1.
Graf Geerts Sohn Hinrik begab sich in den Dienst des Königs von Engelland und verrichtete große Taten. In einer Schlacht (bei Cressy) nahm er den König von Frankreich, oder wie andre sagen, den König von Böhmen gefangen mit zween seiner Ritter, indem er ihn bei den beiden [24] güldenen Ketten ergriff, die er am Halse trug, und aus dem Haufen an sich zog. Die Engelländer aber töteten aus Abgunst den König, damit Hinrik nicht den Ruhm behielte. Doch ist er wegen dieser herrlichen Tat der Isern Hinrik genannt worden, und der König von Engelland hielt ihn hoch, und machte ihn zu einem Hauptmann in seinem Heere.
Darüber wurden die Englischen noch neidischer. Als Isern Hinrik darum einmal auf Fütterung mit seinen Leuten ausgegangen, fielen sie ihn feindlich an; aber die Schützen der Holsten zogen voran, trafen viele und manche der Englischen mußten tot auf dem Platze bleiben. Der König selber kannte der Seinen Hinterlist wohl und hörte auf ihre Klagen nicht, sondern hatte den Grafen nur desto lieber.
Es war auf eine Zeit aber der König in fremden Landen; Graf Hinrik aber blieb auf dem Schlosse samt der Königin, der die Verleumder immer in den Ohren lagen und sprachen: »Es hat der König diesen deutschen Sachsen vielen in Engelland von hohem Adel fürgezogen; wer weiß aber oder will glauben, ob er auch einer vom Adel ist und sich nicht bloß um sein Glück zu machen dafür ausgegeben hat? Es ist die Natur des Löwen, daß er einem gebornen Herrn kein Leid tut: lasset uns versuchen, ob der Graf Hinrik einer sei.« Also gewannen sie die Königin, die dem Grafen auch nicht die Ehre in ihrem Lande gönnte, und da sie wußten, daß er sich des Morgens vor Tage in die frische Luft zu begeben pflegte, und im Schloß herumspazierte und dann nachsah, ob alles recht verwahret sei, so ließen sie eines Abends den Löwen los, den der König sich hinter einem Gitter eingesperrt hielt, und dachten er solle den Grafen als einen unedlen zerreißen.
Graf Hinrik stund des Morgens, wie er pflegte, in der Dämmerung auf, und schlug einen langen Mantel nackend um, hängte ein Messer an einem Riemen um den Hals und ging also in den Hof hinunter. Wie er herab kam und sich nichts besorgte, sprang der Löwe ihn grimmig an und brüllte. Der Graf aber unverschrocken griff an sein Messer und sprach mit ernstlicher Stimme: »Bis stille, bis stille, du frevellicher Hund!« Und alsobald legte sich der Löwe stumm zu des Grafen Füßen. Darüber verwunderten sich alle die andern, die heimlich zugesehen hatten; der Graf aber nahm ihn und führte ihn wieder in seinen Stall.
Presbyter Bremens. bei Westphalen III, 86 ff.; Albert Kranz, Saxon. IX, 24. Johann Petersen S. 91. – Die Sage vom Löwen ward später auf den Herzog Adolf übertragen; s. unten Nr. 27. Albert Kranz erzählt dieselbe auch als eine ungarische, und Bechstein, Thüring. Sagen I, 73 vom Landgrafen Ludwig, Thiele, Danm. Folkes. I, 67 von Christian IV.