103.
Empfindungen eines jungen Russen der in der Fremde erzogen seine allerhöchste Landesherrschaft wieder erblickte

So ward ich denn noch dazu aufgehoben
Das Angesicht zu sehn, das unter Still und Nacht
Und Sturm und Sonnenschein wie eine Gottheit oben
So manches Tagewerk ausbildend schon vollbracht
Und Völker, welche sie in hundert Sprachen loben,
Zu einer Nazion gemacht.
Da stehn sie um sie her, mit Flammen in den Blicken
Die Glücklichen, den Seegen auszudrücken,
Der ihr seit der Vereinigung
Von einer halben Welt gelung. –
Da steht der grosse Geist: der, Muster von Regenten,
Doch keine Mutter sah wie Die;
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Den Friedriche belohnen könnten
Doch glücklich machen nicht, wie sie.
Sie, die das Ganze zu umfassen
Selbst ihrem Scharfsinn wehrt, sobald er Wesen drückt,
Die zu Maschinen sich einmal nicht brauchen lassen
Und schienen sie noch so beglückt.
Sie die so menschlich herrscht, daß jeglichem Talente
Die Fessel von den Händen sinkt,
Sie die selbst da, wo Titus zwingen könnte
Nie anders als durch Freiheit zwingt. –
Da steht der schwache Kopf, für den, in dem sie denket
Erstaunt, daß sies ergänzt, an seiner Statt vollendt,
Worauf er hofnungslos die letzte Kraft verschwendt,
Woran er sich zersann, daß sie den Schwindel lenket
Und selbst den Phaëton sanft auf den Boden senket,
Damit er keine Welt verbrennt.
So ist denn das die Frau, die über jedes Lob,
Das Schwachheit oder Furcht dicktirte,
Durch Thaten, die kein Lob berührte,
Und durch Bescheidenheit unsterblich sich erhob? –
Die selbst die Schmeichelei durch unbesungne Schritte,
Womit sie nach der Wahrheit rang,
Offt durch das Gegenteil, offt durch die weisre Mitte
Zu heilsamer Beschämung zwang.
Die jede Politick studierte,
Zu lernen nie verschmäht', auch wenn kein Lob es rieth;
Selbst das erschuf, was sie kopierte,
Der Fehler feinsten Anfang mied
Und standhaft, wenn um sie die Staatskunst kabalirte
Selbst da, wo offt ein Pitt nur Zweiffel kalkulirte,
Den feinen Schlangenpfad, der zur Vollendung führte
Allzeit mit Sicherheit entschied. –
Die still und sanft ihr Reich auf einen Felsen baute,
[241]
Auf zweyer Welten Schlangen trat
Und dann – mit Petern um sich schaute
Auf einen ewigfesten Staat.
Die Frau! die selbst in ihren Kriegen
Noch Muster ist und Herzen nur besiegt,
Der die Bezwungnen selbst mit Dank zu Füssen liegen,
Weil sie ihr Unglück nur bekriegt.
Wie aber? – jener Blick voll Kraft und doch voll Güte
Der Weise selbst zur Ehrfurcht zwingt,
Mit wundervoller Jugendblüthe
Die Mentors um sich her verjüngt:
Ist das der junge Fürst, der schon so lang sie heget
Gefühle jener Art, wie Peters Brust bewegt,
Und sie verschließt – weil er die Kräfte wäget,
Mit denen er die Welt einst trägt?
O theurer Fürst! der Kenner wird sie finden,
Des Weisen schärfster Blick sie gründen
In deinem feinsten Zug, wenn er dein Bild vergleicht,
Den Ahnherrn sieht, erblaßt – und schweigt.
Geliebte Grösse! die durch sanft verschwiegne Tugend,
Die durch zurückgehaltne Kraft
Schon jetzt sich eine Welt erschafft,
In der sie Vorbild ist: sieh unsre beßre Jugend,
Bekannt mit jedem Reitz der Tugend,
Die still und froh in Deinem Beyspiel liest,
Der es, indem es sie zur Lust, zum Kampf begleitet,
Das Säitenspiel, so wie den Bogen leitet,
In jeder Klasse Vorbild ist.
Kurz, der, Du Mensch-Apollo bist.
Für diese ists, daß Du die Triebe zwingest,
Die Dich so menschlich sanft zum Schutzgestirn erhöhn,
Und dann im Geist hoch über Wolken dringest
Zahllose Herzen glühn zu sehn.
Für diese ists, daß sich in Unschuldstänzen
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Der süsse Pfeil in jeden Busen pflanzt
Und Beyfall, womit nur die freisten Seelen kränzen
Dein Herz, ganz Güte, sich ertanzt 1.
Für diese ists, daß eitle Lorbeerreiser
Dies Herz verschmäht und Alexanders Ruhm,
Für einen Blick, der redlicher und weiser
Dir sagt: Du wirst der Herzen Käiser –
Auch meines ist Dein Eigenthum.
Ja Prinz! die Frau, die Dich der Welt geschenket
Ward dadurch Mutter auch für mich.
Daß sie der Welten Zügel lenket
Ist groß, doch grösser nicht, als das: Sie schenkt' uns Dich.
Sie gab die Fürstinn uns, die Paulen glücklich machet
Und durch ihn eine Welt, die, wenn er glücklich ist,
Mariens Schatten seegnend küßt
Die den in ihr verehrt, durch den die Erde lachet
Der keines Staub's darauf vergißt.

Fußnoten

1 Daß das Tanzen, bei dem Zwange, in dem unsere Fürsten leben, die einzige Gelegenheit ist, sich dem Volk vortheilhaft zu weisen und ihre Liebe zu gewinnen, kann man nur beurteilen, wenn man lang an Höfen gelebt hat.

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TextGrid Repository (2012). Lenz, Jakob Michael Reinhold. Gedichte. Gedichte. 103. Empfindungen eines jungen Russen. 103. Empfindungen eines jungen Russen. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-E37D-8