Gotthold Ephraim Lessing
Wie die Alten den Tod gebildet
Eine Untersuchung

[Motto]

... Nullique ea tristis imago!

Statius


[407] Vorrede

Ich wollte nicht gern, daß man diese Untersuchung nach ihrer Veranlassung schätzen möchte. Ihre Veranlassung ist so verächtlich, daß nur die Art, wie ich sie genutzt habe, mich entschuldigen kann, daß ich sie überhaupt nutzen wollen.

Nicht zwar, als ob ich unser itziges Publicum gegen alles, was Streitschrift heißt und ihr ähnlich siehet, nicht für ein wenig allzu ekel hielte. Es scheinet vergessen zu wollen, daß es die Aufklärung so mancher wichtigen Punkte dem bloßen Widerspruche zu danken hat, und daß die Menschen noch über nichts in der Welt einig sein würden, wenn sie noch über nichts in der Welt gezankt hätten.

»Gezankt«; denn so nennet die Artigkeit alles Streiten: und Zanken ist etwas so unmanierliches geworden, daß man sich weit weniger schämen darf, zu hassen und zu verleumden, als zu zanken.

Bestünde indes der größere Teil des Publici, das von keinen Streitschriften wissen will, etwa aus Schriftstellern selbst: so dürfte es wohl nicht die bloße Politesse sein, die den polemischen Ton nicht dulden will. Er ist der Eigenliebe und dem Selbstdünkel so unbehäglich! Er ist den erschlichenen Namen so gefährlich!

Aber die Wahrheit, sagt man, gewinnet dabei so selten. – So selten? Es sei, daß noch durch keinen Streit die Wahrheit ausgemacht worden: so hat dennoch die Wahrheit bei jedem Streite gewonnen. Der Streit hat den Geist der Prüfung genähret, hat Vorurteil und Ansehen in einer beständigen Erschütterung erhalten; kurz, hat die geschminkte Unwahrheit verhindert, sich an der Stelle der Wahrheit festzusetzen.

Auch kann ich nicht der Meinung sein, daß wenigstens das Streiten nur für die wichtigern Wahrheiten gehöre. Die Wichtigkeit ist ein relativer Begriff, und was in einem Betracht sehr unwichtig ist, kann in einem andern sehr wichtig werden. Als Beschaffenheit unserer Erkenntnis, ist dazu eine Wahrheit so wichtig als die andere: und wer in dem allergeringsten Dinge[407] für Wahrheit und Unwahrheit gleichgültig ist, wird mich nimmermehr überreden, daß er die Wahrheit bloß der Wahrheit wegen liebet.

Ich will meine Denkungsart hierin niemanden aufdringen. Aber den, der am weitesten davon entfernt ist, darf ich wenigstens bitten, wenn er sein Urteil über diese Untersuchung öffentlich sagen will, es zu vergessen, daß sie gegen jemand gerichtet ist. Er lasse sich auf die Sache ein, und schweige von den Personen. Welcher von diesen der Kunstrichter gewogener ist, welche er überhaupt für den bessern Schriftsteller hält, verlangt kein Mensch von ihm zu wissen. Alles was man von ihm zu wissen begehret, ist dieses, ob er, seiner Seits, in die Waagschale des einen oder des andern etwas zu legen habe, welches in gegenwärtigem Falle den Ausschlag zwischen ihnen ändere, oder vermehre. Nur ein solches Beigewicht, aufrichtig erteilet, macht ihn dazu, was er sein will: aber er bilde sich nicht ein, daß sein bloßer kahler Ausspruch ein solches Beigewicht sein kann. Ist er der Mann, der uns beide übersieht, so bediene er sich der Gelegenheit, uns beide zu belehren.

Von dem Tumultuarischen, welches er meiner Arbeit gar bald anmerken wird, kann er sagen, was ihm beliebt. Wann er nur die Sache darunter nicht leiden läßt. Allerdings hätte ich mit mehr Ordnung zu Werke gehen können; ich hätte meine Gründe in ein vorteilhafteres Licht stellen können; ich hätte noch dieses und jenes seltene oder kostbare Buch nutzen können; – was hätte ich nicht alles!

Dabei sind es nur längst bekannte Denkmale der alten Kunst, die mir freigestanden, zur Grundlage meiner Untersuchung zu machen. Schätze dieser Art kommen täglich mehrere an das Licht: und ich wünschte selbst von denen zu sein, die ihre Wißbegierde am ersten damit befriedigen können. Aber es wäre sonderbar, wenn nur der reich heißen sollte, der das meiste frisch gemünzte Geld besitzet. Die Vorsicht erfoderte vielmehr, sich mit diesem überhaupt nicht eher viel zu bemengen, bis der wahre Gehalt außer Zweifel gesetzt worden.

Der Antiquar, der zu einer neuen Behauptung uns auf ein altes Kunstwerk verweiset, das nur er noch kennet, das er zuerst entdeckt hat, kann ein sehr ehrlicher Mann sein; und es [408] wäre schlimm für das Studium, wenn unter achten nicht sieben es wären. Aber der, der, was er behauptet, nur aus dem behauptet, was ein Boissard oder Pighius hundert und mehr Jahre vor ihm gesehen haben, kann schlechterdings kein Betrieger sein; und etwas Neues an dem Alten entdecken, ist wenigstens eben so rühmlich, als das Alte durch etwas Neues bestätigen.

Veranlassung


Immer glaubt Herr Klotz, mir auf den Fersen zu sein. Aber immer, wenn ich mich, auf sein Zurufen, nach ihm umwende, sehe ich ihn, ganz seitab, in einer Staubwolke, auf einem Wege einherziehen, den ich nie betreten habe.


»Herr Lessing, lautet sein neuester Zuruf dieser Art, 1 wird mir erlauben, der Behauptung, daß die alten Artisten den Tod nicht als ein Skelett vorgestellt hätten (s. Laokoon S. 85) eben den Wert beizulegen, den seine zween andern Sätze, daß die Alten nie eine Furie, und nie schwebende Figuren ohne Flügel gebildet haben. Er kann sich sogar nicht bereden, daß das liegende [409] Skelett von Bronze, welches mit dem einem Arme auf einem Aschenkruge ruhet, in der Herzoglichen Galerie zu Florenz, eine wirkliche Antike sei. Vielleicht überredet er sich eher, wenn er die geschnittenen Steine ansieht, auf welchen ein völliges Gerippe abgebildet ist. (s. Buonarotti Oss. sopr. alc. Vetri t. XXVIII. 3 und Lipperts Daktyliothek, zweites Tausend, n. 998) Im Museo Florentino sieht man dieses Skelett, welchem ein sitzender Alter etwas vorbläst, gleichfalls auf einem Steine. (s. Les Satires de Perse par Sinner S. 30) Doch geschnittene Steine, wird Herr Lessing sagen, gehören zur Bildersprache. Nun so verweise ich ihn auf das metallene Skelett in dem Kircherschen Museo (s. Ficoroni Gemmas antiq. rarior. t. VIII) Ist er auch hiemit noch nicht zufrieden, so will ich ihn zum Überflusse erinnern, daß bereits Herr Winckelmann in seinem Versuch der Allegorie S. 81 zwoer alten Urnen von Marmor in Rom Meldung getan, auf welchen Totengerippe stehen. Wenn Hr. Lessingen meine vielen Beispiele nicht verdrüßlich machen, so setze ich noch Sponii Miscell. Antiq. Erud. Sect. I. Art. III hinzu: besonders n. 5. Und da ich mir einmal die Freiheit genommen, wider ihn einiges zu erinnern, so muß ich ihn auf die prächtige Sammlung der gemalten Gefäße des Hrn. Hamilton verweisen, um noch eine Furie auf einem Gefäße zu erblicken. (Collection of Etruscan, Grecian and Roman Antiquities from the Cabinet of the Hon. Wm. Hamilton n. 6)«

Es ist, bei Gott, wohl eine große Freiheit, mir zu widersprechen! Und wer mir widerspricht, hat sich wohl sehr zu bekümmern, ob ich verdrüßlich werde, oder nicht!

Allerdings zwar sollte ein Widerspruch, als womit mich Hr. Klotz verfolgt, in die Länge auch den gelassensten, kältesten Mann verdrüßlich machen. Wenn ich sage, »es ist noch nicht Nacht«: so sagt Hr. Klotz, »aber Mittag ist doch schon längst vorbei.« Wenn ich sage, »sieben und sieben macht nicht funfzehn«: so sagt er, »aber sieben und achte macht doch funfzehn.« Und das heißt er, mir widersprechen, mich widerlegen, mir unverzeihliche Irrtümer zeigen!

Ich bitte ihn, einen Augenblick seinen Verstand etwas mehr, als sein Gedächtnis zu Rate zu ziehen.

[410] Ich habe behauptet, daß die alten Artisten den Tod nicht als ein Skelett vorgestellt: und ich behaupte es noch. Aber sagen, daß die alten Artisten den Tod nicht als ein Skelett vorgestellt: heißt denn dieses von ihnen sagen, daß sie überhaupt kein Skelett vorgestellet? Ist denn unter diesen beiden Sätzen so ganz und gar kein Unterschied, daß wer den einen erweiset, auch notwendig den andern erwiesen hat? daß wer den einen leugnet, auch notwendig den andern leugnen muß?

Hier ist ein geschnittener Stein, und da eine marmorne Urne, und dort ein metallenes Bildchen: alle sind ungezweifelt antik, und alle stellen ein Skelett vor. Wohl! Wer weiß das nicht? Wer kann das nicht wissen, dem gesunde Finger und Augen nicht abgehen, sobald er es wissen will? Sollte man in den antiquarischen Werken nicht etwas mehr, als gebildert haben?

Diese antike Kunstwerke stellen Skelette vor: aber stellen denn diese Skelette den Tod vor? Muß denn ein Skelett schlechterdings den Tod, das personifierte Abstraktum des Todes, die Gottheit des Todes, vorstellen? Warum sollte ein Skelett nicht auch bloß ein Skelett vorstellen können? Warum nicht auch etwas anders?

Untersuchung

Der Scharfsinn des Herrn Klotz geht weit! – Mehr brauchte ich ihm nicht zu antworten: aber doch will ich mehr tun, als ich brauchte. Da noch andere Gelehrte an den verkehrten Einbildungen des Hrn. Klotz, mehr oder weniger, Teil nehmen: so will ich für diese hier zweierlei beweisen.

Vors erste: daß die alten Artisten den Tod, die Gottheit des Todes, wirklich unter einem ganz andern Bilde vorstellten, als unter dem Bilde des Skeletts.

Vors zweite: daß die alten Artisten, wenn sie ein Skelett vorstellten, unter diesem Skelette etwas ganz anders meineten, als den Tod, als die Gottheit des Todes.

I. Die alten Artisten stellten den Tod nicht als ein Skelett vor: denn sie stellten ihn, nach der Homerischen Idee, 2 als den [411] Zwillingsbruder des Schlafes vor, und stellten beide, den Tod und den Schlaf, mit der Ähnlichkeit unter sich vor, die wir an Zwillingen so natürlich erwarten. Auf einer Kiste von Zedernholz, in dem Tempel der Juno zu Elis, ruhten sie beide als Knaben in den Armen der Nacht. Nur war der eine weiß, der andere schwarz; jener schlief, dieser schien zu schlafen; beide mit über einander geschlagenen Füßen. 3

Hier nehme ich einen Satz zu Hülfe, von welchem sich nur wenige Ausnahmen finden dürften. Diesen nämlich, daß die Alten die sinnliche Vorstellung, welche ein idealisches Wesen einmal erhalten hatte, getreulich beibehielten. Denn ob dergleichen Vorstellungen schon willkürlich sind, und ein jeder gleiches Recht hätte, sie so oder anders anzunehmen: so hielten es dennoch die Alten für gut und notwendig, daß sich der Spätere dieses Rechtes begebe, und dem ersten Erfinder folge. Die Ursache ist klar: ohne diese allgemeine Einförmigkeit, ist keine allgemeine Erkennlichkeit möglich.

Folglich auch, jene Ähnlichkeit des Todes mit dem Schlafe von den griechischen Artisten einmal angenommen, wird sie von ihnen, allem Vermuten nach, auch immer sein beobachtet worden. Sie zeigte sich ohnstreitig an den Bildsäulen, welche beide diese Wesen zu Lacedämon hatten: denn sie erinnerten den Pausanias 4 an die Verbrüderung, welche Homer unter ihnen eingeführet.

Welche Ähnlichkeit mit dem Schlafe aber läßt sich im geringsten denken, wenn der Tod als ein bloßes Gerippe ihm zur Seite stand?

»Vielleicht, schrieb Winckelmann, 5 war der Tod bei den Einwohnern von Gades, dem heutigen Cadix, welche unter allen Völkern die einzigen waren, die den Tod verehrten, also gestaltet.« – Als Gerippe nämlich.

Doch Winckelmann hatte zu diesem Vielleicht nicht den geringsten Grund. Philostrat 6 sagt bloß von den Gaditanern, [412] »daß sie die einzigen Menschen wären, welche dem Tode Päane sängen.« Er erwähnt nicht einmal einer Bildsäule, geschweige daß er im geringsten vermuten lasse, diese Bildsäule habe ein Gerippe vorgestellt. Endlich, was würde uns auch hier die Vorstellung der Gaditaner angehen? Es ist von den symbolischen Bildern der Griechen, nicht der Barbaren die Rede.

Ich erinnere beiläufig, daß ich die angezogenen Worte des Philostrats, τον ϑανατον μονοι ανϑρωπων παιανιζονται, nicht mit Winckelmannen übersetzen möchte, »die Gaditaner wären unter allen Völkern die einzigen gewesen, welche den Tod verehret.« Verehret sagt von den Gaditanern zu wenig, und verneinet von den übrigen Völkern zu viel. Selbst bei den Griechen war der Tod nicht ganz ohne Verehrung. Das Besondere der Gaditaner war nur dieses, daß sie die Gottheit des Todes für erbittlich hielten; daß sie glaubten, durch Opfer und Päane seine Strenge mildern, seinen Schluß verzögern zu können. Denn Päane heißen im besonderen Verstande Lieder, die einer Gottheit zur Abwendung irgend eines Übels gesungen werden. Philostrat scheinet auf die Stelle des Aeschylus anzuspielen, wo von dem Tode gesagt wird, daß er der einzige unter den Göttern sei, der keine Geschenke ansehe, der daher keine Altäre habe, dem keine Päane gesungen würden:


Ουδ' εσι βωμος, ουδε παιωνιζεται. –


Winckelmann selbst merket, in seinem Versuche über die Allegorie, bei dem Schlafe an, 7 daß auf einem Grabsteine in dem Palaste Albani, der Schlaf als ein junger Genius, auf eine umgekehrte Fackel sich stützend, nebst seinem Bruder, dem Tode, vorgestellet wären, »und eben so abgebildet fänden sich diese zwei Genii auch an einer Begräbnisurne in dem Collegio Clementino zu Rom.« Ich wünschte, er hätte sich dieser Vorstellung bei dem Tode selbst wiederum erinnert. Denn so würden wir die einzig genuine und allgemeine Vorstellung des Todes da nicht vermissen, wo er uns nur mit verschiedenen Allegorien verschiedener Arten des Sterbens abfindet. [413] Auch dürfte man wünschen, Winckelmann hätte uns die beiden Denkmäler etwas näher beschrieben. Er sagt nur sehr wenig davon, und das Wenige ist so bestimmt nicht, als es sein könnte. Der Schlaf stützet sich da auf eine umgekehrte Fackel: aber auch der Tod? und vollkommen eben so? Ist gar kein Abzeichen zwischen beiden Geniis? und welches ist es? Ich wüßte nicht, daß diese Denkmäler sonst bekannt gemacht wären, wo man sich Rats erholen könnte.

Jedoch sie sind, zum Glücke, nicht die einzigen ihrer Art. Winckelmann bemerkte auf ihnen nichts, was sich nicht auch auf mehrern, und längst vor ihm bekannten, bemerken ließe. Er sahe einen jungen Genius mit umgestürzter Fackel, und der ausdrücklichen Überschrift »Somno«: aber auf einem Grabsteine beim Boissard 8 erblicken wir die nämliche Figur, und die Überschrift »Somno Orestilia Filia« läßt uns wegen der Deutung derselben eben so wenig ungewiß sein. Ohne Überschrift kömmt sie eben daselbst noch oft vor: ja auf mehr als einem Grabsteine und Sarge kömmt sie doppelt vor. 9 Was kann aber in dieser vollkommen ähnlichen Verdoppelung, wenn das eine Bild der Schlaf ist, das andere wohl schicklicher sein, als der Zwillingsbruder des Schlafes, der Tod?

Es ist zu verwundern, wie Altertumsforscher dieses nicht wissen, oder wenn sie es wußten, in ihren Auslegungen anzuwenden vergessen konnten. Ich will hiervon nur einige Beispiele geben.

Vor allem aber fällt mir der marmorne Sarg bei, welchen Bellori in seinen Admirandis bekannt gemacht, 10 und von dem letzten Schicksale des Menschen erkläret hat. Hier zeiget sich unter andern ein geflügelter Jüngling, der in einer tiefsinnigen Stellung, den linken Fuß über den rechten geschlagen, neben einem Leichname stehet, mit seiner Rechten und dem Haupte auf einer umgekehrten Fackel ruhet, die auf die Brust des Leichnames gestützet ist, und in der Linken, die um die Fackel herabgreift, einen Kranz mit einem Schmetterlinge [414] hält. 11 Diese Figur, sagt Bellori, sei Amor, welcher die Fackel, das ist, die Affekten, auf der Brust des verstorbenen Menschen auslösche. Und ich sage, diese Figur ist der Tod!

Nicht jeder geflügelte Knabe, oder Jüngling, muß ein Amor sein. Amor, und das Heer seiner Brüder, hatten diese Bildung mit mehrern geistigen Wesen gemein. Wie manche aus dem Geschlecht der Genii, wurden als Knaben vorgestellet! 12 Und was hatte nicht seinen Genius? Jeder Ort; jeder Mensch; jede gesellschaftliche Verbindung des Menschen; jede Beschäftigung des Menschen, von der niedrigsten bis zur größten; 13 ja, ich möchte sagen, jedes unbelebte Ding, an dessen Erhaltung gelegen war, hatte seinen Genius. – Wann dieses, unter andern auch dem Herrn Klotz, nicht eine ganz unbekannte Sache gewesen wäre: so würde er uns sicherlich mit dem größten Teile seiner zuckersüßen Geschichte des Amors aus geschnittenen Steinen, 14 verschonet haben. Mit den aufmerksamsten Fingern forschte dieser große Gelehrte diesem niedlichen Gotte durch alle Kupferbücher nach; und wo ihm nur ein kleiner nackter Bube vorkam, da schrie er Amor! Amor! und trug ihn geschwind in seine Rolle ein. Ich wünsche dem viel Geduld, der die Musterung über diese Klotzische Amors unternehmen will. Alle Augenblicke wird er einen aus dem Gliede stoßen müssen. – Doch davon an einem andern Orte!

Genug, wenn nicht jeder geflügelte Knabe oder Jüngling notwendig ein Amor sein muß: so braucht es dieser auf dem Monumente des Bellori am wenigsten zu sein.

Und kann es schlechterdings nicht sein! Denn keine allegorische Figur muß mit sich selbst im Widerspruche stehen. In diesem aber würde ein Amor stehen, dessen Werk es wäre, die Affekten in der Brust des Menschen zu verlöschen. Ein solcher Amor, ist eben darum kein Amor.

Vielmehr spricht alles, was um und an diesem geflügelten Jünglinge ist, für das Bild des Todes.

[415] Denn wenn es auch nur von dem Schlafe erwiesen wäre, daß ihn die Alten als einen jungen Genius mit Flügeln vorgestellt: so würde auch schon das uns hinlänglich berechtigen, von seinem Zwillingsbruder, dem Tode, ein Gleiches zu vermuten. Somni idolum senile fingitur, schrieb Barth auf gut Glück nur so hin, 15 um seine Interpunktion in einer Stelle des Statius zu rechtfertigen.


Crimine quo merui, juvenis placidissime divum,
Quove errore miser, donis ut solus egerem
Somne tuis? –

flehte der Dichter zu dem Schlafe; und Barth wollte, daß der Dichter das juvenis von sich selbst, nicht von dem Schlafe gesagt habe:


Crimine quo merui juvenis, placidissime divum etc.


Es sei; weil es zur Not sein könnte; aber der Grund ist doch ganz nichtig. Der Schlaf war bei allen Dichtern eine jugendliche Gottheit; er liebte eine von den Grazien, und Juno, für einen wichtigen Dienst, gab ihm diese Grazie zur Ehe. Gleichwohl sollten ihn die Künstler als einen Greis gebildet haben? Das wäre von ihnen nicht zu glauben, wenn auch in keinem Denkmale das Gegenteil mehr sichtbar wäre.

Doch nicht der Schlaf bloß, wie wir gesehen, auch noch ein zweiter Schlaf, der nichts anders als der Tod sein kann, ist sowohl auf den unbekanntern Monumenten des Winckelmann, als auf den bekanntern des Boissard, gleich einem jungen Genius, mit umgestürzter Fackel zu sehen. Ist der Tod dort ein junger Genius: warum könnte ein junger Genuis hier, nicht der Tod sein? Und muß er es nicht sein, da außer der umgestürzten Fackel, auch alle übrige seiner Attributen die schönsten, redensten Attribute des Todes sind?

Was kann das Ende des Lebens deutlicher bezeichnen, als eine verloschene, umgestürzte Fackel? Wann dort der Schlaf, diese kurze Unterbrechung des Lebens, sich auf eine solche Fackel stützet: mit wie viel größerm Rechte darf es der Tod? [416] Auch die Flügel kommen noch mit größerm Rechte ihm, als dem Schlafe, zu. Denn seine Überraschung ist noch plötzlicher, sein Übergang noch schneller.


– – – Seu me tranquilla Senectus
Expectat, seu Mors atris circumvolat alis:

sagt Horaz. 16


Und der Kranz in seiner Linken? Es ist der Totenkranz. Alle Leichen wurden bei Griechen und Römern bekränzt; mit Kränzen ward die Leiche von den hinterlassenen Freunden beworfen; bekränzt wurden Scheiterhaufe und Urne und Grabmal. 17

Endlich, der Schmetterling über diesem Kranze? Wer weiß nicht, daß der Schmetterling das Bild der Seele, und besonders der von dem Leibe geschiedenen Seele, vorstellet?

Hierzu kömmt der ganze Stand der Figur, neben einem Leichnam, und gestützt auf diesen Leichnam. Welche Gottheit, welches höhere Wesen könnte und dürfte diesen Stand haben: wenn es nicht der Tod selbst wäre? Ein toter Körper verunreinigte, nach den Begriffen der Alten, alles, was ihm nahe war: und nicht allein die Menschen, welche ihn berührten oder nur sahen; sondern auch die Götter selbst. Der Anblick eines Toten war schlechterdings keinem von ihnen vergönnt.


– – Εμοι γαρ ου ϑεμις φϑιτους όραν


sagt Diana, bei dem Euripides, 18 zu dem sterbenden Hippolyt. Ja, um diesen Anblick zu vermeiden, mußten sie sich schon entfernen, sobald der Sterbende die letzten Atemzüge tat. Denn Diana fährt dort fort:


Ουδ' ομμα χραινειν ϑανασιμοισιν εκπνοαις
'Oρη δε σ' ηδη τουδε πλησιον κακου

und hiemit scheidet sie von ihrem Lieblinge. Aus eben diesem Grunde sagt auch Apoll, bei eben dem Dichter, 19 daß er die [417] geliebte Wohnung des Admetus nun verlassen müßte, weil Alceste sich ihrem Ende nahe:


Εγω δε, μη μιασμα μ' εν δομοις κιχη,
Δειπω μελαϑρων τηνδε φιλτατην σεγην.

Ich halte diesen Umstand, daß die Götter sich durch den Anblick eines Toten nicht verunreinigen durften, hier für sehr erheblich. Er ist ein zweiter Grund, warum es Amor nicht sein kann, der bei dem Leichname steht: und zugleich ein Grund wider alle andere Götter; den einzigen Gott ausgenommen, welcher sich unmöglich durch Erblickung eines Toten verunreinigen konnte, den Tod selbst.

Oder meinet man, daß vielleicht doch noch eine Gottheit hiervon auszunehmen sein dürfte? Nämlich der eigentliche Genius, der eigentliche Schutzgeist des Menschen. Wäre es denn, könnte man sagen, so etwas ungereimtes, daß der Genius des Menschen trauernd bei dem Körper stünde, durch dessen Erstarrung er sich auf ewig von ihm trennen müssen? Doch wenn das schon nicht ungereimt wäre, so wäre es doch völlig wider die Denkungsart der Alten; nach welcher auch der eigentliche Schutzgeist des Menschen den völligen Tod desselben nicht abwartete, sondern sich von ihm noch eher trennte, als in ihm die gänzliche Trennung zwischen Seele und Leib geschahe. Hiervon zeugen sehr deutliche Stellen; 20 und folglich kann auch dieser Genius der eigentliche Genius des eben verschiednen Menschen nicht sein, auf dessen Brust er sich mit der Fackel stützet.

Noch darf ich eine Besonderheit in dem Stande desselben, nicht mit Stillschweigen übergehen. Ich glaube in ihr die Bestätigung einer Mutmaßung zu erblicken, die ich an eben derselben Stelle des »Laokoon« berührte. 21 Sie hat Widerspruch gefunden, diese Mutmaßung: es mag sich nun zeigen, ob sie ihn zu behalten verdienet. –

Wenn nämlich Pausanias die gleich Anfangs erwähnte Vorstellung, auf der Kiste in dem Tempel der Juno zu Elis, beschreibet, [418] wo unter andern eine Frau erscheine, die in ihrer Rechten einen schlafenden weißen Knaben halte, in ihrer Linken aber einen schwarzen Knaben, καϑευδοντι εοικοτα, welches eben sowohl heißen kann, der jenem schlafenden Knaben ähnlich sei, als, der zu schlafen scheine: so setzt er hinzu, αμφοτερους διεσραμμενους τους ποδας. Diese Worte gibt der lateinische Übersetzer durch: distortis utrinque pedibus; und der französische durch: les pieds contrefaits. Ich fragte: was sollen hier die krummen Füße? wie kommen der Schlaf und der Tod zu diesen ungestaltenen Gliedern? was können sie andeuten sollen? Und in der Verlegenheit, mir hierauf zu antworten, schlug ich vor, διεσραμμενους τους ποδας nicht durch krumme, sondern durch über einander geschlagene Füße zu übersetzen: weil dieses die gewöhnliche Lage der Schlafenden sei, und der Schlaf auf alten Monumenten nicht anders liege.

Erst wird es, wegen einer Verbesserung, die Sylburg in eben den Worten machen zu müssen glaubte, nötig sein, die ganze Stelle in ihrem Zusammenhange anzuführen: Πεποιηται δε γυνη παιδα λευκον καϑευ δοντα ανεχουσα τη δεξια χειρι, τη δε έτερα μελανα εχει παιδα καϑευδοντι εοικοτα, αμφοτερους διεσραμμενους τους ποδας. Sylburg fand das διεσραμμενους anstößig, und meinte, daß es besser sein würde, διεσραμμενον dafür zu lesen, weil εοικοτα vorher gehe, und beides sich auf παιδα beziehe. 22 Doch diese Veränderung würde nicht allein sehr überflüssig, sondern auch ganz falsch sein. Überflüssig: denn warum soll sich nun eben das διασρεφεσϑαι auf παιδα beziehen, da es sich eben sowohl auf αμφοτερους oder ποδας beziehen kann? Falsch: denn sonach würde αμφοτερους nur zu ποδας gehören können, und man würde übersetzen müssen, krumm an beiden Füßen; da es doch auf das doppelte παιδα gehet, und man übersetzen muß, beide mit krummen Füßen. Wenn anders διεσραμμενος hier krumm heißt, und überhaupt krumm heißen kann!

Zwar muß ich gestehen, daß ich damals, als ich den Ort im Laokoon schrieb, schlechterdings keine Auslegung kannte, warum der Schlaf und der Tod mit krummen Füßen sollten sein [419] gebildet worden. Ich habe erst nachher beim Rondel 23 gefunden, daß die Alten durch die krummen Füße des Schlafes, die Ungewißheit und Betrieglichkeit der Träume andeuten wollen. Aber worauf gründet sich dieses Vorgehen? und was wäre es auch damit? Was es erklären sollte, würde es höchstens nur zur Hälfte erklären. Der Tod ist doch wohl ohne Träume: und dennoch hatte der Tod eben so krumme Füße. Denn, wie gesagt, das αμφοτερους muß schlechterdings auf das doppelte vorhergehende παιδα sich beziehen: sonst würde αμφοτερους, zu τους ποδας genommen, ein sehr schaler Pleonasmus sein. Wenn ein Mensch krumme Füße hat, so versteht es sich ja wohl, daß sie beide krumm sind.

Oder sollte wohl jemand auch nur deswegen sich die Lesart des Sylburg(διεσραμμενον für διεσραμμενους) gefallen lassen, um die krummen Füße bloß und allein dem Schlafe beilegen zu können? Nun so zeige mir dieser Eigensinnige doch irgend einen antiken Schlaf mit dergleichen Füßen. Es sind sowohl ganz runde als halb erhabene Werke genug übrig, in welchen die Altertumskundigen einmütig den Schlaf erkennen. Wo ist ein einziger, an welchem sich krumme Füße auch nur argwohnen ließen?

Was folgt aber hieraus? – Sind die krummen Füße des Todes und des Schlafes ohne alle befriedigende Bedeutung; sind die krummen Füße des letztern in keiner antiken Vorstellung desselben sichtbar: so meine ich, folgt wohl nichts natürlicher, als die Vermutung, daß es mit diesen krummen Füßen überhaupt eine Grille sein dürfte. Sie gründen sich auf eine einzige Stelle des Pausanias, auf ein einziges Wort in dieser Stelle: und dieses Wort ist noch dazu eines ganz andern Sinnes fähig!

Denn διεστραμμενος, von διαστρεψειν, heißt nicht sowohl krumm, verbogen, als nur überhaupt verwandt, aus seiner Richtung gebracht; nicht sowohltortuosus, distortus, als obliquus, transversus: und ποδες διεστραμμενοι sind also nicht nur eben sowohl durch quer, überzwerch liegende Füße, als durchkrumme Füße zu übersetzen; sondern durch jenes sogar noch besser und eigentlicher zu übersetzen, als durch dieses. [420] Doch daß διεστραμμενος bloß so übersetzt werden könnte, würde noch wenig entscheiden. Der eigentlichere Sinn ist nicht immer der wahre. Von größerm, den völligen Ausschlag gebendem Gewicht ist also dieses: daß die ποδες διεστραμμενοι so übersetzt wie ich sage, durch über einander geschlagen übersetzt, nicht allein, sowohl bei dem Tode als bei dem Schlafe, die schönste angemessenste Bedeutung haben, sondern auch häufig auf alten Denkmälern zu erblicken sind.

Über einander geschlagene Füße sind die natürliche Lage, die der Mensch in einem ruhigen gesunden Schlafe nimmt. Diese Lage haben die alten Künstler auch einstimmig jeder Person gegeben, die sie in einem solchen Schlafe zeigen wollen. So schläft die vermeinte Cleopatra im Belvedere; so schläft die Nymphe auf einem alten Monumente beim Boissard; so schläft, oder will eben entschlafen, der Hermaphrodit des Dioskurides. Es würde sehr überflüssig sein, dergleichen Exempel zu häufen. Ich wüßte mich itzt nur einer einzigen alten Figur zu erinnern, welche in einer andern Lage schliefe. – (Dem Herrn Klotz unverwehrt, geschwind seine Kupferbücher durchzublättern, und mir mehrere zu zeigen!) – Aber diese einzige Figur ist auch ein trunkener Faun, dem der gärende Wein keinen ruhigen Schlaf vergönnen darf. 24 Bis auf die schlafenden Tiere, beobachteten die alten Künstler die angegebene Lage. Die zwei antiken Löwen, von gelblichem Marmor, unter den Königlichen Altertümern zu Berlin, schlafen mit über einander geschlagenen Vorderfüßen, auf welchen der Kopf ruhet. Kein Wunder folglich, daß man auch den Schlaf selbst, in dieser den Schlafenden so gewöhnlichen Lage, von ihnen vorgestellt sieht. Ich verwies auf den Schlaf beim Maffei, 25 und ich hätte eben sowohl auf den ähnlichen Marmor des Tollius verweisen können. Zwei kleinerer, ehedem bei dem Connetable Colonna, von jenen wenig oder nichts unterschieden, erwähnt ebenfalls Maffei.

Ja auch an wachenden Figuren, ist die Lage der über einander [421] geschlagenen Füße, das Zeichen der Ruhe. Nicht wenige von den ganz oder halb liegenden Flußgöttern, ruhen so auf ihren Urnen: und sogar an stehenden Personen ist ein Fuß über den andern ge schlagen, der eigentliche Stand des Verweilens und der Erholung. Daher erscheinen die Merkure und Faune so manchmal in diesem Stande; besonders, wenn wir sie in ihre Flöte, oder sonst ein erquickendes Spiel, vertieft finden.

Nun wäge man alle diese Wahrscheinlichkeiten gegen die blank und bloßen Widersprüche ab, mit welchen man meine Auslegung abfertigen wollen. Der gründlichste ist noch der, der sich von einem Gelehrten herschreibt, dem ich wichtigere Erinnerungen zu danken habe. »Die Lessingische Erklärung des διεστραμμενους τους ποδας«, sagt der Verfasser der Kritischen Wälder, 26 »scheint dem Sprachgebrauche zu widersprechen; und wenn es aufs Mutmaßen ankäme, könnte ich eben so sagen: sie schliefen mit über einander geschlagenen Füßen, d.i. des einen Fuß streckte sich über den andern hin, um die Verwandtschaft des Schlafes und Todes anzuzeigen« u.s.w.

Wider den Sprachgebrauch? wie das? Heißt διεστραμμενος etwas anders, als verwandt? und muß denn alles, was verwandt ist, notwendig krumm sein? Wie könnte man denn einen mit übergeschlagenen Füßen auf griechisch richtiger und besser nennen, als διεστραμμενον (κατα) τους ποδας? oder διεστραμμενους τους ποδας, mit unter verstandenem εχοντα? Ich wüßte im geringsten nicht, was hier wider die natürliche Bedeutung der Worte, oder gegen die genuine Konstruktion der Sprache wäre. Wenn Pausanias hätte krumm sagen wollen, warum sollte er nicht das so gewöhnliche σκολιος gebraucht haben?

Mutmaßen hiernächst läßt sich freilich vielerlei. Aber verdient wohl eine Mutmaßung, die nichts als die bloße Möglichkeit vor sich hat, einer entgegen gesetzet zu werden, der so wenig zu einer ausgemachten Wahrheit fehlet? Ja, auch kaum die Möglichkeit kann ich jener mir entgegen gesetzten Mutmaßung einräumen. Denn der eine Knabe ruhete in dem einen, [422] und der andere in dem andern Arme der Nacht: folglich wäre die Verschränkung der Füße des einen mit den Füßen des andern, kaum zu begreifen. Endlich die Möglichkeit dieser Verschränkung auch zugegeben: würde sodann das διεστραμμενους, welches sie ausdrücken sollte, nicht ebenfalls etwas ganz anders heißen, als krumm? Würde diese Bedeutung nicht ebenfalls wider den Sprachgebrauch sein? Würde die Mutmaßung meines Gegners also nicht eben der Schwierigkeit ausgesetzt sein, der er meine ausgesetzt zu sein meinet, ohne daß sie eine einzige der Empfehlungen hätte, die er dieser nicht absprechen kann?

Nun zurück zu dem Bilde beim Bellori. Wenn aus dem, was ich bisher beigebracht, erwiesen ist, daß die alten Artisten den Schlaf mit über einander geschlagenen Füßen gebildet; wenn es erwiesen ist, daß sie dem Tod eine genaue Ähnlichkeit mit dem Schlafe gegeben: so werden sie, allem Vermuten nach, auch den Tod mit über einander geschlagenen Füßen vorzustellen, nicht unterlassen haben. Und wie, wenn eben dieses Bild beim Bellori ein Beweis davon wäre? Denn wirklich stehet es, den einen Fuß über den andern geschlagen; und diese Besonderheit des Standes, glaube ich, kann eben sowohl dienen, die Bedeutung der ganzen Figur zu bestätigen, als die anderweits erwiesene Bedeutung derselben das Charakteristische dieses besondern Standes festzusetzen hinlänglich sein dürfte.

Doch es versteht sich, daß ich so geschwind und dreist nicht schließen würde, wenn dieses das einzige alte Monument wäre, auf welchem sich die über einander geschlagenen Füße an dem Bilde des Todes zeigten. Denn nichts würde natürlicher sein, als mir einzuwenden: »wenn die alten Künstler den Schlaf mit über einander geschlagenen Füßen gebildet haben, so haben sie ihn doch nur als liegend, und wirklich selbst schlafend so gebildet; von dieser Lage des Schlafes im Schlafe, ist also auf seinen stehenden Stand, oder gar auf den stehenden Stand des ihm ähnlichen Todes, wenig oder nichts zu schließen, und es kann ein bloßer Zufall sein, daß hier einmal der Tod so stehet, als man sonst den Schlaf schlafen sieht.«

Nur mehrere Monumente, welche eben das zeigen, was ich [423] an der Figur beim Bellori zu sehen glaube, können dieser Einwendung vorbauen. Ich eile also, deren so viele anzuführen, als zur Induktion hinreichend sind, und glaube, daß man es für keine bloße überflüssige Auszierung halten wird, einige der vorzüglichsten in Abbildung beigefügt zu finden.

Zuerst also 27 erscheinet der schon angeführte Grabstein beim Boissard.

Weil die ausdrücklichen Überschriften desselben nicht verstatten, uns in der Deutung seiner Figuren zu irren: so kann er gleichsam der Schlüssel zu allen übrigen Denkmälern heißen. Wie aber zeiget sich hier die Figur, welche mit »Somno Orestilia Filia« überschrieben ist? Als ein nackter Jüngling, einen traurigen Blick seitwärts zur Erde heftend, mit dem einen Arme auf eine umgekehrte Fackel sich stützend, und den einen Fuß über den andern geschlagen. – Ich darf nicht unerinnert lassen, daß von eben diesem Denkmale sich auch eine Zeichnung unter den Papieren des Pighius, in der Königl. Bibliothek zu Berlin befindet, aus welcher Spanheim [424] die einzelne Figur des Schlafes seinem Kommentar über den Kallimachus einverleibet hat. 28 Daß es schlechterdings die nämliche Figur des nämlichen Denkmals beim Boissard sein soll, ist aus der nämlichen Überschrift unstreitig. Aber um so viel mehr wird man sich wundern, an beiden so merkliche Verschiedenheiten zu erblicken. Die schlanke, ausgebildete Gestalt beim Boissard, ist beim Pighius ein fetter stämmiger Knabe; dieser hat Flügel, und jene hat keine; geringerer Abweichungen, als in der Wendung des Hauptes, in der Richtung der Arme, zu geschweigen. Wie diese Abweichungen von Spanheimen nicht bemerkt werden können, ist begreiflich; Spanheim kannte das Denkmal nur aus den »Inschriften« des Gruter, wo er die bloßen Worte ohne alle Zeichnung fand; er wußte nicht, oder erinnerte sich nicht, daß die Zeichnung bereits beim Boissard vorkomme, und glaubte also etwas ganz unbekanntes zu liefern, wenn er sie uns zum Teil aus den Papieren des Pighius mitteilte. Weniger ist Grävius zu entschuldigen, welcher seiner Ausgabe der Gruterschen »Inschriften« die Zeichnung aus dem Boissard beifügte, 29 und gleichwohl den Widerspruch, den diese Zeichnung mit der wörtlichen Beschreibung des Gruter macht, nicht bemerkte. In dieser ist die Figur Genius alatus, crinitus, obesus, dormiens, dextra manu in humerum sinistrum, a quo velum retrorsum dependet, posita: und in jener erscheinet sie, gerade gegen über, so wie wir sie hier erblicken, ganz anders; nicht geflügelt, nicht eben von starken Haaren, nicht fett, nicht schlafend, nicht mit der rechten Hand auf der linken Schulter. Eine solche Mißhelligkeit ist anstößig, und kann nicht anders als Mißtrauen bei dem Leser erwecken, besonders wann er sich noch dazu nicht einmal davor gewarnet findet. Sie beweiset indes so viel, daß unmöglich beide Zeichnungen unmittelbar von dem Denkmale können genommen sein: eine derselben muß notwendig aus dem Gedächtnisse sein gemacht worden. Ob dieses die Zeichnung des Pighius, oder die Zeichnung des Boissard sei, kann nur der entscheiden, welcher das Denkmal [425] selbst damit zu vergleichen Gelegenheit hat. Nach der Angabe des letztern, befand es sich zu Rom, in dem Palaste des Kardinal Cesi. Dieser Palast aber, wenn ich recht unterrichtet bin, ward in der Plünderung von 1527 gänzlich zerstöret. Verschiedene von den Altertümern, welche Boissard daselbst sahe, mögen sich itzt in dem Palaste Farnese befinden; ich vermute dieses von dem Hermaphrodit, und dem vermeinten Kopfe des Pyrrhus. 30 Andere glaube ich in andern Cabinetten wiedergefunden zu haben: kurz, sie sind verstreuet, und es dürfte schwer halten, das Denkmal, wovon die Rede ist, wieder aufzufinden, wenn es noch gar vorhanden ist. Aus bloßen Mutmaßungen möchte ich mich eben so wenig für die Zeichnung des Boissard, als für die Zeichnung des Pighius erklären. Denn wenn es gewiß ist, daß der Schlaf Flügel haben kann: so ist es eben so gewiß, daß er nicht notwendig Flügel haben muß.

[426] Die zweite Kupfertafel

zeiget das Grabmal einer Clymene, ebenfalls aus dem Boissard entlehnt. 31 Die eine der Figuren darauf, hat mit der eben erwähnten zu viel Ähnlichkeit, als daß diese Ähnlichkeit, und der Ort, den sie einnimmt, uns im geringsten ihrentwegen ungewiß lassen könnten. Sie kann nichts anders als der Schlaf sein: und auch dieser Schlaf, auf eine umgekehrte Fackel sich stützend, hat den einen Fuß über den andern geschlagen. – Die Flügel übrigens fehlen ihm gleichfalls: und es wäre doch sonderbar, wenn sie Boissard hier zum zweitenmale vergessen hätte. Doch wie gesagt, die Alten werden den Schlaf öfters auch ohne Flügel gebildet haben. Pausanias gibt dem Schlafe in dem Arme der Nacht keine; und weder Ovidius noch Statius legen, in ihren umständlichen Beschreibungen dieses Gottes und seiner Wohnung, ihm deren bei. Brouckhuysen hat sich sehr versehen, wenn er vorgibt, daß der letztere Dichter dem Schlafe sogar zwei Paar Flügel, eines an dem Kopfe und eines an den Füßen, andichte. 32 Denn obschon Statius von ihm sagt:


Ipse quoque et volucrem gressum et ventosa citavit
Tempora:

so ist dieses doch im geringsten nicht von natürlichen Flügeln, sondern von dem geflügelten Petasus und von den Talariis zu verstehen, welche die Dichter nicht bloß dem Merkur beilegen, sondern auch häufig von andern Göttern brauchen lassen, die sie uns in besonderer Eil zeigen wollen. Doch es ist mir hier überhaupt nicht um die Flügel, sondern um die Füße des Schlafes zu tun; und ich fahre fort, das διεσραμμενον derselben in mehrern Monumenten zu zeigen.


Auf der dritten Kupfertafel

siehet man eine Pila, oder einen Sarg, der wiederum aus dem Boissard genommen ist. 33 Die [427] [429]Aufschrift dieser Pila kömmt auch bei dem Gruter vor, 34 wo die zwei Genii mit umgekehrten Fackeln zwei Cupidines heißen. Doch wir sind mit diesem Bilde des Schlafes nun schon zu bekannt, als daß wir es hier verkennen sollten. Und auch dieser Schlaf stehet beidemal mit dem einen Fuße über den andern geschlagen. Aber warum diese nämliche Figur hier nochmals wiederholt? Nicht sowohl wiederholt: als vielmehr verdoppelt; um Bild und Gegenbild zu zeigen. Beides ist der Schlaf; das eine der überhingehende, das andere der lange daurende Schlaf; mit einem Worte, es sind die ähnlichen Zwillingsbrüder, Schlaf und Tod. Ich darf vermuten, wie wir sie hier sehen, so und nicht anders werden sie auf den von Winckelmannen erwähnten Monumenten, auf dem Grabsteine in dem Palaste Albani, und auf der Begräbnisurne in dem Collegio Clementino erscheinen. – Man lasse sich die Bogen, die diesen Geniis hier zu Füßen liegen, nicht irren: sie können eben sowohl zu den beiden schwebenden Geniis gehören, als zu diesen stehenden; und ich habe auf mehr Grabmälern einen losgespannten, oder gar zerbrochenen Bogen, nicht als das Attribut des Amors, sondern als ein von diesem unabhängiges Bild des verbrauchten Lebens überhaupt, gefunden. Wie ein Bogen das Bild einer guten Hausmutter sein könne, weiß ich zwar nicht: aber doch sagt eine alte Grabschrift, die Leich aus der ungedruckten Anthologie bekannt gemacht, 35 daß er es gewesen,


Τοξα μεν αυδασει ταν ευτονον άγετιν οικου


und daraus zeigt sich wenigstens, daß er nicht notwendig das Rüstzeug des Amors sein muß, und daß er mehr bedeuten kann, als wir zu erklären wissen.

Ich füge die vierte Tafel

hinzu, und auf dieser einen Grabstein, den Boissard in Rom zu St. Angelo (in Templo Junonis, quod est in foro piscatorio) fand, wo er sich ohne Zweifel auch noch finden wird. 36 Hinter einer verschlossenen Türe stehet, auf beiden Seiten, ein geflügelter Genius mit halbem Körper [429] hervorragend, und mit der Hand auf diese verschlossene Türe zeigend. Die Vorstellung ist zu redend, als daß uns nicht jene domus exilis Plutonia, einfallen sollte, 37 aus welcher keine Erlösung zu hoffen: und wer könnten die Türsteher dieses ewigen Kerkers besser sein, als Schlaf und Tod? Bei der Stellung und Aktion, in der wir sie erblicken, braucht sie keine umgestürzte Fackel deutlicher zu bezeichnen: nur den einen über den andern geschlagenen Fuß hat auch ihnen der Künstler gegeben. Aber wie unnatürlich würde hier dieser Stand sein, wenn er nicht ausdrücklich charakteristisch sein sollte?

Man glaube nicht, daß dieses die Beispiele alle sind, welche ich für mich anführen könnte. Selbst aus dem Boissard würde ich noch verschiedene hieher ziehen können, wo der Tod, entweder als Schlaf, oder mit dem Schlafe zugleich, den nämlichen [430] Stand der Füße beobachtet. 38 Eine ganze Ernte von Figuren, so wie die auf der ersten Tafel erscheinet oder erscheinen sollte, würde mir auch Maffei anbieten. 39 Doch wozu dieser Überfluß? Vier dergleichen Denkmäler, das beim Bellori ungerechnet, sind mehr als hinlänglich, die Vermutung abzuwenden, daß das auch wohl ein bloßer unbedeutender Zufall sein könne, was eines so nachdenklichen Sinnes fähig ist. Wenigstens wäre ein solcher Zufall der sonderbarste, der sich nur denken ließe! Welch ein Ungefähr, wenn nur von Ungefähr in mehr als einem unverdächtigen alten Monumente gewisse Dinge gerade so wären, als ich sage, daß sie nach meiner Auslegung einer gewissen Stelle sein müßten: oder wenn nur von Ungefähr sich diese Stelle gerade so auslegen ließe, als wäre sie in wirklicher Rücksicht auf dergleichen Monumente geschrieben worden. Nein, das Ungefähr ist so übereinstimmend nicht; und ich kann ohne Eitelkeit behaupten, daß folglich meine Erklärung, so sehr es auch nur meine Erklärung ist, so wenig Glaubwürdigkeit ihr auch durch mein Ansehen zuwachsen kann, dennoch so vollkommen erwiesen ist, als nur immer etwas von dieser Art erwiesen werden kann.

Ich halte es daher auch kaum der Mühe wert, diese und jene Kleinigkeit noch aus dem Wege zu räumen, die einem Zweifler, der durchaus nicht aufhören will zu zweifeln, vielleicht einfallen könnte. Z.E. die Zeilen des Tibullus: 40


Postque venit tacitus fuscis circumdatus alis

Somnus, et incerto somnia vara pede.


Es ist wahr, hier wird ausdrücklich krummbeiniger Träume gedacht. Aber Träume! und wenn die Träume krummbeinig waren: warum mußte es denn auch der Schlaf sein? Weil er der Vater der Träume war? Eine treffliche Ursache! Und doch ist auch das noch nicht die eigentliche Abfertigung, die sich mir hier anträgt. Denn die eigentliche ist diese: daß das Beiwort vara überhaupt, sicherlich nicht vom Tibull ist; daß es[431] nichts, als eine eigenmächtige Leseart des Brouckhuysen ist. Vor diesem Kommentator, lasen alle Ausgaben entweder nigra oder vana. Das letzte ist das wahre; und es zu verwerfen, konnte Brouckhuysen nur die Leichtigkeit, mit Veränderung eines einzigen Buchstaben, seinem Autor eine fremde Gedanke unterzuschieben, verleiten. Aber wenn schon die alten Dichter die Träume öfters auf schwachen, ungewissen Füßen einhergaukeln lassen; nämlich die täuschenden, betriegerischen Träume: folgt denn daraus, daß sie diese schwachen ungewissen Füße sich auch als krumme Füße müssen gedacht haben? Wo liegt denn die Notwendigkeit, daß schwache Füße auch krumme Füße, oder krumme Füße auch schwache Füße sein müssen? Dazu waren den Alten ja nicht alle Träume täuschend und betriegerisch; sie glaubten eine Art sehr wahrhafter Träume, und der Schlaf, mit diesen seinen Kindern, war ihnen eben sowohl Futuri certus als pessimus auctor. 41 Folglich konnten auch die krummen Füße, als das Symbolum der Ungewißheit, nach ihren Begriffen nicht den Träumen überhaupt, noch weniger dem Schlafe, als dem allgemeinen Vater derselben, zukommen. Und doch, gestehe ich, würden alle diese Vernünfteleien bei Seite zu setzen sein, wenn Brouckhuysen, außer der mißverstandenen Stelle des Pausanias, auch nur sonst eine einzige für die krummen Füße der Träume und des Schlafes anzuführen gewußt hätte. Was varus heißt, erklärt er mit zwanzig sehr überflüssigen Stellen: aber daß varus ein Beiwort des Traumes sei, davon gibt er keine Beweisstelle, sondern will sie erst machen; und, wie gesagt, nicht sowohl aus dem einzigen Pausanias, als aus der falschen Übersetzung des Pausanias machen. Denn fast lächerlich ist es, wenn er uns, da er keinen krummbeinigen Schlaf aufbringen kann, wenigstens einen Genius mit krummen Füßen in einer Stelle des Persius 42 zeigen will, wo genius weiter nichts heißt als indoles, und varus weiter nichts als von einander abstehend:


– – Geminos, horoscope, varo
Producis genio. –

[432] Überhaupt würde diese Ausschweifung über das διεσραμμενους des Pausanias, hier viel zu weitläufig geraten sein, wann sie mir nicht Gelegenheit gegeben hätte, zugleich mehrere antike Abbildungen des Todes anzuführen. Denn mag es denn nur auch mit seinen und seines Bruders übergestellten Füßen sein, wie es will; mag man sie doch für charakteristisch halten, oder nicht: so ist aus den angeführten Denkmälern doch so viel unstreitig, daß die alten Artisten immer fortgefahren haben, den Tod nach einer genauen Ähnlichkeit mit dem Schlafe zu bilden; und nur das war es, was ich eigentlich hier erweisen wollte.

Ja, so sehr ich auch von dem Charakteristischen jener besondern Fußstellung selbst überzeugt bin: so will ich doch keinesweges behaupten, daß schlechterdings kein Bild des Schlafes oder Todes ohne sie sein können. Vielmehr kann ich mir den Fall sehr wohl denken, in welchem eine solche Fußstellung mit der Bedeutung des Ganzen streiten würde; und ich glaube Beispiele von diesem Falle anführen zu können. Wenn nämlich der über den andern geschlagene Fuß, das Zeichen der Ruhe ist: so wird es nur dem bereits erfolgten Tode eigentlich zukommen können; der Tod hingegen, wie er erst erfolgen soll, wird eben darum eine andere Stellung erfodern.

In so einer andern, die Annäherung ausdrückenden Stellung glaube ich ihn auf einer Gemme beim Stephanonius, oder Licetus, 43 zu erkennen. Ein geflügelter Genius, welcher in der einen Hand einen Aschenkrug hält, scheinet mit der andern eine umgekehrte, aber noch brennende Fackel ausschleidern zu wollen, und siehet dabei mit einem traurigen Blicke seitwärts auf einen Schmetterling herab, der auf der Erde kriechet. Die gespreizten Beine sollen ihn entweder im Fortschreiten begriffen, oder in derjenigen Stellung zeigen, die der Körper natürlicher Weise nimmt, wenn er den einen Arm mit Nachdruck zurück schleidern will. Ich mag mich mit Widerlegung der höchst gezwungenen Deutungen nicht aufhalten, welche sowohl der erste poetische Erklärer der Stephanonischen [433] Steine, als auch der hieroglyphische Licetus von diesem Bilde gegeben haben. Sie gründen sich sämtlich auf die Voraussetzung, daß ein geflügelter Knabe notwendig ein Amor sein müsse: und so wie sie sich selbst unter einander aufreiben, so fallen sie alle zugleich mit einmal weg, sobald man auf den Grund jener Voraussetzung gehet. Dieser Genius ist also weder Amor, der das Andenken des verstorbenen Freundes in treuem Herzen bewahret; noch Amor, der sich seiner Liebe entschlägt, aus Verdruß, weil er keine Gegenliebe erhalten kann: sondern dieser Genius ist nichts als der Tod; und zwar der eben bevorstehende Tod, im Begriffe die Fackel auszuschlagen, auf die, verloschen, ihn wir anderwärts schon gestützt finden.

Dieses Gestus der auszuschleidernden Fackel, als Sinnbild des nahenden Todes, habe ich mich immer erinnert, so oft mir die sogenannten Brüder, Castor und Pollux, in der Villa Ludovisi vor Augen gekommen. 44 Daß es Castor und Pollux nicht sind, hat schon vielen Gelehrten eingeleuchtet: aber ich zweifle, ob del Torre und Maffei der Wahrheit darum näher gekommen. Es sind zwei unbekleidete, sehr ähnliche Genii, beide in einer sanften melancholischen Stellung; der eine schläget seinen Arm um die Schulter des andern, und dieser hält in jeder Hand eine Fackel; die in der Rechten, welche er seinem Gespielen genommen zu haben scheinet, ist er bereit, auf einem zwischen ihnen inne stehenden Altare auszudrücken, indem er die andere, in der Linken, bis über die Schulter zurückgeführet, um sie mit Gewalt auszuschlagen; hinter ihnen stehet eine kleinere weibliche Figur, einer Isis nicht unähnlich. Del Torre sahe in diesen Figuren zwei Genii, welche der Isis opferten: aber Maffei wollte sie lieber für den Lucifer und Hesperus gehalten wissen. So gut die Gründe auch sein mögen, welche Maffei gegen die Deutung des Del Torre beibringet: so unglücklich ist doch sein eigener Einfall. Woher könnte uns Maffei beweisen, daß die Alten den Lucifer und Hesperus als zwei besondere Wesen gebildet? Es waren ihnen nichts als zwei Namen, so wie des nämlichen Sternes, also auch der nämlichen mythischen Person. 45 Es ist schlimm, wenn ein [434] Mann, der die geheimsten Gedanken des Altertums zu erraten sich getrauet, so allgemein bekannte Dinge nicht weiß! Aber um so viel nötiger dürfte es sein, auf eine neue Auslegung dieses trefflichen Kunstwerkes zu denken: und wenn ich den Schlaf und den Tod dazu vorschlage, so will ich doch nichts, als sie dazu vorschlagen. Augenscheinlich ist es, daß ihre Stellung keine Stellung für Opfernde ist: und wenn die eine Fackel das Opfer anzünden soll; was soll denn die andere auf dem Rücken? Daß eine Figur beide Fackeln zugleich auslöscht, würde nach meinem Vorschlage sehr bedeutend sein: denn eigentlich macht doch der Tod beidem, dem Wachen und dem Schlafen, ein Ende. Auch dürfte, nach eben diesem Vorschlage, die kleinere weibliche Figur nicht unrecht für die Nacht, als die Mutter des Schlafes und des Todes, zu nehmen sein. Denn wenn der Kalathus auf dem Haupte, eine Isis, oder Cybele, als die Mutter aller Dinge kenntlich machen soll: so würde mich es nicht wundern, auch die Nacht, diese


– ϑεων γενετειρα – η δε και ανδρων,


wie sie Orpheus nennet, hier mit dem Kalathus zu erblicken.

Was sich sonst aus der Figur des Stephanonius, mit der beim Bellori verbunden, am zuverlässigsten ergibt, ist dieses, daß der Aschenkrug, der Schmetterling, und der Kranz diejenigen Attributa sind, durch welche der Tod, wo und wie es nötig schien, von seinem Ebenbilde, dem Schlafe, unterschieden ward. Das besondere Abzeichen des Schlafes hingegen, war ohnstreitig das Horn.

Und hieraus möchte vielleicht eine ganz besondere Vorstellung auf dem Grabsteine eines gewissen Amemptus, eines Freigelassenen ich weiß nicht welcher Kaiserin, oder kaiserlichen Prinzessin, einiges Licht erhalten. Man sehe die fünfte Tafel. 46

Ein männlicher und weiblicher Centaur, jener auf der Leier spielend, diese eine doppelte Tibia blasend, tragen beide einen geflügelten Knaben auf ihren Rücken, deren jeder auf einer Querpfeife bläset; unter dem aufgehabenen Vorderfuße des einen Centaur lieget ein Krug, und unter des andern ein [435] Horn. Was kann diese Allegorie sagen sollen? was kann sie hier sagen sollen? Ein Mann zwar, wie Herr Klotz, der seinen Kopf voller Liebesgötter hat, würde mit der Antwort bald fertig sein. Auch das sind meine Amors! würde er sagen; und der weise Künstler hat auch hier den Triumph der Liebe über die unbändigsten Geschöpfe, und zwar ihren Triumph vermittelst der Musik, vorstellen wollen! – Ei nun ja; was wäre der Weisheit der alten Künstler auch würdiger gewesen, als nur immer mit der Liebe zu tändeln; besonders, wie diese Herren die Liebe kennen! Indes wäre es doch möglich, daß einmal auch ein alter Künstler, nach ihrer Art zu reden, der Liebe und den Grazien weniger geopfert, und hier bei hundert Meilen an die liebe Liebe nicht gedacht hätte! Es wäre möglich, daß was ihnen dem Amor so ähnlich sieht, als ein Tropfen Wasser dem andern, gerade nichts Lustigeres, als der Schlaf und der Tod sein sollte.

[436] Sie sind uns beide, in der Gestalt geflügelter Knaben, nicht mehr fremd; und der Krug auf der Seite des einen, und das Horn auf der Seite des andern, dünken mich nicht viel weniger redend, als es ihre buchstäblichen Namen sein würden. Zwar weiß ich gar wohl, daß der Krug und das Horn auch nur Trinkgeschirre sein können, und daß die Centaure in dem Altertume nicht die schlechtesten Säufer sind; daher sie auch auf verschiedenen Werken in dem Gefolge des Bacchus erscheinen, oder gar seinen Wagen ziehen. 47 Aber was brauchten sie in dieser Eigenschaft, noch erst durch Attributa bezeichnet zu werden? und ist es nicht, auch für den Ort, weit schicklicher, diesen Krug, und dieses Horn für die Attributa des Schlafes und des Todes zu erklären, die sie notwendig aus den Händen werfen mußten, um die Flöten behandeln zu können?

Wenn ich aber den Krug oder die Urne, als das Attribut des Todes nenne, so will ich nicht bloß den eigentlichen Aschenkrug, das Ossuarium oder Cinerarium, oder wie das Gefäß sonst hieß, in welchem die Überreste der verbrannten Körper aufbewahret wurden, darunter verstanden wissen. Ich begreife darunter auch die Ληκυϑους, die Flaschen jeder Art, die man den toten Körpern, die ganz zur Erde bestattet wurden, beizusetzen pflegte, ohne mich darüber einzulassen, was in diesen Flaschen enthalten gewesen. Sonder einer solchen Flasche blieb bei den Griechen ein zu begrabender Leichnam eben so wenig, als sonder Kranz; welches unter andern verschiedene Stellen des Aristophanes sehr deutlich besagen, 48 so daß es [437] ganz begreiflich wird, wie beides ein Attribut des Todes geworden.

Wegen des Hornes, als Attribut des Schlafes, ist noch weniger Zweifel. An unzähligen Stellen gedenken die Dichter dieses Hornes: aus vollem Horne schüttet er seinen Segen über die Augenlider der Matten,


– – – Illos post vulnera fessos
Exceptamque hiemem, cornu perfuderat omni
Somnus; –
mit geleertem Horne folget er der weichenden Nacht nach, in seine Grotte,

Et Nox, et cornu fugiebat Somnus inani.


Und so wie ihn die Dichter sahen, bildeten ihn auch die Künstler. 49 Nur das doppelte Horn, womit ihn die ausschweifende Einbildungskraft des Romeyn de Hooghe überladen, kannten weder diese noch jene. 50

Zugegeben also, daß es der Schlaf und der Tod sein könnten, die hier auf den Centauren sitzen: was wäre nun der Sinn der Vorstellung zusammen? – Doch wenn ich glücklicher Weise einen Teil erraten hätte: muß ich darum, auch das Ganze zu erklären wissen? Vielleicht zwar, daß so tiefe Geheimnisse nicht darunter verborgen liegen. Vielleicht, daß Amemptus ein Tonkünstler war, der sich vornehmlich auf die Instrumente verstand, die wir hier in den Händen dieser unterirrdischen Wesen erblicken; denn auch die Centaure hatten [438] bei den spätern Dichtern ihren Aufenthalt vor den Pforten der Hölle,


Centauri in foribus stabulant. –


und es war ganz gewöhnlich, auf dem Grabmale eines Künstlers die Werkzeuge seiner Kunst anzubringen, welches denn hier nicht ohne ein sehr feines Lob geschehen wäre.


Ich kann indes, von diesem Monumente überhaupt, mich nicht anders als furchtsam ausdrücken. Denn ich sehe mich wiederum, wegen der Treue des Boissard, in Verlegenheit. Von dem Boissard ist die Zeichnung; aber vor ihm hatte schon Smetius die Aufschrift, und zwar mit einer Zeile mehr, 51 bekannt gemacht, und eine wörtliche Beschreibung der darum befindlichen Bilder beigefügt. Inferius, sagt Smetius von den Hauptfiguren, Centauri duo sunt, alter mas, lyncea instratus, lyram tangens, cui Genius alatus, fistula, Germanicae modernae simili, canens insidet: alter foemina, fistulis duabus simul in os insertis canens, cui alter Genius foemineus alis papilionum, manibus nescio quid concutiens, insidet. Inter utrumque cantharus et cornu Bacchicum projecta jacent. Alles trifft ein; bis auf den Genius, den der weibliche Centaur trägt. Dieser soll nach dem Smetius, auch weiblichen Geschlechts sein, und Schmetterlingsflügel haben, und mit den Händen etwas zusammenschlagen. Nach dem Boissard aber hat er keine andere Flügel, als sein Gespiel; und anstatt der Cymbeln, oder des Crotalum vielleicht, bläset er auf eben dem Instrumente, auf dem jener. – Es ist traurig, solche Widersprüche oft zu bemerken. Sie müssen einem Manne, der nicht gern auf Treibsand bauet, das antiquarische Studium von Zeit zu Zeit sehr zuwider machen.

Zwar würde ich auch sodann, wenn Smetius richtiger gesehen hätte, als Boissard, meine Erklärung nicht ganz aufgeben dürfen. Denn sodann würde der weibliche Genius mit [439] Schmetterlingsflügeln eine Psyche sein; und wenn Psyche das Bild der Seele ist: so wäre anstatt des Todes, hier die Seele des Toten zu sehen. Auch dieser könnte das Attribut der Urne zukommen, und das Attribut des Hornes würde noch immer den Schlaf bezeichnen.

Ich bilde mir ohnedem ein, den Schlaf noch anderwärts, als auf sepulkralischen Monumenten, und besonders in einer Gesellschaft zu finden, in der man ihn schwerlich vermutet hätte. Unter dem Gefolge des Bacchus nämlich, erscheinet nicht selten ein Knabe, oder Genius, mit einem Füllhorne: und ich wüßte nicht, daß noch jemand es auch nur der Mühe wert gehalten hätte, diese Figur näher zu bestimmen. Sie ist z. E. auf dem bekannten Steine des Bagarris, itzt in der Sammlung des Königs von Frankreich, dessen Erklärung Casaubonus zuerst gegeben, von ihm und allen folgenden Auslegern 52 zwar bemerkt worden: aber kein einziger hat mehr davon zu sagen gewußt, als der Augenschein gibt, und ein Genius mit einem Füllhorne ist ein Genius mit einem Füllhorne geblieben. Ich wage es, ihn für den Schlaf zu erklären. Denn, wie erwiesen, der Schlaf ist ein kleiner Genius, das Attribut des Schlafes ist ein Horn: und welchen Begleiter könnte ein trunkner Bacchus lieber wünschen, als den Schlaf? Daß die Paarung des Bacchus mit dem Schlafe den alten Artisten auch gewöhnlich gewesen, zeigen die Gemälde vom Schlafe, mit welchen Statius den Palast des Schlafes auszieret: 53


Mille intus simulacra dei caelaverat ardens
Mulciber. Hic haeret lateri redimita Voluptas.
Hic comes in requiem vergens labor. Est ubi Baccho,
Est ubi Martigenae socium pulvinar Amori
Obtinet. Interius tectum in penetralibus altis,
Et cum Morte jacet: nullique ea tristis imago.

Ja, wenn einer alten Inschrift zu trauen, oder viel mehr, wenn diese Inschrift alt genug ist: so wurden sogar Bacchus und der [440] Schlaf, als die zwei größten und süßesten Erhalter des menschlichen Lebens, gemeinschaftlich angebetet. 54

Es ist hier nicht der Ort, diese Spur schärfer zu verfolgen. Eben so wenig ist es itzt meine Gelegenheit, mich über meinen eigentlichen Vorwurf weiter zu verbreiten, und nach mehrern Beweisen umher zu schweifen, daß die Alten den Tod als den Schlaf, und den Schlaf als den Tod, bald einzeln, bald beisammen, bald ohne, bald mit gewissen Abzeichen, gebildet haben. Die angeführten, und wenn auch kein einziger sonst aufzutreiben wäre, erhärten hinlänglich, was sie erhärten sollen: und ich kann ohne Bedenken zu dem zweiten Punkte fortgehen, welcher die Widerlegung des Gegensatzes enthält.

II. Ich sage: die alten Artisten, wenn sie ein Skelett bildeten, meinten damit etwas ganz anders, als den Tod, als die Gottheit des Todes. Ich beweise also, 1) daß sie nicht den Tod damit meinten: und zeige 2) was sie sonst damit meinten.

1) Daß sie Skelette gebildet, ist mir nie eingekommen, zu leugnen. Nach den Worten des Hrn. Klotz müßte ich es zwar geleugnet haben, und aus dem Grunde geleugnet haben, weil sie überhaupt, häßliche und ekle Gegenstände zu bilden, sich enthalten. Denn er sagt, ich würde die Beispiele davon auf geschnittenen Steinen, ohne Zweifel, in die Bildersprache verweisen wollen, die sie von jenem höherm Gesetze der Schönheit losgesprochen. Wenn ich das nötig hätte, zu tun, dürfte ich nur hinzusetzen, daß die Figuren auf Grabsteinen und Totenurnen nicht weniger zur Bildersprache gehörten: und sodann würden von allen seinen angeführten Exempeln nur die zwei metallenen Bilder in dem Kircherschen Museo, und in der Galerie zu Florenz, wider mich übrig bleiben, die doch auch wirklich nicht unter die Kunstwerke, so wie ich das Wort im Laokoon nehme, zu rechnen wären.

Doch wozu diese Feinheiten gegen ihn? Gegen ihn brauche ich, was er mir Schuld gibt, nur schlechtweg zu verneinen. Ich habe nirgends gesagt, daß die alten Artisten keine Skelette gebildet: ich habe bloß gesagt, daß sie den Tod nicht als ein Skelett gebildet. Es ist wahr, ich glaubte an dem echten Altertume [441] des metallenen Skeletts zu Florenz zweifeln zu dürfen; aber ich setzte unmittelbar hinzu: »den Tod überhaupt kann es wenigstens nicht vorstellen sollen, weil ihn die Alten anders vorstelleten.« Diesen Zusatz verhält Hr. Klotz seinen Lesern, und doch kömmt alles darauf an. Denn er zeigt, daß ich das nicht geradezu leugnen will, woran ich zweifle. Er zeigt, daß meine Meinung nur die gewesen: wenn das benannte Bild, wie Spence behauptet, den Tod vorstellen soll, so ist es nicht antik; und wenn es antik ist, so stellt es nicht den Tod vor.

Ich kannte auch wirklich schon damals mehr Skelette auf alten Werken: und itzt kenne ich sogar verschiedene mehr, als der unglückliche Fleiß, oder der prahlerische Unfleiß des Herrn Klotz anzuführen vermögend gewesen.

Denn in der Tat stehen die, die er anführt, bis auf eines, schon alle beim Winckelmann; 55 und daß er diesen, auch hier, nur ausgeschrieben, ist aus einem Fehler sichtbar, welchen sie beide machen. Winckelmann schreibt: »Ich merke hier an, daß nur auf zwei alten Denkmalen und Urnen von Marmor, zu Rom, Totengerippe stehen, die eine ist in der Villa Medicis, die andere in dem Museo des Collegii Romani; ein anderes mit einem Gerippe findet sich beim Spon, und ist nicht mehr zu Rom befindlich.« Wegen des ersten dieser Gerippe, welches noch in der Villa Medicis stehe, beruft er sich auf Spons Rech. d'Antiq. p. 93: und wegen des dritten, das nicht mehr in Rom vorhanden sei, auf eben desselben Gelehrten Miscel. ant. p. 7. Allein dieses und jenes beim Spon, sind nur eines und das nämliche; und wenn das, welches Spon in seinen Recherches anführt, noch in der Villa Medicis stehet, so ist das in seinen Miscellaneis gewiß auch noch in Rom, und in der nämlichen Villa auf dem nämlichen Platze zu sehen. Spon zwar, welches ich zugleich erinnern will, sahe es nicht in der Villa Medicis, sondern in der Villa Madama. So wenig als Winckelmann die beiden Zitate des Spon verglichen haben konnte; eben so wenig kann es Hr. Klotz getan haben: denn sonst würde er mich nicht, zum Überflusse, wie er sagt, auf die beiden Marmor, die Winckelmann in seinem Versuche über die [442] Allegorie anführt, verweisen, und dennoch gleich darauf auch das Denkmal beim Spon in Rechnung bringen. Eines, wie gesagt, ist hier doppelt gezählt, und das wird er mir erlauben, ihm abzuziehn.

Damit er jedoch über diesen Abzug nicht verdrüßlich werde: so stehen ihm sogleich, für das eine abgestrittene Gerippe, ein Halbdutzend andere zu Dienste. Es ist Wildbret, das ich eigentlich nicht selbst hege, das nur von ungefähr in meine Gehege übergetreten ist, und mit dem ich daher sehr freigebig bin. Vors erste ganzer drei beisammen, habe ich die Ehre, ihm auf einem Steine aus der Daktyliothek des Andreini zu Florenz, beim Gori, 56 vorzuführen. Das vierte wird ihm eben dieser Gori auf einem alten Marmor, gleichfalls zu Florenz nachweisen. 57 Das fünfte trifft er, wenn mich meine Kundschaft nicht trügt, beim Fabretti: 58 und das sechste auf dem andern der zwei Stoschischen Steine, von welchen er nur den einen aus den Lippertschen Abdrücken beibringet. 59

Welch elendes Studium ist das Studium des Altertums, wenn das Feine desselben auf solche Kenntnisse ankömmt! wenn der der Gelehrteste darin ist, der solche Armseligkeiten am fertigsten und vollständigsten auf den Fingern herzuzählen weiß!

Aber mich dünkt, daß es eine würdigere Seite hat, dieses Studium. Ein anderes ist der Altertumskrämer, ein anderes der Altertumskundige. Jener hat die Scherben, dieser den Geist des Altertums geerbet. Jener denkt nur kaum mit seinen Augen, dieser sieht auch mit seinen Gedanken. Ehe jener noch sagt, »so war das!« weiß dieser schon, ob es so sein können.

Man lasse jenen noch siebzig und sieben solcher Kunstgerippe aus seinem Schutte zusammen klauben, um zu beweisen, daß die Alten den Tod als ein Gerippe gebildet; dieser wird über den kurzsichtigen Fleiß die Achsel zucken, und was er [443] sagte, ehe er diese Siebensachen alle kannte, noch sagen: entweder sie sind so alt nicht, als man sie glaubt, oder sie sind das nicht, wofür man sie ausgibt!

Den Punkt des Alters, es sei als ausgemacht, oder als nicht auszumachend, bei Seite gesetzt: was für Grund hat man, zu sagen, daß diese Skelette den Tod vorstellen?

Weil wir Neuern den Tod als ein Skelett bilden? Wir Neuern bilden, zum Teil noch, den Bacchus als einen fetten Wanst: war das darum auch die Bildung, die ihm die Alten gaben? Wenn sich ein Basrelief von der Geburt des Herkules fände, und wir sähen eine Frau mit kreuzweis eingeschlagenen Fingern, digitis pectinatim inter se implexis, vor der Türe sitzen: wollten wir wohl sagen, diese Frau bete zur Juno Lucina, damit sie der Alkmene zu einer baldigen und glücklichen Entbindung helfe? Aber wir beten ja so? – Dieser Grund ist so elend, daß man sich schämen muß, ihn jemanden zu leihen. Zudem bilden auch wir Neuern den Tod nicht einmal als ein bloßes Skelett; wir geben ihm eine Sense, oder so was, in die Hand, und diese Sense macht erst das Skelett zum Tode.

Wenn wir glauben sollen, daß die alten Skelette den Tod vorstellen: so müssen wir entweder durch die Vorstellung selbst, oder durch ausdrückliche Zeugnisse alter Schriftsteller davon überzeugt werden können. Aber das ist weder dieses, noch jenes. Selbst nicht das geringste indirekte Zeugnis, läßt sich dafür aufbringen.

Ich nenne indirekte Zeugnisse, die Anspielungen und Gemälde der Dichter. Wo ist der geringste Zug bei irgend einem römischen oder griechischen Dichter, welcher nur argwohnen lassen könnte, daß er den Tod als ein Gerippe vorgestellt gefunden, oder sich selbst gedacht hätte?

Die Gemälde des Todes sind bei den Dichtern häufig, und nicht selten sehr schrecklich. Es ist der blasse, bleiche, fahle Tod; 60 er streifet auf schwarzen Flügeln umher; 61 er führet ein Schwert; 62 er fletschet hungrige Zähne; 63 er reißet [444] einen gierigen Rachen auf; 64 er hat blutige Nägel, mit welchen er seine bestimmten Opfer zeichnet; 65 seine Gestalt ist so groß und ungeheuer, daß er ein ganzes Schlachtfeld überschattet, 66 mit ganzen Städten davon eilet. 67 Aber wo ist da nur ein Argwohn von einem Gerippe? In einem von den Trauerspielen des Euripides wird er sogar als eine handelnde Person mit aufgeführet, und er ist auch da der traurige, fürchterliche, unerbittliche Tod. Doch auch da ist er weit entfernt, als ein Gerippe zu erscheinen; ob man schon weiß, daß die alte Skeuopöie sich kein Bedenken machte, ihre Zuschauer noch mit weit gräßlichern Gestalten zu schrecken. Es findet sich keine Spur, daß er durch mehr als sein schwarzes Gewand, 68 und durch den Stahl bezeichnet gewesen, womit er dem Sterbenden das Haar abschnitt, und ihn so den unterirdischen Göttern weihete; 69 Flügel hatte er nur vielleicht. 70

Prallet indes von diesem Wurfe nicht auch etwas auf mich selbst zurück? Wenn man mir zugibt, daß in den Gemälden der Dichter nichts von einem Gerippe zu sehen: muß ich nicht hinwieder einräumen, daß sie dem ohngeachtet viel zu schrecklich sind, als daß sie mit jenem Bilde des Todes bestehen könnten, welches ich den alten Artisten zugerechnet zu haben vermeine? Wenn aus dem, was in den poetischen Gemälden sich nicht findet, ein Schluß auf die materiellen Gemälde der Kunst gilt: wird nicht ein ähnlicher Schluß auch aus dem gelten, was sich in jenen Gemälden findet? [445] Ich antworte: Nein; dieser Schluß gilt in dem einen Falle nicht völlig, wie in dem andern. Die poetischen Gemälde sind von unendlich weiterm Umfange, als die Gemälde der Kunst: besonders kann die Kunst, bei Personifierung eines abstrakten Begriffes, nur bloß das Allgemeine und Wesentliche desselben ausdrücken; auf alle Zufälligkeiten, welche Ausnahmen von diesem Allgemeinen sein würden, welche mit diesem Wesentlichen in Widerspruch stehen würden, muß sie Verzicht tun; denn dergleichen Zufälligkeiten des Dinges, würden das Ding selbst unkenntlich machen, und ihr ist an der Kenntlichkeit zuerst gelegen. Der Dichter hingegen, der seinen personifierten abstrakten Begriff in die Klasse handelnder Wesen erhebt, kann ihn gewissermaßen wider diesen Begriff selbst handeln lassen, und ihn in allen den Modifikationen einführen, die ihm irgend ein einzelner Fall gibt, ohne daß wir im geringsten die eigentliche Natur desselben darüber aus den Augen verlieren.

Wenn die Kunst also uns den personifierten Begriff des Todes kenntlich machen will: durch was muß sie, durch was kann sie es anders tun, als dadurch, was dem Tode in allen möglichen Fällen zukömmt? und was ist dieses sonst, als der Zustand der Ruhe und Unempfindlichkeit? Je mehr Zufälligkeiten sie aus drücken wollte, die in einem einzeln Falle die Idee dieser Ruhe und Unempfindlichkeit entfernten, desto unkenntlicher müßte notwendig ihr Bild werden; Falls sie nicht ihre Zuflucht zu einem beigesetzten Worte, oder zu sonst einem konventionalen Zeichen, welches nicht besser als ein Wort ist, nehmen, und sonach, bildende Kunst zu sein, aufhören will. Das hat der Dichter nicht zu fürchten. Für ihn hat die Sprache bereits selbst die abstrakten Begriffe zu selbständigen Wesen erhoben; und das nämliche Wort hört nie auf, die nämliche Idee zu erwecken, so viel mit ihm streitende Zufälligkeiten er auch immer damit verbindet. Er kann den Tod noch so schmerzlich, noch so fürchterlich und grausam schildern, wir vergessen darum doch nicht, daß es nur der Tod ist, und daß ihm eine so gräßliche Gestalt nicht vor sich, sondern bloß unter dergleichen Umständen zukömmt.

Tot sein, hat nichts Schreckliches; und in so fern Sterben [446] nichts als der Schritt zum Totsein ist, kann auch das Sterben nichts Schreckliches haben. Nur so und so sterben, eben itzt, in dieser Verfassung, nach dieses oder jenes Willen, mit Schimpf und Marter sterben: kann schrecklich werden, und wird schrecklich. Aber ist es sodann das Sterben, ist es der Tod, welcher das Schrecken verursachte? Nichts weniger; der Tod ist von allen diesen Schrecken das erwünschte Ende, und es ist nur der Armut der Sprache zuzurechnen, wenn sie beide diese Zustände, den Zustand, welcher unvermeidlich in den Tod führet, und den Zustand des Todes selbst, mit einem und eben demselben Worte benennet. Ich weiß, daß diese Armut oft eine Quelle des Pathetischen werden kann, und der Dichter daher seine Rechnung bei ihr findet: aber dennoch verdienet diejenige Sprache ohnstreitig den Vorzug, die ein Pathetisches, das sich auf die Verwirrung so verschiedener Dinge gründet, verschmähet, indem sie dieser Verwirrung selbst durch verschiedene Benennungen vorbauet. Eine solche Sprache scheinet die ältere Griechische, die Sprache des Homer, gewesen zu sein. Ein anders ist dem Homer Κηρ, ein anders Θανατος: denn er würde Θανατον και Κηρα nicht so unzähligemal verbunden haben, wenn beide nur eines und eben dasselbe bedeuten sollten. Unter Κηρ versteht er die Notwendigkeit zu sterben, die öfters traurig werden kann; einen frühzeitigen, gewaltsamen, schmähligen, ungelegenen Tod: unter Θανατος aber den natürlichen Tod, vor dem keine Κηρ vorhergeht; oder den Zustand des Totseins, ohne alle Rücksicht auf die vorhergegangene Κηρ. Auch die Römer machten einen Unterschied zwischen Lethum und Mors.


Emergit late Ditis chorus, horrida Erinnys,
Et Bellona minax, facibusque armata Megaera,
Lethumque, Insidiaeque, et lurida Mortis imago:

sagt Petron. Spence meinet, er sei schwer zu begreifen, dieser Unterschied: vielleicht aber hätten sie unter Lethum den allgemeinen Samen, oder die Quelle der Sterblichkeit verstanden, dem sie sonach die Hölle zum eigentlichen Sitze angewiesen; unter Mors aber, die unmittelbare Ursache einer jeden besondern [447] Äußerung der Sterblichkeit auf unserer Erde. 71 Ich, meines Teils, möchte lieber glauben, daß Lethum mehr die Art des Sterbens, und Mors den Tod überhaupt, ursprünglich bedeuten sollen; denn Statius sagt: 72


Mille modis lethi miseros Mors una fatigat.


Der Arten des Sterbens sind unendliche: aber es ist nur ein Tod. Folglich würde Lethum dem Griechischen Κηρ, und Mors dem Θανατος eigentlich entsprochen haben: unbeschadet, daß in der einen Sprache sowohl, als in der andern, beide Worte mit der Zeit verwechselt, und endlich als völlige Synonyma gebraucht worden.

Indes will ich mir auch hier einen Gegner denken, der jeden Schritt des Feldes streitig zu machen verstehet. Ein solcher könnte sagen: »Ich lasse mir den Unterschied zwischen Κηρ und Θανατος gefallen; aber wenn der Dichter, wenn die Sprache selbst, einen schrecklichen Tod und einen nicht schrecklichen unterschieden haben: warum könnte nicht auch die Kunst ein dergleichen doppeltes Bild für den Tod gehabt haben, und haben dürfen? Das minder schreckliche Bild mag der Genius, der sich auf die umgekehrte Fackel stützet, mit seinen übrigen Attributen, gewesen sein: aber sonach war dieser Genius nur Θανατος. Wie steht es mit dem Bilde der Κηρ? Wenn dieses schrecklich sein müssen: so ist dieses vielleicht ein Gerippe gewesen, und es bliebe uns noch immer vergönnt, zu sagen, daß die Alten den Tod, nämlich den gewaltsamen Tod, für den es unserer Sprache an einem besondern Worte mangelt, als ein Gerippe gebildet haben.«

Und allerdings ist es wahr, daß auch die alten Künstler die Abstraktion des Todes von den Schrecknissen, die vor ihm [448] hergehen, angenommen, und diese unter dem besondern Bilde der Κηρ vorgestellet haben. Aber wie hätten sie zu dieser Vorstellung etwas wählen können, was erst spät auf den Tod folget? Das Gerippe wäre so unschicklich dazu gewesen, als möglich. Wen dieser Schluß nicht befriediget, der sehe das Faktum! Pausanias hat uns, zum Glück, die Gestalt aufbehalten, unter welcher die Κηρ vorgestellet wurde. Sie erschien als ein Weib mit gräulichen Zähnen und mit krummen Nägeln, gleich einem reißenden Tiere. So stand sie auf eben der Kiste des Cypselus, auf welcher Schlaf und Tod in den Armen der Nacht ruheten, hinter dem Polynices, indem ihn sein Bruder Eteokles anfällt: Του Πολυνεικους δε οπισϑεν έσηκεν οδοντας τε εχουσα ουδεν ήμερωτερους ϑηριου, και όι και των χειρων εισιν επικαμπεις όι ονυχες επιγραμμα δε επ' αυτη ειναι φασι Κηρα. 73 Vor dem έσηκεν scheinet ein Substantivum in dem Texte zu fehlen: aber es wäre eine bloße Chicane, wenn man zweifeln wollte, daß es ein anders als Γυνη sein könne. Wenigstens kann es Σκελετος doch nicht sein, und das ist mir genug.

Schon ehemals hatte Hr. Klotz dieses Bild der Κηρ, gegen meine Behauptung von dem Bilde des Todes bei den Alten, brauchen wollen: 74 und nun weiß er, was ich ihm hätte antworten können. Κηρ ist nicht der Tod; und es ist bloße Armut derjenigen Sprache, die es durch eine Umschreibung, mit Zuziehung des Wortes Tod, geben muß: ein so verschiedener Begriff sollte in allen Sprachen ein eigenes Wort haben. Und doch hätte Hr. Klotz auch den Kuhnius nicht loben sollen, daß er Κηρ durch Mors fatalis übersetzt habe. Genauer und richtiger würde Fatum mortale, mortiferum, gewesen sein: denn beim Suidas wird Κηρ durch ϑανατηφορος μοιρα, nicht durch Θανατος πεπρωμενος erkläret.

Endlich will ich an den Euphemismus der Alten erinnern; [449] an ihre Zärtlichkeit, diejenigen Worte, welche unmittelbar eine ekle, traurige, gräßliche Idee erwecken, mit minder auffallenden zu verwechseln. Wenn sie, diesem Euphemismus zu Folge, nicht gern geradezu sagten, »er ist gestorben«, sondern lieber, »er hat gelebt, er ist gewesen, er ist zu den Mehrern abgegangen«, 75 und dergleichen; wenn eine der Ursachen dieser Zärtlichkeit, die so viel als mögliche Vermeidung alles Ominösen war: so ist kein Zweifel, daß auch die Künstler ihre Sprache zu diesem gelindern Tone werden herabgestimmt haben. Auch sie werden den Tod nicht unter einem Bilde vorgestellt haben, bei welchem einem jeden unvermeidlich alle die ekeln Begriffe von Moder und Verwesung einschießen; nicht unter dem Bilde des häßlichen Gerippes: denn auch in ihren Kompositionen hätte der unvermutete Anblick eines solchen Bildes eben so ominös werden können, als die unvermutete Vernehmung des eigentlichen Wortes. Auch sie werden dafür lieber ein Bild gewählt haben, welches uns auf das, was es anzeigen soll, durch einen anmutigen Umweg führet: und welches Bild könnte hierzu dienlicher sein, als dasjenige, dessen symbolischen Ausdruck die Sprache selbst sich für die Benennung des Todes so gern gefallen läßt, das Bild des Schlafes?


– – Nullique ea tristis imago!


Doch so wie der Euphemismus die Wörter, die er mit sanftern vertauscht, darum nicht aus der Sprache verbannet, nicht schlechterdings aus allem Gebrauche setzt; so wie er vielmehr eben diese widrigen, und itzt daher vermiedenen Wörter, bei einer noch gräulichern Gelegenheit, als die minder beleidigenden, vorsucht; so wie er z.E., wenn er von dem, der ruhig gestorben ist, sagt, daß er nicht mehr lebe, von dem, der unter den schrecklichsten Martern ermordet worden, sagen würde, daß er gestorben sei: eben so wird auch die Kunst diejenigen Bilder, durch welche sie den Tod andeuten könnte, aber wegen ihrer Gräßlichkeit nicht andeuten mag, darum nicht gänzlich aus ihrem Gebiete verweisen, sondern sie vielmehr auf Fälle versparen, in welchen sie hinwiederum die gefälligern, oder wohl gar die einzig brauchbaren sind. [450] Also: 2) da es erwiesen ist, daß die Alten den Tod nicht als ein Gerippe gebildet; da sich gleichwohl auf alten Denkmälern Gerippe zeigen: was sollen sie denn sein, diese Gerippe?

Ohne Umschweif; diese Gerippe sind Larvae: und das nicht sowohl in so fern, als Larva selbst nichts anders als ein Gerippe heißt, sondern in so fern, als unter Larvae eine Art abgeschiedener Seelen verstanden wurden.

Die gemeine Pneumatologie der Alten war diese. Nach den Göttern glaubten sie ein unendliches Geschlecht erschaffener Geister, die sie Dämones nannten. Zu diesen Dämonen rechneten sie auch die abgeschiedenen Seelen der Menschen, die sie unter dem allgemeinen Namen Lemures begriffen, und deren nicht wohl anders als eine zweifache Art sein konnte. Abgeschiedene Seelen guter, abgeschiedene Seelen böser Menschen. Die guten wurden ruhige, selige Hausgötter ihrer Nachkommenschaft; und hießen Lares. Die bösen, zur Strafe ihrer Verbrechen, irrten unstet und flüchtig auf der Erde umher, den Frommen ein leeres, den Ruchlosen ein verderbliches Schrecken; und hießen Larvae. In der Ungewißheit, ob die abgeschiedene Seele der ersten oder zweiten Art sei, galt das Wort Manes. 76

Und solche Larvae, sage ich, solche abgeschiedene Seelen böser Menschen, wurden als Gerippe gebildet. – Ich bin überzeugt, daß diese Anmerkung von Seiten der Kunst neu ist, und von keinem Antiquare zu Auslegung alter Denkmäler noch gebraucht worden. Man wird sie also bewiesen zu sehen verlangen, und es dürfte wohl nicht genug sein, wenn ich mich[451] desfalls auf eine Glosse des Henr. Stephanus berufte, nach welcher in einem alten Epigramm όι Σκελετοι durch Manes zu erklären sind. Aber was diese Glosse nur etwa dürfte vermuten lassen, werden folgende Worte außer Zweifel setzen. Nemo tam puer est, sagt Seneca 77, ut Cerberum timeat, et tenebras, et Larvarum habitum nudis ossibus cohaerentium. Oder, wie es unser alter ehrlicher, und wirklich deutscher Michael Herr übersetzt: Es ist niemants so kindisch, der den Cerberus förcht, die Finsterniß und die todten Gespenst, da nichts dann die ledigen Bein an einander hangen. 78 Wie könnte man ein Gerippe, ein Skelett, deutlicher bezeichnen, als durch das nudis ossibus cohaerens? Wie könnte man es geradezu bekräftiget wünschen, daß die Alten ihre spukenden Geister als Gerippe zu denken und zu bilden gewohnt gewesen?

Wenn eine dergleichen Anmerkung einen natürlichern Aufschluß für mißverstandene Vorstellungen gewähret, so ist es ohnstreitig ein neuer Beweis ihrer Richtigkeit. Nur ein Gerippe auf einem alten Denkmale könnte freilich der Tod sein, wenn es nicht aus anderweitigen Gründen erwiesen wäre, daß er so nicht gebildet worden. Aber wie, wo mehrere solche Gerippe erscheinen? Darf man sagen, so wie der Dichter mehrere Tode kenne,


Stant Furiae circum, variaeque ex ordine Mortes:


so müsse es auch dem Künstler vergönnt sein, verschiedene Arten des Todes jede in einen besondern Tod auszubilden? Und wenn auch dann noch eine solche Komposition verschiedener Gerippe, keinen gesunden Sinn gibt? Ich habe oben 79 eines Steines, beim Gori, gedacht, auf welchem drei Gerippe zu sehen: das eine fähret auf einer Biga, mit grimmigen Tieren [452] bespannt, über ein anderes, das zur Erde liegt, daher, und drohet ein drittes, das vorstehet, gleichfalls zu überfahren. Gori nennet diese Vorstellung, denTriumph des Todes über den Tod. Worte ohne Sinn! Aber zum Glücke ist dieser Stein von schlechter Arbeit, und mit einer griechischscheinenden Schrift vollgefüllt, die keinen Verstand macht. Gori erklärt ihn also für das Werk eines Gnostikers; und es ist von je her erlaubt gewesen, auf Rechnung dieser Leute so viel Ungereimtheiten zu sagen, als man nur immer, nicht zu erweisen, Lust hat. Anstatt den Tod über sich selbst, oder über ein Paar neidische Mitbewerber um seine Herrschaft, da triumphieren zu sehen; sehe ich nichts als abgeschiedene Seelen, als Larven, die noch in jenem Leben einer Beschäftigung nachhängen, die ihnen hier so angenehm gewesen. Daß dieses erfolge, war eine allgemein angenommene Meinung bei den Alten; und Virgil hat unter den Beispielen, die er davon gibt, der Liebe zu den Rennspielen nicht vergessen: 80


– – – quae gratia currûm
Armorumque fuit vivis, quae cura nitentes
Pascere equos, eadem sequitur tellure repostes.
Daher auf den Grabmälern und Urnen und Särgen, nichts häufiger als Genii, die

– aliquas artes, antiquae imitamina vitae,


ausüben; und in eben dem Werke des Gori, in welchem er diesen Stein mitgeteilt, kömmt ein Marmor vor, von welchem der Stein gleichsam nur die Karikatur heißen könnte. Die Gerippe, die auf dem Steine fahren und überfahren werden, sind auf dem Marmor Genii.


Wenn denn aber die Alten sich die Larven, d.i. die abgeschiedenen Seelen böser Menschen, nicht anders als Gerippe dachten: so war es ja wohl natürlich, daß endlich jedes Gerippe, wenn es auch nur das Werk der Kunst war, den Namen Larva bekam. Larva hieß also auch dasjenige Gerippe, welches bei feierlichen Gastmalen mit auf der Tafel erschien, um zu [453] einem desto eilfertigern Genuß des Lebens zu ermuntern. Die Stelle des Petrons von einem solchen Gerippe, ist bekannt: 81 aber der Schluß wäre sehr übereilt, den man für das Bild des Todes daraus ziehen wollte. Weil sich die Alten an einem Gerippe des Todes erinnerten, war darum ein Gerippe das angenommene Bild des Todes? Der Spruch, den Trimalcio dabei sagte, unterscheidet vielmehr das Gerippe und den Tod ausdrücklich:


Sic erimus cuncti, postquam nos auferet Orcus.


Das heißt nicht: bald wird uns dieser fortschleppen! in dieser Gestalt wird der Tod uns abfodern! Sondern: das müssen wir alle werden; solche Gerippe werden wir alle, wenn der Tod uns einmal abgefodert hat. –

Und so glaubte ich auf alle Weise erwiesen zu haben, was ich zu erweisen versprochen. Aber noch liegt mir daran, zu zeigen, daß ich, nicht bloß gegen Herr Klotzen, mir diese Mühe genommen. Nur Hr. Klotzen zurechte weisen, dürfte den meisten Lesern eine eben so leichte, als unnütze Beschäftigung scheinen. Ein anders ist es, wenn er mit der ganzen Herde irret. Sodann ist es nicht das hinterste nachbläckende Schaf, sondern die Herde, die den Hirten oder den Hund in Bewegung setzt.

Prüfung

Ich werfe also einen Blick auf bessere Gelehrte, die, wie gesagt, an den verkehrten Einbildungen des Hrn. Klotz mehr oder weniger Teil nehmen; und fange bei dem Manne an, der Hr. [454] Klotzen alles in allem ist: bei seinem verewigten Freunde, dem Grafen Caylus. – Was für schöne Seelen, die jeden, mit dem sie, in einer Entfernung von hundert Meilen, ein Paar Komplimente gewechselt, stracks für ihren Freund erklären! Schade nur, daß man eben so leicht ihr Feind werden kann!

Unter den Gemälden, welche der Graf Caylus den Künstlern aus dem Homer empfahl, war auch das vom Apoll, wie er den gereinigten und balsamierten Leichnam des Sarpedon dem Tode und dem Schlafe übergibt. 82 »Es ist nur verdrüßlich«, sagt der Graf, »daß Homer sich nicht auf die Attributa eingelassen, die man zu seiner Zeit dem Schlafe erteilte. Wir kennen, diesen Gott zu bezeichnen, nur seine Handlung selbst, und krönen ihn mit Mahn. Diese Ideen sind neu, und die erste, welche überhaupt von geringem Nutzen ist, kann in dem gegenwärtigen Falle gar nicht gebraucht werden, in welchem mir selbst die Blumen ganz unschicklich vorkommen, besonders für eine Figur, die mit dem Tode gruppieren soll.« 83 Ich wiederhole hier nicht, was ich gegen den kleinen Geschmack des Grafen, der von dem Homer verlangen konnte, daß er seine geistige Wesen mit den Attributen der Künstler ausstaffieren sollen, im Laokoon erinnert habe. Ich will hier nur anmerken, wie wenig er diese Attributa selbst gekannt, und wie unerfahren er in den eigentlichen Vorstellungen beides des Schlafes und des Todes gewesen. Vors erste erhellet aus seinen Worten unwidersprechlich, daß er geglaubt, der Tod könne und müsse schlechterdings nicht anders als ein Gerippe vorgestellet werden. Denn sonst würde er von dem Bilde desselben nicht gänzlich, als von einer Sache, die sich von selbst verstehet, geschwiegen haben; noch weniger würde er sich geäußert haben, daß eine mit Blumen gekrönte Figur mit der Figur des Todes nicht wohl gruppieren möchte. Diese Besorgnis konnte nur daher kommen, weil er sich von der Ähnlichkeit beider Figuren nie etwas träumen lassen; weil er den Schlaf als einen sanften Genius, und den Tod als ein ekles Ungeheuer sich dachte. Hätte er gewußt, daß der Tod ein eben so sanfter [455] Genius sein könne, so würde er seinen Künstler dessen gewiß erinnert, und mit ihm nur noch überlegt haben, ob es gut sei, diesen ähnlichen Geniis ein Abzeichen zu geben, und welches wohl das schicklichste sein könne. Aber er kannte, vors zweite, auch nicht einmal den Schlaf, wie er ihn hätte kennen sollen. Es ist ein wenig viel Unwissenheit zu sagen, daß wir diesen Gott, außer seiner Handlung, nur durch die leidigen Mahnblumen kenntlich machen könnten. Er merkt zwar richtig an, daß beide diese Kennzeichen neu wären: aber welches denn nun die alten genuinen Kennzeichen gewesen, sagt er nicht bloß nicht, sondern er leugnet auch geradezu, daß uns deren überliefert worden. Er wußte also nichts von dem Horne, das die Dichter dem Schlafe so häufig beilegen, und mit dem er, nach dem ausdrücklichen Zeugnisse des Servius und Lutatius, auch gemalt wurde! Er wußte nichts von der umgestürzten Fackel; er wußte nicht, daß eine Figur mit dieser umgestürzten Fackel aus dem Altertume vorhanden sei, welche nicht eine bloße Mutmaßung, welche die eigene ungezweifelte Überschrift für den Schlaf erkläre; er hatte diese Figur weder beim Boissard, noch Gruter, noch Spanheim, noch Beger, noch Brouckhuysen 84 gefunden, und überall nichts von ihr in Erfahrung gebracht. Nun denke man sich das Homerische Gemälde, so wie er es haben wollte; mit einem Schlafe, als ob es der aufgeweckte Schlaf des Algardi wäre; mit einem Tode, ein klein wenig artiger, als er in den deutschen Totentänzen herumspringt. Was ist hier alt, was griechisch, was homerisch? Was ist nicht galant, und gotisch, und französisch? Würde sich dieses Gemälde des Caylus zu dem Gemälde, wie es sich Homer denken mußte, nicht eben verhalten, als Hudarts Übersetzung zu dem Originale? Gleichwohl wäre nur der Ratgeber des Künstlers Schuld, wenn dieser so ekel und abenteuerlich modern würde, wo er sich, in dem wahren Geiste des Altertums, [456] so simpel und fruchtbar, so anmutig und bedeutend zeigen könnte. Wie sehr müßte es ihn reizen, an zwei so vorteilhaften Figuren, als geflügelte Genii sind, alle seine Fähigkeit zu zeigen, das Ähnliche verschieden, und das Verschiedene ähnlich zu machen! Gleich an Wuchs, und Bildung, und Miene: an Farb und Fleisch so ungleich, als es ihm der allgemeine Ton seines Kolorits nur immer erlauben will. Denn nach dem Pausanias war der eine dieser Zwillingsbrüder schwarz; der andere weiß. Ich sage, der eine und der andere; weil es aus den Worten des Pausanias nicht eigentlich erhellet, welches der schwarze, oder welches der weiße gewesen. Und ob ich es schon dem Künstler itzt nicht verdenken würde, welcher den Tod zu dem schwarzen machen wollte: so möchte ich ihn darum doch nicht einer ganz ungezweifelten Übereinstimmung mit dem Altertume versichern. Nonnus wenigstens läßt den Schlaf μελανοχροον nennen, wenn sich Venus geneigt bezeigt, der weißen Pasithea so einen schwarzen Gatten nicht mit Gewalt aufdringen zu wollen: 85 und es wäre leicht möglich, daß der alte Künstler dem Tode die weiße Farbe gegeben, um auch dadurch anzudeuten, daß er der fürchterlichere Schlaf von beiden nicht sei.

Freilich konnte Caylus aus den bekannten ikonologischen Werken eines Ripa, Chartarius, und wie deren Ausschreiber heißen, sich wenig oder gar nicht eines Bessern unterrichten.

Zwar das Horn des Schlafes, kannte Ripa: 86 aber wie betrüglich schmücket er ihn sonst aus? Das weiße kürzere Oberkleid über ein schwarzes Unterkleid, welches er und Chartarius ihm geben, 87 gehört dem Traume, nicht dem Schlafe. Von der Gleichheit des Todes mit ihm, kennet Ripa zwar die Stelle des Pausanias, aber ohne zu jenes Bild den geringsten Gebrauch davon zu machen. Er schlägt dessen ein dreifaches vor; und keines ist so, wie es der Grieche oder Römer würde erkannt haben. Gleichwohl ist auch nur das eine, von der Erfindung des Camillo da Ferrara, ein Skelett: aber ich zweifle, ob Ripa damit sagen wollen, daß dieser Camillo es sei, welcher den [457] Tod zuerst als ein Skelett gemalet. Ich kenne diesen Camillo überhaupt nicht.

Diejenigen, welche Ripa und Chartarius am meisten gebraucht haben, sind Gyraldus, und Natalis Comes.

Dem Gyraldus haben sie den Irrtum, wegen der weißen und schwarzen Bekleidung des Schlafes, nachgeschrieben; 88 Gyraldus aber muß, anstatt des Philostratus selbst, nur einen Übersetzer desselben nachgesehen haben. Denn es ist nicht Ύπνος, sondern Ονειρος, von welchem Philostratus sagt: 89 Εν ανειμενω τω ειδει γεγραπται, και εσϑητα εχει λευκην επι μελαινη, το, οιμαι, νυκτωρ αυτου και μεϑ' ήμεραν. Es ist mir unbegreiflich, wie auch der neueste Herausgeber der Philostratischen Werke, Gottfr. Olearius, der uns doch eine fast ganz neue Übersetzung geliefert zu haben versichert, bei diesen Worten so äußerst nachlässig sein können. Sie lauten bei ihm auf Latein: Ipse somnus remissa pictus est facie, candidamque super nigra vestem habet, eo, ut puto, quod nox sit ipsius, et quae diem excipiunt. Was heißt das, et quae diem excipiunt? Sollte Olearius nicht gewußt haben, daß μεϑ' ήμεραν interdiu heiße, so wie νυκτωρ noctu? Man wird müde, könnte man zu seiner Entschuldigung sagen, die alten elenden Übersetzungen auszumisten. So hätte er wenigstens aus einer ungeprüften Übersetzung niemanden entschuldigen, und niemanden widerlegen sollen! Weil es aber darin weiter fort heißt; Cornu is (somnus) manibus quoque tenet, ut qui insomnia per veram portam inducere soleat: so setzt er in einer Note hinzu: Ex hoc vero Philostrati loco patet optimo jure portas illas somni dici posse, qui scilicet somnia per eas inducat, nec necesse esse ut apud Virgilium (Aeneid. VI. v. 893) somni dictum intelligamus pro somnii, ut voluit Turnebus I. IV. Advers. c. 14. Allein, wie gesagt, Philostratus selbst redet nicht von den Pforten des Schlafes, Somni, sondern des Traumes, Somnii; und Ονειρος, nicht Ύπνος, ist es auch ihm, welcher die Träume durch die wahre Pforte einläßt. Folglich ist dem Virgil noch immer nicht anders, als durch die Anmerkung des Turnebus zu helfen, wenn [458] er durchaus, in seiner Erdichtung von jenen Pforten, mit dem Homer übereinstimmen soll. – Von der Gestalt des Todes schweigt Gyraldus gänzlich.

Natalis Comes gibt dem Tode ein schwarzes Gewand, mit Sternen. 90 Das schwarze Gewand, wie wir oben gesehen, 91 ist in dem Euripides gegründet: aber wer ihm die Sterne darauf gesetzt, weiß ich nicht. Träume contortis cruribus hat er auch, und er versichert, daß sie Lucian auf seiner Insel des Schlafes so umher schwärmen lassen. Aber bei dem Lucian sind es bloß ungestaltete Träume, αμορφοι und die krummen Beine sind von seiner eigenen Ausbildung. Doch würden auch diese krummen Beine nicht den Träumen überhaupt, als allegorisches Kennzeichen, sondern nur gewissen Träumen, selbst nach ihm, zukommen.

Andere mythologische Compilatores nachzusehen, lohnt wohl kaum der Mühe. Der einzige Banier möchte eine Ausnahme zu verdienen scheinen. Aber auch Banier sagt von der Gestalt des Todes ganz und gar nichts, und von der Gestalt des Schlafes mehr als eine Unrichtigkeit. 92 Denn auch er verkennet, in jenem Gemälde beim Philostrat, den Traum für den Schlaf, und erblickt ihn da als einen Mann gebildet, ob er schon aus der Stelle des Pausanias schließen zu können glaubet, daß er als ein Kind, und einzig als ein Kind, vorgestellet worden. Er schreibt dabei dem Montfaucon einen groben Irrtum nach, den schon Winckelmann gerügt hat, und der seinem deutschen Übersetzer sonach wohl hätte bekannt sein können. 93 Beide nämlich, Montfaucon und Banier, geben den Schlaf des Algardi, in der Villa Borghese, für alt aus, und eine neue Vase, die dort mit mehrern neben ihm stehet, weil sie Montfaucon auf einem Kupfer dazugesetzt gefunden, soll ein Gefäß mit schlafmachendem Safte bedeuten. Dieser Schlaf des Algardi selbst, ist ganz wider die Einfalt und den Anstand des Altertums; er mag sonst so kunstreich gearbeitet sein, als man will. Denn seine Lage und Gebärdung ist von der Lage und Gebärdung [459] des schlafenden Fauns, im Palaste Barberino, entlehnet, dessen ich oben gedacht habe. 94

Mir ist überall kein Schriftsteller aus dem Fache dieser Kenntnisse vorgekommen, der das Bild des Todes, so wie es bei den Alten gewesen, entweder nicht ganz unbestimmt gelassen, oder nicht falsch angegeben hätte. Selbst diejenigen, welche die von mir angeführten Monumente, oder denselben ähnliche, sehr wohl kannten, haben sich darum der Wahrheit nicht viel mehr genähert.

So wußte Tollius zwar, daß verschiedene alte Marmor vorhanden wären, auf welchen geflügelte Knaben mit umgestürzten Fackeln den ewigen Schlaf der Verstorbenen vorstellten. 95 Aber heißt dieses, in demeinen derselben, den Tod selbst erkennen? Hat er darum eingesehen, daß die Gottheit des Todes von den Alten nie in einer andern Gestalt gebildet worden? Von dem symbolischen Zeichen eines Begriffs, bis zu der festgesetzten Bildung dieses personifierten, als ein selbstständiges Wesen verehrten Begriffes, ist noch ein weiter Schritt.

Eben dieses ist vom Gori zu sagen. Gori nennet zwar, noch ausdrücklicher, zwei dergleichen geflügelte Knaben auf alten Särgen, Genios Somnum et Mortem referentes: 96 aber schon dieses referentes selbst, verrät ihn. Und da gar, an einem andern Orte, 97 ihm eben diese Genii Mortem et Funus designantes heißen; da er, noch anderswo, in dem einen derselben, Trotz der ihm, nach dem Buonarotti, zugestandenen Bedeutung des Todes, immer noch einen Cupido sieht; da er, wie wir gesehen, die Gerippe auf dem alten Steine für Mortes erkennet: so ist wohl unstreitig, daß er wenigstens über alle diese Dinge noch sehr uneins mit sich selbst gewesen.

Auch gilt ein gleiches von dem Grafen Maffei. Denn ob auch dieser schon glaubte, daß auf alten Grabsteinen die zwei geflügelten Knaben mit umgestürzten Fackeln, den Schlaf und den Tod bedeuten sollten: so erklärte er dennoch einen solchen [460] Knaben, der auf dem bekannten Konklamationsmarmor in dem Antiquitätensaale zu Paris stehet, weder für den einen, noch für den andern; sondern für einen Genius, der durch seine umgestürzte Fackel anzeige, daß die darauf vorgestellte verblichene Person, in ihrer schönsten Blüte gestorben sei, und daß Amor, mit seinem Reiche, sich über diesen Tod betrübe. 98 Selbst als Dom Martin ihm das erstere Vorgeben mit vieler Bitterkeit streitig gemacht hatte, und er den nämlichen Marmor in sein Museum Veronense einschaltete: sagt er zu dessen näherer Bestätigung schlechterdings nichts, und läßt die Figuren der 139sten Tafel, die er dazu hätte brauchen können, ganz ohne alle Erklärung.

Dieser Dom Martin aber, welcher die zwei Genii mit umgestürzten Fackeln auf alten Grabsteinen und Urnen, für den Genius des Mannes und den Genius der Gattin desselben, oder für den doppelten Schutzgeist wollte gehalten wissen, den, nach der Meinung einiger Alten, ein jeder Mensch habe, verdienet kaum widerlegt zu werden. Er hätte wissen können und sollen, daß wenigstens die eine dieser Figuren, zu Folge der ausdrücklichen alten Überschrift, schlechterdings der Schlaf sei; und eben gerate ich, glücklicher Weise, auf eine Stelle unsers Winkelmanns, in der er die Unwissenheit dieses Franzosen bereits gerügt hat.

»Es fällt mir ein, schreibt Winkelmann, 99 daß ein anderer Franzos, Martin, ein Mensch, welcher sich erkühnen können zu sagen, Grotius habe die Siebenzig Dolmetscher nicht verstanden, entscheidend und kühn vorgibt, die beiden Genii an den alten Urnen könnten nicht den Schlaf und den Tod bedeuten; und der Altar, an welchem sie in dieser Bedeutung mit der alten Überschrift des Schlafes und des Todes stehen, ist öffentlich in dem Hofe des Palastes Albani aufgestellt.« Ich hätte mich dieser Stelle oben (S. 413) erinnern sollen: denn Winkelmann meinet hier eben denselben Marmor, den ich dort aus seinem »Versuche über die Allegorie« anführe. Was dort so deutlich nicht ausgedrückt war, ist es hier um so viel mehr: [461] nicht bloß der eine Genius, sondern auch der andere, werden auf diesem Albanischen Monumente, durch die wörtliche alte Überschrift für das erkläret, was sie sind; für Schlaf und Tod. – Wie sehr wünschte ich, durch Mitteilung desselben, das Siegel auf diese Untersuchung drücken zu können!

Noch ein Wort von Spencen; und ich schließe. Spence, der uns unter allen am positivsten ein Gerippe für das antike Bild des Todes aufdringen will, Spence ist der Meinung, daß die Bilder, welche bei den Alten von dem Tode gewöhnlich gewesen, nicht wohl anders als schrecklich und gräßlich sein können, weil die Alten überhaupt weit finstrere und traurigere Begriffe von seiner Beschaffenheit gehabt hätten, als uns gegenwärtig davon beiwohnen könnten. 100

Gleichwohl ist es gewiß, daß diejenige Religion, welche dem Menschen zuerst entdeckte, daß auch der natürliche Tod die Frucht und der Sold der Sünde sei, die Schrecken des Todes unendlich vermehren mußte. Es hat Weltweise gegeben, welche das Leben für eine Strafe hielten; aber den Tod für eine Strafe zu halten, das konnte, ohne Offenbarung, schlechterdings in keines Menschen Gedanken kommen, der nur seine Vernunft brauchte.

Von dieser Seite wäre es also zwar vermutlich unsere Religion, welche das alte heitere Bild des Todes aus den Grenzen der Kunst verdrungen hätte! Da jedoch eben dieselbe Religion uns nicht jene schreckliche Wahrheit zu unserer Verzweiflung offenbaren wollen; da auch sie uns versichert, daß der Tod der Frommen nicht anders als sanft und erquickend sein könne: so sehe ich nicht, was unsere Künstler abhalten sollte, das scheußliche Gerippe wiederum aufzugeben, und sich wiederum in den Besitz jenes bessern Bildes zu setzen. Die Schrift redet selbst von einem Engel des Todes: und welcher Künstler sollte nicht lieber einen Engel, als ein Gerippe bilden wollen?

Nur die mißverstandene Religion kann uns von dem Schönen entfernen: und es ist ein Beweis für die wahre, für die richtig verstandene wahre Religion, wenn sie uns überall auf das Schöne zurückbringt.

Fußnoten

1 In der Vorrede zum zweiten Teile der Abhandlungen des Grafen Caylus.

2 Ιλ. π. v. 681. 82.

3 Pausanias Eliac. cap. XVIII. p. 422. Edit. Kuh. Laokoon S. 84.

4 Laconic. cap. XIIX. p. 253.

5 Allego. S. 81.

6 Vita Apollo. lib. V. c. 4.

7 S. 76.

8 Topograph. Parte III. p. 48.

9 Parte V. p. 22. 23.

10 Tab. LXXIX.

11 Man sehe das

12 Barthius ad Rutilii lib. I. v. 327. p. 121.

13 Idem ibid. p. 128.

14 Über den Nutzen und Gebr. der alt. gesch. St. von S. 194 bis 224. 35.

15 Ad Statium, Silv. V. 4.

16 Lib. II. Sat. I. v. 57, 58.

17 Car. Paschalii Coronarum lib. IV. c. 5.

18 Hippol. v. 1437.

19 Alc. v. 22. 23.

20 Wonna Exercit. III. de Geniis cap. 2. §. 7.

21 S. 84.

22 Rectius διεσραμμενον, ut antea εοικοτα, respiciunt enim Accusativum παιδα.

23 Expos. Signi veteris Tolliani p. 294. Fortuitorum Jacobi Tollii.

24 Beim Maffei, (T. XCIV) wo man sich über den Geschmack dieses Auslegers ärgern muß, der eine so unanständige Figur mit aller Gewalt zu einem Bacchus machen will.

25 Tab. CLI.

26 Erstes Wäldchen S. 83.

27 S. die beigefügten

28 Ad. ver. 234. Hym. in Delum p. 524. Edit. Ern.

29 Pag. CCCIV.

30 Hermaphroditus nudus, qui involutum palliolo femur habet. – Caput ingens Pyrrhi regis Epirotarum, galeatum, cristatum, et armato pectore.Topogr. Parte I. p. 7.8 Winkelmanns Anmerkungen über die Geschichte der Kunst. S. 98.

31 Par. VI. p. 119.

32 Ad Tibullum Lib. II. Eleg. I. v. 89: Et sic quidem poetae plerique omnes, videlicet ut alas habuerit hic deus in humeris. Papinius autem, suo quodam jure peculiari, alas ei in pedibus et in capite adfingit; L. 10. Theb. v. 137.

33 Par. V. p. 115.

34 Pag. DCCXII.

35 Sepulc. Car. XIV.

36 Parte V. p. 22.

37 Tollii Expos. Signi vet. p. 292.

38 Aus Par. III. p. 69 und vielleicht auch Part. V. p. 23.

39 Museo Veron. Tab. CXXXIX.

40 Lib. II. Eleg. I. V. 89. 90.

41 Seneca Herc. Fur. v. 1070.

42 Sat. VI. v. 18.

43 Schemate VII. p. 123; dem Anfange dieser Untersuchung vorgesetzt. S. 409.

44 Beim Maffei Tab. CXXI.

45 Hyginus Poet. Astr. Libr. II. cap. 42.

46 Boissardus Par. III. p. 144.

47 Gemme antiche colle sposizioni di P. A. Maffei, Parte III. p. 58.

48 Besonders in den Ekklesiazusen, wo Blepyrus mit seiner Praxagora schilt, daß sie des Nachts heimlich aufgestanden und mit seinen Kleidern ausgegangen sei: (Z. 533–34.)

Ωχου καταλιπουσ' ώσπερει προκειμενον,

Μονον ου σεφανωσασ', ουδ' επιϑεισα ληκυϑον.

Der Scholiast setzt hinzu: Ειωϑασι γαρ επι νεκρων τουτο ποιειν. Man vergleiche in dem nämlichen Stücke die Zeilen 1022–27, wo man die griechischen Gebräuche der Leichenbestattung beisammen findet. Daß dergleichen den Toten beizusetzende Flaschen, ληκυϑοι, bemalet wurden, und daß es eben nicht die größten Meister waren, die sich damit abgaben, erhellet eben daselbst, aus Z. 987. 88. Tanaquill Faber scheint geglaubt zu haben, daß es nicht wirklich bemalte Flaschen gewesen, die man den Toten beigesetzt, sondern daß man nur um sie her dergleichen Flaschen gemalt; denn er merkt bei der letzten Stelle an: Quod autem lecythi mortuis appingerentur, aliunde ex Aristophane innotuit. Ich wünschte, er hätte uns dieses aliunde nachweisen wollen.

49 Servius ad Aeneid. VI. v.233: Somnum cum cornu novimus pingi. Lutatius apud Barthium ad Thebaid.VI. v. 27: Nam sic a pictoribus simulatur, ut liquidum somnium ex cornu super dormientes videatur effundere.

50 Denkbilder der alten Völker S. 193. deut. Übers.

51 Die diejenigen benennt, welche dem Amemptus das Denkmal gesetzet,

LALVS. ET. CORINTHVS. L.

V. Gruteri Corp. Inscr. p. DCVI. Edit. Graev.

52 S. Lipperts Dakt. I. 366.

53 Thebaid. X. v. 100. Barth hätte nicht so ekel sein, und dies-Zeilen darum zu kommentieren unterlassen sollen, weil sie in einigen der besten Handschriften fehlen. Er hat seine Gelehrsamkeit an schlechtere Verse verschwendet.

54 Corp. Inscript. p. LXVII. 8.

55 Allegorie S. 81.

56 Inscript. antiq. quae in Etruriae Urbibus exstant Par. I. p. 455.

57 Ibid. p. 382: – Tabula, in qua sub titulo sculptum est canistrum, binae corollae, foemina coram mensa tripode in lectisternio decumbens, Pluto quadriga vectus animam rapiens, praeeunte Mercurio petasato et caduceato, qui rotundam domum intrat, prope quam jacet sceletus.

58 Inscript. cap. I. p. 17; vom Gori am letztern Orte angeführt.

59 Descript. des Pierres gr. p. 517. n. 241.

60 Pallida, lurida Mors.

61 Atris circumvolat alis. Horat. Sat. II. I. v. 58.

62 Fila sororum ense metit. Statius Theb. I. v. 633.

63 Mors avidis pallida dentibus. Seneca Her. Fur.

64 Avidos oris hiatus pandit. Idem Oedipo.

65 Praecipuos annis animisque cruento ungue notat.Statius Theb. VIII. v. 380.

66 Fruitur coelo, bellatoremque volando campum operit. Idem ibid. v. 378.

67 Captam tenens fert Manibus urbem. Idem Th. I. v. 633.

68 Alcest. v. 843. wo ihn Herkules Ανακτα τον μελαμπεπλον νεκρων nennet.

69 Eben daselbst, Z. 76. 77, wo er von sich selbst sagt:

Ιερος γαρ όυτος των κατα χϑονος ϑεων,

Οτου τοδ' ενχος κρατος άγνισει τριχα.

70 Wenn anders das πτερωτος αδας in der 261sten Zeile von ihm zu verstehen ist.

71 Polymetis p. 261. The Roman poets sometimes make a distinction between Lethum and Mors, which the poverty of our language will not allow us to express; and which it is even difficult enough to conceive. Perhaps, they meant by Lethum, that general principle or source of mortality, which they supposed to have its proper residence in hell; and by Mors, or Mortes, (for they had several of them) the immediate cause of each particular instance of mortality on our earth.

72 Thebaid. IX. v. 280.

73 Libr. V. cap. 19. p. 425. Edit. Kuh.

74 Act. Litt. Vol. III. Parte III. p.288: Consideremus quasdam figuras arcae Cypseli in templo Olympico insculptas. Inter eas apparet γυνη οδοντας κ. τ. λ. – Verbum Κηρα recte explicat Kuhniusmortem fatalem,eoque loco refutari posse videtur Auctoris opinio de minus terribili forma morti ab antiquis tributa, cui sententiae etiam alia monimenta adversari videntur.

75 Gattakerus de novi Instrumenti stylo cap. XIX.

76 Apuleius de Deo Socratis.( p. 110. Edit. Bas. per Hen. Petri) Est et secundo signatu species daemonum, animus humanus exutus et liber, stipendiis vitae corpore suo abjuratis. Hunc vetere Latina lingua reperio Lemurem dictitatum. Ex hisce ergo Lemuribus, qui posterorum suorum curam sortitus, pacato et quieto numine domum possidet, Lar dicitur familiaris. Qui vero propter adversa vitae merita, nullis bonis sedibus incerta vagatione, ceu quodam exilio punitur, inane terriculamentum bonis hominibus, caeterum noxium malis, hunc plerique Larvam perhibent. Cum vero incertum est quae cuique sortitio evenerit, utrum Lar sit an Larva, nomine Manium deum nuncupant, et honoris gratia Dei vocabulum additum est.

77 Epist. XXIV.

78 Sittliche Zuchtbücher des hochberühmten Philosophi Seneca. Strasburg 1536, in Folio.Ein späterer Übersetzer des Seneca, Konrad Fuchs, (Frankf. 1620) gibt die Worte, et Larvarum habitum nudis ossibus cohaerentium, durch »und der Todten gebeinichte Companey.« Fein zierlich und toll!

79 Seite 443.

80 Aeneid. VI. v. 653.

81 Potantibus ergo, et accuratissimas nobis lauticias mirantibus, larvam argenteam attulit servus sic aptatam, ut articuli ejus vertebraeque laxatae in omnem partem verterentur. Hanc quum super mensam semel iterumque abjecisset, et catenatio mobilis aliquot figuras exprimeret, Trimalcio adjecit:

Heu, heu nos miseros, quam totus homuncio nil est!

Sic erimus cuncti, postquam nos auferet Orcus.

Ergo vivamus, dum licet esse bene.

(Edit. Mich. Hadr. p. 115)

82 Iliad. π. v. 681.

83 Tableaux tirés de l'Iliade. etc.

84 Brouckhuysen hat sie, aus dem Spanheim, seinem Tibull einverleibet. Beger aber, welches ich oben (S. 427) mit hätte anmerken sollen, hat das ganze Monument, von welchem diese einzelne Figur genommen, gleichfalls aus den Papieren des Pighius, in seinem Spicilegio Antiquitatis p. 106 bekannt gemacht. Beger gedenkt dabei so wenig Spanheims, als Spanheim Begers.

85 Lib. XXXIII. v. 40.

86 Iconolog. p. 464. Edit. Rom. 1603.

87 Imag. Deorum p. 143. Francof. 1687.

88 Hist. Deorum Syntag. IX. p. 311. Edit. Jo. Jensii.

89 Iconum lib. I. 27.

90 Mythol. lib. III. cap. 13.

91 S. 445.

92 Erläut. der Götterlehre, vierter Band, S. 147 deut. Übers.

93 Vorrede zur Geschichte der Kunst, S. XV.

94 S. 421.

95 In notis ad Rondelli Expositionem S. T. p. 292.

96 Inscript. ant. quae in Etruriae Urbibus exstant, Parte III. p. XCIII.

97 L.c.p. LXXXI.

98 Explic. de divers Monumens singuliers qui ont rapport à la Religion des plus anciens peuples, par le R. P. Dom** p. 36.

99 Vorrede zur Geschichte der Kunst S. XVI.

100 Polymetis p. 262

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TextGrid Repository (2012). Lessing, Gotthold Ephraim. Ästhetische Schriften. Wie die Alten den Tod gebildet. Wie die Alten den Tod gebildet. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-EA76-D