[363] Fünfundfünfzigste Erzählung.

Von der Schlauheit einer Spanierin, um die Bettelmönche um ein Vermächtniß ihres Mannes zu bringen.


In der Stadt Saragossa lebte ein Kaufmann, welcher, da er seinen nahen Tod voraussah und die Güter hergeben mußte, welche er vielleicht mit schlechten Mitteln erworben hatte, daran dachte, seine Sünden zu büßen, indem er alles den Bettelorden vermachte, ohne zu bedenken, daß dann seine Frau und seine Kinder nach seinem Ableben Hungers sterben würden. Als er nun sein Haus bestellt hatte, sagte er, daß man ein gutes spanisches Pferd, worin fast sein ganzes Vermögen bestand, zu dem höchsten möglichen Preise verkaufen und dieses Geld nach seiner Bestimmung vertheilen solle. Als das Begräbniß vorbei und die ersten Thränen vergossen waren, ging die Frau, welche auch nicht dümmer als Spanier sonst sind, war, zu dem Diener, welcher wie sie den letzten Willen ihres Mannes kannte, und sprach zu ihm: »Es scheint mir, daß ich an der Person meines Gatten, den ich so sehr liebte, genug verloren habe, um nicht auch noch des Restes meiner Güter verlustig zu gehen. Dennoch aber möchte ich nicht seinem Wort ungehorsam sein, sondern im Gegentheil noch mehr seinen Wünschen entsprechen; der arme Mann wollte Gott ein Opfer bringen, indem er nach seinem Tode eine solche Summe fortgab, während er, wie Ihr wißt, in seinem Leben nicht einen Thaler zu den größten Nothwendigkeiten hergeben wollte. Ich habe demnach beschlossen, daß wir das, was er durch seinen Tod beschlossen hat, noch besser ausführen wollen, als er es gethan hätte, wenn er vierzehn Tage länger gelebt hätte; ich werde für die Nothdurft meiner Kinder sorgen, es darf aber Niemand in der Welt etwas davon erfahren.« Als sie dann dem Diener das Versprechen, es geheim zu halten, abgenommen hatte, sprach sie weiter: »Ihr werdet das Pferd verkaufen; wenn Euch die Leute fragen, wie viel es kostet, so antwortet: Einen Dukaten. Ich habe aber eine sehr schöne Katze, die ich mit verkaufen will, und für diese fordert neunundneunzig Dukaten, so daß das Pferd und die Katze zusammen die hundert Dukaten einbringen, die mein Mann für das Pferd allein haben wollte.« Der Diener[364] erfüllte pünktlich den Befehl seiner Herrin; denn als er das Pferd über den Platz führte, die Katze im Arm, fragte ihn ein Edelmann, der das Pferd von früher kannte und zu besitzen gewünscht hatte, wieviel er rund dafür verlangte. Er antwortete: »Einen Dukaten.« »Ich bitte Dich, mache Dich nicht lustig über mich.« »Ich versichere Euch, Herr, daß es Euch nicht mehr als einen Dukaten kosten wird. Freilich ist es wahr, daß man zugleich die Katze mitkaufen muß, und diese kostet rund neunundneunzig Dukaten.« Sogleich bezahlte der Edelmann, welcher das für einen guten Handel hielt, einen Dukaten für das Pferd, und den Rest, wie er es verlangt hatte, worauf er seine Waare heimführte. Der Diener seinerseits trug sein Geld fort, worüber seine Herrin sich sehr freute und nicht verfehlte, den Dukaten, für den das Pferd verkauft worden war, an die armen Bettelmönche zu vertheilen, wie es ihr Gemahl bestimmt hatte, und das Uebrige zum Verbrauch für sich und ihre Kinder zurückbehielt.

»Meint Ihr nicht«, sagte Nomerfide, »daß diese Frau viel klüger war als ihr Mann, und daß sie ebensoviel Werth auf ihr Gewissen, als auf den Vortheil ihrer Wirthschaft legte?« »Ich glaube«, sagte Parlamente, »daß sie ihren Mann sehr geliebt hat; da sie aber sah, daß er vor seinem Tode sein Haus schlecht bestellt hatte, wollte sie, die sein Gemüth kannte, seinen Willen zum Besten seiner Kinder auslegen, was ich für sehr weise halte.« »Wie?« meinte Guebron, »haltet Ihr es denn nicht für einen großen Fehler, die Testamente der todten Freunde nicht genau auszuführen?« »Gewiß«, sagte Parlamente, »vorausgesetzt, daß der Testator bei Verstand war.« »Nennt Ihr es eine Verirrung«, fragte Guebron, »sein Gut der Kirche und den Bettelmönchen zu vermachen?« »Ich nenne es keine Verirrung«, sagte Parlamente, »wenn der Mensch den Armen giebt, was Gott in seine Macht gelegt hat; aber alles zu geben, was man beim Tode besitzt, und die Familie nachher dem Hunger auszusetzen, das kann ich nicht billigen; ich glaube, daß es Gott eben so angenehm ist, wenn man für die armen auf der Welt zurückgelassenen Waisen sorgt, welche, wenn sie nichts zu leben haben und von Armuth bedrückt sind, oft, anstatt ihre Väter zu segnen, sie verfluchen, wenn sie vom Hunger gequält werden; denn[365] der, welcher die Herzen kennt, kann nicht getäuscht werden und urtheilt nicht nach den Werken, sondern nach dem Glauben und der Liebe, welche man ihm erwiesen hat.« »Woher kommt es denn also«, fragte Guebron, »daß heute in allen Ständen der Geiz so eingewurzelt ist, daß die Mehrzahl der Menschen mit Almosen wartet, bis sie sich dem Tode nahe fühlen und Gott Rechenschaft ablegen sollen? Ich glaube, sie hängen so sehr an ihren Reichthümern, daß, wenn sie sie mit sich nehmen könnten, sie es sicher thäten; das ist aber die Stunde, wo ihnen das Gericht des Herrn mit größerer Schärfe vor Augen tritt, als in ihrer Todesstunde; denn alles, was sie zeitlebens gethan haben, Gutes und Schlechtes, steigt in diesem Augenblick vor ihnen auf. Das ist die Stunde, wo die Blätter unseres Gewissens aufgeschlagen sind, und wo Jeder darauf das Gute und Schlechte, was er gethan hat, lesen kann; denn die bösen Geister unterlassen nichts, was sie dem Sünder vor die Augen führen könnten, einerseits, um ihn zu dem Wahn zu bringen, gut gelebt zu haben, andererseits, um sie an der Barmherzigkeit Gottes zweifeln zu lassen, und das alles, um sie vom rechten Wege abzubringen.« Nomerfide sagte: »Es scheint mir, Hircan, daß Ihr eine diesbezügliche Geschichte wißt, ich bitte, erzählt sie uns, wenn der Inhalt dieser Gesellschaft würdig ist.« »Ich will wohl«, antwortete dieser, »obwohl es mir leid thut, etwas zu Ungunsten jener zu sagen, dürfen auch diese, da wir weder Könige, noch Herzöge, noch Grafen, noch Barone geschont haben, sich nicht für beleidigt halten, wenn wir sie auf gleiche Stufe mit so vielen angesehenen Leuten stellen. Auch sprechen wir ja nur von den Lasterhaften, denn wir wissen wohl, daß es achtbare Leute in allen Ständen giebt, und daß die guten für die schlechten nicht verantwortlich gemacht werden dürfen. Damit genug, beginnen wir nun unsere Geschichte.«

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TextGrid Repository (2012). Navarra, Margarete von. Erzählungen. Der Heptameron. Sechster Tag. 55. Erzählung: [Von der Schlauheit einer Spanierin]. 55. Erzählung: [Von der Schlauheit einer Spanierin]. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-5F8A-D