279. Payssener Greet.
Auf der großen Heide zwischen Itzehoe und Hohenwestede bei dem Dorf Payssen in der Nähe des einsamen Wirtshauses zeigt man noch die Stelle, wo einst ein großes Schloß stand. Das Wirtshaus heißt der Payssener Pohl (Pfuhl). Hier auf dem Schlosse wohnte eine gottlose Herrin; sie war gefürchtet in der ganzen Umgegend; die Reisenden nahm sie erst freundlich auf, führte sie aber bald an eine Falltür, wo eine solche Vorrichtung war, daß die Hinabsinkenden getötet wurden; auch an ihrem Gesinde übte sie die größten Grausamkeiten und ihren Mann hatte sie in ein dunkles Gefängnis einsperren lassen, und soll ihn dann mit eigner Hand ermordet haben. Darauf hat sie noch einen falschen Schwur getan, in dem sie ihre Unschuld an seinem Tode beteuerte. Alsbald ist aber das Schloß versunken, und zur Strafe ward der Frevlerin aufgelegt, die Heideblümchen des ganzen Reviers zu zählen; wenn sie einmal damit fertig würde, solle sie erlöst sein. Wenn sie nun in einer Nacht ein Stück gezählt hat, sind am Morgen eine neue Menge Blumen hinzugekommen und andre verschwunden, und so geht es immer fort und sie wird niemals fertig. Ihr Gespenst irrt noch immer auf dem hohen Heideviert umher; man nennt sie die Payssener Greetje, und sie ist weit und breit bekannt, da die Landstraße von Rendsburg nach Itzehoe gerade an dem Ort ihrer Strafe vorbeiführt.
Die Payssener Greet hat sich oft den Vorüberreisenden gezeigt und sie erschreckt. Wer sie anruft, dem erscheint sie, und manchem Verirrten hat sie bei Nacht und Nebel den richtigen Weg gezeigt. Böse Menschen aber verfolgt sie. Oft hat sie den Pferden in die Zügel gegriffen und den Wagen umgestürzt. Ein Fuhrmann hatte in dem Wirtshause vor der Heide einmal ein Glas zu viel getrunken und wollte spät abends noch weiter. Man warnte ihn vor der Greet; er aber sagte, sie solle nur kommen, er wolle ihr schon Bescheid tun. Mitten auf der Heide standen seine Pferde plötzlich still und gingen nicht von der Stelle, so sehr er auch drauf einschlug. Der Fuhrmann fluchte und tobte, da stand mit wildem [186] flatternden Haar, die Faust drohend geballt, das riesige Gespenst mit einmal vor ihm. Der Kerl, außer sich vor Wut, erhub die Peitsche, um einen Streich auf sie zu führen, als der Wagen umkippte und er zu Boden stürzte. Am andern Morgen fand man ihn besinnungslos da liegen.
Einmal kam ein fremder Herr, der sich hier im Lande auf unehrliche Weise viel Geld und Gut erworben hatte, hier durch. Er wollte mit dem Erworbenen nun ins Ausland reisen, aber die Fuhrleute weigerten sich bei Nacht über den Viert zu fahren. Da ging er dreimal, unverständliche Worte murmelnd, um jeden Wagen und sagte darauf, daß sie nun zauberfest wären. Als sie aber an den Kreuzweg kamen, sahen die Fuhrleute eine große Frauengestalt nebenhergehen, die mit langem Arm überlangte und mit dem Zeigefinger auf jede Kiste im Wagen tippte, als wenn sie sie zählte. »Gott sei uns gnädig«! rief der Fuhrmann, bei dem der Herr im Wagen saß. Als dieser des Fuhrmanns Angst sah, machte er drei Kreuze über seine Augen und der Fuhrmann sah die Gestalt nicht mehr. – Wenn überhaupt einer ungerechtes Gut über die Heide fährt, so hockt die Payssener Greet sich hinten auf den Wagen und die stärksten Pferde können ihn nicht von der Stelle ziehn. Ebenso tut sie, wenn Leute gestohlene oder unrechtmäßig erworbene Sachen tragen. Ein Dieb hatte im Dorfe einen Sack voll gestohlen; als er auf die Heide kam, mußte er irregehen, und seine Last ward immer schwerer und schwerer, und auf keine Weise war es ihm möglich sie abzulegen, so gerne er ausgeruht hätte. Als er sich endlich umsah, saß die Greet hinten auf und vor Schreck sank er um. Da er am andern Morgen erwachte, befand er sich bei dem Hause, wo er in der Nacht gestohlen hatte. Er gab dem Eigentümer alles zurück und erzählte, wie die Greet ihn in der Nacht irregeführt, und bat um Verzeihung. Seit der Zeit hat er nicht wieder gestohlen.
Viele glauben, daß die Payssener Greet dem nur etwas anhaben könnte, der in den Bezirk ihres ehemaligen Schlosses käme und sie beim Zählen der Blumen störe; wer sie einmal über den Kreis hinausbrächte, der würde sie erlösen, so habe auch eine alte Prophezeiung gelautet und ein Prediger hätte sie endlich wirklich erlöst. Er sollte nämlich einem Sterbenden das Abendmahl reichen und den letzten Trost geben. Da es Nacht war, wollte niemand ihn über den Viert bringen nach dem Dorfe, wo der Kranke lag. Da verlangte der Prediger zwei weißgeborne Pferde und wollte selbst hinüberfahren. Es erbot sich noch ein achtzehnjähriger Jüngling ihn zu begleiten. Als sie an den Kreuzweg kamen, standen die Pferde still und gingen nicht weiter. Der Prediger und sein Fuhrmann sahen sich um und mitten im Wagen stand hoch aufgerichtet die Greet. Der Prediger sprach seinen Segen und fragte sie, warum sie sich in ihrer Arbeit stören lasse. Sie antwortete nicht, sondern setzte sich so schwer in den Wagen nieder, daß die Achse brach und das Rad seitwärts überfiel. Da stieg der Prediger vom Wagen, langte über und hob die Greetje [187] herunter und befahl ihr, die Achse anzufassen und dem Wagen fortzuhelfen. Sie mußte nun, ohne niederzusetzen, mit dem Wagen fort bis an die Grenze, wo dieser mit einem Male wieder heil war, und Greetje verschwand. Seit der Zeit soll sie Ruhe haben. Der Pastor war ihr zu schwer gewesen, weil er niemals was Böses getan hatte, noch je ein Fluch oder Schwur über seine Lippen gekommen war.
Nach einer schriftlichen Mitteilung. – Der Payssener Greet vergleicht sich das Klageweib der Lüneburger Heide. Harrys Sagen Niedersachsens I, Nr. 48.