Die schwarz machende Medicin.
An Se. Hochedelgeboren, Herrn Bernhard Nic las Weigel, der Arzneigelahrheit Doctor und hiesigen Proto-Physikus, von Herrmann Gottfried Willig, Regiments-Pastor zum Königl. von Blixenschen Regiment.
Mein bester Gönner!
Da sie nun seit mehreren Jahren her, und [62] besonders seit 1768, sich alle Mühe gegeben haben, meinen Körper von seinen Krankheiten frei zu machen, und ich durch Ihre gütige Fürsorge und Bemühungen gegen viele Leiden geschützt bin, die mich bedrohten, auch eine sehr merkliche Erleichterung meines Elendes mit Dank gegen Gott wahrnehme: so bin ich Ihnen, als meinem größten Wohlthäter, zu allem Dank verpflichtet. So gern legte ich Ihnen die beste Dankbarkeit an den Tag, wenn mein Vermögen nicht in aller Absicht zu schwach wäre. Und darum schätze ich Ihre Güte um so viel höher, da Sie mich auch darin großmüthig übersehen.
Mit Schaamhaftigkeit gegen mich, und mit Hochachtung gegen Sie, bekenne ich, daß Sie mich bis jetzt noch nicht zu der thätigen Erkenntlichkeit angetrieben haben, die Sie doch nach allen Rechten von mir fordern könnten, auch in gewisser Absicht fordern sollten. Nur dieß Einzige haben Sie seit längerer Zeit begehrt: »Ich soll Ihnen ein freies und ehrliches Bekenntniß ablegen, ob ich der Meinung bin, daß Ihre mir verordneten Arzneimittel, oder meine eigne Kränklichkeit, oder andere Umstände die Ursache sein mögen, daß ich seit einigen Jahren her mit einer widernatürlichen blauen Farbe bezeichnet bin.« Ich weiß die Veranlassung zu dieser Aufgabe. Ich weiß, daß Vorurtheile und Gerüchte sich verbreitet haben: »Als sollte meine Farbe eine unselige Wirkung [63] Ihrer vortrefflichen Mittel, bald der Pillen, bald der Tropfen sein.« Sie kennen mich ohne Zweifel von der Seite, daß ich alle Lügen und Irrthümer verabscheue, und die Wahrheit gern befördere. Mit vielem Vergnügen würde ich solchergestalt auch hierin ein Zeuge der Wahrheit sein. Aber ich habe hierbei stets gezögert, und Ihnen die vorlängst versprochene Aeußerung meines Urtheils nicht bekannt werden lassen. Sie wissen auch selbst die Ursachen. Was für Glauben wird mein Urtheil bei denen haben, die vom Vorurtheile mit mehrerer oder weniger Kenntniß der Sache selbst hingerissen sind? Werde ich auch so deutlich von meinem Zustande, dessen Veranlassung und Begleitungen reden können, daß mich Jedermann versteht? Werde ich mich nicht auf etliche Tage selbst wieder krank machen?
Dennoch will ich mich nun über alles dieß hinaussetzen, Ihnen meine Gedanken und Urtheile eröffnen, und das Einzige vor Augen haben, daß ich die reine Wahrheit melde. Und wenn ich mich in einigen Ausdrücken nicht ganz deutlich erkläre: so verschweige ich nur, was mich besonders betrifft; die Sache selbst wird dem Verständigen nicht dunkel bleiben.
Ich will folgende Fragen mir selbst zur Beantwortung vorlegen.
[64] 1) Habe ich allgemeine oder besondere Gründe zu muthmaaßen, daß Sie mich durch Geschicklichkeit oder Ungeschicklichkeit gefärbt haben?
2) Habe ich allgemeine oder besondere Gründe zu glauben, daß andere Ursachen zu meiner Farbe da sind, als Ihre Arzneimittel?
3) Bin ich davon überzeugt?
Ueber die erste Frage.
Sollte ich annehmen wollen, daß ich von Ihren Arzneimitteln blau gefärbt wäre: so mußte ich dazu Grund haben; denn ein vernünftiger Mann denkt und urtheilt immer nach Gründen, nach wohl geprüften Gründen.
a) Ich müßte entweder allgemeine Gründe vor mir haben. Große, von der Welt ihrer Geschicklichkeit wegen hochgeachtete, Aerzte, die viele Jahre lang mit allem Fleiß richtige Erfahrungen gemacht haben, müßten in ihren Schriften melden, daß Arzneimittel, gleich wie sie die Krankheiten heben, Schmerzen lindern, Genesung befördern, oder hierin keine Veränderungen machen, so auch die Farbe der Haut verändern, sie grün, roth, gelb ober blau machen können. Von allen den weltbekannten Aerzten, die ich kenne, [65] hat noch kein einziger darüber die geringste Anzeige gemacht, so ausführlich sie sonst auch von den Wirkungen der Arzneimittel schreiben.
b) Oder ich könnte besondere Gründe haben. Ich könnte denken: Ihre Pillen und Tropfen sind so besondere Mittel, daß sie nicht auf allen Apotheken gefunden werden, und auf besondere Art im menschlichen Körper wirken, viele glückliche Curen machen. Es kann also eine besondere Wirkung ihrer Mittel sein, daß sie die Farbe der Haut bis zum Schwarzblau verwandelt. So müßte ich doch aus mehreren Beispielen, als aus meinem eigenen und einer einzigen Dame, überzeugt werden. Wie viele Kranke aber haben nicht ihre Mittel länger und in stärkerem Maaße gebraucht als ich, und sind nicht blau geworden? Vielmehr haben sie, nach Wiedererhaltung der Gesundheit, natürliche Farbe wieder erhalten. Ich würde hier gewiß drei Personen nennen, auf die ich mich jetzt beziehe, wenn ich nur wüßte, daß dieselben mir es nicht zur Last legen wollten, ihre Namen bei dieser Gelegenheit genannt zu haben. Ich kann aber dieß um so viel eher unterlassen, da ich auf den Fall, daß ich Ihren Mitteln die Ursache meiner blauen Farbe beimessen wollte, auch keine Erfahrung haben müßte, daß andere [66] Kranke, die Ihre Mittel nie gebraucht haben, nie die blaue Farbe angezogen hätten. So aber erinnere ich mich ganz lebhaft, daß ich 1756 in Greifswalde einen Strumpfweber gekannt habe, der gewiß damals eben so blau war, als ich gewesen bin. So habe ich auch den Soldaten Schönemuß so schwarzblau gesehen, daß ich selbst vor ihm erschrack. Haben Sie diese Leute auch gefärbt? Es müssen also andere Ursachen zur blauen Farbe da sein. Diese müssen sich in dem Zustande des Kranken aufsuchen lassen. Ich will daher meine Betrachtung jetzt richten
Auf die zweite Frage.
Ob ich allgemeine oder besondere Gründe habe zu glauben, daß meine blaue Farbe nicht von Ihren Mitteln, sondern von meinem Zustande und meinen Umständen herruhre?
Wenn ein van Swieten, Teichmeier, Hofmann, Baumann, Klein, Ettmüller, Vogel, Lorry, kurz! Aerzte, die die gelehrte Welt hochachtet, von kachektischen Krankheiten schreiben, daß diese die Farbe der Haut verändern, und auch den Schein einer mehr oder weniger blauen Farbe zum Zeichen haben, wenn diese sich auf den Hippokrates, den Stammvater der Aerzte berufen, daß schon dieser etwa 400 Jahre vor Christo diese [67] Anmerkungen gemacht hat. Wenn ich in Stephani thesaurus linguae graecae lese: Melanchlorus heißt derjenige, der eine schwarze mit Blau vermischte Farbe hat; auf solche Art bloß ist, daß er zugleich eine Beimischung von Schwärze hat (etc.): so habe ich ohne Zweifel einen allgemeinen Grund, den Gedanken zu fassen: Es giebt eine Krankheit in der Menschenwelt, bei welcher der Kranke blau wird; und da ich blau bin, den Schluß zu machen: Ich habe wohl die Krankheit, bei der der Mensch blau wird. Und da die Aerzte diese Krankheit Kachexie nennen: so muß ich wohl auf die Frage: Woher sind sie so blau? diese Antwort geben: Ich bin ein kachektisch Kranker. Sollte auch dieser Gedanke irrig sein? Es können sehr oft verschiedene Menschen in gewisse ähnliche Umstände gesetzt sein, aber aus sehr verschiedenen Ursachen. Ich ward einmal zu einem sonst gesunden und starken Mann gerufen, der aber jetzt an einem hitzigen Fieber heftig krank lag. Er rasete sehr, war zum Bette herausgefahren, gieng in der Stube herum, aber mit sehr ungewissen Tritten, sprach, aber mit lallender und stotternder Stimme. Arzt, Frau und alle Umstehende sagten, er raset in einem gewaltsamen hitzigen Fieber. In späterer Zeit kam ich am Abend zu einem andern Manne, und ich fand ihn ebenfalls außer Bette, mit ungewissen Tritten wandelnd, mit stotternder Zunge redend. Bald wäre ich auf den Gedanken gerathen, er sei auch [68] am hitzigen Fieber krank, wie jener. Sein Bedienter aber sagte mir bald leise ins Ohr etwas vom zu Gaste gewesen, viel Punsch getrunken (etc.). Da waren also meine beiden Freunde dem äußerlichen Ansehn nach in ähnliche Umstände gesetzt, aber aus ungleichen Ursachen. Vielleicht haben der Strumpfweber und Schönemuß ihre blaue Farbe von ihrer Krankheit; ich aber die meinige von Ihren mir gereichten Mitteln, so wie erstgedachter Kranker seine wankenden Schritte und undeutliche Sprache von seiner Krankheit, letzterer aber das Seinige vom zu viel getrunkenen Punsch. Dieß letztere ist für meine Unwissenheit in der Naturlehre, Arzneiwissenschaft, und was mehr dazu gehört, wohl unmöglich zu unterscheiden. Inzwischen habe ich doch wenigstens einige besondere Gründe zu glauben, daß ich nach der möglichsten Wahrscheinlichkeit mehr von meiner Krankheit und eignen Umständen die blaue Farbe habe, als von Ihren Mitteln. Mein offenherziges und treues Geständniß darüber ist dieses:
Herr Prof. Vogel in Göttingen sagt ausdrücklich in seiner akademischen Streitschrift von 1764:
p. 1. n. 8. Cachexiae male colorata corporis constitutio cum debilitate.
p. 18. n. 304. Cachexia, corpus grave [69] atque iners, colore pallide squalidum.
p. 18. n. 307. Melanchlorus, cachexia cum subnigro cutis colore, urina de naivo statu haud decedente.
Zu deutsch:
n. 8. Cachexiae (üble Leibesbeschaffenheiten) bestehen in einer Krankheit einer widernatürlichen Farbe und Schwäche des Körpers.
n. 304. Cachexia, wenn der Körper schwer und träge, die Farbe scheußlich blaß ist.
n. 307. Melanchlorus, Cachexie mit schwärzlicher Farbe der Haut, und vom gesunden Zustande nicht abweichendem Urin.
Gleichlautende Beschreibungen von diesen Krankheiten machen die übrigen Aerzte, die ich zuvor angeführt und gelesen habe, wenn gleich nicht den Worten, doch der Sache selbst nach. Es giebt also Krankheiten, die die Farbe der Haut verändern, und bei einigen sie grün oder gelb, und bei andern, wie bei mir, blau färben. Es fehlt also nur daran, mich zu überzeugen, daß [70] ich nun eben diese Krankheit habe. Und dessen bin ich mir nur gar zu sehr bewußt.
Uebel ist mein Körper seit einigen Jahren her beschaffen gewesen. Statt dessen, daß ich in meiner Kindheit und Jünglingsjahren schneeweiß von Farbe, und ohne alle Röthe, gewesen bin, ward die Farbe meines Gesichts, nach einer sehr schweren Krankheit 1756, blaß. Dennoch war dieß sehr erträglich, bis ich 1758 wieder heftig krank ward. Ich kann von der Geschichte dieser Krankheit keinen ausführlich getreuen Bericht abstatten. Nur dieß bin ich mir, und Sie sich ebenfalls, ganz deutlich bewußt: Ich hatte zuerst 1768 häufige und heftige Kopfschmerzen, Spannungen über die Brust, heftiges Brennen das Rückgrad herunter, kurz! hämorrhoidal- und hypochondrische Bewegungen. Ich gebrauchte zuerst Ihre Pillen, und hernach die Tropfen, und wieder die Pillen. Aber mein Zustand ward immer trauriger. Viele Nächte brachte ich schlaflos zu, und hatte des Morgens häufiges Erbrechen; das Fleisch nahm ab, und die Kräfte verließen mich. Ich war so entkräftet, daß mir jeder Gang, und besonders das Treppensteigen, schwer ward. Schlief ich ja zuweilen etliche Stunden: so war ich nachher eben so träge und schwer, als zuvor. Von der Beschaffenheit des Urins weiß ich nichts anzugeben. Es war im Jahre 1769, etwa im April oder Mai, als ist zuerst unter den Augen [71] und in den Schläfen eine dunkle Farbe wahrnahm, die ich anfänglich für Schmutz hielt, und daher mich oft wusch; die aber immer weiter sich verbreitete, bis ich endlich im August über das ganze Gesicht, den ganzen Leib, mit Händen und Füssen, blau ward. Es urtheile nun ein jeder über diese meine kränklichen Umstände, und verbinde damit die Beschreibung des Herrn Prof. Vogels von der Kachexie und Melanchlorie: so wird vermuthlich jeder mit mir übereinstimmen: Ich habe eine kachektische Krankheit. Tausend Menschen tragen vielleicht diese Krankheit, und unter ihnen verändern vielleicht nur wenige die Farbe der Haut. Warum mag ich eine Farbe, und eben die blaue, angenommen haben? Ich kann unmöglich darauf antworten. Verstehe ich doch nicht, wie es zugeht, daß ein jedes tugend- und zugleich schaamhaftes Mädchen bei zweideutigen Reden erröthet; daß der Mensch, alt oder jung, beim Schlagfluß im Leben und Tode an dem gelähmten Theile blau, und wer von der Gelbsucht geplagt ist, gelb wird. Doch glaube ich, aus der Erfahrung zu wissen, daß heftige Gemüthsbewegungen sehr leicht eine Veränderung in der Farbe der Haut veranlassen, je nachdem der Zustand des Körpers mehr oder weniger gesund oder krank ist. Ein Mann von cholerischem Temperamente, gesund am Leibe, und heftig an Gemüthsbewegungen, wird bald roth, wenn er Stichelreden gegen sich hört; und ein hypochondrisch Kranker, matt an Kräften [72] des Körpers, aber heftig an Gemüthsbewegungen, wird über gesprochene Worte, die er für anzüglich hält, blaß. Denken wir nun an meine Geschichte vom Jahre 1768, und meine Umstände 1769: so wirds uns wohl nicht schwer fallen, einzusehen, daß zu meinen schlaflosen Nächten, zu meiner Auszehrung an Kräften, und zu meiner blauen Farbe nur ein Grund sei. Weiter lasse ich mich über diese Sache nicht ein, und ich erinnere Sie bei dieser Gelegenheit an Ihren Doctor Eid.
So werde ich gewiß nun antworten müssen
Auf die dritte Frage.
Ich bin überzeugt, daß meine blaue Farbe nicht eine Mißgeburt Ihrer Arzneimittel, sondern eine für mich sehr traurige Begleitung meiner Krankheit sei. Große, der Welt bekannte, Aerzte sagen, daß es Krankheiten gäbe, bei welchen der Kranke blau wird, und schreiben die Krankheit, die sie die Kachexie nennen, der Ursache der blauen Farbe zu, und nennen diese besondere Aeußerung der Krankheit Melanchlorie. Weder die genannten Aerzte, noch andere berühmte Männer, sagen, daß irgend ein Mittel da sei, die Menschen blau zu färben. Ich folge also diesen Männern in ihren Urtheilen, und ich hoffe hierbei sicherer zu gehen, als wenn ich Geschwätzen, oder solchen [73] Männern trauen sollte, deren Schwäche oder Stärke ich nicht übersehen kann.
Ich habe noch zweierlei Gründe, worauf ich dieß mein Urtheil baue. Ich habe mit Fleiß auf diejenigen Gründe gemerkt, die mir gegen diese Meinung bekannt geworden sind. Wenn jemand sagt: »Ihr Mittel, das mich blau gefärbt hat, müßte die Eingeweide so sehr zusammenziehn, daß der Umlauf des Geblüts in demselben gehemmt, und in die äußern Theile gedrängt würde, daß dadurch die Haut dunkel oder blau würde.« Ich will nun annehmen, daß ein Mittel die Eingeweide so sehr zusammen entweder ziehn oder schnüren könnte: so müßten denn doch daraus ohne Zweifel seltsame Veränderungen kommen. Nach meinem dummen Verstande müßte ich dann wohl eine leise oder heisere Sprache führen, Husten haben, Eiter auswerfen, an Kräften abzehren, beständige Schmerzen in den Gedärmen fühlen. Ich überlasse es aber jedem, der mich kennt und predigen hört, zu urtheilen, ob ich diese Fehler habe. Uebrigens da dieses Urtheil nur vermuthungsweise geführt ist: so scheint es mir von so geringer Erheblichkeit zu seyn, daß ich mich darüber nicht weiter erkläre. Ich würde mich vor mir selbst schämen, wenn ich mir bewußt wäre, nur einen Augenblick demselben nachgehängt zu haben. Ferner, man finde sonst keine blaugefärbten Kranken, als solche, die Ihre Mittel gebraucht [74] haben. Um Vergebung! ich habe zwei Personen, den Strumpfweber in Greifswalde und den Soldaten Schönemuß vom königl. v. Blixenschen Regiment, unter des Herrn Hauptmann und Ritter Stiernroos Compagnie, gekannt, denen ich, wenn es auf die Stärke der Farbe ankommt, nothwendig den Vorzug lassen muß. Und wer weiß, wie viele Kranke hier in Stralsund und andern Orten unbemerkt wandeln mögen, die eine widernatürliche, ins Blau fallende Farbe haben? Etwa von gleichem Gewichte sind, nach meinem Urtheile, alle übrige mir bekannt gewordene Gründe.
Der letzte aber, der mich bis zur Ueberzeugung besiegt, ist die vortreffliche Wirkung, die mir die gebrauchten Mittel verschafft haben. Ich muß mich nothwendig hier an meine Krankheit erinnern, und sollte ich auch morgen zu Bette liegen müssen. Ich habe mich zuvor nicht undeutlich geäußert, daß ich 1768 heftige Gemüthsbewegungen gehabt habe, und jetzt muß ich hinzufügen, daß ich eben nicht so geschwind davon befreit worden bin. Worin dieselben bestanden? das sage ich keinesweges, und dem Leser wird es auch gleichgültig seyn können, ob ich gefürchtet habe, daß meine Gläubiger mich möchten in den Schuldthurm setzen lassen, oder daß ich wegen eines begangenen Verbrechens möchte mit Ruthen gepeitscht, und zum Vestungsbau geschickt werden, oder was es sonst gewesen sein mag. Alle diejenigen, welche [75] meine damaligen Umstände etwas genauer wissen, bitte ich ergebenst, nicht ein einziges Wort davon zu sprechen. Ich erbiete mich zu allen Gegengefälligkeiten. Genug! ich lebte in Kummer, Sorge und Gram sehr lange Zeit. Ich hatte schon, besonders seit ein paar Jahren her, mich mit heftigen Kopfschmerzen, gewaltsamem Erbrechen, Brennen im Kreuze und andern hypochondrischen Beschwerden getragen, die so wenig ich, als mein Arzt für gefährlich hielt. Die Beschwerden des Leibes hatten von Zeit zu Zeit zugenommen, dieß wußte ich; dazu kamen nun die heftigsten Gemüthsbewegungen, da mußte also das Uebel nothwendig ärger werden. Die angeführten Zufälle kamen häufiger und heftiger. Ich hörte auf zu essen, zu schlafen, ward zu Geschäfften entweder faul oder ungeschickt, und kannte keine andre Wollust, als im verschloßnen Zimmer ganz allein zu sitzen. Ich ward so mager, daß nicht nur von den Wangen, Rippen und Beinen das Fleisch wegfiel, sondern der Kinnladen ward so weit entblößt, daß man von außen die Wurzeln der Zähne deutlich sehen, und ich beim Sprechen deutlich fühlen konnte, wie ich mit der Zunge an die scharfen Wurzeln der Zähne stieß. Dabei nahm nun die Farbe so abscheulich zu, daß sie über den ganzen Leib, vom Scheitel bis zur Sohle, an der Zunge und Zahnfleisch schwarzblau ward. Ich hatte beständige Schmerzen. Etwa einen Monat lang hatte ich Schmerzen im Auge, und befürchte blind zu [76] werden. Hierauf drang die Schärfe in die Ohren, daß ich bei schwachem Geräusch zusammenfuhr, und bei anhaltenden Gesprächen mehrerer Personen in einer kleinen Gesellschaft von Kopfschmerzen befallen ward. Eine ganze Zeit mußte ich entweder Sänfte oder Wagen gebrauchen, wenn ich in einer Entfernung von 1000 Schritten Verrichtungen hatte. Ich war mit dem Gemüth bei gegenwärtigen Dingen ganz abwesend, las Bücher, und wußte nicht, was ich gelesen hatte. Viel trauriger, als ich meinen Zustand hier beschrieben habe, ward er beim Gebrauch der Mittel, dieß bekenne ich, und Sie werden dieß nicht läugnen können noch wollen. Aber auch beim Gebrauch der Mittel verloren sich dieselben allgemach. Ich fieng im Frühjahr 1770 wieder an, munter zu werden, geschäfftig zu sein, setzte Fleisch, und ward schon gegen den Herbst wieder über den ganzen Leib, nur nicht in den Schläfen und unter den Augen, natürlich weiß.
Im Decembermonat, wie bekannt, zersprengte der Pulverthurm, und ich hatte den Unfall, daß ein merklich großer Stein mir ins Zimmer fiel. Ich hatte mich in der letzten Woche außerordentlich wohl befunden, und war nun am dritten Tage bei einem Geschäffte sehr emsig, wozu ich viele Papiere und einige Bücher auf dem Tisch liegen hatte. Der Stein fiel auf den Tisch, und verwüstete fast alles. Das Zimmer ward mir unbrauchbar, [77] und ich mußte ein größeres beziehen, das nicht durch Holz warm zu machen war. Ueber die Größe dieses Unfalls, der ganze Familien in die traurigsten Umstände versetzte, und über meinen Verlust, der Fremden immer klein scheinen mag, stellte ich meine Betrachtungen an, und ward bis zur Wehmuth gerührt. Ich mußte so gut wie im kalten Zimmer wohnen, und in einer Zeit von etwa zwei Wochen war ich wieder so elend am Leibe, so traurig im Gemüthe, so schwarzblau von Farbe, wie ich vorher gewesen war. Sie fuhren fort, mein Arzt und treuer Freund zu bleiben. Sie geboten mir, ein etwa dreifaches Maaß der Tropfen zu gebrauchen, und nach einigen Monaten erst nahmen die Zufälle des Körpers und Geistes, wie im Sommer die Farbe, merklich ab.
Am 30sten December 1771 überfiel mich ein epidemisches hitziges Fieber, das ohne Zweifel eins der heftigsten war. Schon am dritten Tage soll ich wieder fast schwarz gewesen sein. Sie gebrauchten bei mir täglich 2 Stück Ihrer Morseillen. Auf mein ungestümes Anhalten verstattete Ihr Herr Sohn – Gott laß es ihm wohlergehn! – Aderlaß, Süßholzwasser und spanische Fliege, auch etwas Gurgelwasser. Am siebenten Tage der Krankheit, den 6ten Januar, erfolgte die Krisis, und von der Zeit an gebrauchte ich nichts weiter, als die Kuchen. Das Fieber verlor sich [78] etwa in der zehnten Woche, die Farbe nahm etwas ab. Hernach gebrauchte ich die Tropfen, und ich fieng erst im spätesten Sommer an, von den Ueberbleibseln dieser so schweren Krankheit und der Farbe der Haut ganz wieder hergestellt zu werden. Seit der Zeit habe ich mich sehr erträglich befunden, Fleisch, Kräfte, Heiterkeit des Gemüths gewonnen, und ich bin jetzt Menschen von schwächlicher Gesundheit gleich. Nach der Aussage der mehresten Leute ist meine Farbe im Gesichte ganz erträglich; obgleich nicht so natürlich weiß, als auf dem Leibe und an den Händen. Ich enthalte mich bedächtlich, mit Ruhm und Lob von meiner glücklichen Veränderung zu sprechen; so sehr ich mich auch im Stillen oft darüber freue. Sonst möchte ich fast sagen, daß meinem Zustande nichts weiter fehlt, als ein Recept, welches weder Sie, noch sonst der größteDoctor Medicinae schreiben kann.
Kann ich den gebrauchten Mitteln den ganzen oder halben Antheil meiner Genesung absprechen? Wenn ich nur zur Mittagsstunde sehr hungrig bin; mein wohlthätiger Freund speiset und tränket mich, und ich gehe satt aus seinem Hause: so bin ich ohne Zweifel schuldig, mit dankbarem Gemüth zu sagen: Mein Freund hat mich gesättigt. Zu gleicher Verbindlichkeit halte ich auch den Kranken gegen den Arzt verpflichtet. Mithin sage ich auch: Sie haben mir mit Ihrer Hülfe eine Erleichterung [79] verschafft, die ich immer mit Dank zu erkennen habe. Ihnen verdanke ich es, daß ich am Leben erhalten, von meinen Plagen befreit, wider viele sehr nahe und betrübte Unfälle geschützt, und zu einer erträglichen Gesundheit verholfen bin. Haben ihre Mittel dazu das ihrige gethan: wie könnte ich entweder so unvernünftig, oder so ungerecht sein, denselbigen einigen Antheil an meiner Farbe beizumessen. So starken Schein auch daraus hervorleuchten möchte, daß ich beim Gebrauch der Mittel blau geworden bin: so fällt ja aller Verdacht hinweg, daß ich bei ebendenselben wieder weiß geworden bin; daß die Farbe sich immer verändert habe, je nachdem ich mich besser oder übeler befunden habe. Wenn ich fast natürlich weiß war: so ward ich ja in einem Augenblicke blau, wenn entweder Schmerzen mich zu quälen anfiengen, oder gewisse Gespräche geführt wurden, oder die Luft kälter ward. Ganz frei von allem Antheil an der Ursache zu meiner blauen Farbe spreche ich daher Ihre Mittel, und bis dahin werde ich bei dieser Meinung steif beharren, daß ein einsichtsvoller Arzt, Chemist, Apotheker, oder wer die Sache sonst richtig verstehen kann, mich aus richtigen Gründen überführt, daß van Swieten, Börhaave, oder diesen gleiche Aerzte es schon angemerkt haben, daß ein Arzt auch ein Menschenfärber durch innerliche Mittel sein könne, oder daß dieser mich deutlich unterrichtet, wie er Ihre Mittel versucht und untersucht, und nun befunden [80] habe, daß sie blau färben. Das hin und her Schnacken kann wohl Menschen betäuben; vernünftige Leute müssen sich aber dadurch nicht einnehmen lassen; Gewäsche muß man den Wäschern überlassen. Ich will ordentlich und gründlich überzeugt sein. Ich werde darin doch nicht unbillig handeln? Sie haben mich durch mehr als ein Dutzend medicinische Schriftsteller überzeugt, daß es eine Krankheit giebt, bei der der Mensch blau wird; und keiner dieser Schriftsteller setzt hinzu: ein Mensch kann auch durch einen Arzt blau gefärbt werden. Ich bin also Ihnen die Gerechtigkeit schuldig, bei diesem Urtheile so lange zu beharren, bis ich durch bessere Gründe vom Gegentheile überzeugt werde.
Mehr denn zu oft haben wackere Aerzte das widrige Schicksal, daß Kranke unter den Lasten ihres Elendes und Schmerzes mit Jammern und Aechzen Hülfe bei ihnen suchen, daß diese dann den äußersten Gehorsam gegen seine Rathschläge, und die vollkommenste Erkenntlichkeit für seine Mittel und Bemühungen versprechen, unter der Cur aber den versprochenen Gehorsam nicht erfüllen, den glücklichen Ausgang der Heilung verhindern, und alsdann die Schuld ihres oft noch größern Elendes dem Arzte und denen von ihm gereichten Mitteln beimessen. Oft findet man Leute von so niederträchtigem Charakter, daß sie Lästerungen, Scheltworte und Flüche hinter dem [81] Arzte herspeien. Diese machen es mit dem Arzt, wie viele Buben mit Gott selbst. Wenn diese lange genug ihren Lüsten und Lastern gedient haben, und endlich den Lohn ihrer Ungerechtigkeiten empfangen: so sagen sie mit unverschämter Stirne: das Kreuz hat mir Gott zugeschickt, und ich muß es nun tragen. Mit diesem Laster der Undankbarkeit möchte ich nie mein Gewissen und Wandel beflecken. Ich muß folglich auch dagegen kämpfen. Dabei erinnere ich mich oft an alle die Mühe und Sorgfalt, mit welcher in den Jahren 55, 56, 57 Herr Doctor Droysen in Greifswalde, und in den Jahren 58 bis 62 Herr Assessor Carisius, meine geneigten Gönner und großmüthigen Wohlthäter, gesucht haben, mir Hülfe zu verschaffen; auch bekenne ich es, daß Sie mir die größten Vortheile bereitet haben, und ich bin ihnen zu der äußersten Erkenntlichkeit auf ewig verpflichtet. Oft erinnere ich mich mit dankendem Herzen daran, wie viele Häuser und einzelne Personen mich besonders in den letzten Jahren an sich gezogen, an ihren Tischen gespeiset und getränket, bald in ernsthafte, bald in scherzhafte Gespräche und unschuldige Spiele geführt haben, damit ich doch wenigstens auf eine kurze Zeit vom quälenden Grame befreiet würde. Mehr denn ein Viertelhundert solcher Häuser müßte ich nennen, die ohne mich immer glücklich genug sind, und doch um meine dankbarste Hochachtung sich verdient gemacht haben. Könnte ich bei dieser Gelegenheit meines[82] Schindlers vergessen, der mir fast die andere Hälfte gewesen ist? Ich will allem Leichtsinn bei allem, was ich thue und was mir begegnet; widerstreben. Ich will allem ungefärbten Dank nachjagen. Ich will, da alles unter der Regierung Gottes geschieht, auf alles Acht haben. Ich will auch Wohlthaten, von Menschen genossen, mit dankbarem Herzen erkennen; und kann ich meinen Wohlthätern selbst keine Erkenntlichkeit erweisen: so will ich es dahin gestellt sein lassen, ob ich Gelegenheit finden möge, ihrem Saamen nach ihnen Gefälligkeiten zu erweisen.
Haben Sie sich nun meiner in meinem tiefen Elende als Arzt und Freund mit aller Treue angenommen: so überlasse ich es Ihnen zu beurtheilen, wie groß meine Verbindlichkeit gegen Sie ist. Ich will, wenn's möglich ist, nichts vergessen. Vergesse ich aber auch alles: so wird mir doch die Geschichte nicht entfallen, die wir, wenn ich nicht irre, 1768 zu Anfange des Octobers hatten. Ich kam am Morgen im Schlafrocke zu Ihnen, sprach mit Ihnen über meinen Zustand. Ich war ganz Gefühl, und weinte, klopfte ihre Wangen, küßte Sie, bat, flehete: Helfen Sie doch, wenn es möglich ist. Sie antworteten, wie ein Arzt und rechtschaffener Freund. Zufällig trat Ihre Gemahlin, das Muster braver Frauen, ins Zimmer, und fragte mit Mienen, die Zärtlichkeit und Mitleiden ausdrückten: Was ist? Sie sagten es Ihr, weil ich nicht reden konnte. Sie, die mir [83] immer, wie eine Mutter ihrem Kinde, begegnet ist, schwamm sogleich in Thränen, reichte mir ihre Hand, sprach Worte der Lehre, der Ermahnung, des Trostes. Ich will sie ewig nicht vergessen.
Erlauben Sie mir nun, daß ich mich zum Schluß dieses Briefes richte. Mein Gemüth wird allzusehr erregt, als daß ich weiter schreiben könnte. Nur einen Umstand muß ich noch kürzlich mit Ihnen besprechen.
Sie haben mein eignes Urtheil über meinen vorigen und gegenwärtigen Zustand, auch die Wirkungen Ihrer Mittel an meinem Körper schriftlich zu haben begehrt. Zu was für einem Endzweck? Ich habe Sie deutlich darnach gefragt; Sie haben mir keine deutliche Antwort gegeben. Ich habe Ihre Absicht versteckt zu erforschen gesucht, aber vergebens. Ich mußte mir also mögliche Endzwecke denken. Er kann, dachte ich, es mit meiner Aeußerung machen, wie mit den Papieren über die glückliche Cur eines Nitschen. Und was nützt das? Er kann meinen Brief drucken lassen unter diesen oder andern Begleitungen. Und was läßt sich darüber denken? Ohne Ihr Vorwissen und Einwilligung übergebe ich nun meine Aeußerung dem Druck, und wünsche nur, daß Sie nichts davon erfahren mögen, ehe Sie das Exemplar wirklich besitzen. Nun kann auf diese Weise ein jeder Leser meine Gedanken scharf prüfen, und [84] wer mich aus triftigen Gründen auf Irrwegen findet, mich belehren und zurecht weisen.
Wofern ich Sie und mich recht kenne: so wird unsere Freundschaft so lange fortdauern, als wir beide vernünftig denken, redlich handeln und zärtlich empfinden. Ich bitte inständigst um die unveränderte Fortdauer ihrer Freundschaft weil mir daran so sehr viel gelegen ist. Ich versichre Sie, daß ich das beste Herz, mit Hochachtung und Dank erfüllt, gegen Sie hegen und erhalten will, weil es meine Pflicht ist. Gott lasse es Ihnen und Jedem, der Ihnen angehört, an keinem Guten mangeln!
Stralsund, den 13ten October 1773. H.G. Willich.