Wende

Um Mitternacht vom Dome klingt
ein Sterbeläuten dumpf und bang:
verrauschter Zeiten Grabgesang,
der weithin durch die Lande dringt
bis in des Königs Prunkpalast,
bis in des Knechtes Kämmerlein –
ein scharfes Klirren mischt sich drein
wie von zersprungner Kettenlast,
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und kündet aller Kreatur,
daß abermals ein Ring zerbricht.
Es raunt und rauscht in Wald und Flur
von Mitternacht bis Morgenlicht.
Wie frisch der Wind aus Osten weht!
Lebendig wird, was starr und stumm.
Ein geisterhaftes Leben geht
an dieses Jahres Schwelle um.
Das sterbende Jahrhundert schaut
mit müden Augen in die Welt,
sein Atem geht so schwer und laut –
der blauen Ferne Schleier fällt.
Und sieghaft steigt aus totem Leid
– zu unsrer Hoffnung Wunderland
den goldenen Schlüssel in der Hand –
die blutgeborne neue Zeit.
Das Morgenrot ist ihr Panier,
ihr Herold ist das junge Jahr;
sie trägt den Rosenkranz im Haar –
und alle Glocken läuten ihr!

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TextGrid Repository (2012). Müller-Jahnke, Clara. Gedichte. Gedichte. Sturmlieder vom Meer. Wende. Wende. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-5439-0