[121] [123]Die Quäste.
Von der Quästenburg, einer einst sehr berühmten Veste am Ende des Harzes, dem Schrecken der umliegenden Fluren und der vorbeireisenden Kaufleute, haben sich nur Trümmern und eine Volk-Sage, die ein jährliches Volksfest erneuert, erhalten. – Wild Gras überdeckt jetzt den Burghof, und von den Sälen, wo hochherzige Ritter ihre Gelage feierten, wo laut die Hohnlache des Raubfestes erscholl, ist kaum eine Spur vorhanden. Statt der spähenden Knappen sitzt in der moosbewachsenen Maueröfnung ein kauerndes Käuzlein. Nichts hat sich von allen den großen Gebäuden [123] erhalten, als einige hier und dort sich erhebende Ruinen der Burgmauer, einige Keller, deren Eingänge Kröten und Schlangen und verwachsenes Gebüsch, das selbst die Gemäuer überkleidet, dem forschenden Wanderer streitig machen, eine Trümmer des vordern Thorthurms, und – das Burgverließ.
Der Berg, auf dem sich das Raubschloß erhub, ist ringsum von höhern Bergen umkränzt, die es in der Vorzeit zugleich versteckten und schützten; diese sind zum Theil mit Holz bewachsen, zum Theil wie aus schroffen Felsenmassen, in den sonderbarsten Gruppirungen, aufgethürmt. Nur auf einer Seite bietet eine Schluft, die zwischen den Bergen sich öfnet, der in der Ferne kaum bemerkten Burg eine freiere Aussicht dar, zunächst über ein schmales Thal, das jetzt ein friedliches Dörfchen, Questenberg, ausfüllt, und dann über einen ziemlich eng beschränkten Strich queer durch die goldne Aue, der am Ende des Horizonts, durch den Kyffhäuser-Berg [124] und die Rothenburg begränzt wird. Listig genug hatte ein Ritter des Mittelalters sich diesen Schlupfwinkel ausgesucht für Thaten, die das Licht scheuten; denn nicht leicht konnten mit Gütern beladene Wagen, die durch diesen sehr besuchten Theil von Thüringen fuhren, den spähenden Blicken des Burgherrn entgehen, der versteckt im Hintergrunde lauerte, gleich dem Ameisenlöwen in der Spitze seines Sandtrichters.
Folgende Volks-Sage erklärt das Entstehen des Namens der Quästenburg, und lehrt uns, daß auch in jenen Raubzeiten die Natur ihre Rechte behauptete.
»Einer der uralten Burgherrn hatte eine einzige Tochter. Als das Kind vier oder fünf Jahr alt war, verirrte es sich einst in dem Walde, der die Burg rings umschloß. Am [125] Abend des Tages fand es ein entfernter Köhler nicht weit von seiner Hütte ruhig sitzen, und beschäftigt sich einen kleinen Blumenkranz zu flechten. Er fragte das Kind, woher es komme? wer sein Vater, seine Mutter sey? was es hier suche? Von alle dem wußte das Kind nichts, als daß seine Mutter todt sey, und daß der Vater Kurt heiße. Nun hießen Hunderte der dortigen Landesbewohner Kurt; und dem Köhler blieb nichts übrig, als das Kind, bis er nähere Kunde erhielte, mit in seine Hütte zu nehmen und sein zu pflegen.
Der Burgherr, trostlos über den Verlust seines Kindes, hatte unterdeß alle seine Knappen und Dienstleute aufgeboten, um sein verlohrnes, einziges Töchterchen zu suchen. Nach langem vergeblichen Umherirren und Suchen der Knappen, und nach vielen kummervollen Tagen, fanden endlich einige Einwohner von Rota das Kind auf einer Wiese sitzen, beschäftigt sich Blumenkränze zu flechten. Es führte [126] sie zu der Hütte des Köhlers, der es gepflegt hatte. Und bald nachher brachten sie es, unter lautem Jubel, nach der Burg zurück. Der Köhler, der es dahin begleitete, trug den Kranz, den das Kind bei seiner Hütte geflochten hatte, und überreichte ihn dem Vater, der Freudetrunken sein Töchterchen in seine Arme schloß.
Der Kranz hieß damals: Quäste. Zum Andenken dieser sonderbaren Begebenheit, nannte der Burgherr von diesem Kranze, den er heilig aufbewahrte, sein Schloß, das sonst Finsterberg hieß: die Quästenburg, schenkte, vor Freude über die Auffindung seiner Tochter, dem Köhler und der Gemeinde zu Rota auf ewige Zeiten die Wiese, auf der sie das Fräulein fanden 1, und ordnete, aus Dankbarkeit, [127] das Volksfest für seine Dienstmannen an, wobei ein Kranz, oder eine Quäste, an der größten Eiche des höchsten Berges in der Gegend befestigt wurde, um weithin gesehen zu werden.«
Dieses Volksfest dauert wirklich noch fort, und ist vielleicht einzig in seiner Art.
Am dritten Pfingsttage bringen die jungen Bursche des Dorfs Questenbergs, die gröste Eiche, welche sie in dem dortigen ansehnlichen Forst haben auffinden können, unter einem kaum zu zählenden Haufen jauchzender Zuschauer aus der ganzen umliegenden Gegend, [128] von Trompeten und Hörnern begleitet, den hohen Berg heran, der auf die Ruinen der alten Quästenburg herabsieht. Sie müssen aber, dem Herkommen nach, den ungeheuern Baum, dessen vorragende Aeste sich schon vorher abgehauen haben, blos mit den Händen den Berg heranwälzen oder heraufziehen. Oben auf dem Gipfel des Berges, welcher die Gegend beherrscht, wird dann der Baum aufgerichtet, und an einem Queerbalken ein grosser Kranz von Baumzweigen geflochten, der einem Wagenrad gleicht, befestigt, und alles ruft: »Die Quäste hängt!« Dann wird oben auf dem Berge getanzt, welches die Hauptbelustigung ist.
Nach einigen Stunden, zieht die ganze versammelte Menge, unter weitschallender Musik, in Procession den Berg herab, und nach dem Hause des Predigers in Questenberg, den sie zu einem feierlichen Gottesdienst in der Kirche abholen, womit sich das Volksfest beschließt.[129] – Die Eiche, welche nach dem Fällen verkauft wird, und die Kosten des Fests trägt, bleibt ein Jahrlang auf dem Berge aufgerichtet stehen. Den großen Kranz von Baumzweigen nennen die Bewohner der Gegend: die Quäste.
Fußnoten
1 Noch jetzt besitzt wirklich die Gemeinde von Rota, einem mansfeldischen Dorfe, anderthalb Stunden von Quästenberg entfernt, eine Wiese, welche jetzt von der Pfarre zu Quästenberg zu Lehn geht. Als Zins muß sie alle Jahr am zweiten Pfingsttage, vor Sonnenaufgang, auf der Pfarre zu Quästenberg einige Brode abliefern; wird der Lohnzins nicht zur rechten Zeit gebracht, so hat der Prediger das Recht, sich das beste Rind aus der Heerde der Gemeine von Rota auszusuchen.