Fünfundzwanzigste Erzählung.

Von der Schlauheit eines Prinzen, um zur Frau eines Pariser Advokaten zu gelangen.


In Paris lebte ein Advokat, der viele andere seines Standes übertraf, und da er wegen seiner Geschicklichkeit sehr gesucht war, war er der reichste seiner Collegen geworden. Von seiner ersten Frau hatte er keine Kinder gehabt; er hoffte deshalb welche von[208] einer zweiten und obwohl er schon alt war und von schwacher Körperconstitution, so war doch sein Herz und seine Hoffnung noch nicht gestorben. Er heirathete also ein Mädchen aus der Stadt, im Alter von 18–19 Jahren, sehr schön und blühenden Teints, vor Allem aber von ausgezeichneter Figur und vollen Formen. Er liebte sie und behandelte sie sehr gut, erhielt aber von ihr ebensowenig Kinder, wie von der ersten Frau. Auf die Dauer wurde ihr das langweilig. Und da die Jugend Langweile nicht liebt, suchte sie außer seinem Hause Zerstreuung, ging zu Tanz und zu Festlichkeiten, allerdings in allen Ehren, so daß ihr Mann nichts dagegen haben konnte; sie war immer in Gesellschaft von Damen, zu welchen er volles Vertrauen hatte. Eines Tages war sie zu einer Hochzeit geladen und traf dort mit einem hochstehenden Prinzen zusammen, der, als er mir diese Geschichte erzählte, ihn je zu nennen verbot. Nichtsdestoweniger kann ich Euch sagen, daß er der schönste und anmuthigste Mann war, den es bis dahin im Königreich gegeben hatte und den keiner auch in Zukunft übertreffen wird.

Als dieser Prinz die junge Dame sah, deren Augen und Gebahren ihn aufzufordern schienen, sie zu lieben, sprach er mit ihr in liebenswürdiger und unzweideutiger Weise, daß sie gern darauf einging, ihm auch offen sagte, daß sie schon seit lange in ihrem Herzen eine Liebe trage, die sie bereit sei, ihm zu schenken; so daß er sie garnicht zu bitten und sich Mühe zu geben brauche, sie zu einer Sache zu überreden, die ihre Liebe schon gleich bei seinem Anblick ihm zugebilligt habe. Als nun so der edle Prinz durch ihre Naivetät alles das erhielt, was sonst nur Zeit und Ausdauer erwerben lassen, dankte er Gott für diese offensichtliche Begünstigung und betrieb seine Angelegenheit von Stunde an so gut, daß sie zusammen die Möglichkeit verabredeten, sich fern von anderen sehen zu können. Zeit und Ort einmal verabredet, verfehlte der junge Prinz natürlich nicht, sich pünktlich einzufinden; um aber die junge Dame nicht zu compromittiren, ging er in Verkleidung. Aber wegen der abenteuerlustigen jungen Herren, welche nachts die Stadt durchschwärmten und mit denen er nicht zusammen kommen wollte, nahm er einige junge Edelleute, auf die er sich verlassen konnte, mit sich, [209] ließ sie aber am Eingang der Straße, in der die Dame wohnte, zurück, indem er ihnen sagte: »Wenn Ihr binnen einer viertel Stunde keinen Lärm schlagen hört, so geht nach Hause und holt mich gegen drei bis vier Uhr wieder hier ab.« Sie thaten so und da sie keinen Lärm hörten, entfernten sie sich. Der junge Prinz ging geradewegs zum Advokaten und fand die Thür offen, wie ihm gesagt worden war; als er aber die Treppe hinanstieg, traf er auf den Ehemann, der ein Licht in der Hand trug und ihn erkannte, bevor er ihn selbst noch recht gesehen hatte.

Die Liebe macht aber in der Noth klug und kühn; so ging der junge Mann gerade auf ihn zu und sagte ihm: »Herr Advokat, Ihr kennt das Vertrauen, welches ich und alle Glieder meines Hauses stets in Euch gesetzt haben, und Ihr wißt, daß ich Euch zu meinen besten und treuesten Freunden rechne. Ich habe Euch einmal ganz privatim besuchen wollen, sowohl um Euch meine Angelegenheiten ans Herz zu legen, als auch, um Euch zu bitten, mir etwas zu trinken zu geben, denn ich bedarf dessen sehr, und daß Ihr niemanden etwas sagen möchtet, denn von hier gehe ich an einen Ort, wo ich nicht erkannt sein will.« Der gute Alte war über die Ehre dieses ganz geheimen Besuches sehr erfreut, führte den jungen Prinzen ins Zimmer und befahl seiner Frau, Früchte und Eingemachtes zu bringen; sie arrangirte das alles sehr hübsch. Obgleich ihre Kleidung, ein Mantel und eine Haube, ihre Schönheit nur noch hob, that der Prinz als beachtete er sie garnicht, sprach vielmehr immer mit ihrem Gatten über seine Angelegenheiten, mit dem dieser ganz vertraut war. Als nun die Dame dem Prinzen die Confitüren darreichte und der Mann ins Büffet getreten war, um Wein zu holen, sagte sie ihm, er solle nicht verfehlen, wenn er das Zimmer verlasse, in eine Kleiderkammer rechts davon einzutreten, von wo sie ihn holen werde. Nachdem er getrunken, bedankte er sich bei dem Advokaten, der ihn durchaus begleiten wollte; er versicherte ihm aber, daß er nach dem Orte, wohin er wolle, keine Begleitung brauche. Dann wandte er sich an die junge Frau und sagte: »Ich will Euch auch nicht unnützer Weise Euren Mann entführen, der zu meinen ältesten und ergebensten Freunden zählt. Ihr müßt Euch in seinem Besitz glücklich schätzen und habt [210] alle Ursache, Gott zu danken und ihm zu dienen und zu gehorchen. Thätet Ihr anders, so wäret Ihr eine Unglückliche.«

Nach diesen Worten ging er fort und drückte die Thür hinter sich ins Schloß, damit man ihm auf der Treppe nicht nachkäme. Er ging in das Kleiderkabinet, wohin auch die Dame kam, nachdem ihr Mann fest eingeschlafen war. Dann führte sie ihn in ein aufs beste ausgestattetes Zimmer; trotz der vielen schönen Bilder darin, waren er und sie doch die schönsten; mochten sie nun bekleidet oder unbekleidet sein. Ohne Zweifel hielt sie ihm dort auch alle ihre Versprechen. Als die Stunde, die er seinen Edelleuten bestimmt hatte, schlug, zog er sich zurück und fand sie am verabredeten Orte. So dauerte das Leben eine lange Zeit; bald wählte der Prinz einen kürzeren Weg, um zu der Dame zu kommen. Er ging durch ein Kloster durch und hatte es mit dem Prior so gut arrangirt, daß immer um Mitternacht der Pförtner ihm das Thor öffnete und ebenso, wenn er zurückkam. Von da war das Hans nur noch wenige Schritte entfernt, deshalb nahm er keine Begleitung mehr mit. Obwohl er dieses Leben lange Zeit führte, war er doch ein so gottesfürchtiger Herr, daß er, wenn er sich auch beim Hingehen nicht aufhielt, doch nie verabsäumte, auf dem Rückwege lange in der Kirche seine Andacht zu verrichten. Das brachte ihm bei den Mönchen, die, wenn sie zur Frühmette kamen oder gingen, ihn auf den Knieen beten sahen, den Ruf eines sehr frommen Mannes ein. Der Prinz hatte eine Schwester, die dieses Kloster oft besuchte; sie hatte ihn über alles lieb und bat daher alle ihre gottesfürchtigen Bekannten, ihn in ihre Gebete einzuschließen. Eines Tages, als sie ihn ganz besonders dem Prior jenes Klosters ans Herz legte, sagte dieser: »Wen empfehlet Ihr mir da, Prinzessin? Ihr sprecht mir von einem Menschen, dessen Gebet ich lieber anempfohlen sein möchte, denn wenn dieser nicht fromm und gerecht ist (wie es ja heißt, glücklich ist der, der Böses thun könnte und es nicht thut), kann ich auch nicht hoffen, als solcher erfunden zu werden.« Die Prinzessin wollte wissen, was denn für eine besondere Kenntniß der Prior von der Frömmigkeit ihres Bruders hatte und drang so in ihn, daß er es ihr schließlich unter dem Siegel der Verschwiegenheit mittheilte und ihr sagte: »Ist es nicht[211] etwas Wunderbares, daß ein junger und schöner Prinz die Vergnügungen und seine Nachtruhe verläßt, um recht oft die Frühmette bei uns zu hören, und nicht, um als Prinz damit Ehre einzulegen, sondern allein ganz wie unsereiner sich in einer kleinen Kapelle aufhaltend? Diese Frömmigkeit bringt selbst meine Brüder und mich in Verlegenheit, und neben ihm sind wir gar nicht werth, Gottes Diener zu heißen.« Die Schwester wußte nicht, was sie nach diesen Worten glauben sollte; es war ihr wohl bekannt, daß ihr Bruder, obwohl er auch weltlichen Vergnügungen nachging, sehr fromm und gottesfürchtig war; daß er aber zu solcher Stunde in die Kirche ging, das hätte sie nie geglaubt. Sie ging deshalb zu ihm und erzählte ihm von der guten Meinung, die die Mönche von ihm hätten. Er konnte sich des Lächelns hierüber nicht erwehren, und da sie ihn so gut wie sich selbst kannte, ward ihr klar, daß unter dieser Frömmigkeit etwas verborgen sei. Sie ruhte auch nicht, bis er es ihr erzählt hatte, genau so, wie sie es mir dann mittheilte und ich es jetzt wiedergegeben habe.

»Hieraus sollt Ihr nur entnehmen«, fuhr Longarine fort, »daß kein Advokat und kein Mönch so schlau ist, den nicht im Nothfalle Amor übertrumpft. Deshalb sollten wir einfältigen Leute auf unsrer Hut vor ihm sein.« Guebron sagte: »Ich will diesen Punkt nicht weiter untersuchen, aber der Prinz scheint mir in seinem Thun jedenfalls sehr lobenswerth. Denn man sieht sehr wenige große Herren, die nach der Ehre der Frauen und ihrem Ruf im Publikum fragen, wenn sie nur ihr Vergnügen haben; oft sind sie nur der Grund, daß man noch Schlimmeres von ihnen sagt, als wirklich vorliegt.« »Ich möchte«, bestätigte Oisille, »daß alle jungen Edelleute sich daran ein Beispiel nähmen, denn oft ist der Skandal größer als das Vergehen.« »Nun bedenkt aber«, warf Nomerfide ein, »wie von Herzen seine Gebete im Kloster gekommen sein mögen.« »Darüber läßt sich nicht so einfach urtheilen«, sagte Parlamente; »vielleicht überfiel ihn auf der Rückkehr wirklich die Reue und zwar so sehr, daß er damit sein Vergehen sühnte.« Hircan meinte: »Es ist sehr schwer, über eine so angenehme Sache Reue zu empfinden. Was mich wenigstens anbetrifft, so habe ich allerdings oft genug dergleichen Dinge zu beichten gehabt, aber nie bereut.« »Dann wäre [212] es schon besser, garnicht zu beichten, wenn man keine Reue empfindet«, sagte Frau Oisille. »Gewiß, edle Frau«, sagte Hircan, »die Sünde mißfällt mir sehr, und ich bin betrübt, Gott zu beleidigen, aber das Vergnügen gefällt mir auch.« »Ihr und Euresgleichen«, warf Parlamente ein, »möchtet überhaupt lieber, daß es keinen Gott gebe und kein anderes Gesetz, als Eure Vergnügungssucht Euch vorschreibt.« »Ich gebe zu«, antwortete Hircan, »daß ich wünschte, Gott fände ebensoviel Gefallen an unseren Vergnügungen wie ich; ich würde ihm dann oft Gelegenheit sich zu erfreuen geben.« Guebron sagte: »Immerhin werdet Ihr keinen neuen Gott schaffen; wir müssen also dem gehorchen, den wir einmal haben. Aber überlassen wir den Theologen diese Streitigkeiten, damit Longarine das Wort weiter geben kann.« »Ich gebe es Saffredant«, sagte diese, »aber ich bitte ihn, uns etwas Gutes zu erzählen und ebensowenig darauf auszugehen, von den Damen Schlechtes zu sagen, als dort, wo er etwas Gutes berichten könnte, nicht bei der Wahrheit zu bleiben.« Saffredant sagte: »Ich bin bereit; ich weiß eine Geschichte von einer klugen und einer thörichten Frau. Ihr mögt hieraus entnehmen, was Euch gefällt, und werdet sehen, daß, wie Amor schlechte Menschen Schlechtigkeiten begehen läßt, er in einem ehrbaren Herzen würdige und lobenswerthe Entschließungen reifen läßt. Amor an sich ist nämlich gut, nur die Schlechtigkeit der Personen läßt ihn seine Beinamen eines leichtgläubigen, grausamen und anstandslosen Gottes erhalten. Aus der Geschichte, die ich Euch erzählen will, könnt Ihr aber entnehmen, daß die Liebe das Herz nicht ändert, sondern es in seiner wahren Natur zeigt, als ein thörichtes bei Thörichten, und als ein vernünftiges bei Vernünftigen.«

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TextGrid Repository (2012). Navarra, Margarete von. Erzählungen. Der Heptameron. Dritter Tag. 25. Erzählung: [Von der Schlauheit eines Prinzen]. 25. Erzählung: [Von der Schlauheit eines Prinzen]. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-5F1F-1