[215] Kreuznach

Hymne.


O daß ich so lange von dir geschwiegen, du meine geliebte, teure Vaterstadt! Wo ich geboren ward, zuerst das Leben, des Seins erstes Gefühl einsog! Wie herrlich schwebst du mir Flüchtling immer noch vor der Seele, rufst oft mich zurück aus dem Gedränge lärmender Welt; verfolgst liebreich mich bis an die prachtvollen Mahle, bis in die Prunkzimmer der Großen, wirst freundlich mein Tröster in öden, selbst peinigenden Stunden, wo das Herz lech wird, alle Freude, alle Liebe zum Leben versiegt. Da träufelst du Balsam der Wunde, gießest neue Wonne, neues Leben in mein zerschlagnes Gebein, gewährest meinem Herzen neue Freuden. Wenn seh' ich dich wieder, Teure? Teure! Nicht flüchtig wie das gejagte Reh über die Blumenauen, nein, tagelang dich zu genießen, dich wieder zu schauen, zu hangen an dir! O liebe, o süße Erinnerung! Gefühl genossener Freuden! Du trägst oft die Jugend, auf Flügeln der Engel trägst du sie mir wieder herab. Mir geh'n von neuem an die Tage der Kindheit, des Lebens güldene Tore öffnen sich wieder, die Sonne steigt neu empor. Da gaukeln sie herauf noch einmal im Schimmer des Morgens, die jugendlichen Stunden, mit ihnen alle die Zauberphantasieen, alle, alle Melodieen, alle süßen, seligen Träume, fassen an mein Herz, hinüberzückend in jene schönen, grünen Fluren, durch die spielende Bäche sich schlängeln, hinüber, wo die Felsen stehen an den Wassern, auf deren rauhen Schultern Weinreben grünen, wo der bemooste Kauzenberg grauköpfig in die Nah herab liegt, im Wellenspiegel sich altern sieht. Ja, du bist's, bist's, schöne, vortreffliche Gegend, du Kummer verjagen, Freude dem Herzen bringen kannst. Doch sanfter das Leben fließet in dir, doch milder der Himmel sich wölbet über dir, freundlicher schweben die Jahre, die Wolken, sie leuchten und fahren sanfter, wenn sie spielend der Wind hinträgt an deinen Gebirgen. Ihr Pappeln! Erlen! Weiden der grünbewachs'nen Ufer des lieblichsten Stromes, in deren Schatten ich zuerst in Jugendinbrunst hing, sich zuerst mein Herz aufschloß dem Dranggefühl allmächtiger Natur; Spielplätze, ihr blumenreichen Anger, wo Jugend so oft sich gepaart, wo wir zuerst der Knaben männliche Spiele begannen, dort mit Ringen und Laufen, mit dem Bogen und der Schleuder, wo wir uns selbst zum Menschen entwickelt in ausgelassener, freier Liebe, unzertreten, noch unangefressen vom Krebs üppiger Vorurteile, [216] sklavischer Zurückhaltung, im eignen schönen, gottgefälligen Flore blühten, unverstellt uns fanden in Liebe und Haß, einander Freundschaft schwuren, Teilnehmung an Kummer und Freuden, ja mit verwegner Verachtung aller Gefahr, ja mit Wunden des Helden oft gleich bestätigten, was so treue Lippen gelobt, öfters aber in lauterer Unschuld, in freier, unbefangener Selbstüberlassung hier so selige, selige Stunden durchlebet, die kein König mit aller Macht und Reichtum sich noch einmal erwerben kann.

Ja, vorzüglich vom Himmel geliebet du bist, schöne Vaterstadt, gesegnet vor tausend anderen Städten! Freude und Überfluß wohnen bei dir; du bist auf Liebe gegründet. Der Bauherr, der den ersten Eckstein zu deinem Tore gelegt, war ein Günstling des Himmels. Ihn jagte nicht Vaterfluch, ihn drückte nicht Witwenunrecht, und Waisentränen verfolgten ihn nicht. Denn geöffnet von Gott ihm war das Auge, zu schauen der Lieblichkeit Heimat, zu ruhen am Herzen der Schönheit.

Vorzüglich geliebt vom Himmel du bist, schöne Vaterstadt! Verrat nicht befleckt deine Mauern, Treue und Redlichkeit sitzen dir zur Seite; du lehnst dich lächelnd über sie hin und aus deinen ernährenden Brüsten springen weiße Ströme auf deine Kinder herab. Fremde dich ehren, deine Söhne tragen dich in Gedanken, wo du sie auch hinsendest über Land und Meer. Ach warum diese Sonderung von dir? Könnt' ich nicht sitzen, trinken das süße Licht der Sonne da, wo es zum erstenmale meine Blicke begrüßt? Hören den sanften Gang deines dich teilenden Stromes, dessen süß Geschwätz zum erstenmale mein kindlich Ohr erquickt? Ach die Bestimmung des Lebens, die alles verändert, hinzieht den Abendländer zum Morgen, Väter von ihren Kindern treibet und Kinder aus den Armen ihrer Mütter losreißt, hält auch mich, deinen Sohn, noch in schwerer Pilgrimschaft weg. Liebe zwar ist mein Geleitsmann, wie der Stern vor dem Schiffer dahin geht; ihm nach schaut er über die Wellen, nach seinem Schimmer sichere Bahn suchend. Er kehrt in Gedanken oft heim zu seiner Wohnung, sitzt beim Weibe im Schimmer seiner nächtlichen Lampe, hört sich von seinen Kindern rufen und freut sich über sie und zeigt den erworbenen Reichtum. Das erquickt ihn, gibt im Sturme jetzt Mut; weniger er achtet der Winde Pfeifen, sichrer er läuft die gefahrvolle Bahn. So in Gedanken kehr' ich oft heim, bringe den Reichtum des Schiffers mit mir. Wenn wird's werden! Wie einen sanfte Winde anwehen, wie ein klarer Abendhimmel nach stürmendem Tage, wie die Sonne sich durch Gewitterwolken hervordrängt, wonniglich dem schauernden Wandrer, schwebt die Zukunft vor mir. Ich sehe mich selbst heimwandern, dir entgegen ziehen, teure Vaterstadt, sehe auf mich zueilen meine Geliebten, meine Teure!

Ach meine Mutter, die mich so zärtlich liebet, ihr meine getreuen Geschwister, die ihr so sehnlich nach mir fraget: wo ist er, teure [217] Mutter, wo ist er, der Bruder, den wir lieben, wir haben doch lange keine Kundschaft! O er vergißt uns wohl gar! Sie singen ein Morgenlied. Indessen sitzest du, Teuerste, nachdenkend (stille Tränen rinnen von mütterlichen Wangen herab) ähnlich dem Vogel, der im ersten Ausfluge seine Jungen verloren. Lange sitzt er in der Dämmerung auf dem äußersten Ästchen (alle Vögel schlummern bereits) und gurgelt mit schmachtendem Gesange seine Lieben zurücke: so hör' ich oft durch die alles bedeckende Nacht deine Stimme zu mir her: warum mit so viel Schmerzen, mit so viel Liebe Kinder erziehen, daß sie so alles auf einmal wieder vergessen! Nein, Teuere, Teuerste! Nein! ich habe dich nie vergessen, mit ew'gen Zügen steht alle deine Liebe, alle deine Sorgfalt unauslöschlich in meinem Herzen. O des stürmischen Lebens, der jugendlichen Hitze, der Torheit eines zu feurigen Blutes, das alles mit fortreißt so wider Willen, oft wider besseres Gefühl! Hab' ich doch oft dein gedacht, Mutter, wenn der Mond aufging über die stille Erde, ich melancholisch allein saß in meinem Zimmer, ähnlich dem Klausner; oder wenn ich draußen herumschweifte, schmerzbedrängt und tränensatt nicht Bleibens mehr fand, nicht Ruhe, ähnlich dem Fremdling am Tore, der da stehet und spähet, unter welcher Traufe er übernachten will – dein Bild mich wieder entbrannt', die mächtige Flamme der Tugend anblies, die in meinem Herzen oft zum kalten Fünklein erlosch! Süße Herzensmutter, dein vergessen nicht kann! Wo ich auch geh' und stehe, bist du bei mir. Mir immer gegenwärtig. Müßt' doch ein ander Herz in meinem Busen schlagen, nicht entsprungen aus deinem Blute, dich zu vergessen, du Allgetreue, die du mich inniger, höher liebst, als Mütter sonst Söhne lieben.

Wer blickt dort zum Osten her? Ihre Augen schmelzen in Sehnsucht. Sie ist's, ist's! Ihre Haare zerstreut der Wind, sie fahren um die Schultern und winken herüber zu mir, Liebe trägt sie entgegen auf ihren Händen, auf ihren Busen brennt ein sanftes Mutterherz.

Fünf Schwestern stehen, sie strecken schon in der Ferne die Arme zum sehnlichen Umfangen aus, ihre Blicke rufen: komm' bald, ach komm'! Ja ich komme, komme, meine Teure! Schon bin ich auf der Fahrt, bringe mit mir den Edeln, den Helvetiens rauhe Gebirge erzogen. Felsensinn! Die Ader seines Herzens schlägt heiß, ein starker Geist leitet ihn. Aber verschwunden das liebliche Gesicht! Sehnsucht hat es gebildet, verschwunden, ähnlich dem Gesange im Maien. Wohltätige Geister steigen, Wachstum erregend, jetzt aus dem Herzen der Erde hervor, sie bekränzen wieder die Anger und Wiesen, bekrönen die Gipfel der Haine mit lieblicherm Grün, schweben über schmucke Fluren, silbergießende Quellen in liebvoller Arbeit einher. Ihre Freude der Frühlingswind auffängt, trägt sie die Haide herauf; lieblich in die Ohren klingend vernimmt's der Schäfer am Gießbach und wähnet der Blumenfreundin [218] Stimme zu hören. In süßer Ahnung treibt er die Heerde vor den Hügel hinunter, bis hinter Bäumen her ein gedämpftes Lachen, ähnlich dem Geschnatter der Enten am Teiche, ihn weckt und verrät, daß er betrogen sei. Und wir ritten schneller, mein Bruder, der teure Spürer! und ich. Nachtnebel lag auf unsern Pferden. Jetzt hielten wir vor der Türe. Macht auf drinnen, laßt uns hinein! Spät in der Nacht, wer ruft draußen? Wir schlummern alle, vorgeschoben der Riegel, abgedrückt das Schloß der Türe. Nun stiegen wir ab. Ich schlug meinen Mantel auseinander. Dein Engel nannte dir meinen Namen; da erkanntest du mich vom Fenster herab, da ging dein mütterliches Herz über in Freuden, da riegeltest du mir auf, schloßest mich in deine zärtlichen Arme. Woher so spät, mein Sohn, mein Teurer, den ich lange, lange nicht an meinem klopfenden Herzen hielt? Wie hast gelebt seither? Wie bist doch stark worden! Mehr konntest du nicht sagen. Viele Tränen brachen aus deinen lieben Augen hervor. Jetzt branntest du Licht an, wecktest geschäftig meine Schwestern. Auf, Kinder, Kinder auf, euer Bruder ist da, ihn zu empfangen! Da treten sie alle hervor, Jede Bruderkusses wert, Jede mein Stolz, im Gehorsam ihrer Mutter, in der Tugend ihres Herzens. Was liegt mir an schielenden Gesichtern, die meine Liebe schelten, meine Reinheit mit Witz besudeln wollen? Weh' dem, der nicht Freude hat, vor aller Welt zu rufen, dies sind die Meinen! Her, ihr Getreuen, ihr Geliebten, in meine Arme! Weh' dem, der nicht stolz auf die Seinigen sein darf! Führet ein in eure Wohnung den Edeln, der mich in dieser Liebesfahrt geleitet, führet ihn in die schönste Kammer. Und meiner Jüngsten reicht er die deutsche Biederhand, sie ließ schamhaft die ihrige hineinfallen: noch niemals hat schöner Tugend die Unschuld begrüßt.

Ach Mutter, wie selig fliehen die Stunden vor deinen Augen! Siehst du, Teuerste, dort, ja dort wird mir das Glück hold sein. Zwar wunderbar dreht es das Rad, den gaukelnden Jüngling zu äffen, baut es oft Wunderschlösser, den wandelnden Wolken ähnlich. Jetzt schwebt er nahe den Inseln der Freuden, der Sich're, sieht schon niederhängen selige Gärten, die ihn zu empfangen sich öffnen, wagt schon den gierigen Sprung zum Ufer hin, als schnell ein ungesehner Sturm ihn wegschleudert, ungeheuer ferne den Wonnegefilden, an unwirtbare Klippen, unter brüllendem Himmel, dort gebadet im Sand mit morschen Gebeinen Hingeopferter, denen auch im Tode des Meeres Welle nicht die Ruhe läßt. O! – Doch sollte das Glück mir einmal lächeln, komm' ich einst zu dir zurück am Mittage meines Lebens, will ich an jenem Hügel dort eine Hütte dir erbauen. Da hinein will ich flüchten zu dir, Mutter, wenn Donner sich auftürmen über meinem Haupte, Seligkeit genießen vor deinen Augen in sicherer Liebe. Hier wollt' ich nachstammeln der Natur, mit meinem Griffel aufs Tuch hintragen, soviel Gott Auffassungskraft meinen Nerven vertraut. Am Abend [219] gingen wir über die Felder, der Bäume zu pflegen, meinem Claudius ähnlich, der die Ziege weidet, die seine Kinder ernährt. Schon seh' ich das Gewimmel meiner Geschwister, wie sie sich um dich her bemühen, dir ein Lächeln abzugewinnen mit diesem oder jenem. Du aber, ein schwanenweißes Mütterchen, machtest mir die Nächte herrlich bei vertraulicher Ampel mit Abschilderung meines stattlichen, mir zu früh entrissenen Vaters. Wollen wir denn leben unter uns, lieben die Wenigen, die's wert sind, daß man das Herz an sie teilt, ihretwegen erduldet schweren Drang der Liebe, nur immer dir würdiger zu werden, Teure, würdiger zu werden meiner Vaterstadt. O eine Wonne, würde man sagen können auf meinem Grabe: Seine Vaterstadt geliebt hat der, wie wenige liebten, geliebt seine Mutter, wie Wenige Mütter lieben.

Kreuznach! Geburtsort! Wie selig du bist! Dir nach sich hebt im Fluge meine Seele, ich seh dich, vor mir du stehest jetzt in deiner Feste! Deine bewachsenen Türme, verfallne Mauern steigen neu vor mir empor. Ich hör' das Rauschen deines dich teilenden Stroms, das Wehen deiner Winde vom Berge herüber. O süße Luft! Ah! Wolkenstürmer: Kühner Rheingrafenstein! Ihr Wellen der Nah! Gesänge des Hartwaldes!

Kreuznach! Kreuznach! Deinen edelsten Sohn will ich besingen. Schließ' dich auf, Grotte der Vorzeit, Heldengesang hervor! geharnischt im Stahle, daß männlich ertöne meine Seele im Lobe des Starken. Kreuznach! Kreuznach! Höre mein Lied! Schweigt, Söhne niedrer Vergessenheit, die Stimme des Helden ertönt!

»Mainz! Mainz! Wo nun dein Recht? Heran ziehst du mit Roß und Mann, denkst, Knaben wir wären, leicht im Spiel zu überlisten. Unschuldig Blut über dein Haupt, Bischof! Was reißest du Sponheims Erbe an dich? Schloß Böckelheim gehört meinem Herrn. Zurück, Werner, steck's Schwert ein, reit' heim in Frieden.« So Michel Mort, Sponheims treuster Waffenknecht; das beteuerten hoch Leiningen und Vehingen, zwei edel verbundene Grafen. Das rote Schwert hielten sie empor, schwuren auf Gott und Ehre: »Wir lassen nicht ab von Sponheims Recht!« Antwort ihnen ward herüber aus dem Schlachtgetümmel: »Verwegene! Unschuldig Blut über euch! Hab' mein Recht erkauft, zugewogen Sponheims Bruder so viel Silber; Schloß Böckelheim ist mein.« Jetzt von neuem Schlacht auf Genzingens Grund, gekämpft für Sponheims Recht. »Brüder, wenn's Fleisch am Griff hängen bleibt, die Finger brechen, die Faust erstarrt an der Lanze: Gekämpft, Brüder, für Sponheims Recht!« Und nun Reiter auf Reiter gewaltig zusammen! Männer zu Fuß in braunem Staubwirbel auf einander los! Speer und Schwertgeklirr hoch! Säbelhiebe pfeifen durch die gespaltne Luft, herabrasselnd auf Panzer und Tartsche! Geknirsch Getroffener, Niedergehauener, dem Tode sich Entgegenwälzender, von Pferden Zertretener! Der Nahstrom erscholl im [220] dumpfen Gebrüll des Todes: »Ihr Mainzer! Ihr Mainzer! Denkt Ihr, wir seind gekommen zu streiten mit Glas und Römer? Ihr Mainzer! Wunden und Tod ist unser Gelag, mit Speer und Schwert tun wir Männern Bescheid.« Sa! Sa! Einbrechend jetzt Hans Sponheim mit seinen Reitern. Er voran im Blitz, wie Hunde, gehetzt vom Jagdruf, den Bären durch's Dickicht verfolgen; sie fallen am Hangwald hinunter; hau! hau! erhallet der hohe Forst! Wie Stiere eifersüchtig auf einander rennen und Horn an Horn zerschlagen, wie Sturm den Wald beugt und Wipfel an Wipfel zersplittert; wie Wogen in Wogen zerscheitern, im Donner sich Blitze durchkreuzen; schnaubt gewaltig jetzt Pferd an Pferd, hängt Mann an Mann, Arm an Arm jetzt, Schwert an Schwert, geflochten an einander im Verderben wie ein großer Knoten.

Blut strömt über die durstige Erde. Barmherziger Gott! Laßt ab, Mainzer! Pfälzer, laßt ab! Gerechtigkeit allein siege! Erbittert, todlechzend, hört ihr nicht, wütet fort. Mordsucht schüttelt grimmig lächelnd über Leichen die blasse Fahne und spritzt warmes Blut der Erschlagenen hinauf. Kein Schonen! Kein Erbarmen mehr! O Sponheim! Sponheim! Zieh dich zurück! Hörst du den Trompetenstoß, des nahen Verderbens Zeugen? Hervorbricht's durchs Gebüsch aus dem Hinterhalt; schwarze Scharen zertreten die Saatfelder von Sprendlingen her. Sie umringen dich jetzt! Stehen zu zwanzigen gegen einen! Verloren du bist, fliehe, fliehe! – Umsonst warnender Zuruf. Sie sehen die Fluten heranschwellen, hören der Wogen finster Gebraus, freuen sich wachsender Gefahr. Tiefer sie jetzo herandringen, ins Herz der Schlacht hinein; ihre Seelen sind kampfdürstend und stark wie Eisen.

Michel Mort, wo find' ich dich jetzt im Getümmel, du Kreuznachs Zögling? Im dichtesten Gemenge voran, wo Schwerter triefen, will ich dich suchen – fester Mut! Unerschütterte Treue! Heldenstolz! Dein Busen, wie pocht er so hoch voll edlem Zorn, wie brennen deine Blicke, wie spannet alle deine Nerven Heldenbewegung. Dein Schwert wie verzehrend! Siehst du das Zucken des Todes jetzt, das Brechen der Augen, Sanftmütiger! Leichtversöhner! Ganz Flamme Gottes, nur im Verzehren wachsend! Ha wie anders hier als damals, wie du mit Kreuznachs trefflichsten Jünglingen hinaufrittest, die schöne Braut heimzuholen, die im Reiterspiel dein edler Herr gewann. Daheim sitzt die edle Gräfin, schaut lange am Erker nach Siegesboten; heimliche Angst verzehret ihr Herz. Dir empfahl sie ihren Trauten beim Abzug, band dein Leben an sein Leben! Michel, habt acht auf meinen Herrn! Du versprachst, Michel, bei deinem Leben versprachst du, wirst's nun halten? Horch, was Bischof Werner schwört: »Nehmen wir Graf Hans gefangen, verschmachten der soll im dunkelsten Turme, erblinden und hungern! Kein Lösegeld mach' ihn mehr frei.« Oho! Kein Lösegeld! Gilt Lösegeld mit dem Schwert allein! Michel Mort, erinnre dich deines Schwurs!

[221] Einbricht er jetzt von neuem, seinen Grafen zu entsetzen; ein Wolf dringt in unbehüteten Pferch so. Der Hirt ist geflohen weit, zerrissen der Hund, er bölßt die Herde auseinander, würgt und würgt über die Haide mit heißer Wut, am Felsquell hinab sieht man seine blutige Spur. Jetzt steht er, keucht von sich die Wolle, säubert nur von Haaren die Zähne. Sein Ruhen ist gefährlicheres Beginnen, das Herströmen seiner Blicke reizet den Tod: Also hält Michel an seinem Schwert, aufschnaufend aus blutiger Arbeit, zu seinem Herrn, treibt er die dichten Scharen auseinander, über Leichen und Verwundete hin. Die Starken weichen vor ihm zurücke, die Getreuen sammeln sich wieder und fassen hinter ihm Mut.

Singst ihm gern, dem Wackern, singst ihm gern, Lied! sprichst Hohn dem, der nur Hoheit singen will. Graf und Fürst und König und Kaiser möcht' ich nicht singen, wären sie tugendlos – könnte sie nicht lieben, wollte lieber des braven Waffenknechts Sänger sein, nicht um des Beutels Gewicht dem Gecken züngeln und meine Seele zum Prunkkleid an Narren vertrödeln. Den Braven lieb' ich und sing' ihm auch gern.

Hoch in den Mittag dauert schon die Schlacht. Durch zerrissene Wolken schießt jetzt die Sonne ihre Strahlen. Viel brave, mutige Männer liegen schon zur Erde und Ritter mit ihren Waffen und Pferden im Staube über Genzingens Blachfeld hingestreut. Jetzt dringen die Mainzer übermächtig heran (ihre Zahl wie des Stromes Wellen, wenn über ihn beim trüben Mondlicht ein kühler Südwind donnerverkündigend hinläuft), zwingen Leiningen und Vehingen völlig zum Weichen. Jetzt aneinander im Strauß und Gebrüll, blanker Stahl rot blinkend wie Feuer in der Sonne. Wie Flammen die Städte von Grund aus verzehren, sich im Verderben mehren und knatternd sich rundum verteilen, dringen die Mainzer von allen Ecken heran. Werner in seiner Stärke vor ihnen her, schnaubend, einem Keuler ähnlich, der aus dem Walde sich von seinen Borgen verlaufen. Ihn sieht der friedliche Säemann, die Erde zerwühlend, kommen, beweint voraus seiner Arbeit sauren Schweiß, wie des Frühlings Hoffnung darniederliegt; er sieht's trostlos und wagt den Stärkeren nicht zu treiben, vielmehr springt er auf die Seite, wenn wild der Zerstörer vorüberschießt und zittert hinter verbergenden Bäumen um sein eignes Leben. Jetzt hilft nicht Bruder dem Bruder mehr, Freund dem Freund nicht; alle fliehen, jeder auf eigne Rettung besorgt. Voran, voran, ihr Mainzer! Wir treiben sie zu Paaren. He! Wie sie fliehen, die Feigen! Gefangen, Gefangen! Wir haben Hans Sponheim im Garn! He! Liebchen, dein Tisch gedeckt! Bereite dein Lager! Einen Spiegel, eine Kette, eine Laute, einen Dolch! Voran bei allen Heiligen, es gilt! Jetzt ganz eingeschlossen! Dreimal hieb sich Hans Sponheim durch – nun zum viertenmal umringt! Zerbrochenen Speer läßt er jetzt fallen, losreißend die Streitaxt vom [222] Gürtel, heruntergehauen vom Pferd fünfmal fünf Helme, fünf Schädel gespalten! Jetzt Werners Schwert mit einem Hieb in Stücken, am Panzerkragen ihn fortreißend, mit ihm durch die Feinde setzend, davon, weit davon! Atemlos Werner, kann nicht Dolch, nicht Schwert mehr erhaschen, nicht schreien, schlägt wütend mit wehrlosen Fäusten umher. Keuler, gelt, ein rüstiger Dogg' hängt jetzt an dir, schüttelt dich mannhaft am Ohr? Warum verließest du deinen Forst, machtest weinen den friedlichen Sämann! Umsonst du dein Feuer verschießest, zwei scharfe Zähne fletschst, Gras und Stauden zerschlägst; der Kühne hält fest, bis Jäger mit Netz und Eisen kommen, dich zu fangen. Sponheim hält seinen Mann gewiß. Schon ist er ferne mit ihm, seines Rosses Zügel in der Faust – vollbracht nun das Heldenstück, im Angesicht der Feinde vollbracht! O Donner! Da rannt' ein Fähnrich auf der Flucht dem Edlen sein Fähnlein durch die Lenden; ein Flitschpfeil fuhr seinem Roß durch's Aug' – er prasselt gewaltig zusammen, wie ein Turm im Fallen alles niederschlägt, zieht er den Bischof unter sich zur Erde: Sterben du sollst mit mir! Nicht sitzen in deinem Turm! Nicht erblinden, nicht verhungern, Heiliger! Alle Teufel mit dir! – Ihn fest an der Kehle fassend – ein Adler hält so seinen Raub – erdrosselt er den Bischof im Sand. Zwanzig Ritter stürzen zugleich über den Grafen her, reißen ihn weg, binden Arm' und Füße. Jubelgeschrei ertönt, die Berge erhallen: Gefangen der Graf, gewonnen die Schlacht! Ha! Mort! Was zögerst du? Mißt du Ringaus Mut an deinem Schwert ab, indessen der Edle fällt! Laß Hochheims gute Weinpflanzer leben, schau' um dich, Graf Hans gefangen in der Schlacht! Zu Boden! Feinde über ihn! wie Geier auf einen gestürzten Hirsch gehen. Er fiel im Sprung tief die Klippen herunter, hängt mit den Hörnern im Geniste hoch über der Erde, das Blut träufelt aus Mund und Nase herab in des Wasserfalls weißen Schaum. Mort! Mort! sie schleifen, zerreißen des Grafen Rüstung, ziehen seine teuren Hände an Riemen nach der Erde, des Bischofs Leibroß verwickelt den stolzen Huf in sein schönes krauses Haar! Jetzt hilf oder niemals! Oder er muß fort, am Pferdeschweif gebunden, erblinden, verhungern im dunkelsten Turme! Michel Mort schaut jetzt umher im Schlachtgetümmel. Graf Hans zur Erde? Alles geflohen? Umringt wir hier? Hilf Gott! Brüder, mir nach! Ein Schrei, ein Sprung, ein Schlag! Alle fünf rüstigen Männer aus Kreuznach hinter ihm – kein Widerstand, keine Gegenwehr. Umsonst! Dem Kühnen, dem Starken, widerstehet nichts. Hier, dort im Hui Hieb und Stoß zugleich! Da fallen um ihn her, von Todes-Sichel Getroffene, da überrennen die Verwundeten im Schrecken einander. Bischoff Werner erblaßt, läßt die Beine des blutenden Grafen fahren. Mort setzt nach, Entsetzen überfällt die Starken bei der gewaltigen Übermacht des einen. Brüder! Brüder! Jetzt voran! Haltet eure Schwerter vor! Haben wir erst den ermatteten Grafen gerettet, dann laßt [223] uns zurückziehen. Ihn losschneiden, auf meinen Schultern davon tragen will ich. Jetzt schneidet er die Riemen entzwei, ziehet dem Grafen das Fähnlein aus der Seite. Mit starken Armen umfaßt er ihn, legt den Schwergerüsteten so auf seine vermögende Schulter und eilet rüstig voran. Die getreuen Gefährten werden, ihn beschützend, niedergestochen mit Speeren. Sie starben alle den Tod, die Helden, aus Liebe zu ihrem Herrn.

Erreich' ich nur die Ufer der Nah, vielleicht find' ich einen Kahn da, wo ich hinein springe mit meinem Herrn, hinübersetze jenseits an Bretzenheim vorbei, oder begegneten mir nur einige der unsrigen auf dem Felde, daß sie ihn auf ihre schnellen Pferde legten und mit ihm davon flöhen – gerne wollt' ich hier aushalten und den Tod mir erstreiten. Nur er! Er! Wenn doch er nur gerettet wäre! Also Michel Mort heimlich auf seiner Flucht. Hinter sich vernehmend das Rasseln der Nachsetzenden – Pfeile und Lanzen fielen neben ihn in den Sand – des Bischofs grimmige Stimme, seines Rosses Hufschlag in die Erde, das Zischen der Schwerter am Nacken: läuft er ängstlich besorgt, mit Blut seines getreuen Herrn bedeckt. Ein frommes Pferd trägt seinen Herrn durch hohe Fluten also; stark durchschneidet's die Wogen. Liebe zu seinem Herrn verdoppelt seine Kraft; weit ist's bereit's durch, aber das steile Ufer jenseits schreckt es zurück, vor Angst und Zagen taucht sich's in die Fluten und wiehert zum Himmel: so Michel Mort. Ihn umringen die Feinde zu allen Seiten, keine Ausflucht, keine Rettung für sein großes Herz! Wälder stehen ihm von allen Seiten entgegen. Jetzt hebt er seine Augen zum Himmel. Ach heiliger Gott! Ihr Wolken! Ziehet meinen besten Herrn davon! Brüder! Brüder! Hat denn alles uns verlassen? Ist alles geflohen? Jetzt rinnt ihm Angstschweiß von allen Gliedern; er läuft, seelenbange läuft er unter der Last, zitternd die Kniee, die Lippen blutend, einer Hündin ähnlich, die ihr Junges in den Zähnen trägt: überall begegnen ihr gefräßige Tiere, die beutelechzende Rachen aufsperren und die Angstvolle verfolgen. Nicht zu retten, zu schützen weiß sie jetzt. Schreiend sitzt sie am Stein, hält hinter sich ihr liebes Junges verborgen und läuft jetzt selbst dem Würger in die Zähne. So klopft schwer und bang, wie die Schmerzen des Todes, Morts eiserner Busen. Dicke Angsttropfen fallen ihm aus den starrenden Augen. Entsetzlich schreit er abermals nach Hilfe: Verlaßt doch euern Herrn nicht in Not und Tod! Leiningen! Vehingen! Hört, daß Gott im Himmel euch höre! Sie hören's nicht, ferne ihr Ohr. An Bosenheims Seite sammelt Leiningen zum erstenmal die flüchtigen Reiter auf: Harret Freunde, laßt sehen, wo Sponheim, wo Vehingen bleibt. Sie traten zurücke, halten an einem Baum im Felde, von da sie die ganze Gegend beschauen. Zu ihnen stoßen Flüchtige zu Roß und zu Fuß.

Aber Mort läßt jetzt seinen Herrn von der Schulter herunter. Nicht weit steht ein Sandhügel, oben darauf ruhen zu Zeiten die [224] Schäfer mit ihren Frühlingslämmern, unten aber holen sich reinliche Wirtinnen in weißen Zubern den Sand nach Hause. Da liegen große Steine hin und wieder zerstreut, und Hecken von mancherlei Art wachsen von oben herunter. Dort lehnt er jetzt den Grafen mit dem Rücken an die weiße Wand, also geschützt von hinten, er aber steht vor ihm mit seinem blanken Schwert. Eine schwüle Wolke steht hoch in dem Mittag; schwarz liegen unter ihr die Berge, sprachlos das Tal. Sie ragt hoch hinauf und trübt den weiten Tag; tief in ihrem Schoß sieht man verhaltene Blitze spielen, Donner wandelt langsam von ihr an den Bergen herüber. Schauernd beugt sich im schweren Gemurmel der Frühlingshain.

Großer! Herrlicher! Ihn baut' die Natur zum Muster, ein Muster baute sie, nach ihm das Heldenvolk zu bilden. Ihn hab' ich zuerst besungen, kein anderer sing' ihn nach mir – wer trägt Bruderliebe im Busen, wie ich? Wagt's ein kühner Fremdling? Fallen soll er vor meinem Liede wie Feinde darnieder vor Morts Schwert! Verhalten die Tränen ich kann, vollfließen sollen sie erst auf seine Leiche. Noch steht er, mein Liebling, voll Heldenkraft steht er zum Sterben bereit; aber nicht gefährtenlos soll er sinken, viele müssen ihn jetzt begleiten hinab ins finstre Todestal. Schon liegen fünf vor ihm, verdrehen die brechenden Augen, die Verwundeten schreien angstvoll davon. Jetzt der sechste, Hans von Breitenbach, Christoph Mor jetzt! Gänzel springt davon; die eine Hand verhauen, läßt er fallen das breite Schlachtschwert in den Sand. Ihm ist das Leben teuer, er rennet weiter hinter die Speere zurück. Hast recht, Gänzel, unter Rebschatten mit krummer Sichel ruhn, Winzerinnen zum Tanz winken auf's weiche Moos und mit der einen Faust noch den Kelch schwenken, das ist besser, als so im Staube das gute Leben verhauchen. Weiß einer, ob jemals süßeres Naß deine Lippen erfrischet, als Hochheims edler Most? Mort hascht jetzt das breite Schlachtschwert schnell von der Erde auf – ein Hieb und zwei stürzen wieder zusammen. Wie Liebende scheiden, scheiden auf lange Zeit, fielen diese nun einander kreuzweis in die Arme und umfingen den kalten Tod. Jetzt jubelt des Helden Seele empor, er denket: Halt' ich nur aus, bis die Gefährten irgendwo sich wieder sammeln! Sie fallen dann auf's neue ein; ihren wackern Herrn verlassen sie nicht in dieser tiefen Not. Jetzt stürzt der elfte; hinweg, wer Todeswunden scheut! Wär't ihr weggeblieben, du Braun und Berthold, du fetter Oswald, ihr läget im Tode grimmig über euern Wehren jetzt nicht. Leichte Lanzen springen ab wie Glas am schweren, erzgegossenen Panzer des Starken.

Ihr Windspiele! Alle zusammen gegen den Einen, er allein hat euch den Grafen abgejagt, Feigherzige! Wilder zog Werner die Augbrauen, feurige Blicke funkeln durch. Wagt's! Wagt's, herzudringen, mir gleich den Grafen zu erbeuten! O Schmach! Erblasset alle! Ein Mann beugt meine ganze Macht! Mort! Ein[225] einziger Mann! Wie man eine Ziege, wie man einen jungen Bock zur Erde beugt. Wo Ehre? Ich habe keine Männer um mich! Er schrie's und stieß mit dem Schwertgriff an die eiserne Brust, fährt wild sich in den Bart. Errötend stürzen drei Jünglinge hervor, erzeugt von einem Vater, dem Ritter vom weißen Rosse, des Bischofs Lieblinge, alle drei die Lust seines prachtvollen Hofes. Holdere Sitten und reizendere Gebärden sah man an den Jünglingen selten. Die Schwerter ans Schild lehnend, ergriffen sie oft abwechselnd zierlich gerundete Lauten und spannten die silbernen Saiten, begeisternder Liebe Entzücken, die Freude beim Mahle der Helden, zum Liede der Vorzeit auf. Dann gaukelten Scherze der Männer und Liebe der Mädchen zu ihnen. Geliebet von beiden Geschlechtern war selig ihr menschliches Los. Die trunkenen Lippen zu küssen, brach oft ein zärtliches Auge, stieg oft ein süßer Seufzer aus sanft errötendem Busen. Doch fern den Tänzen des Hofs an Bingens schönstem Gestade, dort wohnen auf einsamer Warte drei Schwestern, wunderschön. Nur diesen hold ergeben durchschnitten sie grünliche Wellen; sie kommen bei Mondlicht heran – das Schiff die Liebe treibt. Ach Schifflein, warum denn so früh? Du trägst die holdeste Ritter, fern in die Schlacht sie ziehen. Wenn kommst du, Schifflein, zurück? Vergebens durchwacht ihr die Nacht, sie schlummern müssen am Schwerte. Zu sterben in euren Armen, war sonst ihr zärtlichster Schwur. Sie führet ein feindlicher Stern ans Schwert des mächtigen Helden. Verloschen die süße Hoffnung, verblühet der Zukunft Glück! So reißet das Schicksal ein, nicht schauend auf menschliche Pläne, zertritt des Sterblichen Wünschen im großen eignen Gange.

Mort holt jetzt weit aus – gefaßt von edlem Zorne, hätt' er jetzt nicht Freund, nicht Bruder, nicht Kind mehr verschont, so ganz gespannt seine Seele, alle Nerven strebend zur Rettung des ohnmächtigen Grafen. Der Bischof sieht des Schwertes verderblichen Blitz, fährt angstvoll zusammen; noch eh' der Schrei seinen Lippen entfährt, ist einer getroffen. Uldo, dein schmuckreiches Haupt floh von den Schultern! So fliegt ein Hahn vom hohen Neste herab; weit sprang's über die Schulter und rollte zu Werners Füßen. Das Schwert saust weiter durch, die Spitze zerschneidet im Fluge noch Wilhelms zierlichen Hals. Zu helfen sprang Franz, der jüngste, herüber, faßt ihn an den Armen, will ihn hinter die Speere ziehn – umsonst, Morts Schwert öffnet im Stoße dem Tod die weiße Brust; über die geliebte Last sinkt er jetzt, plätschernd sein frisches Blut am Panzer herunter, wie ein schwarzer Bergquell über die Klippen schießt. Er wälzt sich hin und her im Blute und stirbt laut stöhnend an der Erde.

Hilf, ewiger Gott! Wir sind verloren, rennt ihn nieder mit euren Rossen, den Würger! Gräßlich schreit Werner über der Treuen Fall, warme Tropfen an seiner Wange. Bögner, herbei! [226] Schützen, von den Pferden herunter! Zielet von allen Seiten mit Bogen und Pfeilen auf ihn! In die Arme, in die Beine, in die mörderischen Augen! Der Grausame! Der Blutgierige! Wird jetzt nicht nachlassen, bis auch ich, bis wir alle tief zur Erde liegen. Dreißig Bögner jetzt auf beiden Seiten – sie schnellen auf Mort, den verlassenen Helden, leeren die schweren Köcher über ihn, wie Hagel im Sturme, wie Schneegestöber sausen. Fünf Pfeile sitzen tief ihm in den Beinen, zerschneiden Adern und Nerven. Er blutet, vermag länger zu stehen nicht. Da sinket der Starke – die Mainzer schreien, doch freuen sich alle nicht, es trotzen seine Augen noch, wie Tod spendend. Sein Schwert in beiden Fäusten gehoben, sinkt der Held jetzt, Schmerz und Feinde zugleich bekämpfend, herunter in die Kniee.

Ist bald untergegangen die liebliche Sonne? Bald ist sie hinunter, schlummert ihr holdes Auge im Meer; die letzten goldenen Blicke verweilen noch über der Welt. Sie wird hinschlummern und wieder erwachend heraufsteigen aus ihrem Felsenbette, aber der heutige Tag kommt nimmer mit ihr zurück! Nimmer erstehet der Edle, der jetzt im Tode fällt. Erhebe dein Haupt, Kreuznach! Wo die Mutter, die einen Sohn erzogen, wie du?

Knieend Mort, hinhorchend im Getümmel, deucht ihm, er vernehme jetzt des braven Leiningers Stimme. Seine Kraft läßt gewaltig nach; Leben strömt mit dem Blute aus vielen offenen Wunden dahin, doch kämpft er immer noch die Feinde mutig zurück. Keiner wagt's, den Leib des Grafen zu berühren. Im Sturme stürzen heulend sie zurücke, vier übereinander; die Bäuche zerhauen, gespalten die Busen, schleifen sie in Todesschmerzen rauchendes Eingeweide über den Sand. Jetzt drängen die Freunde näher. Leiningen laut: Mort, halt' aus! Halt' aus, wir kommen zu retten! Nur bald, nur bald, Freunde, eh' meine Kraft dahin ist, meine Augen dunkel; kämpf' mit ihnen, du droben, gib den Unsern Sieg! Jetzt eilen Leiningen und Vehingen näher herbei, aber die Feinde halten umzingelt noch immer den Grafen, schreien: Tötet ihn, Mort ist dahin! Die Freunde rufen: Halt' aus, Mort! Errette deinen Herrn! Mort jubelt zum letztenmal auf. Eine verlöschende Flamme, hoch schlägt sie noch einmal empor. Dem Fähnrich, der voran dringt, stößt er das breite Schlachtschwert in die Hüften, läßt's stecken drinnen. Aber jetzt dringt alles auf ihn, Speer und Schwerter wölben sich dunkel über seinem Haupt – alle gezückt, den Grafen zu durchbohren. Schützen länger kann der Verblutende nicht mehr, nicht mehr mit dem Schwert die Menge abhalten, da wirft er sich über seinen Herrn, ihn schützend mit seinem Leibe. Meinen Geist in deine Hände, Herr Jesu! Brüder, verlaßt euern Herrn nicht! Mehr konnte er nicht sagen, ein Speerwald drang ihm durch den Rücken. Losbrechen die Freunde, jagen die Mainzer jetzt, wie Wölfe die scheuen Rehe. Mit Mühe kommt Bischof Werner noch auf sein Roß, jetzt, [227] da gerettet der Graf, ist zweifelhaft der Sieg durch die herrliche Tat des Einen.

O Treue, ewige Treue, droben im Himmel lebe! Dich zu fassen ist unsere Erde zu niedrig. Mort! Mort! Dich kann ich nicht singen, nur heiße Tränen weinen, nur jubeln in deine Tat. Glorreich, Held, deine Wunden! Groß stieg deine Seele im Blitz auf, sitzend im Himmel unter den Streitern, die kühn fürs Vaterland geschlagen, geblutet, errungen den edelsten Sieg.


Hab' dir ein Lied gesungen, Vaterstadt, heiß wie meine Liebe zu dir, hoch wie Morts Mut, der höher denn Adler fleucht – gesungen am Stuhle deines erhabenen, menschenliebenden, sanft dich beherrschenden Fürsten. Gedenke mein in der Ferne, liebe mich wie ich dich liebe. Sei Mutter wie ich Kind!

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TextGrid Repository (2012). Müller, Friedrich (Maler Müller). Gedichte. Gedichte. Kreuznach. Kreuznach. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-5221-3