568. Der Freischütz.
Es war einmal ein Bauernsohn, ein wilder Bursche, der ließ sich zu keiner Arbeit bringen, weder durch Bitten noch durch Drohungen, und den ganzen ausgeschlagenen Tag mußte er auf dem Felde herumstreichen. Seine Eltern verzogen ihn etwas und hielten ihn zu nichts ernstlich an. Als er daher erwachsen war, lief er heimlich davon und ergab sich der Jägerei, um ganz seiner Lust zu leben. Er verheiratete sich endlich, erhielt ein [384] kleines Gewese mitten in einem Walde in Besitz, ein bischen Land war auch dabei, und davon, besonders aber durch seine Jägerei, ernährte er die Seinigen. Es ging ihnen nur kümmerlich und oft hatten sie nicht das liebe Brot im Hause, denn die Jagd gibt nur einen unsichern Verdienst, ihr Land aber bestellten sie nachlässig. Einmal war er nun frühmorgens auch auf die Jagd gegangen und Abends hatte er noch nichts geschossen. Mißmütig und verstimmt begab er sich wieder auf den Weg nach Hause; da erblickte er, wie er einmal aufsah, in einiger Entfernung vor ihm einen Fremden, der auch auf der Jagd gewesen sein mußte, denn er trug Büchse und Jagdtasche. Der Jäger verdoppelte seine Schritte, um ihn einzuholen; aber es war sonderbar, so sehr er auch eilen mochte, so blieb der Fremde doch immer gleich weit von ihm entfernt, obgleich er ganz seinen ruhigen Gang behielt. Der Jäger legte endlich den Zeigefinger in den Mund und pfiff nach Jägerart: der helle schrillende Ton drang weithin durch die Nacht, ein paar Raben wurden aus den alten Bäumen, die in der Nähe standen, aufgeschreckt und erfüllten mit unheimlichem Gekrächze die Luft, aber der Fremde schien nichts gehört zu haben, sondern ging ohne sich umzusehen weiter. Als er aber einen Kreuzweg erreichte, stand er mit einem Male stille und wandte sich um gegen den Jäger. Er war ein hübscher junger Mann und grüßte freundlich. Der Jäger erwiderte den Gruß und bemerkte sogleich, wie des Fremden Jagdtasche überaus wohlgefüllt war. Seine erste Frage war natürlich, wie er zu all dem Reichtum käme, da ihm selber keine Mühe und Geschicklichkeit in letzter Zeit etwas gefruchtet hätten. Der Fremde antwortete, daß er sich im Besitze eines großen Geheimnisses befinde, das mache aber, daß sein Visier niemals trüge und seine Kugel nie fehle. Darauf tat er, als wollte er gleich abbiegen, aber der Jäger ward nur noch begieriger, hielt ihn zurück und bat ihn um Mitteilung des Geheimnisses, er wollte es ihm auch so danken, wie er nur immer könne. Der Fremde sprach: »Ich verlange weiter keinen Dank von dir, als die Erfüllung einer Bedingung. Wenn du mir nämlich mit einem Eide versprechen willst, mein Geheimnis keinem Dritten zu verraten, so will ich es dir wohl anvertrauen. Das ist die einzige, aber notwendige Bedingung.« Der Jäger war gleich bereit, den Eid zu leisten. In dem Augenblicke, als er nun die Hand erhub, kamen die Raben vom Walde herüber und umflogen laut krächzend erst in weiten, dann in immer engern Kreisen die beiden Männer, während der Fremde dem Jäger das Geheimnis anvertraute; als die beiden voneinander Abschied nahmen, verloren sich die Vögel nach verschiedenen Richtungen hin.
Seit dem Abend war der Jäger wie verwandelt. Tagelang blieb er wider seine frühere Gewohnheit im Hause, er ging stumm und in sich gekehrt umher und wich allen Fragen seiner Frau aus. Die aber ließ nicht nach in ihn zu dringen und endlich in einer schwachen Stunde brachte sie ihn dahin, daß er ihr die ganze Sache verriet. Da meinte sie, er könnte es doch einmal damit versuchen, vielleicht hülfe es ihnen mit [385] einem Male aus aller Not, er sollte sich nur nicht so lange bedenken, denn die Sünde könnte doch nicht so groß sein und was dann ihre Reden weiter waren, genug, sie sprach ihm so lange was vor, daß er sich entschloß, das Mittel, das ihm der Fremde angeraten, zu versuchen. Will man nämlich einen Freischuß erhalten, so muß man einmal sein Gewehr mit einer Oblate laden, die vom Altar aus der Kirche entwendet ist; und das hatte der Fremde dem Jäger auch geraten. Am nächsten Sonntag ging also der Jäger zur Kirche und tat als wenn er sich das Abendmahl reichen ließe, aber er nahm die Oblate mit nach Hause. Dann nahm er seine Büchse von der Wand, nahm zugleich ein weißes Tuch mit und ging in den Wald hinaus auf einen freien Platz, um alles so auszuführen, wie ihm vorgeschrieben war. Die Sonne stand im Mittag, er breitete das weiße Tuch auf dem Boden aus, stellte sich mit den Füßen darauf und lud seine Büchse, statt des Bleis aber gebrauchte er die Oblate. Dann richtete er den Lauf gegen die Sonne und schoß los. Augenblicklich fuhr eine schwarze Wolke auf und bedeckte den Himmel, Donner und Blitze brachen los, und es war in einem Nu ein Unwetter da, als wolle die Welt untergehn. Der Jäger wollte sich nach Hause flüchten, er bückte sich, um noch das weiße Tuch aufzunehmen, da war die Stelle seiner Fußstapfen mit frischem Blute gezeichnet; in Todesangst rannte er davon. Als er aber sein Haus erreichte, da stand das in hellen Flammen und Weib und Kinder stürzten ihm jammernd entgegen. Zu gleicher Zeit stand der Fremde von neulich wieder vor ihm, der kein andrer gewesen war, als der Teufel selber, und zeigte ihm an, daß er von nun an ewig jagen müsse, sein Weib und seine Kinder aber sollten ihn als Hunde begleiten. Seit dieser Zeit wohnt er nun den Tag über bei den alten Bäumen im Walde bei den beiden Raben, Nachts aber zieht er sausend unter vielem Geräusch durch die Luft, begleitet von seinen Hunden. Das nennen die Leute jetzt die wilde Jagd. Wenn man ihn ziehen hört und das Rufen und Bellen nachmacht, so wirft er mit Knochen herunter. Er muß aber diese Strafe dulden bis an den jüngsten Tag und kann nicht eher Ruhe finden.
Mündlich aus Marne in Dithmarschen. – Das Stück ist vielleicht vom Harze eingewandert, weil es wenigstens von einem dorther eingewanderten, jetzt verstorbenen Weber oft erzählt ward. Doch ist die Sage vom Freischützen sehr verbreitet, auch im Harz bekannt (bei Harrys, Sagen Niedersachsens II, S. 22), wie sie hier bei uns z.B. auch von einem glücksburgischen Jäger erzählt wird. S. unten. Den wilden Jäger kennt man in Dithmarschen und die Verknüpfung beider Sagen kann also auch leicht da geschehen sein; jener Erzähler hatte während seines Aufenthalts in unserm Lande auch eine Menge einheimischer Geschichten eingesammelt, die er gerne nebst seinen übrigen Erfahrungen auszukramen pflegte. – Mones Anzeiger VII, 223; vgl. Nr. 235.