Der geraubte Schleier
(oder das Märchen à la Montgolfier)

[391] [393]Unfern der Stadt Zwickau, im Erzgebürge, liegt das bekannte Schwanenfeld, welches den Namen hat von einem Weiher, der Schwanenteich genannt, der heutzutage zwar beinahe versiegt aber doch noch nicht ausgetrocknet ist. Das Wasser desselben hat die Eigenschaft, die weder dem Pyrmonter Brunnen, noch dem Karlsbade, noch den Wassern zu Spaa, oder sonst einem Gesundbrunnen [393] innerhalb Deutschland, auch selbst dem welschen Königsbade zu Pisa nicht verliehen ist. Es ist das wahre Schönheitsöl, wirksamer als die verjüngende Salbe des rätselhaften St. Aimar, kräftiger als Maientau, reinigender als Eselsmilch, oder das zur Erhaltung buhlerischer Reize erfundene Waschwasser à la Pompadour, köstlicher als das berufene Talksteinöl. Still und geräuschlos gleitet die wundersame Quelle unter dem Schatten unedler Gesträuche dahin, deren Wurzeln sie tränket, und verbirgt sich, beschämt daß ihre Kraft und Wirkung verkannt wird, bald wieder in den mütterlichen Schoß der Erde, da ihre stolze Nachbarin im Karlsbad mit vornehmen Ungestüm hervorsprudelt, sich prahlerisch durch heiße laugenhafte Dämpfe ankündiget, und von der ganzen gichtbrüchigen Welt sich panegyrisieren läßt. Es ist kein Zweifel, wenn die verborgenen Tugenden der gebürgischen Quelle, das unstete und flüchtige Gut der weiblichen Schönheit stet und fest zu machen, oder die welkende Blüte derselben wieder zu erfrischen, kund und offenbar würde, daß die weibliche werte Christenheit mit eben der Inbrunst und dem Eifer zum Zwickauer Schönheitsbrunnen zu großem Vorteil und Gewinn der guten Stadt wallfahrten würde, wie die türkische Karawane nach Mekka zum Grabe des Propheten; auch würden die Töchter der Stadt fleißig herausgehen mit ihrem Zuber des köstlichen Wassers zu schöpfen, und so wenig ermangeln bei dieser Gelegenheit Heiratsgewerbe zu betreiben, wie vormals die Nahorittinnen. Aber wie nicht der Saum einer jeden Wolke von der Sonne vergüldet wird, nicht jede Blume, die erfrischender Morgentau tränket, hohe Farben spielt, auch nicht jede verschwitzte Perl, durch Limoniensaft gereiniget, ihr erstes Wasser wieder gewinnt, sondern bei gleicher Wirksamkeit der Lichtstrahlen, des fruchtbaren Taues und der Zitronensäure, gewisser eintretenden Umstände halber dennoch nicht immer gleiche Wirkung erfolgt: so würde nach Maßgabe angezogener Gleichnisse auch nicht jede badende Nymphe durch die Zwickauer Wunderquelle, der unbezweifelten Wirksamkeit derselben unbeschadet, Jugend und Schönheit fesseln: denn beide sind durch den nassen Weg eines Wasserbades ohnehin [394] schwerer zu gewinnen, als durch den trocknen des Pinsels und der Schminkdose dem Auge vorzulügen.

Doch hier tritt noch der besondere Umstand ein, daß das Zwickauer Schönheitsbad seine wundersame Eigenschaft nur an solchen Damen äußert, welche, sei's auch im tausenden Gliede, aus der Sippschaft der Feien abstammen. Das sei inzwischen nicht gesagt, um irgend eine Schöne von dieser heilsamen Badekur abzuschrecken: denn welche ist versichert, daß sie geradezu in unverrückter Geschlechtsfolge von väterlicher und mütterlicher Seite aus Mutter Evens irdener Hüfte entsprossen sei, und nicht in die lange Reihe vergessener Ältermütter irgendeine Fei zwischen eintrete, und sonach ein Tropfen ätherisches Blut in ihren Adern fließe? Ist immer möglich, daß der unermüdete Forschungsgeist der Menschenkunde, in dem Menschenantlitz ein Feenprofil ausspähet, wie er bereits eine Königslinie geahndet, und ein Armensünderprofil gefunden hat. Bis dahin können vielleicht andere Merkzeichen die Stelle der zu hoffenden gewissern Überzeugung vertreten. Jedes zauberische Talent der Töchter Teutoniens, es sei dieses der Wohlgestalt des Wuchses, dem Blick der Augen, der Eurhythmie des Mundes, der Wölbung des Busens, den Organen der Stimme verliehen; oder es bestehe in der Gabe eines bezaubernden Witzes, oder einer gewissen Kunstfertigkeit, läßt ein Erbteil aus dem großmütterlichen Feenschatz vermuten, und wo ist ein Mädchen, das nicht irgend so ein Zauberkünstchen treiben sollte? Die Wallfahrt ins Zwickauer Schönheitskonservatorium wär drum des Weges wohl wert, und insonderheit der Teil der schönern Welt dazu aufzumuntern, welchem das Schicksal bevorstehet, die Flagge der Schönheit des nächsten zu streichen.

Im Angesicht des kleinen Sees, in welchen die magische Quelle ihren Silberstrom ergoß, wohnte an dem sanften Abhange eines Hügels, in einer lustigen Felsengrotte, Benno, der fromme Einsiedler, der den Namen von dem bekannten frommen Bischof in Meißen, zum Aushängeschild seiner Tugend und Frömmigkeit entlehnt hatte, und nicht minder im Geruch der Heiligkeit stund als sein [395] Namenspatron. Niemand wußte zu sagen, wer Benno eigentlich sei, noch von wannen er kommen war. Vor langen Jahren langte er als ein rüstiger Pilger an, ließ sich in der Gegend des Schwanenfeldes 1 nieder, erbauete eigenhändig eine artige Einsiedelei, pflanzte einen kleinen Garten umher, in welchem er die herrlichste Baumschule von ausländischen Obstbäumen und Traubengeländer anlegte. Er zog darinnen auch süße Melonen, welche damals für eine große Leckerei gehalten wurden, und womit er die Gäste, welche bei ihm einsprachen, bewirtete und labte. Seine Gastfreiheit machte ihn ebenso beliebt, als seine heitre Gemütsart. Die gebürgischen Einwohner wendeten sich wegen seiner Frömmigkeit an ihn, als einen Anwalt und Unterhändler bei allerlei Notdurft vor dem himmlischen Tribunal, und er gewährte seine Vorsprache oft ganz entgegengesetzten Wünschen mit großer Bereitwilligkeit, ohne die Gebühr eines reichen Almosens. Gleichwohl fehlte es ihm an keinem Bedürfnis des Lebens, vielmehr gab ihm der Segen des Himmels an allem Überfluß. Ob indessen den frommen Benno ein himmlischer Beruf aus dem Geräusche der Welt in seine einsame Klause trieb, oder ob ihm wie dem frommen Abälard eine Heloïse [396] zum kontemplativen Leben Beruf und Neigung gab, das wird sich vielleicht in der Folge veroffenbaren.

Um die Zeit, als Markgraf Friedrich mit dem Biß, seine Fehde mit dem Kaiser Albert ausfocht, und das Schwabenheer das Osterland verheerte, hatte bereits das Alter den ehrwürdigen Benno mit einer ansehnlichen Glatze geschmückt, und die Überbleibsel seines Haarwuchses an der Stirn gebleichet, er ging krumm und sehr gebückt an seinem Stabe einher, und hatte nicht mehr die Kräfte seinen Garten im Frühling umzugraben, wünschte sich einen Gehülfen und Beistand; aber die Wahl fiel ihm schwer, im Gebürge einen Hausgenossen zu finden der ihm zu Sinne war, denn das Alter machte ihn mißtraulich und wunderlich. Unverhofft gewährte ihn der Zufall seines Wunsches, und ließ ihn einen Gehülfen finden, an den er sich wie an seinen Stab halten konnte. Die Meißner hatten bei Lucka die Schwaben in einer großen Schlacht erlegt, und ihrer bei sechzig Schock erschlagen 2. Ein panisches Schrecken fiel auf das Schwabenheer, die Furcht gab ihnen die gewöhnliche Losung: rette sich wer kann! Jeder der nach der Schlacht noch ein Paar gesunde Füße unter sich fühlte, dankte Gott und allen Heiligen dafür, und bediente sich derselben wie die aufgeschreckten Lerchen der Flügel, sich über die betrüglichen Garnwände empor zu schwingen und den Netzen des Todes zu entrinnen; viele flohen nach den nächsten Wäldern und die Ermatteten verbargen sich in hohle Weiden. Eine getreue Spießgenossenschaft, sieben Mann an der Zahl, gelobten sich, treulich beieinander auszuhalten, sich nicht zu trennen und zusammen zu leben und zu sterben. Es gelang ihnen dem nachhauenden Feinde glücklich zu entkommen, sie waren insgesamt frische wohlbewadete Pursche, die kein Läufer aus Midian würde eingeholet haben. Endlich ermüdeten sie doch durch den allzulangen Wettlauf, und da die Nacht hereinbrach, beratschlagten sie sich, wo sie einen [397] Ort finden möchten sich zu verbergen. Im freien Felde hielten sie sich nicht sicher gnug, sie faßten also den Entschluß in ein einsames Dorf sich zu schleichen, das ihnen eben aufstieß, denn sie urteilten ganz recht, daß die Mannschaft daraus mit ins meißnische Lager gezogen sei. Dennoch waren sie sehr behutsam, und um das strengste Inkognito zu beobachten, nahmen die sieben Helden in einem Backofen ihre Herberge, ihre Anwesenheit desto sicherer zu verhehlen. Nun mag wohl ein Backofen eben nicht das bequemste Gastbette sein, und vor der Lucker Schlacht würden sie auch mit einem solchen Nachtquartier schwerlich vorlieb genommen haben, denn tausend Heringe schlafen leicht friedsamer in einer Tonne beisammen als sieben Soldaten in einem Backofen; aber diesmal machte die Not Quartier, die große Ermattung gebot Eintracht und der Schlaf Schweigen: es fiel ein Paar Augen nach dem andern zu und die Unglückskameradschaft schlief bis an den hellen Tag, ob sie gleich verabredet hatten in der Morgendämmerung in aller Stille zu dekampieren.

Aber ehe die Siebenschläfer erwachten waren sie bereits von einer Bäuerin entdeckt worden, die, weil das Gerücht des Sieges schon ins Land erschollen war, aus großer Freude über diese Botschaft einen Kuchen eingemengt hatte, den sie in aller Frühe backen wollte. Wie sie zum Ofen kam und die Einquartierung da wahrnahm, merkte sie bald an den zerfetzten Wämsern und Hosen, daß diese fremden Gäste Flüchtlinge wären, sie lief also flugs ins Dorf und sagts ihren Nachbarinnen an. Augenblicks versammlete sich die Schar der Bäuerinnen, gerüstet mit Bratspießen und Ofengabeln, nicht anders als wenn sie in der ersten Maiennacht den Besen satteln und auf den Brocken ziehen wollten. Der Backofen wurde von der weiblichen Kohorte förmlich berennt, man hielt Kriegsrat, ob man mit gewaffneter Faust oder mit dem Element des Feuers den Feind angreifen wollte, denn beschlossen war es die Schmach der Jungfrauen und Weiber an den schändlichen Buhlern zu rächen, die bei dem Einfall ins Land weder die Heiligkeit der Klöster noch die Zucht der tugendsamen Hausmütter und ihrer Töchter [398] verschonet hatten. Ob nun wohl die sieben Märtyrer an der Sünde ihrer Landsleute vielleicht sehr unschuldig waren, so sollten sie doch für sie die Schuld abbüßen: die strenge Keuschheitskommission verurteilte sie nach gepflogenem Rate allesamt zum Bratspieß. Schon schwung der Geist der Rache die ungewohnten Waffen in der Hand der Dörferinnen, nicht anders als Bacchantenwut den schweren Thyrsus in der Hand der Dyaden. Der ganze Haufe stürmte einmütig auf die Heldenherberge ein, ohne die Unverletzbarkeit des Gastrechtes zu respektieren; die wehrlosen Wichte wurden mit kräftigen Stößen und Gabelstichen gar unsanft aus dem erquickenden Schlafe geweckt. Sie ahndeten aus diesem unfreundlichen Morgengruße ihre Gefahr, stimmten große Lamenten an, kapitulierten aus dem Ofen heraus und baten flehentlich um ihr Leben. Doch die unerbittlichen [399] Amazonen gaben kein Quartier, stachen und gabelten so behende von außen in den Mordkeller hinein, bis eine völlige Totenstille darin herrschte und keiner der unglücklichen Spießgesellen mehr ein Glied regte; hierauf verwahrten sie die Tür von außen und zogen triumphierend im Dorfe umher 3.

Sechse von der verbündeten Kameradschaft waren bei diesem Ofenscharmützel wirklich auf dem Platze geblieben, dem siebenten, der klüger oder entschlossener war als die übrigen, gab die Gefahr ein sicheres Rettungsmittel an die Hand; er nahm in Zeiten eine weise Retirade in die Feuermauer, stieg durch solche unbemerkt aus dem schauervollen Kerker, gleitete vom Dach herunter und gelangte ins Freie, lief aus allen Kräften dem nahen Gebüsche zu, und wanderte so unter fortwährender Todesfurcht den ganzen Tag in der Irre herum bis zu Sonnenuntergang. Vor Entkräftung und Hunger sank er unter einen Feldbaum, und nachdem [400] die Abendkühlung seine Kräfte erfrischet hatte, hob er die Augen auf und sahe in einer kleinen Entfernung einen andächtigen Eremiten, der vor einem sehr simplifizierten Kreuz das nur mit Baumbast zusammengebunden war, seine Andacht verrichtete. Dieser fromme Anblick machte ihm Mut, er nahete in einer demütigen Stellung dem ehrwürdigen Ordensmanne, kniete sich hinter ihn, und da dieser sein Gebet vollendet hatte, erteilte er dem Fremdling den Segen. Wie er aber diesen so bleich und entstellt sahe, auch aus seiner Kleidung urteilte, daß er ein Lanzknecht oder Schildknappe sei, ließ er sich mit ihm ins Gespräch ein. Der ehrliche Schwab vertrauete ihm seinen Unstern so treuherzig, als ob er seine Beichte ansagte, ohne seine Furcht für dem Tode zu verhehlen, denn er fürchtete immer der Würgengel mit der Bratspießsense bewaffnet, folge ihm auf dem Fuße nach, und werde ihn noch bald gnug einholen. Den gutmütigen Einsiedler jammerte das unschuldige Schwabenblut, er bot ihm Schutz und Obdach in seiner Wohnung an, zwar bildete dem furchtsamen Flüchtling seine verworrene Phantasie gleich beim ersten Eintritt die düstre Grotte als einen Mordkeller ab; nicht nur dieses Felsengewölbe, sondern auch die Kapelle, die Speisekammer, der Keller des Einsiedlers, ja selbst das azurne Gewölbe des Himmels, gewann in seinen Augen die Gestalt eines Backofens; es überlief ihn ein kalter Totenschauer nach dem andern. Aber der freundliche Greis sprach ihm bald wieder Mut ein, reichte ihm Wasser die Füße zu waschen, tischte ihm gutes Brot und einige Gartenfrüchte zur Abendmahlzeit auf, labte seine trockne Zunge die an dem Gaumen klebte mit einem Becher Wein, und bereitete ihm ein Nachtlager von weichem Moos. Friedbert der Schwab schlief auf beiden Ohren, bis ihn der fromme Benno zum Gebet weckte, worauf er beim Frühstück aller Not und Herzeleids vergaß und nicht Worte hatte seinem guten Wirt für die menschenfreundliche Aufnahme und Pflege sattsam zu danken.

Nach drei Tagen dünkte es ihm Zeit förder zu ziehen; doch sehnte er sich aus diesem ruhigen und sichern Aufenthalte so wenig hinweg, als es einem Schiffer, der beim Sturm [401] in einer windsichern Bucht den Anker hat fallen lassen, lüstet, sich in die offne See zu wagen, solange noch die Winde draußen heulen und die hohlen Wellen brausen. Benno seinerseits fand an dem ehrlichen Schwaben einen so schlichten und geraden Sinn, so viel Treuherzigkeit und Dienstbeflissenheit, daß er ihn stets bei sich zu behalten wünschte. Diese Übereinstimmung des Willens machte bald beide Teile des Handels einig; Friedbert nahm von dem Altvater die Tonsur, wechselte das Soldatenkleid mit einem Eremitenrock, und blieb als dienender Bruder in der Klause, seines Wohltäters zu warten, die Küche und den Garten zu beschicken und die nach der Einsiedelei wallfahrtenden Pilger zu bedienen. Um die Zeit der Sonnenwende, wenn der Frühling von dem Sommer sich scheidet, und die Sonne in das Zeichen des Krebs tritt, verfehlte Benno nie, seinen treuen Diener auf Kundschaft an den Weiher zu schicken, um zu sehen ob sich Schwäne darauf blicken ließen, ihren Flug zu beobachten, und die Anzahl derselben zu bemerken. Er schien immer auf diesen Bericht sehr aufmerksam, der Schwanenbesuch machte ihn gutes Muts, aber wenn sich um die gewöhnliche Zeit keine Schwäne blicken ließen, schüttelte der Alte den Kopf und blieb einige Tage mißmütig und grämisch. Der geradsinnige Schwabenkopf hatte keinen Arg daraus, forschte entweder dieser sonderbaren Neugierde des Grüblers nicht weiter nach, oder meinte die Ankunft oder Abwesenheit der Schwäne sei eine Vorbedeutung von Fruchtbarkeit oder Unfruchtbarkeit des Jahres.

Eines Tages da Friedbert auf der Lauer stund, in der Abenddämmerung einige Schwäne über den Teich hatte hinschweben sehn, und solches nach Gewohnheit dem Vater Benno ansagte, bezeigte dieser große Freude darüber, ließ eine leckerhafte Abendmahlzeit zurichten, und Wein auftragen vollauf. Der jovialische Becher äußerte bald seine belebenden Kräfte an beiden fröhlichen Tischgenossen. Der ehrwürdige Greis legte seine Ernsthaftigkeit ganz ab, wurde gesprächich und scherzhaft, schwatzte von Traubensaft und Minneglück, daß wer ihn gehört hätte würde vermutet haben, der Greis von Tejos sei wieder aufgelebt, und habe sich [402] in einen Eremiten umgewandelt. Er stimmte sogar das antike Trinklied an, das seitdem Trauben gekeltert und Mädchen sind geliebt worden, üblich gewesen ist, und welches Vater Weiße seinen Zeitgenossen wieder sangbar gemacht hat: »Ohne Lieb und ohne Wein was wär unser Leben.« Indem er seinem Pflegesohne den vollen Becher reichte und dieser redlich Bescheid tat, trat er ihn traulich mit diesen Worten an: »Mein Sohn gib mir Antwort auf eine Frage an dein Herz, aber gebiete ihm, daß es kein Schalk sei oder dich selbst betrüge; auch bezähme deine Zunge, daß kein verlognes Wort darüber gleite: denn so du erfunden würdest, daß du trüglich redetest, würde die Lüge deine Zunge schwärzen, wie der Ruß einen Topf am Feuerherde. Darum sag mir aufrichtig und sonder Trug, ist Frauenliebe je in dein Herz kommen und der süße Minnetrieb darinnen erwacht; oder schlafen noch die Gefühle zarter Leidenschaft in deiner Seele? Hast du den Honigbecher keuscher Brunst gekostet, oder aus dem üppichen Kelch der Wollust getrunken? Nährst du noch vielleicht geheime Liebesflammen mit dem Hoffnungsöle, oder sind sie durch den Hauch des Wankelmuts erkaltet und erloschen, oder glimmt noch ein [403] verborgener Funke unter der Asche der Eifersucht? Seufzet eine Dirne nach dir, die deinen Augen gefiel, und dich jetzt als einen Toten beweinet, oder deiner Wiederkehr ins Vaterland harret mit sehnlichem Verlangen? Schleuß mir auf die Geheimnisse deines Herzens, so soll sich das meinige gegen dich öffnen, daß ich dir kund tue was dir lieb zu hören sein wird.«

»Ehrwürdiger Vater«, antwortete der truglose Schwab, »was mein Herz anbelanget, so wisset, daß es nie der Liebe Fesseln getragen hat, und annoch so frei ist, als der Vogel in der Luft von den Netzen des Vogelstellers. Ich bin als ein junger Gesell unter Kaiser Alberts Fahnen gezwungen worden eine Lanze zu tragen, ehe noch das Milchhaar am Kinn sich zum männlichen Krausbarte krümmte, und die Dirnen meiner achteten; denn die Gelbschnäbel, wißt ihr wohl, sind bei ihnen nicht hoch am Brette 4. Zudem bin ich ein verzagter Tropf in betreff der Liebe; wenn mich's auch zuweilen lüstete zu liebäugeln, hatt ich kein Herz einer feinen Dirne dreust unter die Augen zu sehen, und es ist mir nie begegnet, daß mir eine mit Liebe entgegen gekommen wär, um durch einen Wink oder Blick mich anzukörnen. Also wüßt ich nicht daß eine weibliche Zähre um mich geflossen sei, ausgenommen die meine Mutter und Schwestern weinten, da ich ins Heer zog.« Das vernahm der Alte gern und fuhr also fort: »Du hast mir nun drei Jahre lang aufgewartet wie es einem ehrlichen Diener zustehet, dafür gebührt dir ein billiger Lohn, von dem ich wünschte, daß du ihn aus der Hand der Liebe empfingst, wofern dir anders das Glück günstiger ist als mir. Wisse, daß mich nicht die Andacht, sondern die Liebe, aus fernen Landen hieher in diese Klause geführet hat. Vernimm meine Abenteuer und die Abenteuer des Weihers, der dort als ein Silbermeer in dieser mondlichten Nacht vor unsern Augen hingegossen ist. In meiner Jugend war ich ein kecker mannlicher Ritter, seßhaft in Helvetien, aus dem Geschlecht der Grafen von [404] Kyburg, trieb Kurzweil und Minnespiel, und erschlug einen Pfaffen der mir eine feine Magd abgewonnen hatte durch Betrug, daß sie mir untreu ward. Drauf zog ich gen Rom, Ablaß zu holen vom Heiligen Vater des Totschlags halber, der legte mir eine Buße auf, daß ich drei Kreuzzüge tun sollte ins Heilige Land, gegen die Sarazenen zu streiten, mit dem Beding, daß, wenn ich nicht wieder heimkehrte, der heiligen Kirche all mein Gut sollte verfallen sein. Ich verdang mich auf eine der Venediger Galeeren und schiffte frohen Mutes davon. Aber im Ionischen Meere blies der tückische Afrikaner-Wind in unsre Segel, das Meer türmte sich auf, unser Schifflein ward ein Spiel der Wellen und lief auf dem Ägäer-Meer nahe bei der Insel Naxos auf eine verborgene Klippe daß es zu Trümmern ging. Ob ich gleich der Schwimmkunst unkundig war, faßte mich doch mein Schutzengel beim Schopf und hielt mich über Wasser, daß ich das Land erreichte, wo mich die Strandbewohner freundlich aufnahmen und meiner pflegten, bis ich des eingeschluckten Seewassers mich entlediget hatte. Drauf begab ich mich nach Quisa ans Hoflager des Fürsten Zeno eines Abkömmlings des Markus Sanuto, welchem Kaiser Heinrich aus Schwaben die Zykladen als ein Herzogtum verliehen hatte, und wurde unter dem Namen eines welschen Ritters wohl empfangen.

Hier sah ich die schlanke Zoe seine Gemahlin, von dem schönsten griechischen Ebenmaß, die Apelles würde gewählt haben, die Göttin der Liebe zu konterfeien. Ihr Anblick entzündete eine Flamme in meinem Herzen, in welcher alle andere Gedanken und Begierden mit aufloderten. Ich vergaß meiner Gelübde der Kreuzfahrt ins Heilige Land, und mein Dichten und Trachten war nur darauf gestellt, der jungen Fürstin meine Liebe zu verständigen. Bei jedem Speerrennen tat ich mich hervor, denn die weichlichen Griechen kamen mir weder an Kräften noch an Behendigkeit bei. Ich unterließ nicht, durch tausend kleine Aufmerksamkeiten, die uns Männern so leicht das weibliche Herz gewinnen, der reizenden Zoe mich anzuschmeicheln. Mit Sorgfalt spähete ich durch meine Kundschafter wie sie sich an jedem Hoffeste [405] kleiden würde, die Farbe ihres Gewandes war immer die meiner Feldbinde und Helmdecke. Sie liebte Sang und Saitenspiel auch muntere Reihentänze, tanzte selbst zum Entzücken wie die Tochter der Herodias; ich überraschte sie oft mit einer Serenade, wenn sie des Abends unter dem heitern griechischen Himmel auf der Terrasse ihres Blumengartens am Meer lustwandelte, und die kleinen Silberwellen am Strande das freundliche Flüstern traulicher Seelen nachahmten. Ich ließ aus Morea Tänzer-Banden kommen sie zu belustigen, und trieb nicht wenig Verkehr mit den Modehändlerinnen zu Konstantinopel, die Erfindungen des weiblichen Putzes nach dem neuesten Geschmack der Kaiserstadt aus der ersten Hand zu empfangen, und sie auf mancherlei Wegen zu der Dame meines Herzens gelangen zu lassen, doch so daß sie leicht den Urheber dieser Galanterien erraten konnte.

Wenn du in der Liebe einige Erfahrung hättest, mein Sohn, so würdest du wissen, daß solche dem Anschein nach unbedeutende [406] Gefälligkeiten, in der artigen Welt Hieroglyphen sind, die der Unkundige für Spielwerk und Tändelei erkläret, die aber bestimmten Sinn und Deutsamkeit so gut haben als Buchstaben und Worte in der gemeinen Sprache, das heißt, sie sind eine Art rotwelscher Sprache, die ihrer zwei, die sich darauf verstehen, im Beisein eines Dritten reden können, ohne daß dieser weiß ob er verraten oder verkauft ist, die Liebenden verstehn aber alle Worte, ohne eines Unterrichts oder einer Erklärung zu bedürfen. Diese meine Stummen, die ich ins Innre des Palasts schickte, sprachen daselbst sehr laut zu meinem Vorteil; ich bemerkte mit Entzücken, daß mich die schönen Augen der Fürstin im Gewühl der Höflinge um sie her zuweilen aufzusuchen und mir viel Verbindliches zu sagen schienen. Dadurch wurde ich dreuster in meinen Anschlägen; ich fand eine Vertraute unter ihrem Frauenzimmer, die sich gegen die Gebühr zur Botschafterin der Liebe dingen ließ. Es kam zu wechselseitigen Erklärungen, es wurden geheime Zusammenkünfte unter vier Augen verabredet, die jedoch immer mißglückten: ein kleiner Umstand zerstörte jedesmal den Plan, welchen die Liebe entworfen hatte; entweder fand ich meine Prinzessin da nicht, wo sie mich hinbeschieden hatte, oder der Ort, wo ich sie treffen sollte, war mir unzugänglich. Dämon Eifersucht hielt die schöne Griechin in so engem Gewahrsam, daß ich ihres Anblicks nie anders als im Angesicht des ganzen Hofes genießen konnte. An diesen Schwierigkeiten zerschelleten, wie an einer ehernen Mauer, meine Hoffnung und Wünsche, aber nicht die Leidenschaft, welche als eine hungrige Wölfin immer gieriger wurde, je weniger sie Nahrung fand. Die lodernde Flamme verzehrte das Mark in meinen Gebeinen, die Wangen erbleichten, meine Lenden verdorreten, mein Gang wurde unstet, denn die Kniee wankten wie ein leichtes Schilfrohr, das der Wind hin und her beuget. Bei all diesem Ungemach fehlte mir ein treuer Freund, in dessen verschwiegenen Busen ich meinen Kummer hätte ausschütten können, und der zum mindesten mit täuschender Hoffnung meinen ermatteten Geist wieder belebt hätte.

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Als ich nun so siech in meiner Herberge lag, und mich des Lebens verziehen hatte, ließ mich der Fürst durch seinen Leibarzt Theophrast besuchen, dem er die Sorge für meine Genesung anbefohlen hatte. Ich reichte ihm die Hand, in Meinung daß er den Puls prüfen wollte, er schüttelte sie aber mit freundlichem Lächeln, ohne sich um die Reizbarkeit meiner Nerven zu bekümmern, und sprach: ›Vermeinet nicht, edler Ritter, daß ich gekommen bin, durch Salben und Latwergen Eure Genesung zu befördern nach Art unkundiger Ärzte, die auf den tauben Dunst 5 kurieren; Eure Gesundheit ist auf den Fittichen der Liebe entflohen, sie kann auch nur auf denselben zurückkehren.‹ Ich verwunderte mich baß, daß Meister Theophrast so genauen Bescheid um die Geheimnisse meines Herzens wußte, als wenn er's mit dem anatomischen Messer zerlegt hätte, und als ein Opferpriester daraus wahrsagte. Also verhehlt ich ihm nichts von dem was er bereits wußte, und fügte noch gar trübselig hinzu: ›Wie soll ich von der Liebe Genesung hoffen, die mich tückisch mit einem Bande umschlungen hat, in welchem bereits der unauflösliche Knoten zugezogen ist? Es bleibt mir nichts übrig als mich in mein Schicksal zu ergeben, und in der trüglichen Schlinge zu erwürgen.‹ ›Mit nichten‹, versetzte er, ›Liebe ohne Hoffnung ist freilich bittrer als der Tod; aber laßt Eure Hoffnung darum nicht schwinden. Es begibt sich nichts Neues unter der Sonnen, was sich aber schon begeben hat, das kann sich auch wieder [408] begeben. Der magre Tithon hatte sich nicht träumen lassen, daß er in dem Bette der Morgenröte schlafen würde, dennoch hat er sich in den Armen der Göttin so abgeliebt, daß endlich seine ganze Korpulenz zur Schöpfung einer Heuschrecke kaum hinreichte. Da der Hirtenknabe auf dem Berg Ida seinen Schafen das dürre Gras hinunterschalmeite, ahndete er nichts davon, daß er die schöne Spartanerin dem sorglosen Menelaus entreißen, und als eine Liebesbeute davonführen würde; und was war der Ritter Anchises mehr als Ihr? Dennoch erhielt er bei der schönsten der Göttinnen des Himmels über den rüstigen Kriegsgott den Preis, und der sterbliche Krieger stach den unsterblichen Feldherrn bei ihr aus.‹ So philosophierte mir der Arzt meinen Kummer aus dem Herzen heraus; die Worte seines Mundes gingen mir glatt ein, und war für mich mehr Würze und Heilkraft darin als in den Büchsen der Apotheker. Bald nach meiner Genesung trieb ich wieder das alte Spiel, und es gewann das Ansehen, als wenn mein Glück jetzt bei beßrer Laune sei. Der Arzt Theophrast wurde mein Busenfreund, der Vertraute und Unterhändler meiner Liebe. Die schöne Zoe hinterging die Wachsamkeit ihrer Hüter, es gelang mir die eherne Mauer der vormaligen Schwierigkeiten ohne Schwierigkeit zu überspringen, und ich fand die so lang gewünschte Gelegenheit sie unter vier Augen zu sprechen in der Jasminlaube ihres Lustgartens. Das Entzücken, welches ich fühlte, dem Ziele meiner Wünsche so nahe zu sein, goß eine Wonne in meine Seele die über alle sterblichen Empfindungen hinaus reicht. Ich stürzte ganz von Liebe begeistert zu ihren Füßen und ergriff ihre schwanenweiße Hand, die ich mit stummer Inbrunst an die Lippen drückte, indem ich meinen Geist sammlete ihr das Geständnis der Liebe zu tun. Aber der schlaue Dynast hatte alle meine Schritte beobachtet, brütete schon lange Zeit über einem Basilisken-Eie, und ließ mich in die Falle eingehen, die er mit Hinterlist mir zubereitet hatte. Eine Schar von der Leibwache des Fürsten drang aus einem Hinterhalte hervor, und riß mich gewaltsam aus den Armen der schönen Zoe, die sie mit ängstlicher Bewegung ausbreitete, mich in Schutz zu nehmen. Doch das [409] Schrecken des fürchterlichen Überfalls bemächtigte sich ihrer Sinnen bei dem Geklirr der Waffen, ihre Lebensgeister schwanden dahin, die Rosen ihrer Wangen erbleichten und sie sank mit einem stöhnenden Seufzer ohnmächtig auf einen Sofa zurück.

Ringsum mit dem Meere umflossen, liegt auf einem steilen Felsen ein fester Turm, von der Insul nur einen Steinwurf entfernt, und allein durch eine mit Wache besetzte Zugbrücke zugänglich. Im heidnischen Zeit alter hatte hier die Freude gewohnt: diese Ruine war vormals ein berühmter Tempel gewesen, wo der Freudengeber Bacchus verehrt wurde 6. Diesen heidnischen Greuel hatte die christliche Liebe in einen Hungerturm verwandelt, wo Heulen und Zähnklappen innen wohnte. Die unglücklichen Schlachtopfer der Despotenwut fanden hier den unvermeidlichen Untergang. Ich wurde gezwungen in dieses schändliche Verlies auf einer endlosen Leiter hinabzusteigen, welche, sobald mein Fuß den Abgrund berührt hatte, wieder zurückgenommen [410] wurde. Ägyptische Finsternis herrschte in dem tiefen Mordkeller und leichenhafter Geruch umnebelte meine Sinnen. Ich wurde bald inne, daß ich mich am Eingange des Reichs der Toten befand, denn ich strauchelte bald an einem Beingerippe, bald an einem halbverweseten Körper, da ich mir einen Platz zu meinem Sterbelager aussuchte. Voll Verzweiflung bettete ich mich auf das harte Steinpflaster und rief den Tod, daß er mich bald von den Qualen des Lebens befreien möchte; er schickte aber diesmal seinen Bruder den Schlaf, der mich eine Zeitlang meines Elends vergessen machte. Beim Erwachen sah ich zu meiner Verwunderung eine Hellung in der Höhle, und als ich umschauete was es sei, erblickte ich eine brennende Ampel in der Mitte der Totenkammer, auf einem Henkelkorbe, der von oben an einer Schnur schien herabgelassen zu sein. Ich untersuchte was darinnen sei, und fand ihn mit allerlei Eßwaren, nebst einigen Flaschen Chierwein beladen, und einem Ölkrug, das Licht zu unterhalten. Ob mir nun gleich die Lampe alle Schrecknisse des schauervollen Kerkers versichtbarte, so bekämpfte doch die Empfindung des Hungers bald die des Eckels; ich schob flugs einige Beingerippe zusammen, und bereitete mir daraus einen Tisch und Sessel, setzte mich zum Korbe und tat eine Mahlzeit wie ein Totengräber, der vor dem Frühstück ein Grab ausgeworfen hat.

Nach einigen Tagen wie mich bedünkte, denn die Zeit hatte in dem unterirdischen Käfig bleierne Flügel, vernahm ich über mir ein Getöse, die Leiter mit den zahllosen Sprossen rollte herab, ich sahe einen[411] Mann daran heruntergleiten, den ich entweder für einen Unglückskameraden oder für einen Schergen hielt. Meine Freude war meiner Verwunderung gleich, da ich den Arzt Theophrast erkannte, dessen Stimme mir in der Totengruft so lieblich in die Ohren tönte, als der Schall der letzten Posaune, welcher die Toten aus den Gräbern hervorrufen wird. Freund Theophrast umarmte mich herzig und tat mir die Absicht seiner Botschaft kund, indem er mir gebot, ihm zu folgen. Er sprach ganz lakonisch und verweilte unten nicht lange, weil ihm die mephitische Luft in dem Höllenschlunde nicht behagen mochte. Vermutlich war ich der erste, dessen Fußtapfen aus der Höhle des Löwen rückwärtsgingen. Unter der Geleitschaft meines guten Engels gelangte ich in seiner Wohnung an, wo er mir das Geheimnis meiner wunderbaren Befreiung eröffnete. ›Danket Eurem Schicksal und der Macht der Liebe‹, sprach er, ›daß Ihr diesmal dem schmählichen Hungertode entronnen seid. Fliehet eilig aus dem Zauberkreise der Zykladen, ehe Euch der Ausgang aus diesem gefahrvollen Labyrinth auf ewig verschlossen wird. Ein eifersüchtiger Fürst ist mehr denn Argus und Briareus; er hat hundert Augen Euch zu beobachten und hundert Hände Euch zu greifen. Zeno ist der verliebteste Ehemann, aber der rachgierigste Feind; in seinen Adern fließt Tigerblut, doch die Fesseln der Liebe fesseln seinen wütigen Sinn, darum rächt er Amors Schalkheiten streng an den Paladins der schönen Zoe und nie an ihr. Euer Los würde das nämliche Eurer Vorgänger im Turm gewesen sein, wenn sie nicht für Euch mehr empfunden hätte als für alle übrigen, die für sie ausgelitten und ausgehungert haben. Sie erbot sich, ihre Unschuld und Eure Tugend durch die Feuerprobe zu erhärten, und verlangte dreust Eure Befreiung aus dem Mordkeller. Wie ihr aber der Fürst diese ziemliche Bitte auf eine schnöde Art versagte, ging sie mit trauriger Gebärde von ihm, und gelobte sich mit einem teuren Eide, von Stund an keine Speise mehr anzurühren, um mit Euch, Herr Ritter, gleiches Todes zu sterben. Das ließ sich der hartherzige Gemahl wenig anfechten und zog auf die Jagd; sie nutzte seine Abwesenheit die Turmwache zu bestechen, und[412] Euch mit Speise nach Notdurft versorgen zu lassen, ob sie gleich selbst, ihrer Gelübde getreu, sich aller Nahrung enthielt. Nach drei Tagen wurde dem Fürsten angesagt, daß die lederfarbene Bleichsucht an den Rosenwangen seiner Gemahlin zehre, und die Fackel des Lebens in ihren himmlischen Augen zu erleschen beginne. Das bekümmerte ihn in der Seele, er flog reumütig zu ihren Füßen, und beschwor sie, von dem Entschlusse abzustehen ihre Schönheit zu vernichten und aus der Welt zu scheiden. Er gewährte ihr die Bitte um Euer Leben, doch mit dem Beding, daß Ihr aus Naxos auswandern sollt, wie Vater Adam aus dem Paradies, ohne jemals die Rückkehr zu versuchen. Der Fürst befahl mir die Gesundheitspflege der schönen Zoe, und sie die Sorge für Eure Befreiung an. Also rüstet Euch zum schleunigen Abzuge; es liegt ein Schiff bereit nach dem Hellespont, das Euch sicher ans feste Land bringen wird.‹

Als er seine Rede geendet hatte, umhalste ich den biedern Arzt und dankte ihm meine Errettung mit freundlichen Worten. Aber der Abschied von Naxos lag mir gleichwohl schwer auf dem Herzen. Die Reize der schönen Zoe hatten mich also bezaubert, daß es mir leichter schien aus dem Leben als von ihr zu scheiden. ›Freund‹, sprach ich, ›Eure letzten Worte sind mir eine Botschaft des Todes. Habt Ihr mich nicht selbst belehrt, Liebe ohne Hoffnung sei bittrer als der Tod? Hättet Ihr mich immer in dem Hungerturme verschmachten lassen, so wär ich dieses elenden Lebens quitt, das mir zur Qual wird, wenn ich meine Buhlschaft auf ewig meiden soll. Laßt mich eines ehrlichen und ritterlichen Todes sterben. Sagt dem Fürsten unverhohlen, daß ich die schöne Zoe zur Dame meines Herzens erkoren habe, und bereit bin das durch einen ritterlichen Kampf auf Tod und Leben zu erhärten. Und dieweil ich sie doch nimmer zur Beute erlangen kann, will ich um sie gegen seine Ritterschaft kämpfen bis ich erliege unter dem Waffenkampf, damit sie mir im Verborgenen ein mildes Zährlein weine.‹ Freund Theophrast schüttelte sein ehrwürdiges Haupt, und lächelte mich an, wie ein Arzt den Kranken anlächelt, dem die Fieberhitze das Hirn verwirrt. ›Euer Beginnen ist [413] Torheit‹, erwiderte er, ›ein wackrer Rittersmann muß nicht kämpfen um überwunden zu werden, sondern obzusiegen und Lob und Ehre dadurch zu erringen. Überdem dünkt mich, werde der Fürst Eure angebotene Fehde nicht nach den Gesetzen der Ritterschaft, sondern der Eifersucht richten, und Euch ohne Zeitverlust wieder nach dem Vorhof des Orkus schicken. Dieweil aber Liebe mächtiger ist als der Tod, und ich vermerke daß Eure Leidenschaft über die Vernunft siege, weshalb nichts von der schönen Zoe Euch abwendig machen kann: will ich einen Tropfen von dem Lebenstau der Hoffnung abermal in Euer Herz träufeln, der Euch zwar nicht heilen aber doch erquicken wird. Vernehmet ein Geheimnis das nur wenig Weltweisen offenbar ist, und welches mir nicht Lohn noch Gewinn entreißen würde, wo nicht Freundschaft und Mitleid mit Eurem Zustande das Siegel der Verschwiegenheit lösete. Die von Euch angebetete Zoe stammt, wie mehrere unserer griechischen und andere Schönheiten aus allerlei Nationen, von der Sippschaft der Feien ab, und nur zur Halbscheid aus sterblichem Geblüt. Die alten Volkssagen von einem Göttergeschlecht, das ehemals in Griechenland hausete, ist kein Traum der Phantasei, obwohl die Poeten viel Fabelei und Lüge dreingemengt haben, daß Wahrheit und Irrtum nun schwerer voneinander zu scheiden ist, als reines Silber, wenn es sich mit dem Spießglas verschlackt hat; gleichwohl ist das Silber in der Schlacke enthalten, und dem Verständigen kennbar. Die Götterprosapie ist nichts anders als eine Gattung ätherischer Luftgeister, welche die obern Regionen der Atmosphäre, das ist, den Olymp bewohnen; sie sind das nächste Glied in der ausgespannten Kette der Geschöpfe aufwärts, das sich an die Menschheit anschlingt. Sie lebten mit den Menschen vormals in traulicher Einigung und sichtbarer Gemeinschaft, gatteten sich mit den Adamskindern, und ihre Nachkommenschaft hat sich noch bis auf diesen Tag in der Unterwelt erhalten. Der schalkhafte Schwan der die unbesorgte Leda im einsamen Bade berückte, und hinterher den idealischen Donnerer spielte, war nichts anders als ein solcher Genius, welcher seine weibliche Nachkommenschaft [414] mit der Gabe ausgesteuret hat, unter gewissen Umständen und zu gewissen Absichten die Schwanengestalt ihres Ahnherrn nachzuahmen. Aus dem Schoße unsrer mütterlichen Erde quillen in den drei bekannten Weltteilen 7 drei Brünnlein hervor, welche den Luftgeistern dienen sich darinnen abzukühlen, zugleich ist ihnen die Eigenschaft verliehen, den reizenden Bewohnerinnen der obern Regionen die wir unter dem Namen der Feien kennen, und welche die Vorwelt als Göttinnen des Himmels ehrte, ihre jugendliche Gestalt und Schönheit zu erhalten. Eben diese Kraft und Wirkung äußern diese Quellen an allen sterblichen Schönen die ihre Abkunft von einem Genius oder einer Feie herleiten können, wenn sie jährlich einmal zur Zeit der Sonnenwende darinne baden. Weil jedoch diese Brünnlein in fernen Landen anzutreffen sind, und nur dem Zweige der Abkömmlinge aus dem Feienadel, der aus dem Schwanengeschlecht der Mutter Leda sproßt, Schwingen zum Flug verliehen sind, so können sich wenige ihres Erbgutes erfreuen und die mehresten welken nach dem gemeinen Los der Adamstöchter als sterbliche Blumen dahin.

So wunderbar es Euch auch vorkommen mag, edler Ritter, so gewiß ist es, daß die Geschlechtstafel der schönen Zoe bis zu den Eiern der Leda hinaufgehet. Der sicherste Beweis davon ist, daß sie alle Jahr einmal zum Schwane wird, oder, wie sie zu reden pflegt, ihr Schwanenkleid anlegt; denn Ledens Töchter machen nicht wie die übrigen Menschenkinder nackend ihren Eintritt in die Welt, sondern bedecken ihren zarten Leib mit einem luftigen Gewande, aus verdichteten Lichtstrahlen des Äthers gewebt, welches sich nach dem Maße ihres Wachstums ausdehnet, und[415] nicht nur alle Eigenschaften der reinsten Feuerluft besitzt, die irdische Körperschwere zu überwinden und mit leichtem Flug bis an die Wolken zu erheben, sondern auch noch überdies der Besitzerin die Schwanengestalt mitteilt, solange sie damit bekleidet ist. Die jährliche Reise ins Schönheitsbad erfordert eine Zeit von neun Tagen, und wenn diese Wallfahrt nicht verhindert oder unterlassen wird, so gewähret sie der weiblichen Eitelkeit den sonst unerreichbaren Lieblingswunsch des immerwährenden Genusses der Schönheit und Jugend.

Verdreußt es Euch nun nicht den fernen Weg zu ziehen, und Euch an einem dieser wunderbaren Brunnen zu lagern, um der schönen Zoe das Geständnis der Liebe zu tun, das sie auf Naxos schwerlich von Euch anhören würde, so will ich Euch anzeigen wo Ihr dieselben zu suchen habt. Die erste dieser Brunnquellen ist gelegen im Reich Habissinia tief in Afrika, und besteht aus den berühmten Quellen des Nilflusses; die zwote ist ein grundloser Wasserpfuhl am Fuß des Gebürges Ararat in Asia, welcher die Wasserflut des Weinerfinders in sich verschlungen hat; und die dritte quillt in Europa im Reich Germania, da wo die Wurzel der Sudeten gegen Westen ins ebenere Land ausläuft; sie sammlet ihr Gewässer in einen Weiher welcher in einem anmutigen Tale liegt, von des Landes Eingebornen das Schwanenfeld genannt. Diesen Weiher pflegt Zoe am öftersten zu besuchen, denn er ist ihr am nächsten gelegen; es wird Euch auch nicht schwer fallen die magischen Schwäne von den natürlichen durch eine Federkrone auf dem Haupte zu unterscheiden. Wenn Ihr nun auf der Lauer stehet in der frühen Morgenstunde, ehe die Strahlen der aufgehenden Sonne das Wasser berühren, oder des Abends, so sie eben zu Rüste gegangen ist, und ihr erbleichendes Licht den westlichen Himmel noch rötet, so habt wohl acht ob Schwäne ziehen. Wenn Ihr wahrnehmet daß sie sich aufs Wasser oder in den Schilf herablassen, so werdet Ihr bald darauf im Weiher anstatt der Schwäne badende Nymphen erblicken, und Euer Scharfblick wird Euch leicht entdecken ob Eure Geliebte dabei sei, oder ob sie sich nicht in der Gesellschaft ihrer Basen befindet. [416] Ist Euch das Glück günstig sie Euch entgegenzuführen, so zaudert nicht, ihres Schleiers und der Krone die Ihr am Ufer finden werdet Euch zu bemächtigen, dadurch kommt sie in Eure Gewalt und kann ohne dieses Flügelkleid nicht mehr entfliehen. Was Ihr dann ferner zu tun habt wird Euch die Liebe eingeben.‹

Freund Theophrast schwieg und ich verwunderte mich höchlich über seine Rede, wußte nicht ob ich seinen Worten Glauben geben, oder ihn Lügen strafen sollte, daß er mich durch ein Märchen äffen wollte. Er beteuerte mir aber mit einem hohen Eidschwur und mit einer zuversichtlichen truglosen Miene, die mir glaubwürdiger schien als ein körperlicher Eid, daß sich die Sache in der Tat also verhalte. Nachdem ich eine Zeitlang geschwiegen hatte, sprach ich mit vollem Vertrauen auf seine Worte: ›Wohlan Freund, geleitet mich alsbald auf das Schiff, ich will das Abenteuer bestehen, davon Ihr mir saget, will die Welt durchkreuzen wie der ewig laufende Jud, bis ich gelange zu einem der Brünnlein, an welchem ich das Ziel meiner Wünsche zu finden vermeine.‹ Drauf schiffte ich durch den Hellespont gen Konstantinopel, nahm daselbst ein Pilgerkleid, und zog, in Gesellschaft einiger wallfahrtenden Brüder, die aus dem Heiligen Lande zurückkamen, so schier ich immer konnte den Sudeten zu, in welchen ich lange Zeit herumirrete, bis mir der sehnlich gesuchte Schwanenteich verkundschaftet wurde. In dessen Angesicht erbauete ich unter der heuchlerischen Hülle der Andacht diese Einsiedelei, die bald von frommen Seelen besucht wurde, weil jedermann mich für einen Heiligen hielt, und himmlischen Trost von mir begehrte, der ich inwendig doch nur fleischliche Gefühle hegte: denn meine Gedanken und Begierden trachteten mit Ungestüm nach dem Anblick der geliebten Schwanengestalt.

Bald nachher als ich mich hier wohnhaft niedergelassen hatte, errichtete ich dort jene Schilfhütte, daraus im verborgenen zu bestimmter Zeit nach den Badegästen zu glosen, und wurde inne, daß mich der Arzt Theophrast nicht mit Lügen berichtet hatte. Um die Zeit der sömmerlichen Sonnenwende, sah ich bald mehr bald weniger Schwäne auf [417] dem Weiher anlangen, die zum Teil ihre natürliche Gestalt behielten, teils wenn sie das Wasser berührten in liebliche Dirnen sich umgestalteten; doch meine Geliebte konnt ich darunter nicht ansichtig werden. Drei Sommer harrete ich vergebens unter ungeduldiger Hoffnung aus, die mich täuschte. Der vierte kam, ich spekulierte fleißig aus meinem Hinterhalt hervor, hörte eines Tages in der Morgendämmerung Fittige über mir rauschen, und erblickte bald darauf badende Nymphen im Weiher, welche mit großer Unbefangenheit im Wasser scherzten, ohne zu wähnen, daß sie von den Augen eines Spähers belauscht würden. Indem der Tag begann sah ich mit Entzücken die Gestalt der schönen Zoe mir vorschweben; das Herz schlug laut in meiner Brust, aber der Taumel der Leidenschaft bemächtigte sich meiner ganzen Seele also, daß ich Freund Theophrasts guter Lehren ganz darüber vergaß. Anstatt des Besitzes der reizenden Buhlschaft durch das sichere Unterpfand ihres Flugschleiers mich zu versichern, trieb mich die ungestüme Freude aus der Rohrwarte hervor, ich erhob meine Stimme laut und rief: ›Zoe von Naxos, Leben meiner Seele, erkennet den welschen Ritter in mir, weiland Euren getreuen Paladin, an welchen die Liebe Euer Geheimnis verraten, und ihn angetrieben hat Eurer hier zu harren am Schönheitsquell!‹ Die verschämte Badegesellschaft befiel groß Schrecken bei dieser Überraschung, sie erhoben lautes Geschrei, schöpften mit der hohlen Hand des Wassers aus dem Weiher und gossen mir einen Platzregen entgegen, gleichsam meine verwegenen Augen damit zu blenden. Ich aber befahrte mich eines Ärgern von diesem Benehmen, dachte an Aktäons Schicksal und wich etwas scheu zurück, indes schlüpften sie in das Schilfrohr und verbargen sich. Kurz drauf sah ich sieben Schwäne auffliegen die sich hoch in die Luft empor schwangen und entschwanden. Nun bedacht ich mein törichtes Beginnen, gebärdete mich als ein Unsinniger, zerriß mein Kleid, raufte mir die Haare aus, zerzauste den Bart und jammerte sehr bis sich mein wütiger Sinn verkühlt hatte und in ermattender Schwermut sich verlor. Ich schlich tiefsinnig zurück nach meiner Klause und nahm den Weg über den [418] Platz wo der Schilfhütte gegenüber die Schwäne sich aufgeschwungen hatten. Da fand ich den Morgentau vom Grase abgestreift und einen Fußtapfen im feuchten Sande, der mir Zoens niedlichen Fuß abzubilden schien, dabei lag ein Päcktlein zusammen gewickelt, welches ich behend ergriff. Als ich's voneinander schlug, war's ein weiblicher Handschuh von feiner weißer Seide, der sich an keine andre als an Zoens zarte Hand passen konnte, daraus fiel ein Fingerreif hervor, mit einem hellfunkelndem Rubin geschmückt, der als ein Herz gestaltet war. Von diesem, allem Anschein nach absichtlichen Hinterlaß, machte ich mir die günstigste Erklärung; ich vermutete Zoe habe mit diesem Geschenke sagen wollen, sie hinterlasse mir ihr Herz, sie sei nicht unempfindlich gegen mich, und ob sie gleich itzt Wohlstands halber von ihrer Gesellschaft sich nicht habe trennen dürfen, so werde sie doch baldmöglichst ohne Geleitschaft zum Schwanenteich zurückkehren um meine Wünsche zu erhören.

Mit diesem Gedanken tröstete ich mich, ein, zwei und mehrere Jahre, harrete, ohne daß meine Geduld ermüdete, des so sehnlich gewünschten Schwanenbesuchs; aber sie waren durch meine Unbedachtsamkeit gleichsam vom Weiher weggebannt. In der Folge fanden sich doch einige wieder ein, dadurch lebte meine Hoffnung von neuem auf, ich belauschte sie fleißig und genoß zuweilen des Anblicks himmlischer Gestalten, ohne daß sie auf meine Sinnlichkeit einigen Eindruck machten: denn ich hatte keine Augen als für die reizende Zoe allein, die ich doch nie wieder erblickte. Indessen bewahre ich den Ring in meinem Schatzkästlein als eine Reliquie, und das Andenken der zarten Buhlschaft in meinem Herzen als ein Heiligtum. An dem Platz wo ich den Fund tat, pflanzt ich einen Rosenstrauch und viel Liebstöckel, auch [419] Mannstreu und Vergißmeinnicht, ringsumher. Unter der täuschenden Hoffnung der Wiederkehr meiner Herzgeliebten, hat die Zeit meinen Rücken gekrümmt und tiefe Furchen über die Stirn gezogen. Gleichwohl vergnügt mich die Ankunft der Schwäne noch immer auf diesem Weiher, indem sie mich des Abenteuers meiner Jugend und an den angenehmsten Traum meines Lebens erinnert. Wenn ich nun am Rande meiner irdischen Wallfahrt einen ernsten Blick auf die Vergangenheit werfe, merk ich zwar mit einem gewissen Mißbehagen, daß ich mein Leben verschleudert habe, wie ein reicher Prasser sein Erbgut, ohne Frucht und Genuß; es ist dahin geschwunden wie ein Traumgesicht in einer langen Winternacht, davon sich die Phantasie nicht loswinden kann, und das beim Erwachen mehr körperliche Ermattung als Erquickung hinterläßt: doch tröst ich mich mit der Erfahrung, daß es das gewöhnliche Los der Sterblichen ist, ihr Leben zu verträumen, einer Phantasie, einer leeren Grille, den besten Teil desselben aufzuopfern und ihre ganze Tätigkeit darauf zu steuren. Alle Schwärmerei und Herzenspoeterei, sie sei aufs Irdische oder Himmlische gestellt, ist eitel Tand und Torheit, und eine fromme Grille ist keinen Deut mehr wert als eine verliebte. Alle in sich gekehrte Menschen, sie seien in Klausen oder Zellen eingesperrt, wenn sie auch für Heilige gelten; oder sie mögen in Wäldern und Feldern herumirren, in den Mond schauen, ausgezupfte Blumen und Grashalmen trübsinnig in einen vorbeirauschenden Fluß werfen, und als Märtyrer einer Leidenschaft unter dem Namen der Dulder und Dulderinnen den Felsen und Wasserbächen oder dem traulichen Monde ihre Elegien vorseufzen, sind unsinnige Träumer. Denn der Kontemplationsgeist, er sei von welcher Art und Natur er wolle, wenn er nicht hinter dem Ackerpfluge herwandelt, oder mit der Hippe und dem Spaten sich vereinbart, ist das elendeste Possenspiel des menschlichen Lebens. Daß ich junge Fruchtbäume geimpft, Traubengeländer angepflanzt und Zuckermelonen gebaut habe, manchen ermatteten Wandrer damit zu erquicken, ist traun ein verdienstlicher Werk gewesen, als alles Fasten und Beten und die Bußübungen[420] die meine Andacht in Ruf brachten; ist auch mehr wert als der Roman meines Lebens. Darum«, fuhr Vater Benno gegen seinen lieben Getreuen den horchsamen Friedbert fort, »darum will ich nicht, daß du als ein rüstiger Jüngling dein Leben in dieser Einöde verträumen sollst. Die kurze Zeit die mir übrig ist, magst du noch bei mir ausharren; aber wenn du mir den letzten Dienst erwiesen und meine Gebeine in das Grab gelegt hast, das ich mir vor langen Jahren aus Gleisnerei unter jenem Sandfelsen aushöhlte, sollst du in die Welt zurückkehren und als ein tätiger Mann im Schweiß deines Angesichtes dein Brot gewinnen, für eine liebevolle Gattin und das aufblühende Geschlecht deiner Söhne und Töchter um deinen Tisch her. Der Raub der Sabinerinnen ist ehemals den Römern zu gutem Glück gediehen, willst du, so magst du den Versuch machen, ob dir das Glück wohl will, ein Liebchen aus dem Feiengeschlecht hier an diesem Weiher zu erhaschen, die, wenn sie die Liebe bezähmet, gern bei dir wohnen wird. Wofern aber eine frühere Flamme ihr Herz ergriffen hätte, daß sie dich nicht liebgewinnen möchte, so laß den Schmetterling davonfliegen, daß dich nicht ein Satansengel in freudenloser Ehe quäle.«

Der Morgen dämmerte bereits am stillen Horizont herauf, da der gesprächsame Greis seine wunderbare Geschichte mit dieser Nutzanwendung beschloß und sich auf sein Lager streckte von dürrem Laube zubereitet, der so lang entbehrten Ruhe zu pflegen. Doch in Friedberts Hirn schwammen eine Menge Ideen so bunt und kraus durcheinander, daß ihm kein Schlaf in die Augen kam. Er setzte sich außen vor den Eingang der Einsiedelei, blickte der aufgehenden Sonne entgegen, und sahe jede über seinem Haupte schwirrende Schwalbe für einen Schwan an, auf den er Jagd zu machen entschlossen war. Nach einigen Mondenwechseln schlummerte Vater Benno ins ruhige Grab hinüber und wurde von seinem Pflegling zur Erde bestattet, unter großer Wehklage aller frommen Seelen im Erzgebürge, die den Verlust ihres himmlischen Anwalds herzlich betrauerten und nach seinem Grabe wallfahrteten, welches dem Erben des Abgeschiedenen guten Erwerb brachte. Die fromme Einfalt der[421] Leidtragenden begehrte aus dem Nachlaß des heiligen Mannes Reliquien, der Erbnehmer unterließ auch nicht gegen klingende Münze sie damit zu versorgen: er zerstückte einen alten Eremitenrock und spendete davon allen die den heiligen Trödelmarkt besuchten kleine Fragmente aus. Wie er sahe daß der Handel gut vonstatten ging, erwachte in ihm der Kaufmannsgeist, er spekulierte noch auf einen andern Artikel der nicht minder ergiebig war, zersplitterte den weißdornen Stab seines Meisters in dünne Späne, die fürs Zahnweh helfen sollten, wenn sie als Zahnstocher gebraucht würden, und weil's ihm nicht an Materialien dazu gebrach, würde er die ganze Christenheit mit wundertätigen Zahnstochern verlegt haben, wenn er Abnehmer gefunden hätte. Mit der Zeit verminderte sich der Zulauf, und die Einsiedlerwohnung wurde nun eine wahre Einsiedelei. Desto besser für den Besitzer derselben, der nun seinen romantischen Ideen ganz ungestört nachhangen konnte. Er sahe mit Vergnügen wie die wachsenden Tage die Nächte zusammendrängten, und die Sonne sich seinem Scheitel nahete. Er ging um die Zeit der Sonnenwende fleißig auf die Teichschau, versteckte sich in der Morgen- und Abendstunde in die lauersame Schilfhütte, und machte am Vorabend St. Albani die so sehnlich gewünschte Entdeckung. Drei Schwäne kamen gezogen von Süden her mit majestätischem Schwunge, umkreiseten dreimal den Weiher hoch in der Luft, gleichsam um zu schauen ob alles sicher sei; sie senkten sich allmählich in den Schilf herab, und bald darauf gingen drei liebliche Dirnen daraus hervor, die sich wie die Huldgöttinnen mit den Armen sanft umschlungen hatten, und die herrlichste Gruppe bildeten, die je einem sterblichen Auge vorgeschwebt hat. Sie scherzten und wogeten sich auf den kristallenen Fluten, koseten miteinander in guter Ruhe und ließen aus ihrem melodischen Munde ein frohes Lied ertönen. Der Laurer stund da in süßes Entzücken verschwebt, ohne Bewegung wie eine Marmorsäule, und es fehlte wenig so hätte er den günstigen Augenblick eine Beute zu erhaschen ungenutzt verloren. Zum Glück ermannete sich noch seine Besinnungskraft und riß ihn gerade [422] zur rechten Zeit aus der zaubervollen Ekstase. Er sputete sich, seinen Standort zu verlassen, schlich sich unbemerkt durch das Gesträuche an den Platz, wo die Schwanengesellschaft ihre ätherische Garderobe am Strande verwahret hatte. Er fand drei jungfräuliche Schleier ins Gras gebreitet, von einem unbekannten Gewebe, feiner als Spinnwebe und weißer als frischgefallener Schnee. Der obere Zipfel derselben war durch eine kleine goldene Krone gezogen, und oberhalb in Buffen zusammengefaltet, daß sie gleichsam einen Federbusch bildeten. Daneben lagen noch Unterkleider aus stärkerm Stoff, meergrün und leibfarben, dem Anschein nach von persischer Seide. Mit gieriger Hand ergriff der kecke Räuber den ersten besten Schleier, und eilte freudenvoll mit dieser Beute seiner Wohnung zu, voll ungeduldiger Erwartung, was ihm sein Glück für ein Los würde beschert haben.

Sobald er seinen Schatz einer eisernen Truhe anvertrauet hatte, setzte er sich außen vor den Eingang der Felsengrotte auf eine Rasenbank, wie ein römischer Augur den Vogelflug [423] zu beobachten und daraus sein Schicksal sich zu prophezeien. Der Abendstern fing eben an zu funkeln, und gleich nachher erhoben sich zwei Schwäne mit scheuem Flug empor, und eilten davon wie von einem Raubtier aufgescheucht. Da fing's an in seinem Herzen zu arbeiten, die Freude hüpfte in jeder Ader, zuckte und ruckte an jeder Senne. Die Neubegier trieb ihn nach dem Weiher, die Besonnenheit führte ihn in die Grotte zurück. Nach langem Kampfe, behielt die Überlegung, welches bei der Liebe ein seltener Fall ist, endlich die Oberhand. Der schlaue Wicht meinte, es sei ratsam und der Sache förderlich den Schalk zu verbergen, und wenigstens immer klüger, den Heuchler, als den Räuber zu spielen. Er zündete flugs seine Lampe an, deren Schimmer, wie er mit Wahrscheinlichkeit vermutete,[424] den schönen Nachtvogel herbeilocken würde, nahm seinen Rosenkranz zur Hand, setzte sich in die Positur eines Andächtlers und ließ ein Korn vom Paternoster nach dem andern durch die Finger fallen, dabei horchte er scharf auf, ob sich von außen was regen würde.

Der Fund glückte, er hörte ein leises Geräusch gleich einem schüchternen Fußtritt im Sande, der sich zu verraten scheut. Der schalkhafte Klausner verdoppelte seine scheinbare Andacht, da er bemerkte, daß er beobachtet wurde, endigte doch solche bald her nach, erhob sich von dem Betschemel und blickte seitwärts um. Da stund sie da die schöne Gefangene im reinsten weiblichen Harm, mit dem Ausdruck der höchsten Schmerzensgefühle und sanftverschämter stiller Schöne. Bei diesem Anblick schmolz dem empfindsamen Friedbert das Herz in süßer Zärtlichkeit dahin, wie ein Tropfen Wachs von der Flamme der Kerze. Der Ausdruck ihres Kummers war so unnachahmlich schön, daß ihn keine unsrer romantischen Dulderinnen würde nachzukünsteln wissen. Sie eröffnete ihren holdseligen Mund mit ängstlich bittender Gebärde, der jugendliche Eremit vernahm eine melodische Stimme, die seinem Ohr schmeichelte, ohne ein Wort von ihrer Rede zu verstehen; denn die Sprache der Jungfrau war ihm fremd. Indessen erriet er leicht den Inhalt der Worte, die wahrscheinlich eine ängstliche Bitte um die Zurückgabe des geraubten Schleiers enthielten. Allein der Schalk mißverstand mit Vorbedacht ihre Gebärde und bemühte sich nur ihr begreiflich zu machen, sie hab für ihre Tugend in diesem frommen Zufluchtsorte nichts zu fürchten. Er zeigte ihr in einer abgesonderten Felsenkammer ein reinlich zubereitetes Nachtlager, trug ihr die niedlichsten Früchte und Zuckerwerk auf und tat alles was ihm seine Eremitenpolitik eingab, ihr Vertrauen zu erwerben. Doch die berückte Schöne schien darauf nicht zu achten, sie setzte sich in einen Winkel, überließ sich ganz ihrer tiefen Betrübnis, rang und wand die Lilienhände, weinte und schluchzete ohne Aufhören, welches der fromme Friedbert sich also zu Herzen gehen ließ, daß er sich der Tränen gleichfalls nicht erwehren konnte und in diesem weinerlichen [425] Schauspiele seine Rolle so zu seinem Vorteil spielte, daß die schöne Ausländerin aus dieser gutmütigen Mitempfindung ihrer Leiden einigen Trost empfand, den teilnehmenden Menschenfreund von dem Verdachte des Schleierraubes freisprach und in ihrem Herzen ihn diesfalls um Verzeihung bat. Sie wünschte nur ein Mittel zu erfinden, den frommen Gastfreund der Ursache ihres Kummers zu verständigen, da dieser gar nicht zu erraten schien, was sie eigentlich quäle.

Die erste Nacht verging in der Einsiedlergrotte sehr traurig, aber der Morgenröte ist von jeher die Gabe verliehen gewesen, mit ihrem Rosenfinger die nächtlichen Tränen der Leidenden abzuwischen. Friedbert verrichtete bei Aufgang der Sonne seine gewöhnliche Andacht, welches der schönen Fremden wohlgefiel. Sie ließ sich bereden etwas von dem aufgetragenem Frühstück zu kosten, nachher ging sie hinaus, nochmals am Ufer des Weihers den verlornen Schleier aufzusuchen, denn itzt wähnte sie, ein mutwilliger Zephyr habe mit dem leichten Gewebe Schäkerei getrieben und es irgend ins Gesträuche verwehet. Der dienstfertige Friedbert begleitete sie und half ihr treulich suchen, ob er wohl wußte daß das vergebne Mühe war. Der mißlungene Versuch trübte zwar wieder die Stirn der zarten Jungfrau, aber in ihren Adern floß leichtes ätherisches Blut, der Gram schlug in ihrem Herzen so wenig tiefe Wurzel, als der Nachtschatten im Flugsande. Sie fand sich nach und nach in ihr Schicksal, ihr trübes Auge heiterte sich auf wie im Abendglanze die Wolken spielen, sie gewöhnte sich an den Gesellschafter ihrer Einsamkeit, und der Blick ihrer Augen ruhete zuweilen mit Wohlbehagen auf seinen blühenden Wangen. Alles das bemerkte der lauersame Klausner mit innigem Vergnügen, beeiferte sich nur desto mehr diese günstigen Adspekten zu nutzen und durch tausend kleine Aufmerksamkeiten seinen Vorteil zu befördern. Die Liebe hatte sein Gefühl also verfeinert, und ihm einen Tiefblick in das weibliche Herz verliehen, daß sein schlichter flacher Schwabensinn ganz schien umgeschaffen zu sein. Eben diese erfinderische Liebe gab dem Klausnerpaar eine lakonische doch expressive Sprache [426] ein, daß sie sich so verständlich wie Inkle und Yariko miteinander besprechen konnten.

Friedbert hatte lange den Wunsch gehegt zu erfahren aus welcher Zunge, aus welchem Volk und Geschlecht die schöne Unbekannte abstamme, ingleichen in welchem Stand sie geboren sei, um zu prüfen ob die Liebe gleich und gleich gepaaret habe. Als ein unwissender Laie wußte er freilich nicht, daß der kleine Mund der lieblichen Dirne griechische Worte rundete, für ihn war jede Mundart außer der schwäbischen so gut als malabarisch. Durch Hülfe des neuerfundenen Sprachidioms wurde er belehrt, daß das Glück eine griechische Schönheit in sein Netz hatte fallen lassen. Zu Friedberts Zeiten erhitzte zwar noch kein griechisch Ideal die Phantasie deutscher Jünglinge, keinem fiel es ein die Reize seiner Buhlschaft ins Griechische zu übersetzen, ihren griechischen Wuchs zu rühmen, das schönste Verhältnis des weiblichen Körpers zwischen acht und neun Kopfslängen zu setzen, oder das ein griechisches Profil zu nennen, wo die Nasenwurzel mit der Stirn in gerader Linie fortläuft. Das Auge und nicht der Maßstab, der Gefühlssinn und nicht Schulwitz, waren die einzigen Richter der Schönheit, deren Ausspruch für gültig erkannt wurde, und niemand kümmerte sich darum was Griechen oder Ungriechen davon urteilten. Und so empfand Friedbert auch, daß Kalliste schön sei, eh er erfuhr daß sie von griechischer Abkunft war. Aber hoch horchte er auf, da sie ihm kund tat, sie stamme aus fürstlichem Geblüt und sei des Fürsten Zeno und der schönen Zoe von Naxos jüngste Tochter.

»Sage mir Freund Eremit«, fuhr sie fort, »was hat es mit diesem Weiher für eine Bewandtnis, so du darum Wissenschaft hast, und warum mahnte meine Mutter ihre Töchter ab, das mitternächtliche Bad zu besuchen? Hat sie hier irgend ein ähnliches Abenteuer gehabt ihres Schleiers verlustig zu gehen? Sie pflegte uns jährlich nach den Nilquellen zu schicken, ohne uns jemals selbst zu geleiten; denn mein Vater hielt sie aus Eifersucht in strenger Gefangenschaft bis an seinen Tod. Weil sie nun nicht mehr zum Feienbade gelangen konnte, Schönheit und Jugend zu erfrischen, so [427] blühete sie ab, welkte dahin und alterte. Noch lebt sie in ihrem Wittum verschlossen in trübsinniger Einsamkeit, denn wenn Jugend und Schönheit verrauchen, sind für unser Geschlecht die Freuden des Lebens entflohn. Wir lebten unter mütterlicher Aufsicht, vom Hofe unsers Oheims entfernt, der meinem Vater in der Regierung der Zykladen gefolgt war, und sie pflegte sich nie von uns zu trennen, außer die kurze Zeit wenn wir den Feienbrunnen jährlich besuchten. Meine ältern Schwestern lüstete einsmals, einen Flug gegen Mitternacht zu wagen, Jugend und Leichtsinn machte sie der mütterlichen Vermahnung vergessen, sie glaubten daß schwüle Luft und Sonnenbrand in diesen Gegenden ihnen weniger lästig fallen würde, als in den ägyptischen Sandwüsten. Auf diesem Zuge den wir der Mutter sorgfältig verhehlten, begegnete uns nichts Widriges, darum wiederholten wir die Badereise hierher mehrmals, bis ich Unglückliche das Opfer des Vorwitzes meiner Schwestern worden bin. Ach, wo verbirgt sich der feindliche Zauberer, der den badenden Nymphen auflauret, ihnen aus boshafter Schadenfreude den Schleier zu rauben! Banne mir den Ruchlosen, du Heiliger, daß er aus den Lüften heruntertaumele zu meinen Füßen, wenn er in den obern Regionen hauset, oder aus der Erdenkluft heraufsteige in der schauerlichen Mitternachtstunde, wenn er das Licht scheuet, und mir mein Eigentum und Erbe zurückbringe, welches ihm nichts nutzen noch frommen kann.«

Friedbert freuete sich nicht wenig über den Irrtum der reizenden Kalliste, daß sie einem Zauberer den Diebstahl beimaß, und bemühete sich, sie darinne zu erhalten. Er dichtete ein Märchen von einem verwünschten Prinzen, welcher der Sage nach im Schwanenfelde herumtose, und sein boshaftes Vergnügen darin finde, die geflügelten Badegäste zuweilen zu äffen. Zugleich gab er ihr zu verstehen, daß ihm die Gabe Geister zu bannen nicht verliehen sei, daß er aber wohl davon gehört hätte, daß eine gewisse Schwanhilde vor langen Jahren hier auch ihren Schleier verloren, dafür aber einen getreuen Liebhaber gefunden, und unter den Fittigen der Liebe die Werkzeuge zum Flug leicht entbehrt hätte, zumal [428] da ihr die Wunderquelle Jugend und Schönheit zu erhalten, so nahe zur Hand gewesen sei. Die reizende Kalliste fand in dieser Vorstellung viel Beruhigung, nur der Aufenthalt in der Einöde, so viel Annehmlichkeiten die Natur dieser wilden Gegend auch verliehen hatte, schien ihr nicht zu behagen, zum Beweis daß die Empfindsamkeit, die Zwillingsschwester der Liebe, ihr Herz noch nicht befangen hatte: denn ein einsames Tal, eine wüste unbewohnte Insel, ist das eigentliche Elysium empfindsamer Seelen. Der gefällige Klausner vernahm nicht sobald den Wunsch seiner Gastfreundin, so war er bereit die Einsiedelei mit ihr zu verlassen; doch ließ er sich merken, daß ihn für die Aufopferung, in das Geräusch der Welt zurückzukehren, nichts entschädigen [429] könne, als der Genuß der häuslichen Glückseligkeit in den Armen eines tugendsamen Weibes. Dabei blinzten seine Augen sie so freundlich an, daß sie leicht abmerken konnte wohin das gemeinet sei. Sie schlug die ihrigen errötend nieder, und das tat ihm so wohl und befeuerte seine Hoffnung also, daß er von Stund an zusammenpackte, sich wieder als ein Kriegsmann herausputzte, und mit seiner schönen Gefährtin den Weg nach seiner Heimat nahm.

Es liegt ein Städtlein in Schwabenland Eglingen auf der Rauhen Alp genannt, ein Erbgut der Herren von Gravenegg, daselbst hausete Friedberts Mutter auf ihrem Wittum, segnete das Andenken ihres verstorbenen Gatten, und fluchte den Meißnern, die ihrer Meinung nach Friedbert ihren lieben Jungen erschlagen hatten. Jedem verstümmelten Lanzknechte, der aus dem Meißner Heereszug zurückkam, und vor ihrer Tür ein Almosen heischte, reichte sie mildiglich einen Buchhorner Heller, und forschte nach Kundschaft von ihrem Sohne, und wenn ihr ein schwatzhafter Invalid von dem wackern Jüngling was vorzufabeln wußte, wie er als ein braver Kämpe gefochten und als ein [430] Held gefallen sei, wieviel Grüße er noch an seine fromme Mutter bestellt habe, ehe er die Seele auf der Wahlstatt ausgeblutet, zapfte sie dem Lügner einen Schoppen Wein und ließ ihren mütterlichen Augen dabei so ergiebige Tränen entquellen, daß sie das Vortuch ausringen konnte. Unter dieser Wehklage waren vier Sommer verflossen und die rauhe Herbstluft schüttelte bereits das buntfarbige Laub von den Ästen, da geriet das stille sittsame Städtlein plötzlich in frohen Aufruhr; ein reitender Bote verkündete, der tapfre Friedbert sei nicht umgekommen in der Schwabenschlacht, sondern sei aus fremden Landen im Anzuge nach seiner Vaterstadt, gerüstet als ein stattlicher Ritter, der viel Abenteuer im Morgenlande bestanden habe, und eine wunderschöne Braut heimführe, die Tochter des Sultans von Ägypten, mit großer Morgengabe. Der Ruf vergrößert bekanntlich alles; das Wahre an der Sache war, daß Friedbert aus der Erbschaft des Vater Benno und aus seiner Zahnstocherfabrik so viel Reichtum erworben hatte, daß er auf dem Heimzuge nach Schwaben von Ort zu Ort seinen Troß vergrößerte; er kaufte Pferde und Saumrosse mit herrlichen Decken, kleidete sich und die schöne Kalliste prächtig, nahm Dirnen und Diener an, und zog stolz einher, wie ein Abgesandter des Königs von Aragonien.

[431] Da die Eglinger den Zug von der Augspurger Straße sahen dahertraben, lief alles Volk zusammen mit Jauchzen und Frohlocken, und Friedberts Schwestern und Schwäher, auch die löbliche Bürgerschaft, von dem ehrsamen Magistrat angeführt, zogen ihm entgegen mit der Bürgerfahne und ließen beim Einzug ihres heimkehrenden Mitbürgers vom Turm trommeten und lieblich schalmeien, als sei er von den Toten wieder aufgelebt. Die tränenreiche Mutter umarmte ihren Sohn mit froher Wehmut, richtete ein groß Mahl aus an ihre Freundschaft und Gevatterleute und teilte ihren ganzen Hellervorrat unter die Armen. Sie konnte sich nicht satt sehen an der schönen Gestalt ihrer zukünftigen Schnur und betäubte sie mit Liebkosungen und wohlmeinender Geschwätzigkeit. Die schöne Griechin wurde bald das Gespräch der Stadt und der umliegenden Gegend. Viel Ritter und Edle, auch andre Mädchenspäher drängten sich herzu, nennten den glücklichen Friedbert Bruder und Vetter, machten mit ihm Kameradschaft und schwuren ihm ewige Freundschaft; er aber hatte eine eifersüchtige Ader vor der Stirn, die ihm leicht Schwindel und Hauptweh er regte, verbarg die schöne Kalliste vor den Augen aller Welt und bestellte die wachsame Mutter zur Ehrenhüterin über sie, wenn er gen Hof ritt dem von Gravenegg aufzuwarten, dessen Dienstmann er war. Er förderte dabei seine Liebesangelegenheit auf alle Weise, und die schöne Griechin, die kein Mittel sahe in ihr Vaterland zurückzukehren und an dem blühenden Mann Gefallen trug, der als ein stattlicher Junker jetzt eine ganz andere Figur machte als vorher in dem aschfarbenen Eremitenrock, setzte sich über den Unterschied des Standes hinweg und willigte ein sich mit ihm zu vermählen. Er beschenkte sie mit einem köstlichen Brautgewande, der Tag zur Hochzeitfeier wurde angesetzt, das gemästete Kalb und die Kapaunen geschlachtet und die Hochzeitkuchen eingemengt.

Tages vorher ritt der Bräutigam nach Landes-Sitte umher die Hochzeitgäste einzuladen, in seiner Abwesenheit beschäftigte sich die schöne Kalliste ihren Brautputz zu ordnen, die weibliche Eitelkeit reizte sie das neue Kleid anzuproben [432] um zu versuchen, ob es gut an ihrem schlanken Leib anpasse. Die dem schönen Geschlecht gewöhnliche Tadelsucht, das Vollkommenste selbst zu meistern und einen Mangel daran zu entdecken, ließ ihr bald etwas Mißständiges bemerken, das einer Abänderung zu bedürfen schien, worüber sie das schwiegermütterliche Gutachten einzuholen nötig fand. Die redselige Frau erschien und der Anblick der geputzten Dame brachte ihre Zunge alsbald in Bewegung. Sie ergoß einen Strom von Lobsprüchen über die Wohlgestalt der lieblichen Schnur, und konnte nicht aufhören den Geschmack ihres Sohnes in der Wahl und die Kunst des Schneiders in dem Zuschnitt des Kleides zu bewundern. Sobald sie aber vernahm, daß das Fräulein in Ansehung des letztern Punktes mit ihr nicht gleicher Meinung sei, änderte sie die Sprache um ihre wenige Kenntnis von den Feinheiten der Mode nicht zu verraten, und der Schneider kam dabei sehr ins Gedränge. Hauptsächlich betraf die Kritik des [433] Fräuleins die ungeschickte Form des Brautschleiers, welchen sie mit einem Augspurger Regentuch verglich. »Ach«, erseufzete sie, »daß doch der griechische Schleier, in eine goldne Krone geschlungen, meinen hochzeitlichen Putz verschönerte, der wie ein lichtes Schneegewölke in den Lüften schwamm und mit dem der Zephyr scherzte, so würden die Dirnen der Stadt mich beneiden und Friedberts Geliebte würde für die schönste der Bräute gepriesen werden! Ach sie ist dahin die Zierde des griechischen Mädchens, die ihm Zauberreize lieh, welche die Augen des Jünglings entzückten!« Eine wehmütige Zähre träufelte dabei von ihren rosenfarbenen Wangen auf den schwanenweißen Busen, welche die gute Mutter ganz weichmütig machte und ihr das Herz sehr einengte, besonders weil sie dafür hielt, das Weinen einer Braut sei von so schlimmer Vorbedeutung als wenn ein Kind im Mutterleibe weine. Diese Kümmernis [434] preßte das Geheimnis heraus, das ihr schon lange zwischen den Lippen schwebte, der offenherzige Friedbert hatte den Schwabenstreich begangen, der geschwätzigen Matrone den Raub des Schleiers zu offenbaren, ohne ihr doch die Eigenschaften desselben zu entdecken; nur um ihn recht sicher zu verwahren, gab er ihn der Mutter als ein Liebespfand aufzuheben, und hatte ihr Stillschweigen geboten. Die Matrone freute sich, eine so gute Gelegenheit gefunden zu haben, die Heimlichkeit, die ihr lange wie ein Stein auf dem Herzen gelegen hatte, abzuwälzen. »Weinet nicht zartes Fräulein«, sagte sie, »daß sich Eure sonnenhellen Äuglein nicht trüben und die hochzeitliche Freude in Tränen zerrinne, kümmert Euch auch nicht um den Schleier, er ist wohl aufgehoben und unter meiner Hand. Dieweil Ihr so groß Verlangen traget ihn anzulegen, will ich, so Ihr mir gelobet gegen Euren Sponsen reinen Mund zu halten und mich nicht zu verraten, aus meiner Flachskammer ihn herabholen, mich lüstet selbst zu sehen ob er sich zu Eurem Brautputze paßt und Euch wohl anstehe.« Kalliste stund wie eine Bildsäule da, das Blut erstarrte in ihren Adern vor Verwunderung; Freude über die gemachte Entdeckung und Verdruß über den heuchlerischen Friedbert setzten sie einige Augenblicke in ein untätiges Staunen. Doch da sie den Pantoffelgang der Matrone hörte, nahm sie alle Besinnung zusammen, empfing den Schleier aus ihrer Hand mit Freuden, wirbelte ein Fenster auf, und indem sie die goldne Krone auf dem Haupte befestigte, und das ätherische Gewand ihr über die Schultern herabrollete, ward sie zum Schwan, welcher die Flügel ausbreitete und husch zum Fenster hinausflog.

Jetzt kam das Staunen an die Alte bei dieser wunderbaren Metamorphose. Sie schlug ein großes Kreuz vor sich, tat einen lauten Schrei und empfahl sich in den Schutz der Heiligen Jungfrau; denn weil sie von der intellektuellen Welt die rohen Begriffe ihres Zeitalters hegte, meinte sie die schöne Kalliste sei nichts anders als ein Gespenst oder eine Teufelslarve gewesen, und der traute Friedbert verwandelte sich mit einemmal in ihren Augen in einen schändlichen Unhold und Teufelsbanner, worüber sie sich höchlich betrübte [435] und wünschte daß er lieber als ein guter Christ von den Meißnern erschlagen wär, als daß er sich in solche satanische Netze hätte verwickeln lassen. Friedbert ahndete nichts von der für ihn so traurigen Katastrophe, die sich in seiner Abwesenheit daheim begeben hatte, und kam gegen Abend fröhlich und wohlgemut angeritten, eilte mit klingenden Sporen die Stiege hinauf ins Brautgemach, sein Liebchen zu umfangen. Aber da er die Tür auftät, flog ihm ein mütterlicher Bannstrahl entgegen, die Matrone zog das Wehr ihrer Beredsamkeit auf, und es wirbelte und rauschte ein Rheinfall von Vorwürfen und Verwünschungen auf ihn herab. Er merkte dadurch mit großer Bestürzung ab was vorgefallen war, gebärdete seiner als ein wütiger Mensch, würde an der Mutter und an sich in der ersten Wut einen Mord begangen haben, wenn jene nicht mit lauttönender Stimme Sturm geläutet [436] und das ganze Haus zusammen berufen hätte, daß die erschrockenen Diener den rasenden Roland noch zu rechter Zeit entwaffneten.

Nachdem auf beiden Seiten der erste Ungestüm sich abgetobet hatte, kam es zu vernünftigern Erklärungen. Friedbert war bemüht sich von dem Verdacht bestmöglichst zu reinigen, daß er ein Geisterbeschwörer sei und mit Zauberei umginge, oder daß er eine Biondetta 8 in die Familie hätte verpflanzen und seine rechtglaubige Mutter zur Schwiegerin einer satanischen Larve habe machen wollen. Er offenbarte den ganzen Verlauf seiner Abenteuer mit der schönen Kalliste und die Beschaffenheit ihres Flugkleides; doch gegen ein Vorurteil das einmal in eine Weiberseele eingerostet ist, arbeitet die Belehrung umsonst, die Matrone glaubte davon was sie wollte, und Friedbert hatte es nur dem mütterlichen Instinkt zu verdanken, daß sie ihm nicht den Prozeß machen ließ. Indessen gab diese sonderbare Geschichte zu mancherlei Mutmaßungen Anlaß, es fehlte dem verdächtigen Friedbert nur ein schwarzer Hund, um nicht wie D. Faust oder [437] Cornelius Agrippa in den Ruf eines großen Zauberers zu kommen.

Der Bräutigam ohne Braut befand sich in einer unglücklichen Verfassung, sein Gemüt wurde von banger Verzweiflung zerrissen über den Verlust der schönen Kalliste, sein Schicksal hing lange zwischen Tod und Leben, die Wahl des einen wie des andern kostete ihm Überwindung. Es gibt schwerlich einen peinigernden Zustand als am Eingange des Hafens Schiffbruch zu leiden, wenn man die Reise um die Welt glücklich vollendet zu haben glaubt, und am Tage vor der Hochzeit eine geliebte Braut zu verlieren ist ganz das nämliche. Ist sie eine Beute des Todes worden, hat sie ein Räuber entführt, oder ein hartherziger Vater in ein Kloster gesperrt, so gibt es für den Liebhaber einen Weg ihr ins Grab zu folgen, dem Räuber nachzueilen und ihm die Beute abzujagen, oder durch die verschlossenen Klosterpforten zu dringen: aber wenn sie aus dem Fenster davonfliegt, wer kann ihr da nacheilen außer die Pariser Luftschwimmer? Doch die edle Kunst den Sterblichen Gang und Bahn durch die ätherischen Gefilde zu eröffnen, kam dem armen Friedbert nicht zustatten, sondern war einem spätern und glücklichern Zeitalter vorbehalten. Die kurzsichtigen oder neidischen Vielwisser der englischen Sozietät mögen so schief und verächtlich von dem aerostatischen Wunderkinde ihrer [438] Nachbarn urteilen als sie wollen, so liegt doch klar am Tage, daß eine luftige Marechaussee, die Pech und Schwefel herabregnen ließ, dem leidigen Schleichhandel an den britischen Küsten ungleich zuverlässiger Einhalt tun würde als die schwerfälligen Küstenbewahrer und alle papiernen Beschlüsse des zänkischen Unterhauses.

Friedbert hatte keinen andern Weg seiner davon geflogenen Braut wieder auf die Spur zu kommen als den die Frösche auch nehmen würden, wenn sie auf Reisen gingen, nämlich zu hüpfen und zu schwimmen, je nachdem es die Gelegenheit erfordert, bis sie an Ort und Stelle sind. Die ungeduldige Sehnsucht nach seiner Geliebten dehnte den Abstand von Schwabenland bis in die Zykladen seiner Vorstellung nach weiter, als wenn die Reise in den Mond hätte gehen sollen. »Ach«, rief er voll Verzweiflung aus, »wie kann die träge Erdschnecke dem leicht beflügelten Schmetterlinge folgen, wenn er unstet und flüchtig von einer Blume zur andern flattert und an keiner Stätte verweilet! Wer bürget mir dafür, daß Kalliste nach Naxos zurückgekehret ist? Wird nicht die Scham, in ihrem Vaterlande für eine Irrläuferin ausgeschrieen zu werden, sie bewogen haben, einen andern Zufluchtsort zu wählen? Und wenn sie nun auch in Naxos wär, was könnte mir das frommen? Wie dürft ich Spießbürger meine Augen aufheben gegen eine Fürstentochter des Landes?« Mit diesen Gedanken quälte sich der Mutlose viel Tage lang, welchen Kummer er sich gleichwohl hätte ersparen können, wenn er die Stärke seiner Leidenschaft geprüft und gewußt hätte, daß der Enthusiasmus oft Wunder tut. Plötzlich wirkte der Instinkt was die kaltblütige Überlegung zu keinem Entschluß hatte reifen lassen: er sattelte seinen Rappen, nachdem er sein Gut und Erbe in Taschenformat bequemet hatte, ritt zur Hintertür hinaus, damit er das geschwätzige mütterliche Valet vermeiden möchte, und trabte rasch über die vaterländische Grenze, als wenn er die Reise in den Zykladen in einem Futter hätte machen wollen. Glücklicherweise erinnerte er sich des Weges den Vater Benno dahin genommen hatte, und gelangte über Venedig ebenso wie dieser nach mancher [439] überwundener Schwierigkeit auf seiner Meeresfahrt, nur ohne Schiffbruch, flink und frisch in Naxos an.

Mit Freuden hüpfte er ans Land, betrat mit geheimen Wonnegefühl die mütterliche Erde seiner Geliebten, welche er im Schoß ihres Vaterlandes wiederzufinden verhoffte, und sputete sich von der schönen Kalliste Kundschaft einzuziehen; aber niemand wußte ihm zu sagen, wo das Fräulein hingeschwunden sei. Man trug sich mit allerlei Gerüchten und munkelte dies und das, wie es zu geschehen pflegt, wenn ein artiges Mädchen aus dem Zirkel ihrer Bekanntschaft verschwindet, und dies Geflister urteilt selten zum Vorteil der Abwesenden. Zwar gibt es eine Schanze dahinter man sich gegen die Wurfpfeile des lästerzüngigen Gerüchtes zu bergen pflegt, das ist der goldne Spruch: Sie reden was sie wollen, mögen sie doch reden, was kümmert's mich? Aber damit mag sich zur Notwehr schützen wer will und kann, nur kein Mädchen darf das nicht, wenn sie auf ihren Ruf noch einigen Wert setzt. Friedbert grämte sich über die Maßen, daß ihn seine Geliebte so plantiert hatte und war unschlüssig, ob er in seine Einsiedelei zurückkehren, oder eine Wegelagerung an den Nilquellen versuchen sollte. Indem er diesfalls mit sich zu Rate ging, langte Fürst Isidor von Paros, ein Lehnsträger des Despoten der Zykladen in Naxos an, um sich mit Fräulein Irene, einer Schwester der schönen Kalliste, zu vermählen. Es wurden Vorbereitungen zu einem prächtigen Beilager gemacht, und die Feierlichkeit sollte mit einem großen Turnier beschlossen werden. Dem schwäbischen Helden wandelte bei dieser Zeitung sein alter Kriegsmut wieder an, und weil ihn Mißmut und Langeweile quälte, wünschte er Zerstreuung, und glaubte, daß er diese bei dem ausgeschriebenen Kampfrennen finden würde, zumal fremde Ritter durch Herolde auf dem Markte der Stadt und auf allen Kreuzstraßen dazu eingeladen wurden. In seinem Vaterlande wär er zwar nicht turnierfähig gewesen, und hätte ihm da leicht begegnen können, mit Spott und Hohn auf die Schranken gesetzt zu werden; in der Ferne aber hielt es eben nicht schwer, unter der Gewährschaft eines vollen Beutels, die konventionellen [440] Prärogative welche der Geburt ankleben, sich zuzueignen. Friedbert spielte in Naxos den Ritter wenigstens mit eben der Würde und dem Anstand, als der deutsche Schneider den Baron zuweilen in Paris, oder der entlaufene Kammerdiener den Marquis an den deutschen Höfen. Er legte sich eine blanke Rüstung zu, kaufte um hohen Preis ein ritterliches Pferd das seiner Schulen kundig war, und am Tage der zum Rennen bestimmt war, wurde er ohne Anstand in die Schranken eingelassen. Seine Imagination spielte ihm zwar den unerwarteten Streich, die zirkelrunde Stechbahn, in welche die Ritter eingeschlossen wurden, nebst der amphitheatralischen Erhöhung ringsumher mit unzählichen Zuschauern angefüllt, der schauerlichen Backofengestalt wieder zu verähnlichen: doch zuweilen dient die Feigherzigkeit der Bravour zum Sporn in der Gefahr. Der selbstkreierte Ritter brach seine Lanze mit Ehren, hielt sich fest im Sattel und verdiente sich einen Ritterdank, den er aus der Hand der Neuvermählten empfing.

Bei dieser Gelegenheit gelangte er auch zum Handkuß bei der schönen Zoe, welcher die gewöhnliche Hofetikette noch immer den Besitz der Titularschönheit gelassen hatte, wie ein Exminister die Titularexzellenz behält; obgleich der Zahn der Zeit der guten Dame alle Reize abgenagt hatte, daß sie für einen malenden Apell nun nichts mehr war, als Modell zu einem schönen alten Kopfe. Er meldete sich bei ihr unter dem Namen eines welschen Ritters an, es sei nun, daß Zoe für diese Qualität noch eine gewisse Vorliebe hegte, oder daß sie den Ring wahrnahm, der ehemals ihr Eigentum gewesen war, und der jetzt mit dem Herzrubin an des Fremdlings Hand funkelte; gnug er genoß der freundlichsten Aufnahme von ihr und sie schien ein sonderbares Wohlgefallen an ihm zu finden. Nachdem das hochzeitliche Geräusch vorüber war, die Fürstin das Hoflager wieder verlassen, und in den stillen Aufenthalt ihres Palastes sich zurückgezogen hatte, erhielt Friedbert den Zutritt in dieses klösterliche Heiligtum, welches nur wenig Vertrauten offen stund, und Zoe schenkte ihm eine mütterliche Zuneigung. Bei einem Spaziergange in dem schattenreichen Hain des [441] Parkes, drehete sie sich mit ihm abseits und sprach: »Hab eine Bitte an Euch, lieber Fremdling! die Ihr mir nicht versagen dürft. Sagt an, wie seid Ihr zum Besitz des Ringes gelanget, am Goldfinger Eurer rechten Hand? Dieser Ring war ehemals mein Eigentum und ich bin seiner verlustig gegangen, weiß nicht wie oder wann, darum treibt mich die Neugier zu erfahren, wie er Euch zu handen kommen ist?« »Edle Frau«, antwortete der Schalk, »den Ring hab ich auf ehrliche Weise in einem Speerrennen erworben, von einem mannlichen Ritter in meinem Vaterlande, welchem ich obgesiegt habe und der sein Leben damit lösen mußte. Wie der aber dazu gelanget sei, ob ihm der Fingerreif als eine Kriegsbeute anheimgefallen, oder ob er ihn von einem Juden erhandelt, als einen Ritterdank sich erworben, oder durch Erbgangsrecht an sich gebracht hat, vermag ich nicht Euch zu berichten.« »Was würdet Ihr tun«, fuhr Zoe fort, »wenn ich mein Eigentum von Euch zurückforderte? Dem ehrenfesten Ritterstande kommt es zu, eine ziemliche Bitte den Damen nicht abzuschlagen. Doch begehr ich Euer durch Waffenrecht erworbenes Gut nicht zur Gabe noch Geschenk, ich will Euch dafür lohnen nach dem Werte wie Ihr das Kleinod schätzet, und Eurer Wohltat nie vergessen.«

Friedbert war über dieses Ansinnen gar nicht verlegen und freute sich vielmehr, daß ihm sein Anschlag so wohl gelungen war. »Eure Wünsche, tugendsame Fürstin!« sprach er, »sind mir ein unverbrüchliches Gesetz, sofern es von mir abhangt sie Euch zu gewähren. Gut und Blut sei Euch verpfändet bei ritterlichen Ehren, fordert es von mir, nur verlanget nicht, Eid und Gewissen zu verletzen. Dieweil mir das Kleinod durch einen schweren Kampf zuteil ward, tat ich einen teuren Eid bei Seel und Seligkeit, daß der Ring bei meinem Leben nicht anders von meiner Hand kommen sollte, als bis ich vor dem Altar Herz und Hand meiner Gemahlschaft damit zu ehelicher Treue verpfänden würde. Nun kann ich dieses Eides nicht anders quitt werden, als wenn ihm Gnüge geschiehet; so Ihr aber gesonnen seid mir darin förderlich zu sein, hab ich nichts [442] dagegen, daß Ihr der Braut den Ring abdinget, und aus ihrer Hand Euer vormaliges Eigentum wieder zurückempfahet.« »Wohl gesprochen!« versetzte Zoe, »wählet aus meinem Hofgesinde eine Jungfrau die Euren Augen gefällt, sie soll mit einer reichen Morgengabe von mir ausgesteuret werden, doch mit dem Beding, daß sie das Kleinod misse, und alsbald wie sie es aus Eurer Hand empfängt in die meinige zurückgebe; Euch aber will ich auch zu hohen Ehren bringen.«

Diese geheimen Traktaten waren nicht sobald geschlossen, so verwandelte sich der klösterliche Palast der Fürstin in einen Harem, alle Schönheiten des Landes berief sie zu sich und nahm sie in ihr Gefolge auf, gab ihnen schöne Kleider und prächtiges Geschmeide, ihre natürlichen Reize durch den unnatürlichen Flitterputz der Modekrämerinnen noch mehr zu erheben. Denn sie wähnte ebenso irrig als unsre weibliche Zeitgenossen, der vergoldete Rahmen verkaufe eigentlich das Gemälde und nicht die Zeichnung, obgleich die tägliche Erfahrung lehret, daß ein Galakleid die Liebe so wenig befeuret als der brokadne Rock unsrer lieben Frau zu Loretto die Andacht. Ein prachtloses sittsames Negligé ist die eigentliche Uniform der Liebe, welches mehr Eroberungen macht als ein Brustharnisch von Juwelen und eine Sturmhaube von Spitzen und Blonden, mit den triumphierenden Schwungfedern, welche des Siegs verfehlen.

Friedbert schwamm in einem Strome von Vergnügen, ohne sich gleichwohl von dem Freudenwirbel fortreißen zu lassen. Mitten in dem Geräusch des wieder auflebenden Hofes, bei Gesang und Saitenspiel und fröhlichen Tänzen, zog sich gleichwohl das Fältlein des Trübsinns um seine Stirn. Für ihn schmückten sich die schönsten griechischen Mädchen, sein Herz gleich armierten Magneten desto kräftiger an sich zu ziehen, doch er blieb kalt und unempfindsam. Diese Gleichmütigkeit bei einem jungen blühenden Manne war der Fürstin unerklärbar. Was die Liebesschule anbetraf, so hatte sie selbst jederzeit der Lehre ihres Landsmannes des weisen Plato gefolgt, ob aus Neigung, oder weil [443] die Wachsamkeit des eifersüchtigen Ehedespoten ihrer Leidenschaft keinen freiern Gang erlaubte, das ist schwer zu entscheiden; dem vollblütigen Ritter, aber meinte sie, dürfte das System des sinnlichen Epikur wohl besser behagen, darum hatte sie alles darauf angelegt, sein Herz durch Sinnlichkeit zu bestricken. Allein sie fand, daß sie sich in ihrer Meinung geirret hatte: weder epikurische Sinnlichkeit, noch die feinern geistigen Empfindungen der platonischen Liebe, schienen seine Sache zu sein, sondern vielmehr ein strenger Stoizismus, der sie in Verwunderung setzte, und ihr zu dem Besitz des Ringes eben keine große Hoffnung machte.

In dieser Untätigkeit waren bereits einige Monate verflossen, [444] daher fand die ungedultige Dame nötig, mit ihrem Ritter, wie sie ihn zu nennen pflegte, über die Angelegenheiten seines Herzens Rücksprache zu halten. Am Tage wo die Wiederkehr des Lenzes gefeiert wurde, und alle ihre Jungfrauen mit frischen Blumenkränzen geschmückt, einen fröhlichen Reihentanz begannen, fand sie ihn einsam und unteilnehmend in einer Laube, wo er sich mit dem auf mißliche Liebe deutenden Zeitvertreib beschäftigte, Frühlingsblumen, die eben hervorgesproßt waren, zu entblättern und zu zerstören. »Unempfindsamer Ritter«, sprach sie, »hat die blühende Natur für Euch so wenig Reize, daß Ihr die ersten Geschenke derselben fühllos zernichtet und Florens Fest entweihet? Ist Euer Herz alles sanften, alles liebevollen Gefühls so unfähig, daß weder die Blumen meines Gartens noch das aufblühende Geschlecht der Dirnen meines Hofes auf Euch einen zärtlichen Eindruck machen? Was weilet Ihr hier in dieser einsamen Laube, da Euch die Freude aus jenem Tanzsaal und die Liebe aus jeder Halle, aus jedem Busch und den geselligen Grotten dieses Gartens winkt? Deutet Euer Trübsinn aber auf zärtliches Gefühl, so offenbaret mir diesen geheimen Kummer, daß ich sehe, ob es in meiner Macht stehet Euer Herz zufrieden zu stellen.« »Euer Scharfsinn, weise Zoe«, gegenredete Friedbert, »blickt in die Verborgenheiten meiner Seele, Ihr urteilet ganz recht, daß ein verborgen Feuer in meinem Busen glimmt, von dem ich nicht weiß, ob ich es mit dem Hoffnungsöl unterhalten soll, oder ob es das Mark aus meinem Gebein verzehren wird. Für alle Nymphen, die Florens Fest dort in fröhlichen Reihentänzen feiern, ist mein Herz kalt und erstorben. Das himmlische Mädchen, das mich entzückt und dem ich mein Herz gelobt habe, schwebt nicht in jenem Kreise froher Tänzerinnen, dennoch hab ich es in Eurem Palaste gefunden, ach, vielleicht nur als eine Schöpfung der glühenden Phantasie des Künstlers! Wiewohl es mir unglaublich ist, daß der Maler ein solches Kunstwerk zuwege richten können, wenn ihm nicht die Meisterhand der Natur die Züge des herrlichen Konterfeis vorgezeichnet hätte.«

[445] Die Fürstin war ungedultig, zu vernehmen, welches Gemälde auf den jungen Rittersmann einen so sonderbaren Eindruck gemacht habe. »Folget mir flugs dahin«, sprach sie, »daß ich urteile, ob der betrügliche Amor mutwilligen Spott mit Eurem Herzen treibe, und eine Wolke statt der Göttin Euch zu umarmen gegeben habe, denn seine Schalkheit geht über alles; oder ob er wider Gewohnheit ehrlich mit Euch zu Werke gegangen, und wahrhaften Liebesgewinn Euch unbetrüglich zugedacht hat.« Zoe besaß eine auserlesene Sammlung von Gemälden, teils Kunstwerke guter Meister, teils Familienstücke. Unter jenen befanden sich Abbildungen der berühmtesten Schönheiten griechischer Abkunft aus ältern und neuern Zeiten, unter diesen war ihre eigne Gestalt verschiedenemal abkonterfeiet mit all den jugendlichen Reizen, die sie ehedem besaß, da sie noch ins Feienbad wallfahrtete. Eine Anwandelung von Eitelkeit, die ihrem Geschlechte zuweilen auch jenseit dem großen Stufenjahre anhangen soll, noch in den Ruinen das Andenken des vormaligen Glanzes zu erneuren, brachte sie auf die Gedanken, daß vielleicht ihr eignes Porträt Friedberts Phantasie bezaubert haben könnte, und sie konnte sich nicht verwehren ein geheimes Vergnügen zu empfinden, wenn sie ihm sagen würde: »Freund das Original zu dem Gemälde bin ich selbst«, und die Vorstellung seiner Bestürzung, wenn der mächtige Zauber auf solche Art gelöset würde, machte ihr im voraus vielen Spaß. Der Ritter Schlaukopf war indessen seiner Sache viel zu gewiß und fürchtete gar nicht, wie er vorgab, eine Malerillusion; er wußte wohl daß das Urbild schöner in der Natur vorhanden war als der Pinsel es nachgeahmt hatte, nur war ihm unbekannt, wo es jetzt anzutreffen sei, und wie er wieder zu dessen Besitz gelangen möchte.

Beim Eintritt in die Galerie flog er mit glühendem Ungestüm zu dem geliebten Konterfei, und sprach in der Stellung eines Anbetenden: »Sehet hier die Göttin meiner Liebe, wo find ich sie? Auf Euren Lippen, weise Fürstin! schwebt mir Tod und Leben. – Entscheidet! Täuscht mich trügliche Minne, so laßt mich zu Euren Füßen sterben; [446] rechtfertigen aber meine Ahndungen die Wahl meines Herzens, so offenbaret mir, welches Volk oder Land dieses Kleinod aufbewahret, daß ich ausziehe die Dame aufzusuchen und durch ritterliche Taten ihre Gunst zu erringen.«

Die ehrsame Fürstin befand sich bei dieser Entdeckung in keiner geringen Verlegenheit, da sie derselben nicht vermutend gewesen war; eine ernsthafte Miene überschattete ihr Angesicht, dessen noch immer schön proportioniertes Oval eine jovialische Idee vorher gerundet hatte, nun aber verlängte sich die Linie von der Stirn zum Kinn um einen guten Zoll. »Unbedachtsamer«, sprach sie: »wie könnt Ihr Euer Herz einer Dame geloben, von der Ihr nicht wißt, ob sie jemals gelebt hat, ob sie Eure Zeitgenossin ist, und ob sie Liebe mit Liebe erwidern kann. Eure Ahndung hat Euch zwar nicht ganz irregeführt, dies feine Lärvchen ist weder Fiktion noch Monument einer Schönheit aus vorigen Zeiten, es gehört einem jungen Fräulein zu; sie heißt Kalliste. – [447] Ach einst war sie meine Lieblingstochter! Jetzt ist sie eine Unglückliche, die verdienet bemitleidet zu werden. Sie kann Euch nie zuteil werden; in ihrem Busen lodert eine unauslöschliche Flamme gegen einen Verworfenen, den zwar ein Raum von vielen hundert Meilen von ihr trennt; denn sie hat den Mut gehabt, seinen trüglichen Fallstricken zu entfliehen; aber nichtsdestoweniger liebt sie ihn und beweinet ihren Unstern in der Einsamkeit eines Klosters, unfähig der Empfänglichkeit einer andern Liebe.« Friedbert stellte sich über dieses Fragment aus Zoens Familiengeschichte sehr bestürzt, freute sich aber heimlich in der Seele, daß er den Aufenthalt seiner Geliebten ausgekundschaftet hatte, und noch mehr darüber, daß er aus dem mütterlichen Munde ein so unverdächtiges Zeugnis von der Liebe der Prinzessin zu seiner Wenigkeit empfing. Er unterließ nicht die offenherzige Dame über die sonderbare Intrike ihrer Lieblingstochter auszuforschen, und sie befriedigte seine scheinbare Neugier mit einer parabolischen Geschichte, aus welcher den wahren Sinn herauszuklauben ihm eben nicht viel Mühe machte.

»Kalliste«, sprach sie, »lustwandelte eines Abends am Gestade des Meeres in Gesellschaft ihrer Schwestern, welche der Vorwitz trieb, außerhalb der sichern Ringmauern der mütterlichen Wohnung eine ihnen unbekannte Gegend zu besuchen. Hinter einem Hügel des krummen Ufers lag ein Raubschiff vor Anker. Die unbesorgten Mädchen ahndeten keine Gefahr, da sprang ein Räuber aus dem Busch hervor, ereilte die Zagende, trug sie auf seinen Armen ins Schiff, indem ihre leichtfüßigen Schwestern entflohen und führte sie in seine Heimat. Er warb durch tausend Liebkosungen um ihre Gunst, dadurch gelang es ihm, sich in ihr Herz zu stehlen, sie vergaß der Würde ihrer Geburt, und war im Begriff das unauflösliche Bündnis mit dem Arglistigen einzugehen. Da wehete ein günstiger Wind ein Schifflein an den Strand, sie dachte an ihr Vaterland und an die mütterlichen Tränen die um sie flossen, gab der Stimme der Vernunft Gehör, und nutzte die Gelegenheit ihrer Gefangenschaft zu entrinnen. Aber die unwiderstehliche Leidenschaft, [448] die sich bereits ihres Herzens bemeistert hatte, folgte ihr über Land und Meer, hat tiefen Schmerz in ihre Brust gegraben und alle jugendliche Freude daraus verbannt. Bald wird das Flämmlein ihrer schmachtenden Augen verlischen und die bange Schwermut sie mit dem Grabe gatten, das sie zur Brautkammer sich erkieset hat.« »Nun«, sprach Friedbert, »so soll ihr Grab auch das meinige sein, mein Leben stehet in meiner Hand! Wer mag mir wehren mit der schönen Kalliste zu sterben? Ich bitte Euch nur um die einzige Gunst, zu verschaffen, daß mein Leichnam neben sie begraben werde, damit mein Schatten ihres Grabes hüte. Doch laßt mir vorher den Trost ihr das Geständnis getan zu haben, daß sie die Dame meines Herzens sei, und ihr den Ring zum Unterpfand meiner Treue zu überliefern, damit ich meiner Gelübde quitt sei, dann möget Ihr ihn als ein Erbteil dahinnehmen.«

Mutter Zoe wurde durch diese herzbrechende Liebeserklärung des jungen Ritters also gerührt, daß sie sich der Tränen nicht enthalten konnte, zugleich setzte sie einen solchen Lieblingswert auf den Ring, daß sie dem Ritter diese Bitte nicht versagen mochte, nur fürchtete sie, das Fräulein werde bei der dermaligen Stimmung ihres Herzens eben nicht bei Laune sein, ein so verfängliches Geschenk anzunehmen, er wußte sie aber zu belehren, daß eine so rittermäßige Galanterie den strengsten Begriffen der Damen von der Unverletzbarkeit ihrer sonstigen Verbindungen nicht widerspräche. Sie willigte also in sein Begehren ein, und gab ihm einen schriftlichen Befehl an den Archimandriten des Klosters mit, Vorzeigern Audienz bei der traurenden Kalliste zu gestatten. Friedbert saß frühe auf, Hoffnung und Zweifelmut spornten den Rappen an, bald zu erfahren, wie seine Geliebte ihn aufnehmen würde; alle Umstände ließen indessen vorläufig vermuten, daß sie ihm den Schleierraub verziehen habe. Mit klopfendem Herzen trat er in die jungfräuliche Zelle ein, das Fräulein saß auf einem Sofa abwärts des Einganges, ihr natürlich gelocktes Haar floß über die Schultern herab und war nur mit einem blauen Bande nachlässig umschlungen. Ihr in sich gekehrter Blick [449] und ihre Miene schienen tiefen Kummer zu verraten, und das Haupt unterstützte ihr schwanenweißer Arm. Sie schien auf den Ankommenden eben nicht groß zu achten; doch ein unerwarteter Fußfall von ihm, ließ eine wichtigere Botschaft als einen mütterlichen Morgengruß oder eine Nachfrage nach ihrem Befinden vermuten; sie schlug die holden Augen auf und erkannte den Fremdling, der ihr zu Füßen lag. Verwunderung und Staunen gaben ihr eine unwillkürliche Bewegung, sie schreckte auf, gleich einem Rehe, das bei anscheinender Gefahr die Flucht nimmt. Er faßte ihre zarte Hand mit Inbrunst. Sie stieß ihn aber mit zornmütiger Gebärde von sich. »Hinweg von mir, betrüglicher Mann!« sprach sie, »es ist gnug, daß du mich einmal hintergangen hast, den zweiten Raub sollst du nicht an mir begehen!« Friedbert hatte sich dieses Straußes beim Empfang wohl versehen, darum ließ er sich nicht irren, die Apologie seiner verliebten Schalkheit mit der den Liebenden gewöhnlichen Überzeugungsgabe der schönen Kalliste ans Herz zu legen, in welchem er einen gültigen Vorspruch zu finden hoffte. Und weil nichts leichter entschuldiget wird, als Beleidigungen auf Rechnung unbegrenzter Liebe, wenn beide Teile übrigens in der Hauptsache übereinstimmen, gesetzt, daß [450] der Zwist auch ein wichtiger Objekt als einen Schleierraub beträf: so besänftigte sich der Unwille des Fräuleins mit jedem neuen Verteidigungsgrunde immer mehr. Sobald er merkte daß seine Argumente zu Beschönigung des Raubes in ihrem Herzen Eingang fanden, war ihm nicht mehr bange, daß sie ihm nun entwischen würde, weder durch die Tür noch zum Fenster hinaus. Das augenscheinliche Dokument seiner Treue, daß er aus Schwabenland bis in die Zykladen ihr gefolget war, und die Überzeugung ihrerseits, daß er bis an der Welt Ende sie würde aufgesucht haben, erwarb ihm endlich völlige Verzeihung. Das Fräulein tat ihm das Geständnis der Liebe, und die Gelübde, das Los des Lebens mit ihm zu teilen.

Der nach so vielen Schwierigkeiten erlangte Sieg setzte den erhörten Friedbert in solch Entzücken, daß er das Maß seiner Glückseligkeit nicht umfassen konnte. Wonnetrunken eilte er unter der schönen Geleitschaft seiner Geliebten in den mütterlichen Palast zurück. Zoe war über die Maßen verwundert, daß die trübsinnige Kalliste den Vorsatz in der Abgeschiedenheit von der menschlichen Gesellschaft ihre Jugend zu vertrauren so urplötzlich aufgegeben hatte, und mit heitrer Stirn, auf welcher keine Spur der Schwermut [451] mehr zu entdecken war, in ihr Zimmer eintrat. Es fehlte wenig, daß Friedbert nicht zum zweitenmal in den Verdacht einer Zauberei geriet, zumal da die Mutter aus dem Munde der Liebenden vernahm, daß die Präliminarien ihrer untrennbaren Vereinigung so gut als unterzeichnet waren; denn ihr war nicht in den Sinn gekommen, zu gedenken, daß die Gelobung des irrenden Ritters, der Dame seines Herzens einen Ring zu überliefern, auf die Gegensteuer ihres Herzens abziele, vornehmlich da sie vermeinte, ein früherer Kompetent habe davon bereits Posseß ergriffen, und zum Beweistum seiner Gerechtsame schon Feuer auf dem Herde als in seinem Eigentum angezündet. So sehr übrigens Friedbert der Fürstin Günstling war, so wenig vermochte diese Prädilektion über ihre standesmäßigen Vorurteile in Absicht einer gleich edeln Geburt. Ehe sie daher die förmliche Einwilligung zur Vermählung gab, forderte sie den Glücksritter auf, sich einer stiftsmäßigen Ahnenprobe zu unterwerfen. Ob nun wohl zu Naxos so wie überall genealogische Schmiede vorhanden waren, in deren Werkstatt er sich mit leichter Mühe eine eherne Stammtafel hätte können schmieden lassen, so lang und breit als zu dieser Formalität erforderlich war: so qualifizierte er sich doch mit gutem Bedacht, zu der Fähigkeit in eine so illüstre Sippschaft zu gelangen, durch das Zeugnis der Liebe, die wie er sagte, gern Gleiches zu Gleichem paare und nicht Dohlen mit dem Adlergeschlecht, oder Eulen mit dem Straußen gatte. Überdies wies er auf seinen Degen, welcher als der unverwerflichste Zeuge die Ehre seiner Geburt gegen männiglich zu behaupten bereit sei. Gegen die Gültigkeit dieser Beweise fand Zoe nichts einzuwenden, besonders da sie merkte, daß der Fremdling die schöne Kalliste empfindsam gemacht hatte, und in diesem Fall hat eine kluge Mutter keine andere Wahl, wenn sie den goldnen Hausfrieden nicht geflissentlich stören will, als die Wahl der lieben Tochter gut zu heißen, und allen mütterlichen Gerechtsamen, in die Herzensangelegenheiten derselben einzureden, gänzlich zu entsagen.

Fräulein Kalliste stempelte den ehrlichen Friedbert zu [452] einem Tetrarchen von Schwabenland, mit eben dem Rechte, nach welchem der Heilige Stuhl Bischöfe und Prälaten in partibus kreiert, und unter diesem glänzenden Titel führte sie der Glücksprinz zum Altare, wo sie den ihr gelobten Ring empfing, welchen sie den Tag nach dem Beilager der harrenden Mutter getreulich überlieferte. Der neugeprägte Tetrarch fand nun keinen Anstand weiter, die Geschichte des Ringes der Fürstin Schwiegermutter treuherzig zu eröffnen, wie er durch Erbgangsrecht vermöge des Vermächtnisses des Vater Benno dazu gelangt sei, und bei dieser Gelegenheit erzählte er die ganze Geschichte des ehrwürdigen Einsiedlers. Zoe vergalt diesen aufrichtigen Bericht mit gleicher Offenherzigkeit, und gestund den absichtlichen Hinterlaß des Ringes in ihrem Handschuh am Schwanenteiche, mit dem Beifügen, daß Vater Benno den geheimen Sinn dieser Hieroglyphe sich ganz richtig erkläret, daß es nicht an ihr gelegen habe, den Besuch am Weiher nicht zu wiederholen; sondern ihrem tyrannischen Gemahl sei durch eine schwatzhafte Base von ihrer damaligen Begleitung das Abenteuer verraten worden, er sei darüber so ergrimmt, daß er sich alsbald des magischen Schleiers bemächtiget, und dieses herrliche Geschenk der Natur, in der ersten Wut in tausend Stücken zerrissen habe, wodurch ihr die Rückkehr ins Feienbad sei unmöglich gemacht worden. Die ausharrende Beständigkeit des getreuen Eremiten machte ihr viel Vergnügen und sie belohnte solche durch ein zärtliches Andenken an den guten Benno. Weil sich nun aus der Erzählung des Eidams ergab, daß jener selbst den Schleierraub veranlaßt habe, welcher diesem allerdings zu gutem Glück gediehen war, so erhielt er dafür von der gutherzigen Dame desto leichter völlige Verzeihung, und seine Verdienste um den geliebten Altvater machten ihr den schwäbischen Eidam wert bis an ihren Tod.

Friedbert lebte mit seiner sich immer verjüngenden Gemahlin im Genuß eines Eheglücks, welches heutiges Tages nur in den süßen Idealen schwärmerischer Liebe anzutreffen ist, die das Dornengebüsch der Ehe sich immer als einen Rosengarten abzubilden pfleget. Kalliste bedauerte nur, daß [453] sie ihren Gemahl des herrlichen Prärogativs des Wunderbades nicht gleichfalls teilhaft machen konnte; denn da sie nach fünfundzwanzig Jahren mit ihm die Silberhochzeit feierte, bleichten schon seine braunen Locken und gewannen an den Spitzen eine Silberfarbe, wie wenn der erste Schnee auf den Hügeln und Bergen die Ankunft des Winters verkündet. Die schöne Kalliste glich dagegen noch immer einer aufblühenden Rose in den Tagen des schönsten Lenzes.

Die Tradition sagt nichts davon, ob das Eheglück des zärtlichen Paares unverrückt fortgedauert habe, da sich in der Folge Winter und Frühling begegneten; oder ob nach dem gewöhnlichen Laufe der Natur bei dem Kampfe zweier entgegengesetzten Jahreszeiten, lieblicher Sonnenschein mit Sturm und Schneegestöber abwechselten. Aber wenn dem Gerücht zu trauen ist, so haben die Lyoner Damen aus keiner andern Ursache die Luftschwimmer so sehr begünstiget, und zum Behuf aerostatischer Versuche so fleißig subskribiert 9, als der herrlichen Erfindung des Luftballs statt eines Transportschiffes sich zu bedienen, um geschwind und bequem die Reise nach den entlegenen Schönheitsquellen zu unternehmen, und die Wirksamkeit derselben unter Hoffnung genealogischer Begünstigungen zu prüfen, wenn Herr Pilatre von Rozier sich wird erbitten lassen das Steuerruder zu führen.

[454]

Fußnoten

1 Eine lustige Gegend bei Zwickau, die noch jetzt diesen Namen führet, und solchen einer alten Volkssage zufolge von einer gewissen Schwanhildis, so wie die Stadt den ihrigen von deren Vater dem Cygnus erhalten haben soll. Beide gehören ins Feiengeschlecht und stammen wahrscheinlich aus den Eiern der Leda her.

2 Glafeys Kern der sächsischen Geschichte. Daß die Sieger die Erschlagenen nach Schocken zählten, wie die Lerchen, kann vielleicht daher kommen, weil die Leipziger Bürger, die sich bei dem Markgrafen befanden, diesen Heereszug mit einem Lerchenstreichen verglichen; denn der Sieg wurde ihnen sehr leicht.

3 Glafey ist abermals Gewährsmann dieser Anekdote.

4 In diesem Stück hat sich heutzutage der Geschmack zum Vorteil der jungen Herren wie jedermann weiß gar merklich geändert.

5 Auf gut Glück, auf Geratewohl.

6 Nach Tourneforts Zeugnis ist das Tor des Tempels noch zu sehen, wie auch die Kanäle, wodurch der Wein in gewisse Behältnisse pflegte gebracht zu werden.

7 Zur Zeit da Vater Benno lebte, kannte man nur die drei Teile der alten Welt, der vierte war noch nicht entdeckt.

8 Man sehe das Märchen: Teufel Amor genannt, im vierten und folgendem Teil der Bibliothek der Romanen.

9 Laut öffentlicher Zeitungsnachrichten.

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TextGrid Repository (2012). Musäus, Johann Karl August. Märchen. Volksmärchen der Deutschen. Der geraubte Schleier. Der geraubte Schleier. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-5DAC-2