Wahrheitstraum

Ich bin im Traum gewesen
Am einstgen Paradies
Und hab ein Blatt gelesen,
Das streng zurück mich wies.
Ich hab im Traum gesehen
Ins Innre mir alsbald
Und wie es konnt geschehen,
Daß dieses Blatt mir galt.
Ich konnt im Traume schauen
Weit über alle Zeit
Und fühlte da ein Grauen
Vor meiner Ewigkeit.
Und als ich dann erwachte,
Blieb mir ein Ahnen kaum
Von dem, was er mir brachte,
Doch wars ein Wahrheitstraum.
[209]
Nun sinn ich täglich, stündlich,
Was auf dem Blatt wohl stand;
Es ist mir unergründlich
Und bleibt mir unbekannt.
Doch wenn ich im Gebete
Zu meinem Gott und Herrn
Recht gläubig, innig trete,
So sagt er mir es gern.
Dann macht der Traum als Wahrheit
Mich von der Sünde rein,
Und ich tret in die Klarheit
Des Paradieses ein.
[210]

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TextGrid Repository (2012). May, Karl. Gedichte. Himmelsgedanken. Wahrheitstraum. Wahrheitstraum. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-2FE0-0