Der goldene Schlüssel
Dir, –
dem goldenen Schlüssel
zum sonnigen Lande der Freiheit,
dir sing ich.
Irgendwo, irgendwo in der Welt,
– in Orangenwäldern vielleicht,
wo der Glutwind die Zweige bricht
und sie reifer, saftstrotzender Früchte voll
dem Wanderer in den Schoß wirft, –
oder an Norwegs Felsenkap,
das die kühle Stirn
hoch in schimmernde Wolken hebt
und niederschauend sich spiegelt
in den träumerisch blauen Augen des Fjords –
irgendwo in der Welt
weilt die Fee,
die dich mir versprochen
ihr Wort mir zu lösen.
und nun der Zeit nicht gedenkt,
in heiliger Stunde
[96]
Jahre verrauschen,
auf meinen Scheitel fällt Schnee.
In den Tiefen der Seele
aber wirkt und schafft
befruchtete Frühlingskraft
und keimt und gebiert an das Licht
der Gewißheit leuchtende Blume:
ein Tag wird kommen
und eine Stunde blühen
aus dem Dämmerdunkel des Alltagsdaseins,
so wonnig und wärmend
von Gebeten begrüßt,
wie die Siegerin Sonne
der eisigen Oede
den Schauern der arktischen Nacht enttaucht.
Und leise, leise,
lockend wie Harfenlaut
klingt es und klirrt es
vor der Tür meiner Hütte
und pocht und pocht.
Ich erkenne den Laut
und erhebe mein Haupt
und lächle und lausche . . . . .
Da knarren und knirschen
die rostigen Riegel:
die Tür springt auf.
Ueber die Schwelle strömt
eine flimmernde Flut von Sonnensilber –
und mitten drin in dem Sonnenlichtmeer
die Fee,
[97]die dich mir versprochen,
den goldenen Schlüssel zum Lande der Freiheit,
und die nun gekommen ist,
ihr Wort zu lösen.
Liebevoll lächelnd
schreitet die Lichtmar
durch das Dunkel der Hütte.
Um sie her
wallen und weben
gleißend und glimmernd
die goldenen Fäden
und legen ein Lichtband
über die lastende Staubschicht am Boden,
über die drückenden Ketten am Arm mir,
über den klappernden Webstuhl,
an den ich geschmiedet war
Jahre, o Jahre lang,
wie Prometheus dereinst an die Felsen des Kaukasus.
In leuchtenden Händen
trägt sie den Schlüssel, –
und wie sie leise den Arm mir berührt,
springt die Kette mit klirrendem Klang, –
springt – fällt –
und ich hebe die Hände
jubelnd und jauchzend
und fasse die strahlenden Finger der Fee
und schreite mit ihr
aus dem Dunste der Dienstbarkeit,
aus der Hütte farbloser Finsternis
in die Helle,
in die sonnigen Lande der Freiheit hinaus.
[98]
Durch Rosenbüsche und Lilienfelder
wandle ich träumend und duftbefangen;
Wundblätter vom Wege
legen sich lindernd
mir auf die blutig geriebenen Arme;
Scharlachdolden neigen sich nieder
aus exotischem Blättergewirr,
küssen die Stirn mir mit feurigen Lippen –
Palmenfächer und Riesenfarren
wölben sich über meinem Haupte,
gegen die sengenden Gluten der Sonne
Schatten spendend ein duftiges Dach.
Aber weiter –
aus Palmenhainen und Lilienfeldern
zieht mich die Sehnsucht zu sonnigen Höhen.
Wo Dornenhecken den Fuß mir hemmen,
berühr ich sie lächelnd mit goldenem Schlüssel
und schreite mitten durch Rosenhage;
mitten durch marmorne Märchenschlösser
öffnet der Schlüssel mir leuchtende Wege, –
über Steine und Felsgeröll
geh ich so sanft wie auf sammetnem Teppich,
weiter und weiter,
höher und höher,
bis mir zu Füßen
in bläulichem Duft
die blühende Ferne verschwimmt, versinkt, –
bis mir zu Häupten
der Sphären Gesang,
die goldene Harfe des Weltalls klingt . . . ..
[99]
Und wieder nieder
aus den heiteren Höhen
himmlischer Herrlichkeit
in die Täler des Schmerzes
schreite ich schweigend.
Aus seligen Gefilden
in sumpfige Niederung
– Geschöpf zu Geschöpfen –
treibt mich das Herz.
Wo ein Vöglein gefangen
hinter Gitterstäben
sehnsüchtige Lieder girrt, –
wo, zitternd vor Fieberdurst,
kettengeschlossen
ein hungernder Hund die Nächte durchheult, –
wo ein Dulder gefesselt
ans Marterpfühl,
aus des Krankenzimmers giftigem Broden
nach dem heilenden Hauch der Höhen seufzt, –
wo Menschenblüten verwelken
im Dunste der Dienstbarkeit
und unter des Alltags
gleichmäßig dröhnendem Hammerschlag
eine Kraft zermürbt, – –
wo immer ein Mensch
eine Kette schleppt,
sei es Sehnsucht und Sorge,
sei es Schmerz oder Schmach – –
Da geh ich und wandle
und schließe und schließe
mit goldenem Schlüssel
[100]Ketten und Schlösser auf
und führe freudig
die Qualbefreiten
in die sonnendurchglühten Gefilde der Freiheit
und an der Schönheit kühlenden Quell.
Doch wo gebrochen
eine Seele trauert
an dunklen, verschütteten Grüften,
die kein Schlüssel mehr sprengt,
und hinaus sich sehnt,
– über Höhen hinaus,
die ein Fuß noch beschreitet, –
da lege ich leise und heimlich,
daß der Klang sie nicht schrecke,
den goldenen Schlüssel beiseite
und neige mich nieder
zu der armen trauernden Seele,
ein Lied ihr zu singen,
das ich erlauschte,
als ich einsam stand
auf den himmlischen Höhen,
als mir zu Füßen
die Welt in leuchtendem Duft zerfloß
und über mir
ein lichter Engel
die Harfe spielte,
die mit Sonnenstrahlen besaitet war,
und das Lied dazu sang
unsterblicher Liebe,
die göttlicher als die Freiheit ist.