Dreiundfünfzigste Erzählung.

Von der persönlichen Geschicklichkeit eines Prinzen, um ein ihm unangenehmes Liebesverhältniß seiner Geliebten mit einem Edelmann zu beseitigen.


Als der König Franz I. sich einmal in einem schön gelegenen Schlosse, wohin er sowohl um zu jagen als auch um eine Zeit lang sich auszuruhen, mit kleinem Gefolge gegangen war, aufhielt, hatte er in seiner Gesellschaft einen achtbaren, tugendhaften und schönen Prinzen, den keiner am Hofe übertraf. Derselbe hatte eine Frau von nicht eben großer Schönheit geheirathet, die er aber liebte und so gut behandelte, wie nur ein Mann seine Frau behandeln konnte. Er vertraute ihr auch so sehr, daß er es ihr nicht verheimlichte, wenn er einmal eine andere liebte, da er wußte, daß sein Wille auch der ihrige war. Der Prinz faßte ein lebhaftes Interesse für eine junge Witwe, welche den Ruf hatte, die schönste Frau zu sein, die man sehen konnte. Obwohl dieser Prinz sie sehr liebte, liebte seine Frau sie nicht minder, lud sie oft zu sich und fand sie so verständig und ehrbar, daß sie, anstatt über die Liebe [354] ihres Mannes zu jener betrübt zu sein, sich nur freute, daß er zu einer so ehrbaren und tugendhaften Dame Neigung gefaßt hatte. Lange Zeit dauerte dieses Freundschaftsverhältniß fort, so zwar, daß um alle Angelegenheiten dieser Dame der Prinz sich wie um seine eigenen bekümmerte, und die Prinzessin, seine Frau, that dies nicht minder. Wegen ihrer Schönheit bemühten sich aber viele hochstehende Herren und Edelleute um ihre Gunst, die einen nur um ihre Liebe, die anderen um ihre Hand, denn, abgesehen von ihrer Schönheit, war sie auch sehr reich. Unter anderen war da ein junger Edelmann, der ihr sehr nachstellte, morgens und abends bei ihrer Toilette anwesend war und auch so weit er konnte den ganzen Tag. Das gefiel dem Prinzen nicht sonderlich, da er meinte, daß ein Mann von so niederem Stande und von so geringer Anmuth nicht verdiene, so liebenswürdig aufgenommen zu werden. Er machte also oft der Dame Vorstellungen darüber. Sie aber, die eine Herzogstochter war, entschuldigte sich und sagte, sie spreche mit allen gleichmäßig freundlich, wodurch ihr Verhältniß nur noch besser verborgen bleibe, da die Leute sähen, daß sie zu dem einen so liebenswürdig wie zu dem anderen sei. Nach Verlauf einiger Zeit aber hatte dieser Edelmann, der sie heirathen wollte, sie so eifrig umworben, daß sie ihm, mehr um seinen Zudringlichkeiten zu entgehen als aus Liebe, versprochen hatte, ihn zu heirathen; sie bat ihn aber, nicht eher eine öffentliche Heirath zu verlangen, bis sie ihre Tochter verheirathet habe. Von nun an ging der Edelmann, ohne sich ein Gewissen daraus zu machen, zu jeder beliebigen Stunde in ihr Zimmer, und nur eine Kammerfrau und ein Diener waren in die Angelegenheit eingeweiht. Als der Prinz nun sah, daß der Edelmann immer mehr im Hause seiner Geliebten heimisch wurde, fand er das so ungehörig, daß er sich eines Tages nicht enthalten konnte, zu der Dame zu sagen: »Ich habe Eure Ehre immer wie die meiner leiblichen Schwester geliebt, und Ihr wißt, was für Vorstellungen ich Euch immer gemacht habe, und wie ich zufrieden gewesen bin, eine so verständige und tugendhafte Dame, wie Ihr seid, zu lieben. Wenn ich aber annehmen müßte, daß ein anderer aus reiner Zudringlichkeit von Euch das erlangen könnte, was ich mir selbst nicht gegen Euren Willen von Euch erwünsche, so wäre das für mich eine [355] unerträgliche und für Euch nicht minder unehrenhafte Sache. Ich sage Euch das, weil Ihr jung und schön seid und bisher in gutem Rufe gestanden habt, während jetzt allerhand Gerüchte, Euch betreffend, herumlaufen. Denn obgleich er nicht aus eben so hohem Hause und Euch auch nicht an Gütern und Ansehen noch auch an Verstand und Anmuth gleich ist, wäre es doch viel besser, daß Ihr ihn geheirathet hättet, als daß Ihr jetzt allen Leuten Veranlassung zum Gerede gebt. Deshalb bitte ich Euch, sagt mir, ob Ihr entschlossen seid, ihn zu lieben. Ich will ihn nicht zum Genossen haben und überlasse ihn Euch ganz, indem ich meine Neigung für Euch aufgebe.« Die Dame begann zu weinen, da sie befürchtete, seine Freundschaft zu verlieren, und schwur ihm, daß sie lieber sterben wolle, als den Edelmann, von dem er spreche, heirathen; er sei aber so zudringlich, daß sie ihm nicht verwehren könne, daß er zu einer Zeit, wo auch andere kämen, ihr Zimmer beträte. »Von dieser Zeit spreche ich nicht, denn da kann ich so gut wie er zu Euch kommen, und ein jeder kann sehen, was Ihr thut. Aber man hat mir auch erzählt, daß er zu Euch kommt, wenn Ihr zu Bett gegangen seid, und das finde ich so sonderbar und ungehörig, daß, wenn Ihr dieses Leben fortsetzt und ihn nicht für Euren Gatten ausgebt, Ihr eine ganz ehrlose Frau seid.« Sie schwor ihm hoch und theuer, daß er weder ihr Gatte noch ihr Freund sei, und daß sie ihn nur für einen sehr zudringlichen Edelmann halte. Nun sagte der Prinz: »Wenn dem so ist, daß er Euch belästigt, so will ich Euch von ihm befreien.« »Wie«, fragte sie, »wollt Ihr ihn tödten?« »Nein, nein«, antwortete jener, »aber ich werde ihm zu wissen geben, daß dies weder der Ort noch das Haus ist – welches dem königlichen nicht nachsteht – wo man Damen in üblen Ruf bringt. Und ich schwöre Euch bei meiner Freundschaft für Euch, daß, wenn er, nachdem ich mit ihm gesprochen habe, sich nicht zur Strafe zurückzieht, ich ihn so strafen werde, daß die anderen sich ein Beispiel daran nehmen können.« Mit diesen Worten entfernte er sich, und als er aus dem Zimmer trat, stieß er gerade auf den fraglichen Edelmann, der eben eintreten wollte. Er sagte ihm alles was er sich vorgenommen hatte, und versicherte ihm, daß er das erste Mal, wo er ihn außer der Zeit, wo Edelleute Damen besuchen [356] dürfen, hier antreffen werde, ihm eine solche Furcht einjagen werde, daß er sich zeitlebens daran erinnern solle, und daß die Dame von zu hohem Stande sei, um sie nur als eine Kurzweil anzusehen. Darauf versicherte ihm der Edelmann, daß er niemals bei der Dame zu anderer Zeit wie die anderen auch gewesen sei und daß, wenn er ihn zu ungehöriger Stunde dort fände, es ihm freistehe, ihm das Schlimmste, was er ausfindig machen könnte, anzuthun. Als nun einige Tage später der Edelmann dachte, daß der Prinz seine Drohungen vergessen habe, besuchte er wieder eines Abends die Dame seines Herzens und blieb ziemlich lange bei ihr. Der Prinz erzählte seiner Frau, seine Angebetete habe sich sehr stark erkältet, weshalb die gute Frau ihn bat, sie auch zugleich in ihrem Namen zu besuchen und sie zu entschuldigen, daß sie nicht selbst kommen könne; sie hätte einige nöthige häusliche Geschäfte. Nun wartete der Prinz, bis der König sich zur Ruhe begeben hatte, und machte sich dann auf, um seiner Angebeteten guten Abend zu sagen. Als er aber die Treppe hinaufstieg, traf er einen Diener seiner Herrin, der hinunterging; er fragte ihn, was seine Herrin mache, worauf er versicherte, sie habe sich hingelegt und schlafe. Der Prinz stieg wieder hinunter, argwöhnte aber, daß der Diener gelogen habe. Er blickte sich also um und sah, wie der Diener in aller Eile wieder zurückging. Nun ging er im Hof vor der Thür auf und ab, um zu sehen, ob der Diener wieder herunterkommen würde. Eine Viertelstunde später sah er ihn die Treppe herabkommen und sich nach allen Seiten umschauen, ob jemand im Hofe wäre. Sofort ahnte der Prinz, daß der Edelmann im Zimmer der Dame sei und aus Furcht vor ihm nicht herunterzukommen wage. Er ging nun noch lange auf und ab, und da er bemerkte, daß das Zimmer seiner Dame ein nicht sehr hohes sei und ein nach dem Garten gehendes Fenster habe, dachte er an das Sprüchwort: »Wer nicht durch die Thür entweichen kann, steigt zum Fenster hinaus.« Er rief also seinen Diener und sagte ihm: »Gehe in den Garten hier hinten, und sobald Du einen Edelmann zum Fenster hinausspringen siehst und er unten angekommen ist, ziehe Deinen Degen, schlage damit gegen die Mauer und rufe: ›Tödtet ihn, tödtet ihn‹; aber hüte Dich, ihm etwas zu thun.« Der Diener begab sich an den ihm angewiesenen Platz, und der [357] Prinz ging bis ungefähr drei Uhr morgens auf und ab. Als der Edelmann hörte, daß der Prinz immer noch im Hofe sei, entschloß er sich, zum Fenster hinauszuspringen, und nachdem er erst seinen Mantel hinuntergeworfen hatte, sprang er mit Hülfe seiner Freundin nach. Sobald der Diener ihn jedoch sah, klirrte er laut mit seinem Degen und rief darauf: »Tödtet ihn!« Der arme Edelmann dachte nicht anders, als es wäre der Prinz selbst, Furcht ergriff ihn, und indem er seinen Mantel zurückließ, floh er in möglichster Eile und fand am Thor die Schaarwächter, die sehr verwundert waren, ihn so laufen zu sehen. Er sagte ihnen aber nichts, sondern bat sie nur, ihm das Thor aufzumachen, oder ihn bis zum anderen Morgen in ihrer Wachtstube aufzunehmen; sie thaten letzteres, denn sie hatten keine Schlüssel. Der Prinz ging nun nach seiner Wohnung zurück, und da er seine Frau schlafend fand, weckte er sie auf und sagte zu ihr: »Schläfst Du, meine Liebe? Wie spät ist es denn?« »Seitdem ich mich abends zu Bett gelegt habe, habe ich die Uhr nicht mehr schlagen hören.« Er sagte: »Es ist drei Uhr vorbei.« »Wo seid Ihr so lange gewesen? Ich fürchte, daß Eure Gesundheit darunter leidet.« Der Prinz antwortete: »Ich werde niemals vom Wachen krank werden, wenn ich damit diejenigen vom Schlafe abhalte, welche mich zu täuschen glauben.« Während er das sagte, lachte er so laut, daß sie ihn bat, ihr zu erzählen, was vorgefallen sei. Er erzählte es ihr in aller Länge, zeigte ihr die Beute, die sein Diener mitgebracht hatte, und nachdem sie lange auf Unkosten der armen Leute gelacht hatten, schliefen sie eben so ruhig ein, als die anderen in Furcht und Unruhe schwebten, daß ihre Angelegenheit aufgedeckt werden könnte. Da der Edelmann aber wußte, daß er den Prinzen nicht hintergehen konnte, kam er des andern Morgens zu ihm, bat sich seinen Mantel aus und flehte, die Sache geheim zu halten. Der Prinz that, als wüßte er garnichts und blieb so ernst und ruhig, daß der Edelmann nicht wußte, was er glauben solle. Später aber erhielt er einen Bescheid, den er nicht erwartet hatte; der Prinz ließ ihm nämlich melden, daß, wenn er jemals zurückkehrte, er es dem König sagen und ihn vom Hofe verbannen lassen werde.

Hiermit beendete Emarsuitte ihre Erzählung und fuhr dann [358] fort: »Nun urtheilt selbst, meine Damen, ob es nicht viel besser gewesen wäre, wenn diese Dame freimüthig alles dem erzählt hätte, der ihr mit seiner Liebe und Achtung so große Ehre erwies, als sich zu verstellen, bis alles auf eine Weise an den Tag kam, die nur schimpflich für sie war?« Guebron sagte: »Sie wußte aber sehr wohl, daß, wenn sie ihm alles erzählte, sie seine Gunst, die sie um keinen Preis verlieren wollte, gänzlich verlieren würde.« »Mir scheint«, sagte Longarine, »wenn sie einmal einen Gatten aus freier Wahl genommen hatte, so konnte ihr der Verlust der Freundschaft aller übrigen gleichgiltig sein.« Parlamente sagte: »Ich glaube wohl, daß, wenn sie ihre Heirath bekannt gegeben hätte, sie sich auch mit ihrem Manne begnügt haben würde; da sie dieselbe aber bis zur Verheirathung ihrer Tochter geheim halten wollte, wollte sie einen so ehrbaren Vorwand nicht aufgeben.« »Das ist es nicht«, wandte Saffredant ein, »es liegt nur daran, daß der Ehrgeiz der Frauen so groß ist, daß sie sich niemals mit einem Mann allein begnügen. Ich habe gehört, daß selbst die verständigsten gern drei haben einen für die Ehre, einen für den Nutzen und einen für das Vergnügen; jeder der drei glaubt immer am meisten geliebt zu sein, aber die beiden ersten dienen nur dem letzten.« Oisille sagte: »Ihr sprecht von solchen, die weder Ehre noch Liebe haben.« Saffredant sagte: »Unter den von mir Geschilderten giebt es solche, die Ihr gewiß für die ehrbarsten Frauen des Landes haltet.« »Glaubt mir nur«, sagte Hircan, »eine kluge Frau versteht immer zu leben, wo hundert andere Hungers sterben.« Longarine sagte: »Ist ihre Schlauheit aber erst bekannt, so ist es ihr Tod.« »Im Gegentheil, das Leben«, sagte Simontault, »denn sie rechnen es sich zu nicht geringem Ruhm, für klüger als ihre Genossinnen gehalten zu werden, und die Bezeichnung ›kluge Frauen‹ bringt viel mehr als ihre Schönheit ihre Anbeter in ihre Netze, obwohl sie ihren Namen nur auf ihre Kosten erlangt haben; denn unter Liebenden bereitet es mit das größte Vergnügen, ihr Verhältniß klug geführt zu haben.« Emarsuitte sagte: »Ihr sprecht also nur von einer verwerflichen Liebe, denn eine wahre braucht keinen Deckmantel.« Dagoucin sagte: »Ich bitte Euch, gebt diese Meinung auf, denn je kostbarer ein Getränk ist, um so weniger müssen andere etwas davon wissen, [359] wegen des schlechten Geredes derer, die sich nur an die äußeren Zeichen halten, und die ganz gleich ungläubig einer guten und einer schlechten Freundschaft gegenüber stehen. Man muß die Liebe deshalb eben so gut verborgen halten, wenn sie eine tugendhafte, als wenn sie das Gegentheil ist, um nicht dem absprechenden Urtheil derjenigen anheimzufallen, die nicht glauben wollen, daß ein Mann eine Dame wirklich in allen Ehren lieben könne, und die nur annehmen, daß, weil sie selbst der Genußsucht unterthan sind, es mit allen anderen ebenso sein müsse.« »Wenn wir aber alle ehrlich sind, so würde unser Blick und unsere Rede wenigstens denen nicht unklar sein, welche lieber sterben möchten, als Schlechtes voraussetzen.« »Ich versichere Euch, Dagoucin«, sagte Hircan, »daß Ihr eine so hohe Philosophie habt, daß kein Mensch sie versteht und Euch glaubt; Ihr wollt uns nämlich glauben machen, daß die Menschen Engel, Steine oder Teufel seien.« »Ich weiß wohl«, erwiderte Dagoucin, »daß die Menschen Menschen und den Leidenschaften unterworfen sind. Immerhin giebt es aber welche, die lieber sterben möchten, als daß um ihres Vergnügens willen ihre Herzensdame etwas gegen ihr Gewissen thäte.« Guebron sagte: »Es stirbt sich nicht so leicht; ich werde nicht daran glauben, und wenn es mir auch von dem ernsthaftesten und strengsten Mönch gesagt werden sollte.« Hircan sagte: »Aber ich glaube, daß es keine giebt, die nicht das Gegentheil wünschten; und wenn die Trauben so hoch sind, daß sie nicht erreichbar sind, thun sie, als liebten sie sie nicht.« Nomerfide sagte: »Jedenfalls glaube ich, daß die Frau des Prinzen sehr erfreut war, daß ihr Mann die Frauen kennen lernte.« Emarsuitte sagte: »Ich versichere Euch, es war nicht so, sie war nur betrübt, da sie ihn wahrhaft liebte.« »Dann ist mir die gerade so lieb«, sagte Saffredant, »welche nur lachte, als ihr Mann ihre Zofe küßte.« Emarsuitte sagte: »Das müßt Ihr uns erzählen, ich gebe Euch das Wort.« Saffredant sagte: »Die Geschichte ist nur kurz, ich will sie Euch aber doch erzählen; es ist mir lieber, wenn ich Euch damit zum Lachen bringe, als wenn ich lange spreche.«

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TextGrid Repository (2012). Navarra, Margarete von. Erzählungen. Der Heptameron. Sechster Tag. 53. Erzählung: [Von der persönlichen Geschicklichkeit eines Prinzen]. 53. Erzählung: [Von der persönlichen Geschicklichkeit eines Prinzen]. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-5F3A-3