Die Nymphe des Brunnens

[277] [279]Drei Meilen hinter Dünkelspühl in Schwabenland, lag vor Zeiten ein altes Raubschloß, das einem mannfesten Ritter zugehörte, Wackermann Uhlfinger genannt, die Blume der faust- und kolbengerechten Ritterschaft, das Schrecken der schwäbischen Bundesstädte auch aller Reisenden und Frachtführer die keinen Geleitsbrief von ihm gelöset hatten. Wenn Wackermann seinen Küraß und Helm angelegt, seine Lenden mit dem Schwert umgürtet hatte, und die goldnen Sporen an seinen Fersen klirrten, war er nach der Sitte seiner Zeitgenossen ein roher hartherziger Mann, der Rauben und Plündern für ein Vorrecht des Adels hielt, den Schwächern befehdete, und weil er selbst mannhaft und rüstig war, kein ander Gesetz erkannte als das Recht des Stärkern. Wenn's hieß: Uhlfinger ist im Anzuge; Wackermann kommt, fiel Schrecken auf ganz Schwabenland, [279] das Volk flüchtete in die festen Städte, und die Wächter auf den Zinnen der Warten stießen ins Horn, und verkündeten die nahe Gefahr. Die geringfügigste Beleidigung rügte er scharf, und manchen seiner Spießgesellen hatte er so zerbasedowt, wie Armbrecher R-ch der Menschenfreund, den Erzvater der Philanthropisten, obgleich in dem damaligen handfesten Weltalter, durch jenen barbarischen Heroismus, sein Geruch nicht so stinkend wurde vor dem ganzem Lande, wie in unsern gesittetern Zeiten durch solch eine kraftmännische Behandlung.

Dieser gefürchtete Mann war aber daheim, wenn er seine Rüstung abgelegt hatte, fromm wie ein Lamm, gastfrei wie ein Araber, ein gutmütiger Hausvater und zärtlicher Gatte. Seine Hausfrau war ein sanftes liebvolles Weib, sittig und tugendsam, dergleichen es heutzutage wenig gibt. Sie liebte ihren Gemahl mit unverbrüchlicher Treue, und stund ihrem Hauswesen gar fleißig vor, sah nicht durchs Gitter nach Buhlern aus, wenn ihr Herr davon ritt Abenteuer zu bestehen, sondern legte sich einen Rocken an von feinem Flachs wie Seide, und drehte die Spindel mit geschäftiger Hand, daß sie einen Faden gewann, den die lydische Arachne für den ihrigen würde erkannt haben. Sie war Mutter von zwo Töchtern, die sie mit großer Sorgfalt tugendsam und häuslich auferzog. In dieser klösterlichen [280] Eingezogenheit störte nichts ihre Zufriedenheit als die Freibeuterei ihres Gemahls, der sich mit ungerechtem Gut bereicherte. Sie mißbilligte diese privilegierten Raubereien in ihrem Herzen, und es machte ihr keine Freude, wenn er ihr gleich die herrlichsten Stoffe mit Gold und Silber durchwirkt, zu reichen Kleidern schenkte. »Was soll mir der Plunder«, sprach sie oft zu sich selbst, »daran Seufzer und Tränen hangen?« Sie warf mit geheimen Widerwillen diese Geschenke in ihre Truhe, und würdigte sie weiter keines Anblicks, bemitleidete die Unglücklichen die in Wackermanns Haft fielen, setzte sie oft durch ihre Vorbitte in Freiheit und begabte sie mit einem Zehrpfennig.

Am Fuß des Schloßberges verbarg sich tief im Gebüsche eine ergiebige Felsenquelle, welche in einer natürlichen Grotte entsprang, die nach einer alten Volkssage von einer Brunnennymphe bewohnt sein sollte, welche man die Nixe nannte, und die Rede ging, daß sie sich bei sonderbaren Ereignissen im Schlosse, zuweilen sehen ließ. Zu diesem Brunnen lustwandelte die edle Frau oftmals ganz einsam, wenn sie während der Abwesenheit ihres Gemahls außerhalb der düstern Burgmauern frische Luft schöpfen, oder ohne Geräusch Werke der Wohltätigkeit im Verborgenen ausüben wollte. Sie beschied dahin die Armen, die der Pförtner nicht einließ, und spendete an gewissen Tagen nicht nur den Abhub ihrer Tafel an sie aus, sondern trieb ihre demütige Gutherzigkeit zuweilen so weit als die heilige Landgräfin Elisabeth, die mit stoischer Verleugnung alles widernden Gefühls, mit ihrer königlichen Hand am Sankt Elisabethenbrunnen, oft Bettlerwäsche wusch.

Einsmals war Wackermann mit seinen Reisigen auf Wegelagerung ausgezogen, den Kaufleuten aufzulauern, die vom Augspurger Markte kamen, und verweilte länger als sein Verlaß war. Das bekümmerte die zarte Frau, sie wähnte ihrem Herrn sei ein Unglück begegnet, er sei erschlagen oder in Feindes Gewalt. Es war ihr so weh ums Herz, daß sie nicht ruhen noch rasten konnte. Schon mehrere Tage hatte sie sich zwischen Furcht und Hoffnung abgeängstet, und oft rief sie dem Zwerg zu, der auf dem Turm Wacht [281] hielt: »Kleinhänsel schau aus! Was rauscht durch den Wald? Was trappelt im Tal? Wo wirbelt der Staub? Trabt Wackermann an?« Aber Kleinhänsel antwortete gar trübselig: »Nichts regt sich im Wald, nichts reutet im Tal, es wirbelt kein Staub, kein Federbusch weht.« Das trieb sie so bis in die Nacht, da der Abendstern heraufzog, und der leuchtende Vollmond über die östlichen Gebürge blickte. Da konnte sie's nicht aushalten zwischen den vier Wänden ihres Gemachs; sie warf ihr Regentuch über, stahl sich durchs Pförtgen in den Buchenhain, und wandelte zu ihrem Lieblingsplätzchen dem Kristallbrunnen, um desto ungestörter ihren kummervollen Gedanken nachzuhängen. Ihr Auge floß von Zähren, und ihr sanfter Mund öffnete sich zu melodischen Wehklagen, die sich mit dem Geräusch des Baches mischten, der vom Brunnen her durchs Gras lispelte.

Indem sie sich der Grotte nahete, war's ihr als ob ein leichter Schatten um den Eingang schwebe; aber weil's in ihrem Herzen so arbeitete, achtete sie wenig darauf, und der erste Anblick schob ihr den flüchtigen Gedanken vor, daß das einfallende Mondenlicht ihr eine Truggestalt vorlüge. Da sie aber näher kam, schien sich die weiße Gestalt zu regen und ihr mit der Hand zu winken. Darüber kam ihr ein Grausen an, doch wich sie nicht zurück; sie stund, um recht zu sehen was es wäre. Das Gerüchte von dem Nixenbrunnen, das in der Gegend umlief, war ihr nicht unbewußt. Sie erkannte die weiße Frau nun für die Nymphe des Brunnens, und diese Erscheinung schien ihr eine wichtige Familienbegebenheit anzudeuten. Welcher Gedanke konnte ihr jetzt näher liegen als der von ihrem Gemahl? Sie zerraufte ihr schwarzgelocktes Haar und erhob eine laute Klage: »Ach, des unglücklichen Tages! Wackermann! Wackermann! Du bist gefallen, bist kalt und tot! Hast mich zur Wittib gemacht und deine Kinder zu Waisen!«

Da sie so klagte und die Hände rang, vernahm sie eine sanfte Stimme aus der Grotte: »Mathilde sei ohne Furcht, ich verkünde dir kein Unglück, nahe dich getrost: ich bin deine Freundin, und mich verlangt mit dir zu kosen.« Die edle Frau fand so wenig Abschreckendes in der Gestalt und [282] Rede der Nixe, daß sie den Mut hatte die Einladung anzunehmen; sie ging in die Grotte, die Bewohnerin bot ihr freundlich die Hand und küßte sie auf die Stirn, saß traulich zu ihr hin und nahm das Wort: »Sei mir gegrüßt in meiner Wohnung du liebe Sterbliche, dein Herz ist rein und lauter wie das Wasser meines Brunnens, darum sind dir die unsichtbaren Mächte geneigt. Ich will dir das Schicksal deines Lebens eröffnen, die einzige Gunstbezeugung die ich dir gewähren kann. Dein Gemahl lebt, und ehe der Hahn den Morgen auskräht, wird er wieder in deinen Armen sein. Fürchte nicht ihn zu betrauren: der Quell deines Lebens wird früher versiegen als der seine; vorher aber wirst du noch eine Tochter küssen, die in einer verhängnisvollen Stunde geboren, auf schwankender Waage des Schicksals [283] Glück und Unglück dahinnimmt. Die Sterne sind ihr nicht abhold; aber ein feindseliger Gegenschein raubt der Verwaisten das Glück der mütterlichen Pflege.«

Das betrübte die edle Frau sehr, da sie hörte, daß ihr Töchterlein der treuen Mutterpflege entbehren sollte, und sie brach in laute Zähren aus. Die Nymphe wurde dadurch gerührt. »Weine nicht«, sprach sie, »ich will bei deinem Kinde Mutterstelle vertreten, wann du es nicht beraten kannst; doch unter dem Beding, daß du mich zur Taufpate des zarten Fräuleins wählest, damit ich Teil an ihr habe. Dabei sei eingedenk, daß das Kind, so du es meiner Sorge anvertrauen willst, mir den Waschpfennig wiederbringe, den ich einbinden werde.« Frau Mathilde willigte in dies Begehr, drauf griff die Nixe nach einem glatten Bachkiesel, und gab ihr solchen mit dem Beifügen, denselben durch eine treue Magd zu rechter Zeit und Stunde, zum Zeichen der Einladung zur Gevatterschaft in den Brunnen werfen zu lassen. Frau Mathilde verhieß dem allen treulich nachzukommen, [284] verlor keins dieser Worte aus ihrem Herzen und begab sich nach der Burg zurück; die Nymphe aber ging wieder in den Brunnen und verschwand.

Nicht lange hernach trompetete der Zwerg freudig vom Turm herab, und Wackermann ritt mit seinen Reisigen wohlgemut in den Hof ein, mit reicher Beute beladen. Nach Verlauf eines Jahres merkte die tugendliche Frau, daß sie sich gesegneten Leibes fand, sie sagt' es an ihrem Herrn, der über diese Nachricht viel Freude hatte: denn er hoffte auf einen männlichen Erben. Sie aber trug große Sorge, wie sie's anstellen möchte mit der Gevatterschaft; das Abenteuer vom Nixenbrunnen ihm zu eröffnen, trug sie Bedenken. Da fügte sich's, daß Wackermann einen Fehdebrief bekam, von einem Ritter, den er beim Trunk beleidiget hatte, und der mit ihm anbinden wollte auf Tod und Leben. Er rüstete sich und seine Gewappneten fleißig zu, und als er im Begriff war aufzusitzen, und nach Gewohnheit von seiner Gemahlin sich verabschiedete, forschte sie sorgsam nach seinem Vorhaben, drang ihn wider Gewohnheit, ihr zu sagen gegen wen er ausziehe, und da er ihr diese ungewöhnliche Neugier liebreich verwies, verhüllte sie ihr Gesicht und weinte bitterlich. Das ging dem edlen Ritter ans Herz, doch tat er sich's nicht aus, saß auf und eilte zum Tummelplatz, traf mit seinem Gegner hart zusammen, erlegte ihn nach einem wackern Rennen und kehrte triumphierend heim.

Seine züchtige Hausfrau empfing ihn mit offenen Armen, liebkoset' ihm freundlich und ließ nicht ab mit glatten Worten und den weiblichen Künsten süßer Schmeichelei ihn auszuholen, was für ein Abenteuer er bestanden habe. Er aber verschloß flugs sein Herz, verwahrte alle Zugänge mit dem Riegel der Unempfindsamkeit und offenbarte ihr nichts; vielmehr höhnt' er sie dieses Vorwitzes halber und sprach spottweise: »O Mutter Eva deine Töchter sind noch nicht ausgeartet, Neugier und Vorwitz ist der Weiber Erbteil bis auf diesen Tag. Einer jeden hätte gelüstet den verbotnen Baum zu plündern; oder den Deckel des verpönten Schauessens aufzuheben, und das darin verborgene Mäuslein davon springen zu lassen.« »Verzeihet lieber Gemahl«, [285] antwortete die kluge Frau, »die Männer haben auch ihr bescheiden Teil aus Mutter Evens Erbschaft empfangen. Der Unterschied ist nur, daß eine gutmütige Frau für ihrem Manne kein Geheimnis hat noch haben darf. Es stünd die Wette, wenn mein Herz Euch was verhehlen könnte, daß Ihr nicht ruhen noch rasten würdet, bis Ihr mir meine Heimlichkeit abgelockt hättet.« »Und ich«, versetzt' er, »geb Euch mein Wort, daß mich Eure Heimlichkeit nichts kümmern wird; es ist Euch vergönnt die Probe zu machen.« Da war's wo Frau Mathilde ihren Ehgemahl hinhaben wollte. »Wohlan«, sprach sie, »lieber Herr, Ihr wißt daß meine Entbindung nah bevorstehet, wenn ich nun eines gesunden Kindes genese, so sei mir vergönnt eine von den Gevattern zu erkiesen, die das Kindlein aus der Taufe heben. Ich habe eine Freundin ins Herz geschlossen, die Euch unbekannt ist; da ist nun mein Begehr, daß Ihr nie in mich dringen wollt. Euch zu sagen wer sie sei, von wannen sie kommt, noch wo sie hauset. Wann Ihr mir das bei Eurer ritterlichen Ehre verheißet, und Eurer Zusage Gnüge tut, will ich die Wette verloren haben und frei bekennen, daß der männliche Geist über die weibliche Schwachheit triumphiert.« Wackermann leistete seiner Hausfrau das Versprechen unweigerlich, und sie erfreute sich des guten Erfolgs ihrer schlauen List innigst.

Nach wenig Tagen genas sie eines Fräuleins. Obgleich der Vater lieber einen Sohn umarmt hätte, so ritt er doch ganz wohlgemut zu seinen Nachbarn und Gefreundten, sie zur Gevatterschaft zu laden. Sie fanden sich insgesamt an dem bestimmten Tage ein, und da die Kindbetterin das Geräusch der Wagen, das Wiehern der Pferde und das Getümmel des Hofgesindes vernahm, berief sie eine vertraute Dirne zu sich, und sprach: »Nimm diesen Bachkiesel, wirf ihn still schweigend hinter dich in den Nixenbrunnen, und spute dich auszurichten was dir befohlen ist.« Die Dirne tat nach dem Befehl ihrer Frau, und eh sie wieder zurückkam, trat eine unbekannte Dame in das Gesellschaftszimmer, neigte sich züchtig gegen die anwesenden Herren und Frauen, und wie das Kindlein vorgetragen wurde, und der [286] Täufer zum Becken trat, nahm sie ihre Stelle unter den Paten oben an. Jedermann machte ihr ehrerbietig Platz als einer Fremden, und sie hielt das Kind zuerst auf dem Arm über der Taufe. Aller Augen waren auf sie gerichtet, sie war so schön, so sittsam und dabei so herrlich gekleidet in ein fliegendes Gewand von wasserblauer Seide, und aufgeschlitzten Ärmeln mit weißem Atlas unterlegt; über das war sie mit Juwelen und Perlenschmuck so reichlich behangen, wie die heilige Jungfrau zu Loretto, an einem kirchlichen Galatage. Ein glänzender Saphir hielt den durchsichtigen Schleier, der in dünnen Wolken von dem Wirbel des künstlich geschlungenen Haares, längst den Schultern bis an die Fersen herabschwebte; aber der Zipfel des Schleiers war naß, als sei er durchs Wasser gezogen.

Die unerwartete Erscheinung der fremden Dame hatte die sämtliche Mitgevatterschaft dergestalt in der Andacht gestört, daß sie vergaßen dem Kinde einen Namen zu geben, darum tauft' es der Priester Mathilde nach den Namen der Mutter. Nach vollbrachter Taufhandlung wurde die kleine Mathilde zu derselben zurückgebracht und alle Paten folgten nach, der Wöchnerin Glück zu wünschen, und dem Patgen den Waschpfennig einzubinden. Die Kindbetterin schien bei dem Anblick der Unbekannten etwas betroffen, vermutlich aus Verwunderung, daß die Nixe so treulich [287] Wort gehalten hatte. Sie warf einen verstohlnen Blick auf ihren Gemahl, der mit einem unausdeutbaren Lächeln antwortete, und sich übrigens das Ansehn gab, als nehm er von der Fremden weiter keine Notiz. Das Patengeschenke gab jetzt der Empfängerin andere Beschäftigung, ein goldner Regen strömte aus freigebigen Händen auf den Täufling herab. Die Unbekannte nahete sich zuletzt mit ihrer Patensteuer, und täuschte die Erwartung aller Mitgevattern. Sie vermuteten von der glanzreichen Dame ein Kleinod, oder einen Denkpfennig von großem Wert, besonders da sie ein seidnes Taschentuch hervorzog, und solches mit großer Bedächtlichkeit voneinander schlug; aber Frau Pate hatte nichts dreingewickelt als einen Bisamapfel 1 aus Holz gedreht, sie legte diesen feierlich auf des Kindes Wiege, küßte die Mutter freundlich auf die Stirn und begab sich aus dem Zimmer.

Über dieses armselige Geschenk entstund ein heimliches Flüstern unter den Anwesenden, das bald in ein spöttisches Gelächter ausbrach. Es fehlte nicht an mancherlei boshaften Anmerkungen und Spekulationen, wie sie in Wochenstuben zu sein pflegen; da aber der Ritter und seine Dame ein tiefes Stillschweigen beobachteten, so blieb den Forschern und Schwätzerinnen nichts übrig, als sich an leeren Mutmaßungen zu weiden. Die Unbekannte kam nicht wieder zum Vorschein, und niemand wußte zu sagen wo sie hingeschwunden sei. Wackermann wurde ingeheim allerdings von dem Verlangen gequält, zu erforschen wer die Fremde gewesen sein möchte, die man, weil niemand ihren Namen wußte, die Dame mit dem nassen Schleier nennte; nur der Scheu als ein mannlicher Ritter einer Weiberschwachheit sich schuldig zu machen, und die Unverbrüchlichkeit seines gegebnen Wortes banden ihm die Zunge, wenn in der Stunde ehelicher Vertraulichkeit ihm die Frage auf den Lippen schwebte: »Sag an, wer war Frau Pate mit dem nassen Schleier?« Er gedachte ihr das Geheimnis mit der Zeit dennoch [288] abzulisten oder abzulieben, und rechnete dabei auf die Beschaffenheit des weiblichen Herzens, welchem die Gabe der Verschwiegenheit so wenig verliehen sei, als dem Siebe die Aufbewahrung einer Flüssigkeit. Doch diesmal irrete er in der Rechnung: Frau Mathilde wußte ihre Zunge zu schweigen, und bewahrte das unauflösliche Rätsel so sorgfältig im Herzen, wie den Bisamapfel in ihrem Schatzkästlein.

Ehe das Fräulein dem Gängelbande entwuchs, wurde die Prophezeiung der Nymphe an der guten Mutter erfüllt: sie erkrankte plötzlich und starb, ohne Zeit zu haben an den Bisamapfel zu gedenken, oder damit nach Verfügung der Nixe zu Gunsten der kleinen Mathilde zu verfahren. Ihr Gemahl war eben abwesend auf dem Turnier zu Augspurg, und zog mit einem Ritterdank von Kaiser Friedrichen gekrönt wieder nach Hause. Wie der Zwerg auf dem Turm seinen Herrn in der Ferne sah angeritten kommen, stieß er nach Gewohnheit ins Horn, dem Hofgesinde dessen Ankunft kund zu tun; aber er ließ nicht wie sonst einen freudigen Ton erschallen, sondern posaunte gar eine traurige Melodei. Das fuhr dem Ritter durchs Herz und bekümmerte seine Seele. »Was für ein Schall«, sprach er, »gellt mir ins Ohr? Hört ihr's ihr Knappen, ist das nicht Krähenruf und Totensang? Kleinhänsel verkündet uns nichts Gutes.« Und die Knappen waren alle bestürzt, sahen ihren Herrn traurig an, und einer unter ihnen nahm das Wort und sprach: »Das ist die Weise des Vogels Kreideweiß, Gott wende Unglück ab; 's ist eine Leich im Hause!« Da spornte Wackermann seinen Hengst und ritt übers Blachfeld daher, daß die Funken stoben. Die Zugbrücke fiel, er sah gierig in den Schloßhof und erblickte leider das Leichenzeichen vor seiner Haustür ausgestellt, eine Laterne ohne Licht mit einem wehenden Flor geschmückt, und alle Fensterläden verschlossen 2. Dabei [289] vernahm er von innen Schluchzen und Wehklagen des Gesindes, denn Frau Mathilde war eben aufgebahrt. Zu Häupten des Sarges saßen die beiden größern Töchter in Boy und Flor gehüllt, und beweinten die erbleichte Mutter mit zahllosen Tränen. Am Fuß des Sarges saß die kleine Lieblingstochter; noch unvermögend ihren Verlust zu empfinden, zerzupfte sie mit kindischer Gleichmütigkeit spielend die Überbleibsel der Blumen, womit die Leiche geschmückt war. Dieser wehmütige Anblick überwältigte Wackermanns männliche Standhaftigkeit, er weinte und jammerte laut, stürzte über den eiskalten Leichnam her, benetzte die bleichen Wangen mit seinen Tränen, drückte mit zitterndem Munde die erstorbenen Lippen, und überließ sich ohne Scheu allen schmerzhaften Gefühlen seines Herzens. Hernach hing er seine Waffen in die Rüstkammer auf, saß bedeckt mit einem abgekrempten Hute und einem schwarzen Trauermantel beim Sarge, trug Leid um seine abgeschiedene Hausfrau, und erwies ihr die letzte Ehre durch ein feierliches Totengepränge.

Weil jedoch nach der Bemerkung eines großen Mannes die heftigsten Schmerzen immer die kürzesten sind, so vergaß der tiefgebeugte Witwer bald seines Herzeleids, und dachte mit Ernst darauf den erlittenen Verlust durch eine zwote Gemahlin zu ersetzen. Seine Wahl fiel auf ein wildes rasches Weib, ganz das Gegenbild der frommen sittsamen Mathilde. Das Hausregiment nahm folglich nun eine andere Gestalt an; die junge Frau liebte Pracht und Verschwendung; gebehrtete sich stolz und gebieterisch gegen das Gesinde; des Schlemmens und Bankettierens war kein Ende. Ihre Fruchtbarkeit bevölkerte das Haus bald mit zahlreicher Deszendenz; die Töchter erster Ehe wurden nicht mehr geachtet, und kamen ganz in Vergessenheit. Wie die ältern Fräuleins heranwuchsen, suchte sich die Stiefmutter ihrer ganz zu entledigen, sie wurden nach Dünkelspühl in ein Frauenkloster in die Kost verdungen; die kleine Mathilde kam unter Aufsicht einer Amme, und wurde in ein abgelegnes Stübchen versetzt, wo sie der eiteln Frau, die mit Familiensorgen sich nicht gern befaßte, weit genug aus den [290] Augen war. Ihr verschwenderischer Aufwand mehrte sich also, daß der Ertrag des Faust- und Kolbenrechtes, so unermüdet der Ritter solchem oblag, nicht mehr hinreichte denselben zu bestreiten. Sie sahe sich oft genötiget, die Verlassenschaft ihrer Vorweserin zu spoliieren, die reichen Stoffe zu vermöbeln, oder von Juden Geld darauf zu leihen. Einsmals befand sie sich in besondrer ökonomischen Verlegenheit. Sie durchsuchte Schubladen und Truhen, um etwas von Werte auszuwittern, da stieß sie auf ein geheimes Fach eines Putzschrankes, und fand darinnen zu ihrer großen Freude Frau Mathildens Schatzkästlein. Die funkelnden Juwelen der Demantringe, Ohrenspangen, Armbänder, Schürzhaken und andern Geschmeides entzückte ihr gieriges Auge. Sie musterte alles genau durch, besah's Stück vor Stück, und überschlug in ihren Gedanken, welchen Gewinn dieser herrliche Fund einbringen würde. Unter diesen Kostbarkeiten fiel ihr auch der hölzerne Bisamapfel in die Augen. Sie wußte lange nicht was sie daraus machen sollte, sie versucht' es ihn aufzuschrauben; aber er war verquollen. Sie wog ihn in der Hand, und befand ihn so leicht als eine taube Nuß, darum meinte sie, es sei irgend ein lediges Ringfutteral, und weil sie damit nichts anzufangen wußte, warf sie's als ein Ding ohn allen Wert aus dem Fenster.

Zufälligerweise saß die kleine Mathilde unten im Zwingergarten und spielte mit ihrer Puppe. Wie sie die hölzerne Kugel auf dem Sande daherrollen sahe, warf sie die Puppe aus der Hand, und griff mit kindischer Begierde nach dem neuen Spielzeug, hatte auch ebensoviel Freude über diesen Fund als Mama an dem ihrigen. Sie ergötzte sich viele Tage mit der Spielerei und ließ sie nicht aus der Hand. An einem schönen Sommertage lüstete der Amme mit ihrer Pflegetochter der frischen Kühlung am Felsenbrunnen zu genießen, um Vesperzeit forderte das Kind seine Honigsemmel, welche die Amme mitzunehmen vergessen hatte. Sie hatte noch nicht Lust zurückzukehren; um nun die Kleine bei Gutem zu erhalten, ging sie in's Gebüsche ihr eine Handvoll Himbeere zu pflücken. Das Kind spielte indes mit dem Bisamapfel, warf ihn hin und her wie einen Fangeball, bis [291] ein Wurf mißlang, und die kindische Freude in eigentlichem Verstande in den Brunnen fiel. Augenblicks stund eine junge Dame da, schön wie ein Engel, und freundlich wie eine Grazie. Das Kind bestürzte darüber, glaubte ihre Stiefmutter vor sich zu sehen, die sie immer schalt und schlug, wenn sie ihr unter die Augen kam. Die Nymphe aber liebkosete ihr mit sanften Worten: »Fürchte nichts liebe Kleine, ich bin deine Pate, komm zu mir. Sieh, hier ist dein Spielzeug das in den Brunnen fiel.« Dadurch lockte sie das Kind zu sich, nahm's auf den Schoß, drückt' es zärtlich an den Busen, herzt' und küßte die kleine Mathilde, und benetzte ihr Angesicht mit Tränen. »Arme Verwaiste«, sprach sie, »ich hab's versprochen Mutterstelle bei dir zu vertreten, ich will's auch halten. Besuche mich oft, du wirst mich stets an dieser Grotte finden, wenn du einen Stein in den Brunnen fallen lässest. Bewahre diesen Bisamapfel sorgfältig und spiele nicht wieder damit, daß du ihn nicht verlierest, er wird dir einst drei Wünsche gewähren. Wenn du heranwächsest will ich dir mehr sagen, jetzt kannst du's nicht fassen.« Sie gab ihr noch manche gute Vermahnung, die sich für des Kindes Alter schickte, gebot ihr Stillschweigen; die Amme kam zurück und die Nymphe verschwand.

Heutzutage, sagt das Sprüchwort, gibt's keine Kinder mehr, vor alters war's damit anders; die kleine Mathilde war gleichwohl ein schlaues und kluges Kind, sie hatte so viel Besonnenheit gegen die Amme nichts von Frau Paten zu erwähnen, forderte bei ihrer Zuhausekunft Nähnadel und [292] Zwirn, und vernähete damit sorgfältig den Bisamapfel in das Unterfutter des Kleides. Ihr Sinn und Gedanken stunden nun nach dem Nixenbrunnen, so oft es die Witterung erlaubte schlug sie der Aufseherin einen Spaziergang dahin vor, und weil diese dem schmeichelhaften Mädchen nichts abschlagen konnte, und diese Neigung ihr angeboren schien, indem die Grotte der Lieblingsaufenthalt der Mutter gewesen war, gewährte sie der Kleinen diesen Wunsch desto leichter. Da wußte diese nun immer einen Vorwand zu finden die Amme wegzuschicken, und sobald sie den Rücken wendete fiel der Stein ins Wasser, und verschaffte dem schlauen Mädchen die Gesellschaft ihrer liebreizenden Pate. Nach einigen Jahren blühete die kleine Waise zum jungfräulichen Alter heran, und ihre Schönheit schloß sich auf wie die Knospe einer hundertblätterichen Rose, die unter den buntfarbigen Grasblumenpöbel verpflanzt, in bescheidener Würde hervorglänzt. Zwar blühete sie gleichsam nur im Zwingergarten: sie lebte unter dem Gesinde versteckt, und wenn die üppiche Mutter bankettierte kam sie nie zum Vorschein, saß auf ihrer Kammer, beschäftigte sich mit häuslicher Arbeit, und fand nach vollendetem Tagewerke, zur Abendzeit reichen Ersatz für die rauschenden Freuden die sie entbehrte, in der Gesellschaft der Nymphe am Brunnen. Diese war nicht nur ihre Gesellschafterin und Freundin, sie war auch ihre Lehrmeisterin, unterrichtete das Fräulein in allen weiblichen Kunstfertigkeiten, und bildete sie ganz nach dem Beispiel ihrer tugendhaften Mutter.

Eines Tages schien die Nymphe ihre Zärtlichkeit gegen die reizvolle Mathilde zu verdoppeln, sie schloß sie in die Armen, ließ das Haupt auf ihre Schulter sinken und war so wehmutsvoll und traurig, daß das Fräulein mit ihr sympathisierte, und sich nicht enthalten konnte einige Tränen auf die Hand ihrer Pate fallen zu lassen, die sie eben schweigend an die Lippen drückte. Durch diese sanfte Mitempfindung wurde die Nymphe noch wehmütiger. »Kind«, sprach sie mit trauriger Stimme, »du weinst und weißt nicht warum; aber deine Tränen sind Vorgefühle deines Schicksals. Dem Hause auf dem Berge stehet eine große Veränderung bevor; [293] ehe der Schnitter die Sense tängelt und der Wind über die Stoppeln des Weizenfeldes weht, wird's öde und wüste stehen. Wenn die Schloßdirnen in der Abenddämmerung herausgehen des Wassers aus meinem Brunnen zu schöpfen und mit ledigem Eimer zurückkehren, so gedenke daß Unglück kommt. Wahre den Bisamapfel der dir drei Wünsche gewähren wird, und gehe nicht verschwenderisch mit deinen Wünschen um: Gehab dich wohl, an dieser Stätte, sehn wir uns nicht wieder.« Drauf lehrte sie dem Fräulein noch einige magische Eigenschaften des Apfels, um sich derselben im Notfall zu bedienen, weinte und schluchzete beim Hinscheiden, daß ihr die Worte versagten, und ließ sich nicht mehr sehen.

Um die Zeit der Weizenernte kamen eines Abends die Wasserträgerinnen mit ledigen Krügen ins Schloß zurück, bleich und erschrocken, zitterten an allen Gliedern, als schüttele sie der Frost des Wechselfiebers, verkündeten, die weiße Frau sitze am Brunnen mit trauriger Gebärdung des Händeringens und Wehklagens, welches nichts Gutes ominiere. Des hatten die Kriegsleute und Waffenträger ihren Spott, meinten es sei Täuschung und Weibergeschwätz; einige trieb die Neugier hinaus, Grund und Ungrund der Sache zu erforschen; sie sahen die nämliche Erscheinung, faßten sich dennoch ein Herz und gingen zum Brunnen. Wie sie hinkamen war das Gesicht verschwunden, und da gab's mancherlei Glossen und Auslegungen darüber, keiner riet jedoch auf die wahre Deutung, welche Fräulein Mathilde allein wußte, ob sie es gleich nicht laut werden ließ: denn die Nymphe hatte ihr Stillschweigen geboten. Sie saß einsam und trübsinnig auf ihrer Kammer, unter Furcht und Erwartung der Dinge die da kommen sollten.

Wackermann Uhlfinger war Weiber- und Becherlehn; seiner verschwenderischen Hausfrau konnte er nicht satt rauben und plündern, und wenn er nicht auf Wegelagerung ausging, bereitete sie ihm tagtäglich ein Wohlleben, berief seine Zechbrüder zusammen, unterhielt ihn im Taumel der Lüste und ließ ihn nie daraus wach werden, um den Verfall seines Hauswesens wahrzunehmen. Wann's an Barschaft [294] oder Lebensmitteln gebrach, so gaben Jacob Fuggers Lastwagen, oder der Venediger reiche Speditionen immer neue Ausbeute. Dieser Plackereien müde, beschloß der Generalkongreß des schwäbischen Bundes, weil Abmahnungen und Warnungen nichts fruchteten, Uhlfingers Untergang. Eh er dachte daß es so ernstlich gemeinet sei, weheten die städtischen Bundesfahnen vor dem Tor seiner Bergfeste, und es blieb ihm nichts übrig als der Entschluß sein Leben teuer gnug zu verkaufen. Die Bombarden und Donnerbüchsen erschütterten die Basteien und die Armbrustschützen taten auf beiden Seiten ihr Bestes; es hagelte Bolzen und Pfeile, und einer davon, in einer unglücklichen Stunde abgedrückt, wo Wackermanns Schutzgeist von ihm gewichen war, fuhr durchs Visier seines Helms ihm tief ins Hirn, daß er alsbald im kalten Todesschlummer dahin taumelte. Durch den Fall des Pannerherrn geriet das Kriegsvolk in große Bestürzung; einige Feigherzige steckten die weiße Fahne aus, die Mutigen rissen sie wieder herab vom Turm. Daraus merkte der Feind daß innerhalb der Burg Unordnung und Verwirrung herrsche, die Belagerer liefen Sturm, überstiegen die Mauren, gewannen das Tor, ließen die Zugbrücke herab und schlugen alles mit der Schärfe des Schwertes was ihnen vorkam. Selbst die Unglücksstifterin, das verschwenderische Weib, wurde mit all ihren Kindern von dem wütigen Kriegsvolke erschlagen, das gegen den räuberischen Adel so erbittert war, als nachher die Aufrührer im schwäbischen Baurenkriege. Das Schloß wurde rein ausgeplündert, in Brand gesteckt und der Erde gleichgemacht.

Während des kriegerischen Tumults hielt sich Fräulein Mathilde in dem [295] Pathmus ihres Dachstübchens ganz ruhig, hatte die Tür verschlossen und von innen fest verriegelt. Als sie aber merkte daß draußen alles buntüber ging, und Schloß und Riegel ihr keine Sicherheit weiter geben würde, warf sie ihren Schleier über, drehete den Bisamapfel dreimal in der Hand und trat kühnlich heraus, nachdem sie das Sprüchlein ausgesprochen hatte, welches ihr die Nixe lehrte:


Hinter mir Nacht vor mir Tag,
Daß mich niemand sehen mag,

und so wandelte sie unbemerkt mitten durch das feindliche Kriegsvolk aus der väterlichen Burg, wiewohl mit hochbetrübten Herzen, und ohne zu wissen wohin sie ihren Weg nehmen sollte. Solang ihre zarten Füße ihr nicht den Dienst versagten, eilte sie von dem Schauplatz des Greuels und der Verwüstung sich zu entfernen, bis sie von Nacht und Müdigkeit befallen, unter einem wilden Birnbaum im freien Felde zu herbergen beschloß. Sie setzte sich auf den kühlen Rasen und ließ den Tränen freien Lauf. Noch einmal schaute sie nach der Gegend um und wollte sie gesegnen, wo sie die Jahre der Kindheit verlebt hatte; wie sie die Augen aufhob, sahe sie ein blutrotes Feuerzeichen am Himmel stehen, woraus sie urteilte daß das Stammhaus ihrer Voreltern ein Raub der Flammen worden sei. Sie wendete ihre Augen von diesem grausenvollem Anblick weg, und wünschte mit Sehnsucht, daß die funkelnden Sterne erbleichen und die Morgenröte aus Osten hervorschimmern möchte. Eh es noch tagte und der Morgentau auf dem Grase sich in kleine Tropfen sammlete, setzte sie die ungewisse Pilgerreise fort, und gelangte bald in ein Dorf, wo sie von einer gutherzigen Bäuerin aufgenommen und mit einem Bissen Brot und einer Schale Milch erquicket wurde. Von [296] dieser Frau tauschte sie bäuerische Kleider, und gesellte sich zu einer Karawane Frachtführer die sie gen Augspurg geleiteten. In diesem trübseligen verlassenen Zustande blieb ihr keine Wahl, als sich für Dienstmädchen zu vermieten; weil's aber außer der Zeit war, konnte sie lange keine Herrschaft finden.

Graf Konrad von Schwabeck ein deutscher Kreuzherr, auch Kastenvogt und Schirmherr des Bistums Augspurg, besaß daselbst einen Comterhof wo er sich im Winter aufzuhalten pflegte, in seiner Abwesenheit wohnte eine Schließerin darinne, Frau Gertrud genannt, die das Hauswesen regierte. Diese Frau war in der ganzen Stadt für eine Megäre ausgeschrieen, kein Gesinde konnt's bei ihr aushalten, sie lärmte und tosete im Hause umher wie ein Poltergeist. Das Rasseln ihrer Schlüsseln fürchteten die Dirnen, wie die Kinder den Ruprecht; das kleinste Versehen, oder auch nur ihre bösen Launen mußten Köpfe und Töpfe entgelten, oder sie bewaffnete ihren rüstigen Arm mit einem Bund Schlüssel und bläuete den Dienstmägden damit Rücken und Lenden blau, und wenn man ein böses Weib beschreiben wollte, so hieß es sie sei so arg als Frau Trude im Comterhofe. Eines Tages hatte sie das Strafamt so gewaltsam ausgeübt, daß alles Gesinde entlief; da kam die sanfte Mathilde und bot ihre Dienste an. Um ihren edlen Wuchs zu verhehlen hatte sie eine Schulter gepolstert als sei sie verwachsen, ihr blondes seidenes Haar verbarg ein breites Kopftuch, Angesicht [297] und Hände hatte sie mit Ruß bestrichen; um eine zigeunermäßige Haut dadurch zu erkünsteln. Wie sie sich anmeldete und die Schelle an der Tür zog, steckte Frau Gertrud den Kopf aus dem Fenster: da sie nun die seltsame Figur gewahr wurde, meinte sie es sei eine Bettlerin und rief herab: »Hier ist kein Almosenamt, geht in die Fuggerei 3 dort spendet man Heller aus«, und schlug das Fenster hastig zu. Fräulein Mathilda ließ sich dadurch nicht abschrecken, sie schellte so lange bis die Ausgeberin in der Absicht wieder zum Vorschein kam diese Insolenz mit einer Lage Scheltworten zu erwidern. Ehe sie aber ihren zähnlosen Mund öffnete, verständigte sie das Fräulein was ihr Begehr sei. »Wer bist du«, frug Frau Gertrud, »und was kannst du?« Die verstellte Dirne antwortete:


Jch bin eine Waise,
Mathilde ich heiße,
Kann plätten,
Kann glätten,
Kann nähen und spinnen,
Auch sticken
Und stricken
Und Augen 4 gewinnen,
Kann hacken und pochen,
Auch braten und kochen,
Bin kunstreicher Hand,
Und flink und gewandt.«

Als die Wirtschafterin dieses Sprüchlein hörte und vernahm, daß das nußbraune Mädchen so viel gute Talente besaß, tat sie die Tür auf, gab ihr den Mietgroschen und nahm sie in die Küche. Sie stund ihren Geschäften so treulich vor, [298] daß Frau Gertrud ganz aus der Übung kam, Töpfe nach dem Ziel zu werfen; ob sie gleich immer streng und mürrisch blieb, alles tadelte und besser wissen wollte: so hielt ihr doch das Dienstmädchen nie Widerpart, und wehrte durch Sanftmut und Duldung den Ergießungen ihrer schwarzen Galle ab. Sie wurde leidlicher und besser als seit vielen Jahren, zum Beweis daß fromm Gesinde, auch gut Regiment, gut Wetter, fromme und getreue Oberherrn macht.

Um die Zeit des ersten Schnees: ließ die Hausmutter das ganze Haus fegen und reinigen, die Fenster waschen, Vorhänge aufziehn, und alles zum Empfang ihres Herrn zubereiten, der mit dem bunten Gefolge seiner Diener umgeben, nebst einem großen Schwall von Pferden und Jagdhunden zu Winters Anfang eintraf. Mathilde kümmerte sich wenig um die Ankunft des Kreuzherrn, ihre Küchenarbeit hatte sich so gemehret, daß sie sich nicht Zeit nahm nach ihm auszusehen. Zufälligerweise begegnete er ihr, indem sie eines Morgens Wasser schöpfte auf dem Hofe, und sein Anblick schloß Gefühle in ihrem Herzen auf, die ihr ganz neu und fremd waren. Der schönste junge Mann, den sie je gesehen stund vor ihr, sein glänzendes Auge, die jovialische Miene, das Gepräge des Wohlbehagens und Überflusses; das wellenförmige leicht gelockte Haar, das sich halb unter die beschattenden Straußfedern des männlich ins Gesicht gedrückten Hutes versteckte; der feste Gang und edle Anstand des Mannes wirkten so mächtig auf ihr Herz, daß es ungleich geschwinder schlug und das Blut in schnellern Umlauf brachte. Zum erstenmal empfand sie jetzt den großen [299] Abstand des Standes, in welchen ein unglücklich Verhängnis sie versetzt hatte, von dem in welchem sie geboren war, und diese Empfindung drückte sie mehr als der schwere Wassereimer. Sie ging tiefsinnig in die Küche zurück und versalzete zum ersten Male in ihrer Funktion alle Brühen, welches ihr von der Wirtschafterin einen harten Verweis zuzog. Tag und Nacht schwebte ihr der schöne Ritter vor Augen, es lüstete ihr oft nach ihm zu sehen, und wenn er über den Hof ging und sie seine Sporen klingen hörte, spürte sie jederzeit Wassermangel in der Küche und eilte mit dem Eimer zum Brunnen; ob sie gleich keines Anblicks von dem stolzen Junker gewürdiget wurde.

Graf Konrad schien bloß für das Vergnügen zu leben, er verabsäumte keine Lustbarkeit und kein Freudengelag in der reichen Stadt, die der Verkehr mit den Venedigern üppich gemacht hatte. Bald gab es ein Ringelrennen, bald ein Stechen auf der Rennbahn, bald einen Ratswechsel oder [300] sonst eine glänzende Feierlichkeit; auch fehlte es nicht an öffentlichen Reihentänzen auf dem Rathause, oder auf dem Markte, und durch alle Straßen, wo die Edelleute den Bürgerstöchtern goldne Fingerreife und seidene Tücher verehrten, Minnespiel und gute Schwänke trieben. Als die Faßnachts-Mummereien begannen, schien der Freudentaumel aufs höchste gestiegen zu sein. Fräulein Mathilde hatte an dem allen keinen Teil, saß in der rauchenden Küche und weinte schier die schmachtenden Augen wund, klagte über den Eigensinn des Glücks, das seinen Günstling mit den Freuden des Lebens stromweise überschüttet, und dem Unbegünstigten jeden frohen Augenblick abgeizet. Ihr Herz war beklommen, ohne daß sie eigentlich wußte warum; daß Amor sich darein gebettet hatte, war ihr gänzlich unbekannt. Dieser unruhige Gast, der in jedem Hause Verwirrung macht wo er herbergt, flüsterte ihr am Tage tausend romanhafte Gedanken zu, und unterhielt sie des Nachts mit schalkhaften Träumen. Bald lustwandelte sie mit dem Kreuzherrn in einem Blumengarten, bald war sie zwischen die heiligen Mauren eines Klosters eingesperrt, und der Graf stund außen am Sprachgitter, verlangte mit ihr zu kosen und die strenge Domina wollt es nicht gestatten; bald aber tanzte sie dennoch mit ihm den Vorreihn auf einem fröhlichen Ball. Diese entzückenden Träume zerstörte oft plötzlich das Geklingel von Frau Gertrudens Bund Schlüssel, womit sie in der frühen Morgenstunde dem Gesinde zur Arbeit läutete; doch die Ideen welche zur Nachtzeit die Phantasie angesponnen hatte, bildete das Spiel der Gedanken den Tag über aus.

Liebe scheut keine Gefahren, übersteigt Berge und Klippen, hüpft über Abgründe, findet Weg und Bahn durch die libysche Wüste, und schwimmt auf dem Rücken des weißen Stiers über den stürmenden Pelagus; die liebende Mathilde sann und klügelte so lange, bis sie ein Mittel fand, den schönsten ihrer Träume zu realisieren. Sie hatte den Bisamapfel der Pate Nixe, der ihr drei Wünsche gewähren sollte noch im Besitz, nie hatte sie Verlangen getragen ihn zu öffnen, und sein innres Talent zu erproben, jetzt kam ihr ein [301] den ersten Versuch damit zu machen. Die Augspurger hatten bei Prinz Maxens Geburt Kaiser Friedrichen zu Ehren ein herrlich Bankett angestellt, das drei Tage dauren sollte, zu welchem sie viel Prälaten Grafen und Herrn aus der Nachbarschaft eingeladen hatten, dabei wurde jeden Tag um einen ausgesetzten Preis gestochen und zu Abendzeit wurden die schönsten Jungfrauen zu Rathaus aufgeholt um mit der edlen Ritterschaft zu tanzen, und das dauerte bis an den lichten Morgen. Ritter Konrad ermangelte nicht dieser Festivität mit beizuwohnen, und war des Abends beim Tanz der Held der zarten Frauen und Jungfrauen. Obgleich keine seiner gesetzmäßigen Liebe teilhaft werden konnte; denn er war ein Kreuzherr: so hatten sie ihn doch alle lieb und wert, er war ein schöner Mann und tanzte wonniglich.

Mathilde hatte den Entschluß gefaßt, bei dieser Gelegenheit ein Abenteuer zu bestehen. Nachdem sie die Küche beschickt hatte, und alles im Hause ruhig war, ging sie auf ihre Kammer, wusch mit feiner Seife die rußige Schminke von der Haut, und ließ Liljen und Rosen darauf hervorblühen. Hernach nahm sie den Bisamapfel zur Hand, und wünschte sich ein neues Kleid, so herrlich und prächtig es nur sein könnte, mit allem Zubehör. Sie öffnete den Deckel, da quoll hervor ein Stück seidenen Stoffs, das dehnte und breitete sich, und rauschte wie ein Wasserstrom herab auf ihren Schoß, und als sie's recht besahe, war's ein völliger Anzug mit allem darzu gehörigen kleinen Putz, und das Kleid paßte ihr auf den Leib wie angegossen. Darüber empfand sie die innige Herzensfreude, die junge Mädchen zu fühlen pflegen, wenn sie sich für das andere Geschlecht putzen, und ihre gefährlich Filetnetze ausstellen. Bei der Übersicht ihres Anzugs schmeichelte alles so sehr der weiblichen Eitelkeit, daß sie vollkommen damit zufrieden war. Darum säumte sie nicht ihr Vorhaben auszuführen, sie drehete den magischen Apfel dreimal in der Hand herum und sprach:


»Die Augen zu,
Bleibt alle in Ruh!«

Alsbald fiel ein tiefer Schlaf auf das gesamte Hausgesinde [302] von der wachsamen Wirtschafterin an bis auf den Türhüter. Husch war Fräulein Mathilde zur Tür hinaus, wandelte ungesehen durch die Straßen, und trat mit dem Anstande einer Grazie in den Tanzsaal ein. Es wunderte sich männiglich über die Gestalt der holdseligen Jungfrau, und auf dem hohen Söller, der rings um den Saal lief, entstund ein flüsterndes Geräusch, wie wenn der Prediger auf der Kanzel Amen sagt. Einige bewunderten an der Unbekannten die Schönheit der Gestalt, andere den Geschmack der Kleidung, noch andere verlangten zu wissen wer sie sei, und von wannen sie käme, wiewohl kein Seitennachbar dem andern über diese Frage Auskunft geben konnte.

Unter den edeln Rittern und Herren die sich herzudrängten, die fremde Jungfrau zu beäugeln, war der Kreuzherr nicht der letzte, ein feiner Mädchenspäher und nichts weniger als Misogyn, ihm dünkte, er habe nie eine glücklichere Physiognomie noch einen reizendern Wuchs gesehen. Er nahete zu ihr, zog sie zum Tanz auf; sie bot ihm bescheiden die Hand, und tanzte zur Bewunderung schön. Ihr leichter Fuß schien kaum die Erde zu berühren; die Bewegung des [303] Körpers aber war so edel und ungezwungen, daß sie jedes Auge entzückte. Ritter Konrad bezahlte den Tanz mit der Freiheit seines Herzens, er entbrannte gegen die schöne Tänzerin in heißer Liebe und kam ihr nicht mehr von der Seite, sagte ihr so viel Schönes vor, und trieb sein Minnespiel mit solchem Ernst und Eifer, wie einer unsrer heutigen Romanhelden, denen flugs die Welt zu enge wird, wenn der schäckerhafte Amor sie hetzt. Fräulein Mathilde war ebensowenig Meisterin ihres Herzens; sie siegte und wurde besiegt; der Erstlingsversuch in der Liebe schmeichelte ihr mit erwünschtem Erfolg, und es war ihr unmöglich, die Sympathien ihrer Gefühle unter dem Schleier weiblicher Zurückhaltung zu verbergen, oder gar die Spröde zu machen. Der entzückte Kreuzherr merkte bald daß er kein hoffnungsloser Liebhaber war, es lag ihn nur daran zu wissen, wer die schöne Unbekannte sei und wo sie hause, um sein Liebesglück zu verfolgen. Doch hier war alles Forschen vergebens, sie wich allen Fragen aus, und mit vieler Mühe erhielt er nur von ihr die Zusage, den folgenden Tag nochmals den Tanz zu besuchen. Er gedachte sie zu überlisten, wenn sie allenfalls nicht Wort halten sollte, und stellte alle Bedienten auf die Lauer ihre Wohnung auszukundschaften, denn er hielt sie für eine Augspurgerin; die Tanzgesellschaft aber meinte, sie gehörte zur Freundschaft des Grafen, weil er ihr so schön tat und so freundlich mit ihr kosete.

Der Morgen war schon angebrochen, ehe sie Gelegenheit fand dem Ritter zu entwischen, und den Tanzplatz zu verlassen. Sobald sie aus dem Saal trat, drehete sie den Bisamapfel dreimal in der Hand um und sagte darzu ihr Sprüchlein:


Hinter mir Nacht vor mir Tag,
Daß mich niemand sehen mag;

[304] und so gelangte sie in ihre Kammer, ohne daß die Dämmerungsvögel des Grafen, die in allen Straßen auf und ab flatterten sie wahrnahmen. Bei ihrer Zuhausekunft, schloß sie das seidene Kleid in die Lade, zog wieder die schmutzigen Küchenkleider an und gab sich an ihre Geschäfte, war früher auf als das übrige Gesinde, welches Frau Gertrud mit dem Bund Schlüssel aus den Betten klingelte, und erntete von der Wirtschafterin ein kleines Lob.

Noch nie war dem Ritter ein Tag so lang worden als der nach dem Balle, jede Stunde dünkte ihm ein Jahr, Sehnsucht und Verlangen, Zweifelmut und Besorgnis, daß ihn die unerforschliche Schöne täuschen möchte, setzten sein Herz in Unruhe; denn Argwohn ist der Nachtreter der Liebe, und hetzte jetzt so in seinem Kopfe herum, wie die Windspiele des Kreuzherrn auf dem Comterhofe. Um Vesperzeit rüstete er sich zum Balle, kleidete sich sorgfältiger als Tages vorher, und die drei goldenen Ringe, das alte Abzeichen des Adels, funkelten diesmal mit Diamanten besetzt am Saume seiner Halskrause. Er war der erste auf dem Tummelplatze der Freude, musterte alle Kommenden mit dem Scharfblick des Adlerauges, und harrete mit Ungeduld der Erscheinung seiner Ballkönigin entgegen. Der Abendstern war schon hoch am Horizont heraufgerückt, ehe das Fräulein Zeit gewann auf ihre Kammer zu gehen, und zu überlegen was sie tun wollte; ob sie dem Bisamapfel den zweiten Wunsch abfordern oder diesen auf einen wichtigern Vorfall des Lebens aufsparen sollte. Die treue Ratgeberin Vernunft riet ihr das letztere zu tun; aber die Liebe forderte das erstere mit so viel Ungestüm, daß die Dame Vernunft nicht mehr zum Worte kam, und sich endlich gar eklipsierte. Mathilde wünschte sich ein anderes Kleid von Rosaatlas, nebst einem Juwelenschmuck so schön und prächtig als ihn die Königstöchter zu tragen pflegen. Der gutwillige Bisamapfel gab her was in seinem Vermögen war, und der Anzug übertraf ihre eigne Erwartung, sie machte wohlgemut ihre Toilette, und mit Hülfe des Talismans gelangte sie, von keinem sterblichen Auge bemerkt, dahin wo sie so sehnlich erwartet wurde. Sie war ungleich reizender als Tages vorher, [305] und da sie der Kreuzherr erblickte, hüpfte ihm das Herz vor Freuden, und eine unwiderstehliche Gewalt, wie die Zentralkraft der Erde, riß ihn mitten durch die Wirbel der Tänzer zu ihr hin, Empfindungen ihr vorzustammlen, die Geist und Herz erschütterten; denn er hatte bereits alle Hoffnung aufgegeben, die Jungfrau wiederzusehen. Um sich wieder zu sammlen, und seine Verwirrung zu verbergen, zog er sie zum Tanz auf, und alle Partien traten ab das herrliche Paar walzen zu sehen. Wonniglich schwebte die schöne Unbekannte am Arm des flinken Ritters daher, wie die Blumengöttin im Lenz auf den Fittichen des Zephyrs.

Nach vollendetem Tanze führte Graf Konrad die ermüdete Tänzerin unter dem Vorwand, Erfrischung zu suchen in ein Seitengemach, sagte ihr in der Sprache eines feinen Hofmannes wie Tags zuvor viel Schmeichelhaftes; unvermerkt aber ging die kalte Hofsprache in die Sprache des Herzens über, und endete mit einer Liebeserklärung so zärtlich und innig, als ein Freier zu reden pflegt, der um eine Braut wirbt. Das Fräulein hörte mit verschämter Freude den Ritter an, und nachdem ihr klopfendes Herz und die glühenden Wangen eine Zeitlang ihre Empfindungen zu Tage gelegt hatten, und sie nun zu einer wörtlichen Erklärung ihrer Gegengesinnung aufgefordert wurde, redete sie gar züchtiglich also: »Was Ihr mir edler Ritter heut und gestern von zarter Liebe vorgesagt habt, gefällt meinem Herzen wohl, denn ich glaube nicht, daß Ihr mit trüglichen Worten zu mir redet. Aber wie kann ich Eurer ehelichen Liebe teilhaftig werden, da Ihr ein Kreuzherr seid und das Gelübde getan habt, ehelos zu bleiben Euer Leben lang? Wenn Euer Sinn auf Leichtfertigkeit und Buhlerei gestellt wär, so hättet Ihr all Eure glatten Worte in den Wind geredet, darum löset mir das Rätsel, wie Ihr's anstellen möget, daß wir nach den Gesetzen der heiligen Kirche also zusammengebunden werden, daß unsre eheliche Einigung bestehen mag für Gott und der Welt.« Der Ritter antwortete ernsthaft und bieder: »Ihr redet als eine tugendliche und kluge Jungfrau, darum will ich auf Eure ehrliche Frage Euch jetzt Bescheid geben und Euren Zweifel lösen. Zur Zeit als ich in den Kreuzorden [306] aufgenommen wurde, war mein Bruder Wilhelm der Stammerbe noch am Leben, seit der aber erbleicht ist, habe ich Dispensation erlangt, als der letzte meines Stammes ehelich zu werden, und dem Orden zu entsagen, so mir's gefällt; doch hat mich Frauenliebe nie gefesselt bis auf den Tag, da ich Euch sah. Von dem Augenblick an ward's mit meinem Herzen gar anders, und ich vertraue fest darauf, daß Ihr und keine andere vom Himmel mir zum ehelichen Gemahl beschieden seid. So Ihr mir nun Eure Hand nicht weigert, soll unser Bündnis nichts scheiden als der bittre Tod.« »Bedenket Euch wohl«, versetzte Mathilde, »daß Euch nicht die Reue ankomme: vorgetan und nachbedacht, hat in die Welt viel Unheil bracht. Ich bin Euch fremd, Ihr wisset nicht wes Standes und Würden ich sei; ob ich Euch an Geburt und Vermögen gleiche; oder ob ein erborgter Schimmer nur Eure Augen blendet. Einem Manne Eures Standes stehet an nichts leichtsinnig zu verheißen; aber auch seine Zusage nach Adelsbrauch unverbrüchlich zu erfüllen.« Ritter Konrad ergriff hastig ihre Hand, drückte sie fest ans Herz, und sprach mit warmer Liebe: »Das verspreche ich bei Seel und Seligkeit! Wenn Ihr«, fuhr er fort, »des geringsten Mannes Kind wäret, nur eine reine und unbefleckte Jungfrau: so will ich Euch ehrlich halten als mein Gemahl und Euch zu hohen Ehren bringen.« Drauf zog er einen Demantring von großem Wert vom Finger, gab ihr den zum Pfand der Treue an ihre Hand, nahm dafür den ersten Kuß von ihren keuschen noch unberührten Lippen und sprach weiter: »Damit Ihr kein Mißtrauen in meine Zusage setzet, so lade ich Euch über drei Tage in mein Haus, wo ich meine Freunde des Prälaten- und Herrenstandes auch andre ehrenfeste Männer bescheiden will, unsrer Ehestiftung beizuwohnen.« Mathilde weigerte sich des aus allen Kräften, weil ihr der rasche Gang der Liebe des Ritters nicht gefiel, und sie die Beharrlichkeit seiner Gesinnungen zuvor erst prüfen wollte. Er ließ sich gleichwohl nicht abwendig machen ihre Einwilligung zu begehren, und sie sagte weder ja noch nein dazu. Wie Tages zuvor schied die Gesellschaft bei Anbruch der Morgenröte auseinander, Mathilde verschwand, und der Ritter, dem kein [307] Schlaf in die Augen kam, berief in aller Frühe die wache Wirtschafterin, und gab ihr Befehl zur Zurichtung eines prächtigen Gastmahls.

Wie Freund Hein das Furchtgerippe mit der Sense, Paläste und Strohhütten durchwandert, und alles was ihm begegnet, unerbittlich mäht und würget: so durchzog am Vorabend des Gastmahls Frau Gertrud, die unerbittliche Faust mit dem Schlachtmesser bewaffnet, Hühner- und Entenställe, und trug als die Parze des Hausgeflügels Leben und Tod in ihrer Hand. Von ihrem blanken Würgestahl fielen die unbesorgten Bewohner bei Dutzenden, schlugen zum letzten Mal ängstlich die Flügel, und Hühner und Tauben und dämische Kapaunen bluteten neben dem verbuhlten Puterhahn ihr animalisch Leben aus. Fräulein Mathilde bekam so viel zu rupfen, zu brühen und aufzuzäumen, daß sie die ganze Nacht den goldnen Schlaf entbehren mußte; doch achtete sie all der Mühe nicht, weil sie wußte, daß der Hochschmaus um ihrentwillen angerichtet wurde. Das Gastmahl begann, der fröhliche Wirt flog den Kommenden entgegen, und wenn der Türhüter schellete, wähnte er immer die unbekannte Geliebte sei an der Tür; wurde sie aber geöffnet, so trat ein Prälat, eine feierliche Matrone, oder ein ehrwürdig Amtsgesicht herein. Die Gäste waren lange beisammen und der Truchseß zögerte gleichwohl die Speisen aufzutragen. [308] Ritter Konrad harrete noch immer auf die schöne Braut; als sie aber zu lang weilte, winkte er dem Truchseß mit geheimen Verdruß die Tafel zu beschicken. Man setzte sich und befand daß ein Gedeck zu viel war; niemand aber konnte erraten, wer die Einladung des Gastgebotes verschmähet hatte. Von Augenblick zu Augenblick verminderte sich die Fröhlichkeit des Gastgebers sichtbar, es war nicht mehr in seiner Gewalt den Trübsinn von seiner Stirn zu bannen, so sehr er sich auch angelegen sein ließ, durch erzwungene Heiterkeit die Gäste bei Laune zu erhalten. Dieser spleenitische Sauerteig säuerte gar bald den Süßteig der geselligen Freude, und es ging im Tafelgemach so still und ernsthaft her, wie bei einem Leichessen. Die Geiger, die des Abends zum Tanz aufspielen sollten, wurden fortgeschickt, und so endete diesmal die Fete im Comterhof ohne Sang und Klang, der sonst die Wohnung der Freude war.

Die mißmütigen Gäste verloren sich früher als gewöhnlich, und dem Ritter verlangte nach der Einsamkeit seines Gemachs, um sich seinem melancholischen Harm ganz zu überlassen, und über die Täuschungen der Liebe ungestört nachzudenken. Er warf sich auf dem Bette unruhig hin und her, und konnte mit seinen Sinnen nicht ausdenken, welche Deutung er der mißlungenen Hoffnung geben sollte. Das Blut kochte in den Adern, der Morgen kam eh er ein Auge geschlossen hatte; die Diener traten herein, fanden ihren Herrn mit wilden Phantasien kämpfen, dem Anschein nach von einem heftigen Fieber befallen. Darüber geriet das ganze Haus in Bestürzung, die Ärzte rennten Trepp auf Trepp nieder, schrieben ellenlange Rezepte, und in der Apotheke waren alle Mörser im Gange, als ob sie zur Frühmetten läuten sollten. Aber das Kräutlein Augentrost, das allein der Liebe Sehnsucht lindert, hatte kein Arzt verschrieben, darum verschmähete der Kranke Lebensbalsam und Perlentinktur, unterwarf sich keinem Regime und beschwor die Ärzte, ihn nicht zu quälen, sondern den Sand seines Stundenglases allgemach verrinnen zu lassen, ohne mit hülfreicher Hand noch daran zu rütteln.

Sieben Tage lang, hatte sich Graf Konrad durch geheimen [309] Kummer so abgezehrt, daß die Rosen seiner Wangen dahinwelkten, das Feuer der Augen verlosch, und Leben und Odem ihm nur noch zwischen den Lippen schwebte, wie ein leichter Morgennebel im Tal, der auf den kleinsten Windstoß wartet, ihn ganz zu verwehen. Fräulein Mathilde hatte genaue Kundschaft von allem was im Hause vorging. Es war nicht Eigensinn, nicht spröde Ziererei, daß sie die Einladung nicht angenommen hatte, es kostete einen harten Kampf zwischen Kopf und Herz, zwischen Vernunft und Leidenschaft, ehe der Entschluß feststund, der Stimme ihres Geliebten diesmal nicht zu gehorchen; teils wollte sie die Standhaftigkeit des raschen Liebhabers prüfen, teils fand sie Bedenken, dem Bisamapfel den letzten Wunsch abzunötigen, denn als Braut meinte sie, zieme ihr ein neuer Anzug, und Frau Pate hatte ihr empfohlen, mit ihren Wünschen rätlich umzugehen. Indessen war ihr am Tage des Gastmahls gar weh ums Herz, sie setzte sich in einen Winkel und weinte bitterlich. Die Krankheit des Ritters, davon sie sich die Ursache leicht erklärte, beunruhigte sie noch mehr, und wie sie die Gefahr vernahm, in welcher er sich befand, war sie untröstbar.

Der siebente Tag sollte nach der Prognosis der Ärzte Leben oder Tod entscheiden. Daß Fräulein Mathilde für das Leben ihres Geliebten stimmte, ist leicht zu ermessen, und daß sie wahrscheinlicherweise dessen Genesung bewirken konnte, war ihr nicht unbekannt, nur die Art, wie sie sich dabei nehmen sollte, fand große Schwierigkeit; doch unter den tausend Fähigkeiten welche die Liebe erweckt und aufschließt, ist auch die mit einbegriffen, daß sie erfindungsreich macht. Mathilde ging ihrer Gewohnheit nach bei frühem Morgen zur Wirtschafterin, mit ihr über den Küchzettel Rat zu halten; aber Frau Gertrud war so außer der Fassung, daß sie sich auf die gemeinsten Dinge nicht besinnen, noch die Wahl der Speisen ordnen konnte, große Tränen wie die Tropfen einer Dachtraufe rollten über die ledernen Wangen: »Ach Mathilde!« schluchzete sie, »wir werden hier bald ausgewirtschaftet haben: unser guter Herr wird den Tag nicht überleben.« Das war eine gar traurige [310] Botschaft, das Fräulein gedachte umzusinken vor Schrecken; doch faßte sie bald wieder Mut und sprach: »Verzaget nicht an dem Leben unsers Herrn, er wird nicht sterben, sondern gesund werden; ich habe heunt nacht einen guten Traum gehabt.« Die Alte war ein lebendiges Traumbuch, machte Jagd auf jeden Traum des Hausgesindes, und wo sie einen habhaft werden konnte, legte sie ihn immer so aus, daß die Erfüllung bei ihr stund; denn die anmutigsten Träume zielten bei ihr auf Hader, Zank und Scheltworte. »Sag an deinen Traum«, sprach sie, »daß ich ihn ausdeute.« »Mir war«, gegenredete Mathilde, »als sei ich noch daheim bei meinem Mütterlein die nahm mich beiseits und lehrte mich das Süpplein von neunerlei Kräutern kochen, das hilft für alle Krankheit so jemand nur drei Löffel davon genießt. ›Bereite dies deinem Herrn‹, sprach sie, ›und er wird nicht sterben, sondern von Stund an gesund werden.‹« Frau Gertrud verwunderte sich höchlich über diesen Traum, enthielt sich dies mal aller sinnbildlichen Deutung: »Dein Traum ist sonderbar«, antwortete sie, »und nicht von ungefähr. Richte flugs dein Süpplein zu, zum Frühstück, ich will sehn ob ich's über unsern Herrn vermag, daß er davon geneußt.« Ritter Konrad lag im stillen Hinbrüten matt und kraftlos, schickte sich zu seiner Heimfahrt und begehrte das Sakrament der letzten Ölung zu empfahen, da trat Frau Gertrud zu ihm hin, riß ihn durch ihre geläufige Zunge aus der Betrachtung der vier letzten Dinge, und quälte ihn mit gutgemeinter Geschwätzigkeit also, daß er um ihrer los zu werden verhieß was sie begehrte. Indessen bereitete Mathilde eine herrliche Kraftbrüh, tat darein allerlei Küchenkräuter und köstliche Würze, und als sie anrichtete, legte sie den Demantring, welchen ihr der Ritter zum Pfand der Treue gegeben hatte in die Schale, und hieß den Diener auftragen.

[311] Der Kranke fürchtete die laute Beredsamkeit der Wirtschafterin, die ihm noch in den Ohren gellete so sehr, daß er sich zwang einen Löffel Suppe zu nehmen. Als er zu Boden fuhr vermerkt' er einen heterogenen Körper, den er herausfischte und zu seinem Erstaunen den Demantring fand. Sogleich glänzte sein Auge wieder voll Leben und Jugendfeuer, die hippokratische Gestalt verschwand, er leerte mit sichtbarer Eßlust die ganze Schale aus zu großer Freude der Frau Gertrud und des aufwartenden Gesindes. Alle schrieben der Suppe die außerordentliche Heilkraft zu, den Ring hatte der Ritter keinem der Umstehenden bemerken lassen. Drauf wendete er sich zu Frau Gertrud und sprach: »Wer hat diese Kost zugerichtet die mir wohltut, meine Kräfte belebt und mich wieder ins Leben ruft?« Die sorgsame Alte wünschte, daß der auflebende Kranke sich jetzt ruhig halten und nicht zu viel sprechen möchte, darum sprach sie: »Laßt Euch nicht kümmern gestrenger Junker, wer das Süpplein zugerichtet hat, wohl Euch und uns, daß es die heilsame Wirkung hervorgebracht hat, die wir davon hofften.« Durch diese Antwort aber geschah dem Ritter kein Genügen, er bestund mit Ernst auf der Beantwortung seiner Frage, auf welche die Ausgeberin diesen Bescheid gab: »Es dienet eine junge Dirne in der Küche, genannt die Zigeunerin, aller Kräfte der Kräuter und Pflanzen kundig, die hat das Süpplein zugerichtet das Euch so wohltut.« »Führt sie alsbald zu mir«, sagte der Ritter, »daß ich ihr danke für diese Panazee des Lebens.« »Verzeihet«, erwiderte die Haushälterin, »ihr Anblick würde Euch Unlust machen, sie gleicht an Gestalt einer Schleiereule, hat einen Höcker auf dem Rücken, ist mit schmutzigen Kleidern angetan, und ihr Angesicht und Hände sind mit Ruß und Asche bedeckt.« »Tut nach meinem Befehl«, beschloß der Graf, »und zögert keinen Augenblick.« Frau Gertrud gehorchte, berief eilig Mathilden aus der Küche zu sich, warf ihr ein Regentuch über, das sie zu tragen pflegte wenn sie zur Messe ging, und führte sie in diesem Aufputz in das Krankenzimmer ein. Der Ritter begehrte daß sich jedermann entfernen sollte, und als er die Tür hatte heißen zutun, sprach er: »Mägdlein [312] bekenne mir frei, wie bist du zu dem Ringe gelanget den ich funden hab in der Schale, darein du mir das Frühstück zugerichtet hast?« »Edler Ritter«, antwortete das Fräulein züchtig und sittsam, »den Ring hab ich von Euch: Ihr begabtet mich damit am zweiten Abend des Freudenreihens, da Ihr mir Eure Liebe schwuret, sehet nun zu ob meine Gestalt und Herkunft verdienet, daß Ihr Euch so abgehärmt habt als wolltet Ihr ins Grab sinken. Euer Zustand jammerte mich, darum hab ich nicht länger verweilet, Euch aus dem Irrtum zu ziehen.«

Eines solchen Gegengiftes der Liebe hatte sich Graf Konrad nicht versehen, er bestürzte und schwieg einige Augenblicke. Aber die Gestalt der reizenden Tänzerin schwebte ihm bald wieder vor, und er konnte das Gegenbild das er vor Augen sahe nicht damit reimen, natürlich verfiel er auf den Gedanken, daß man seine Leidenschaft erraten habe und ihn durch einen frommen Betrug davon heilen wollte; doch der wahre Ring den er zurückempfangen hatte, ließ vermuten, daß die schöne Unbekannte auf irgend eine Weise mit im Spiel sein müßte; also legte er's drauf an, die seiner Meinung nach subornierte Dirne auszuforschen, und in der Rede zu fangen. »Seid Ihr die holde Jungfrau«, sprach er, »die meinen Augen gefallen hat, und welcher ich meine Treue gelobet habe, so zweifelt nicht daß ich meine Zusage treulich erfüllen werde; aber hütet Euch mich zu betrügen. Könnet Ihr die Gestalt wieder annehmen, die Ihr mir vorloget zwei Nächte hintereinander auf dem Tanzplatz; könnet Ihr Euren Leib schlank und eben machen wie eine junge Tanne; könnt Ihr die schabige Haut abstreifen[313] wie die Schlange, und Eure Farbe wechseln wie das Chamäleon: so soll das Wort welches ich aussprach, als ich diesen Ring von mir gab, Ja und Amen sein. Könnet Ihr aber diesen Bedingungen nicht Gnüge leisten: so will ich Euch als eine lose Dirne stäupen lassen, bis Ihr mir saget, wie Euch dieser Ring ist zuhanden kommen.« Mathilde erseufzete: »Ach! ist es nur der Schimmer der Gestalt edler Ritter, wodurch Euer Auge geblendet wurde, wehe mir, wenn Zeit oder Zufall diese hinfälligen Reize zerstöret; wenn das Alter diesen schlanken Wuchs beugen und meinen Rücken krümmen wird; wenn die Rosen und Liljen abblühen, die feine Haut einschrumpft und runzelt; wenn einst die Truggestalt in welcher ich jetzt vor Euch stehe mir eigentümlich zugehöret; wo wird dann Eure mir geschworne Treue hinschwinden?« Ritter Konrad verwunderte sich ob dieser Rede, die für eine Küchendirne zu klug und überlegt schien. »Wisset«, war seine Antwort, »Schönheit bestrickt der Männer Herz; aber Tugend weiß es in den sanften Banden der Liebe zu erhalten.« »Wohlan«, erwiderte sie, »ich gehe, Euren Bedingungen Gnüge zu leisten; Eurem Herzen sei es überlassen, mein Geschick zu entscheiden.«

Der Kreuzherr schwankte noch immer zwischen guter Hoffnung und Furcht einer Täuschung, er schellte der Wirtschafterin und erteilte ihr den Befehl: »Geleitet dieses Mädgen auf ihre Kammer, daß sie sich reinlich kleide, harret an der Tür, bis sie heraustritt; ich erwarte Euer im Sprachgemach.« Frau Gertrud nahm ihre Gefangene in genaue Aufsicht, ohne eigentlich zu wissen, wohin der Befehl ihres Herrn gemeinet sei. Im Hinaufsteigen frug sie: »Hast du Kleider dich zu schmücken, warum hast du mir's verschwiegen? Gebricht dir's aber daran, so folge mir auf meine Kammer, ich will dir leihen soviel du bedarfst.« Hierauf beschrieb sie ihre altmodige Garderobe, worinne sie vor einem halben Jahrhundert Eroberungen gemacht hatte, Stück bei Stück, mit froher Zurückerinnerung an die vormaligen Zeiten. Mathilde hatte darauf wenig acht, begehrte nur ein Stücklein Seife und eine Hand voll Weizenkleien, nahm ein Waschbecken voll Wasser, ging auf ihre Kammer [314] und tat die Tür hinter sich zu, Frau Gertrud aber bewachte solche von außem mit großer Sorgfalt wie ihr befohlen war. Der Kreuzherr, voller Erwartung welchen Ausgang das Abenteuer seiner Liebe nehmen werde, verließ sein Lager, kleidete sich aufs zierlichste und begab sich in sein Prunkgemach, mußte sich lange gedulden, eh er aus der Ungewißheit gezogen wurde, und wandelte mit geschwinden Schritten unruhig auf und ab. Doch als der welsche Zeiger am Augspurger Rathaus in der Mittagsstunde auf achtzehn Uhr wies, flogen urplötzlich die Flügeltüren auf, es rauschte durchs Vorgemach der Schweif eines seidenen Gewandes, Fräulein Mathilde trat herein mit Anstand und Würde, geschmückt wie eine Braut, und schön wie die Göttin der Liebe, wenn sie aus dem Götterdiwan des Olympus auf Paphos zurückkehrt. Mit dem Entzücken eines wonnetrunkenen Liebhabers rief Ritter Konrad: »Göttin oder Sterbliche, wer Ihr auch sein möget, sehet mich hier zu Euren Füßen, die Gelübden die ich Euch getan habe durch die heiligsten Eidschwüre zu erneuren, so Ihr anders würdiget Hand und Herz von mir anzunehmen.« Das Fräulein hob der Ritter bescheiden auf: »Gemach edler Ritter«, sprach sie, »übereilet Euch nicht mit Euren Gelübden, Ihr sehet mich hier in meiner wahren Gestalt, übrigens bin ich Euch unbekannt; ein glatt Gesicht hat manchen Mann betrogen. Noch ist der Ring in Eurer Hand.« – Flugs zog ihn Graf Konrad vom Finger, nun spielt' er an ihrer Hand und das Fräulein ergab sich dem holden Ritter. »Ihr seid von nun an mein Auserwählter«, sprach sie, »dem ich mich länger nicht verhehlen kann. Ich bin Wackermann Uhlfingers des ehrenfesten Ritters Tochter, dessen unglückliches Geschick Euch sonder Zweifel nicht verborgen ist, bin kümmerlich dem Einsturz des väterlichen Hauses entronnen und hab in Eurer Wohnung, wiewohl in armseliger Gestalt, Schutz und Sicherheit gefunden.« Hierauf erzählte sie ihm ihre Geschichte, und verschwieg ihm auch die Heimlichkeit mit dem Bisamapfel nicht. Graf Konrad, dachte nicht mehr daran daß er zum Sterben krank gewesen war, lud auf dem folgenden Tag alle die Gäste wieder, die zuvor sein Trübsinn [315] so früh auseinandergescheuchet hatte, hielt öffentliche Verlobung mit seiner Braut, und als der Truchseß aufgetragen hatte und nun herumzählte, fand er daß kein Gedeck zuviel war. Drauf trat der Ritter aus dem Orden, verließ den Comterhof und vollzog sein Beilager mit großer Pracht. Bei dieser merkwürdigen Hausveränderung bewies sich die geschäftige Martha Frau Gertrud ganz untätig: als sie Fräulein Mathildens Kammertür bewachte, und bei Eröffnung derselben eine stattlich gekleidete Dame zum Vorschein kam, war ihr Erstaunen so groß, daß sie rücklings vom Sessel fiel, einen Schenkel ausrenkte, und lendenlahm blieb ihr Leben lang.

Die Neuvermählten erlebten zu Augspurg das Spieljahr ihrer Ehe in Wonne und unschuldsvoller Freude, wie das erste Menschenpaar im Garten Eden. Von den Gefühlen der wohltätigen Leidenschaft durchdrungen, vertraute die junge Frau an den Busen ihres Eheherrn gelehnt, oft die Empfindungen ihrer Glückseligkeit seinem Herzen an, das sie als ein unbegrenztes Eigentum besaß. »Mein herzgeliebter Herr«, sprach sie einsmals, mit dem Ausdruck des innigsten Gefühls, »in Eurem Besitz ist mir nun kein Wunsch mehr übrig, ich erlasse meinem Bisamapfel die Erfüllung des dritten Wunsches mit Freuden. Habt Ihr aber irgend einen verborgenen Wunsch in Eurem Herzen, so tut mir's kund: ich [316] will ihn zu dem meinigen machen und zur Stunde soll er Euch gewährt sein.« Graf Konrad schloß sein trautes Weib herzig in die Arme und beteuerte ihr hoch, daß außer der Fortdauer seiner Ehe für ihm nichts wünschenswert auf Erden sei. Also verlor der Bisamapfel in den Augen seiner Besitzerin allen Wert, und sie behielt ihn nur zum dankbaren Andenken der Pate Nixe.

Graf Konrad hatte noch eine Mutter am Leben die auf ihrem Wittum zu Schwabeck wohnte, welcher die fromme Schnur aus Kindesliebe die Hand zu küssen groß Verlangen trug, um den wackern Sohn, den sie geboren hatte, ihr zu verdanken; doch der Graf lehnte immer die Wallfahrt zur Mutter unter scheinbarem Vorwand ab, und brachte dagegen eine Lustreise auf ein ihm unlängst heimgefallenes Lehn in Vorschlag, unfern von Wackermanns zerstörter Burg gelegen. Mathilde willigte gern darein, um die Gegend wieder zu besuchen, wo sie ihre erste Jugend verlebt hatte. Sie besuchte die Trümmern der väterlichen Wohnung, beweinte die Asche ihrer Eltern, ging zum Nixenbrunnen und hoffte daß ihre Gegenwart die Nymphe einladen würde, sich ihr zu versichtbaren. Mancher Stein fiel in den Brunnen, ohne die gehoffte Wirkung, selbst der Bisamapfel schwamm als eine leichte Wasserblase obenauf, und sie mußte sich die Mühe nehmen, ihn selbst wieder herauszufischen. Die Nymphe kam nicht mehr zum Vorschein, ob ihr gleich wieder eine Gevatterschaft bevorstund, denn Frau Mathilde war nahe dabei, ihren Herrn mit einem Ehesegen zu erfreuen. Sie gebar einen Sohn, schön wie ein Götterknabe, und die Freude der Eltern war so groß, daß sie ihn schier aus heißer Liebe erdrückten, die Mutter ließ ihn nicht aus ihren Armen und spähete jeden Atemzug des kleinen unschuldigen Engels, obgleich der Graf eine weise Amme gedungen hatte, die des Kindleins pflegen sollte. Aber in der dritten Nacht, da alles im Schloß vom Taumel eines Freudenfestes in tiefem Schlaf begraben lag, wandelte der Mutter auch ein sanfter Schlummer an und als sie erwachte, weg war das Kind aus ihren Armen! Bestürzt rief die erschrockene Gräfin: »Amme wo habt Ihr mein Kindlein hin gelegt?« Die [317] Amme antwortete: »Edle Frau das zarte Herrlein ist in Euren Armen.« Bett und Zimmer wurden ängstlich durchsucht, aber nichts gefunden außer einige Blutströpflein auf dem Fußboden des Gemachs. Wie das die Amme inne ward, erhob sie groß Geschrei: »Ach daß es Gott und alle Heiligen erbarme! Der Werwolf ist dagewesen und hat das Kindlein davongetragen.« Die Kindbetterin grämte sich über den Verlust des holden Knaben bleich und mager, und der Vater war untröstbar. Obgleich der Werwolfsglaube in seinem Herzen kein Senfkorn aufwog, so ließ er sich doch von dem Weibergeschwätz, da er sich die Sache auf keine Weise zu erklären wußte übertäuben, tröstete seine trostlose Gemahlin, die aus Gefälligkeit für ihn, der alle Traurigkeit haßte, sich zwang eine heitere Miene anzunehmen.

Die Schmerzenstilgerin, die wohltätige Zeit heilte endlich die mütterliche Herzwunde, und die Liebe ersetzte den Verlust durch einen zweiten Sohn. Grenzenlos war die Freude über den schönen Stammerben im gräflichen Palast, der Graf bankettierte frohen Muts mit seinen Nachbarn eine Tagreise ringsumher, der Freudenbecher ging ohn Unterlaß aus Hand in Hand, von Wirt und Gästen bis zum Türhüter herum, auf die Gesundheit des Neugebornen. Die besorgte Mutter ließ das Kindlein nicht von sich, erwehrte sich des süßen Schlafes solang es ihre Kräfte erlaubten; da sie aber endlich den Forderungen der Natur nachgeben mußte, nahm sie die goldne Kette vom Hals, umschlang damit des Knäbleins Leib und befestigte das andere Ende davon an ihrem Arm, gesegnete sich und das Kind mit dem heiligen Kreuz, auf daß der Werwolf keine Macht noch Gewalt daran finden möchte, und bald darauf überfiel sie ein unwiderstehlicher Schlaf. Als sie der erste Morgenstrahl erweckte, o Jammer! da war der süße Knabe aus ihren Armen verschwunden. Im ersten Schrecken rief sie wie vormals: »Amme wo habt Ihr mein Kindlein hingelegt?« und die Amme antwortete wiederum: »Edle Frau das zarte Herrlein ist in Euren Armen.« Alsbald sähe sie nach dem goldnen Kettlein, das sie um den Arm geschlungen hatte, befand daß ein Gelenke mit einer scharfen stählernen Schere mitten entzwei geschnitten war, [318] und starb in Ohnmacht vor Entsetzen hin. Die Amme machte Lärm im Hause, das Gesinde eilte voller Bestürzung herbei, und da Graf Konrad hörte was sich zugetragen hatte, entbrannte sein Herz von Wut und Eifer, er zückte sein ritterliches Schwert, Sinnes der Amme das Haupt zu spalten.

»Verruchtes Weib!« donnerte er mit furchtbarer Stimme, »gab ich dir nicht geheimen Befehl, wach zu bleiben die ganze Nacht, und kein Auge von dem Knaben zu verwenden, damit wenn das Ungetüm käm, ihn der schlafenden Mutter wegzurauben, du durch dein Geschrei das Haus rege machtest, damit wir den Werwolf vertrieben? Schlaf nun du Schläferin, den langen Todesschlaf!« Das Weib fiel auf die Kniee vor ihm nieder. »Gestrenger Herr«, sprach sie, »bei Gottes Barmherzigkeit beschwör ich Euch, erwürget mich augenblicks, damit ich die Schandtat mit ins Grab nehme, die meine Augen gesehen haben, und die mir weder Geheiß noch Lohn abdringen soll, wofern sie nicht die Folter herauspreßt.« Der Graf staunte, »welche Schandtat«, frug er, »hast du mit Augen gesehen, die so schwarz ist, daß deine Zunge sich weigert sie auszureden? Lieber bekenne mir ohne Folter, was dir kund worden ist, als eine treue Magd.« »Herr«, erseufzete die Dirne, »was treibt Euch Euer Unglück zu erfahren? Besser ist's daß das schreckliche Geheimnis zugleich mit meinem Leichnam verscharret werde, in das kühle Grab.« Durch diese Rede wurde Graf [319] Konrad nur noch begieriger das Geheimnis zu erfahren, er nahm das Weib beiseits, in sein heimliches Zimmer, und durch Drohungen und Verheißungen bewogen, eröffnete sie ihm, was er zu wissen gern wär überhoben gewesen. »Eure Gemahlin«, sprach sie, »sollt Ihr wissen Herr, ist eine schändliche Zauberin; aber sie liebt Euch unermeßlich, und ihre Liebe geht so weit, daß sie auch ihrer eignen Leibesfrucht nicht verschonet, um daraus ein Mittel zu bereiten, Eure Gunst und ihre Schönheit unwandelbar zu erhalten. In der Nacht als alles in großer Sicherheit schlief, stellte sie sich, als sei sie eingeschlummert, ich tat das nämliche, weiß nicht warum. Bald darauf rief sie mich bei Namen; aber ich achtete nicht darauf und fing an zu röcheln und zu schnarchen. Da sie nun vermeinte, ich sei fest eingeschlafen, saß sie rasch im Bett auf, nahm das Kindlein, drückt' es an den Busen, küßt' es inniglich und lispelte dazu diese Worte, die ich deutlich vernahm: ›Sohn der Liebe, werd ein Mittel, mir deines Vaters Liebe zu erhalten, gehe jetzt zu deinem Brüderlein, du kleine Unschuld, daß ich aus neunerlei Kräutern und deinen Knöchlein, einen kräftigen Trank bereite, der meine Schönheit, und deines Vaters Gunst mir bewahre.‹ Als sie das gesagt hatte, zog sie eine Demantnadel, scharf wie ein Dolch, aus den Haaren, stieß solche dem Kindlein flugs durchs Herz, ließ es ein wenig ausbluten, und da es nicht mehr zappelte, legte sie's vor sich, nahm den Bisamapfel, murmelte dazu einige Worte, und da sie den Deckel abhob, loderte daraus empor eine lichte Feuerflamme, wie aus einer Pechtonne, welche den Leichnam in wenig Augenblicken verzehrte, die Asche und Knöchlein sammlete sie sorgfältig in eine Schachtel und schob sie unter die Bettlade. Drauf rief sie mit ängstlicher Stimme, als führ sie plötzlich aus dem Schlaf auf: ›Amme! wo habt Ihr mein Kindlein hingelegt?‹ Und ich antwortete mit Furcht und Grausen, ihre Zauberei fürchtend: ›Edle Frau, das zarte Herrlein ist in Euren Armen.‹ Darüber fing sie an sich ganz trostlos zu gebärden, und ich lief aus dem Zimmer unter den Schein Hülfe zu rufen. Sehet gestrenger Herr, das ist der Verlauf der schändlichen Tat, die Euch zu offenbaren Ihr mich gedrungen [320] habt, bin erbötig die Wahrheit meiner Aussage durch einen glühenden Stab Eisen zu erhärten, den ich mit bloßen Händen tragen will, dreimal den Schloßhof auf und nieder.«

Ritter Konrad stund wie versteint, konnte lange Zeit kein Wort vorbringen. Nachdem er sich wieder gesammlet hatte, sprach er: »Was bedarf's der Feuerprobe, Euren Worten ist der Stempel der Wahrheit aufgedrückt, ich fühl's und glaub's, daß alles so ist, wie Ihr saget. Behaltet das gräßliche Geheimnis in Euren Herzen fest verschlossen, und vertrauet es keinem Menschen, auch nicht dem Pfaffen wenn Ihr beichtet, ich will Euch einen Ablaßbrief vom Bischof von Augspurg lösen, daß Euch diese Sünde nicht soll zugerechnet werden, weder in dieser noch in jener Welt. Jetzt will ich mit verstelltem Angesicht zu der Natter hineintreten, da habt wohl acht, daß Ihr, wenn ich sie umarme und ihr Trost einspreche, die Schachtel mit den Totengebeinen unter der Bettlade hervorziehet und unbemerkt mir solche überantwortet.«

Mit leicht umwölkter Stirn, und dem Blick eines gerührten aber noch standhaften Mannes, trat er in das Gemach seiner Gemahlin, die ihren Herren mit schuldlosem Auge, wiewohl mit hochbetrübter Seele schweigend empfing. Ihr Angesicht glich eines Engels Angesichte, und dieser Anblick löschte Wut und Grimm, davon sein Herz entbrannt war, plötzlich aus. Den Geist der Rache milderte Mitleid und Bedauernis, er drückte die unglückliche Frau herzig an den Busen, und sie überströmte sein Gewand mit wehmutsvollen Tränen. Er tröstete sie, kosete freundlich mit ihr, und sputete sich den Schauplatz des Grausens und Entsetzens bald wieder zu verlassen. Die Amme hatte indes ausgerichtet was ihr befohlen war, und überlieferte dem Grafen insgeheim das schauderhafte Knochenbehältnis. Es kostete einen schweren Kampf in seinem Herzen, ehe er einen Entschluß faßte, was er mit der vermeinten Zauberin tun sollte. Endlich wurde er Rats, ohne Spuk und Aufsehen sich ihrer zu entledigen. Er saß auf und ritt gen Augspurg, vorher aber tat er dem Hausmeister Befehl: »Wenn die Gräfin nach [321] neun Tagen hervorgehet aus ihrem Gemach, um nach Gewohnheit zu baden, so lasset die Badstube wohl hitzen, und verriegelt auswendig die Tür, daß sie im Bade verschmachte vor großer Hitze und nicht bei Leben bleibe.« Der Hausmeister vernahm diesen Befehl mit großer Betrübnis und Wehmut, denn alles Hausgesinde liebte die Gräfin Mathilde als eine sanfte und gutmütige Gebieterin; doch wagt' er nicht gegen den Ritter den Mund aufzutun, weil er dessen großen Ernst und Eifer wahrnahm. Am neunten Tage befahl Mathilde das Bad zu heizen; sie gedachte ihr Gemahl werde nicht lange in Augspurg verweilen, und sie wollte daß bei seiner Rückkehr alle Spuren des traurigen Wochenbettes sollten vertilgt sein. Als sie in das Badgemach hineintrat, zitterte die Luft sichtbar um sie her vor großer Hitze, sie wollte zurücktreten; aber ein starker Arm stieß sie mit Gewalt in die Badstube hinab, und sogleich wurde auch die Tür von außen verriegelt und verschlossen. Sie rief vergebens um Hülfe: niemand hörte, das Feuer wurde nur heftiger angeschüret, daß der Ofen hochrot glühete wie ein Töpferofen.

Aus diesen Umständen erriet die Gräfin leicht was hier vorgehe, sie ergab sich darein zu sterben, nur der schändliche Verdacht den sie ahndete, marterte ihre Seele mehr als der schmähliche Tod. Sie nützte die letzten Augenblicke der Besinnung, zog eine silberne Nadel aus den Haaren, und schrieb damit an die weiße Wand des Gemachs diese Worte: »Gehab dich wohl Konrad, ich sterbe auf deinen Befehl willig, aber schuldlos.« Drauf warf sie sich auf ein Ruhebettlein nieder, ihren Todeskampf zu beginnen. Aber unwillkürlich strebt die Natur zu der Zeit wenn das böse Stündlein kommt ihrer Zerstörung vorzubeugen. In dem Angstgefühl der erstickenden Hitze warf sich die unglückliche Sterbende hin und her, da entfiel ihr der Bisamapfel, den sie stets bei sich trug, zur Erde. Augenblicklich ergriff sie ihn und rief: »O Pate Nixe, steht es in deiner Macht, so befreie mich von einem schandbaren Tode und rette meine Unschuld!« Sie schrob hastig den Deckel auf, da stieg aus dem Bisamapfel hervor ein dichter Nebel, der sich über das[322] ganze Gemach ausbreitete und der Gräfin angenehme Kühlung gewährte, daß sie keine Angst und Hitze mehr empfand; entweder hatten die wässerichen Dünste aus der Felsengrotte die Glut verschlungen, oder Frau Pate hatte vermöge der Antipathie der Najaden gegen das Element des Feuers, ihren natürlichen Feind besieget. Die Dunstwolke sammlete sich in eine Gestalt, und Mathilde, die jetzt nicht mehr zu sterben gedachte, erblickte mit unaussprechlicher Wonne, die liebevolle Nymphe vor sich, in ihrem Arm den zarten Säugling mit einem Westerhemdlein angetan, und an der Hand das ältere Herrlein, im weißen Flügelkleide mit rosenfarbenen Bandschleifen.

»Willkommen geliebte Mathilde!« redete die Nymphe sie an. »Wohl dir, daß du den dritten Wunsch, den dir der Bisamapfel gewähren sollte, nicht so leichtsinnig wie die beiden ersten verschwendet hast! Hier sind die zwei lebendigen Zeugen deiner Unschuld, welche dich über die schwarze Verleumdung, unter welcher du schier erlagest, werden triumphieren lassen. Der Unstern deines Lebens hat sich zum Untergange geneigt, hinfort wird dir der Bisamapfel keinen Wunsch mehr gewähren, denn von nun an bleibt dir nichts mehr zu wünschen übrig. Aber das Rätsel deines traurigen Geschicks will ich dir lösen. Wisse, daß die Mutter deines Gemahls die Stifterin alles Unglücks sei. Dieser stolzen Frau war die Vermählung ihres Sohns ein [323] Dolchstich ins Herz: sie wußte nicht anders, Graf Konrad habe den Adel seines Hauses, durch Aufnahme einer Küchendirne ins Ehebette geschändet; sie stieß Fluch und Verwünschung gegen ihn aus, und erkannte ihn nicht mehr für den Sohn ihres Leibes. All ihr Sinnen und Dichten war darauf gestellt dich zu verderben, wiewohl die Wachsamkeit deines Gemahls diesem boshaften Vornehmen immer gesteuret hat. Dennoch ist es ihr gelungen auch diese durch eine gleisnerische Amme, zu hintergehen. Durch große Verheißung hat sie dies Weib dahin vermocht deinen erstgebornen Sohn im Schlafe dir aus den Armen zu reißen, und ihn wie ein Hündlein ins Wasser zu werfen. Glücklicherwiese wählte sie den Brunnen meiner Felsenquelle zu dieser Schandtat, ich empfing den Knaben mit liebvollen Armen und pflegete sein als eine Mutter. Ebenso vertraut sie mir auch den zweiten Sohn meiner geliebten Mathilde. Diese trugvolle Amme wurde deine Anklägerin: sie überredete den Grafen, du seist eine Zauberin, eine salamandrische Flamme aus dem Bisamapfel, dessen Geheimnis du sorgsamer hättest bewahren sollen, habe die Knaben verzehret, um aus ihrer Asche einen Liebestrank zu bereiten. Sie schob deinem Gemahl ein Gefäß mit Tauben- und Hühnerknochen gefüllt in die Hand, die er für die Überbleibsel seiner Kinder erkannte, und Befehl gab dich in seiner Abwesenheit im Bade zu ersticken. Voll Reue und Verlangen diesen grausamen Befehl wo möglich noch zurücke zu nehmen, eilt er jetzt von Augspurg her, ob er dich gleich noch für schuldig hält. In wenig Stunden wirst du gerechtfertiget an seinem Busen liegen.« Nachdem die Nymphe ausgeredet hatte, bog sie sich über das Angesicht der Gräfin, küßte sie auf die Stirn, und ohne eine Antwort zu erwarten, hüllte sie sich in ihren dichten Dunstschleier und verschwand.

Die Diener des Grafen waren indessen geschäftig das erloschene Feuer wieder anzufachen, es dünkte ihnen immer als hörten sie inwendig Menschenstimmen, woraus sie urteilten daß die Gräfin noch am Leben sei. Aber all ihre Müh und Gebläse war vergebens, das Holz fing so wenig Feuer, als wenn der Ofen mit Schneeballen wär geheizt worden. [324] Bald darauf kam Graf Konrad angeritten und frug ängstlich wie es um seine Gemahlin stehe. Die Diener erstatteten Bericht, wie sie das Bad wohl gehitzt hätten, daß aber das Feuer plötzlich erloschen sei, und aller Vermutung nach die Gräfin noch lebe. Das erfreute sein Herz gar höchlich, er trat an die Tür und rief durchs Schlüsselloch: »Lebst du Mathilde?« Und die Gräfin vernahm die Stimme ihres Gemahls und antwortete: »Geliebter Herr, ich lebe, und meine Kindlein leben!« Entzückt von dieser Rede, ließ der ungeduldige Graf, da die Schlüssel nicht gleich bei Handen waren, die Tür einschlagen, stürzte ins Badegemach zu den Füßen seiner frommen Gemahlin benetzte ihre unbefleckten Hände mit tausend reuigen Tränen, brachte sie und die holden Liebespfänder unter Jubel und Frohlocken des ganzen Hauses aus der fürchterlichen Sterbekammer in ihr Gemach zurück, und vernahm aus ihrem Munde den ganzen Verlauf der schändlichen Verleumdung und des Kinderraubes. Alsbald gab er Befehl die bübische Amnme zu greifen und in die Badstube zu sperren, da fing das Feuer im Ofen an lustig zu brennen, die Flammen wirbelten hoch empor, und das teuflische Weib schwitzte ohne Verzug ihre schwarze Seele aus.

[325][329]

Fußnoten

1 Bisamapfel und Ambranuß scheint in der Bedeutung übereinzukommen, und beides ein Balsam oder Riechbüchsgen anzuzeigen. Das erste Wort kommt in der Bibel vor Jes. 3. v. 20.

2 Dieser altdeutsche Gebrauch das Absterben eines Hausgenossen anzudeuten, erhält sich noch an einigen Orten im Herzogtum Cleve, wo auch alle Leidtragenden in der ganzen Stadt ihre Fensterläden zu schließen verbunden sind, und wenn sie eben solche Zimmer bewohnen, folglich am hellen Mittag Licht brennen müssen.

3 Ein Gestifte von Jacob Fugger in Augspurg, aus 106 Häusern bestehend, die zur Aufnahme und Pflege der Armen eingerichtet sind oder es doch ehemals waren.

4 Maschen.

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Holder of rights
TextGrid

Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Musäus, Johann Karl August. Märchen. Volksmärchen der Deutschen. Die Nymphe des Brunnens. Die Nymphe des Brunnens. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-5D98-E