LVIII
Herzog Ulrich
Er war's! Mir pocht das Herz von Groll bewegt
Und jede Fiber zittert aufgeregt.
Er war's! Er stand auf meiner Friedensstatt,
Der mir den Vetter Hans erschlagen hat,
[439]Der ihm, zu seinem Weib entbrannt in Lust,
Den Degen meuchlings rannte durch die Brust,
Der ihm, da bang er mit dem Tode rang,
Ein Henker! um den Hals den Gürtel schlang,
Den ich vertrieb von seiner Väter Herd,
Mit meines Gurts und meiner Rede Schwert,
Auf dessen Spur ich wies den Furienchor,
Auf dessen Scheitel ich die Acht beschwor...
Ich saß im Hauskleid still am Hügelrand,
Ein philosophisch Büchlein in der Hand,
Da hört ich einen Fremden halb bezecht
Den Schaffner loben, wie man lobt den Knecht.
Ich kannte dieser hohen Stimme Schrein!
Er lachte widrig – er gewahrte mein.
Der Trunkne trat mit vollem Humpen vor –
Mir sträubte sich vor Graus das Haar empor;
Mich starr betrachtend, zweifelnd, ungewiß:
»Trink«, schrie er, »siecher Bettler und vergiß!«
Ich bin der Hutten, rief ich, den du kennst!
Er lallte: »Grabentstiegenes Gespenst!«
Ihn stieß ich weg, daß er den Wein vergoß,
Der purpurn über seine Hände floß.
Mit roten Händen, wie im Walde dort
Von meines Vetters Leiche, stürzt' er fort.
Verschollen bin ich auf der Erde schon!
Er wußte nicht, daß ich hieher geflohn.
Warum betrat er meine Friedensflur,
Der Bösewicht, dem ich Verderben schwur?
[440]Der Schaffner wirbt! Schon lange weiß ich drum!
Es treibt sich öfter hier Gesindel um.
Zum Lachen ist's! An meinem Sterbehaus
Hangt Herzog Ulrichs Werbefähnlein aus!
Um Blut gefeilscht wird neben meiner Gruft
Und Schweizerlanzen führen heim den Schuft.
Es scheint, er ist in Zürich angesehn,
Man sieht ihn fleißig in die Predigt gehn.
Doch Ulrich Zwinglis lautres Auge kennt
Den Mann, in dessen Blick die Hölle brennt.
Er weiß, daß dieser wohlbeschaffne Christ
Ein Mörder und ein Ehebrecher ist.
Ich tat Bekenntnis meinem Glück zum Trutz,
Der schnöde Bube tut's aus Eigennutz!
Was mir aus tiefstem Herzen quoll empor,
Hält dieser Heuchler sich als Larve vor!
Mit Christi Jüngern sitzt im Tischverband
Wie Judas er, den Beutel in der Hand.
Der Schurke nahm den reinen Glauben an;
Potz Blut und Wunden, er hat wohlgetan!
Der Meuchler hat das reine Wort bekannt!
Darüber jubiliert das Schwabenland!
Der Gleisner Ulrich zahlt – es ist bequem –
Nicht für den Ulrich mehr von ehedem!
»Rom oder Luther«, spottet er beim Wein,
»Schuh oder Stiefel – Herzog will ich sein!«
Ich glaub's, daß er in Stuttgart Einzug hält –
Wer thront im Himmel? Wer regiert die Welt?
[441]Wir stehn in gleichem Lebensalter schier,
Um zehen Jahre schien er jünger mir!
Er ist in voller Manneskraft erblüht,
Ich welke mit verbittertem Gemüt!
Ich büße leichte Jugendsünde schwer,
Den Fluch des Bösen überwindet er!
Er atmet unbeklommen, altert heil,
Und ich? Mir keucht die Brust – das Grab mein Teil!
Er wird von einem guten Sohn geehrt,
Wann längst mich ekles Erdgewürm verzehrt...
Dort gleitet durch die Flut des Mörders Boot –
Kein Wetter brütet, keine Wolke droht!
Gerechtigkeit, bist du nicht außer Amt,
Wirf einen Blitz, der tötend niederflammt!
Dort fährt ein Mörder! Hör, Gerechtigkeit,
Was dir der Hutten in die Ohren schreit!
Der Himmel lacht in unverwölktem Licht –
He, hast du Ferien, himmlisch Hofgericht?
Die Waage falsch! Gefälscht das Schuldenbuch!
Wie Wetterlaunen walten Heil und Fluch –
Halt! Frevle nicht! Die Lästrung sei verweht!
Beleid'ge, Hutten, nicht die Majestät!