2.
Man weiß noch vieles von Störtebeker und Göde Micheel zu erzählen, und lange ist hier im Lande ein Lied von ihnen gesungen worden. Sie haben in Bombüll in der Wiedingharde, in der Uhlenflucht im Amt Steinburg, an der Stör nicht weit von Hohenaspe und Mehlbek, und [36] anderswo, auch in Dänisch Wohld und Angeln, ihre festen Burgen und Schlupfwinkel gehabt. In den Schwabsteder Mühlenberg haben Störtebeker und Göde Micheel eine große silberne Tafel vergraben, und so arg mit Seelen verbannt, daß es niemand noch gelungen ist, sie zu heben. Bei Puttlos, an der Ostsee in der Nähe von Oldenburg, wo sie auch einen Sitz hatten, haben sie viele unterirdische Gänge angelegt, und da ihre Schätze verborgen; sie konnten dadurch vom Schlosse bis an das wilde Wasser kommen, und hatten ihren Ausgang beim Weinberg, einem Holz auf einem Berge. Daher hat man noch heute in Oldenburg das Sprichwort: »Du kümms tau laat in'n Wienbarg.« Da bei Oldenburg leben auch noch Nachkommen von Störtebeker.
Folgende Geschichte, sagen einige Leute, sei dem Görtmicheel passiert:
In Wandelwitz (oder in Kröß, wie andre sagen,) war einmal eine große hübsche Dirne. Aber auf einmal verschwand sie, und man wußte nicht, wo sie geblieben war. Die beiden Eltern grämten sich Tag und Nacht um das einzige Kind; aber alles Suchen war vergebens. Es vergingen sieben Jahre und fast hatte man sie schon vergessen; da war sie mit einem Male wieder da, und niemand wußte wieder, wo sie hergekommen sei. Die Freude der Eltern war groß; aber keiner konnte von ihr es herausbringen, wo sie so lange gewesen; sie sagte, daß sie es nicht verraten dürfe. »So klag es dem großen Stein, der neben der Seitentür liegt«, sagte die Mutter. Da ging die Tochter hin, kniete nieder und sprach:
Stein, ich klag Dir meine Not,
Der Räuber hat mich nach dem Weinberg weggeholt.
Und sie erzählte weiter, daß sie die sieben Jahre bei ihm gewesen sei und ihm sieben Kinder geboren hätte; sie hätte immer gerne einmal wieder nach Hause gewollt, aber der Räuber hätte es nicht haben wollen; sonst hätte sie es gut bei ihm gehabt und könnte über nichts klagen. Endlich habe sie Erlaubnis erhalten, aber ihm vorher versprechen müssen, keinem zu sagen, wo sie so lange gewesen sei, und er hätte geschworen, wenn sie nicht wieder käme, würde er ihren Kindern die Köpfe abhauen und diese auf einen Weidenzweig ziehen; käme sie aber wieder und hätte sie ihn verraten, so würde er sie dazu umbringen.
Während der Zeit, daß sie dem Stein das klagte, stand die Mutter hinter der Tür und hatte alles gehört, und weil sie ihre Tochter gerne retten wollte, ersann sie eine List.
Als diese zur bestimmten Zeit nach der Höhle zurückkehren wollte, sagte die Mutter: »Hier ist ein Beutel mit Erbsen; den nimm und wie du gehst, laß eine Erbse nach der andern fallen bis dahin, wo der Räuber wohnt.« Die Tochter merkte wohl, was die Mutter im Sinne hatte. Sie hatte den Räuber lieb gehabt; aber da sie nun wieder zu ihm sollte, graute ihr doch vor ihm. Sie nahm daher den Beutel und tat wie ihr gesagt war. Der Räuber war hocherfreut, als sie wieder kam, und nahm sie aufs beste auf. Aber bald kam sie ihm doch wunderlich vor, und er wußte [37] nicht was er denken sollte. »Komm«, sagte er, »kämme mir das Haar und lause mich ein wenig!« Und damit legte er ihr seinen Kopf in den Schoß. Wie sie nun saß, und tat wie er gesagt hatte und sie daran dachte, daß sie ihn verraten habe und er sie doch immer so lieb gehabt hätte, und nun wohl bald die Leute aus dem Dorfe kämen und ihn totschlügen, da ward ihr weich und die Tränen fielen ihr aus den Augen nieder in den Schoß. Als der Räuber nun die warmen Tropfen im Gesicht fühlte, da sprang er auf, ergriff ihre Kinder und tötete eins nach dem andern, zog die Köpfe auf einen Weidenzweig und hängte sie in der Höhle auf. Das mußte sie erst all mit ansehn, und darauf wollte er sich auch über sie her machen. Aber da kamen die Wandelwitzer eben zur rechten Zeit (die Mutter hatte ihnen den Weg gezeigt) und überfielen den Räuber und töteten ihn. Also ward die Tochter gerettet; sie ward in ihrem Leben aber nicht wieder froh und glücklich.
Mündlich und nach Mitteilung des Herrn Schullehrers Knees in Neumünster. – Ähnlich erzählt man eine Räubergeschichte an einer Stelle an der Landstraße zwischenFlensburg und Husum. Die Räuber hatten einen Zwirnsfaden über den Weg gespannt, der eine Glocke in der Höhle anzog; s. Nr. 324. Thiele, Danm. Folkes. I, 361 f. Ein kleines Bettelmädchen, das sie bei sich hatten und das alles für sie einkaufen mußte, verriet endlich alles einem Stein, was Feldarbeiter hörten. Am Sonnabend streut sie Grütze etc. Vgl. Thiele, Danm. Folkes. I, 235, 373, 376. – Vom Papendöneke, einem Räuber, von dem man in Mecklenburg (Firmenich S. 71; Hilscher, Dresdener Totentanz), Lübeck und Hamburg viel zu erzählen weiß, erzählt man in Lauenburg: Papendöneke hatte seine Höhle dicht am Ratzeburger See und beraubte die Lübecker Kaufleute. Jedes Weib, das er raubte, beschlief er, und sobald sie ein Kind geboren, tötete er dasselbe und dann die Frau. Seine siebente Frau hatte er aber zu lieb, er tötete nur ihr Kind, und zog die Köpfe seiner sieben Kinder auf eine Schnur und tanzte herum:
So danzet he, So danzet he, So danzt de Papendöneke Mit sine sœwen Söneke.
Er beschenkte die Frau mit Gold, Edelsteinen und kostbaren Kleidern, und sie erhielt endlich die Erlaubnis, zu Markt zu gehen, nachdem sie mit einem Eide geschworen, keinem Menschen etwas zu verraten. Auf dem Markt in Ratzeburg begegnet ihr aber ihr Bruder, er erkennt sie und fragt, verwundert über ihren Reichtum. Sie kann ihm nicht viel sagen, sondern kauft sich einen Scheffel Erbsen, stellt sich an den großen Stein in der Langebrüggerstraße und klagt dem ihre Not. Darauf nach Hause gehend streut sie Erbsen etc. Papendöneke wird in Lübeck gerichtet. – Vgl. Kuhn, Märk. Sagen Nr. 211, und Harrys Sagen Niedersachsens I, 53.