15.
Von der Phyllide
Eines Morgens schaut ich gehen
Phyllis vor den Rosenstrauch,
Da sie nach gewohntem Brauch
Seine Zierden sahe stehen.
Damals kont ich nicht vergleichen
[10]Welches unter ihnen wol,
Weil sie beid an Schönheit voll,
Von dem Siege solte weichen.
Ob die Phyllis angenommen
Von den Rosen ihre Zier,
Oder ob vielleicht von ihr
Solche solchen Schein bekommen,
War gar übel zu bescheiden;
Denn ich hatt in ihren Glantz
Mich vertieffet also gantz,
Muste nur die Augen weiden.
Endlich hab ich doch erfahren,
Als der Sonne güldnes Rad
Traff den letzten Tages-Grad,
Daß die Rosen Diebe waren;
Weil sie hatten wollen gleichen
Und der Phyllis stehlen ab
Ihrer Farbe schönste Gab,
Musten bald sie drauff verbleichen.