Das Geisterroß

Durch den dreigeteilten Bogen,
Des Triumphes prangend Tor,
Durch die lauten Menschenwogen
Dort zum Kapitol empor
Lenkt den Tanz der weißen Pferde
Cäsars lässige Gebärde.
Hinter des Triumphes Wagen
Duldend oder grollend gehn
Überwundne. Ketten tragen
Cäsars lebende Trophän.
»Dieser!« höhnt es im Gedränge,
»Dieser Trotz'ge!« zischt die Menge.
[131]
Unberührt vom Hohn der Stunde,
Starren, traumgefüllten Blicks,
Geht, ein Singen auf dem Munde,
Ruhig Vercingetorix –
Fremde Weise, fremde Worte,
Mit dem Geist an fremdem Orte:
»Cäsar, blendend weiße Rosse
Hat Hispanien dir gebracht!
Ellid, edler Ahnen Sprosse,
Dunkel ist er wie die Nacht –
Deine Schimmel, deine viere,
Tauscht ich nicht mit meinem Tiere...
Ellid heißt der wackre Jager
Stark von Wuchs und fest im Bug
Welcher mich ins Römerlager
Mit gewalt'gen Sprüngen trug...
Der zum Opfer ich gegeben
Mich für meines Volkes Leben!
Dreimal flog ich um im Kreise,
In der Faust des Schwertes Blitz,
Noch im Lauf, nach Gallier Weise,
Sprang ich ab vor Cäsars Sitz...
Schwarzer Ellid, zu den Toten
Send ich dich als meinen Boten!
Wie er mir ins Antlitz schnaubte,
Stieß ich, Blick versenkt in Blick,
Hinter seinem mächt'gen Haupte
Stracks das Schwert ihm durchs Genick...
Daß mir eines Rosses Ehre
Mangle nicht im Geisterheere.
Ellid sprengt seit langen Jahren
Mitten in der bleichen Jagd,
Wann daheim die Toten fahren
Durch die Wälder, bis es tagt...
Sehn sie meinen led'gen Renner,
Wundern sich die stillen Männer...
[132]
Lange Jahre lag gebunden
Ich in feuchter Kerkergruft –
Kettenschwere, dumpfe Stunden –
Endlich wieder Tag und Luft –
Ellid, schwarzer Ellid, spute
Dich! Du witterst, wo ich blute!
Heute endlich! Endlich heute!
Wann der Kahle schwelgt am Mahl,
Würgt er seine Siegesbeute.
Mit dem letzten müden Strahl,
Wann die Sonne niedergleitet,
Wird mir Block und Beil bereitet.
Henker, nimm das Beil zu Händen!
Nicht das Beil?... So nimm den Strang!
Droßle mich! Nur enden, enden!
Letzte Schmach! Sie währt nicht lang...
Ellids kurzes Hufgestampfe
Dröhnt in meinem Todeskampfe!
Sterbend pack ich Ellids Haare,
Ein Befreiter spring ich auf,
Fahre, schwarzer Ellid, fahre!
Nach der Heimat nimm den Lauf!
Wogen tosen! Rhodans Stimme!
In den Strom, mein Tier, und schwimme!«
Cäsars Schimmel blähn die Nüstern.
»Ave Triumphator!« schallt.
Des Gebundnen Lippen flüstern:
»In der Heimat bin ich bald!
Ellid mit gestrecktem Jagen
Wird mich nach der Heimat tragen!«

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TextGrid Repository (2012). Meyer, Conrad Ferdinand. Gedichte. Gedichte (Ausgabe 1892). 6. Götter. Das Geisterroß. Das Geisterroß. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-3633-C