74.
Auf die Musik zu Erwin und Elmire,
von Ihrer Durchlaucht, der verwittibten Herzogin zu Weimar und Eisenach gesezt
Wenn Sterblichen vergönnet wäre
Zu seyn wozu der Dichter sie
Mit Gotterhitzter Phantasie
Erschafft der Welt und sich zur Ehre;
Und in des Waldgebirges Thal
Versenkte sich in schwarzvertrauten Schatten,
Um seiner Quaalen Wuth durch Duldung abzumatten,
Ein heutiger Erwin zum zweytenmal,
Und hofft' umsonst im dichtrischen Reviere
Den Tag, die Nacht, den andern Tag,
Den dritten Tag, und Tag um Tag,
[192]Auf seine würkliche Elmire: –
Dem Armen, welchen Rath könnt ihm ein Menschenfreund,
Könnt' ihm der Dichter selbst mit nassen Augen geben?
Vertraur', Unglücklicher! dein hassenswürdig Leben,
Und trägst du's länger nicht, so tödte deinen Feind!
Ich aber wüste was ich riethe,
Ich dem der Halbgott Aeskulap,
Trotz Antiochus Arzt
1, geheime Mittel gab,
Und die ich auch nicht jedem Kranken biete:
Ich sezte meinem lieben Schwärmer
Ein klein Spinetchen in sein Thal,
Und spielt' ihm auf dem kleinen Lärmer
Der Herzogin Musik einmal;
Und wenn dann mein Erwin aus seinen lezten Zügen
Nicht aufspräng' als ein junges Reh,
Und sie allebend kommen säh
Vom Berg herab ihm in die Arme fliegen,
Und schwüre nicht, daß sie alliebend vor ihm steh
Und er für Wohl an ihrer Brust vergeh;
So wollt' ich unter seinem Weh
Mit ihm ersinken und erliegen!
Ja ja, Durchlauchtigste, Du zauberst uns Elmiren
In jede wilde Wüsteney;
Und kann der Dichter uns in seelger Raserey
Bis an des Todes Schwelle führen:
So führst Du uns von da noch seeliger und lieber
Bis nach Elysium hinüber.