5. Siegfried und Starkad.

In Norwegen lebte ein Held mit Namen Starkad; der war von allen Männern im Norden der weitberühmteste: an Klugheit, Stärke und großen Taten mochte keiner sich ihm vergleichen. Da er nun hörte, daß König Frode von Dänemark von allen Königen der reichste und mächtigste sei, begab er sich zu ihm in seinen Dienst. Da erhielt Frode Kunde von einem mächtigen Könige in Deutschland, der in Worms am Rheine wohnte und Günther hieß. Weil ihm nun schon viele Könige untertan waren, schickte er auch an diesen Boten und ließ Schatz fordern, oder er dürfe Krieg gewärtig sein. Aber der deutsche König wollte sich nicht so schimpflich gleich einem Dänen unterwerfen, sondern erst den Krieg versuchen. Er riefSiegfried, den Mann seiner Schwester, zu sich; der war von allen deutschen Helden, die je vor und nach ihm lebten, der herrlichste. Schon in seiner Jugend erschlug er einen Drachen und badete sich in seinem Blute; davon war seine Haut so fest geworden, daß kein Eisen sie verschnitt. Siegfried war schön und jung, kräftig und kühn. Sie zogen hinauf nach Dänemark und als sie nach Holstein an die Eider kamen, fanden sie auf einer Insel schon den Walplatz abgesteckt. Bald kam auch Frode mit Starkad und mit sei nem Heer von Norden her, und Dänen und Deutsche rannten heftig gegeneinander; es geschah eine große Schlacht und viele starben auf beiden Seiten. Starkad drang grimmig vor und streckte Männer und Rosse nieder, so daß sie niemals wieder aufstanden. Als Günther seine Leute fallen sah, den Mann aber nicht kannte, sprach er zu Siegfried: »Wenn du dem nicht wehrest, so wird es uns nimmer gut gehn.« Da machte sich Siegfried auf mit wenigen Männern, unwillig folgten sie ihm, und drang auf Starkad ein. Als er zu ihm kam, fragte er laut, wie er heiße und woher er wäre. »Ich heiße Starkad«, war die Antwort, »und bin aus Norwegen«. »So habe ich oft von dir reden hören«, sagte Siegfried, »aber selten etwas Gutes; solche Leute soll man fürs Unheil nicht länger sparen«; und damit wollte er ihn anrennen. Starkad aber fragte: »Wer bist du denn, der du mich so in Worten lästerst?« Da nannte Siegfried seinen Namen. »Bist du denn der, der den Drachen erschlug?« »So ist es«, sagte Siegfried. Da wandte Starkad sich eilend um und floh; aber Siegfried lief ihm nach, schwang sein Schwert und gab ihm mit dem Griffe in der Faust einen Schlag auf den Kinnbacken, daß er zerbrach und dem Dänen zwei Zähne aus dem Munde fielen. Das war ein schmählicher Hieb, der ihn zeitlebens entstellte. Starkad war schimpflich besiegt; da hielten auch die Dänen nicht länger stand und die Deutschen gewannen große Beute. Frode hat später keinen Schatz [8] wieder von Günther gefordert. In deutschen Liedern heißt es, daß dieser ihn seines Reiches beraubt habe. Andere sagen, Günther habe den Dänenkönig erschlagen.

In der Kirche zu Lund in Schonen hat man nachher noch lange als Merkwürdigkeit einen jener Zähne Starkads gezeigt. Er war an einem großen Stricke aufgehängt und wog seine vollen sieben Lot.

Siehe Nordalbing. Studien Bd. I (1844) S. 191 ff.

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TextGrid Repository (2012). Müllenhoff, Karl. Märchen und Sagen. Sagen, Märchen und Lieder. Erstes Buch. 5. Siegfried und Starkad. 5. Siegfried und Starkad. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-4661-5