soll ich ihn erreichen? sprach sie plötzlich, zur größten Muthlosigkeit zurückkehrend.
Dafür laßt mich sorgen, sprach Maria heiter und sicher; ich gebe Euch mein Wort, Ihr sollt ihn erreichen ohne Fährlichkeit und Noth. Zugleich stand sie auf, drückte das schüchterne Wesen liebevoll an ihre Brust und begab sich in das Nebenzimmer, wo ihre Freunde sie bereits erwarteten.
[186] Mit der ganzen Wärme des Gefühls, das ihr so eigen war, trug sie ihnen ihre Absichten und Wünsche in Bezug auf Electa vor, und beschwor sie, die Mittel dazu ihr anzugeben und einzuleiten.
Auch fand sie bei Richmond die lebhafteste Bereitwilligkeit, bei Brixton die wohlmeinendste Absicht. Nur Oberst Crawford beobachtete ein ängstliches Schweigen und gestand endlich, als ihn Maria zur Theilnahme aufforderte, er bezweifle, daß er einen der Bewohner des Schlosses entlassen dürfe, bevor seine Instruktionen aus London angekommen sein würden, da er sich genöthigt sehe, bis dahin alle Vorgefundenen als gleich schuldig und als Gefangene zu betrachten. Er setzte hinzu, wie er hoffe, daß man nach seinem Berichte geneigt sein werde, diese ganze Angelegenheit, da sie in sich als aufgelöst anzusehen sei, der Vergessenheit zu übergeben, und wie er alsdann zu der Erleichterung der Reise des Fräuleins alles beitragen wolle, was in seinen Kräften stehe.
O Sir! rief Maria hier mit lebhafter Unruhe, denkt, daß wir morgen das Schloß verlassen, denkt, welch schmerzliche Unruhe ich mit mir nehme, wenn über dem Schicksal dieses armen Wesens eine trostlose Ungewißheit schwebt und mir nicht selbst vergönnt ist, sie zu ihrer Reise auszurüsten.
Vertraut sie mir als Euer Vermächtniß, sprach Crawford ehrerbietig, und heilig soll mir das Interesse des Wesens sein, dem wir zum Theil Euer Leben danken. Mit der pünktlichsten Sorgfalt erfülle ich Eure Befehle, und will ihre Reise, der sich höchst wahrscheinlich keine Hindernisse entgegen stellen werden, so sorgsam und anständig einleiten, daß außer dem Meere selbst, dem ich nicht zu gebieten vermag, nichts ihren eigenen Wünschen nachstehen soll.
Ich glaube, theure Lady, sprach Brixton, wir dürfen nicht weiter in Oberst Crawford dringen, da seiner Neigung [187] hier seine Pflicht entgegen tritt, und gewiß können wir ohne Sorge dem edlen Manne unsere Freundin anvertrauen; Euch wird jetzt nur obliegen, sie selbst mit dieser einzigen und bleibenden Auskunft zu versöhnen.
Da auch Richmond, auf den Alles, was Pflicht hieß, stets eine starke Gewalt ausübte, schwieg, so fühlte Maria sich bald selbst zu jener Mäßigung ihrer Wünsche gestimmt, und sie eilte nun, Electa davon zu unterrichten, welche sie bei weitem weniger dadurch beunruhigt fand, als sie erwartet hatte.
So empfingen denn am nächsten Morgen, als der erste Sonnenstrahl die mit Thau bedeckte Erde zu einem blitzenden Himmel unzähliger glänzender Sterne umschuf, sämmtliche Herren das Fräulein in der Halle des Schlosses, wo sie, von Electa und Margarith begleitet, in ihren Reisekleidern ihnen entgegen trat.
Einen Augenblick blieb sie noch stehn, und indem ihr Auge die Gegenstände noch ein Mal überflog, gedachte sie ernst des Abends, als sie hier mit Pater Clemens eingetroffen und von Margariths Vater empfangen ward, dessen Tochter sie nun für immer mit sich hinweg führte, und sie hoffte eine Zeit der Leiden abgestreift hinter sich zu lassen, der sie fast unterlegen wäre.
Mit Thränen dankte sie noch ein Mal dem Obersten Crawford, umarmte Electa und bestieg mit Margarith dieselbe kleine Sänfte, die sie, von Pater Clemens geleitet, hierher geführt hatte, während die Herren und Lanci mit den übrigen Dienern sich zu Pferde setzten, und Crawford den Reisezug bis zu dem nächsten Ruhepunkt begleiten zu dürfen sich ausbat, da ein ferneres Geleit seiner Milizen von beiden Herren abgelehnt war, um jedes Aufsehn zu vermeiden.
[188] Godwie-Castle, als Familiensitz der Nottinghams, erfüllte in dem Augenblick, wo wir jetzt uns demselben wieder nähern, seine Bestimmung in seltenem Maaße. Zwar hatte der Graf Bristol seine eigenen Besitzungen für die nächste Zeit eingenommen, doch ward seine Gegenwart, an die man bei seiner langen Abwesenheit sich keineswegs gewöhnt nennen konnte, kaum vermißt, am meisten wohl nur von der empfunden, die es so wohl verstand, über alle Empfindungen ihres Innern den Schleier zu ziehen, wir meinen seine Tochter, die jüngere Herzogin von Nottingham.
Es lag in der Stimmung ihres Innern zu den von Außen sich ihr darbietenden Umständen ein Widerspruch, den die stolze Frau mit einem an Unwillen grenzenden Schmerze fühlte, und diese Stimmung steigerte sich um so mehr, da es ihr an allen Mitteln fehlte, sich derselben zu entledigen, was ihrem stets einschreitenden und ans Beherrschen gewöhnten Sinn einen Zwang auflegte, der sie grollend ihren übrigen Verhältnissen gegenüber stellte.
Dagegen war der Himmel blau über allen übrigen zahlreich versammelten Bewohnern von Godwie-Castle.
Anna Dorset, nunmehr berechtigt, die Liebe zu entwickeln und zu gestehn, die sie zu ihrem Gemahl hinzog, zeigte ihre ganze Natur zu einem Reichthume und einer Fülle weiblicher Anmuth entwickelt, die ihren jungen Gemahl fesselte und mit ähnlichem Erstaunen erfüllte, als uns wohl ergreift, wenn wir eine Knospe, welche, fest verschlossen, unsern Antheil wenig erregen konnte, am warmen Licht der Sonne zur duftenden Blume entwickelt wiederfinden; gewiß ward dieser mit Gefühlen vertraut, wie sie einer solchen Ueberraschung gegenüber nicht ausbleiben!
Die Gräfin Dorset hatte mit ihrer Tochter Ollony die Neuvermählten begleitet, und auch Graf Ormond war, nach [189] einer Trennung von mehreren Monaten, in Godwie-Castle wieder eingetroffen.
Graf Archimbald ordnete mit großer Sorgfalt die Papiere seines Bruders und gab sich dazwischen mit vielem Geschick den gesellschaftlichen Stunden hin, welchen Alle mit Vergnügen beiwohnten, und über denen die alte Herzogin von Nottingham wie das Prinzip der Güte und Liebe mit ihren ewig klaren, theilnehmenden Augen waltete.
So schien Allen hier eine Zeit der Ruhe eingetreten und für die Zukunft nur erfreulichen Hoffnungen Raum gestattet zu sein. Dennoch gab es so manche frisch geheilte Wunden und noch reizbar gebliebene Stellen fast in jeder Brust, daß gerade so viel guter Wille, so viel Liebe, so viel wohlverstandene gute Erziehung, als alle besaßen, dazu gehörte, um nicht jeden Tag neue Störungen des Gefühls und der Ruhe, welche zu schützen, Alle inniges Verlangen trugen, herbei zu führen.
Richmonds Abwesenheit, der Zweck derselben, der Jedem bekannt war, und das, was damit zusammen hing, war ein hauptsächlich zum Stillschweigen verwiesener Punkt für Alle.
Die Herzogin von Nottingham hatte ihren Unwillen über dies Unternehmen auf eine Weise geäußert und selbst gegen ihren Vater mit einer solchen hartnäckigen Entrüstung durchgeführt, daß Beide darüber in eine Art Spannung gerathen waren, welche die Abreise des alten Lords erleichterte; und dies wohlbekannte Ereigniß ließ freilich alle Uebrigen völlig darauf Verzicht leisten, die Meinung der Herzogin milder zu stimmen. Sie unterließ es völlig, den Namen Richmond zu nennen, Niemand wagte, ihr darin voran zu gehn, und das Andenken der unglücklichen Gräfin Melville schien bis auf die fernste Erinnerung erloschen.
Und dennoch stand das Bild Beider vor der Seele eines Jeden, nur vorsichtig umgangen in Wort und Andeutung.
[190] Mit der tiefsten Seelenqual erwartete die unglückliche Mutter Nachrichten, die ihr hartes Geschick erleichtern oder erschweren mußten, und mit der ganzen Größe der Gefahr, wie sie ihr erscheinen mußte, bekannt, behandelte sie ihr ungleiches und finsteres Betragen mit der ganzen Nachsicht einer solchen Berechtigung.
Vergeblich hatte der junge Herzog durch Lord Ormond, der so eben aus London eingetroffen war, Nachricht zu erhalten gehofft; auch ihm war sie gänzlich ausgeblieben, und er selbst hatte sich nur ungern entfernt, ehe ihm Kunde zugekommen.
Die Mittheilungen beider Männer über diesen ihnen gleich interessanten Gegenstand waren aber dabei von einer Zurückhaltung geleitet, die nur zu bestimmt ihre Verletzlichkeit in diesem Punkte andeutete, und das Gefühl, wie ihre Stellung zu jenem Gegenstande sich verändert habe, unterstützte den Wunsch Beider, in der Zeit die Erledigung ihrer Empfindungen zu suchen. Konnte sich auch Graf Ormond nicht, wie der junge Herzog, durch die heiligsten Interessen abgezogen halten, war dennoch auch ihm in den Worten der unglücklichen Maria über Ollony ein Aufschluß geworden, der ihn mit der größten Sorgfalt über sich zu wachen veranlaßte.
Er hatte bei späterem Nachdenken, trotz seiner wahrhaften Bescheidenheit, doch sich die Wahrheit dieser Entdeckung kaum verbergen können und nicht ohne Vorwurf gefühlt, wie die Befangenheit seines Herzens in anderer Richtung ihn so ganz um die Beobachtung des seine Sorgfalt so nahe angehenden Wesens gebracht hatte.
Er hatte sich eine schnelle Trennung von mehreren Monaten auferlegt, und seine Gedanken waren von da an in dem Schmerze um zwei theure Wesen getheilt.
Er zitterte, Ollony wieder zu sehn, und durfte es doch nicht länger verschieben, da seine Schwester die unbegreiflich [191] lange Trennung mit einer Ungeduld und Betrübniß erfüllte, von deren Folgen er sie befreien mußte.
Wenn wir mit uns selbst unsicher werden, so machen wir Pläne, wie wir uns betragen wollen. Der bessere Mensch giebt sie gewöhnlich auf, so bald er in die Lage kömmt, für die er sich ausrüstete, denn nurüberhaupt und einem großen Prinzip getreu sich dem Leben gegenüber zu rüsten, ist die Aufgabe, in der sich alle andern lösen müssen, wenn wir uns selbst getreu bleiben wollen.
Schon bei Ollony's Anblick wollte keine seiner Ansichten passen. Das schöne Kind hatte den letzten Punkt ihrer Entwickelung, und an Höhe und Feinheit der Gestalt, wie an innerer Haltung und zarter Zurückgezogenheit den Standpunkt erreicht, auf dem es uns klar wird, daß das Flügelkleid der Kindheit mit dem Schleier der Jungfrau vertauscht ward und die Flügel nur noch nach Innen dem Geiste angehören, verrathen von dem weitsichtigen, tiefen Blicke des ernsten Auges.
Ormond fühlte im ersten Moment, sie sei auch von ihm geschieden, und was auch der innere Kern ihrer Brust bewahren mochte, sie sei mit sich allein geworden, und dies Finden ihrer selbst schützte sie gegen Aufregungen und Aeußerungen, wie sie Ormond noch wenige Monate früher zu beherrschen sich verpflichtet fand.
Die Stille, die ihn von ihr aus anwehte, betrog aber aufs Neue den sonst so geschickten Menschenkenner und unterstützte die bescheidene Stimmung seiner Seele, die ihn überredete, jedes Gefühl, das früher hier gelebt, als vorüber gegangen anzusehen.
Dessen ungeachtet fühlte er zu seiner eigenen, oft großen Beschämung sich auf dem Wege, Ollony jetzt seinerseits in dieser Beziehung zu beobachten, und je fremder, getrennter und veränderter sie ihm erschien, desto öfter fühlte er das Verlangen. [192] dies liebliche Geheimniß zu ergründen, in diesem ihm einst so offen darliegenden Gemüthe den Veränderungen nachzuspüren, die ihm so anziehend und wichtig erschienen, daß er ihnen den größten Theil seiner Gedanken zuwandte.
Es war zuletzt ein eigenes Gefühl von Unbehagen, wenn seine bescheidenen Bemerkungen ihn überzeugen wollten, sie sei ihm kindlich abgewendet und jungfräulich nicht wieder zugekehrt, und er fühlte sich endlich in einer Art Aufregung, die ihm einzig von der Besorgniß eingegeben schien, dies junge Wesen so abgeschlossen sich selbst überlassen zu wissen, woraus sich leicht der Vorsatz gestaltete, sich ihr zu nähern und ihr Vertrauen zu gewinnen.
Wir wollen uns vorläufig jeder Voraussetzung bei diesem gewagten Unternehmen enthalten, von wesentlichen Ereignissen in anderer Beziehung getrieben.
Der Frühling hatte indessen die weiten Thore aufgethan und versendete seine reichen Schätze über die schmachtende Erde. Es drängte sich fröhlich ein junges Leben neben dem andern hervor, Platz suchend und findend in dichter Gemeinschaft.
Die Brust des Menschen theilt bewußt oder unbewußt so süßen Eifer; etwas soll anders in ihr werden, zur Klarheit, zur Blüte soll es sich durchbrechen, was im Winterschlaf uns eingehüllt erscheint, wir fordern von uns, und die Gewährung ist schon bereit. An Licht und Sonne hängt nicht blos das Blütenleben mit seiner zarten Existenz, der Mensch selbst hofft in diesem freieren Spielraum etwas Größeres zu leisten und zu vollbringen. Auch sollten wir nicht immer nach dem Geleisteten fragen; es braucht nicht Existenz nach Außen zu gewinnen, was darum doch als Errungenes, als Wahrheit in solchen Epochen der Seele verbleibt.
Alles genoß nach Maßgabe seiner Empfänglichkeit diese schöne Jahreszeit und ließ sich locken von ihr, hinaus in die überall einladende Gegend.
[193] Ein stattlicher Zug zu Pferde von Damen und Herren lenkte, nach einem weiten Ausfluge, als schon der Tag sich neigte, durch die breiten Wege des duftenden Waldes dem Schlosse entgegen.
Arabella, Ollony und die junge Herzogin ritten in leichter Zierlichkeit vor den folgenden Herren, doch indem sie die Heerstraße überschreiten wollten, entfuhr ihnen Allen zugleich ein freudiger Ausruf der Ueberraschung, Arabella gab ihrem Pferde die Zügel und flog in jagendem Laufe die Heerstraße hinab.
Richmond, Richmond! rief dagegen Lady Anna ihrem herbeieilenden Gemahle entgegen, und bald fanden sich Alle um den sehnlich Erwarteten versammelt, der nicht säumte, ihrer fröhlichen Eile zu begegnen.
O Richmond, rief der junge Herzog, wie bist Du von uns Allen herbei gesehnt, und wie lange hast Du uns ohne den Trost gelassen, von Dir zu hören!
Rechne mir nicht zu, was unvermeidlich in den Umständen lag, rief Richmond, und denkt nicht geringer deshalb von meiner Liebe gegen Euch. Aber sagt mir jetzt, um mich von jeder Sorge zu befreien, wie ich unsere theure Mutter finden werde?
Die augenblickliche Pause, die hier eintrat, und welche der aufsteigenden Sorge über die Stimmung der Herzogin galt, ergriff Richmonds zärtliches Herz und drückte sich in seinen Zügen aus, als der junge Herzog ihn zu beruhigen eilte, indem er ihm die Versicherung gab, daß sie wohl auf sei, aber in ihrer Stimmung geschont, erst auf seine Ankunft vorbeitet werden müsse.
Richmond fühlte leicht, daß hier eine kleine Verlegenheit obwalte, und es ward ihm nicht schwer, die Veranlassung von sich herzuleiten, da er wohl wußte, wie seine Mutter auf [194] jeden Schritt zur Auffindung der Gräfin Melville ein Interdikt gelegt, dem er durch seine Bemühungen allerdings entgegen gehandelt.
Nun, so bitte ich denn, rief er, sich seiner guten Sache bewußt und der Liebe seiner Mutter vertrauend, eilt mit dieser Vorbereitung, sobald Ihr es vermögt, denn mir folgen auf dem Fuße zwei Personen, deren besonderes Verhältniß ihr mitzutheilen ich mich sehne, und, indem ich sie indessen Eurer Liebe empfehle, sie zugleich als alte Bekannte nenne, nämlich die Gräfin Melville und Master Brixton, ihr Erzieher.
Ein Ausruf der Theilnahme war die Antwort auf diese Ankündigung, und wir überlassen es dem Leser die verschiedenen Veranlassungen in den betheiligten Personen sich selbst hinzu zu denken.
Nach einem kurzen Kampfe entschied sich der junge Herzog, seinen Bruder selbst nach dem Schlosse zu begleiten, und ersuchte den Grafen Ormond, den Reisenden mit Sir Ramsey entgegen zu reiten, sie in seinem Namen zu begrüßen und in Godwie-Castle einzuführen. Dann lenkte er sein Pferd an die Seite seiner Gemahlin, und mit besonderer Aufmerksamkeit ihren Zügel fassend, schien er sich recht ihrer Gegenwart versichern zu wollen.
Graf Archimbald beschloß gleichfalls seinen Liebling zu begleiten, da es ihm höchst unangenehm vorschwebte, ihn der übeln Laune seiner Schwägerin verfallen zu sehen.
Er eilte sogar dem jungen Herzoge voran, sich bei der Herzogin einzuführen, und wir glauben, daß der Neffe dies Geschäft dem Oheim gern überließ.
Ein kurzes Gespräch mit Richmond hatte ihm zu einer gedrängten Uebersicht des Geschehenen verholfen, und er hoffte, diese Mittheilungen würden versöhnend das Herz der Mutter erweichen.
[195] Er fand sie in der strengen und ernsten Haltung, die einen weniger gefaßten Mann als Graf Archimbald von jeder Annäherung zurückzudrängen geeignet war.
Im Gegentheil aber reizte ihn diese Wahrnehmung in einzelnen Fällen noch zu einem stärkern Hervortreten der eigenen kalten Schärfe, und sie begannen gewöhnlich damit, einander beim ersten Anblick wegen dessen zu zürnen, was sie im Laufe des Beisammenseins gegen einander zu verschulden gewärtigten.
Ich hoffe, meine theure Schwägerin, hob er, ihr zuvorkommend, an, ich finde eine gute Stunde zur besten Botschaft, die ich glaube bringen zu können. Richmond, der verlorne Sohn, nähert sich dem Schlosse, und ich bin voran geeilt, mir vor allen den Lohn so guter Botschaft von Euerm freundlichen Gesichte abzufordern.
Der jähe, plötzliche Schreck, der mit einer hohen Röthe das strenge Gesicht der Herzogin überflog, raubte ihr, tief ihr Herz erschütternd, für einen Augenblick die Sprache. Sichtlich jedoch den Antheil von Freude bekämpfend, den diese Nachricht in sich schloß, zeigte sie bald einen Ausdruck, gemäß der Stimmung, die sie glaubte zeigen zu müssen.
Ihr überrascht mich, Mylord! Laßt mich hinzusetzen, dies ist vorläufig das einzige Gefühl, dem ich Raum geben kann. Zu früh lernen Mütter die Nothwendigkeit kennen, ihre Kinder als fremde, sich von ihnen lossagende Personen ansehen zu müssen. Mein Sohn hat mir in seinem letzten Verfahren darin den Unterricht gegeben, der mein Herz zu schmerzlich traf, um mich ganz frei ihm gegenüber zu fühlen, da ich außerdem von der Schwäche frei bin, darum, weil es eben mein Sohn ist, seinen Handlungen eine blinde Bewunderung zu zollen.
Auf solchen Anspruch scheint er sich auch nicht beschränken zu dürfen, erwiederte Graf Archimbald mit kühler Gleichgültigkeit, im Gegentheil scheint er mit männlicher Festigkeit [196] erreicht und beseitigt zu haben, was für uns alle eine Verpflichtung geworden, deren Lösung jedoch von so mannigfacher Schwierigkeit war, daß sie, wie billig, das Maaß von Thätigkeit einer Frau übersteigen mußte.
Ich erinnere mich nicht, diese Sache, in so fern Ihr von dem Schicksale der jungen Abenteurerin sprecht, der wir Schutz gewährten, über meine Kräfte hinaus gehalten, wohl aber sie vollständig für meine Angelegenheit erklärt und Niemandem die Verantwortlichkeit auferlegt zu haben, womit dann der Gegenstand für alle Andern erledigt und ich, jede unberufene Einmischung als Anmaßung und beleidigende Bevormundung meines Willens anzusehen, befugt war. –
Es ist nicht anzunehmen, sagte Graf Archimbald, daß wer in der Nähe Eurer Durchlaucht lebt, sich nicht von der Schwierigkeit solcher Einschreitungen überzeugt haben sollte. – Erlaubt mir jedoch, Euch aufmerksam zu machen, daß wir nie so fest uns selbst vertrauen dürfen, um nicht die Möglichkeit anzunehmen, es könne außer unserm Bereich eine Denk- oder Handelsweise stattfinden, die den einen oder andern Gegenstand früher entwickelt, als uns vielleicht vorbehalten war; wenigstens, setzte er höflich lächelnd hinzu, habe ich mich öfter in diesem Falle zu befinden geglaubt und nicht ungern an Anderer Thätigkeit die Grenzen der meinigen erkennen gelernt.
Verzeiht, sagte die Herzogin gereizt, ich bin nicht begierig gewesen, eben von meinen Kindern hierüber Belehrung zu empfangen und, um aus dieser Allgemeinheit zu dem besondern, vorliegenden Falle zu gelangen, am wenigsten in einer Sache, deren Verfolgung nichts Ehrenhaftes mehr für meine Familie haben kann, da Sittenlosigkeit und Unwürdigkeit des Gegenstandes durch ihr eigenes Betragen außer Zweifel gestellt ist.
[197] Auch darüber möchten sich die abweichendsten Ansichten vertheidigen und sogar beweisen lassen, betonte Graf Archimbald seinerseits ziemlich stark, und ich freue mich, hinzufügen zu können, daß Richmond, den wir immer nur in der Wahrheit und der richtigsten Auffassung aller Verhältnisse fanden, mir darüber die bündigsten Versicherungen gab, deren guter Grund schon dadurch mir bewiesen scheint, daß er die unglückliche verfolgte Lady in Begleitung des ehrwürdigen Master Brixton seiner Familie wieder zuführt, sie ihrem Schutze empfehlend.
Was sagt Ihr? rief hier die Herzogin, schnell aufstehend, mein Sohn, Lord Richmond, führt das Mädchen, welches sich unserm Schutze entzog, um mit einem ehrlosen Manne die Flucht zu ergreifen, dies Mädchen, deren Namen wir nur mit Erröthen vor unsern Töchtern könnten nennen hören, dies Mädchen führt er in den Kreis seiner Familie zurück, und Ihr, Lord Archimbald, Ihr nehmt es über Euch, mir diese Nachricht zu bringen? O geht, geht, Mylord, Ihr spottet der alternden Frau, Ihr benutzt ihren durch Gram stumpf gewordenen Verstand und versuchet die Macht Eurer Fabeln; jedoch ist jener noch hell genug, und diese sind schlecht ersonnen. Ich glaube viel eher an Eure schlechte Erfindungskunst, als daß ich durch den Glauben an ihre Wahrheit das eigene Kind in meiner Brust zerstören müßte.
Weder zum Fabeln-Erfinden habe ich Talent, Mylady, sagte Archimbald kalt, noch fühle ich mich geneigt, Euern sehr gegenwärtigen Verstand auf Proben zu stellen. Hier ist nicht von so tragischen Momenten die Rede, als Eure Worte andeuten. Die Sache ist sehr einfach die, daß ein junges Mädchen hintergangen ward durch die Tücke eines erfahrenen Weltmannes, daß sie nur anscheinend Unrecht that und, bei unbefleckter Sitte, erlöst aus einer schmäligen Gefangenschaft, voll Vertrauen die aufsucht, von denen ihr schon ein Mal Schutz und Hülfe zu Theil ward.
[198] Die Herzogin wollte eben in heftiger Rede entgegnen, als schnelle Schritte sich den Vorhängen der Thür näherten und im selben Augenblick sich Richmond zeigte, der mit dem ganzen Enthusiasmus kindlicher Liebe zu den Füßen seiner Mutter stürzte. Das heftige Wort der zürnenden Frau erstarb in ihrem Munde. Der Zauber, den der Anblick eines geliebten Wesens über alle Kräfte unserer Seele übt und sie aufzulösen scheint in dem Entzücken des Anblickens, der Wohllaut, der unsere Seele erfüllt, wenn wir das Bild in der Fülle des Lebens vor uns sehen, was den Hintergrund unseres Herzens mit tiefen, unauslöschlichen Farben einnimmt – diesem Zauber unterlag das Mutterherz, und Stille kehrte für einen Augenblick in die aufgeregte Brust ein.
Doch Richmond kannte seine Mutter zu wohl, um nicht in ihren Zügen den kaum bezwungenen Zorn zu erkennen, und außer Zweifel über die Ursache, war er Mann genug, den Gegenstand nicht zu scheuen, sondern, sobald als möglich, zu erörtern.
O seht mich gütig an, meine theure Mutter, rief er mit dem tiefsten Ausdruck der Liebe, und seid sicher, Ihr dürft es ohne Rückhalt! Was ich Euch zu sagen habe, verdient nicht Euern Zorn, nicht Eure Besorgniß! Ich fühle mich stark in dem Bewußtsein, so gehandelt zu haben, wie Ihr es von Euerm Sohne gefordert haben würdet.
Die Herzogin schwieg, unwillkürlich lauschte ihr Ohr den überredenden Worten des Lieblings, aber das Phantom ihrer Angst trat wieder dazwischen. Schwäche schien ihr die verführerische Hoffnung, und sie riß sich mit Anstrengung davon los.
Und ist es wahr, was Lord Archimbald behauptet, sprach die Herzogin dumpf und ihn mit düsterem Auge anblickend, ist es wahr, führst Du die, die sich unserm Schutze entzog, und Ruf und Sitte gleich stark beleidigte, führst Du sie diesem ehrwürdigen Hause zurück?
[199] So ist es, rief Richmond lebhaft aufstehend, und in Wahrheit, ich rechne es zu dem Besten, was ich zu leisten vermochte. Denn ein edles, vom Schicksal verfolgtes Wesen, unschuldig und rein wie das Licht des Himmels, habe ich aus den Händen der Bosheit befreit, und die grausamste Gewaltthat an menschlicher Freiheit und Würde verhindert.
Diese Behauptung, mein Sohn, rief die Herzogin gepreßt, wirst Du mir beweisen müssen, und diese Beweise werden bei mir eine scharfe Prüfung zu bestehen haben. Nicht überreden werden mich die klugen und geschickten Sophismen eines schönen Mädchens, oder ihre rührenden Thränen, oder was ihr sonst gelungen sein mag, gegen Dich zur Unterstützung anzurufen.
Die Gräfin Melville, sagte Richmond mit Ernst, hat nie ihr unglückliches Schicksal zu einem Gegenstand besonderer Unterredungen mit mir gemacht, sie ahnet wohl kaum das Dasein der Künste, die Ihr eben andeutet, und überließ es ihrem Lehrer, dem Master Brixton, der sie mit mir auffand und sie keinen Augenblick seitdem verlassen hat, nachdem sie uns beiden das von ihr Erlebte einfach mitgetheilt hatte, mit mir die nöthigen Schritte zu überlegen. Das Dunkel, welches dessen ungeachtet darüber verbreitet ist, das jedoch allein den Motiven gilt, warum man sie um jeden Preis unserer Obhut entziehen wollte, und warum ihre Person so wichtig gehalten wird, daß man ihr lieber den Tod geben, als ein Hervortreten an das Licht gestatten wollte, ist theils Brixtons Geheimniß, theils ihm selbst noch unaufgeklärt.
Nun wahrlich, rief die Herzogin, in die widersprechendsten Empfindungen aufgelöst, die Aufschlüsse, die nach so viel Ausnahmen übrig bleiben, können nicht von Belang sein und schwerlich mein Mißtrauen gegen ihre Triftigkeit aufheben. Aber ich empfinde es als eine Härte des Schicksals und kann Dir dafür nicht dankbar sein, daß Du dies in Geheimnisse gehüllte[200] Mädchen meinem Kreise wieder zuzuführen trachtest, der sich von jeder Zweideutigkeit frei erhalten sollte.
Und der es bleiben wird, entgegnete Richmond, wenn Ihr das Zeugniß des Master Brixton, eines ehrwürdigen, angesehenen Geistlichen, wenn Ihr das Zeugniß Eures Sohnes, wenn Ihr das Zeugniß der himmlischen Unschuld selbst nicht zurückstoßen wollt, eine vorgefaßte Meinung lieber festhaltend.
Die Herzogin hatte vielleicht noch nie eine so feste Sprache von ihrem Sohne gehört. Sie erschrak innerlich, und wie Mütter in ihren Söhnen oft leichter die Autorität der Männlichkeit anerkennen, als in deren Vätern, so fühlte sie sich davon aufgehalten, und das Gefühl, hier nur die Wahl zwischen einem ernstlichen Erzürnen und einem großmüthigen Nachgeben zu haben, ließ sie, aus dem Ersteren verschüchtert, sich in das Letztere hineinfinden.
Ich gebe Deine eben gesprochenen Worte Deinem eigenen Nachdenken anheim, sprach sie mit jener milden Art, die dem Stolzen so befriedigend wird, weil sie den Andern in Nachtheil setzt, und wenn mein Sohn mir meine Aufgaben nach seinem Ermessen stellt, will ich die Mäßigung und Selbstbeherrschung, die ich von meinen Angehörigen fordern muß, ihnen vorangehend zeigen.
Ohne Zweifel wird Beides von mir in einem hohen Grade gefordert, indem man mich zwingt, ein junges Frauenzimmer wiederzusehn, deren Ruf durch ihre eigenen zweideutigen Handlungen gelitten hat, über welche mir Aufklärung zu geben und daran billig meine Einwilligung zu ihrer Wiederaufnahme zu knüpfen, man verweigert und es vorzieht, sich vor mir in ein abenteuerliches Dunkel zu hüllen.
So willigt Ihr ein, theure Mutter, den Master Brixton zu sprechen, rief Richmond, immer das Ziel im Auge behaltend [201] und die zwischenliegenden Schwierigkeiten verschmerzend; also darf ich ihn Euch zuführen?
Sollte das nöthig sein? sagte die Herzogin kalt, ich denke, daß der Herzog, mein Sohn, bereits seine Einwilligung zu seiner Aufnahme gegeben hat und wir uns nichts weiter zu sagen haben, da ich allerdings nicht in der Stimmung bin, mich gelehrig für geheimnißvolle Histörchen zu erweisen. –
Master Brixton und Lady Melville würden sich dessen ungeachtet nicht als Gäste dieses Hauses ansehn wollen, bevor sie die Einwilligung meiner verehrten Mutter dazu erlangt. –
Lady Melville, Lady Melville! rief die Herzogin rasch, weißt Du nicht, mein Sohn, daß der Graf Melville, den sie zu ihrem Vater erhob, kinderlos starb?
Ich weiß es, sagte Richmond fest, doch Brixton giebt ihr mit voller Ueberzeugung diesen Namen, er muß ihr verbleiben, bis wir das Schweigen des ehrwürdigen Mannes aufgehoben sehn.
Nun, sagte die Herzogin mit jenem Lächeln, welches den Andern verwundender, als das Wort trifft, es wird Keiner in Abrede stellen, daß mir viel zugemuthet wird, und an den endlichen Mittheilungen dieses Master Brixton viele und sehr wichtig scheinende Erklärungen haften. –
Keiner wird das in Abrede stellen, verehrte Mutter, aber auch Keiner in mir das Vertrauen zerstören können, daß diese uns einst genügend sein werden. –
Genug, genug und schon zu viel! erwiederte die Herzogin, ich bin gesonnen, was man von mir fordert, bald zu leisten, um alsdann meine Gedanken von einer so empfindlichen Sache ableiten zu können.
Lord Richmond fühlte, wie passend es sei, hier eine Unterredung abzubrechen, welche jeden Augenblick ihn in Gefahr setzte, die heilige Verpflichtung der Ehrfurcht gegen seine Mutter [202] zu verletzen, die zu erfüllen, ihm jederzeit wahres Bedürfniß des Herzens war.
Beide Männer zogen sich, mit höflicher Kälte entlassen, zurück, im übrigen Kreise der Familie sich für den Zwang entschädigend, den die Unterredung ihnen auferlegt, und die Herzogin verblieb in ihren Gemächern, eine Unpäßlichkeit vorschützend.
Die Unterredung, die sie am andern Morgen dem Master Brixton gewährte, konnte keinem von Beiden zur Befriedigung dienen.
Die vorgefaßte Meinung der Herzogin über diese Angelegenheit, die halben Mittheilungen, die der würdige Mann, gebunden durch sein gegebenes Wort, fast nur auf Versicherungen, die den Glauben an seine Person bedingten, machen konnte, fanden wenig Anklang bei der Hartnäckigkeit seiner Gegnerin und beschränkten ihn fast auf die einfache Erzählung, wie es dem Lord Membrocke gelungen sei, das Fräulein zu täuschen, und wie es ihr ferner im Schlosse der Lady Sommerset ergangen.
Ganz ohne Eindruck blieben diese letzten Mittheilungen nicht, und dieser wurde verstärkt durch den ruhigen Bericht über den Fortgang der Reise, woraus die Herzogin abnahm, daß kein ausgesprochenes Verhältniß zwischen ihrem Sohne und der Lady obwalte, und die ganze Reise durch Brixtons und Margariths Nähe vollkommen in den Grenzen schicklicher Zurückhaltung verblieben sein mußte.
Sie willigte ein, das Fräulein zu sehn, und sagte Brixton den Schutz zu, den er für sie bis zu seiner Rückkehr von London, wohin er sich augenblicklich zu begeben trachtete, erbat.
Jener Empfang war nicht ohne kränkende Aeußerungen und mit der stolzen Kälte verbunden, die wenig Muth übrig läßt. [203] Aber Lady Maria hatte seit lange schon die glückliche Sicherheit der Jugend verloren, die sie in der ersten Zeit ihres Unglücks ihre ganze Lage klar und ehrenhaft ansehn ließ.
Sie erkannte nur zu wohl, wie zweifelhaft ihre Geburt, Name und Zukunft geworden; und fühlte sie sich auch innerlich gehalten durch die zuversichtlichen Tröstungen Brixtons, so entging es ihrem klaren Blicke doch nicht, wie voll Sorge der ehrwürdige Mann war für die nächsten Schritte, die ihm zu thun oblagen, und ob diese Dinge sich je bis zu der Klarheit entwickeln würden, um Andern als Beweis und Ueberzeugung dienen zu können, das stellte sich ihr in immer zweifelhafterem Lichte dar.
Sie verlernte daher auch in demselben Maaße, Ansprüche an die Gunst der Menschen zu machen, da sie sich durch so viel Mißgeschick von ihnen ausgeschieden und aller Berechtigung beraubt sah, die ihr unter ihnen einen ehrenvollen Platz anweisen konnte. Sie hatte es daher nur mit tiefer Beschämung geduldet, sich der Familie Nottingham aufgedrungen zu sehn, und war nur den vereinigten Bitten Richmonds und Brixtons gefolgt, als ihr Beide außerdem keinen schützenden Aufenthalt zu nennen wußten und Brixton nicht aufhörte, ihr die Hoffnung zu erhalten, daß sie aus dieser mißlichen Lage bald in aller Ehre hervorgehen werde.
Sie empfand daher die Kälte der Herzogin als eine nothwendige Zugabe ihres Unglücks und trug sie mit um so stillerer Ergebung, als sie es aufs Tiefste bereute, durch ihre frühere Unbesonnenheit das Vertrauen dieser edlen Frau selbst erschüttert zu haben.
Es war freilich dies auch die einzige Prüfung, die ihr in diesem Hause auferlegt war; denn keiner der Andern stand an, ihr Vertrauen und die alte Liebe zu bezeigen, ja, das Unglück, das sich in den Augen der Jugend so leicht von dem [204] Verdachte des Unrechts reinigen läßt, schien ihr nur noch größeres Anrecht auf die schonende Liebe ihrer jungen Freunde zu geben.
In welchen Begrenzungen übrigens Lady Maria sich gegen ihren Retter, Lord Richmond, gehalten hatte, während einer Reise, wo sie täglich Beweise seiner Güte und Hingebung, seiner gegen jede Zufälligkeit sie schützenden Vorsorge empfing, – hier traten diese Grenzen doch noch bestimmter hervor, und nicht mehr, wie auf der Reise, war es eine selbstgewählte Entfernung, die sie doch immer in dem Bereich seiner ausschließlichen Sorgfalt ließ, sondern es mußten alle Beziehungen der Art nothwendig aufhören, wo in der völlig gesicherten Lage und ungestörten Ordnung des Hauses jede Veranlassung dazu wegfiel.
Beide geriethen in eine Entfremdung, die sie fast mit Zweifel erfüllte, ob sie beide jemals sich näher gestanden.
Maria fühlte, wie sie nur angewiesen sei, diese Zurückhaltung zu unterstützen, aber es schien ihr bald, als käme ihr Richmonds Gefühl darin nur zu sehr zu Hülfe. Sie fühlte sich von einer Schwermuth beschlichen, die sie zwar wohl unter den vor Aller Augen daliegenden Umständen ihrer Lage verbergen, von der sie sich selbst aber nicht abläugnen konnte, daß sie einer andern Ursache angehörte, und diese begann ihres Herzens sich mit einer Gewalt zu bemächtigen, die allen andern Kümmernissen die Kraft, sie zu beugen, raubte oder doch in diesem einen Gefühle sie alle zusammen treffen ließ.
Sie war zu fromm, zu Gott ergeben, sich den Tod zu wünschen, aber es verging kein Tag, an dem sie nicht dahin kam, mit einem sehnsüchtigen Laut ihrer Brust an ihn, als an die süßeste Erquickung, hinzudenken.
Sie machte sich Vorwürfe, daß sie allgemach gleichgültig ward gegen ihr ganzes verwickeltes Schicksal, gegen ihre [205] Zukunft; das Einzige, was noch einen Anspruch an ihre Theilnahme geltend machte, war das Andenken an ihren unglücklichen Oheim, dessen Existenz ihr aufs Neue durch Brixton bestätigt ward, und zwar in jener vollen Glorie der Tugend, worin sie ihn von Jugend an vor Augen gehabt. –
Ollony nahm den gewohnten Platz in der Nähe ihrer theuern Lady Maria ein; sie war ihr so viel näher indessen getreten, man konnte sagen, sie war zu der Freundschaft herangewachsen, die sie schwärmerisch zu ihr hinzog.
Beide sahen ahnend einander in die schwermüthigen Augen, aber das heiligste Siegel war auf die jungfräulichen Lippen gedrückt, und das Verständniß des gemeinsamen Gefühls gab sich nur kund in der Anziehungskraft, die Beide, an allen Andern vorüber, zu einander hinzog.
Dies schöne Verhältniß gewann eine Art Heiligung und ward von Allen unterstützt, denn keine der übrigen Frauen rivalisirte mit Ollony.
Lady Anna, die sonst dazu am nächsten stand, hatte eine zu ausschließliche Beziehung zu ihrem Gemahl gewonnen, um für das Gefühl der Freundschaft in solchem Maaße noch zugänglich zu sein. Ja, sie hatte den feinen Takt, der den Frauen in der Liebe so eigen ist, und der bei der Anerkennung von Marias Werth ihr die kaum zu bezwingende Schlußfolge aufnöthigte, ein solches Wesen eben müsse auch ihrem Gemahl sehr nahe zu stehen vermögen.
Die ungemein feste und edle Haltung jedoch, die der junge Herzog in dieser gefahrvollen Lage behauptete, ließ weder im Herzen seiner jungen Gemahlin, noch bei andern ihn beobachtenden Familien – Mitgliedern die leiseste Unruhe aufsteigen.
Maria fand an ihm, jetzt wie früher, ihren wohlwollendsten Beschützer, stets bemüht, ihr Godwie-Castle als ihre [206] Heimat lieb zu machen, sie durch die feinste Auszeichnung an seine Familie zu knüpfen und mit dem Gedanken zu versöhnen, daß ihr vielleicht keine andere lebe.
Hierin sah er sich von seiner Gemahlin und allen seinen Geschwistern unterstützt, und bei der dauernden Vorliebe seiner Großmutter, und da selbst Lord Archimbald ein besonderes Wohlgefallen nicht verhehlte, schien sich einer solchen Hoffnung für die Zukunft nichts entgegen zu stellen.
Maria sah dies mit der größten Anerkennung und bemühte sich, ihr niedergebeugtes Leben so gütigen Anforderungen gemäß zu erhalten.
Aber sie war nie durch das, was sie Andern schien, zu beruhigen; ihre Seele wollte mit sich selbst im Einklang sein, und nur was sie wirklich war, schien ihr würdig, nach Außen hervortreten zu lassen.
So entstand ein Kampf, ein Zwiespalt in ihrem Innern, der sie ungleich erscheinen ließ und ihren Freunden oft die schmerzlichste Besorgniß einflößte. Tausend Mal wollte sie sich den begeisternden Zuruf wiederholen, womit sie ihr Gefühl für Richmond zuerst als freies Eigenthum ihres Herzens sich zum Glück und zum Segen anerkannt, und alle Ansprüche des Lebens daran ausgelöscht hatte, im Gefühl selbst Alles suchend und findend.
Der Augenblick war vorüber, und für immer war dieser freie Standpunkt der Resignation ihr mit der Ahnung einer Seligkeit verschwunden, die Richmonds Hingebung an ihr Interesse ihr mit einer schöneren Hoffnung eingeflößt.
Es gab freilich für sein schüchternes Zurücktreten eine Auslegung, welche ihrem scharfen Blicke nicht entging und in der bestimmt kalten Stellung der Herzogin gegen sie liegen konnte, die zu absichtlich über das Verhalten Richmonds bei ihrer Rettung und der damit verknüpften Reise eine blos zurückgehaltene[207] Mißbilligung ausdrückte. Es ließ sich wahrscheinlich annehmen, daß Richmonds strenges Ehrgefühl, für sich und vielleicht auch für sie beleidigt, durch sein blos ehrerbietiges Betragen auch den Schatten eines Verdachtes entfernen wollte, gegen welchen auf andere Weise sich aufzulehnen, ihn die Stellung des Sohns zur Mutter verhinderte.
Aber ein wahres Gefühl der Liebe ist selten bereit, die Entfremdung und Kälte des geliebten, hochgestellten Gegenstandes in äußeren Umständen zu suchen. In sich selbst, in dem eigenen geringen Werth findet es mit sanfter herzzerreißender Schwermuth den trennenden Grund und zürnt nicht, und will nicht gewinnen und besitzen, wozu es, mit dem Lächeln eines Sterbenden, die Fähigkeit sich versagt hält. So Maria.
Ohne alle Gegenwehr stand sie dem Schmerze still, der nach und nach jeden gesunden Athemzug ihrer Brust verwandelte, und sie hielt zuletzt diesen Schmerz für ihr Leben, und wehrte ihm nicht einzuziehn und über alle Hoffnungen der Zukunft das Leichentuch zu werfen. Der Gesichtskreis ihrer Wünsche, ihrer Hoffnungen ward so klein, daß sie zuletzt an dem Gedanken hängen blieb, hier im Bereich seiner Augen sterben zu können, sei das höchste ihr noch gebliebene Glück, und daß sie kaum einen andern Wunsch mehr hegte, als den, es möge keine Veränderung ihrer Lage sie um diesen Vorzug bringen.
So sah sie Brixtons Reise und deren Zweck mit sehr gemischten Empfindungen, die sich endlich von ihr ab dem Andenken des ihr immer noch theuern Oheims zuwandten.
Um sie her gestaltete sich das Leben dagegen in allen Beziehungen, so vielen Ansprüchen gemäß, glücklich und befriedigend.
Der junge Herzog durchzog seine reichen Besitzungen, und belebte die ganze Gesellschaft zu Streifereien mit ihm in den schönen Forsten und entfernteren Ansiedelungen. Es verging [208] kein Tag, an dem man nicht theils zu Pferde, theils zu Wagen solche Unternehmungen vollführte, wobei sich das Interesse der verschieden Betheiligten vielfach anregte und aussprach.
Lord Ormond blieb der fast ausschließliche Begleiter von Lady Maria und Ollony, während Richmond nicht selten den Wagen seiner Mutter begleitete oder sich den Fremden anschloß, die, stets im Schlosse anwesend, die Gesellschaft verstärkten.
Eine kleine Grenzstreitigkeit mit Master Allincroff, gütlich durch die wohlwollenden Gesinnungen des jungen Herzogs beigelegt, hatte die Bitte dieses Master Allincroff unabweislich gemacht, auf der neugesteckten Grenze, welche in dem schönsten Eichen – Forste sich befand, seine nachbarliche Begrüßung anzunehmen und unter Zelten auf dem feinen Teppich der Moose einen Tag zu verleben. Nur die ältere Herzogin und Lady Dorset hatten sich der wohlgemeinten Einladung entziehen können, alle übrigen Bewohner von Godwie-Castle aber sich zu Pferde dahin aufgemacht. Die Herzogin und Lucie fuhren in der Mitte der Kavalkade auf dem etwas ungebahnten und steinigen Wege, der, von den bekannten Pfaden ablenkend, endlich in einen Hohlweg führte. Berg ab gehend zeigte sich eine höchst malerische, aber auch nicht ohne Gefahr zu passirende Straße, die so schmal war, daß der Wagen der Herzogin nur mit Mühe sich durcharbeiten konnte, die Reiter aber genöthigt waren, am Rande des Hohlweges die schmalen Jagdwege zu erklimmen. Master Allincroff hatte den Damen viel von der Schönheit dieser von Gießbächen und den schroffsten Felsenabhängen durchschnittenen Gegend zu erzählen gewußt, und Alle fühlten sich mit einer Art von Erregung diesen wildromantischen Scenen gegenüber, wobei die Schwierigkeiten, welche der Boden veranlaßte, die Heiterkeit und das Leben des ganzen Zuges erhöhten, und tausend kleine Neckereien und Scherze herbeiführten.
[209] Dadurch, daß die Reiter die Höhe des Hohlweges erstiegen hatten, war der Zug in Stocken und Unordnung gekommen, und Lady Maria hatte sich, ihres klugen Pferdes Führung vertrauend, von Ormond und Ollony getrennt, die, bei einander haltend, mit den Uebrigen die Einfahrt der Kutsche in den tief darunter liegenden Hohlweg abwarteten.
In ihre Gedanken vertieft, hatte sie einen bedeutenden Vorsprung gewonnen und eben eine gelichtete Höhe erreicht, von wo aus sie über den Felsen hinweg einen Blick auf die Waldgrenze gewann, der sie eine Reihe bunt geschmückter Zelte und die zum Empfang bereiten Gäste des Master Allincroff erkennen ließ.
Auch mußte sie als Vorbotin der Erwarteten erkannt sein, denn sie sah, wie man sogleich mit einer weißen Fahne in die Luft wehte, und im selben Augenblick erhob sich ein lustiges Gewehrfeuer aus allen Gebüschen des Waldes und Weges.
Marias Pferd stieg einen Augenblick erschrocken in die Höhe. Doch besänftigt von der liebkosenden Hand und der sanften Stimme der Reiterin, schnob es nur muthig, war bald vertraut mit dem muntern Geplänkel, und trug nur desto stolzer sich und seine Führerin.
Bei seinem ersten Schrecken hatte es sich jedoch gewendet, und nachdem Maria es zur Ruhe gebracht, schlug sie die Augen auf und nach dem Hohlwege hin, wo sie den Wagen der Herzogin erwartete. Doch welch' ein Anblick bot sich ihr dort dar!
Die Pferde der Herzogin waren gleichfalls von dem unbesonnen angeordneten Lustfeuern erschreckt worden, aber nicht von besonnener Hand, wie Maria's Pferd, beruhigt, stürzten sie sich mit rasender Eile den gefahrvollen Weg hinab, warfen Vorreiter und Kutscher von ihren Plätzen, und jagten über den steinigen, ungleichen Felspfad dahin, der, bald nach der[210] entgegengesetzten Seite seine hohe, schirmende Wand verlierend, hier an einer Tiefe entlang sich fortzog, die den schäumenden Gießbach in einem reißenden Bergstrome sammelte.
Ein Blick ließ Maria's klares Auge die Gefahr übersehen, die hier fast unabweislich den Untergang der Herzogin und Luciens herbei führen mußte, wenn sie ohne Hülfe und Aufenthalt diesen entsetzlichen Punkt erreichten.
Noch waren ihre Pferde trotz der Gedankenschnelligkeit ihres Laufes davon entfernt; es blieb eine Möglichkeit, sie aufzuhalten, wenn eben in dem gefahrvollen Wege sich Jemand ihnen entgegen werfen konnte. Aber wo fand sich diese Hülfe? In weiter Entfernung jagten die Reiter vergeblich dem rasenden Sturze nach, der sich unaufhaltsam und unerreichbar ihnen voranwälzte, und sie nur zu Zeugen des entsetzlichsten Unglücks, nicht zu dessen Abwendung herbei zu rufen schien.
Maria war die einzige, die Vorsprung gewonnen hatte; noch ein Mal schaute sie nach Hülfe umher – kein lebendes Wesen nahte den Weg hinauf.
Da trat der Gedanke, der die angstvoll zuckende Brust erbeben ließ, mit begeisterter Klarheit hervor.
Für Richmonds Mutter das Leben zu wagen, welch' ein Hochgefühl in dieser liebenden Brust! Mit Blitzesschnelle drückte sie das elastische Thier, das so stolz sich von der geschickten Hand seiner Gebieterin leiten ließ, in die Seiten; es schüttelte sich vor der Tiefe, aber schnell geleitet von der begeistert blickenden Führerin, erreichte es mit einem leichten Satze einen kleinen Felsvorsprung, der die Tiefe zur Hälfte theilte, der zweite Sprung auf den Weg trieb sich von selbst und war unaufhaltsam.
Fast ohne Besinnung von der doppelten Erschütterung des Sprunges, erreichte Lady Marie den Boden, aber gegen [211] jede physische Schwäche lehnte sich das heldenmäßig pochende Herz so mächtig auf, daß die Kraft ihr ward, die ihr nöthig war.
Ganz nahe schon schäumte der Zug daher. Die wüthenden Vorderpferde an den Zügeln zu ergreifen, das war die Aufgabe einer zarten Frauenhand, aber in dieser Hand lag die ganze Kraft des Herzens concentrirt, das zu lieben und zu sterben verstand. Ihr eignes zitterndes Pferd in halber Richtung lenkend, streckte sie sich, von ihm seitwärts gebogen, dem entsetzlichen Laufe entgegen. Er hatte sie schneller erreicht, als Worte es auszudrücken vermögen. Wohl stutzten die wilden Rosse ob des Widerstandes, aber wie hätte er sie aufhalten können, hätte nicht Lady Maria's Pferd, in so nahe Berührung mit seinen schäumenden Gefährten versetzt, erhitzt und erschreckt, einen angstvollen Satz in die Mitte des Weges gemacht und dadurch, gleichsam sich entgegenbäumend, sich mit den Vorderpferden verwickelt, wodurch das linke Pferd stürzte und nun von selbst sich gleichsam ein Knäuel der darüber hin strauchelnden Pferde bildete.
Der Wagen stand, blos zuckend noch hin und hergerissen von den arbeitenden Pferden.
Lady Maria war einen Augenblick in diesem Knäuel verwickelter Pferde fast vergraben Aber das edle Thier, das sie trug, und auf dem sie noch immer, Besinnung behaltend, sich krampfhaft festhielt, doch ohne ihm eine Richtung geben zu können, riß sich selbst mit stolzer Wildheit von seinen tollen Gefährten los, und frei sich machend durch einen weiten Satz, tauschte es jetzt seine Freiheit um die scheueste Angst, sie wieder zu verlieren, und flog in gejagter Flucht den gefahrvollen Weg hinab.
Maria's Besinnung umhüllte sich, ihr Kopf streifte ein paar Mal gegen die niederhängenden Aeste der Bäume, sie [212] sah nichts mehr deutlich und fühlte nur eine heftige schmerzhafte Erschütterung, die sie von da an ihres Bewußtseins gänzlich beraubte.
Die nachfolgenden Reiter, unter ihnen Richmond zuerst, hatten mit dem größten Schreck das Unglück gesehen, das die unzeitigen Höflichkeiten des Master Allincroff über sie verhängten. Es blieb ihnen nichts übrig, als der Versuch, den Wagen zu überreiten, und dies war ein Versuch, den alle Männer unternahmen, all mit trostloser Gewißheit der Unmöglichkeit des Gelingens.
Doch hatte Richmond in verzweifelter Anstrengung fast sein Ziel erreicht; da sah er das fabelhafte Unternehmen der Lady Maria, welche wie ein Geist aus der Luft in zwei gewagten Sprüngen auf ihrem Schimmel die Luft durchschnitt; er sah sie im nächsten Augenblicke sich in einen fast gewissen Tod stürzen, sah sie verwickelt in den Knäuel der wüthenden Pferde, und sah um diesen hohen Preis den Stillstand des Wagens erkauft, jetzt aber auch sie emporgerissen durch ihr wild gewordenes Pferd und von demselben Schicksal erreicht, welches sie von seiner Mutter abgewendet.
Im selben Augenblicke sah er diese von den Nacheilenden erreicht, sie selbst in der Mitte des Wagens gesund, lebend aufgerichtet, in ihrem Schooße Lucie, in ihre Kleider schützend gehüllt, das blasse, bethränte Lockenköpfchen hervorstreckend. Ein flüchtiger Blick gab ihm hierüber Sicherheit; er übersprang daher mit seinem flüchtigen Pferde diese Gruppe, Maria nacheilend.
Es war vergeblich; er konnte ihr Schicksal nicht mehr abwenden. Ehe er sie erreichte, sah er sie widerstandslos vom Pferde herabhängen, dann bei einer ungestümen Bewegung desselben zur Erde fliegen.
Im nämlichen Augenblicke hatte er sie fast erreicht, sich vom Pferde herab neben sie niedergeworfen. Ein Strom [213] von Blut quoll ihr aus dem bleichen Munde, die Besinnung hatte sie gänzlich verlassen.
Als Maria zuerst die Augen aufschlug und die gestörte Geisteskraft sammelte, glaubte sie, der Tod habe sie wirklich von allen Qualen erlöst und der Himmel seine Seligkeiten aufgethan. Auf duftigem Moose, über ihr ein luftiges Zelt von Laub und Blumenkränzen, in den Armen der Herzogin ruhend, die sie mit Blicken der Liebe und Angst betrachtet, zu ihren Füßen Richmond knieend, ihre Hände in den seinigen gefaßt, bleich mit dem Ausdruck der Züge, für den es nur eine Auslegung giebt, sich selbst in einer himmlischen Ermattung fühlend, in einem Zustande, der alle Kräfte gebunden hält und doch der süßeste Traumzustand ist, – schien sie, versöhnt, aller Noth entladen, den Seligen schon zugesellt.
Indem trat Stanloff hervor und erkannte das wiederkehrende Leben, welches Beide, in Schmerz versenkt, nicht wahrgenommen.
Sie lebt! sagte er leise.
Großer Gott! rief Richmond, ist es Wahrheit, Möglichkeit? Sie lebt! rief er, einen Blick auf sie werfend, dann sprang er auf, und die Arme hoch empor gehoben, stürzte er zum Zelte hinaus.
Maria hörte, wie er es dort noch ein paar Mal den wahrscheinlich seiner Botschaft Harrenden wiederholte, und fast im selben Augenblicke lag er wieder zu ihren Füßen und blickte sie an mit dem Jubel der seligsten Freude.
Ein Paar warme Tropfen fielen auf Maria's bleiches, kaltes Gesicht. Sie blickte auf, und die strengen Augen der Herzogin, in Liebe gebrochen, waren der Quell.
Seid vor Allem ganz ruhig, theures Kind; Euer Leben und unser aller Ruhe hängt daran! sagte sie mit weicher Stimme, als Maria einen Versuch zum Sprechen machen wollte.
[214] Stanloff versuchte jetzt, ihr Tropfen einzuflößen, und redete die Herzogin mit der Bitte an, sich selbst einige Ruhe zu gönnen, da die beschwerliche Stellung, der sie sich unterzöge, sie zu sehr angreifen würde.
Redet mir nicht von Ruhe, erwiederte sie ernst; sie hat nicht an sich gedacht, als sie ihr Leben wagte, das meine zu retten; jede Bewegung kann den schrecklichen Blutstrom erneuen; ich danke Gott, daß sie Ruhe in dieser Stellung findet.
O, meine Mutter! rief hier Richmond und drückte sein Gesicht in die Hand der Herzogin.
Etwas lebhaft zog sie die Hand zurück.
Wir haben alle, denke ich, Fassung und Mäßigung in unser Betragen zu legen, da jede Gemüthsbewegung der Kranken tödtlich werden kann. –
Das werde ich auch können, rief Richmond und stand von seinen Knien auf; sagt nur, Stanloff, wenn ich gehen muß, ich will alles thun, was nöthig ist.
Es möchte allerdings die höchste Ruhe zu empfehlen sein, erwiederte Stanloff.
Nun, so sei Gott mit Euch, rief Richmond, sich zu Maria beugend, und die Engel, die Euch lieben, mögen Euch erretten.
Maria sah ihm nach, und ihre Seele sagte: Du bist mein Engel und Du heilest mich!
Das Fest des Master Allincroff war nach allen Seiten hin zerstoben. Man hatte die lustigen Zelte im Waldgrunde nur zu erreichen gestrebt, um die sterbende Lady Melville dort sanfter zu betten. Niemand dachte nur des Festes; Alles war in Aufregung und Bekümmerniß, in gespannter Erwartung des Ausspruchs Stanloffs, dem keine vorzeitige Aeußerung zu entlocken war, und der Alles davon abhängen ließ, ob die gewaltsam gesprengte Ader der Brust sich geschlossen habe oder fortbluten werde.
[215] Die Herzogin schien aufs Tiefste von dem Opfer erschüttert, welches Maria zu ihrer Lebensrettung gebracht; sie hatte, ihre völlige Besinnung behauptend, mit unbeschreiblicher Angst das verzweifelte Unternehmen vor ihren Augen sich begeben sehen. Ihre dadurch bewirkte Rettung schien ihr keinen Antheil zu erwecken, und sie machte sich fast ungeduldig von ihren Kindern los, sogleich zu Fuße Richmond nacheilend, indem sie rasch rief, er habe das Zweckmäßigste gethan.
Stanloff folgte, und als man Maria in ihrem Blute fand, das wie ein Quell aus ihrem Munde floß, schien sie, einen Augenblick von Trostlosigkeit überwältigt, sympathetisch mit Richmond zu fühlen, der, die Verunglückte am Boden stützend, mit allen Ausbrüchen des Schmerzes und der Liebe ihren Namen rief.
Es ward, von Allen betrieben, bald eine Bahre von den Polstern des Wagens verfertigt, auf der man Maria sanft in das Thal zu den lustigen, blumengeschmückten Zelten niedertrug, wo sie der trostlose Geber des Festes empfing, der sich als die nur zu gegründete Ursache dieses Unglücks ansehen durfte. Stanloffs Bemühungen war es gelungen, den entsetzlichen Blutsturz zu hemmen. Seit vier Stunden hatte sich das Blut nicht mehr ergossen, er verlangte aber vier und zwanzig Stunden Ruhe, ehe irgend eine weitere Transportirung zuzulassen sei.
Die Herren ertheilten nun die Anordnungen, wie das luftige Zelt zu einer Herberge für die Nacht einzurichten sei, und alle übrigen Zelte wurden ihres Inhalts entkleidet, um dies eine damit auszustatten.
Die Herzogin, Ollony, Richmond und Stanloff waren entschlossen, die vorgeschriebenen vier und zwanzig Stunden bei der Kranken zu bleiben. Der Herzog und die übrigen Damen sollten gegen Abend nach dem Schlosse zurückkehren, und alles [216] herbeischaffen lassen, was zum Transport der Kranken für den andern Tag nöthig wäre.
Master Allincroff entließ seine übrigen Gäste und erklärte sich entschlossen, mit seinen Leuten das Zelt der Herzogin zu bewachen und zu jeder nöthigen Veranstaltung während der Nacht bereit zu sein.
Die Herzogin gestattete endlich, da Maria's Zustand sich gleich blieb, daß Ollony ihre Stelle an deren Lager einnahm, und Richmond hielt sich am Eingange des Zeltes bereit, Stanloff mit jeder Dienstleistung zu unterstützen.
Gegen Morgen fiel die Kranke in einen sanften Schlaf, und als der Gesang der Vögel sie mit der Sonne erweckte, wurden Alle überrascht und erfreut, als sie mit kräftiger, klarer Stimme Ollony anredete und lächelnd fragte, ob sie wirklich lebe oder im Paradiese sei?
Stanloff gab nun einige freundliche Worte der Hoffnung, und als die langen vier und zwanzig Stunden ohne neues Oeffnen der Ader vorüber gegangen waren, trat man, mit vorsichtig eingerichteten Anstalten vom Schlosse hinreichend versehen, den gefürchteten Rückweg an.
Als Maria auf ihrer Bahre in den Schloßhof getragen ward, hatten sich alle Bewohner desselben in schmerzlicher Unruhe versammelt, sie zu empfangen, und die lauteste Theilnahme, das Schluchzen der Frauen und Kinder, zeigte hinreichend, wie geliebt das Fräulein von Allen war. Die Herzogin, die kurz vorher zu Wagen eingetroffen war, stand mitten unter ihnen, sie war selbst so mit dem Ereignisse beschäftigt, schien so besorgt und geängstigt über den Erfolg der Bewegung, die der Kranken, trotz des sorgsamsten Tragens, nicht zu ersparen war, daß sie alles Andere um sich unbeachtet ließ.
Maria, mit offenen Augen, aber todtenbleichem Angesicht, lächelte hold wie ein verklärter Engel zu Allen. Sie fühlte [217] einen Frieden, eine Seligkeit in ihrem Innern, worauf selbst der Gedanke ihres noch möglichen Todes keinen Einfluß üben konnte. Ach! der Thränen werth schien sie sich, als sie Tages vorher anscheinend blühend und gesund über die Höfe ritt, und als ob sie jede Theilnahme, jeden Schmerz unrechtmäßig errege, bemühte sie sich, in ihren Zügen den Zustand ihrer Seele auszudrücken.
Die Herzogin befahl, die Bahre nach ihrem Schlafgemach zu tragen, und Maria fand dort Alles zu ihrem Empfange sorgfältig geordnet. Die Herzogin erklärte, die Pflege der Kranken mit Morton allein übernehmen zu wollen, und Maria konnte nichts, als die sorgfältig ordnende Hand an ihre Lippen drücken.
Der Erfolg lohnte so mütterliche Sorgfalt. Es erfolgte kein neuer Blutverlust, die Kräfte ersetzten sich schnell, und Maria verließ bald Bett und Zimmer, und streifte, nicht minder schön bei der blässeren Farbe der Wangen, durch Schloß und Park.
Das Ereigniß schien ein neues Band um Alle geknüpft zu haben. Die Herzogin hatte, von Dankbarkeit hingerissen, in ihrer Liebe gegen Lady Maria, die immer nur wie unterdrückt in ihr fortbestanden zu haben schien, so lebhaft und ohne Rückhalt sich gezeigt, daß Alle, belebt durch das Gefühl ihrer großmüthigen Aufopferung für das Leben der theuern Mutter, sich um sie als den Mittelpunkt aller Bemühungen versammelten.
Auch schien nichts mehr den eigenen Frieden ihr zu stören. Ein stilles Genügen an Allem, wie es war, eine Anhänglichkeit an den Platz, wo ihr so viel Liebe entgegen trat, eine kaum verhehlte Scheu vor jeder möglichen Veränderung dieser Lage, tröstete ihre Freunde selbst über das Mißlingen von Brixtons Unternehmungen mit der Hoffnung, das Fräulein [218] werde eine solche Nachricht mit minderem Schmerze ertragen, wenn sie sich in ihrem jetzigen Verhältniß glücklich fühle.
Die Gesundheit der jungen Lady ward aber von ihnen allen als ein Gut betrachtet, für das sie einstehn müßten, und zu ihrer Schonung und Pflege erschien sie noch nicht bei den größeren Versammlungen der Familie, und blieb, mit Ausnahme kleiner Spaziergänge, auf ihre Gemächer beschränkt.
Ein größerer Kreis von Fremden, der im Schlosse versammelt war, hatte sich bereits zerstreut, und man genoß der größeren Stille, die der Familienkreis darbot, zugleich mit der Hoffnung, Stanloff werde dem Fräulein bald darin einzutreten erlauben.
Man hatte sich an einem schönen Abend auf den Terrassen versammelt, und heiter mit Stanloff um das Gewünschte streitend, hatte man ihm eben die Zusicherung entlockt, das Fräulein bald zu ihnen hinab zu führen, als die Hörner auf den Wart-Thürmen neue Fremde ankündigten und dem Herzog die Meldung gemacht wurde, daß sich ein kleiner Trupp Reiter dem Schlosse nähere.
Sir Ramsey, der dazu beauftragt war, die Fremden zu bewillkommnen und ihnen entgegen zu reiten, entfernte sich zu diesem Ende, und Stanloff, seines Auftrags unter diesen Umständen entlassen, eilte, seine Schutzbefohlene in ihren Gemächern aufzusuchen.
Doch mußte Sir Ramsey seinen Weg in kurzer Zeit zurück zu legen sich beeilt haben, denn mit glühendem Gesicht und in der vollsten Aufregung sehn wir ihn über die Terrassen zurück eilen, und sich dem Herzoge nähern, der im Kreise der Uebrigen der neuen Ankündigung harrte.
Nun, sagte er lächelnd, Ramsey's Eile bemerkend, Du scheinst uns sehr Wichtiges mitzutheilen zu haben. Wer beehrt [219] uns mit seinem Zuspruch? Ich hoffe angenehme Nachrichten zu empfangen.
Der Besuch, der Euer Durchlaucht beehrt, folgt auf dem Fuße; die Meldung kam zu spät, ihn mit allen Ehren empfangen zu können. Es ist mir untersagt, ihn zu nennen; doch bitte ich unterthänigst, daß Euer Durchlaucht sich bis in den Schloßhof ihm entgegen bemühn. –
In Wahrheit, fuhr der Herzog mit guter Laune fort, Du bist sehr feierlich und auf die Ehrenbezeigungen Deiner Gäste sehr bedacht; doch wir folgen Dir, denn Du bist ein zu guter Seneschall, um Deinem Rathe nicht vertrauen zu dürfen.
Thut dies, gnädigster Herr! sagte Ramsey, unruhig nach den Hallen blickend.
Es zeigte sich jetzt, daß die Ungeduld des eifrigen Seneschalls nicht ohne Grund war, denn mehrere Herren, denen einer mit der vollen, schnellen Haltung, welche den gewohnten Vortritt verkündigt, voranschritt, traten so eben aus der mittelsten Halle auf die Terrasse.
Der Herzog eilte ihnen entgegen, aber der Herr, der das Barett tief in die Augen gedrückt hatte, übersah flüchtig, fast abwehrend grüßend die Bewillkommnung des Herzogs, und dem Kreise der Damen entgegen eilend, näherte er sich so schnell der verwitweten Herzogin, daß er fast allein plötzlich vor ihr stand.
Wollt Ihr erlauben, daß ein alter Freund unangemeldet alte Freundschaft und Gastlichkeit in Anspruch nimmt, sprach der Fremde, indem er rasch den schwarzen Mantel, der ihn fast verhüllte, zurückschob, den Kopf entblößte und der überraschten Herzogin das schöne, ernste Antlitz Carls des Ersten zeigte.
Mein König! rief die Herzogin in der höchsten Bewegung.
Der König! wiederholten Alle.
[220] Der König wandte sich nun, mit Anmuth grüßend, zu allen Anwesenden, und mit besonderer Hochachtung zu der edlen Mutter seines verstorbenen Freundes.
Die augenblickliche Verlegenheit, die diesem unerwarteten, fast unerklärlichen Ereigniß folgte, da man den König seiner jungen Gemahlin harrend glaubte, und jeden Augenblick die Meldung ihrer Landung ihn alsdann ihr entgegen nach einer ganz andern Richtung führen mußte, wich doch bald der Nothwendigkeit, jedes Erstaunen zu unterdrücken, welches der König erwarten durfte erregt zu haben.
Derselbe schien jedoch so ernst nachdenkend und wie von einem Gedanken vorherrschend beschäftigt, daß man sich unbeachtet in seiner Gegenwart glauben konnte; nur die verwitwete Herzogin und Lord Richmond machten davon eine Ausnahme.
Die Herzogin hatte den ganzen Abend seine zahllosen Fragen zu beantworten, welche unverkennbar irgend einen Zweck hatten, und sich alle um die Reise ihres Gemahls seinen letzten Willen und ihr eignes Leben seit dessen Tode drehten. Eben so Lord Richmond. Der König blickte ihn mit langen prüfenden Blicken an, während er mit der Herzogin redete, und Jeder sah, daß dieser seine vorzügliche Aufmerksamkeit fessele.
Unser erstes Zusammentreffen, Lord Derbery, sprach er freundlich, war ernster Art, gereichte Euch aber so sehr zur Ehre, daß Ihr es nicht anders wünschen könnt.
Der erste wichtige Moment meines Lebens, unter den Augen Euer Majestät bestanden, erwiederte Richmond bewegt, möge alle folgenden der Art heiligen!
So! sagte der König mit beinahe wankender Stimme; habt Ihr seitdem fortgefahren, das Werk ritterlichen Schutzes zu üben?
Richmond blickte überrascht den König an und traf auf das prüfende, ausdrucksvolle Auge desselben, worin etwas lag, das er nicht verstand.
[221] Die Gelegenheit soll mich entschlossen finden, hoffe ich, erwiederte er; doch zu suchen braucht sie der Mann nicht.
Brav, brav! rief der König, und ich glaube, der Muth, der zu seiner Befriedigung die Gefahren veranlaßt, die er zu bestehen trachtet, führt mehr Unheil herbei, als ihm abzuwenden gestattet ist.
Er ward nach diesen Worten aufs Neue still und nachdenkend, und erhob sich sodann, um sich früh in seine Zimmer zurück zu ziehn, kündigte seine Abreise auf den andern Tag an und erbat sich, die Zimmer des verstorbenen Herzogs bewohnen zu dürfen.
Das zurückbleibende Gefolge des Königs bestätigte vollkommen die Ansicht, daß dieser auffallenden Reise eine Absicht von der höchsten Wichtigkeit zum Grunde liegen müsse, da die alle Kräfte anspannende Schnelligkeit, wie das anbefohlene strenge Geheimniß, den unpassenden Zeitpunkt derselben schien vermitteln zu sollen, und sie vom Könige beschlossen ward, als er vom Sterbebette seines alten Kammerdieners, des Master Porter, kam.
Die Herzogin sah, trotz ihrer kalten Haltung, mit einiger Spannung dem andern Morgen entgegen, der ihr in einer vom Könige erbetenen geheimen Unterredung den wahrscheinlichen Grund seiner Reise offenbar machen sollte.
Der König, der schon beim Eintritte in die Gemächer seines Freundes eine lebhafte Bewegung gezeigt hatte, entließ, sich nach Einsamkeit und Ruhe sehnend, sobald es möglich war, die Herren des Hauses, wie seines eigenen Gefolges und durchschweifte nun mit großen Schritten die schönen Räume.
Porters naher Tod und die Qualen der Sterbestunde, die den Unglücklichen im doppelten Kampf des Geistes und Körpers zu Theil wurden, hatten endlich das lang unterdrückte Gefühl für Recht über alle Sophismen einer jesuitischen Erziehung siegen [222] lassen. Er sah wohl ein, daß die Spur zur Auffindung der unglücklichen Lady Maria, die er durch Lanci gegeben, ihr nur eine höchst bedingte und zweifelhafte Rettung werden würde, so lange der König an ihren Tod glaubte und ihr nicht unmittelbaren Schutz verleihen konnte. So überwand er jede andere Rücksicht und offenbarte seinem grausam betrogenen Herrn sein ganzes tief verworrenes Leben in allen seinen Beziehungen zu der unglücklichen jungen Dame.
Mit welchem Erzürnen auch der König eine solche empörende Beichte anhören mochte, der Gedanke, sie lebe und sei ihm wieder zu gewinnen, löschte jede andere Regung in ihm aus, und er sah Porter als seinen größten Wohlthäter an, als habe mit diesem letzten Dienst ein ganzes Leben voll Verrath und Lüge die Weihe der Tugend bekommen.
Porter empfahl noch mit sterbender Stimme dem Könige, Niemandem zu vertraun, selbst Godwie-Castle aufzusuchen, wo er sie – gelang Lord Richmonds Versuch – finden müßte; denn Porter hatte nur zu viel Ursache, zu glauben, die heiligen Väter hätten, ihm unbewußt, den Platz bereits mit andern Kundschaftern besetzt, von dem sie ihn bald durch den Tod abgesetzt wähnten.
Der König gab sich nach dieser Entdeckung ganz seinem ungestümen Herzen hin, in dessen Folge wir ihn in einem so kritischen Augenblick den Weg antreten sehn, von dessen glücklichem Erfolg er sich alles Glück versprach, dessen er sich noch fähig hielt.
Nachdem er die Gesuchte unter den versammelten Damen nicht gefunden und durch Lord Richmonds Anwesenheit sich doch überzeugt hatte, es müsse irgend etwas sich ergeben haben, fühlte er eine Muthlosigkeit des Geistes, die es ihm unmöglich machte, sich an demselben Abend noch Gewißheit zu verschaffen. Er hatte überdies in den Gemächern seines Freundes noch ein [223] wichtiges Dokument aufzusuchen, und wir sehn ihn jetzt in das Schlafgemach treten, wohin wir früher die Herzogin begleitet haben.
Derselbe Gegenstand war auch das Ziel des Königs; die Holzwand wich dem bekannten Drucke, das schöne Bild lächelte ihm entgegen und machte alle Wunden seiner Brust aufs Neue bluten.
Wir enthalten uns, eine Stimmung der Seele zu belauschen, worin dieser zum Unglück bestimmte Monarch von seiner Jugend und allen ihren Hoffnungen Abschied nahm.
In ewiges Dunkel begraben blieb der Welt diese stille und einflußreiche Geschichte seines Herzens.
Wir sehen ihn in seiner öffentlichen Erscheinung nur noch zwischen den zwei verderblichsten Fehlern eines Herrschers getheilt, Schwäche und Eigensinn.
Die Zeit, der er verfiel, hatte keine Langmuth mehr. In sich kreißend und gährend, zerriß sie die Zügel einer Herrschaft, die nicht mehr Schritt hielt mit ihren Forderungen. Sie mußte sich in der Willkür müde schwelgen, um die eiserne Ruthe eines Cromwell küssen zu können.
Nicht ohne Theilnahme denken wir uns den König auf einem Wendepunkte, wo er sich noch ein Mal weich und träumerisch an die Ideale seiner Jugend hängt, freudlos die Zukunft vor sich erblickend, doch nicht ahnend, wie furchtbar sie sich gerüstet hatte, ihn zu vernichten.
Jetzt dachte er, wie er seinem Robert einst dies Urbild ihrer Herzen, worin sie sich wie in einem Brennpunkte ihrer Liebe begegnet waren, heimlich, während einer Abwesenheit des Herzogs in London, in dies stille Gemach hatte einsetzen lassen, – dies Bild, woran der Herzog nicht mehr die Gefühle heißer Liebe knüpfte, sondern eine Begeisterung, eine Stärkung für Erstrebung alles Guten und Edlen. Er hatte es wagen dürfen, [224] ihn zum stillen segenbrinden Engel in seine Einsamkeit zu führen. Er wußte, daß Robert von dem Augenblicke an, wo der Prinz in jener verhängnißvollen Nacht, als der Tod des Bruders ihn so viel höher stellte und so viel ferner der früh ihm Vermählten, und er keinen Boten fand, der fernen Leidenden das Wort der Treue zu senden, als Robert, den er sie liebend wußte, – daß von dem Augenblicke dieser Entdeckung an er den männlichen Kampf begann, um über Gefühle zu siegen, die er sich nicht mehr glaubte gestatteten zu dürfen. Er gedachte, wie stolz und muthig er ihn bis zur Vermählung mit Arabella Bristol durchgekämpft; er gedachte des harten Streites der Liebe mit ihm, als er trachtete, den Liebling von einem Schritte zurück zu halten, der ihm von der Verzweiflung eingegeben schien; er gedachte aller guten Stunden, aller treuen Dienste, die ihm dies seltene Freundesherz geleistet in Behütung und Bewahrung des gefahrvollen Geheimnisses, und zugleich mit dieser Erinnerungsfeier zog der Schmerz der Einsamkeit durch sein Herz, und er rettete es nur aus allzumächtigem Weh, indem er des Kindes gedachte, das ihm vielleicht noch geblieben.
Schnell nahte er sich dem Bilde, eine Feder bewegte es langsam aus der Wand hervor, dahinter zeigte sich eine Nische, in deren Raum der König das vom Freunde behütete Kästchen fand, welches alle wichtigen Dokumente für die Legitimität des theuren Kindes enthielt, deren Durchsicht er nunmehr sich mit dem bewegtesten Herzen hingab.
Der König ließ sich am andern Morgen zu dem gemeinschaftlichen Frühstück melden und ward von der ganzen Familie mit der ehrfurchtsvollsten Freude empfangen. Er wandte auch jetzt seine Reden fast ausschließlich an Richmond und äußerte [225] endlich, er sei, wie er hörte, so eben erst von einer Reise nach der Ostküste von England zurückgekehrt.
Als dies Richmond bestätigte, fragte der König, was seinen Geschmack eben nach dieser wenig angebauten Gegend hingezogen?
Mich bestimmten bei dieser Wahl nicht die gewöhnlichen Anforderungen einer Vergnügungsreise, erwiederte Lord Richmond, es war mehr eine Pflichterfüllung, die mich gegen andere Beziehungen gleichgültig machte.
Eine eigne Angelegenheit? sagte der König, scharf ihn anblickend. Doch, unterbrach er sich, Richmonds sichtliche Verlegenheit gewahrend, ich dränge mich in Familiengeheimnisse und will Euch nicht in Verlegenheit setzen, nur herzlich wünschen, daß der beste Erfolg diese außerdem wenig belohnende Reise krönte.
So, darf ich in Wahrheit hoffen, ist geschehen, wie Euer Majestät die Gnade haben zu wünschen, rief Richmond.
Aber erstaunt sahen die Andern mit ihm, wie der König bei diesen Worten schnell aufsprang und, mit dem lebhaftesten Ausdruck der Freude auf ihn zueilend, ausrief:
O sagt! sagt! Ihr waret glücklich! Grenzenlos wird mein Dank sein!
Es blieb keine Zeit, diese unzusammenhängenden Worte zu deuten; der nächste Augenblick hob den frühern in Ueberraschung auf.
Lady Maria hatte, von Sehnsucht, den König zu sehen, getrieben, Stanloff vermocht, sie nach den Terrassen an dem Saal vorüber zu führen, worin der König frühstückte, da sie sich der Familie nicht anschließen wollte, um einer Präsentation vor dem Könige zu entgehen, bei der Alle in Verlegenheit kommen mußten, indem dem unglücklichen Mädchen noch immer kein Recht zu irgend einem Namen zuzustehen schien.
[226] Gaston, ihr steter Begleiter, hatte sich auch dies Mal aus den Zimmern ihr nachgeschlichen, und mit ihr die Nähe des Saales erreichend, zeigte er sich plötzlich aufhorchend und eine Spur suchend, die ihn, trotz des leisen Ruf's Maria's, von ihrer Seite weg dem offenen Saale zuzog.
Er hatte ihn kaum erreicht, als der König, wie bereits erwähnt, von seinem Platze aufsprang und sich gegen den stehenden Lord Richmond wendete.
Im selben Augenblicke hatte Gaston den Freund seines Herrn erkannt und stürzte jetzt mit der leidenschaftlichsten Heftigkeit auf den König zu.
Die augenblickliche Ueberraschung des Königs endete sogleich, indem er Gaston erkannte, seine Liebkosungen erwiederte, und, mit ihm dadurch vorgedrängt, jetzt in eine offene Thür der Hallen trat und dadurch der Lady Maria sichtbar ward, die ihn bisher nicht zu erkennen vermocht hatte.
Seht! rief Stanloff, jetzt kennt Ihr den König sehen, dort steht er mit Gaston an der Thür.
Maria blickte einen Moment hin, dann stieß sie einen Schrei aus und mit dem Ausruf:
O Gott, mein Oheim! stürzte sie dem Könige zu Füßen.
Unaussprechlich war die Ueberraschung aller Anwesenden. Alles sprang auf und eilte dieser unerwarteten Scene entgegen.
Um Gott, Lady Maria! Was begeht Ihr? rief die Herzogin, aufs Tiefste verletzt und erschrocken über den plötzlichen Anblick eines Gegenstandes, den ihr stolzes Herz eben dem Könige zu entziehen getrachtet hatte.
Aber schon änderte sich die ganze Scene. Der König, zu ihr niedergebeugt, mühte sich, sie in seine Arme zu ziehen, indem er aufs Lebhafteste ihren Namen unter den zärtlichsten Ausdrücken rief.
[227] Lady Maria richtete sich auf und sagte, an seine Brust sich lehnend, ernst und zärtlich:
Jetzt habe ich wieder eine Heimat auf Erden gefunden. Du wirst mich von allen den Räthseln erlösen, die mich bisher verfolgten, ich werde jetzt einen Namen haben!
O! rief der König mit dem Laut des Schmerzes, o Du theures, unglückliches, verfolgtes Kind! Meine ganze Macht kann nicht ausreichen, was Du gelitten, auszulöschen, Dir wieder zu geben, was Du indessen verloren. Aber einen Namen sollst Du haben, auf den Du mit Stolz blicken kannst, eine Heimat soll Dir werden, des Namens würdig, den Du mit Recht führst! – Frau Herzogin, fuhr der König fort, erfahrt jetzt, daß Ihr in den Wohlthaten, die Ihr diesem theuern Kinde gewährt, Euern König Euch zu Euerm lebenslänglichen Schuldner gemacht habt. Hier sei der erste Augenblick, wo ich das süßeste Glück meines Lebens ausspreche. Sie ist meine Tochter, und ihre rechtmäßige Mutter ist Elisabeth von Buckingham, die Gott früher von dieser Erde rief, als ich vor dem Angesichte der Menschen ihre heiligen Rechte anerkennen durfte.
Du der König? Elisabeth meine Mutter? rief Maria. Die Ueberraschung schien ihr alle Kraft zu rauben.
Der König führte sie nach einem Lehnstuhle, sie zärtlich stützend, während um ihn her das Erstaunen und die Ueberraschung Aller sich in den verschiedensten Erscheinungen kund gab.
Doch wir werden das mütterliche Gefühl verstehen, wenn wir sagen, daß die Herzogin, deren lange schmerzvolle Befürchtungen wir kennen, ihre Augen zu Richmond erhob, und, zärtlich sich an den Herzueilenden lehnend, ihn fest und mit einem seligen Lächeln an ihre Brust drückte.
Mit stummem Entzücken blickte die alte Herzogin auf diese Scene, die sie so wohl verstand, denn der Augenblick, der dem [228] Könige die Tochter, hatte auch ihr den verklärten Sohn, sein in reiner Tugend strahlendes Bild zurückgegeben.
Dieser rührende und überraschende Moment, der alle Anwesenden aufs Tiefste und Verschiedenartigste bewegte, ward unterbrochen, indem Sir Walther Ramsey mit feierlicher Amtsmiene erschien. Vor dem Könige, der noch immer über Lady Maria, sie umschlingend, gebückt stand, beugte der Ankommende die Knie und redete ihn auf folgende Weise an:
Ein königlicher Bote erreicht so eben dies Schloß, beauftragt, Euer Majestät in tiefer Ehrfurcht anzuzeigen, daß dem Lande das ersehnte Heil geschah und der Boden Englands die Königliche Henriette von Frankreich, unsere nunmehrige Königin, empfangen hat.
Der unglückliche Carl schreckte zusammen, lebhaft drückte er die zitternde Maria an seine Brust, dann riß er sich empor.
Ich danke Euch, Sir Ramsey, für die erfreuliche Botschaft, Ihr werdet mich von Euern Wünschen unterrichten müssen. Dem ersten Ueberbringer solcher Nachricht darf keiner unerfüllt bleiben, den zu befriedigen in unserer Macht steht. – Die Augenblicke sind uns also gezählt, sprach er darauf, zur Herzogin gewendet. Gönnt mir eine kurze Unterredung, Mylady, ich bin sie mir, ich bin sie Euch schuldig und diesem theuren Kinde. Er bat Maria, ihn zu begleiten, und führte Beide in die innern Gemächer.
Was er hier der Herzogin und seiner Tochter zu sagen hatte, kann kein Gegenstand fernerer Mittheilung sein; wir ahnen es aus der Erinnerung aller im Laufe dieser Erzählung vor uns entwickelten Einzelheiten. Auch brauchte der König dazu wenig Zeit. Er bewirkte einen vorläufig verlängerten Aufenthalt für seine Tochter bei der Herzogin, da er selbst sich außer Stande fühlte, vor der beabsichtigten Entdeckung an seine Gemahlin derselben einen Platz anzuweisen, der ihren Ansprüchen gemäß war.
[229] Als er in den Saal zurückkehrte, näherte er sich mit besonderer Huld Lord Richmond.
Was Ihr, Mylord, für meine Tochter gethan, hat ein Vaterherz gehört und tief empfunden; ich wüßte keinen Wunsch, den Ihr mir nennen könnt, dessen Erfüllung, so weit es von mir abhängig, nicht eine Befriedigung für meine Dankbarkeit sein müßte. Uebernehmt, bis wir uns wiedersehen, setzte er lächelnd hinzu, das ritterliche Amt, das Ihr so trefflich versteht, bei meiner Tochter! Euch allen, meine Freunde, empfehle ich meine Tochter, Lady Maria Stuart. Zu den Hof-Feierlichkeiten hoffe ich Euch alle als meine liebsten Gäste in London zu sehen.
Der König entfernte sich, sie alle grüßend, und bald sah man, wie seine schwarze Gestalt, umgeben von dem glänzenden Zuge der Herren des Schlosses, auf schnellem Rosse dahin sprengte.
Die königlichen Boten hatten die erste Audienz der Königin von England verkündigt. Das Land schien die Wanderung nach London angetreten zu haben. Das Volk stand in dichten Massen an einander gedrängt, der seltenen Lust gewärtig, die das Schauspiel solchen Festes auch den Straßen verhieß.
Zwischen durch bewegte sich der Zug des stolzen Adels von England, Schottland und Irland, mit allem Glanze und allen Ansprüchen ausstaffirt, die Vermögen und Rang jedem Einzelnen gestatteten.
Die Heiterkeit der Jugend, die sich mit tausend Hoffnungen noch nie erlebter Freuden dem Ziele entgegendrängte, umgaukelte mit ihrer anmuthigen Lebendigkeit den stilleren [230] Zug der Aelteren, welche, solche Freuden und ihre Täuschungen kennend, den erfahrnen Blick, über die ersten Augenblicke dieser neuen Katastrophe hinweg, ihrer Zukunft entgegenrichteten und manche Anzeichen fanden, welche die ernste Erwartung rechtfertigten, womit sie sich dem neuen Herrscherpaare nahten.
Die Säle des alten prachtvollen Whitehall hatten sich bereits mit den Personen gefüllt, welche an die Auszeichnung Anspruch machen durften, hier zu erscheinen. Henriette von Frankreich hatte für jeden berühmten Namen ihres neuen Vaterlandes ein anmuthiges Wort, eine schmeichelhafte Bemerkung. Sie schien die gekrönte Anmuth zu sein, und ihr Auge leuchtete so heiter und kräftig auf Jeden nieder, wie eine Verheißung glücklicher Zeiten. Kaum widerstand einer der alten finstern englischen Barone der jugendlichen Königin. Die Absicht, ihr zu mißtrauen, die jene, sie sich als Klugheit anrechnend, mitgebracht, war den Meisten entfallen, und ein unfreiwilliges Geständniß neu gewonnener Hoffnung malte sich auf ihrer geglätteten Stirn, während die ritterliche Jugend am Griffe ihrer Degen mehr der schönen Frau, als der Königin ihr Leben vereidete.
Karl der Erste sah nicht ohne Theilnahme den Eindruck, den seine schöne Gemahlin hervorrief. Er selbst hatte einen erhöhten Ausdruck von Heiterkeit und Ruhe, und seine von der Natur zur Schwermuth gestempelten Züge schienen mit dem Lächeln der Befriedigung der jungen Königin ein heiteres Leben zu verheißen.
Doch blieb eine Unruhe sichtbar, die seine und der Königin Blicke öfter dem Eingang entgegenrichtete, durch den sich noch stets Neuangekommene hineindrängten, welche alle bemüht waren, der neuen Landesmutter ihre Huldigung darzubringen.
[231] Die Versammlung, die keinen andern Augenpunkt, als das königliche Paar, hatte, erkannte bald, daß sich hier etwas begeben solle, welches der ungeduldigen Erwartung sich noch zu entziehen schien und mit doppelter Spannung horchte man auf jeden neuen, von den Herolden verkündigten Namen.
Da entstand schon im Vorzimmer Geräusch und lauter werdendes Gemurmel des Beifalls.
An der Hand des Herzogs von Buckingham erschien ein weibliches Wesen, dessen bezaubernde Schönheit mehr, als der Glanz ihrer Kleidung, alle Anwesenden in gleich großer Theilnahme bewegte.
So viele laut ausgesprochene und gar nicht überhörbare Zeichen der Bewunderung hatten der edlen und hochgetragenen Gestalt der so Empfangenen jenen leichten Anflug von Schüchternheit gegeben, welcher der Jugend so bezaubernd ansteht und den zarten Wangen ein tieferes Roth verleiht. Sie trug in den dunkeln Locken ein herzogliches Diadem von den kostbarsten Steinen; ihr purpurnes Sammetkleid war mit dem fürstlichen Hermelin besetzt, welcher, von zwei Pagen in der königlichen Livree getragen, seitwärts des silberstoffenen Unterkleides niederfiel und den reichen Besatz von Juwelen zeigte, womit das Mieder befestigt war.
Sie mußte eine Verwandte des königlichen Hauses sein, denn nur ihnen kam diese Auszeichnung zu; aber wer konnte sie sein?
Wer hatte sie je gesehen, und wie kam sie an die Hand des Herzogs von Buckingham, welcher, stolz auf ihre Nähe, mit hohnlachender Befriedigung das Erstaunen und die Bewunderung der Anwesenden als einen ihm gehörigen Triumph aufzunehmen schien.
Ihr folgte unmittelbar der Herzog von Nottingham mit seiner Gemahlin, seinem Bruder und dem Grafen Archimbald [232] von Glanford. Aber Alles ward still, als die wundersame Erscheinung sich dem Eingange des Audienzzimmers nahte; denn jetzt mußte ihr Name proklamirt werden. Sie selbst schien, diesen Moment kennend, mit leichter Schüchternheit ihn verzögern zu wollen; denn einen Augenblick hielt sie inne, und eine tiefe Bewegung malte sich in ihren Zügen. Da hob sie die großen dunkeln Augen vom Boden, und sie fielen sogleich auf den König, der im selben Augenblick, die Hand seiner Gemahlin ergreifend, mit lebhaftem Ausdruck der Freude nach der Fremden hindeutete.
Da erhellte das seligste Lächeln das schöne Gesicht der Unbekannten, sie zog die Hand von dem Arme des Herzogs von Buckingham, und in voller Selbstvergessenheit ihrer herrlichen Natur zurückgegeben, eilte sie mit freudiger Hast, von aller Schüchternheit entkleidet, groß und leuchtend aufgerichtet, wie eine Königin über die Schwelle des Saales.
Maria Stuart, Nichte des Herzogs von Buckingham! rief der Herold, und zugleich gewahrten die überraschten Zuschauer, wie das Königliche Paar, den Thron verlassend, der jungen Herzogin bis zur Mitte des Saales entgegenging, ihrem Fußfall zuvorkommend, sie umarmte und sie zwischen sich dem Throne zuführte, wo zur Linken der Königin auf der zweiten Stufe des Thrones ein Sessel ihr angewiesen ward, den sie, nachdem die Monarchen sich niedergelassen, mit der unschuldvollsten Sicherheit einnahm.
Der Herzog von Buckingham nahm seinen Platz hinter dem Stuhle seiner Nichte, und der Thürsteher proklamirte die Familie des Herzogs von Nottingham, mit dem Zusatze: Richmond, Herzog von Glanford!
Als der junge Herzog sich dem Könige näherte, umarmte ihn derselbe; die Königin reichte ihm die Hand zum Kusse, und der Ceremonienmeister, Graf Dorset, wies ihm [233] das Tabouret an, das, eine Stufe niedriger, neben dem Lehnstuhle der Herzogin von Buckingham stand.
Die Versammlung erfuhr jetzt, daß sie in beiden so hochbeehrten Personen ein Brautpaar sehe, dessen feierliche Vermählung in der Kapelle des Königs gleich nach beendigter Audienz statt haben werde.
Aber was für ein weites Feld für die Muthmaßungen blieb nach dieser ungenügenden Nachricht zurück!
Wie wenig hatte ihr Name die aufgeregte Neugierde befriedigt!
Warum gab man ihr den Platz der Prinzessinnen von Geblüt? Wo war sie bisher gewesen? Welche Rolle wird ihr ferner zugetheilt sein?
Es steht nicht zu erwarten, daß diese Fragen der Wahrheit gemäß beantwortet wurden. Sie beschäftigten eine Zeitlang die Neugierigen; doch als das baldige Verschwinden der Betheiligten allmälig dieser ersten Anregung alle weitere Nahrung entzog, gerieth Alles nach und nach in Vergessenheit.
Die junge Herzogin von Glanford folgte ihrem Gemahl nach Godwie-Castle und verblieb dort im Kreise ihrer Familie, bis die Besitzungen, die der König ihr in der Nähe des ehemaligen Schlosses ihrer Mutter verliehen, zu dem Empfange des jungen Paares mit königlicher Freigebigkeit eingerichtet waren.
Die meiste Zeit des Jahres bewohnten sie Buckingham-Park, so reich an glücklichen Erinnerungen, so nah an Godwie-Castle, so leicht erreichbar für den König, der nie aufhörte, in Maria das Glück seiner Jugend zu lieben.
Nur selten erschienen sie bei Hofe, ein reicheres Lehen sich schaffend in ihren weitläuftigen Besitzungen, in dem beglückten Kreise ihrer Familie.
[234] Ein Jahr später führte Maria den Grafen Ormond mit Ollony Dorset zum Altare.
Ormond glaubte, er habe bisher nur geliebt als Versuch, endlich vollständig seine beglückte Braut zu lieben; Maria hatte eine erfüllte Hoffnung mehr erlebt.
Bald ruhte die schöne heitere Leiche der alten Herzogin von Nottingham in der Todtenhalle von Godwie-Castle. Ihr herrliches Ende war, wie ihr Leben, ein Segen für ihre Angehörigen.
Ihrer Schwiegertochter war es beschieden, die heitere Ruhe der Verklärten zu ererben. Der Stachel, der ihr ganzes Leben verwundet und dem Blute seinen scharfen Inhalt gegeben hatte, war mit der Entdeckung von Maria's Geburt verschwunden.
Sie fühlte mit Reue und Beschämung, wie grausam sie Zeit ihres Lebens den verkannt, den sie so grenzenlos geliebt.
Diese späte, aber tiefe Reue, die ihr doch ohne Beschämung zu Theil ward, da auch nicht ein Blick aus dem Auge der einzigen Vertauten, ihrer ehrwürdigen Schwiegermutter, sie mehr an ihr Vergehn erinnerte, erschütterte ihr stolzes, hartes Selbstgefühl und rief eine lang versäumte Weichheit der Gefühle hervor, die den Abend ihres Lebens mit einem sanft leuchtenden Glanz umzog.
Brixton gab den Bitten seines Zöglings nach und beschloß, noch immer thätig und seinem Berufe getreu, Segen spendend, wo er erschien, sein Leben auf Buckingham-Park.
Lanci war als tüchtiger Jägersmann über die herzoglichen Waldungen gesetzt, und Margarith hatte keine Bedenklichkeiten mehr, ihm ihre Hand zu reichen. –
Nach einigen Jahren, als Lady Maria der Königin aufwartete, drückte ihr diese ein Blatt in die Hand.
[235] Es war aus Frankreich. Pater Clemens schickte ihr seinen Segen und Electa's letzten Gruß. Als Ursulinerin war sie in frommer Stille, bald nach ihrer feierlichen Aufnahme in das Kloster St. Clara, dem Pater Clemens als Beichtvater vorstand, verschieden.
Maria schickte ihr den wehmüthigen Gruß der Liebe nach, mit dem wir gern ein hinüber gegangenes Leben begleiten, das hier in dem zu hart befundenen Boden nicht wurzeln konnte, dessen Blüten dem ersten Nachtfrost erliegen, und über dessen zarte Ranken wir gern den leichten Himmel sich wölben sehen, unter dessen Decke, dem Auge entzogen, wir die Verpflanzung hoffen in ein milderes, fruchtbareres Land.
Der Herzog von Buckingham hatte nichts weiter mit einer Nichte zu thun, aus der sich so wenig machen ließ, und welche die Thorheit beging, ihre glänzende Geburt durch eine ganz gewöhnliche Ehe um allen Einfluß zu bringen.
Der Graf von Bristol gehört der Geschichte an. Sein Leben und sein Tod ist zugleich die Katastrophe der Geschichte Englands, an deren verhängnißvoller Schwelle wir eine Familie gesichert und beglückt durch innere und äußere Verhältnisse verlassen müssen, ohne weiter verfolgen zu können, wie die Rollen ihnen zugefallen sein mögen in dem großen Trauer spiel ihres Vaterlandes.