317. Teufel über Teufel.

Ein Kreuz an die große Haustür gemalt, sichert gegen die Hexen; auch ist es gut, eine beim Abendmahl entwendete Oblate im Hause zu haben. Ist das Vieh behext und kann man nicht abbuttern, so müssen Kühe, Karnen und Stappen abends stillschweigend geräuchert werden. Gewöhnlich kommt dann die Hexe und begehrt Einlaß, aber man muß dann überhaupt keinen herein lassen, wenn auch noch so stark an die Tür gepocht wird. Bringt man einen Topf mit Milch zum Kochen, so muß, wenn die Milch überkocht und ins Feuer läuft, die Hexe verbrennen.

In einem Hause in Wilster war ein Kind krank. Eine kluge Frau sagte, es wären Schelmstücke dabei, man müsse es ausräuchern, nachts um zwölf Uhr, bei verschlossenen Türen. Dann würde der kommen, der's ihm angetan, und sich irgendein Gewerbe machen; man müsse aber Blut von ihm auf ein Tuch zu bekommen suchen und das verbrennen. Zur richtigen Zeit verschloß man die Tür, verhing auch die Fenster bis fast [213] oben hinauf mit Laken, dann räucherte man das Kind, alles, wie es die kluge Frau befohlen hatte. Das Haus hatte aber noch nach alter Art Fensterladen, die heraufgeklappt wurden; unter jedem Fenster also hing eine große Klappe, darauf man stehen und oben ins Fenster sehen konnte, wenn sie nicht aufgeschlagen waren. So war es gerade hier. Als sie das Kind räucherten und die Uhr war noch nicht zwölf, da plötzlich schaute die Hexe oben übers Laken weg in die Stube, der Mann springt hinaus, schlägt der Hexe ins Gesicht und fing mit einem Tuch das Blut auf. Als man das verbrannt hatte, war das Kind gesund.

In der Nähe von Büsum wohnte ein reicher Bauer, der hatte eine einzige Tochter, die er über alles liebte. Aber seine alte Schwiegermutter war eine Hexe; die Leute wußten, daß sie sich schon zu verschiedenen Malen in Katzen oder andre Tiere verwandelt hatte, sie hatte es auch bei Gesellschaften gemacht, daß die ganze Stube voll von Raben kam und die Gäste es verlaufen mußten. Tieren und Menschen tat sie Böses an; wenn jemand in ihrem Hause übernachtete und die Pantoffeln umgekehrt vorm Bette standen, so kam sie gleich, wenn sie meinte, die Leute schliefen, herein und setzte die Pantoffeln um. Das ist ein sicheres Zeichen, daß sie eine Hexe war. Denn die tun das immer, weil sie sonst keine Gewalt über den Schlafenden haben. Nun müssen alle Hexen aber immer einen aus ihrer Familie quälen. Die alte Schwiegermutter gönnte dem Bauern nicht sein Glück und tat endlich seiner Tochter das Schlimmste an. Sie schenkte ihr auf eine Zeit ein neues schönes Kleid. Die Tochter, an nichts Arges denkend, wollte es zum nächsten Sonntag zur Kirche anhaben. Aber kaum hatte sie es überm Leibe, so stiegen ihr die Haare zu Berge, sie wurde ganz wild aus den Augen sehen und wußte sich vor innerlichem Brand nicht mehr zu lassen. Sie ging gegen Fenster und Türen an, wie eine wilde Katze, raste und wütete gegen jeden, ohne einen zu kennen, und nur mit Mühe gelang es den Leuten endlich, sie zu Bett zu bringen und zu entkleiden. Da ging die Wut zwar vorüber, aber die größte Schwäche und Ermattung trat ein. Und so lag sie lange Zeit und schwand immer mehr hin; kein Arzt konnte helfen, denn alle gestanden, daß sie die Krankheit nicht verstünden. Darüber waren die Eltern ganz untröstlich. Kluge Leute, an die sie sich wandten, sagten ihnen zuletzt, daß ein altes Weib ihre Tochter unterhätte, aber sie vermochten auch nichts gegen sie. Nur in Hamburg wäre ein Mann, wenn der nicht helfen könnte, so wäre alles vergeblich. Der Bauer wollte nichts unversucht lassen; er fuhr sogleich von Büsum aus nach Hamburg, sprach mit dem Mann, und nachdem er ihm den ganzen Hergang der Sache erzählt, schlug der sein großes Buch auf, das mit Buchstaben geschrieben war, die kein Mensch außer ihm verstand. Nach einer Viertelstunde sagte er dem Bauern, seine Tochter hätten allerdings die Hexen unter, er wollte ihm aber eine Kruke Medizin mitgeben, die wohl helfen sollte, wenn er sie nur heil nach Hause brächte; der böse Feind werde aber alles tun, sie entzwei zu machen. Der Bauer erhielt [214] am andern Tage von dem Wunderdoktor die Kruke, wohl verpackt, setzte sich wieder zu Schiff und kam ohne ein Hindernis bald und glücklich nach Büsum. Aber nun mußte es doch noch verkehrt gehen. Der Schiffsjunge sollte den Korb mit der Kruke ans Land und in das Haus des Bauern bringen, kaum aber kam er damit auf festen Boden, so erhob sich der Sand wie eine Wasserhose, warf den Jungen nieder und schleuderte ihm den Korb aus der Hand, daß die Kruke in tausend Scherben ging. Die Reise war also umsonst. Aber ohne sich lange aufzuhalten, machte der Bauer sich gleich wieder auf den Weg zum Wunderdoktor und klagte ihm sein Unglück. Der Mann sagte, daß es ihm nun schon viel schwerer geworden sei, er sollte aber nur nach zwei Tagen einmal wieder kommen. Da hatte der Wunderdoktor unterdes alles in Ordnung gebracht, die Kruke eingepackt und empfahl dem Bauern nochmals die größte Behutsamkeit; es bliebe immer zwar noch ein Mittel, seine Tochter zu retten, aber dazu entschlösse er sich selber ungern, noch würde der Bauer es gerne tun. Der Bauer machte diesmal die Reise zu Lande, den Korb mit der Kruke hatte er in dem Kasten unter seinem Wagenstuhl stehen, so kam er auch ganz glücklich wieder in die Nähe seines Hauses. Schon war er auf eignem Grund und Boden, als der Wagen auf ebner Erde plötzlich umschlug, und wenn der Bauer auch keinen Schaden nahm, so war die Kruke doch wieder entzwei. Dem Bauern lag die Rettung seiner armen Tochter sehr am Herzen; er ließ sich keine Ruhe. Zwar wollte seine Frau, und noch mehr seine alte Schwiegermutter, ihn diesmal zurückhalten, er sollte von der großen Anstrengung erst ausruhen, aber es half nichts, er setzte sich auf sein Pferd und in zwölf Stunden war er wieder oben in Hamburg. Er ritt gleich bei dem Wunderdoktor vor und erzählte ihm alles. Der Mann sagte, daß ihnen nun also nichts anderes übrig bliebe, als die alte Hexe in Öl zu Tode zu kochen. Ehe sie aber dies Mittel ergriffen, sagte er zu dem Bauern, wollte er ihm doch erst die zeigen, die seine Tochter unterhätte. Er ging darauf in die Stube nebenan, murmelte mit allerlei Hokuspokus da seine unverständlichen Sprüche her und kam dann nach einer Viertelstunde wieder herein mit einem großen Spiegel unterm Arm. Den stellte er auf den Tisch und forderte den Bauern auf hinein zu sehen. Das tat dieser und erkannte sogleich seine alte Schwiegermutter darin. Er ward ganz traurig darüber, als er es aber bedachte, was seine Tochter zu leiden hätte und wenn das so fortginge, in kurzer Zeit es mit ihr vorbei sein würde, da entschloß er sich und sagte zum Wunderdoktor, er sollte seine Sache nur machen, käme auch darnach, was da wollte. Der Wunderdoktor bestellte ihn nun auf den andern Mittag wieder zu sich. Zur rechten Zeit fand sich der Bauer ein, der Doktor brachte ihn in ein besonderes Zimmer und entfernte sich darauf. Nach einer Stunde aber rief er ihn hinaus in die Küche. Da hatte er einen großen Kessel zu Feuer, tat Öl und andre Sachen unter allerlei Sprüchen und Zeremonien hinein und verschloß ihn dann dicht mit einem schweren [215] Deckel. Bald fing es in dem Kessel an zu arbeiten, es ward immer lauter und lauter darin und der Bauer glaubte einen Menschen jammern zu hören. Dann wollte es nicht länger darin bleiben und durchaus Luft haben und arbeitete mit aller Macht gegen den Deckel an. »Nun gilt's« sagte der Doktor, sprang hinzu und hielt ihn mit aller Gewalt nieder. Bald rief er auch noch den Bauern zu Hilfe, und nur mit der größten Mühe gelang es den beiden zu verhüten, daß nichts überlief. Als es ausgekocht hatte, ward es immer stiller und stiller, und als es am Ende ganz ruhig war, sagte der Wunderdoktor: »Nun ist eure Tochter gerettet und die Alte ist gewesen.« Dem Bauern ward unheimlich, und obgleich ihn die Nachricht freute, kam's ihm doch bei dem Arzt gar nicht mehr so recht geheuer vor. Er machte schnell seine Rechnung und eilte in seine Herberge, und mit dem frühsten am andern Tage setzte er sich zu Pferde und ritt nach Hause. Als er ins Haus trat, da kam ihm schon seine Tochter gesund und munter entgegen und nun erzählten sie ihm, daß die alte Großmutter am vorigen Tage eines fürchterlichen Todes gestorben sei. Um Mittag hätte sie ein innerer Brand ergriffen, der von Minute zu Minute zugenommen. Im Bette hätte sie nicht ausgehalten; Fenster und Türen aufgerissen, die Kleider abgeworfen und sich auf dem Boden gewälzt und gekrümmt, und dabei geschrien und gejammert, daß man es weit habe hören können. Erst hoch am Nachmittage sei sie allmählich immer stiller geworden und habe zuletzt keinen Laut mehr hören lassen. Es hätte bis dahin niemand bei ihr dauern können; nun gingen sie hinein und fanden an der Stelle, wo sie gelegen, ein Häuflein Asche und einige verbrannte Knochen. Von Stund an aber war die Tochter gesund geworden und die hat nachher noch viele Jahre gelebt.

Aus Schwansen, aus Wilster und aus Dithmarschen. – Die Ausdrücke verschieren, beswögen, d.h. durch böse Künste, Blick, Berührung, Besprechen in »Undägt« (wörtlich Ungedeihen) bringen, führt Schütze Idiot. IV, 43 an. – Umgewandte Pantoffeln hindern auch den Alp ins Bett zum Schlafenden zu kommen. Ebendas. IV, 286. Vgl. Thiele, Danm. Folkes. II, 109.

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TextGrid Repository (2012). Müllenhoff, Karl. Märchen und Sagen. Sagen, Märchen und Lieder. Zweites Buch. 317. Teufel über Teufel. 317. Teufel über Teufel. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-4ADA-8