[3] Erster Theil

Eingang

Wer kennt nicht die 1 Almé der Egyptier? – Ihr Völker des Nils, und ihr, Bewohner der fernen Inseln, die ihr etwas von ihr vernahmt, höret ihren Ursprung.

[3] Ich war die Tochter des weisen Sopher, und mein Name ist Almé Rusma. Ich rede zu euch von vergangenen Zeiten. Mich drückt die Last der Jahre. Wenn du, o Volk des Nils, und ihr, ihr Jungfrauen der Isis,[4] die ihr es nicht unwerth seyd, meinen Namen zu führen, diese Blätter lesen werdet, so wird die Tochter des weisen Sopher nicht mehr seyn, und die schöne Rusma, die Gemahlin des königlichen Menes von Oxirynchus, [5] ist denn längst hinabgewallt auf den Fluthen des schwarzen Sees zu den Wohnungen der Todten.


[6] Sopher Ben Helion, den ich als Vater ehrte, ungeachtet er wahrscheinlich nur der Pfleger meiner verlassenen Kindheit war, lebte mit mir zu Bubastus in dürftiger Dunkelheit. Jedermann kannte ihn unter dem Namen des weisen Sopher, viele kamen seinen Rath, seinen Unterricht zu suchen, aber keiner lohnte ihm nach der Wichtigeit der Gabe, die er von ihm erhalten hatte, auch war Sopher sehr bedenklich Belohnungen anzunehmen.

Als einst ein großer König kam, und die Stadt belagerte, darin Sopher lebte, da ward es ihm kund, daß in derselben ein armer weiser Mann sey, der die Stadt retten könne mit seiner Weisheit: da sagte er den Bürgern an, er wolle friedlich von ihren Mauern ziehen, so sie die Stimme des Weisen hören, und ihr gehorchen würden. Sie [7] kamen zu dem weisen Sopher, sie hörten seine Stimme, sie gehorchten ihr; der König hob die Belagerung auf, aber, indem er befriediget von dannen zog, und die Bürger gerettet waren, schmachtete Sopher, durch den alles dieses geschah, nach wie vor, unbelohnt in seiner Dunkelheit, auch wollte er nicht aus derselben hervorgezogen, auch wollte er nicht belohnt seyn. Seine Weisheit machte, daß er die Lasten der Armuth nicht fühlte, und beklagte er sich je über dieselben, so geschah es um meinetwillen. Ich war schön, war erst achtzehn Jahr; Sopher hatte das gewöhnliche Ziel des menschlichen Lebens schon längst zurückgelegt; was sollte aus mir werden, wenn er hinüber ging in die Wohnungen der Seligen und mich zurückließ, in einer Welt, die ich nicht kannte, und vor deren Fallstricken nur meine Tugend mich schützen konnte; ein schwacher Schutz, wenn nicht schirmende Weisheit, oder Macht und Ansehn ihr zur Seite steht.

Meine Tochter, sagte der weise Sopher zu mir, als er mich den Tag vor seinem Tode näher zu seinem Lager rief, an dessen Füßen [8] ich schon mehrere Nächte verweint hatte, Almé Rusma! Erbin künftigen glänzenden Glücks, und jetzt so elend! was soll ich dir sagen, deine Thränen zu trocknen? Soll ich dir die Geschichte meines eigenen Lebens erzählen, das, ob es sich gleich jetzt in Dunkelheit endigt, doch Scenen voll Macht, Freude und Hoheit in sich schließt, auf die ich im Anfang meiner Tage nicht rechnen konnte. – Zu lang würde diese Geschichte für meine wenigen gezählten Augenblicke, zu angreifend für meine geschwächten Kräfte seyn; ich bitte dich, Almé, schenke sie mir! Begegnen wir uns einst, dort in jenen Gegenden des Lichts, wohin ich gehe, so wird es Zeit genug seyn, dich von Dingen zu unterhalten, die dir jetzt unglaublich dünken würden. Selig wird uns dort der Rückblick auf unsere vergangenen Schicksale machen, und der Schluß all unserer Betrachtungen wird seyn: Gut war, was uns hier begegnete! Wir trauerten nie ungetröstet! Der Nacht folgte allemal der Tag, und einem kummervollen Leben machte der Wink des lächelnden Engels ein Ende, der jetzt mir nur sichtbar zu den Füßen meines Lagers [9] steht. Nimm diesen Trost, er ist ein Strahl der Ewigkeit, den ich dir aus jenen bessern Regionen herüberhole.

Eine Rede, wie diese, war wenigstens nicht gemacht, mich im gegenwärtigen Kummer aufzuheitern. Der Gefangene, welcher im Begriff ist, die Fesseln abzulegen, spricht freylich aus einem Tone, den sein im Kerker zurückbleibender Gefährte, welcher noch obendrein das nahe Scheiden seines letzten Freundes betrauert, nicht zu fassen vermag.

Almé, begann Sopher in der Nacht, die diesem Tage folgte, sind deine Thränen noch nicht getrocknet? Bedenke doch, daß ich lang genug gelebt habe. Bestreite doch nicht der Natur ihre Rechte, von welchen ich so lang eine wunderbare Ausnahme gewesen bin. Du weist nicht, wie viele Jahre dein Vater zählt! Als Philadelphus 2 [10] jene Weisen aus Palästina rief, die Alexandrinische Büchersammlung mit der Uebersetzung der ältesten Documente der Menschheit zu bereichern, da war ich, als Knabe, unter ihrem Gefolge. Als 3 Amrou, der Feldherr des Kaliphen Omar, Alexandrien eroberte, und den unschätzbaren Schatz der menschlichen Weisheit zerstörte, den ich durch acht Jahrhunderte hatte erwachsen sehen, und sammeln helfen, da fühlte ich erst das allmählige Abnehmen jugendlicher Kräfte. Es ist in diesen darauf folgenden achtzehn Jahren, [11] da du an meiner Seite lebtest, schnell mit mir bergab gegangen. Die Mittel, welche mir so lang mein Leben fristeten, wurden von mir auf die Seite gesetzt, und nun muß ich sterben! Dünkt es dir, daß dieß zu früh geschieht?

Ich fand die Dinge, die mir Sopher sagte, unglaublich, oder vielmehr, ich würde sie für unglaublich gehalten haben, hätte ich damals für etwas anders Gefühl gehabt, als für meinen Schmerz. Meine schwimmenden Augen ruhten auf der Hand des Weisen, welche die meinige sanft drückte. Nur zuweilen blickte ich auf, um das ehrwürdige Gesicht noch einmal zu sehen, das nun bald durch die Schatten des Todes sollte entstellt werden.

Jetzt ruhte noch die Heiterkeit der sinkenden Sonne am Abend eines schönen Tages auf denselben. Sophers Augen strahlten Freude, seine Seele schien in seliger Erwägung der Vergangenheit verloren.

Es ist sonderbar, sagte er nach einem langen Stillschweigen, wie jetzt auch die trübsten Tage meines Lebens Spuren von [12] Herrlichkeit in meinen Augen haben! – Es war eine fürchterliche Scene, da Amrous Wuth, zuletzt auch das Haus, welches die alten Ptolemäer den Wissenschaften geweihet hatten, den Flammen opferte. Die Söhne der Weisheit, die ihre beständige Wohnung bey der unerschöpflichen Quelle des Wissens hatten, wurden von der überhand nehmenden Glut aufgescheucht; so zerstreut der Wind aus der Wüste die Vögel der Nacht, die in den Ruinen von Theben hausen. Ich war mitten unter den fliehenden Weisen. Jeder von uns rettete das Buch, das er, nach eingeführter Sitte des Orts, eben auf seiner Zelle verwahrte; auch ich rettete das meinige. Du wirst es, mit Anmerkungen und Zusätzen von meiner Hand vermehrt, in meiner Verlassenschaft finden; es ist nicht so, wie ich es gewählt haben würde, sondern wie es das Gesetz, das den Weisen auflegte, alle Bücher der großen Sammlung nach einander zu durchlesen, diesen Tag eben in meine Hände geführt hatte.

Die Flammen wollten mir meinen Raub bestreiten. Dreymal entfiel er mir im Fliehen [13] mitten in die Glut, und dreymal rettete ich ihn. Dieses war ein Tag, da ich noch ein größeres Kleinod retten sollte. – Mit unvergänglicher Herrlichkeit bekrönt das Glück, das mir damals geschenkt wurde, einen der schwärzesten Tage meines Lebens, nie kann ich den Verlust, den ich an demselben erlitt, ohne seinen Gewinn denken; er erheitert noch meine letzten Augenblicke diesseit des Grabes. – Wisse, der Tag des Alexandrinischen Brandes gab mir dich, meine Almé! – Doch hiervon bin ich dir umständlichere Nachricht schuldig! – Morgen, mein Kind, morgen! – Jetzt bin ich zu matt, und meine Augen schließen sich zu unwillkührlichen Schlummer.

Der weise Sopher schloß die Augen, um sie nie wieder zu öffnen. Des andern Morgens weinte ich trostlos bey seiner Leiche. Doch nein, nicht trostlos! Was hätten mir die Lehren des Weisesten unter den Menschen genützt, hätte ich bey seinem Grabe verzweifeln wollen? Hier lag mir es ob, Proben abzulegen, daß die unglückliche Rusma der Liebe und des Zutrauens ihres Vaters nicht [14] unwürdig war. O es war die strengste Probe meines Lebens! Ihr, die ihr in der Folge hier und da Spuren von Stärke und Standhaftigkeit in Almés Betragen zu finden meynen werdet, setzet sie tief unter jene Anstrengung, die mir damals das Leben erhielt.

Mit dem Grame um meinen Verlornen verbanden sich bald Sorgen um die Mittel, mein Leben hinzubringen; doch dieses Leben war mir so gleichgültig, daß ich mich weniger um dasselbige bekümmerte, als um den Unterhalt einer Person, die bisher meine und Sophers Leidensgefährtin gewesen war, und die ohne mich ganz verlassen gewesen wäre. Diese geliebte, mir nach Sophers Tode doppelt unentbehrlich gewordene Person war nur eine Sclavin, doch dies verminderte nicht ihren Werth in meinen Augen. Iphis war meine Freundin, war die erste Pflegerin meiner Kindheit gewesen, ich hatte ihre Milch getrunken, wie hätte ich für sie nicht die Gefühle einer Tochter hegen sollen?

Ich musterte mit ihr des weisen Sophers sparsamen Nachlaß, und verweilte bey jedem [15] Theil desselben, das Spuren seines Andenkens trug, mit dankbaren Thränen. Nach Abzug einiger dringenden Schulden, besaß ich, ausser dem nothwendigen Hausgeräth und wenigen Goldstücken, nichts, als jenes Buch, dessen mein sterbender Vater in seinen letzten Augenblicken gedachte, und einen goldnen Gürtel, welcher von einigem Werth seyn mochte, und den ich, um mir und meiner Mutter, diesen Namen gab ich der treuen Iphis am liebsten, ein bequemeres Leben zu verschaffen, zu verkaufen beschloß.

Iphis weigerte sich, als ich ihr dieses Geschäft auftrug, es auszurichten. Laß dieses Kleinod unsere letzte Zuflucht seyn, sagte sie. Es können Vorfälle kommen, wo wir ausserordentlicher Hülfe nöthiger bedürfen, als jetzt. Haben nicht wir beyde arbeiten gelernt? Ist nicht meine Rusma Meisterin in allerley künstlichen Geweben? Uebertrifft sie nicht selbst mich, ihre Lehrerin, in dieser Kunst? Laß uns arbeiten, Almé, und auf die Hülfe der Vorsicht hoffen, bis bessere Zeiten erscheinen.

So arbeiteten wir denn, Iphis und ich. Wir lebten von unserm Verdienst, welcher [16] klein war, weil man die armen Künstlerinnen, sie mochten leisten, was sie wollten, immer kärglich bezahlte. Iphis besorgte die Einnahme und Ausgabe, sie besorgte unsere kleine Wirthschaft. Ich kam vom Morgen bis Untergang der Sonne nicht von meinem Weberstuhle; aber des Abends, nach dem vierten Gebet, ruhte ich, wie mir die Erziehung meines Vaters das zur Religionspflicht gemacht hatte, und die Stunden der Nacht, bis uns der Schlaf die Augen zudrückte, wurden dem Lesen jenes Buchs gewidmet, welches der wichtigste Theil von Sophers Verlassenschaft war.

Es enthielt eine Menge für uns wichtiger und unterhaltender Geschichten. Iphis und ich hatten noch wenig in der Welt gesehen und gehört, vieles war uns neu, manches konnte uns belehren und gefallen, was Andern gleichgültig und entbehrlich seyn möchte. Doch, von dem Werth und Unwerth dieser Dinge in der Folge; ich bin Euch noch die Schilderung jenes Augenblicks schuldig, da ich es zuerst wagte, die heiligen Blätter zu entfalten, welche Sophers [17] Hand so oft berührt, auf welche er so viel Werth gelegt hatte, daß er sie mir ausdrücklich als sein Vermächtniß namhaft machte. Euch, die ihr gewohnt seyd, die Kostbarkeit des Geschenks nach der Würde des Gebers zu berechnen, euch, die ihr an der welkenden Blume, die eine liebe Hand einst für euch brach, noch den letzten Hauch scheidender Liebe verehrt, euch darf ich nicht sagen, wie mir zu Muthe war, als ich die ganze Kostbarkeit von Sophers Verlassenschaft kennen lernte, als ich wahrnahm, daß Worte, von seiner Hand geschrieben, an mich gerichtete Worte, die ersten Seiten jenes theuern Buches einnahmen.

In heiliger Bilderschrift geschrieben, die Sopher mich kennen lehrte, enthielten sie folgendes:

»Almé Rusma! liebendste und geliebteste aller Töchter! kein Wort an Dich um Gefühle, die Du nun verbannen mußt, wieder zu erwecken! Ich bin glück lich, und Du wirst glücklich seyn, wenn Du lebst, wie Sopher lebte, noch glücklicher, wenn Du [18] alle Klippen vermeidest, an welchen sein Glück und sein Gefühl der Pflicht gegen den Urheber unsers Daseyns scheiterte. Durch Künste, welche zwar nicht unerlaubt, aber doch, meiner jetzigen Empfindung nach, tadelnswerth, und unserm wahren Besten hinderlich sind, entzog ich mich mehrere Jahrhunderte dem allgemeinen Loos der Sterblichen; durch eben dieselben ward Macht, Reichthum und Hoheit mein. Ich misbrauchte sie nie, aber, ich muß Dir gestehen, ich fühlte mich glücklicher und besser, sobald ich ihnen entsagte, und den Entschluß faßte, nicht mehr von den Gütern des Lebens an mich zu reißen, als ich unmittelbar aus der Hand der Vorsicht nehmen konnte. All die Jahre, seit ich Dich besaß, sind für mich Jahre freywilliger Beraubungen gewesen. Du begreifst wohl, daß ich die Macht, Dich und mich eigenmächtig zu beglücken, nicht verloren habe, da ich –


(Hier folgte eine selbst für mich ganz unerklärbare Stelle in Sophers Handschrift) –


Du siehst also ein, daß es mir leicht wär, Dich in Reichthum und Ueberfluß zu [19] hinterlassen, aber ich bin überzeugt, daß das Loos, so wie es Dir die Vorsicht gönnt, besser ist, als das, welches ich Dir durch meine Wissenschaften erkünsteln könnte. Bleibe in Niedrigkeit und Armuth, bis Gott Dich zu einer glänzenden Rolle ruft, die Wege dahin sind Klugheit und Tugend; ich habe Dir hierüber keine besondere Regel zu geben; Du hast sie alle schon bey meinem Leben erhalten.

Dieses Buch halte werth, als meine letzte Gabe, es wird Dir in trüben Stunden Unterhaltung, und in der Folge vielleicht Vortheil, vielleicht Glück bringen. Soll ich eine Bitte an Dich thun, (sie ist kein Gesetz) so ist es diese: bleibe bey Lesung dieser Blätter den Regeln treu, welche die Alexandrinischen Weisen zu beobachten pflegten. Ueberzeugt, daß bey Schriften, wie dieser, nichts zufällig, nichts überflüßig sey, selbst die Ordnung nicht, in welcher die Worte des heiligen Schriftstellers auf einander folgen, rissen sie nie einen Theil aus dem Zusammenhange des Ganzen; so thue auch Du. Du magst [20] die Geschichten dieses heiligen Buchs lesen oder andern vortragen, so entferne Dich nie von der Folge, in welcher sie an einander gereihet sind, Du wirst in der Treue gegen diesen Rath vielleicht dereinst Dein Glück finden.«

Nachdem ich diese theuern Worte gnugsam mit meinen Thränen benetzt, oft genug das Buch, welches sie enthielt, in die Hand genommen hatte, ohne im Stande zu seyn, etwas weiter aus demselben zu lesen, als eben diese Denkmale der zärtlichsten Liebe, in welchen ich allein Befriedigung und Trost zu finden glaubte, fiel mir auf einmal der Gedanke aufs Herz, es fehle ihnen doch etwas, das zu meiner Beruhigung nothwendig sey. – Der heftigste Schmerz muß endlich andern Empfindungen, andern Vorstellungen Platz machen, und mir war es wohl nicht zu verdenken, daß ich, da ich oft Ursach fand, mich nicht für die wirkliche Tochtor des weisen Sopher zu halten, wegen der Unwissenheit trauerte, in welcher er mich über meine Geburt gelassen hatte. [21] O nur ein Wort, seufzte ich oft, wenn ich jene Schrift wieder und wieder überlesen hatte, nur ein Wort, mich hierin zu unterrichten! Unglückliche Almé Rusma! Morgen, versprach er dir Nachricht über die wichtigste Angelegenheit deines Lebens? – O warum mußte dieses Morgen nie kommen? warum mußte der Engel des Todes die Worte, die Sopher dir zu sagen hatte, mit dem Schweigen des Grabes versiegeln?

Iphis sah meine Unruh und meine Thränen, aber sie konnte sie nicht stillen. Zwar war sie seit den frühesten Tagen meines Lebens um mich gewesen, aber sie wußte von dem Anfang desselben nichts weiter zu sagen, als daß Sopher sie vor achtzehn Jahren auf dem Sklavenmarkt zu Alexandrien gekauft, und ihr das Geschäft aufgetragen hatte, meine Amme zu werden. Ach, setzte sie hinzu, ich hatte vorher den Sohn der königlichen Termuthis von Oxirynchus mit meiner Milch genährt, ich hatte gehofft, ewig in dem Hause zu bleiben, in welchem ich als Sklavin geboren worden war, in welchem ich so lang gelebt hatte, ohne je[22] meine Fesseln zu fühlen; – aber die Grausamkeit der Barbaren, welche Alexandrien eroberten, warf das Glück der Großen und der Kleinen durch einander, sie zertrümmerte auch das meinige. Das Haus meiner erhabenen Gebieterin ging in Feuer auf, seine edeln Bewohner wurden zerstreut, seine Schätze ein Raub der Feinde, und von den Sklaven ließ man nur diejenigen leben, um sie an andere Herren zu verkaufen, welche durch Jugend, Schönheit, Stärke, oder andere Vorzüge, einigen Gewinn versprachen. Der Himmel wollte, daß ich unter diesen war. Das Glück, welches mich nicht ganz verlassen wollte, gab mir an dem weisen Sopher einen guten Herrn, und an der kleinen Almé, die er in meine Arme legte, einen reichen Ersatz dessen, was ich verloren hatte.

Der Weise brachte uns nach Bubastus, in das Haus, welches wir noch jetzt bewohnen. Sopher war damals noch, dem Ansehen nach, ein Mann in seinen besten Jahren. Ich glaubte, er habe seine Gattin in jenen Tagen des allgemeinen Mordens verloren, [23] und hielt euch lange Zeit für seine Tochter, bis nach und nach Umstände hervortraten, welche mich hierin zweifelhaft machten; wem ihr aber das Leben zu danken habt, das ist allein Gott bekannt, der einst alle Geheimnisse ans Licht bringen wird. Nie habe ich mich unterstanden, den Verstorbenen um Aufklärung der Zweifel zu bitten, welche zuweilen in mir rege wurden. Ihr kennt das Ehrfurcht gebietende, Stillschweigen auflegende Wesen, welches ihm eigen war; auch dachte ich, immer noch Zeit zu Aufklärungen dieser Art übrig zu haben, denn ob ich gleich gestehen muß, daß der weise Sopher in diesen achtzehn Jahren auf eine wundersam schnelle Art alterte, so traute ich ihm nie seine acht bis neuntehalb Hundert zu, die er wirklich auf sich hatte, und glaubte also, immer noch die Fragen, die ich diesseit des Grabes an ihn zu thun hatte, versparen zu können.

So sprach meine treue Iphis, und ich kann nicht sagen, daß ihre Worte mir besondern Trost gaben. Indessen, es ließ sich in dieser verborgenen Sache nichts thun, ich [24] ergab mich nach und nach in alles, was das Schicksal über mich verhängt hatte, ich kehrte zu meiner Arbeit zurück, welche eine Zeitlang durch die verneute Trauer unterbrochen worden war, und die Abende widmete ich dem Lesen jenes Buchs, dessen Geschichten ich so oft wiederholte, daß ich endlich die meisten davon auswendig wußte. Ich konnte meine Zuhörerin nicht mehr ergötzen, als wenn ich dieses nützte, und, statt zu lesen, deklamirte, doch blieb ich auch hierin den Lehren meines Pflegevaters treu und folgte in meinem Vortrag immer der Ordnung des Buchs, ob ich gleich die Ursach, warum ich das mußte, nie einsehen konnte. Die darin enthaltenen Geschichten hingen auf keine Art zusammen, und erst in später Folge begriff ich es, und auch ihr, ihr Almés künftiger Zeiten, werdet es vielleicht begreifen, warum es für mich von Wichtigkeit war, nicht das Erste zu dem Letzten, noch vielweniger das Letzte zu dem Ersten zu machen.

Wir lebten fast ein Jahr auf diese Art, einsam, doch nicht traurig, sparsam, doch [25] nicht dürftig. Meine Wünsche waren eingeschränkt, und schweiften sie ja einmal zu sehr in ferner ungewisser Zukunft umher, so wußte sie die weise Iphis bald in meine kleine Sphäre zurück zu rufen, und mich mit der dunkeln Stelle zufrieden zu machen, die mir die Vorsicht angewiesen hatte.

Doch, so sollte es nicht bleiben. Unfälle drohten, die verlassene Taube aus ihrer einsiedlerischen Wohnung aufzuscheuchen. Ehe ich euch hievon das Nöthige sage, so erlaubt mir, einige kleine Anmerkungen über den Zustand des Landes, das ich bewohnte; sie werden nöthig seyn, euch das Künftige deutlich zu machen.

Mein Vaterland, Egypten, war schon seit vielen Jahrhunderten das nicht mehr, was es zu den Zeiten unserer uralten Könige gewesen seyn mochte. Die Hoheit der Pharaonen, und die noch größere der Priester der göttlichen Isis, war unter der Herrschaft der Perser, der Römer, und jetzt der Saracenen längst verloren gegangen, doch lebten von den alten Herrschern der Völker [26] am Nil, noch im Verborgenen, zahlreiche Nachkommen, hier in wohlerhaltener Hoheit und Größe, dort in vergessener Dunkelheit. Auch die Geheimnisse unsrer Religion waren keinesweges verloren. Wer noch heut 4 zu Tage den gänzlichen Verlust des alten Egyptens in dem neuen betrauert, der vermißt die Luft, welche ihn umgiebt, und sucht die Sonnenstralen, welche ihn umleuchten. Profanen wird dieß ein ewiges Geheimniß bleiben, nichts desto weniger aber ist es wahr. In dem sichtbaren Staate existirt ein unsichtbarer, die Glieder desselben kennen sich bey ihren alten Namen, nicht bey denen, welche sie vor der Welt führen. Isis und Osiris haben keinen ihrer Diener verloren, und werden ihre Geheimnisse jetzt etwas besser verstanden, kennen wir alle jetzt dasjenige, was sonst nur in dem Innersten ihrer Tempel gelehrt wurde, so ist das nicht Aenderung, nur Besserung dessen, was unsere Vorväter Religion nannten.

[27] Ich war von dem weisen Sopher in noch bessern Grundsätzen erzogen, als viele der übrigen. Sopher hatte ehemals im Tempel zu Jerusalem, hatte in spätern Jahrhunderten zu Antiochia und zu Rom Kenntnisse von der besten Art der Gottesverehrung gesammelt, die er mir ganz eigen gemacht hatte. In meinem Munde war der Gebrauch manches Wortes, dessen ich mich auch in diesen Blättern bedienen werde, nur Symbol der Wahrheit, das ich bedurfte, um andern verständlich zu seyn.

Sopher hatte mich gelehrt, mich nicht von der Weise des Landes auszunehmen, in welchem ich lebte. Mein gegenwärtiger Stand befahl mir, behutsam zu seyn, und so geschah es, daß ich mich zuweilen bequemen mußte, beym öffentlichen Gebet zu erscheinen, so gut die Uebermacht der Barbaren uns diese Uebungen der Andacht gelassen hatte. Sie waren die einige Veranlassung für mich, dann und wann meine kleine Wohnung zu verlassen.

Mein Unglück waren diese sparsamen Wallfahrten. Das höchste Wesen wollte [28] mich vielleicht belehren, wie misfällig ihm ein Dienst sey, an welchem nur unser halbes Herz Theil nimmt. Lasset mich geschwind über diese Stelle meiner Geschichte hinwegeilen; die Versuche des Lasters, sich unserer zu bemeistern, sind uns keine Ehre.

Ich war schön. So dicht verschleyert ich auch allemal unter dem Volke erschien, so war ich doch unglücklich genug gewesen, die Augen eines kühnen Bösewichts auf mich zu ziehen. Noch war Gerechtigkeit im Lande. – Egyptens neue Beherrscher hatten schon in dem ersten Jahrzehend einsehen gelernt, daß die edeln Völker des Nils sich nicht wie Sklaven behandeln ließen. Sie hatten ihnen eine Polizey gegeben, welche das, was frey war, bey leidlicher Freyheit erhielt, und selbst die Bedrückung der Leibeigenen einschränkte. Unter einer Regierung, die doch wenigstens den Schein der Gerechtigkeit beyzubehalten suchte, war es meinem Verfolger unmöglich, sich meiner durch Gewaltthat zu bemächtigen. List und Ueberredungen waren schon vergebens versucht worden. Noch ein Mittel war übrig: [29] Man mußte die Gerechtigkeit auf die Seite der Bosheit zu bringen suchen. Ich ward wegen einer Schuld verklagt, welche weder Sopher noch ich jemals gemacht hatten, gleichwohl war sie vor den Augen der Richter hinlänglich erwiesen. Ich sollte die Summen zahlen, sie abschwören, oder meine Freyheit für dieselben hingeben; das erste konnte ich nicht, das andere verbot mir meine Religion, und, o Gott! das dritte? – Was soll aus der Unschuld werden, wenn sie dem Verbrechen leibeigen gemacht wird!

Iphis, sagte ich, nachdem ich die Härte meines Schicksals mehrere Tage beweint hatte, und nun mich schnell, wie aus einem schweren Traum, empor riß. Wo waren meine Gedanken, daß ich mich so ganz der Verzweiflung überließ! Bin ich denn so arm, daß ich die wenigen Goldstücke, die mir nöthig sind, um meine Freyheit und Tugend zu sichern, nicht aufbringen sollte?

Ich hoffe, das seyd ihr nicht, antwortete Iphis, indem sich auch ihr Gesicht erheiterte. [30] Ihr besitzt etwas, dessen Werth euch retten könnte, so gering er auch seyn mag!

Du erräthst meine Gedanken, Liebe! – Ich hatte den goldnen Gürtel ganz vergessen! Geh, Iphis, nimm, verkaufe ihn! Welche Thörin war ich, dieß nicht eher zu erwägen! – Wohl recht hat ihn deine Sparsamkeit auf diesen Fall aufbehalten!

Den Gürtel, Almé Rusma? Warum eben ihn?

Besitze ich etwas anders?

Aber sein Werth ist klein, gegen die Forderung eures Schuldners!

Und du pflegtest mir seine Kostbarkeit immer so hoch anzurechnen?

Kostbar? – Je nun ja, kostbar mag er wohl seyn. – Aber ihr werdet sehen, daß ihr kaum die Hälfte des Erwarteten für ihn bekommen werdet.

Geh, Iphis, verkaufe ihn! Dieß sind Ausflüchte, die dir dein gutes Herz, welches [31] mich nicht gern des letzten Schmucks beraubet sehen will, eingiebt; ein schwaches weibliches Herz, welches zu sehr an Kleinigkeiten hängt, und die Größe meiner Gefahr nicht zu schätzen weis!

Iphis trocknete ihre Thränen, nahm das Kleinod, und ging. –

In der Thür kehrte sie noch einmal um. Almé Rusma, sagte sie, ich habe euch um eine Gnade zu bitten.

Gnade, von deiner Tochter? – Was wär wohl auf der Welt, das dir Almé versagen würde, wenn sie nicht so arm wäre?

Schenkt mir meine Freyheit!

Fühlte Iphis je, daß sie eine Sklavin war? Mich dünkt, Sopher hat der Erzieherin seiner Almé schon die Kette der Dienstbarkeit abgenommen.

Ich halte mich nicht für frey, bis auch ihr mich dafür erklärt.

Aber, zu welchem Ende? – Will Iphis mich verlassen?

[32] Ich hoffe, Euch als Eure Freygelassene besser dienen zu können.

O Iphis, schrie ich, indem ich sie an meine Brust drückte, du durchbohrst mein Herz! Verzeih! Verzeih! daß ich das Wort: sey frey! nicht längst zu dir sagte! Ich hielt es für unnöthig! ich glaubte dich so frey, als ich selbst bin. Siehe, ich löse deine Ketten, die nur du fühltest, in diesem Augenblicke auf die feyerlichste Art – Sey frey! Aber entziehe mir nicht deine Dienste, die Dienste gleicher Freundschaft! Was sollte aus mir werden, ohne dich?

Verlangt Almé einen Beweis, daß ich nur für sie lebe, und ewig leben werde? fragte sie mit unterdrückter Bewegung. – Wohlan, sie soll ihn bald erhalten!

Geh, besorge den Verkauf des Gürtels, der dir so schwer zu werden scheint!

Nun wohl – ich gehe! wünschet mir Glück zu meinen Geschäften!

[33] Und Iphis ging, ich sah ihr nach, und ahndete nichts von ihrem Vorhaben, welches mir doch ihr letztes Gespräch so deutlich vor Augen legte. Welcher Zauber ists, der zu Zeiten die Wahrheit, die dicht vor uns steht, unserm Blick entzieht? O Iphis! hätte ich deine Entschlüsse ahnden können! – Doch, wär ich im Stande gewesen, ihre Ausführung zu hindern? oder würde ichs auch nur gewollt haben, wenn mir alle Folgen jener Handlung heldenmüthiger Liebe vorgeschwebt hätten, welche diese Treue im Sinn hatte?

Es ward Abend, es ward Nacht; Iphis kam nicht zurück. Ich zitterte vor dem Gedanken, ihr könne ein Unglück begegnet seyn. Er verschlang ganz die Besorgniß um den kommenden Tag, welcher, in Rücksicht auf die Forderungen meines Verfolgers, mein Schicksal entscheiden sollte.

Der Morgen brach an, schon sah ich der Stunde entgegen, da ich, in Ermangelung eines Stellvertreters dieses Mal [34] persönlich vor Gericht erscheinen und mein Endurtheil erhalten sollte. – Ich stand am Gitter meines kleinen Hauses, wo ich schon seit Aufgang der Sonne meiner Iphis von neuem entgegen geweint hatte. – Ich sah einen Diener der Gerechtigkeit die Straße herauf kommen; seine Kleidung sagte mir seinen Stand, und mein klopfendes Herz, daß er zu mir wollte. Ich hatte keinen Sklaven, ihm die verschlossene Thür zu öffnen. Ich hüllte mich in meinen Schleyer, und schwankte endlich selbst hinunter. Längeres Zögern hätte die Ungeduld des ungestüm Anklopfenden erregen, und mich noch unglücklicher machen können; eine in Furcht gejagte Seele besorgt von jeder Kleinigkeit Erschwerung ihres Schicksals.

Ihr laßt einen guten Boten lang warten, rief er, indem er mir durch die ängstlich nur halb geöffnete Thür einen Beutel, ein Packet und einen Brief zusteckte. Wenn ihr in den Diensten der Almé Rusma seyd, so gebt ihr dieses eilig, sie würde euch euer Säumen schlecht danken.

[35] Der Bote, welcher mich nicht kannte, verschwand, ich zog die Thür nach ihm zu, und hatte kaum so viel Kraft, bis zum nächsten Steine in meinem Hause zu wanken, und das, was ich in Händen hielt, zu untersuchen. Eine Ahndung von glücklicher Wendung meiner Sache schwebte mir vor, aber ich war, in dem gegenwärtigen Augenblicke, durch streitende Gemüthsbewegungen so mitgenommen, daß ich weder Glück noch Unglück ertragen konnte. O Iphis! Iphis! rief ich, wo bist du, mich zu unterstützen?

Ich fand, als ich mich ein wenig gefaßt hatte, in dem Beutel 30 Goldthaler, in dem Packet, o Erstaunen! meinem Gürtel, und auf dem Blatte folgende Worte:

»Im Namen des allbarmherzigen Gottes. Almé Rusma, Hassan Ebn Reschids Schuldnerin, hat, durch Zahlung der geforderten Summe, ihn und die Gerechtigkeit völlig befriedigt. Nach Abzug der Gebühren für diejenigen, welche sie in diesem Geschäft gebraucht hat, ist vom Verkauf [36] ihrer Sklavin noch die Summe von 30 Goldthalern übrig geblieben, welche ihr, nebst einem ihr zugehörigen Gürtel, hiemit eingehändiget worden.«

Verkauf meiner Sklavin? schrie ich, ohne ganz zu Ende gelesen zu haben, Verkauf meiner Sklavin? – Was ist das? – O Iphis! Iphis! sollte es möglich seyn? – Ist dies dein Werk? Hast du deine Almé so verlassen können? – O gewiß! gewiß! Diese Treue hat sich für mich aufgeopfert! – Grausame! wie hast du mich getäuscht! – War dieß die Ursach, warum du deine Freyheit fordertest? – Gab es kein andres Mittel, mich zu retten, als den Verlust meiner besten Freundin? – Ach du vergaßest, daß ich ohne dich allein in der Welt bin. Was soll mir das Leben ohne dich? Was sollen mir Vortheile, die ich so theuer erkaufen mußte? Der nächste Tag wird mich sie wieder verlieren lassen. Ein einiger Schritt in die Welt erneuert die Bande, die du brachst, indem du dir selbst Fesseln anlegtest. Himmel! Iphis in Fesseln! welch ein Gedanke! Diese Unbarmherzige [37] war zu gewissenhaft, sich mir eher zu entziehen, bis ich sie frey gesprochen hatte, aber die Verbindlichkeiten der Freundschaft hielten sie nicht; sie trug Bedenken, mir den Besitz dieses elenden Gürtels zu rauben, dessen Werth mich wohl auch hätte retten können, aber meine Freundin raubte sie mir, ohne Rücksicht auf das, was ich in ihr verlor.

Ich weinte und klagte fort, jeder Augenblick ließ mich mein Unglück tiefer fühlen. Der Schmerz um Iphis verschlang die Freude, die ich über meine Rettung hätte empfinden sollen.

O Gott! schrie ich unablässig, was aus ihr geworden seyn mag? Welche Ketten sie vielleicht in diesen Augenblicken trägt? O Iphis, Iphis! ich sollte dir danken, auch wallt heiße Dankbegier in meinem Busen, aber du ließest mich Freyheit und Ueberfluß, die du mir erwerben wolltest, zu theuer bezahlen! Die Vorwürfe, die ich dir zu machen habe, ersticken in mir die Bewunderung deiner Heldentreue.

[38] Der Verlust der besten und edelsten aller Sklavinnen hatte mich tausenderley Unbequemlichkeiten ausgesetzt. Nicht die kleinste davon war, daß ich jetzt selbst in die Welt gehen und mir die Bedürfnisse meines Lebens besorgen mußte; meines einsamen schutzlosen ungetrösteten Daseyns zu geschweigen. – Doch, sollte diesen Umstand die treue Iphis übersehen haben, als sie mir helfen wollte? – Der Erfolg wird es lehren.

Ich kam eines Abends von meinen auswärtigen Geschäften nach Hause, und ich hatte diesen Tag so viel Schwierigkeiten, so viel Unannehmlichkeiten bey denselben erfahren, daß ich fest entschlossen war, mein Letztes dran zu wenden und mir wieder eine Sklavin zu kaufen, welche mich der Gefahr entnähm, mich in der Welt zu zeigen. Meine Goldstücken, sagte ich zu mir selbst, und was ich etwa von Kostbarkeit besitze, müssen dieser nothwendigen Ausgabe aufgeopfert werden. Gebe nur der Himmel, daß ich mir nicht mit schweren, für mich kaum erschwinglichen Kosten eine Verrätherin [39] kaufe. Unglückliche Almé! welche Gefahr, indem du dir eine ganz fremde Person zugesellst! wie leicht kannst du dazu kommen, das Verbrechen unter deinem Dache zu herbergen.

Ich verlor mich noch in diesen Gedanken, ich maß noch alle Regeln der Behutsamkeit ab, welche ich bey dem vor mir liegenden Schritte zu beobachten hatte, als ein neuer Auftritt meine Gedanken auf eine andere Seite lenkte. –

Ein heftiges Klopfen ward an meiner Thür gehört. Ich sahe aus dem Fenster. Ein zierlicher Palankin, von Mauleseln getragen, hielt vor dem Hause; eine weiße Sklavin stieg heraus, und zwey Schwarze forderten mit dem Ungestüm, welches den Dienern großer Herren eigen ist, Einlaß.

Die Weiße erblickte mein Gesicht am Gitter, sie schlug den Schleyer zurück, küßte die Erde und bat, indem sie sich aufrichtete, auf eine sehr höfliche Art, mehr durch Geberden als Worte, ich möchte ihr den Zutritt nicht versagen.

[40] Der Anblick einer Person meines Geschlechts machte mir Muth. Ich ging hinunter, ich öfnete die Thür, aber ich trug Sorge, nur das junge Mädchen herein zu lassen. Verdrießlichkeiten mancher Art, von welchen ich im Vorhergehenden einige Winke gegeben habe, hatten mich behutsam gemacht. Es war mir natürlich, hier einen Aufsatz meines alten Verfolgers zu muthmaßen. Ich war einsam, meine Hütte lag in einem abgelegenen Winkel der Stadt. Gewaltthat war möglich, und da sich nach dem Verlust meiner Iphis niemand gefunden hätte, der über meine Entführung hätte klagen können, so wär sie vielleicht verborgen, ganz gewiß aber ungestraft geblieben.

Almé Rusma, sagte die Fremde, indem sie den Saum meines Schleyers küßte. Die königliche Termuthis von Oxirynchus ladet Euch ein, einige Tage bey ihr auf ihrem Lustschlosse am Ufer des siebenarmigten Stroms zuzubringen! – Wir, Eure Sklaven, sind bereit, Euch demüthig dahin zu begleiten, oder – (Hier erhob sie sich und trat nach der Thür zurück, deren Schlüssel [41] sie faßte) – oder bedürfenden Falls, dafern Ihr Bedenken tragen solltet, der freundlichen Einladung zu folgen, Euch zu Eurem Glück zu nöthigen.

Die Rednerin mußte aus der Veränderung meiner Farbe beym Anfang ihres Vortrags, oder aus dem Unwillen, der aus meinen Augen flammte, gemerkt haben, was in meinem Herzen vorging, und daß sie hier nicht durch Bitten und Vorstellungen siegen würde. – In der That war auch der Fallstrick, den ich hier wähnte, meines Erachtens, so plump angelegt, daß ich doppelt zürnen mußte, auf diese Art angegriffen zu werden. So viel war gewiß, daß ich der Einladung dieser, wie ich meynte, erdichteten Dame nimmer gutwillig gefolgt seyn würde, auch war ich sicher, daß nichts mich zwingen konnte, so lange der Schritt rückwärts in meiner Gewalt blieb. Meine Hütte war armselig und klein, aber sie hatte Keller, hatte Fallthüren, die mich meinen Verfolgern auf einmal aus den Augen gebracht haben würden, was auch hernach aus mir geworden seyn möchte.

[42] Die Fremde schien dieses zu wissen, oder zu muthmaßen, denn mit unglaublicher Schnelligkeit kam sie allen zuvor, was ich zu meiner Rettung hätte thun können. Die Thür war im Nu eröffnet. Die Schwarzen drangen hinein; sie bemächtigten sich meiner, hemmten meine Stimme mit einem kleinen Ball, den sie mir in den Mund stießen, warfen mich in den Palankin, die Sklavin setzte sich zu meinen Füßen, und nach einem kleinen Verweilen, welches meine Begleiter nutzten, hinauf ins Haus zu gehen und einige Sachen herab zu holen, ging die Reise fort.

Ich weinte sehr, auch schien ichs Ursach zu haben. Meine Heimholung zu der königlichen Termuthis von Oxirynchus glich einem räuberischen Ueberfall auf ein Haar, und meine Gefährtin mochte mir das Gegentheil so oft versichern als sie wollte, ich konnte über Vorstellungen, welche durch alles, was ich sah und hörte, bestätigt wurden, nicht Meisterin werden.

[43] Bedenket doch, sagte das junge Mädchen, dessen gute unschuldsvolle Miene freylich jeden Gedanken an Betrug und Bosheit hätte vernichten sollen, bedenkt doch, daß Ihr uns durch den Widerwillen vor dieser nothwendigen Reise, den ich in Euren Augen las, selbst zu dieser Gewaltthat genöthigt habt. Bedenkt doch, wie viel Proben Ihr habt, daß Ihr Euch in Freundes Händen befindet. Hier ist der Schlüssel zu Eurer Wohnung, die man sorgfältig verschlossen hat. Hier sind einige nothwendige Kleinigkeiten und das Buch aller Bücher, ohne welches man Euch diesen Weg nicht wollte machen lassen. Ich ließ sie in der Eil herabbringen, und selbst der Umstand, daß ich wußte, wo man diese Sachen finden konnte, sollte Euch lehren, – doch, mir ist verboten, mich weitläufiger hierüber zu erklären, und ich kann nichts weiter thun, als die Sache Eurer eigenen Ueberlegung, den Schluß Eurem Verstande zu überlassen, den man meiner Gebieterin sehr groß geschildert hat. – Himmel, schöne Rusma! wär ich so klug wie Ihr, ich würde schon aus der Art, mit welcher sich die Dame, von[44] welcher hier die Rede ist, ankündigt, Muthmaßungen schöpfen, die mich völlig befriedigen und es meinen Begleitern möglich machen würden, mich als eine freywillige Besucherin der großen Termuthis zu behandeln. Mich jammern Eure gebundenen Hände, mich jammert Euer schöner Mund, welchen die fatale Hemmung so wehe thut, aber ich sage Euch, nichts wird Euch von dieser Pein befreyen, als wahre, unerkünstelte Gelassenheit.

Ich dachte den Worten dieses klugen Mädchens in der Stille nach. In der That lag in den Dingen, auf welche sie mich aufmerksam machte, viel Grund zur Beruhigung. Der Name der königlichen Termuthis von Oxirynchus bezeichnete mir eine hohe Dame von altegyptischen Geblüt, die sich unter demselben keiner andern Person kund geben würde, als einer solchen, welche sie als Nachkommin eines Geschlechts, als Anhängerin eines Glaubens kannte. Ich habe schon im Vorhergehenden gesagt, daß die alten Egyptier, die unter der Herrschaft der Eroberer ihres Vaterlands noch [45] ganz das waren, und bleiben wollten, wozu sie ihre Geburt machte, sich unter einander an Namen und Abzeichen kannten, die keinen Profanen bekannt wurden. Ebn Reschid, mein Verfolger, vor welchem ich bey diesem Abentheuer am meisten gezittert hatte, war in diesen Dingen gewiß unwissender, als irgend einer seiner Landsleute; er war ein vornehmer Araber, der sich erst seit wenigen Jahren unter den Egyptiern niedergelassen hatte, und dieses edle Volk viel zu gering schätzte, als daß er sich um seine innersten Geheimnisse hätte bekümmern sollen.

Ich kann nicht läugnen, daß in diesen Betrachtungen viel Beruhigendes für mich lag. Meine Thränen hörten auf zu fließen, meine Gesichtszüge wurden nicht mehr durch die Spannung der Leidenschaft entstellt, meine Farbe kam zurück, und die Fremde, welche mir gesagt hatte, daß sie Nephtis hieß, schnitt lächelnd das seidne Band los, das meine Hände umschlang, und gab mir die Sprache wieder.

[46] Ich brauchte sie zuerst, diesem guten Mädchen zu danken; mit ihr zu zürnen, wär mir in den leidenschaftlichsten Augenblicken unmöglich gewesen, man sah zu sehr, daß sie ungern that, was sie thun mußte, und mir jede Kränkung gern erspart hätte.

Ich überhäufte sie mit Fragen, aber die Reihe, stumm zu seyn, war nun an ihr, ob gleich kein Ball ihre Rede hemmte. Ich erfuhr nicht, wer Termuthis war, deren Namen ich in der That einst schon gehört zu haben glaubte; ich erfuhr nicht, woher sie mich kannte, was sie von mir verlangte, und wie lang mein Aufenthalt bey ihr dauern würde. Woher man etwas von dem Buche des weisen Sophers wüßte, und warum man für gut gehalten hätte, mir es mit auf die Reise zu geben, dieß blieb mir eben so verborgen, und ich hielt es endlich für gut, zu schweigen, und mich Gedanken zu überlassen, welche jede Langweile vertrieben, die mich außerdem auf einem Wege, wie der unsrige, wohl hätte befallen können.

[47] Er zog sich durch die traurigen Gegenden jenseit des Sees Möris hin. Zur Rechten ließen wir die Begräbnißplätze und die Pyramiden von Osyse auf ihrer Anhöhe liegen, und lenkten uns gegen den Morgen dem Nil zu; doch lang dauerte es, ehe wir den Ort erreichten, wo sich mir alle Räthsel lösen sollten. Manche Stunde verschlich auf dem langsamen Zuge durch öde Gefilde, wo nichts mich unterhalten konnte, als mein Gedächtniß und meine Phantasie. Die Fabellehre meines Vaterlandes macht diese Wüsteneyen zu einer Welt von Wundern, und der weise Sopher hatte mich in diesen Dingen so wohl unterrichtet, daß sich vor mir die Einöde mit den Göttern und Menschen der Vorzeit zu beleben schien, meine Phantasie glühte, und Nephtis schien durch das, was ich ihr von den Bildern mittheilte, die mich beschäftigten, sehr ergötzt zu werden.

Ihr seyd bewundernswürdig! rief sie einmal über das andere. Meine Gebieterin verlangt nicht ohne Grund nach Eurem Umgange. Man hat sie in der Beschreibung [48] von Euch nicht getäuscht, ihr werdet sie und Euch selbst sehr glücklich machen.

Endlich langten wir vor einem prächtigen Gebäude an, dessen Mauern ein Arm des Nils umschlich, und das mir Nephtis als das Lustschloß der königlichen Termuthis von Oxirynchus ankündigte. Durch den weiten Marmorhof, welchen kollossalische Granitsäulen umringten, öffnete sich uns eine Aussicht in einen Garten oder vielmehr in eine meilenlange Lustgegend, welche alles in sich zu vereinigen schien, was die Kunst und die Ueppigkeit der Großen in dem Lieblingslande der Sonne zusammen drängen kann.

Zur Seite des Wegs, den wir nach dem Hauptgebäude nahmen, rauschte eine Wasserleitung, die mit allem gezieret war, womit die Kunst ihre Werke zu verschönern weiß, und die, wie mir Nephtis sagte, die ober- und unterirdischen Bäder mit Wasser versorgte. Alles athmete hier Pracht und Ueberfluß. Im Vorhofe bewillkommten [49] uns Heere von Sklaven, die weißer wie Schnee und schwärzer als Ebenholz waren, und von dem platten Dache des Hauses lachte uns ein Kranz schöner Mädchen entgegen, die, ob sie gleich wie Königinnen geschmückt waren, auch die Ketten der großen Termuthis trugen, und unsere Ankunft, auf Befehl ihrer Gebieterin, wie es schien, schon lange von ihrer Höhe beobachtet hatten.

Ich glaubte bezaubert zu seyn, so viel Pracht und Schönheit hatte ich noch nie beysammen gesehen. Die angenehmen Gegenstände, die sich meinen Augen darstellten, die Töne der Freude, die mein Ohr rührten, der Blüthenduft, der mich von jenem zauberischen Garten her umwehte, erfüllte mich mit den süßesten Empfindungen; doch hier ward nur meinen Sinnen geschmeichelt, meinem Herzen war ein besseres Entzücken aufgehoben. Nephtis brachte mich über eine Marmorstiege in ein großes Gemach, dessen Auszierungen mit dem, was ich schon gesehen hatte, vollkommen übereinstimmten. Eine nicht prächtig, aber [50] sehr anständig gekleidete Person eilte mir mit offnen Armen entgegen. Almé, rief sie, meine Almé Rusma!! – Sie schlug den Schleyer zurück, und – ich sahe mich an dem Busen meiner Iphis.

O wer malt meine Ueberraschung, wer unser beyderseitiges Entzücken? Wir waren trunken von Freude. Dieser Augenblick belohnte mir alle Angst, die mir der Anfang dieses Abentheuers gemacht hatte.

Noch hatten wir nicht Zeit gehabt, unsern Empfindungen Worte zu geben, so öffnete sich ein Vorhang im Hintergrunde des Gemachs. Iphis wand sich aus meinen Armen, und führte mich einer großen majestätischen Frau entgegen, welche sich uns mit langsamen Schritten nahte. Ein weites Gewand von dem feinsten Musselin umschloß ihre edle Gestalt, ein Gürtel, der mit dem Hauptschmuck von gleicher Kostbarkeit war, schloß sich unter ihrem offenen Busen, und das Herrliche, welches diese Figur an sich hatte, würde sie mir gleich als die Gebieterin des Schlosses bezeichnet[51] haben, wenn auch nicht Nephtis, die hinter mir stand, mir den Namen Termuthis zugeflüstert hätte.

Die Dame verweilte mit einem Blicke voll Rührung auf mir. Ich warf mich zur Erde und küßte den Saum ihres Schleyers. Sie hob mich auf und ihr Auge heftete sich noch fester auf mein Gesicht.

Ist das Almé Rusma? sagte sie, indem sie sich zu Iphis wandte. – O fürwahr, du hattest Ursache dich nach ihr zu sehnen! – Sey mir willkommen, mein Kind! Du hast mir durch die Scene, die ich eben vor mir sah, einen sehr frohen Augenblick gemacht. Bist du willig hieher gekommen, oder hat man dir die Freude, die du nun genießest, durch Schrecken würzen müssen?

Nephtis trat hervor, und erzählte von der Angst, die ich Anfangs ausgestanden hatte. Der Blick meiner Iphis hing mit Mitleid an mir, aber Termuthis lächelte, wie die Großen bey dem Leiden der Kleinern, das sie ihnen wohl ersparen könnten, oft zu thun pflegen.

[52] Iphis und ich erhielten Erlaubniß uns zu entfernen, sie führte mich auf ihr Zimmer, und wir sanken uns von neuem in die Arme. Unsere gegenseitigen Fragen begegneten einander, und beyde blieben lang unbeantwortet, als ich mich endlich gnugsam faßte, um mir von meiner Freundin, durch Erzählung meiner Geschichte die Mittheilung der ihrigen zu verdienen. Thränen des Danks und der Freude unterbrachen sie von neuem, Ströme von Fragen folgten nach, bis endlich Iphis sich meiner Ungedult erbarmte, und mir von ihrem Schicksal folgendes mittheilte.

Das Opfer, meine liebe Rusma, sagte sie, das ich dir brachte, war klein in Rücksicht auf mich; die, welche bereit gewesen wär, ihr Leben für dich hinzugeben, konnte sich ja wohl entschließen, dir durch Aufopferung ihrer Freyheit einige Vortheile zu schaffen. Ich erkannte den Nachtheil, den dir mein Verlust brachte, und den du so hoch anschlägst, nicht, aber nur zu lang waren meine Hände gebunden, hier etwas zu bessern. Ohne ein sehr günstiges Geschick [53] wär es freylich möglich gewesen, daß du mich nie wieder gesehen hättest. Ich verkaufte mich in deinem Namen an den Ersten den Besten, der mir die gefoderte Summe zahlte, und in meiner Gegenwart die Befriedigung deines Schuldners vor Gericht über sich nahm. Ich wartete noch die Absendung der schriftlichen Loszählung, des Gürtels und des übrigen Geldes an dich ab, und ging denn, so freudig ich konnte, an mein Schicksal, das ich mir selbst gewählt hatte.

Es war nicht glücklich. Die ersten Ketten, die ich trug, waren schwere Ketten, und ich würde sie vielleicht noch tragen, hätte ich nicht, als ich von meinem Herrn in diese Gegend gebracht wurde, wo er Besitzungen hat, den Namen der königlichen Termuthis, so wie ihn die Welt kennt, nennen gehört, und mir es schnell als möglich gedacht, durch sie in leidlichere Dienstbarkeit versetzt zu werden. Ich werde dir gesagt haben, daß ich schon vormals in den Diensten dieses erhabnen Hauses lebte, und daß es gleichsam um deinetwillen war, daß mich der Himmel dieser so leichten, so gern getragenen Ketten [54] entnahm, und mich zu Sophers Sklavin machte.

Es entzückte mich, meine ehemalige Dame, dem Gerücht nach, ganz wieder in der Hoheit zu wissen, die jenesmal der Brand von Alexandrien zerstörte. Sie hatte dieses Wunder ihrer Schönheit zu danken. Sie fiel an jenem Tage des Schreckens in Amrous Hände, und sie wußte die Leidenschaft, die sie ihm einflößte, zu ihrer Rettung und dem Glück ihrer Kinder zu nutzen. Mit Hintansetzung des Abscheus, den sie gegen den Verheerer ihres Vaterlands fühlen mußte, ward sie Amrous Gemahlin, und jetzt ist sie seine Wittwe. – Ich hörte jeden Umstand ihrer Geschichte, ich hörte, daß der königliche Menes, der so wie du meine Milch getrunken hat, sich nebst seinen ältern Schwestern nach Amrous Tode, dessen Augen man diese Kinder so viel als möglich zu entziehen suchte, wie der bey seiner Mutter aufhalte, und die Vorstellung, so viel Personen, die mir theuer waren, beysammen zu wissen, erhöhte in mir den Wunsch, meine damaligen Ketten mit denen zu vertauschen, [55] die ich ehemals mit so vielem Vergnügen getragen hatte.

Das Glück wollte es, daß ich einst in den Geschäften meines Herrn, einem der ältesten Bedienten der großen Termuthis begegnete, und von ihm, ungeachtet des Unterschieds, den neunzehn Jahre in meinen Zügen gemacht haben mochten, erkannt ward. Ich entdeckte ihm meine Wünsche, und erhielt die Zusage ihrer Erfüllung, welche ich nicht lange erwarten durfte.

Termuthis hatte ihre treue Iphis noch nicht vergessen, man durfte ihr nur meinen Namen nennen, so war ihr Entschluß auch ohne meine Bitte gefaßt. Mein harter Herr erhielt den doppelten Preis, den er für mich gezahlt hatte, und ich ward von neuem die Sklavin dieses hohen Hauses, oder vielmehr seine Freygelassene.

Kaum hatte ich in diesen Wohnungen der Freude das ausgestandene Elend vergessen, kaum begann ich hier mich glücklich zu fühlen, so dachte ich an Almé. Wie mag [56] es ihr ergehen, dieser Beklagenswürdigen? sagte ich zu mir selbst. Hat die schwache Bemühung der Treue vermocht, sie aus den Stricken der Bosheit zu reißen? Ziehen sich die verrätherischen Schlingen, die man ihr legte, nicht vielleicht schon jetzt wieder über ihren Füßen zusammen? Einsam, verlassen, ohne Schutz ist sie eine freye Beute des Verbrechens! O Iphis! Iphis! du darfst kein Glück genießen, wenn Almé Rusma es nicht mit dir theilt!

Ich warf mich der großen Termuthis zu Füßen. Ich bat um Wiedervereinigung mit dir; vielleicht hätte ich gesiegt, wenn ich blos deine Vorzüge, unsere Liebe, und meine Sorge um dich geschildert hätte, aber ich kenne die Großen, ich wußte, daß auch unsere erhabne Gebieterin nicht frey von ihren Fehlern ist; eine Wohlthat, bey welcher das Vergnügen der Reichen und Mächtigen auf keine Art in Anschlag kommt, wird immer kalt, lässig und sparsam ertheilt. Ich will nicht undankbar seyn, aber ich weiß sehr wohl, daß selbst ich nicht ohne diese Rücksicht hier wieder aufgenommen [57] ward, und ich glaube, ich that nicht Unrecht, mir in Dir eine neue Stütze zu besorgen.

Ich sagte meiner Gebieterin, daß Almé 5 ihren Namen nicht mit Unrecht führe, ich sagte ihr von deiner Gabe zu singen, zu erzählen, und den gleichgültigsten Dingen durch deinen Vortrag und durch die lebendige Darstellung einen Zauberreiz zu geben. Ich sagte ihr von dem Buche des weisen Sopher, aber ich hütete mich wohl zu erwähnen, daß es die Quelle von den mehresten deiner Erzählungen ist, man mag dich immer bey demselben für eine Begeisterte halten, die alles aus sich selbst, oder aus übernatürlichen Eingebungen schöpft, man mag jene heiligen Blätter, deren Bilderschrift niemand versteht, immer für ein Zauberbuch halten, ich versichre dich, ein solcher Wahn wird dir in einem Hause, wie das unsrige, da man das Wunderbare ungemein liebt, nicht schaden. Deine Bescheidenheit [58] wird verhindern, daß er nie so weit geht, dich in Verlegenheiten zu setzen, ach, was sage ich, deine Bescheidenheit und Liebe zur Wahrheit würde ihn lieber ganz vernichten; aber ich bitte dich, thue dieses nicht; ich kenne dieses Haus, und weiß, was es dir, die schon so viel ist, für Vortheil bringen wird, insgeheim noch für mehr gehalten zu werden.

Ich fand an diesem Theil der Rede meiner Iphis kein sonderliches Wohlgefallen, aber ich schwieg und ließ es gnug seyn, mir insgeheim vorzunehmen, ich wolle nie einen falschen Wahn von mir begünstigen, und aufs wenigste die Regeln der Politik, die ich hier erhielt, so umformen, wie sie zu meinem Charakter paßten.

Iphis, welche mein heimliches Bedenken nicht gemerkt hatte, fuhr in ihrer Erzählung fort. Es gelang mir, sagte sie, in dem Herzen der großen Termuthis das lebhafteste Interesse zu erwecken. Sie glaubte sich allein von Mitleid und Bewunderung beseelt, aber im Grunde war sie es weit [59] mehr von Neugier und Verlangen, die schleichenden Stunden, die wir hier so wohl kennen als andere Menschen, auf eine neue Art gekürzt zu sehen. Mache dich gefaßt, nächster Tage zu einer Erzählung aufgefordert zu werden, wie du sie mir zuweilen in der glückseligen Einsamkeit unserer Hütte machtest, und trage Sorge aus dem ganzen Buche des weisen Sophers, gerade diejenige zu wählen, von welcher du meynst, daß sie deinen Ruhm am besten bestätigen, und dir die größte Wahrscheinlichkeit, hier lange glücklich seyn zu können, gewähren möchte. Die große Termuthis hat ihre eigenen Launen, das beweist selbst die Art, mit welcher du hieher gebracht worden bist. Ich bat, dich selbst abholen zu dürfen. Ich hätte dir so gern jeden Zweifel, den ich voraus sah, jede Angst erspart, aber dieses taugte nicht in den Plan unserer Beschützerin. Der Wunsch, Zeuge von der Scene unsers Wiedersehens zu seyn, war ihr vielleicht nicht zu verdenken, und der Einfall, dir deine Freude durch vorhergegangene Unruhe desto höher zu würzen, – je nun; – [60] er war ein Einfall, wie sie die Großen öfters haben.

Noch habe ich das Urtheil der großen Termuthis über dich nicht aus ihrem Munde gehört, aber in ihren Augen habe ich es gelesen. Ein gnädiger Empfang war dir bestimmt, aber du erinnerst dich wohl, daß dir eine sehr zärtliche Bewillkommung zu Theil wurde. Die Rührung unserer Dame war so groß, daß sie uns eilig entfernen mußte, um nicht vor unsern Augen Thränen fallen zu lassen. – Ich bitte dich, Almé, erhalte dir das gute Vorurtheil, das man für dich hat; nähre die Zuneigung, die du gewinnst. Mache dich den Prinzessinnen, die du bald kennen lernen wirst, gefällig, und sollte dir der Zufall einst den königlichen Menes, deinen Milchbruder zu Gesichte bringen, – doch ich verschone deine Bescheidenheit und verschweige meine Wünsche. Das Schicksal gewähre meiner geliebten Rusma jedes Glück, das ihre Schönheit und ihre Tugend verdient.

Es schien, es war die Absicht der guten Iphis, ich sollte hier eine künstliche Rolle [61] spielen; ich war hiervon ganz abgeneigt. Ich entschloß mich, jedesmal nur so zu handeln, wie es die Gelegenheit und mein Charakter mit sich brachte. Wie dieses gelang, wird man aus der Folge sehen.

Ich ward sehr bald wieder zu der großen Termuthis gerufen. Man stellte mich ihren Töchtern vor; sie waren schön, gutmüthig und in Jahren wenig von mir verschieden. Freundschaft würde vielleicht gleich Anfangs unter uns Platz genommen haben, hätte dieses nicht der Unterschied des Ranges verhindert. Almé Rusma war zwar hier keine Sklavin, oder eine eigentliche Dienerin des Hauses; man ehrte ihre Wissenschaften, man hatte an ihrer Herkunft (Iphis hatte mich hier nicht anders, als Sophers Tochter bekannt gemacht) – nichts auszusetzen, aber sie blieb doch allemal eine untergeordnete Person, die ihre ganze Wichtigkeit von ihrem Einfluß in das gemeinschaftliche Vergnügen, oder allenfalls von einem Buche hernahm, dessen Besitzerin sie war, und das man wegen seiner Hieroglyphen für Vehikel der tiefsten [62] egyptischen Weisheit zu halten geneigt war.

Ich ward sehr bald aufgefordert, meine Talente zu zeigen. Wenn die Damen sich im Mondschein auf dem Dache des Hauses badeten, wenn die Mittagshitze sie in kühle Grotten, oder der frühe Morgenhauch in die blühenden Lauben des Gartens rief, wenn die große Termuthis schlaflose Nächte hatte, oder wenn benachbarte Damen ihr aufwarteten, so ward Almé Rusma gerufen. Sie sang, sie deklamirte, sie beantwortete aufgeworfne Fragen, sie löste Räthsel, oder machte Verse aus dem Stegreif. Zum Tanze ließ sie sich sehr selten herab, sie war immer bedacht, ihrer Würde nichts zu vergeben, und überließ jene Uebung, in welcher man ihr zwar mit der größten Vollkommenheit schmeichelte, den Sklavinnen.

Die vornehmen Egyptierinnen, welche die königliche Termuthis zu besuchen kamen, fanden die Unterhaltung, welche ihnen Almé gab, entzückend: Der Trieb, sich Größern nachzubilden, war ihnen nicht fremd. [63] Auch sie wollten ihre Almés haben. Die Töchter einiger Weisen, welche sich noch von den alten egyptischen Priestern herrechneten, waren hiezu nicht ungeschickt, und so kann ich mich rühmen, daß ich, ohne es zu wollen, einem ganzen Orden das Daseyn gegeben habe, der damals begann, mit meinem Namen benannt zu werden, und jetzt, nach einem halben Jahrhundert, das seit jenen Zeiten verfloß, schon sehr zahlreich geworden ist. Die Jungfrauen der Isis, wie sich diese Mädchen, um sich eine Wichtigkeit zu geben, sehr gern nennen hörten, gingen zwar von den Sitten der ersten Almé gar sehr ab, dafür fiel es aber auch niemand ein, welcher Almé Rusma kannte, sie für ihre Schwestern zu halten.

Die Absicht dieser Blätter, meine Leser, ist keine andre, als Euch einige der Erzählungen vorzulegen, mit welchen ich Anfangs die große Termuthis, und bald darauf, als mich mein Schicksal aus ihrem Hause trieb, auch andre zu unterhalten pflegte.

[64] Ich blieb in der Folge der Geschichte, dem Befehl des weisen Sophers treu. Ich begann, so sehr auch Iphis, welche hier eine reiflich überdachte Wahl forderte, dawider war, mit der ersten, und hörte mir der letzten auf. – O weiser Sopher! wie bestätigten sich in der Folge deine Worte! Wie sehr verkettete sich mein Schicksal mit dem, was du mich vortragen lehrtest! Thaten meine ersten Erzählungen von den ersten egyptischen Königen vielleicht nichts mehr, als daß sie der großen Termuthis, welche stolz darauf war, von den alten Pharaonen entsprossen zu seyn, und die die Hoheit ihrer Urväter gern schildern hörte, ein wenig schmeichelten, so griffen die nachfolgenden desto tiefer in ihr Interesse.

Vielleicht werde ich die Art und Weise, wie dieses geschah, an einigen Stellen bezeichnen, und meinen Lesern hie und da Spuren von den Empfindungen angeben, welche ich theils glücklich, theils unglücklich genug war, in meinen Zuhörern zu erregen, aber, wo werde ich Worte finden, meine eigenen [65] Gefühle zu schildern, als ich mit der Zeit auf Geschichten stieß, welche ich zwar oft gelesen und wiederholt hatte, aber ohne das darin zu finden, was ich zuletzt darin fand.

Was hielt meine damals so schnell geöffneten Augen, daß sie so spät erst des weisen Sophers Geschichte und die Meinige da erkannten, wo ich bisher mir ganz fremde, ganz gleichgültige Begebenheiten gesehen hatte!? – O, meine Leser, daß es mir das Schicksal vergönnte, bis auf die letzte der wundervollen Erzählungen zu kommen, deren Einfluß auf das Glück der armen Almé so groß, so unerwartet war! – Der weise Sopher hatte sie überschrieben: Die Braut des Nils 6. Hätte ich in diesem [66] gleichgültigen Titel, der sich blos auf eine alte grausame Gewohnheit meines Vaterlandes zu beziehen schien, wohl je die beglaubtesten Urkunden von meiner Geburt, und das Mittel geahndet, mich zur nächsten Verwandtin, zur Gemahlin des königlichen Menes zu machen, den ich, ungeachtet ich in dem Hause seiner Mutter lebte, so spät erst kennen lernte, und zu welchem ich, als es ihm einst 7 erlaubt war, bey meinen [67] Erzählungen gegenwärtig zu seyn, als er den ersten Blick der Liebe und Bewundrung auf mich heftete, wie zu einem höhern Wesen aufsahe, dessen näherer Umgang mir ewig unerreichbar bleiben mußte.

[68]

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TextGrid Repository (2012). Naubert, Benedikte. Märchen. Alme oder Egyptische Märchen. Erster Theil. Eingang. Eingang. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-5EAC-9