Der Jemini,

oder

die beiden Zwillingsbrüder

Ich, der ich ehedem verliebten Scherz besang,
Und dessen Mund von nichts als Wein und Liebe klang;
[114]
Ich lerne nach und nach so ziemlich rauhe Lieder,
Denn Jugendscherz verfliegt und kehret nimmer wieder.
Für rythmische Musik da mangelt mir Gefühl,
Mir schwindet ringelos der Musen sanftes Spiel.
Mein Pegasus ist blind und gänzlich steif geritten,
Denn Alter, Umständ', Zeit verändern unsre Sitten;
Doch fährt er auch nicht mehr vom Zeitenzahn zernagt,
So schnalzt der Fuhrmann doch, wie uns das Sprichwort sagt.
Und so ergreif' ich auch die längst verstimmte Leyer,
Ein wenig noch erwärmt vom alten Dichterfeuer,
Um zu erzählen euch aus einer Chronika
Im Knittelstyle folgende Historia.
Es war einmal, doch wo – in Innsbruck meinetwegen,
(Die Chronik schweigt davon, was ist auch dran gelegen;)
Drum kurz, es war einmal ein treues Ehepaar,
An Tugend und Verstand sich ähnlich auf ein Haar;
Es liebte sich so zart, daß, wer es immer kannte,
Ein Muster wahrer Treu' für alle Ehen nannte.
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So herzte Venus nicht den Mars am Hochzeittag,
Als brünstig dieses Paar sich stets in Armen lag,
Neun Monat waren kaum in dieser Eh' verschwunden,
So ward die liebe Frau von Zwillingen entbunden.
Zwar hätt' der Mann hier nach der Chronik scandalös
Zu kritisiren Stoff, die Welt bleibt immer bös.
Doch seit die Aerzt' zum Ziel gar sieb'n Monat aussprachen,
Was will der arme Mann in solchen Fällen machen?
Zufällig war er auch drei Meilen weit entfernt,
Und hatt' auf seinem Gut den Hopfen eingeernt't.
Man säumte aber nicht, und ließ vor allen Dingen
Die frohe Nachricht ihm durch einen Boten bringen;
Die Wochenbetterin bat ihn noch nebenbei
Auch zu bestimmen, wie das Paar zu nennen sei.
Kaum hört der Mann, die Frau hätt' Zwillinge geboren,
So ruft er; Jemini! und krazt sich hinter'n Ohren.
Der Bot' lauft eilig fort und überbracht genau;
Daß Jemini das Paar zu nennen sei, der Frau,
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»Ei, das ist ja der Nam' von einem, willst du laufen
Und fragen, wie ich soll den andern Knaben taufen?«
Der Mann, im Wahn, es wär' ein dritter Sohn gebor'n,
Rief aus: Leck mich in Arsch! – vor lauter Gall und Zorn.
Der Bot' zurück zur Frau rennt, was er konnte rennen
Und spricht: Leck mich in Arsch soll sich der and're nennen.
Zu folgen ihrem Mann in allem auf ein Haar
Gab diese Namen auch die Frau dem Knabenpaar,
In eine Wiege nun mußt man zusamm' sie binden,
Den Jemini von vorn, Leckmichinarsch von hinten,
Die Jungens waren jetzt der Mutter größte Freud',
Die reicht die Brüste dar mit warmer Zärtlichkeit.
Ganz sanft labt Jemini sich an den Nektarsäften,
Leckmichinarsch aus allen Kräften.
Der Mutter Freude war in Etwas nur vergällt,
Ein jeder Knabe bracht' ein Muttermal zur Welt:
Es hatte Jemini das seine auf dem Nacken
Leckmichinarsch auf beiden Backen.
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Das Bett macht Jemini nur selten etwas naß,
Leckmichinarsch ohn' Unterlaß.
Die Knaben langten an zu gleicher Stund' hienieden,
Doch waren durchaus fast die Neigungen verschieden;
So atz der Jemini statt Fleisch gebacknen Reis,
Leckmichinarsch statt Fastenspeis'!
Kaum waren beide nur in etwas angewachsen,
So fingen sie schon an zu ringen und zu baxen
Es thats der Jemini zu üben seinen Leib,
Leckmichinarsch zum Zeitvertreib.
Quer nahm der Jemini sein Steckenpferd beim Ritte
Leckmichinarsch in aller Mitte.
Sie standen Morgens auf und wuschen auf der Stelle
Sich beide das Gesicht aus einer frischen Quelle,
Der Jemini thats aus Gewohnheit, ohn' Beschwerde,
Leckmichinarsch, damit er sauber werde.
Es trank der Jemini, das Frühstück selten mit,
Leckmichinarsch nach Appetit.
Der Jemini war nur manchmal froh und gesellig,
Leckmichinarsch so oft 's gefällig.
Es freute Jemini sich nie an Freundes Brust,
Leckmichinarsch nach Herzenslust.
[118]
Es aß der Jemini nur Nüss' statt süße Mand'l,
Leckmichinarsch statt Zuckerlandl;
Ein Spiel hat Jemini nur selten mitgemacht,
Leckmichinarsch bei Tag und Nacht.
Zwei Pferdchen kaufte bald der Vater seinen Knaben
Und that mit ihnen selbst spazieren öfters traben;
Gemach ritt Jemini auf ebner Bahn einher,
Leckmichinarsch die Kreuz und Quer.
Der Jemini nahm Fett als Schutz für Winterbeulen,
Leckmichinarsch den Wolf zu heilen.
Sein Pfeifchen Knaster raucht nur Nachts der Jemini,
Leckmichinarsch in aller Früh.
Der Jemini trank Milch, die Lunge abzukühlen,
Leckmichinarsch den Durst zu stillen.
Konfekt bracht' Jemini nur selten in den Mund,
Leckmichinarsch zu jeder Stund.
Kein Ei aß Jemini, ihm bangte vor dem Fieber,
Leckmichinarsch je mehr je lieber.
Es sprach der Jemini mit Freunden nie ein Wort,
Leckmichinarsch in einem fort.
Nach Klagenfurt sind sie auf brünstiges Verlangen
Der gnädigen Mama ad Studia gegangen.
[119]
Ward ja von dort nach Haus ein Briefchen expedirt,
So hatten sie's zusamm' auf selbes Blatt geschmiert,
Es that's der Jemini, weil Posten theuer waren,
Leckmichinarsch s' Papier zu sparen.
Kaum war die Zeit vorbei, den Künsten so geweiht,
So hatten sie alsbald um eine Frau gefreit!
Ungern that Jemini mit seinem Weibchen scherzen,
Leckmichinarsch von ganzem Herzen.
Nie führte Jemini die seine auf den Ball,
Leck mich in Arsch viel tausendmal.
Den Knaben kam einst ein Zigeunerweib entgegen,
Sie ließen sich von ihr den Händestrich auslegen,
»Du Jemini,« sprach sie, »wirst glücklich sein zur Zeit,
Leckmichinarsch in Ewigkeit.«
Die Ursach war nicht schwer und leicht bei einem matten
Und kurzen Stümpchen Licht verlässig zu errathen:
Der Jemini hatt' sich nur Schmeichler beigesellt,
Leckmichinarsch die ganze Welt.
So lebten sie denn fort, genossen Freud' und Leiden,
Bis nahte jene Stund', wo Seel' und Leib sich scheiden.
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Der Jemini starb hart und macht des Lärmens viel,
Leckmichinarsch in aller Still.
Weil sie zu gleicher Zeit die Welt verlassen haben,
So wurden sie zusamm' in eine Gruft begraben,
Sie zu verewigen durch einen Leichenstein,
Grub diese Grabschrift man in weißen Marmor ein:
»Steh' Wandersmann! steh' still und blicke unverdrossen
Ein treues Brüderpaar von einem Sarg umschlossen,
Gleichzeitig nahmen sie in jene Welt den Marsch.
Der erste hieß Jemini, der zweite Leckmichinarsch.
Zwar solltest du zum Tod sie beide nochmals lecken,
Doch weil das Fleisch schon faul, möcht' beides dir nicht schmecken;
Drum lecke mich dafür und denke dir dabei,
Daß es der Rosenmund der Herzgeliebten sei.«

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TextGrid Repository (2012). Müller, Karl Theodor. Gedichte, Aufätze und Lieder. Gedichte, Aufätze und Lieder im Geiste Marc. Sturms. Der Jemini, oder die beiden Zwillingsbrüder. Der Jemini, oder die beiden Zwillingsbrüder. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-552C-8