[306] Dreiundvierzigste Erzählung.

Die Verstellung einer Hofdame, welche ihre Liebe verbergen zu können denkt, scheitert an dem Uebermaß derselben.


In einem schönen Schlosse wohnte eine sehr angesehene und hochstehende Prinzessin, welche in ihrer Gesellschaft eine äußerst vermessene Dame namens Camilla hatte, unter deren Einfluß sie in so hohem Grade stand, daß sie nichts, ohne sie um Rath zu fragen, unternahm und sie für die weiseste und tugendhafteste Frau ihrer Zeit hielt. Diese Camilla verfolgte alle Liebe so sehr, daß sie, wenn sie einen Edelmann in eins der Hoffräulein verliebt sah, dieselbe so heftig ausschalt und einen so strengen Bericht darüber bei ihrer Herrin machte, daß auch diese sie oft tadelte; jedenfalls erwarb sie sich hierdurch mehr den Haß, als die Liebe der Hofgesellschaft. Sie selbst sprach nie anders zu einem Mann, als ganz laut und herrisch, so daß das Gerücht ging, sie sei eine geschworene Feindin aller Männer, obwohl das mit der Wirklichkeit nicht übereinstimmte, denn in Diensten ihrer Herrin stand ein Edelmann, in den sie aufs Aeußerste verliebt war. Die Liebe aber, da sie für ihren Ehrgeiz und ihren Ruf fürchtete, ließ sie jene Zuneigung verbergen. Nachdem sie aber diese Leidenschaft ein Jahr lang getragen hatte, und dieselbe durch die Möglichkeit, den Geliebten zu sehen und mit ihm zu sprechen, keine Linderung erfuhr, wie es sonst wohl der Fall ist, entbrannte sie so heftig, daß sie das letzte Mittel ergriff und schließlich sich entschloß, lieber ihrem Verlangen nachzugeben und Gott allein in ihr Herz schauen zu lassen, als daß es die Leute ihr anmerkten, die davon plaudern konnten. Nachdem sie diesen Entschluß gefaßt hatte, sah sie, als sie eines Tages im Zimmer ihrer Herrin war und auf eine Terrasse hinausschaute, ihren Geliebten dort auf und abgehen, und nachdem sie ihn so lange angeblickt hatte, als der sinkende Tag ihr ihn noch zu sehen erlaubte, rief sie ihren kleinen Pagen zu sich, zeigte ihm den Edelmann und sagte ihm: »Siehst Du wohl den mit dem dunkelrothen Seidenwamms und dem mit Luchsfell verbrämten Mantel? Eile zu ihm und sage ihm, einer seiner Freunde wolle ihn sprechen und warte auf ihn unten im [307] Gartenpavillon.« Sowie der Page fort war, ging sie durch das Kleiderzimmer ihrer Herrin in den Pavillon, nachdem sie die Haube über die Stirn gezogen und die Maske vor das Gesicht genommen hatte. Als der Edelmann an dem bestimmten Ort angelangt war, schloß sie sofort die beiden Thüren, welche den Zugang bildeten, und ohne ihre Maske abzunehmen, umarmte sie ihn heftig und sagte so leise als möglich: »Schon lange, mein Freund, hat meine Liebe zu Euch mich wünschen lassen, Ort und Gelegenheit, Euch zu sehen, zu finden; aber die Rücksicht auf meine Ehre ist eine Zeit lang so mächtig in mir gewesen, daß sie mich gegen meinen Willen gezwungen hat, mich zu verstellen. Aber nun hat die Gewalt meiner Liebe meine Furcht überwunden, und da ich Eure Ehrenhaftigkeit kenne, will ich, wenn Ihr mir versprecht, mich zu lieben, und Niemandem etwas davon sagen und auch nicht nachforschen wollt, wer ich bin, Euch meinerseits eine treue und ergebene Freundin sein und niemals einen anderen als Euch lieben. Aber ich möchte eher sterben, als daß Ihr erfahrt, wer ich bin.« Der Edelmann versprach, ihr ihren Wunsch zu erfüllen, und das machte es ihr leicht, nun auch seine Wünsche zu erfüllen, d.h. sie verweigerte ihm nicht, was er verlangte. Es war im Winter, ungefähr fünf oder sechs Uhr abends, so daß er nichts von ihr sehen konnte; als er ihr Kleid berührte, fühlte er, daß es Sammet war, den zu jener Zeit nur Damen vom Stande zur täglichen Kleidung trugen, und als er auch die Unterkleider befühlte, fand er, soweit bloßes Betasten ein Urtheil geben kann, daß alles gut gemacht und von feinem Gewebe war. Er that nun sein Möglichstes, ihre Liebe zu stillen, und sie ließ es auch nicht an sich fehlen; der Edelmann merkte auch, daß sie Frau war. Sie wollte nun schleunigst, wie sie gekommen war, zurückkehren; der Edelmann sagte ihr aber: »Ich schätze die Gnade, die ihr mir ohne mein Verdienst erwiesen habt, sehr hoch, aber noch höher werde ich sie veranschlagen, wenn Ihr mir eine Bitte gewährt. Ich bin so glücklich in Eurer mir zu Theil gewordenen Gunst, daß ich Euch anflehe, mir zu sagen, ob ich hoffen darf, dies Glück auch ferner zu genießen, und wie das geschehen könnte, denn da ich Euch nicht kenne, wüßte ich nicht, wie ich es anstellen sollte.« »Kümmert Euch nicht darum,« sagte die Dame, »jeden [308] Abend vor dem Abendessen meiner Herrin werde ich nicht verfehlen. Euch rufen zu lassen; seid nur immer zu derselben Stunde wie heute auf der Terrasse. Ich werde Euch allein kommen lassen, und erinnert Euch, was Ihr mir versprochen habt. Ich will also sagen, daß ich Euch immer hier in diesem Pavillon erwarten werde; hört Ihr aber, daß es zum Essen geht, so könnt Ihr für diesen Tag Euch wieder zurückziehen oder in das Zimmer meiner Herrin kommen. Vor allem aber bitte ich Euch, versucht niemals erfahren zu wollen, wer ich bin, denn dann wäre es mit unserer Freundschaft zu Ende.« Die Dame und der Edelmann gingen darauf in ihre Wohnungen zurück. Lange setzten sie dieses Leben fort, ohne daß er herausbekam, wer sie war, so daß die Frage, wer es sein könnte, schließlich seine Phantasie lebhaft beschäftigte. Er konnte sich nämlich nicht anders denken, als daß eine Frau, die geliebt sein wollte, auch gesehen sein wollte, und er begann zu zweifeln, ob es nicht am Ende ein böser Geist sei, da er einen dummen Prediger einmal hatte sagen hören, daß, wer den Teufel von Angesicht zu Angesicht gesehen hätte, ihn niemals lieben könnte. In diesem Zweifel beschloß er, herauszubekommen, wer diejenige sei, die ihm so viel Freundlichkeit erwies. Das nächste Mal, als sie ihn rufen ließ, nahm er ein Stück Kreide mit sich, und indem er sie umarmte, machte er ihr, ohne daß sie es merkte, einen Strich auf die Schulter. Sobald sie fortgegangen war, eilte der Edelmann in das Zimmer seiner Herrin und hielt sich an der Thür, um den eintretenden Damen hinten auf die Schulter blicken zu können. Unter anderen sah er auch Camilla eintreten, mit kühnem Blick, so daß er wie alle anderen sie kaum anzusehen wagte, ganz sicher, daß sie es nicht sein könnte. Sowie sie an ihm aber vorbei war, sah er das weiße Kreuz, worüber er so erstaunte, daß er kaum seinen Augen traute. Als er aber genau ihren Wuchs betrachtete, der dem ihm bekannten ähnelte, und ebenso die Gesichtszüge denen glichen, die sich ihm durch das Gefühl eingeprägt hatten, zweifelte er nicht mehr, daß sie es sei. Er war sehr erfreut, daß eine Frau, welche im Rufe stand, nie einen Freund gehabt, vielmehr viele angesehene Edelleute zurückgewiesen zu haben, ihm allein sich zugewendet hatte. Die Liebe aber, die nie ruht, körnte nicht dulden, daß er lange in dieser [309] Ruhe fortlebte; sie machte ihn vielmehr so verwegen und hoffnungsvoll, daß er beschloß, ihr seine Liebe zu erklären, indem er meinte, daß, wenn sie ihr bekannt wäre, die ihre nur zunehmen würde. Eines Tages, als die Prinzessin im Garten spazieren ging, ging Camilla in einer Allee auf und ab. Der Edelmann trat, da er sie allein sah, auf sie zu, um sie zu unterhalten, und indem er that, als kenne er sie garnicht weiter, sagte er zu ihr: »Schon lange trage ich eine Neigung in meinem Herzen, welche ich aus Furcht, Euer Mißfallen zu erregen, Euch zu gestehen nicht wagte; ich bin aber so krank darüber geworden, daß ich diese Last nicht mehr ertragen kann, ohne zu sterben, denn kein Mann kann Euch so lieben, wie ich es thue.« Camilla ließ ihn seine Rede nicht beenden und sagte ihm in höchstem Zorn: »Habt Ihr jemals vernommen, daß ich einen Freund und Diener gehabt habe? Gewiß nicht. Ich bin erstaunt, wo Ihr die Kühnheit hernehmt, zu einer ehrbaren Frau, wie ich bin, in dieser Weise zu sprechen. Ihr habt doch lange genug in meiner Umgebung gelebt, um zu wissen, daß ich keinen anderen als meinen Mann liebe; deshalb hütet Euch, mir solche Worte zu wiederholen.« Als der Edelmann diese große Verstellung sah, konnte er nicht umhin, zu lachen und sagte ihr: »Ihr seid nicht immer so streng wie jetzt. Ist es nicht mehr werth, eine vollkommene als nur eine halbe Freundschaft zu besitzen?« Camilla antwortete: »Ich habe für Euch weder eine vollkommene noch unvollkommene Freundschaft, sondern nur die, welche ich für die anderen Diener der Prinzessin hege. Wenn Ihr aber mit Euren Reden fortfahrt, könnte ich Euch leicht so zu hassen beginnen, daß es Euch gereuen würde.« Der Edelmann stand aber nicht ab und sagte: »Und wo ist die Freundlichkeit, die Ihr mir entgegen bringt, wenn ich Euer Angesicht nicht sehen kann? Weshalb beraubt Ihr mich derselben jetzt, wo das Tageslicht mir Eure Schönheit von so vollkommener Anmuth begleitet zeigt?« Camilla bekreuzigte sich und sagte: »Ihr habt den Verstand verloren oder Ihr seid der ärgste Lügner auf der Welt, denn ich weiß doch, daß ich Euch niemals mehr oder weniger freundlich als heute empfangen habe; ich bitte Euch, sagt mir, was Ihr meint.« Der arme Edelmann dachte sie nur ganz zu gewinnen, sprach ihr von dem Ort [310] an dem er sie träfe, und von dem Kreuz, an dem er sie erkannt hätte. Sie wurde darüber so zornig, daß sie ihm sagte, er sei der verworfenste Mensch der Welt und habe gegen sie ein so niedriges Lügengewebe ausgesonnen, daß er es bereuen solle. Er wußte, welches Ansehen sie bei ihrer Herrin genoß, und wollte sie beruhigen. Es gelang ihm aber nicht. Als er sie verließ, ging sie voller Wuth zu ihrer Herrin, die alle andere Begleitung fortschickte, um mit Camilla, welche sie sehr liebte, allein zu sprechen, und da sie sie so in Zorn fand, fragte sie, was sie habe. Camilla wollte es ihr nicht verschweigen und erzählte ihr die Anträge, die der Edelmann ihr gemacht habe, und zwar verdrehte sie dieselben so zu Ungunsten des armen Edelmannes, daß noch am selben Abend die Prinzessin ihm sagen ließ, er habe sich sofort und ohne vorher noch mit irgendwem zu sprechen, auf sein Schloß zurückzuziehen und dort zu bleiben, bis sie ihn wieder holen lasse. Er beeilte sich aus Furcht vor einer härteren Strafe, dem Befehl schleunigst nachzukommen. So lange Camilla bei der Prinzessin blieb, lehrte der Edelmann nicht an den Hof zurück, horte auch später nichts mehr von derjenigen, die ihm von vornherein gesagt hatte, daß er sie verlieren würde, wenn er Nachforschungen nach ihrer Person anstellen würde.

Hiermit beendete Guebron seine Erzählung und fuhr dann fort: »Hieraus könnt Ihr also sehen, meine Damen, wie die, die ihren Ruf vor der Welt ihrem Gewissen vorgezogen hatte, schließlich beides verlor, denn heute weiß jeder, was sie vor ihrem Mann und ihrem Geliebten verbergen wollte, und indem sie dem Spott der Einen aus dem Wege gehen wollte, hat sie nur den Spott Aller auf sich gezogen. Sie kann sich auch nicht mit der Einfalt einer naiven Liebe entschuldigen, mit der Jeder Mitleid haben muß. Vielmehr muß man ihr vorwerfen, ihr heimliches Thun mit dem Mantel äußerlicher Ehrbarkeit und eines guten Rufes umkleidet und sich vor Gott und den Menschen anders gestaltet zu haben, als sie wirklich war. Der aber, der den Menschen, indem er ihre Verstellung aufdeckt, keine Belohnung austheilt, wird sie doppelt bestrafen.« »Das ist eine unentschuldbare, schlechte Frau«, sagte Oisille, »denn wer möchte für sie eintreten, wenn Gott, die Ehre und selbst die [311] Liebe sie verurtheilen?« »Wer?« fragte Hircan, »nun die Thorheit und das Vergnügen, denn das sind zwei mächtige Beistände der Damen.« Parlamente sagte: »Wenn wir Euch gegenüber einen dieser beiden Anwälte hätten, so wäre unser Prozeß bald verloren. Die aber, welche sich von der Vergnügungssucht besiegen lassen, verdienen nicht mehr Frauen genannt zu werden, sondern sind wie die Männer, deren Wuth und Begierde nur ihre Ehre steigert. Denn ein Mann, welcher sich an seinem Feind rächt und ihn wegen einer Beleidigung tödtet, wird nur für einen um so besseren Kameraden gehalten, und ebenso steht es mit ihm, wenn er noch ein Dutzend Frauen neben seiner eigenen hat. Aber die Ehre der Frauen gründet sich auf anderes; auf Milde, Geduld und Keuschheit.« »Ihr sprecht nur von den Vernünftigen«, warf Hircan ein. Nomerfide sagte: »Wenn es keine Thörichten gäbe, so würden diejenigen, welche, um die weibliche Einfalt zu hintergehen, wünschen, daß man ihren Worten und ihrem Thun blindlings Glauben schenke, von ihrer Hoffnung recht weit entfernt sein.« Guebron sagte: »Ich bitte Euch, laßt mich Euch das Wort geben, um uns etwas in dieser Hinsicht zu erzählen.« Nomerfide antwortete: »Ich bin bereit, Euch eine Geschichte zu erzählen, die ebensosehr zum Lobe eines Liebenden gereicht, wie die Eure zum Tadel der thörichten Frauen.«

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TextGrid Repository (2012). Navarra, Margarete von. Erzählungen. Der Heptameron. Fünfter Tag. 43. Erzählung: [Die Verstellung einer Hofdame]. 43. Erzählung: [Die Verstellung einer Hofdame]. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-5F6E-D