Heinrich Laube
Monaldeschi
Tragödie in fünf Akten

[Widmung]

Dem Oberregisseur des Königl. Hoftheaters

zu Stuttgart Herrn Moritz gewidmet

[9] Einleitung des Verfassers

Endlich wurde es wieder dunkel; der Tag war wieder mit erdrückender Langsamkeit vorübergezogen, und mein Geist empfand wieder die Fähigkeit einiger Spannung.

Es wird den Glücklichen wunderlich klingen, welche damals ohne Sorge gelebt haben und von der Sonne Italiens entzückt worden sind. Ich spreche nämlich von dem Jahre des Heils aller Weinbauer und Weintrinker, von dem italienischen Sommer, der sich nach Deutschland verirrt harte, vom Sommer 1834. Es wird ihnen wunderlich klingen, daß jemand gerade von der Schönheit dieses Sommers gepeinigt worden sei. Und doch war dem so. Die politische Konsequenz fragt nicht nach der Billigkeit und nicht nach der Jahreszeit: die ganze Hausvogtei in Berlin war angefüllt mit jungen Männern aus allen Teilen des Vaterlandes. Oben vom Rhein und unten vom Kurischen Haff her, aus den Tälern des Riesengebirges und aus den Wäldern Westfalens waren sie hierher in die Mark gebracht worden, um Rechenschaft zu geben über längst vergessene Dinge. Diejenigen wenigstens, welche jetzt zu solchem Ende ihren Ämtern entrissen waren, die jungen Prediger, Lehrer, Rechtsgelehrten, sie konnten nur von längst altmodisch gewordenen Phantasien der Politik erzählen, und der Inquirent war viel besser unterrichtet über ihre Memoiren studentischer Ausgelassenheit als irgendeiner von ihnen, welche Geständnisse machen sollten, und dieser Geständnisse halber ins Gefängnis gesetzt wurden jahrelang. Diese Memoiren-Konsequenz ging aus von einem einzigen kleinen Manne, den dieser Gedanke später so verfolgt hat, daß er sich in ihm bis zum Wahnsinn steigerte. Als die vielen Zellen der Hausvogtei längst leer waren von den jungen Männern, deren einige hier vor Einsamkeit und Sorge den Wahnsinn umarmt hatten, da[9] versammelten sich die Gespenster dieses Gefängnisses in dem Hirne jenes kleinen Mannes, und kehrten die Schreckbilder, welche er heraufbeschworen, gegen ihn selbst; er hielt sich selbst für einen Demagogen und ward von diesem gespenstischen Gedanken in den Tod gejagt.

Im Sommer 1834 konnten dies nur die Poeten voraussagen; die außen sonnige, innen so traurige Wirklichkeit wußte nichts davon. Alle Zellen waren besetzt, auch die neu eingerichteten auf der Abendseite, wo ganz kürzlich die Räume eines Waschhauses in kleine Gemächer abgeteilt worden waren zur Aufnahme neuer Ankömmlinge. Denn alle die andern Flügel der inneren Höfe waren voll. Diese Abendseite des Waschhauses ward gerühmt wegen der Kühle in so heißem Sommer, und man versicherte mir, ich hätte es sehr gut getroffen, gerade hier mein Unterkommen gefunden zu haben.

Monatelang hatte ich schon nachdenken können über dieses Glück, denn der handbreite Streifen Himmel, welchen ich über der Blechblende meines hoch oben angebrachten Fensterchens entdecken konnte, war einen Tag wie den andern blau und klar, die eindringende Luft war immer warm, und der Schimmer steten Sonnenscheines kam auch zu mir herab, obwohl die Sonne selbst nicht zu mir konnte.

Schreckliche Einförmigkeit eines ungetrübten goldenen Wetters! Ich war darauf angewiesen, meine Gedanken zu nähren von den kleinen Abwechselungen, welche durch die wenigen Spalten von außen zu mir dringen konnten. Und vor der Tür klang der ewig gleichmäßige Fußtritt der Schildwacht, über dem Fenster schimmerte der ewig gleichmäßige Streifen Himmel. Wenn es doch ein einziges Mal regnen, wenn doch nur einmal ein Gewitter kommen wollte! Diese Gleichmäßigkeit verwischt alle Umrisse des Geistes und des Lebens; man unterscheidet nichts mehr, es ist kein Denken mehr möglich, man verfällt ins Brüten.

Ich hatte kein Buch, nicht ein einziges Buch. – Tisch, Schemel, Bett, blechernes Nachtgeschirr, blechernes Handbecken am Boden, daneben der tönerne Wasserkrug, dies waren meine Gerätschaften für Leib und Geist.

Ich war längst darüber einig, daß in den Mönchszellen von ähnlicher Art und in solcher Zelleneinsamkeit nichts Großes habe entstehen können. Abwechselnde Veranlassung, sei sie noch so gering, braucht der Geist, um zu schaffen, um nicht zu verdumpfen. Die [10] verdumpften Scharen der Mönche gaukelten vor mir umher wie eine Heuschreckenwolke. Man glaubt vielleicht, ich sei immer noch in besserer Lage gewesen als ein anderer, dessen Phantasie nicht so geübt worden. Der Schriftsteller könne deshalb leichter Gefangenschaft ertragen als zum Beispiel der Mathematiker. Ich glaube dies nicht. Die Tätigkeit der Phantasie braucht mehr als irgend eine andere ihre Ableitung und ihre Grenzen, wenn sie nicht in ihrem Extreme untergehen soll. Ohne Ableitung und Grenzen werden die Einzelheiten unverhältnismäßig aufgeblasen; sie überfüllen allen Raum des Gehirns und ersticken den Gedanken. Es entsteht Phantasterei, fixe Idee, Irrsinn. Jedermann kann auch ohne Gefängnis an sich erfahren, wie unerquicklich und peinlich es ihm werden kann, wenn ihm mitten in der Stimmung des Unbehagens ein Bild aufgeht, welches ihm nicht gefällt. Kann er seine Lage nicht verändern, kommt ihm von außen nichts zu Hilfe, so wird er das Bild nicht wieder los und es wächst fratzenhaft. Frömmelei und dergleichen Übertreibungen haben ja stets in solcher Überwucherung der bloß phantastischen Eigenschaften ihren Ursprung. Ich fand im Gegenteile den Mathematiker beneidenswert, und beklagte es, daß mein Gedächtnis nicht geübter sei in Festhaltung von Zahlen, denn solche trockene Aufgaben des Verstandes leisteten der Langeweile einen viel kräftigeren Widerstand. Bei ihnen sind die Gesetze immer nahe, und je mehr Grenzen man findet, desto leichter erhält man sich im Gleichgewicht. Langeweile und Verzweiflung sind ja aber besonders Mangel an Gleichgewicht.

Ich erinnere mich, daß mich ein pikantes Novellenthema eine Zeitlang beschäftigte. Es knüpfte sich an den ausschweifenden Borgia, welcher auf den päpstlichen Stuhl gehoben wurde. Auf seinen Streifereien findet er in der Einsamkeit der Campagna ein schönes Mädchen und gewinnt als verführerischer Mann die Liebe desselben. Das Mädchen kennt ihn natürlich nur unter falschem Namen. Sie ist orthodox in dem Glauben auferwachsen, daß der Papst hoch über allen menschlichen Bedingungen ein Stellvertreter Gottes, eine Gottheit in scheinbar menschlichem Leibe sei. Zu einem Kirchenfeste kommt sie nach Rom hinein und betet in St. Peter, den Himmel im Herzen in Gestalt ihres Geliebten. Da erscheint der Papst. Sie sieht mit halbgeöffnetem Auge zu ihm auf und senkt erschrocken das Auge wieder. Eine sündhafte Phantasie, meint sie, habe ihr Auge [11] geblendet und dem heiligen Vater den Kopf ihres Geliebten aufgesetzt. Aber die Stimme, welche jetzt den ambrosianischen Lobgesang anstimmt! Sie muß wieder hinblicken. Es ist keine Täuschung! Er ist's. Nun male man den Zustand dieses Mädchenherzens. Bald ist es heimlicher Jubel, genährt durch Legenden, in welchen heilige Personen das sterbliche Fleisch gewürdigt und geweiht haben, bald ist es Verzweiflung über das Schicksal eines furchtbaren Kirchenfrevels, und das Ende wird lieblicher Wahnsinn. Wie denn im Gefängnisse alles auf diese Grenzenlosigkeit hinausgeht und immer furchtbar schnell bei dieser Grenzenlosigkeit ankommt. Das ganze Thema wurde mir schnell zur Pein, weil ich keine Hilfsmittel hatte, es zu ordnen und in gewisser Ordnung festzuhalten. Das endlich wahnsinnige Mädchen knixte mir unter wahnsinnigen Gebärden auch in alle Szenen hinein, die der Entwickelung vorausgingen, wenn ich mir die Szenen ausbilden wollte. Ich ward wie besessen und hatte die größte Not, das Thema wieder loszuwerden.

Rankes Päpste waren eins der letzten Bücher gewesen, welches ich gehabt hatte in der anfänglichen, milderen Haft. Ach, wie unschätzbar erschienen mir damals Bücher, recht schwere Bücher voller Stoff, in denen jede Zeile zum Stillstand und zu genauer Umschau nötigte. Über ihnen, meinte ich, müsse der aufgelöste Geist wieder Halt gewinnen, Inhalt und Genesung.

Wo gibt's denn Halt? schrie ich auf, daß die Wache auf dem Korridor stehen blieb und zur Warnung für den Störenfried den Kolben auf das Pflaster stieß – wo gibt's denn Halt? Die größten Einrichtungen der menschlichen Geschichte, gewähren sie ihn denn? Gewährt ihn denn Kirche und Staat? Du hast ja Theologie studiert, du erinnerst dich ja der Kirchengeschichte! Welches Schwanken, welcher Kampf, welcher Wechsel! Heute verbrannt wegen einer kleinen Idee, welche im Augenblicke nicht beliebt ist, morgen im Triumph erhoben auf den Gipfel der Jahrhunderte um derselben Idee willen. Und wärest du gläubig, du verfielest harter Strafe, weil du obiges frevelhafte Novellenthema nur gedacht. Hast du es denn erdacht? Ist dir es nicht gekommen, wie das Schicksal kommt? Könntest du nicht um deswillen im Kerker liegen unten in der Engelsburg zu Rom, und wärest du darum schuldiger, als weil du über den Staat dich geäußert, wie das Schicksal dir den Gedankengang zugeführt? Der Staat wenigstens ist doch Ergebnis des Menschengeistes. Hier [12] scheint doch also dem denkenden Menschen die Bemerkung freizustehen. Ja, aber er muß sie büßen, wenn sie nicht in Macht kommt, wenn sie die eben herrschende Macht stört. Ich schmachte hier, und weiß doch, daß ich diesen Staat, in dessen Gefängnis ich liege, wenigstens nicht minder liebe und gewiß nicht minder gefördert sehn will als derjenige, welcher mich hierher geworfen. Ich habe nur andere Wege vor Augen als dieser. Was gibt denn also außen Halt und Stütze, wenn diese größten Einrichtungen dir unter den Füßen weichen können wie Sumpf und Flugsand? Du selbst mußt dir Halt und Stütze sein, in dir selbst muß eine geschlossene Welt leben, deine Persönlichkeit muß fest sein, dann wird alles Draußen gleichgültig. Eigner Charakter ist die Hauptsache in einer Welt ohne allgemein geglaubtes Dogma. Eigner Charakter? Worin ist er verschieden von grundsätzlichem Egoismus?

Innerhalb dieser Frage müßte sich der Held einer wirklich modernen Tragödie bewegen.

In diesem Tumulte erschien mir plötzlich Name und Gestalt Monaldeschis. Woher er kam? Ich weiß es nicht; ich erinnere mich nicht, irgendwo diesem bloß abenteuerlichen Menschen besondere Aufmerksamkeit gewidmet zu haben. Ich wußte nichts über ihn, als was die gewöhnliche historische Bildung mit sich bringt. Wie eine Geistererscheinung stand er plötzlich vor mir und wankte und wich nicht. Er trug schimmernde Kleidung in Rot und Silber, und diese Kleidung war zerrissen durch Degenstiche, aber ein Tropfen Bluts war nirgends zu sehen, und die Schönheit des männlichen Antlitzes war nicht entstellt durch ein ironisches Lächeln, welches darauf festgegraben schien.

Es kamen nun einige Tage, deren Last ich nicht merkte, weil ich hinreichend zu tun hatte, die Charakterzüge dieses Menschen in mir auszubilden, die Situationen zu suchen und zu ordnen. Aber nach diesen Tagen eilte ich in glücklicher Zerstreuung an meinen fichtenen Tisch, um die Skizze durch Aufzeichnung festzuhalten. Der Tisch war leer wie eine Tenne; ich besaß kein Schreibzeug. Hätte ich damals schon gewußt, daß ich sechs Monate lang, an die zweihundert Tage! dies Handwerkszeug entbehren sollte, ich wäre vielleicht von Sinnen gekommen.

Das geschah nicht. Ich verlebte einen Tag nach dem andern in dieser bleiernen Eintönigkeit, und das Erwachen früh brachte lange Zeit immer wieder den stechenden Schmerz, welcher den Körper [13] durchzuckt von oben bis unten. Schlaf und Traum befreien. Im Traum war ich niemals gefangen, und darum war das Erwachen stets so fürchterlich, so fürchterlich besonders wegen der gähnenden Untätigkeit, die vor mir lag. War ich angekleidet, so waren die Geschäfte des Tages beendet. Das Aufundniedermessen der sieben Schritte war alles, was mir bevorstand, und das Heer der Gedanken, welches nach einigen Stunden in wilder Unordnung war und mich auf den Schemel oder das Lager warf, es harrte meiner mit gezogenen Säbeln, gespannten Büchsen und dem ganzen Train verwilderter Phantasie.

Auch das ward anders, wenn auch spät. Von Zeit zu Zeit ward mir die traurige Litanei vorgesungen, ich habe gar keine Aussicht, jemals wieder frei zu werden, denn aus Schriften lasse sich ja alles beweisen. Die Litanei ward endlich eine schwermütige Überzeugung, die niemals ausgesprochen wurde, aber unter härenen Decken im verborgensten Winkel des Sinnes lag.

Unter diese Decken mußte auch Monaldeschi geraten sein. Er trat nicht wieder vor meinen Sinn und war vergessen, besonders als ich frei wurde und wenigstens der Gedanke ewiger Gefangenschaft weggeräumt war aus jenem Winkel. Damit mochte auch er weggeworfen worden sein.

Fünf Jahre lang schien es so. – Der Leser möge sich drein ergeben, daß ich ihm eine Entstehungs- und Lebensgeschichte aufnötige. So viel Wichtigkeit für sein Werk und für sich nimmt der Autor ja doch in Anspruch, wenn er einmal drucken oder aufführen läßt, und ein Akt des Anspruchs bleibt ja doch jede Veröffentlichung. Ich habe vielfältige Gründe, beim Druck meiner Stücke in die Entstehungs- und Lebensgeschichte derselben einzugehen, und um dieser Gründe willen, die hoffentlich einleuchten werden, möge man das anscheinend nur Persönliche in diesen Einleitungen günstig ansehen. Es ist sich keineswegs Selbstzweck; es soll nur Brücken bilden zu unserm Theater. Unser Theater ist der Zweck. Zur Beleuchtung desselben komme ich sicherlich auf diesen Wegen, vielleicht auch zu einiger Förderung desselben.

Ich wußte also nichts mehr von jenem Gefängnis-Monaldeschi, als ich zwei Jahre wieder in Freiheit verlebt und im Sommer 1837 meine Festungshaft angetreten hatte. Und doch schien mein Gedanke an dramatische Tätigkeit unzertrennlich zu sein von dem Gedanken [14] an Schloß und Riegel und Haft. Diesmal war sie milde, die Gefangenschaft: das Gerichtshaus lag an einem See mitten in einem schönen Parke, einem stattlichen Schlosse gegenüber. Meine Zelle war ein Saal geworden, statt des Fensterchens hatte ich acht Fenster, nach drei Himmelsgegenden gerichtet, und ich sah die Sonne über einem buschigen Hügel aufgehn, hinter einem grünen Wiesenhügel von englischer Schönheit untergehn. Statt der Schildwacht zogen Schwäne an meinen Fenstern vorüber, und ich konnte lesen und schreiben, soviel ich mochte. Auch hinabwandeln durfte ich in den Park bis an gewisse Grenzen, und nur wo Menschen öffentlich zu gegenseitiger Unterhaltung beisammen waren, da war ich durch meine Verpflichtung ausgeschlossen. Es gehört dergleichen zur deutschen Romantik: solange man bloß untersucht wird und vollkommen unschuldig sein kann, da wird man gepeinigt; sobald man verurteilt ist, hat die Strafidee ihr Genüge erhalten. Letzteres möcht' ich um des Himmels willen nicht angreifen, aber der Himmel möge es mich erleben lassen, daß die Idee der Untersuchung mildere Formen finde, daß der bloße Verdacht nicht mehr hinreiche, einen Menschen unglücklich zu machen. Die Gesellschaft muß sich sicherstellen, aber sie muß es auch dadurch, daß sie ihre einzelnen Mitglieder respektiert, und das einzelne bloß verdächtige Mitglied muß der Tat nach um Entschuldigung gebeten werden, daß man es seiner Freiheit beraube. Untersuchungshaft muß also nur darin Haft sein, daß der Verhaftete keine Mittel habe, die Wahrheit zu verhehlen oder zu verfälschen, übrigens aber muß sie, solange nicht irgend einer Tortur das Recht zur Untersuchungshilfe eingeräumt wird, die mildeste Haft sein, welche man ersinnen kann.

Trotz aller lieblichen Umgebung meiner neuen Haft, trotz des lebhaft erwachenden Gedankens ans Drama dachte ich mit keiner Silbe mehr an Monaldeschi, der doch hier sein Leben auf einem Lustschlosse der Königin Christine so täuschend hätte nachspielen können. Ich dachte, fern von allem bürgerlichen Leben, nur an das bürgerliche Drama. Im Schreiben einer Literaturgeschichte hatte ich mir klar gemacht, daß trotz Schiller und Goethe in Deutschland immer nur das bürgerliche Drama populär gewesen sei. Das Familienleben ist jahrhundertelang allein wahrhaft lebendig gewesen unter uns, und nur das wahrhaft Lebendige findet von der Bühne aus elektrische Wechselwirkung. Alles andre, sei es noch so [15] vortrefflich, muß sich mit dem »Erfolge der Achtung« begnügen. Vielleicht mag das anders unter uns gewesen sein in der alten Kaiserzeit, da jede Reichsstadt noch als politische Selbständigkeit ein unmittelbares Interesse hatte an Politik. Aber was hilft uns das? Das schwarz-rot-gold behangene Reichsroß ist schön und stattlich, aber es hat mit Rolands Rosse den einzigen Fehler gemein: es ist tot. Gewiß ferner ist es anders gewesen und ist es noch mit den religiösen Interessen. Was man auch sagen mag, sie sind der lebendige Punkt unsrer Politik, der lebendige Punkt unsrer Kunstformen. Sprecht von Liberalismus, von Konstitution, von Republik, ihr findet nur gebildete Zustimmung oder Ablehnung, ihr findet nur jenen matten Ton, welcher dem abstrahierten Interesse entspricht. Sprecht von Luther, vom Papste, vom Glaubensbekenntnisse, und die Äußerung leidenschaftlichen Anteils fliegt euch entgegen.

Ich weiß wohl, daß dies unsern Ohren nicht angenehm klingt. Die Sorge um das Ewige ist uns verleidet worden, der Streit um Symbole, deren wir uns nicht bedürftig fühlen, scheint uns störend, solange nicht die große Anzahl schwebender Fragen um irdische Formen erledigt ist. Aber ich frage nicht nach dem, was uns gefällt, sondern nach dem, was vorhanden. Außerdem glaube ich auch, daß eine Nation wie die unsrige gar wohl angetan ist, aus diesen Glaubensstreitigkeiten ein freies, tiefes Moment für ihre Lebensformen zu gewinnen, welches dem hierin oberflächlichen Franzosen und dem hierin äußerlich pedantischen Engländer fehlt, ein Moment neuer Poesie, nachdem die Fragen über Glaubensbekenntnisse abgeklärt sind zu klassischen Sätzen poetischer Anschauung. Leider sind unsre Glaubensstreitigkeiten nicht durchgefochten worden, und die Nation ist in einer Spaltung verblieben, welche jeglicher Kunst die Existenz unter uns erschwert. Denn die Kunst erhebt sich bei uns entweder ganz und gar über die geschichtliche Seele des Vaterlandes, und bleibt eben dadurch in einem gewissen abstrakten Verhältnisse zur Nation, wie wir dies bis zur Trostlosigkeit erlebt haben und erleben, oder sie schließt sich den Traditionen eines Glaubensbekenntnisses an, und verfällt dadurch der Parteiung. Diese Parteiung ist nichts so Geringes, als der katholisch oder protestantisch dichtende Künstler glauben mag. Jener fühlt sich stolz in der Anknüpfung an die große Reihe von Jahrhunderten, und meint, eben deshalb sei der göttlich historische Nimbus der seinige. Dieser empfindet sich [16] stolz im Gedanken des Sieges, welchen die prüfende Vernunfttätigkeit geltend gemacht, in der Losung »Vorwärts«, und er nennt den Nebel der Zukunft seinen poetischen Nebel. Aber beide leiden von der unausgefochtenen Geschichte. Sie finden Anhang, aber sie finden nicht die Nation. Und was eine ganze Nation vereinigt, das ist immerdar viel mehr, als was einen Anhang vereinigt. Je mehr Glieder verschiedener Art zu einem Bau vereinigt worden, desto fester und inniger geschlossen, desto reicher und mächtiger ist dieser Bau, desto größere Welt strahlt von ihm aus. Dies ist die großartige Bedeutung dessen, was Geschichte geworden für die Poesie. Die gefundene Idee, von welcher die Philosophen sprechen, ist für die Poesie von schwachem Werte. Was man in diesem Zusammenhange »Idee« nennt, das kann für die Poesie gar nicht gefunden werden. Es muß nicht bloß gedacht, es muß entstanden, es muß geworden sein. Die Poesie hat es nur auszusprechen, die Kunst hat es nur zu gestalten, es muß vorhanden sein, wenn auch nicht für den Alltagsblick; es muß Geschichte sein, oder wenigstens auf dem Punkte der Reife stehen, um durch die Tat des Künstlers als geschichtlich empfunden und anerkannt zu werden.

Weil dies nicht zugegeben wird, richtet die fordernde philosophische Kritik soviel Verwirrung an in unsrer Poesie, und weil dies nicht eingesehen wird, treffen die katholisch oder protestantisch schaffenden Künstler nur ein vergangenes oder nur ein einseitiges Leben. Ein katholischer Protestantismus, oder wenn man das lieber will, ein protestantischer Katholizismus allein ist bis jetzt immer nur die geschichtliche deutsche Seele gewesen für den organisch schaffenden Künstler.

Was wäre damit anzufangen gewesen für die Bühne? Unermeßlich viel. Die Bühne hätte in höherem Sinne das übernommen, was der tugendbeflissene Alltagsgeschmack von ihr zu fordern pflegt, und was er zur Entschuldigung des Gaukelspiels die »moralische Wirkung« nennt. Sie hätte dies geleistet, ohne auf den geringeren Standpunkt dieser Forderung hinabzusteigen. Sie hätte gelehrt, ohne zu dozieren; sie hätte gebildet, ohne zu lehren; sie hätte gestaltet, was vor zehn Jahren in unserm Vaterlande überall der Gestaltung harrte. Das katholische wie das protestantische Deutschland war vor zehn Jahren bereit, eine Einigung zu suchen, welche über den Glaubensformeln stände: die Poesie konnte einen besseren Frieden [17] zustande bringen als jenen westfälischen, welchen nur die Erschöpfung, nicht der friedliche Sinn geschlossen.

Warum ward diese Aufgabe verachtet? Verachtet ward sie nicht, wenn auch nichts zu ihrer Lösung geschah. Und es konnte nichts zu ihrer Lösung geschehen, und es kann nichts zur Lösung ähnlicher Aufgaben durch die Bühne in Deutschland geschehen, weil man der Bühne keine Unbefangenheit gestattet. Materiell unterstützt man die Kunst, aber die Seele der Kunst knechtet man, indem man von vornherein bestimmt, was sie zum Vorschein bringen dürfe. Dies Geschwätz auch unter sogenannten Konservativen über den Verfall dramatischer Kunst, dies Achselzucken darüber und Traurigsein! Als ob man sich beklagen könne über die Verkümmerung einer Pflanze, wenn man selbst ein enges Bretterhaus um die Pflanze gezimmert, welches die Höhe und die Breite der Pflanze vorausbestimmt! Ja, warum wächst denn die Pflanze nicht wenigstens so hoch und so breit, als ihr erlaubt ist! rufen sie wohl gar.

Die Entwickelung poetischer Lebensfragen ist auf der Bühne nicht möglich, solange die Bühnen in halb offizieller Weise den jedesmaligen Standpunkt der Regierung, ach und nicht bloß der Regierung, sogar der Höfe vertreten sollen. Die Regierung hat andere Aufgaben als die Kunst. Sie mag letztere bis auf einen gewissen Punkt überwachen. Dieser Punkt ist ohnedies der Grenzpunkt zwischen Kunst und Spektakel. Was jenseits des Spektakels liegt, muß unberührt von ihr bleiben, und kann es auch im Interesse einer guten Regierung. Denn jenseits dieses Punktes liegt nichts Störendes und Aufregendes mehr; was Kunst geworden ist, das hat keine rohen Elemente mehr. Das Anregende aber soll eine gute Regierung willkommen heißen, soll sie um die höchsten Preise fördern, es wird ihr selbst unerläßlicher Lebensatem, und was Kunstwerke anregen, das ist immer wohltätig, denn eben als Kunstwerke sind sie durch die ihnen einwohnenden Gesetze über alles Gemeine erhaben.

An diesem Hindernisse hatten wir noch nicht genug; denn wir haben nicht nur einen katholischen und einen protestantischen Staats- und Glaubensvertreter an den deutschen Hoftheatern. Wäre dies, so könnt' es immer noch einiges Gedeihen geben, da in der Tat die protestantische Seite den poetischen Gedanken einer Glaubensverschmelzung freisinnig gestalten läßt. Wir haben aber auf katholischer Seite dreifach verschiedene, auf protestantischer Seite sechsfach [18] verschiedene Staats- und Glaubensvertreter, und in der Zeit des Friedens befolgen die Protestantischen nicht nur untereinander, sondern auch gegen die Katholischen sogenannte »Konnivenz«, das heißt, sie weisen nicht nur ab, was zu Hause unbehaglich erscheinen möchte, sondern sie beseitigen auch gelinde, was außer dem Hause, was drüben im andern Staate Unbehagen erregen könnte, dadurch erregen könnte, daß es nur überhaupt irgendwo vorhanden. Kurz, man verhält sich solidarisch ablehnend gegen die dramatische Kunst.

Ist dies genug des Hindernisses? Nein; denn es betrifft nach dem Obengesagten nur die höchsten Interessen in Glaubens- und Staatsfragen. Die untergeordneten Fragen machen aber dieselben Ansprüche auf sogenannten Schutz, und da unter neun Hauptvertretern – der Kürze wegen übergehen wir dreißig – sich die Rücksichten schon so reichhaltig kreuzen können, um das dichteste Netz zu bilden, so mache man sich eine Vorstellung, welche mauerartige Verschränkung entsteht gegen jedes neue Stück von einiger Bedeutung.

Damit sind wir aber noch nicht am Ende, denn es handelt sich bei den Hindernissen nicht nur um Satz und Theorie, es handelt sich auch um Familien und Personen. Die unglückliche Idee, mit dem Begriffe Hoftheater auch Begriffe der Hofetikette zu verbinden, hat unabsehbare Folgen. Gäbe es nicht einzelne Fürsten, welche großen Sinnes diese zerstörenden Vorbedingungen überschreiten ließen, so wäre das deutsche Drama schon längst erstickt. Er fristet sich nur von Ausnahmen, welche jener große Sinn einzelner, welche augenblickliches Bedürfnis oder persönlicher Einfluß und Zufall zuwege bringen; grundsätzlich würde der konsequente Begriff des Hoftheaters, welcher über Leben und Tod des deutschen Dramas entscheidet, das deutsche Drama nur zum bedeutungslosen Spiele werden lassen.

Ja, endlich kommt zu all diesen Hindernissen auch noch der Schutz des Auslandes. Das heißt: wir schützen das Ausland gegen uns. Irgend eine historische Begebenheit, welche dem Gedächtnisse eines fremden Staates unbequem sein könnte, die wird von unserm Theater ferngehalten. Manche Gesandtschaften haben sogar in diesem Punkte mehr Aufmerksamkeit bei uns zu erwarten, als ihre Regierung im eignen Lande in Anspruch nimmt. Es gibt nichts Grelleres, als wenn man in diesem Punkte das Repertoire Frankreichs und Englands mit dem unsrigen vergleicht. Von Katastrophen [19] im Auslande gar nicht zu reden, denn ein Franzose und Engländer würde es ganz und gar unbegreiflich finden, die Darstellung derselben zu beeinträchtigen, solange die Darstellung in einem würdigen Stile sich bewegt; – ein Franzose und Engländer findet es ferner unzweifelhaft natürlich, daß sein Interesse als Autor und Publikum ganz und gar in erster Linie stehe und daß eine Frage der Höflichkeit gegen das Ausland eine untergeordnete sei. Er hat noch ganz andere Dinge voraus! Der Engländer hat einen Shakespeare aufzuweisen, welcher vor der Königin Elisabeth die englischen Königstragödien aufführen durfte, welcher selbst den Vater der zuschauenden Königin, Heinrich VIII., dramatisch vorstellen durfte! Der Franzose hatte selbst in der strengen klassischen Zeit seines Royalismus dem ästhetischen Gesetze nach vor Augen: daß eine Katastrophe nur dreißig Jahre verflossen sein müsse, um der dramatischen Weihe teilhaftig zu sein.

Und wir? Ich will dies Thema hier nicht erschöpfen, da ich bei Herausgabe meines Stückes »Struensee« imstande und genötigt sein werde, die erstaunlichsten Data anzugeben für die bei uns herrschenden Maßstäbe. Sind es Maßstäbe, sind es schwankende Bedenklichkeiten? Unsere dramatische Literatur leidet in dem einen wie in dem anderen Falle, und die Autoren, welche streng vaterländische Stoffe gefunden, sie haben eine solche Reihe Maßstäbe oder Bedenklichkeiten beizufügen, daß der gedankenloseste Kritiker in seiner literarisch scheltenden Frage: Warum haben wir kein historisches Drama? stocken muß.

So genau kannte ich nun freilich alle die Gräben, Hecken, Verhaue und Gitter nicht, welche unser höheres Drama bedrohen, als ich im Jahre 1837 die dramatische Schriftstellerei wieder aufnahm. Aber unbekannt war ich damit nicht, eben weil ich diese Gattung der Schriftstellerei wieder aufnahm, weil ich sie früher schon betrieben hatte. Das Theater nämlich hat mich zur Schriftstellerei geführt. Von früher Jugend auf habe ich für das Theater das lebhafteste literarische Interesse gehabt. Wenn ich mir's genau vergegenwärtige, so sehe ich, daß ich als lernbegieriger junger Mensch jahrelang die Literatur nur im Theater sah, daß ich mir einbildete, alle andre Schreiberei sei nur Vorbereitung dazu, um von der Bühne herab eine so lebendige Wirkung zu erreichen. Ich erstaune jetzt, wie ich als Knabe soviel habe in mich aufnehmen und wie ich bis zu einem gewissen Grade Stoffe habe verarbeiten können, die doch über meinem Kreise liegen[20] mußten. Wahrscheinlich hat wohl eben die dramatische Form in meiner Auffassungsfähigkeit ein entsprechendes Organ gefunden. Bücher aus damaliger Zeit habe ich vergessen, aber aus einer theatralischen Saison, die gewiß länger als ein Vierteljahr dauerte, und während welcher täglich gespielt wurde, erinnere ich mich noch jedes Stücks. Von Opern konnte in der kleinen Stadt und mit der reisenden Butenopschen Gesellschaft nicht sehr die Rede sein; ein paar Singspiele abgerechnet, hatte ich also gegen hundert Stücke, sicherlich das ganze damals gangbare deutsche Repertoire gesehen und behalten. Denn wir erschraken nicht etwa vor Stücken wie die »Braut von Messina«, wir gaben alles, und die Illusion eines Knaben wurde nicht leicht gestört. Im Gegenteile erhöhte ein wildes Gewitter, welches die alte Reitbahn während einer Vorstellung der »Kreuzfahrer« erschütterte, den Eindruck für mich. Weil das Dach der Reitbahn Löcher hatte, und es empfindlich einregnete, mußten die Zuschauer in Haufen zusammenrücken auf die trocknen Orte, und dieser Anblick der haufenweise zusammengepreßten Zuschauer schien mir wohl eine Folge der ängstlichen Spannung zu sein, welche das bedrohte Schicksal Balduins von Eichenhorst und Emmas von Falkenstein hervorgebracht. Auch das ängstliche Gewissen mochte meine Spannung erhöhen. Ich war ein armer Bub und hatte nicht im entferntesten die Mittel, täglich zwei Groschen für den letzten Platz zu erschwingen. Auch nicht einen Groschen, denn wir feilschten an der Kasse, und es gelang wohl manchmal, besonders wenn es nicht voll wurde, daß einer von uns für die Hälfte des Preises hinein durfte. Ich mußte andre Wege suchen, und ich fand sie, wenn auch unter Schwierigkeiten und Demütigungen. Was versucht und erträgt nicht die Passion, und Theater war meine Passion. Ich brachte allabendlich einem zweiten Liebhaber den kleinen Handspiegel, welchen ich für diesen Zweck meiner Mutter abgeschwatzt hatte. Er war nicht fehlerlos, dieser Spiegel; nicht unbedeutende Partien Quecksilber waren seinem Rücken untreu geworden, und diese Untreue machte im Laufe der Saison Fortschritte. Das bemerkte auch der zweite Liebhaber und schalt. Aber ich ließ mich dadurch nicht irre machen, und schlich allabendlich mit meinem Spiegel bewaffnet an der Kasse vorüber. Wurde ich angeschrien, so hielt ich mein Instrument wie ein blendendes Schild vor, und ohne mich auf Erörterungen einzulassen, schlüpfte ich hinauf hinter die [21] Kulissen. Dort stellte ich ihn an des zweiten Liebhabers Ankleideplatz in möglichst gutes Licht und verschwand durch ein heimliches Loch unter dem Podium, um in stiller Einsamkeit abzuwarten, bis der Stadtpfeifer mit der Musika einleiten würde. Gewöhnlich habe ich mir in jener Düsternis das letzte Stück vergegenwärtigt und dem neuen Zettel nach, welchen ich stets auswendig wußte, mich in Kombinationen eingelassen, was im heutigen Stücke vorgehn werde. Diese ersten Studien mögen wohl beigetragen haben, daß sich mir die Stücke so genau einprägten. – Begannen dann die ersten Äußerungen der verstimmten Geigen, dann schlüpfte ich durch eine halbgelöste Planke auf die Musikerbank hinaus, weil nun so viel Menschen zwischen mir und dem Aufseher waren, daß ich unbemerkt den ersten und zweiten Platz überwinden und zum letzten, mir höchstens geziemenden, hinaufdringen konnte. Dies Übersteigen lief mitunter mißlich ab, und wenn der letzte Platz sehr voll war, so mußte ich zuweilen auf der letzten Bank des zweiten bleiben, und dies beunruhigte mein Gewissen in hohem Grade, weil ich nicht dahin gehörte und jeden Augenblick ausgewiesen werden konnte. Diese Unruhe steigerte sich, als der zweite Liebhaber nicht mehr gefiel und dies nach Menschenart meinem unglücklichen Spiegel zuschrieb, die weitere Annahme desselben also entschieden verweigerte. Ich ließ mich nun freilich dadurch nicht abhalten, meinen Spiegel doch hineinzutragen, aber ich mußte ihn bei mir behalten, und das erschwerte mein Überklettern und meine Stellung überhaupt. Ihn wegzulegen wagte ich nicht aus Furcht vor gänzlichem Verlust. So beschleunigte ich die Katastrophe, denn der Aufseher hatte Augen wie ein Falke, und wußte sehr wohl, was es zu bedeuten habe, daß ich mein Entreebillett stets bei mir führte. Die Katastrophe kam, und mein Unglück schien mir grenzenlos. Darüber nachsinnend saß ich eines Sonntags vormittag vor der Reitbahn. Die Schauspieler kamen zur Probe, und der Mitdirektor, welcher den Regisseur machte, blieb in meiner Nähe stehen, auf den von fernher kommenden Zettelträger wartend. Letzterer, mit Namen Krebs, war Bedientendarsteller, Requisiteur, Inspizient und was weiß ich sonst noch in einer Person. Er war mir nicht abgeneigt, weil ich ihm oft mit praktischem Rat an die Hand gegangen war, wenn er nach seltnen Requisiten umhergeirrt und um die wahrscheinlichen Quellen verlegen gewesen war. Der Direktor-Regisseur verlangte jetzt eine der schwierigsten [22] Requisiten: nichts weniger als ein Pferd! Rochus Pumpernickel sollte gegeben werden, und auf dem Zettel sollte stehen: Rochus Pumpernickel erscheint zu Pferde. Krebs erschrak und senkte die Augen. Sie fielen auf mich, der ich auf niedrigem Steine saß, und der ich nun meinerseits durch Krebsens plötzliche Frage erschreckt wurde: »Junge, hat dein Vater nicht ein Pferd?« – »Ja, ein braunes mit einem Tigermaul!«

Die Couleur mochte verführerisch sein, kurz, ich mußte versprechen, das Pferd zu besorgen, und wenn ich dies Versprechen hielte, so dürfte ich von jetzt an jeden Abend frei ins Theater. – Welch ein Ereignis! – Die Schwierigkeiten waren ungeheuer. Das Pferd konnte Schaden leiden, denn es führte nur eine Hühnerstiege aufs Theater hinauf, und unser Tigermaul war auf gar nichts Ungewöhnliches eingerichtet. Alsdann erschien es auch der Familie bedenklich, das in der ganzen Stadt bekannte Haustier auf der Bühne figurieren zu lassen. Jedermann würde ja rufen: Das ist Laubes Pferd!

Ich überwand alles. Rochus Pumpernickel erschien auf unserm Pferde, und dies tat das Gebräuchliche. Ich spielte dabei in bloß praktischer Absicht den schweigsamen Stalljungen, das einzige Mal, daß ich auf dem Theater aufgetreten bin. Bei aller Passion hab' ich nie die geringste Neigung gehabt, selbst zu spielen. Mein Debüt lief auch übel genug ab. Das Pferd nämlich war um keinen Preis die Hühnerstiege wieder hinabzubringen; es stellte sich an, als müsse es Hals und Bein brechen, und der Stalljunge erlebte ein schreckliches Nachspiel von Vorwürfen über die Komödiantenneigung, welche diese mißliche Lage herbeigeführt. Als nun gar der Direktor-Regisseur den genialen Vorschlag machte, die ersten Bänke des er sten Ranges abzureißen, damit der Gaul von der Szene auf den Sand des Bodens hinabspringen könne, da riß meinem Papa die letzte schonende Rücksicht. So was einem friedlichen Tiere zuzumuten!

Die Folgen dieser Begebenheit, welche ohne Hals-oder Beinbruch des Pferdes gegen Mitternacht zu Ende ging, waren für meine dramaturgische Erziehung nicht unwichtig, obwohl ich sehr spät, vielleicht erst jetzt erfahren habe, daß sie nicht unwichtig gewesen. Herr Zimmermann nämlich, der Regisseur-Direktor, gestattete mir von diesem Abende an intimen Zutritt auf dem Theater, besonders auch in den Proben. Und zufälligerweise gab es gerade [23] damals einige Wochen Ferien. Meine gespannte Aufmerksamkeit und daß ich ihm dies und jenes augenblicklich zutragen konnte, – denn ich paßte auf wie ein Schießhund! – mochte ihn dazu veranlassen, und so erhielt ich ungewöhnlich früh eine genaue Detailkenntnis von der sogenannten Inszenesetzung eines Stückes.

Ich lese oft mit Erstaunen, daß man in Deutschland für den Dichter gern so großen Wert legt auf diese Theaterkenntnis. Man übertreibt darin gewiß, wenn ich auch nicht leugnen möchte, daß die Sicherheit hierin dem Autor manche Wendung erleichtern kann in der Schöpfung eines Stückes. Auf der anderen Seite aber ist es geradezu besser, wenn der Autor nicht so vertraut ist mit den herkömmlichen Hilfsmitteln: er mutet dann dem Regisseur Ungewöhnliches zu und setzt die leicht stockig werdende Maschine nach einer neuen Richtung in Gang.

Für das, was man Theaterkenntnis nennt, ist die Hauptsache: Viel zu sehen, das heißt viel Vorstellungen zu sehen, gute und schlechte. Dies ist ein außerordentlich lohnendes Studium. Wer nicht gedankenlos und ohne alles Talent ist, der erhält nach einiger Zeit nicht nur ein feines Vorgefühl für jede Anlage eines Motivs oder einer Situation und empfindet, ob eine edle oder alltägliche, eine starke oder schwache Wirkung sich bereite, sondern es ordnet sich ihm auch von selbst ein System der Motive, wenigstens eine Reihenfolge derselben. Ein also Eingeweihter kommt auch sehr bald über den in Deutschland gebräuchlichen Irrtum der Kritiker hinaus, als ob die erste und letzte Frage über ein Stück auf die Charaktere zu richten sei. Ohne interessante oder mächtige Charaktere wird kein Stück Nachdruck und Dauer gewinnen, aber es kann sie nicht bloß durch die Charaktere gewinnen. Ein geübter Zuschauer weiß bald, daß die Handlung im ganzen die Hauptsache ist. Sein Auge sucht zuerst nach Anlage und Umriß derselben, wie das Auge des Reisenden zuerst die großen Umrisse der Landschaft aufsucht und aufnimmt, und dann erst zu den einzelnen Szenen und Bildern übergeht. Letztere erhalten erst ihre Bedeutung und Wirkung durch das Ganze.

Doch erinnere ich mich deutlich, daß mir damals gerade durch die Theaterkenntnis innerhalb der Kulissen ein wichtiges Moment für den Theaterdichter auf immer eingeprägt worden ist, das Moment: den Schein konsequent aufrecht zu erhalten. Die Kunst überhaupt ist ja doch ein erhöhter Schein des Wahren, und je energischer die [24] Konsequenz aufrecht erhalten wird, desto mächtiger wird die Wirkung. Ein unscheinbarer, halb lächerlicher Vorfall war's, welcher mir Knaben damals die Veranlassung gab zu solchem natürlich späteren Gedankengange. Es ward an jenem Abende aufgeführt »Des Hasses und der Liebe Rache«, ein Schauspiel von Kotzebue, dessen sich das jetzige Theaterpublikum kaum noch erinnern wird, denn das Stück ist wohl seit 25 Jahren vom Repertoire verschwunden. Es spielt im französisch-spanischen Kriege, und am Schluß eines Aktes hat ein Offizier sein Pistol abzufeuern. Das Pistol versagte, während der Vorhang fiel. Das Publikum lachte, besonders da es hörte, daß hinter dem Vorhange noch einmal abgedrückt und wieder vergeblich abgedrückt wurde. Herr Butenop selbst spielte den Offizier, und ich wußte, daß er gegen dergleichen Mannhaftigkeiten unerbittlich streng war, und daß Freund Krebs eine schlimme Viertelstunde haben würde. Über Hals und Kopf eilte ich also hinauf hinter die Kulissen: dort trieb Herr Butenop den unglücklichen Krebs wie einen Verbrecher im Kreise umher. Krebs bohrte und bastelte am Pistol und Butenop schrie fortwährend: das Publikum muß den Schuß hören, es muß ihn durchaus hören, sonst können wir nicht weiter spielen!

Darüber nachdenkend ging ich wieder hinunter. Wozu denn? dachte ich; wir wissen ja, daß es eigentlich hätte losgehen sollen. Da knallte plötzlich, wenigstens fünf Minuten nach dem Versagen, der Schuß hinter dem Vorhange. Das schwatzende Publikum fing an zu lachen, aber es fing nur an – man unterbrach sich im Lachen. Die Mehrzahl hatte rasch eingesehen, daß dieser Knall doch nötig sei, um die Täuschung aufrecht zu erhalten. In einer großen Stadt würde man ausgelacht haben, in meiner kleinen Vaterstadt meinte man es ernstlich mit der Theaterillusion und billigte Butenops Konsequenz.

Ich kann nicht sagen, daß ich mehrere Jahre später als Gymnasiast die technische Aufmerksamkeit für das Theater erweitert hätte. Es war mir ein Genuß, in dem romantisch dunklen Glogauer Theatersaale hoch oben auf der Galerie zu sitzen, aber ein Genuß wie ein anderer. Meine Teilnahme war schon durch zu viel andere Gegenstände des Geistes in Anspruch genommen. Die Kunst verlangt gänzliche Hingebung, wenn sie ausschließlich fesseln, also etwas ganz Eigentümliches gewähren soll. Zweierlei nur ist mir im Gedächtnis [25] geblieben. Eines Sonntags empfahl uns ein gebildeter Mann, das heutige Schauspiel anzusehen, welches sehr schön und sehr lehrreich sei. Es war »Leichter Sinn« von Iffland. Ich empfand etwas davon, daß leichter Sinn noch etwas anderes wäre als Leichtsinn, und daß hierin wohl eine feine, gute Lehre liegen möchte. Aber ich empfand keinen so günstigen Eindruck von dem Stück, wie der gebildete Mann uns versprochen hatte. Später, bei reiferer Einsicht ist mir eingefallen, daß ich die Lehre wohl, aber nicht die Schönheit empfunden hatte, und daß das Drama nicht von der bloßen Lehre leben kann.

Die zweite Erfahrung betraf das Publikum. In einem Lustspiele zierte sich eine alte Dame in vornehme Redensarten hinein und erregte dadurch sehr lebhaftes Gelächter. Besonders entstand dies durch ihre eingemischten französischen Worte, und unter diesen Worten namentlich durch das Wort fils, an dessen Ende sie stets den Buchstaben s hören ließ. Das Publikum hielt dies der Rolle gemäß für falsch, und fand dies s äußerst lächerlich. Ich glaubte dem Publikum natürlich, so gewaltig ist eine überwiegende Majorität, und lachte tapfer mit. Späterhin lernte ich, daß fis die ganz richtige, also gar nicht lächerliche Aussprache, und daß das Publikum lächerlich gewesen sei.

Ich muß gestehen, daß mich diese Kleinigkeit nicht nur für lange Zeit mißtrauisch gemacht hat, sobald es sich um Äußerungen des Publikums über Einzelheiten handelte, sondern daß sie auch überhaupt meinen Zweifel weckte über die Zuverlässigkeit jedes Theatererfolges. Seit der Zeit habe ich immer nach den näheren Umständen gefragt, wenn vom Schicksale einer Aufführung die Rede war. Und noch heute glaube ich, daß ein ganz geübter Blick oder ein ganz feines Ohr dazu gehört, den Wert eines Theatererfolges richtig abzuschätzen.

Man sieht übrigens an diesen Bemerkungen, daß der Gymnasiast nicht im Wachstum des Theaterknaben blieb. Allerdings gehört der Beginn des ersten eigenen Stückes in diese Zeit; denn auch ich habe meinen Konradin in Jamben gepeinigt. Aber dieser Versuch ist mir vielmehr ein deutliches Zeichen, daß ich mich vom dramatischen Wesen entfernte, und wenn man der Sache auf den Grund geht, so wird man dies von der Mehrzahl deutscher Stücke sagen mögen, welche in gedruckten Versen die Buchhändlerlager füllen. [26] Lyrische Rede, höchstens Rede und Gegenrede ist ihnen die Seele; das Drama selbst liegt ihnen fern. Den Abschied Konradins von seiner Mutter zu deklamieren, überhaupt zu deklamieren, das war mein ein und alles, als ich, mit einem braven Schuster zusammenwohnend, dergleichen in Reime setzte. Des Gymnasiasten Sinn steht im wesentlichen wohl auf epische Form. Wer läse auch sonst den Bliomberis und jene Heldengedichte, in denen mit dem guten Schwerte und dem unwandelbaren Edelmute alles gleichmäßig ausgerichtet wird.

Der Student erst wird lyrisch. Die Liebe, die Kameradschaft, die Ideale erfüllen ihn. Es scheint mir unbegreiflich, daß mein Theaterinteresse in so völliges Vergessen habe sinken können in mir. Und doch wußte ich als junger Student kaum noch, daß eine Bühne existiere. Äußerliches Handeln, Liedersingen, Verbindungswesen, schimärische Politik, verschwimmendes Poetisieren, Reisen erfüllten meine damaligen Jahre. Reisen aber, das erfahre ich heute an mir, sind geradezu ein Todfeind aller dramatischen Anlage in uns. Sie verlangen Erweiterung der Aufnahmsfähigkeit, während das Drama Verengerung des Interesses erheischt. Sie sind das Lernen in der Zerstreuung, das Drama aber ist das Wirken in der Sammlung. In der Literatur entspricht dem Reisen die Journalistik.

Daß kein gutes Theater in der Universitätsstadt war, mochte wohl beitragen zu meiner Nichtachtung. Ich habe niemals, auch wenn ich voll Interesse für das Theater war, einer mittelmäßigen Darstellung den geringsten Geschmack abgewinnen können. Wie viele Leute wollen Theater um jeden Preis, wie vielen ist ein schlechtes Theater wenigstens die Quelle des Scherzes! Ich kann bei solcher Gelegenheit nicht lachen, sondern empfinde nur die Demütigung, daß ein Edles entwürdigt wird. Ist dies Pedanterie, oder ist es ein Zeichen, daß ich eigentlich stets den tiefsten Anteil an dramatischer Kunst genommen? Ich kann es nicht sagen. Jetzt freilich weiß ich, daß seit langer Zeit nicht das Theaterwesen, sondern das dramatische Wesen mich gefesselt, und daß ich ein sogenannter Theaternarr niemals gewesen, auch da nicht gewesen bin, als ich in der zweiten Universitätsstadt wiederum allabendlich ins Theater lief.

Diese Neigung erwachte übrigens nicht, weil in dieser neuen Stadt ein gutes Theater war. Das Theater in Breslau war ziemlich gut, aber ich war doch über ein Jahr an dem Orte, ohne ein [27] einziges Mal hinzukommen. Der Zufall führte mich hin, das Amt des Bruders Studio, welcher die Unschuld, wie er glaubte, zu schützen hatte. Ein Schauspieler war unter uns erschienen und hatte uns aufgefordert, einer Dame beizustehn, welche von der Direktion verfolgt werde. Diese wolle ihr den Kontrakt nicht halten, und habe, damit es einen Vorwand gebe, Mißfallsbezeigungen angestiftet gegen die Dame, welche anderen Tages auftrat. Als hitzige Ritter waren wir gleich bereit, für die Dame zu wirken, und besetzten anderen Tages das Parterre. Wer Miene machte, Mißfallen zu äußern, wurde von uns beleidigt bis zur notwendigen Forderung, und dies teilte die Aufmerksamkeit dergestalt, daß unser Haufe freie Hand behielt zum Applaus. »Wenn sie nur wenigstens hübsch wäre,« murmelte wohl einer und der andere, aber er klatschte doch. Wunderlich genug hieß derjenige, mit welchem ich es persönlich zu tun bekam, Tschech. Es war ein alter Student von einer uns feindlichen Landsmannschaft, ein tapfrer Bursch, aber nicht gerade so hartnäckig, daß ich deshalb glauben dürfte, es sei derselbe gewesen, welcher neuerdings das Attentat begangen. Wenigstens hatte er nach dem Theater in der Weinstube die Unbefangenheit, über unsern Kriegsplan, welchen er dort erst erfuhr, herzlich zu lachen und gegen die bloße Rücknahme meiner Beleidigung nichts einzuwenden.

Das endlich wieder gesehene Theater hatte dabei gar keine Reizung für mich gehabt, und es bedurfte eines neuen Zufalls, mich ihm wieder zuzuführen. Dieser war wohl nicht außer Zusammenhang mit dem romantischen Stile der Studentenschaft. Ich sah nämlich an der Straßenecke die Aufführung des »Käthchens von Heilbronn« angekündigt. Der deutsche Kaiser, welcher uns in den Köpfen spukte, Reichsstadtleben, Fliederbaum, Kleist, mir literarisch schon von Wert, alles das trieb mich zu dem gewissermaßen offiziellen Schlusse, abzuzählen, ob acht Groschen in meiner Tasche aufzutreiben wären.

Diese Vorstellung brachte mich zur Literatur und in die unmittelbare Theaternähe. Das Verhältnis zwischen Wetter vom Strahl und Kätzchen traf mich wie ein zündender Strahl. Ich sage absichtlich: das Verhältnis. Es war nur ein einzelner Teil des Dramas, es war viel mehr literarisches Wesen, welches mich berührte. Aber die nächste Wirkung war Anschluß an literarisch gesinnte Studiosen, welche einen Dichterverein gründeten, und erwachte Teilnahme für [28] einzelne Vorstellungen im Theater. Solchergestalt begann mein literarisches Streben überhaupt, und auf diesem Wege kam ich auch zum Dramenschreiben.

Es ist hier nicht der Ort, dies Thema auszuführen. Ich will es nur streifen, um den Zusammenhang nachzuweisen für meine dramatische Schriftstellerei.

In unserm Vereine herrschte blitzblaue Romantik. Ich machte alles mit und interessierte mich für alles, weil mir in solcher unmittelbar auf Literatur gerichteten Zusammenstellung alles neu war. Denn bis daher hatte ich planlos und absichtslos gelesen, und Shakespeare, Schlegel, Tieck, Solger wurden mir nun erst ergiebige Bücher. Äußerst überraschend war es mir, mich von den viel weiter vorgerückten Genossen bald immer als Kritiker beachtet zu sehen. Ich war mir doch so ehrlich bewußt, nichts zu wissen und nichts zu können. Es mochte wohl daher rühren, daß ich ohne Vorurteil, ohne irgend einen Schulstil aus der blanken unliterarischen Welt unter Leute trat, welche schon länger gewohnt waren, mit Brillen zu sehen, und welche jung genug waren, die unbefangene Meinung eines Naturalisten anzuhören.

Ich verstand von Goethe erst Lieder und Faust, übrigens war er mir ein verschlossenes Buch; von Schiller aber strömte ich über, und zum Erstaunen meiner Bundesgenossen perorierte ich über die Braut von Messina und Torquato Tasso, die damals kurz hintereinander gegeben worden, wie heute zu meinem Ärger mancher literarische Springinsfeld peroriert. Dies geschah in einem öffentlichen Kaffeegarten, und ein blasser Mann mit einer Brille, der am nächsten Tisch gesessen, trat bald darauf zu mir und forderte mich auf, ihm diese Rede niederzuschreiben für sein Blatt, genannt die »Freikugeln«. Denn es beginne jetzt in der Schallschen Zeitung wiederum die verwerfliche Goethesche Richtung in den Aufsätzen eines aus Berlin verschriebenen Kritikers.

Diese Aufforderung überraschte mich höchlich, denn ich hatte nie ans Druckenlassen gedacht, und wußte gar nicht, ob ich für den Druck schreiben könne. Leichtsinnig ermaß ich indessen die Größe des Beginnens so gut wie gar nicht und schrieb. Es wird auch danach gewesen sein. Aber es verwickelte mich sogleich in Kampf und Krieg mit jenem Berliner, welcher niemand anders war als Wilhelm Wackernagel, und Kampf und Krieg üben rasch alle Kräfte. [29] Ich mußte mich unterrichten, und das Gelernte stets auf der Stelle schmieden. Jetzt weiß ich, daß Wackernagel vollkommen recht hatte, meine göttliche Beatrice geringer zu finden als seine Leonore, aber damals lernte ich es nicht. Ich lernte nur Rezensionen schreiben, welche ein von uns gegründetes Blatt füllten neben weicher, ach, jämmerlich weicher Lyrik, und welche mich nach einem halben Jahre als wohlbestallten Rezensenten an Schalls eigne, von mir so hitzig bekämpfte Breslauer Zeitung führten.

Meine Aufgabe war keine geringere, als das Breslauer Theater zu rezensieren. Und zwar war ich allein, und diese damals verbreitetste Zeitung der Provinz brachte allein Theaterrezensionen. Ein junger unreifer Mensch also hatte den Ton anzugeben über Kunstangelegenheiten, welche er nicht verstand und nicht verstehen konnte. Ich würde heute sagen: es war unverzeihlich von Schall, wenn ich nicht hinzusetzen müßte, daß es eine nationale Gewohnheit unter uns ist, die Theaterkritik jungen Leuten zu überlassen. Die meisten unserer Literaten verdienen sich die Sporen mit Theaterkritik, und dies ist einer der chronisch gewordenen Schäden des deutschen Theaters. Gibt es eine Kritik, welche reichere Erfahrung voraussetzt, als diese? Das Drama selbst ist die schwierigste Kunstform; in ihr werden die verschiedenartigsten Lebensformen dargestellt, und der Schauspieler hat vom Könige bis zum Bettler Formen, Verhältnisse, Gewohnheiten wiederzugeben, welche dem jungen Menschen teils nicht geläufig, teils ganz unbekannt sind. Und über alles das richtet der junge Mensch. Was für Folgen kann dies Mißverhältnis haben?

Ich habe mich im Auslande erkundigt, und habe gefunden, daß uns dieses Mißverhältnis eigentümlich ist. Es wird nicht nur nirgends so viel kritisiert als bei uns, es ist auch nirgends so die verkehrte Welt zu Hause, daß vorzugsweise die Jugend ein Amt verwaltet, welches vor allen Dingen Reife und Erfahrung voraussetzt.

Wir strotzten übrigens von dramaturgischen Gemeinplätzen, die wir uns aus den vorhandenen Hilfsmitteln unserer Literatur zusammengelesen hatten, und strotzten von sicheren Rezepten für jede Gattung von Stücken, wie dies der Fall zu sein pflegt bei Ärzten, welche nicht mit eigenen Augen sehen und unterscheiden können.

Unter solchen Umständen geriet ich in eine Periode von wenigstens [30] zwei Jahren, während welcher ich jeden Abend, aber jeden Abend im Theater war. Routine in Theatersachen mußte ich natürlich erlangen, und dies zeigte sich wohl auch in den praktischen Anforderungen, welche während der Zeit an mich gemacht wurden. Aber wenn ich gründlich prüfe, was ich denn dabei gedacht, erfahren und gewonnen, so muß ich eingestehn, daß aller Kern, alle selbständige Folgerung fehlte, ja mir scheint es, als sei ich in der Knabenzeit tiefer innen gewesen in der dramatischen Anschauung. Dem Knaben waren die Persönlichkeiten der Schauspieler verschwunden vor der sich kreuzenden und treibenden Handlung, der Kritiker in Breslau aber war ganz und gar angesteckt von der eingerissenen Unart, sich vorzugsweise nur um einige Hauptschauspieler zu kümmern.

Dieser Sinn für darstellende Matadore hat den dramatischen Sinn in Deutschland tief beeinträchtigt; der Geschmack an Virtuositäten hat den Geschmack am kunstreichen Ganzen verkümmert. Und doch ist die Einheit in der Mannigfaltigkeit, die harmonische Bewegung des Vielartigen, das Ineinanderdrängen der Gegensätze bis zum Resultate in ausgleichendem Schlusse, doch ist gerade dies alles Seele des Dramas, und gerade die einzelne Virtuosität, der Lyrik vielleicht genehm, dem Epos vielleicht unerläßlich, kann im Drama nur auf Kosten des Dramas herrschende Stätte finden.

Die Virtuosität nahm mich denn auch mannigfach in Anspruch. Ich schrieb die offiziellen Prologe und machte Szenen und kleine Akte daraus, und bald geriet ich in die herausfordernde Praxis selbst. Es war die Zeit Paganinis, und eines Morgens trat ein Schauspieler atemlos in mein Zimmer. »Ich bin fertig!« keuchte er, »ich bin fertig! Nun helfen Sie mir!«

Wozu soll ich helfen, wenn Sie fertig sind?

Er war fertig mit seiner Rolle, und ich sollte ihm das Stück zu dieser Rolle schreiben. Er hatte nämlich sich und seine Geige so lange gequält, bis er die hauptsächlichsten grellen Kunststückchen Paganinis nachahmen konnte. Nun wollte er in der Maske des berühmten Geigers auftreten, womöglich in einem eigens dafür geschriebenen Stücke. Ich hatte doch so viel Geschmack, um es unpassend und abgeschmackt zu finden, wenn der merkwürdige Virtuos mit Komödienphrasen auf der Bühne erschiene, aber ich hatte doch nicht Geschmack genug, um das ganze Ansinnen von mir zu weisen. [31] Ich stellte also nur die Bedingung, Paganini dürfe kein Wort reden, sondern dürfe nur geigen und sich verbeugen.

Das war dem Schauspieler, Just war sein Name, einerlei, und wirklich skizzierte ich mit jener beneidenswerten schöpferischen Frechheit der Jugend noch im Laufe des Vormittags das ganze Singspiel. Ein ebenso behender Komponist, Holland, jetzt in Petersburg, war zur Hand und machte binnen zwei Tagen aus lauter Paganinischen Motiven die Musik dazu, und nach acht Tagen, ich glaube, Paganini war kaum fort von Breslau, ward aufgeführt: »Nicolo Zaganini, der große Virtuos«. Eine fabelhafte Prinzessin schwärmt darin für Kunstleistungen, und verspricht auf liebevolles Drängen ihrer Untertanen, sich demjenigen zu vermählen, welcher ihr Herz durch irgend eine Kunstleistung zu Seufzern und Tränen rühren würde. Das Turnier wird denn alsbald ausgeschrieben, und man kann sich denken, wie Tenoristen und Solotänzer um solchen Preis arbeiten. Es ist umsonst, die Prinzessin seufzt nicht und weint nicht, das Volk bricht in Wehklagen aus. Da erscheint endlich mitten unter dem sehr chinesischen Kostüm Paganini in seinem reizlosen schwarzen Frack und fängt an zu geigen. Schon nach dem ersten Stücke seufzt die Prinzessin hörbar. Er geigt wieder, nachdem er sich verbeugt, die Prinzessin bricht in Tränen aus, stürzt ihm in die Arme, und er benimmt sich kurios genug mit Geige und Fiedelbogen und mit der ihm eigentümlichen hölzernen Grazie; allgemeiner Jubel und Tanz, und Publikus fand die Kuriosität ebenfalls vergnüglich. Herr Just reiste mit der Farce jahrelang im Vaterlande umher, und lebte von der Spielerei.

Mich brachte natürlich solch dummes Zeug nicht eben weiter in meiner Bildung. Der Erfolg verleitete mich, die dreiaktige Tragödie »Zwei Edelleute, oder die Freunde«, welche ich sorgfältig geschrieben, beiseite zu legen und possenhaftem Krame nachzulaufen. Diebitsch war damals über den Balkan gegangen, und es schien mir sehr nahe zu liegen, daß ein Enthusiast seine Tochter nur demjenigen Bewerber geben wolle, welcher einen Sack voll Türkenohren aufzuweisen habe. Dies war eben in zwei Akten überzeugend, wahrscheinlich nur für mich, beendigt worden, da nahm eine wirklich fortreißende Erscheinung all meine Teilnahme in Anspruch. Ein berühmter Schauspieler war angekommen mitten im härtesten Winter und, wie es hieß, auf einem Rosse des Herzogs von Braunschweig, [32] welches ihm dieser geschenkt. Wahrscheinlich hatte er es nicht zu dem Zwecke geschenkt, daß der Künstler auf gefrornen Wegen in einem Striche von Braunschweig nach Breslau reite. Aber was kümmerte uns das, die Romantik war leibhaftig da, und man erzählte Wunder von der heldenmäßigen Stattlichkeit des Ankömmlings. Heute abend sollte er auftreten als Karl Moor. – Das Parterre war eine so kompakte Masse von Jugend, daß sie in den Schultern einem festen Boden glich, aus welchem ein Wald von unerhörten Bäumen wachsen könne. Und ein solcher Wald erwuchs wohl auch an jenem Abende. Ich steckte mitten in der Masse, und ich erlebte einen Eindruck überspannten Heldentums, den ich nie vorher erlebt hatte und nie nachher erlebt habe. Wilhelm Kunst hieß dieser Karl Moor, welcher im prallsten Anzuge, der vollendetsten Statue eines kräftigen jungen Mannes gleichend, hereinstürzte vor unsere Blicke und seine Szenen des ersten Aktes dergestalt spielte, daß wir wörtlich vom Fußboden aufgehoben wurden. Solch ein Applaus war nie erhört worden, und solche Unmittelbarkeit, solch ein Austausch zwischen Karl Moor und einigen hundert Studenten muß von wildester Äußerung sein. Kunst war damals in der schönsten Blüte seiner prächtigen Kräfte, ich glaube, wir haben geschrien, als er sich auf den Boden warf, als er mit den Fäusten die Steine zu erweichen vermeinte und mit furchtbarer Kraft stöhnte: Tränen, Tränen und kein Erbarmen!

Es ist allgemein bekannt, von welcher Art dieser Heldenspieler war. Nach alledem, was ich indessen über ihn gelesen in Schriften, die nicht bloß Zeitungen sind, achtet man den Zauber zu gering, welchen er eine Zeitlang ausübte. Er ist erst besprochen worden in der Literatur, als er schon seinen Frühling hinter sich hatte. Dieser Frühling war gar sehr verführerisch für den dramatischen Autor. Kunst trug wie der heilige Christophorus ein Schauspiel durch dick und dünn.

Diese theatralische Sicherheit und eine Frage des Theaterdirektors, ob ich denn nicht ein Stück für Herrn Kunst schreiben könne, stachelten mich zu einer lebhaften Anstrengung. Die dramaturgischen Phrasen, welche uns so geläufig, und ein gewisser Instinkt lehrten mich, daß nicht ein blanker Held wie der Torringer oder der Wittelsbacher zu erwählen sei, und in wenig Tagen hatte ich denn auch meinen anderen Helden und schleppte ein Häuflein Bücher zum[33] Studium der Daten auf meine Zelle. Verwegener Unternehmungsgeist, der niemals blöde war, strotzende Sammlung des Interesses, welche keinen Augenblick ermattete, bis fünf große Akte vollendet waren, unerschöpflich scheinender Strom der Worte, der niemals stockte und über das Schwierigste hinwegfloß, bedenkliche und doch so beglückende Gaben der Jugend, ich sehe jetzt schon mit Erstaunen auf euch zurück! Binnen zehn Tagen waren die Vorstudien gemacht, war das Stück entworfen, war das Stück geschrieben, in Versen, großenteils in Reimen geschrieben und abgeschrieben! Der Rollenabschreiber blieb fast hinter mir zurück.

Gustav Adolf hieß es. Ich besaß offenbar nicht die schöpferische Kraft für etwas wirklich Originales, und das Schwankhafte einer unreifen Ästhetik hatte mir doch auch nicht ein vollständiges Muster gewährt. Was war denn also zum Vorschein gekommen? Ich habe das von Dachboden zu Dachboden mitwandernde Paket von Manuskripten seit wenigstens zwölf Jahren nicht mehr geöffnet, aber ich glaube mir doch deutlich zu vergegenwärtigen, was auf dem Grunde meines Sinns über alle die angelernten Phrasen geherrscht. Meine Genossen glaubten weit über Schiller hinaus zu sein, das Schillersche Wesen eines Schauspiels war aber doch das Bestimmende in mir. Das hatte innen und außen die Form veranlaßt wenigstens bis zum vierten Akte. Der Anlauf war nur eben zu kurz und zu äußerlich gewesen; gegen den Schluß hin waren die angelegten Hilfsmittel erschöpft, und die angelernten Hilfsmittel wurden in Bewegung gesetzt. Für den vierten Akt galt das für uns unumstößliche Axiom: hier tritt der Held in die Krisis seiner selbst, er sündigt gegen sein eigenes Wesen, die ihm inwohnende tragische Schuld wird geboren, die innere Notwendigkeit seines Todes. Damit hatte es denn bei Gustav Adolf wenig Schwierigkeit: das Verlangen nach Deutschlands Krone, welches ihn harmlos bis dahin begleitet, entwickelte sich plötzlich in aller Bedenklichkeit und trat in Kampf mit der Uneigennützigkeit des Glaubenshelden. Innerer Friede war nicht mehr möglich, und der äußere Feind war im Herzoge von Lauenburg vorbereitet. Dieser nahm den Patriotismus zum Vorwande seines Hasses, eines Hasses, der aus Eifersucht stammte. Er liebte des Nürnberger Bürgermeisters Tochter, und diese liebte nicht ihn, sondern den König, und folgte als Page dem Heere. Ich besaß wohl den Takt, den König selbst nicht in ein Liebesverhältnis [34] zu bringen, und ihn nichts wissen zu lassen von der Anwesenheit des Mädchens; diese Anwesenheit mag aber wohl etwas verwegen motiviert gewesen sein.

Der letzte Akt nun hielt sich an das folgende Axiom unsrer Dramaturgie, daß der geknickte Held, den Tod im Herzen, sich noch einmal hoch aufrichtet, mutig entsagend seine Bestimmung erfüllt und den versühnenden, erhebenden Tod findet. Er hielt sich ferner, da mich der sorgfältige Organismus Schillers, den ich nur äußerlich ergriffen, natürlich im Stich ließ, an die banalen Empfehlungen Shakespeares. Welch ein Leichenfeld von Stücken haben diese Empfehlungen zuwege gebracht! Unsre schöpferischen Dramatiker Schiller und Goethe haben niemals gesagt, daß die weite, schlotternde Form des großen Briten maßgebend sein solle. Die großen Intentionen, die Unerschöpflichkeit der Charaktere, der Reichtum und die Weisheit der Gedanken hat sie zur Hochachtung und Verehrung gezwungen, wie er uns dazu zwingt. Nur denen, welche nie ein Drama zustande gebracht, Dichtern wie Tieck war es vorbehalten, alles an Shakespeare nachahmungswert zu finden, und dieser maßlose Preis hat geradezu auflösend gewirkt auf die Gestaltung unseres Dramas. Ich war denn auch angesteckt von dieser bequemen Theorie, die Form als Nebensache zu behandeln, ich hatte sie auch behalten die klingende Phrase: »hier sprengt die Größe der Idee die Enge der Form!« Was hinderte mich also, die ganze Schlacht bei Lützen als letzten Akt zu geben? Ich kannte ja Richard den Dritten! Da stehen ja die Zelte der feindlichen Führer, Richards und Richmonds, vertraulich nebeneinander, da wird Ferne und Nähe der Schlacht, platte materielle Begriffe! auf einen Punkt zusammengezogen. Abstrahiert, Zuschauer! Wieviel muß nicht ohnedies eurer Abstraktion überlassen werden in aller sonstigen Übereinkunft für dramatische Form! Warum nicht noch mehr? Ihr wißt ja doch, daß die Gewehre blind geladen, daß die Waffen stumpf, daß Felsen und Wasser von Leinwand sind! Entäußert euch der groben Ansprüche auf wirkliche Täuschung. Die dritte Kulisse gehört ein für allemal den Schweden, die vierte den Kaiserlichen. Merkt euch das, und glaubt daran, daß sie sich nicht wirklich begegnen können.

Es war ein Mordspektakel in diesem letzten Akte, denn an der Kanonade durfte es natürlich auch nicht fehlen, und ich hatte nur Angst, daß Gustav Adolf oder Wallenstein einmal die ihnen zukommende [35] Kulisse verfehlen und einander umrennen würden. Jedenfalls wären sie nach einem höflichen »Bitte um Vergebung« sogleich wieder an ihre Bestimmung nach verschiedenen Seiten gerannt und hätten weiter kommandiert gegeneinander. Publikum, zum dritten Teile aus meinen wohlwollenden Pappenheimern, den Herren Studenten bestehend, fand alles schön, und auch die zahlreichen Offiziere der Garnison fanden es ganz schmackhaft, am Schluß eine ganze Schlacht mit durchzumachen: alles, alles wurde am Schluß gerufen – immer wiederkehrender blinder Lärm bei hohlen Stücken deutscher Anfänger – und Kunst dankte gravitätisch im Namen des jungen Dichters, welcher zum Erschrecken gleichgültig geblieben und in all dem Tumult zu der Einsicht gekommen war, er sei kein Dichter. Es war mir freilich auch greulich gewesen, daß meine schönsten Verse und Reime oft bis zur Unkenntlichkeit hervorgekommen waren, und daß der Schwedenkönig im letzten Akte sein Schlachtgebet ganz und gar aus dem Souffleurkasten holen mußte, ja zwischen die salbungsvollen Worte »Herr der Heerscharen« und »ewiges Vaterauge« immer einschaltete »Gotts Schwerenot, so sprechen Sie doch deutlicher!« Aber diese Empfindlichkeit konnte mich doch nicht täuschen über mich selbst, über meine unzureichende Fähigkeit, und als bei der dritten Vorstellung das Publikum sich spärlich eingefunden, da wußte ich auch, daß Publikum sich nicht täuschte, und daß die ergreifende Seele meinem Stück fehlte.

Neuerdings habe ich bei einem schwedischen Geschichtschreiber eine Schilderung der Lützener Schlacht gefunden, welche unserer damaligen romantischen Faselei ein unschätzbarer Beweis gewesen wäre, daß wir doch die richtige Sehergabe besessen. Wunderlich genug ist nämlich wirklich ein Nürnberger Page in der Nähe des Schwedenkönigs gewesen und von kaiserlichen Reitern erstochen worden, wie meine Bürgermeisterstochter erstochen wird. Letzteres geschieht allerdings beiläufig von Pappenheim selbst, aber was tut das? Poesie muß ja das Gemeine erheben zum Vornehmen.

Der virtuose Heldenspieler konnte also unsern dramatischen Dilettantismus nicht beleben bis zu einer wirklichen Schöpfung. Er war zu abgesondert, zu äußerlich. Er brachte dem Stück nicht irgend eine geistige Atmosphäre. Den Odem des Faustrechtritters brachte er wohl; aber was konnte der Faustrechtritter sein für ein modernes Drama!

[36] Kunst hatte auch schöne Gaben für eine kräftige, gemütliche Bürgerlichkeit. Aber sie blieben brach liegen; wir waren nicht die Leute, sie zu wecken, denn der romantische Dunst schied uns ganz und gar von allem Werte der Bürgerlichkeit. Dieser Hochmut, welcher sich Ironie nannte, war ein Hauptsymptom unproduktiver Romantik. – Außerdem hatte Kunst etwas Unstetes, welches eine organische Verbindung mit seinem Talente unmöglich machte. Die Erfahrung mit »Gustav Adolf« mußte mich also ganz und gar zurückschrecken vom Drama, oder ich mußte es wieder mit einem Helden versuchen. Eigentlich war ich wohl zurückgeschreckt, aber ich hing bereits in so viel äußeren Fäden mit Theater und schreibender Literatur zusammen, daß es eines energischen Entschlusses, einer völligen Trennung von Breslau bedurft hätte, wenn ich auf andre Wege gebracht werden sollte. Gewohnheit und Liebhaberei streicheln ja gern die ungenügende Fähigkeit so lange, bis sie glaubt, täglich zu wachsen und genügend groß zu werden. Du bist ein zu rationalistischer Protestant, um den einfach gläubigen Gustav Adolf wirksam machen zu können! flüsterte die Liebhaberei in mir, und du bist zu schnell und zu hastig verfahren! setzte sie hinzu.

Ich suchte mir also mit Bedacht einen anderen Helden, einen weniger gläubigen, einen interessanteren, das heißt mir näheren. Er ward auch gefunden und mit großer Sorgfalt behandelt. Es war Moritz von Sachsen. Als ich mit der Tragödie fertig war, legte ich sie still beiseite, um erst nach einiger Zeit einen von mir selbst unbefangenen Blick darauf werfen und ein Urteil darüber gewinnen zu können.

Ich war offenbar auf dem Wege der Besserung, denn das Urteil, welches sich mir aufdrängte, war meinem Stücke ungünstig. Ich konnte also noch nichts hervorbringen, was meinem Urteile genügte, aber ich gewann doch ein Urteil, in welchem die Ahnung lebte: das gute Theaterstück muß Lebenselemente enthalten, welche dir noch unerreichbar, ja unbekannt sind, und zu welchen dir der Kram von Theorien nimmer verhilft. Meine Freunde schalten über das wegwerfende Wort »Kram von Theorien«, aber ihr Gewissen war wie das meinige schwer beunruhigt worden durch die Erscheinung und Wirkung eines neuen Schauspielers. Dieser Schauspieler war damals, es mag im Jahre 1829 gewesen sein, in Norddeutschland neu, und sein Lächeln über unsre theoretischen Unfehlbarkeiten [37] versetzte uns in Bestürzung. Denn wir waren nicht so verblendet, daß uns die schwertscharfe, wirklich moderne Macht dieses Schauspielers entgangen wäre. Im Gegenteil, wir waren ins Herz getroffen durch das einfache, klare, überzeugende Spiel dieses Mannes, durch die Macht seines Wortes. Seines Wortes! dies war es, dies Wort war das Schwert, ein protestantisches Schwert gegen unsre in Nebeln sich ballende Romantik.

Seydelmann war es. Wenn ich jetzt zurückblicke, so erkenne ich deutlich, daß die Erscheinung dieses Mannes von größtem Einflusse auf mich gewesen ist. Mochte ich auch nicht auseinandersetzen können, was alles von moderner Macht wirksam sei in dem treffenden Worte dieses Künstlers, ich empfand doch bis zum Schmerze, daß mir bis daher das wirklich lebendige Moment des Dramas verschlossen gewesen sei, ich bezweifelte doch positiv, daß ohne schöpferische Fortbildung poetischer Gesetze treffende Wirkung möglich sei. Es war ein Hegelianer unter uns, er war als stolzer Schüler des großen Gamaliel von Berlin gekommen, und er verhöhnte auf andere Weise unsre Theorien. Die Wahrheit, sagte er, ist nur im Denkprozesse zu finden, die Künste haben allerdings durch sinnliche Mittel zu verherrlichen, aber sie sind nur im Dienste unsrer gedachten Idee, und insofern sind sie nicht originell, nicht eigen schöpferisch!

Dies fehlte nur noch zur Verwirrung. Ich mochte es nicht glauben und konnte es nicht genügend widerlegen. Ich fühlte, man könne eigen schöpferisch sein durch einen Akt der Kunst, ohne daß man einer Schulphilosophie mächtig zu sein brauche; aber die großen anregenden Faktoren, die staatliche Bewegung, die Nationalitäten, die großmächtigen Persönlichkeiten schliefen damals, wenigstens für mich. Ich hatte nichts, wovon mein Drang leben konnte, und ich ward nur immer mehr überzeugt, daß im Bereiche der Ästhetik keine Zukunft für mich blühe. Lenke ab von dieser Laufbahn, oder es wird gar nichts aus dir! flüsterte ein starke Stimme in meinem Innern.

Sie ward sehr unterstützt durch die Stimme der Gläubiger, denn in dieser beiläufigen Eigenschaft des Künstlertums: nichts zu erwerben und doch sorglos auszugeben, war ich der Lösung des künstlerischen Problems sehr nahe gekommen. Ich wendete mich also endlich mit der längst nötigen Energie hinweg von diesem Wirrwarr, und richtete mich wieder zu meiner Brotwissenschaft. [38] Fort aus Breslau, welches die Verwirrung selbst für mich geworden war, aufs Land, in die Einfachheit und Einsamkeit.

Mit diesem Entschluß traf die Nachricht von der Julirevolution zusammen. Da ward die Politik, um welche wir uns nicht im mindesten gekümmert, auf einmal ein lebendiges Interesse, und kopfüber untertauchend in dies Interesse, vergaß ich jahrelang jeglicher Kunstbestrebung, nur geschichtlichen und politischen Studien nachgehend. Ich vergaß! ist wohl nicht das richtige Wort, denn ich habe doch gerade damals unweit der polnischen Grenzwälder in reizloser Landschaft die ersten Fetzen der französischen Romantiker gelesen, die ersten Antithesen Viktor Hugos, welche die Jugend so blenden können, weil sie so geistestrunken erscheinen. Die Trunkenheit verstand ich, den Geist verstand ich nicht. Ich mißtraute ihm, und es fehlte mir wirklich an der ästhetischen Sammlung, denn da drüben hinter den Grenzwäldern wurde der poetische Krieg geschlagen, welcher mehr als irgend ein anderes politisches Ereignis das Herz beteiligen und eine moderne Iliade werden mußte. Warschau fiel wie Troja; es kamen die Flüchtigen, es folgten die Reaktionen, die Feder ward Waffe. Kämpfend geriet ich auf diese Weise zum zweiten Male ohne unmittelbar literarische Absicht in das Treiben der Literatur. Ohne literarische Absicht; denn die literarischen Formen schienen mir der vollständigsten Umwandlung gewärtig zu sein. Natürlich! Brachten sich doch in der rue Taitbout zu Paris mit dem Simonismus die interessantesten, von unserem bisherigen Lebensinhalte ganz abweichenden Gedanken in Form. Wen hätte diese eigentümlichste Erscheinung neuerer Zeit nicht in Spannung versetzt!

Deshalb war ich ganz erstaunt, als Gutzkow schon 1833 zu mir sagte: Wir sollten uns dem Theater zuwenden! Dies schien mir unmöglich, weil mir die Interessen der Gesellschaft dergestalt in Gärung schienen, daß Halt und Wirkung im Drama zunächst unmöglich sei. Vom Theater wirkt man ja doch nicht mit Spekulationen, sondern nur mit Berührung längst fester Interessen. Mir aber schien es einesteils, als sei kaum irgend etwas noch wirklich fest, anderenteils, als hege man auch nur Aufmerksamkeit für das, was eben in der Umsetzung begriffen.

Gutzkow wartete denn auch selbst noch sechs Jahre mit Abfassung eines wirklichen Theaterstücks.

All unsere Spekulationen wurden von außen verfolgt und [39] niedergedrückt. Dieser Erfahrung gemäß erstand mir im Gefängnisse der tragische Charakter Monaldeschis. Er war getränkt mit dem heißesten Blute moderner Absichten. Daß er damals nicht geschrieben werden konnte, war entscheidend für ihn: ein Bühnenstück wäre er damals schwerlich geworden, und im Jahre 1837, wo ich dem Theater wieder nachtrachtete, blieb er wohl deshalb im Hintergrunde, weil ich als fortdauernd Gefangener nur die Hindernisse, nicht die Möglichkeiten für Theaterstoffe im Auge hatte. Für den Begriff eines historischen Dramas hatte ich nur ein schmerzliches Lächeln. Was war natürlicher, als daß ich mich gewaltsam an die Erfindung eines leichten Spieles machte, welches eine leise, ganz leise satirische Färbung haben sollte. Ein Lustspiel! Ich war wieder Anfänger, und ein Anfänger soll sich hüten vor einem Lustspiele. Er wird zu fein oder zu grob, und die praktischen Wendungen, die bewegende Kraft im Lustspiele, fehlen ihm. Das bloß Modische und das wirklich Moderne sollte in den Hauptpersonen handeln; das wurde zu fein für fünf Akte, und Fräulein Charlotte von Hagn, welche das Stück auf die Berliner Bühne bringen sollte, mochte dem Stücke wohl die Schwäche, das heißt die theoretische Absichtlichkeit abmerken, und deshalb nicht eben große Unkosten dafür machen. Ich erhielt es denn gegen Ende meiner Gefangenschaft zurück mit artigstem Lobe des Dialogs und mit der Aufforderung, kleinere Stücke fürs Palais anzufertigen. Denn man habe mit Vergnügen ersehen, daß ich dafür ein seltnes Talent besitze.

So weit war ich also erzogen. Ich durfte lächeln und das Manuskript in den Winkel werfen. Aber es schien mir nun doch nötiger als je, die endlich wiedergewonnene Freiheit zur Erfrischung des Sinnes, zur Erfrischung der ziemlich gelähmten Unbefangenheit zu benutzen. Daß die hundertfache Zensur unsers Vaterlandes verbietet, das ist nicht der größte Übelstand: die größere wirkliche Gefahr besteht darin, daß sie die Entstehung in den Gedankengängen verkümmert oder verhindert. Unter dem Verkümmern begreife ich auch die Übertreibung. Ich wußte, daß Börne schon ähnliches gesagt, und doch konnte ich mir nicht leugnen, daß es sich auch an mir, dem Gewarnten, bestätigte. Ein Jahr jenseits des Rheines wird dich wohl wiederherstellen, dachte ich, und noch bei Schnee und Eis machte ich mich auf den Weg.

Ich ging über Holland nach Frankreich, und werde nie vergessen, [40] wie mich das holländische Theater in Amsterdam überraschte. Mit welchem Feuer, ja mit welchem Ungestüm wurde von diesen phlegmatischen Holländern eine Tragödie aufgeführt und aufgenommen! Ist denn auf dem letzten Grunde des Blutes ein heißeres Atom bei all den Völkerschaften, die uns umgeben, als bei uns? Seit jener Zeit hab' ich ziemlich alle unsre Nachbarn kennen gelernt und auf der Bühne gesehen, und alle, alle spielen lebhafter Komödie als wir. Nicht nur der Pole, der Ungar, der Italiener, der Franzose, der Belgier, der Holländer, auch der Engländer, auch der Däne, auch der Schwede. Wir in der Mitte sind die Langsamsten und Trägsten auf der Bühne.

Und doch war es auch in Paris nicht gerade das Theater, welches ich mit besonderer Absicht betrachtet hätte. Ich besuchte alle Theater und sah alle wichtigen Stücke und Schauspieler, aber ich tat es nur beiläufig. Das wurde mir deutlich, als ich eines Abends im Renaissance-Theater unsern ausgezeichneten Emil Devrient fand und von ihm erfuhr, wie ausgedehnt und gewissenhaft man das Theaterstudium in Paris treiben könne. Er wies mir nach, daß ich noch manches unbeachtet gelassen und nachzuholen habe.

Ich hatte noch Zeit genug dafür übrig, da ich zunächst zwar ins Land hinein, zum Spätherbst aber aus dem Süden wieder nach Paris zurückkehren sollte. Draußen im Lande kam ich eines Morgens nach Fontainebleau. Ein deutscher Landsmann war bei mir, derselbe, welcher als »Privatmann« in den »Drei Königsstädten« fünf Jahre später Skandinavien heiter mit uns durchflog. Ich hatte keine Ahnung, als wir Arm in Arm ins Schloß hinüberwandelten, daß mir die Empfängnis dreier ganz verschiedener Bücher in diesem gehäuften Schlosse bevorstehen sollte, der Französischen Lustschlösser, der Gräfin Chateaubriant und eines Dramas. Die Lustschlösser stiegen hier ganz und gar vor mir auf, die Gräfin Chateaubriant brauchte nur noch Schloß Chambord, welches ich einen Monat später sah, und für das Drama erhielt ich wenigstens einen unvergeßlichen Eindruck. Wir waren nämlich stundenlang durch Flügel und Höfe und Jahrhunderte und Stile herumgewandert und endlich wie der auf ebener Erde, als der Führer auf einen im Umbau begriffenen Teil des Erdgeschosses zeigte mit den Worten: Die ist die Hirschgalerie, welche lange Zeit halb verschüttet gewesen und [41] jetzt in mühsamer Wiederherstellung begriffen ist. Hier wurde Monaldeschi ermordet.

Monaldeschi? – Sollte man's glauben, daß der Name durchaus nicht eine Ideenanknüpfung an meinen Helden des Gefängnisses in mir weckte? Durchaus nicht. Wenigstens keine, deren ich mir bewußt worden wäre. Eine Operation ist in mir vorgegangen, aber ich habe erst viel später Kenntnis davon erhalten. Des Menschen innerster Sinn strotzt ja von den eigentümlichsten Geheimnissen, und deshalb ist die Dichtung unerschöpflich. Dort im Garten von Fontainebleau erschien mir Monaldeschi nur im Zusammenhange mit der glänzenden, von Intrigen, Abenteuern und mächtigen Zügen angefüllten Königsgeschichte Frankreichs. Ein einzelner, abenteuerlicher Mensch mitten unter den erblichen Herrschern, und durch sein eigenes blutiges Schicksal mit diesen Herrschern von Jahrhundert zu Jahrhundert fortlebend. Er hat sich eingedrängt durch bloße Persönlichkeit unter die Potentaten, und hat mit ihnen gespielt. Man hat ihn ermordet. Nun, er hätte doch sterben müssen. Man hat ihm die Krankheit erspart und ihm ein geschichtliches Andenken gesichert. Eine Broschüre wurde uns an Ort und Stelle verkauft. Sie enthielt unter anderem auch den Bericht des Prior Le Bel, welcher Monaldeschis Beichte hat hören sollen und die Ermordung beschrieben hat.

Am Biskayischen Golf, in einem baskischen Seebade, dem schönsten, welches ich je gesehn, kopierte ich einige Monate später Le Bels schreckliche Beschreibung ins Deutsche. Ich saß auf einem Balkon und hatte die entzückendste Aussicht der Welt vor mir: die Mündung des Adour, den Ozean, die unabsehbare Nordküste Spaniens. Und wenn ich aufstand hinter mir die steile Wand der Pyrenäen. Über all das ausgebreitet der herrlichste Sonnenschein, unter mir das Spiel fröhlicher Basken. Welch ein Gegensatz zu dem schrecklichen Ende Monaldeschis. Dieser Gegensatz prägte sich gewiß in meine Seele und ist wohl später in die Situationen des Stückes gedrungen, aber an ein Stück Monaldeschi dachte ich nicht mit einer Silbe.

Den folgenden Winter sah ich in Paris wieder fast jeden Abend Theatervorstellungen, ohne daß eine Ader meiner Knabenpassion davon erregt worden wäre. Nicht Genuß, nicht eigentliches Studium war dabei im Vordergrunde. Das Vaudeville und das Lustspiel [42] gefielen mir bei weitem am besten, und besonders die eigentliche Technik, neben der unsrigen überlegen ausgebildet, beschäftigte mich. Ich muß einräumen, daß unsre Sprache nicht geeignet ist, so schnell gesprochen zu werden wie die französische, aber selbst mit dieser Einräumung verlange ich von unsern Schauspielern ein rascheres Tempo besonders für die Nebensachen. Weil die Franzosen dies haben, können sie in Anhäufung der Motive viel ausführlicher sein, ohne langweilig zu erscheinen, und weil wir es nicht haben, erscheinen wir langweilig oder gewaltsam. Eine Probe dafür ist, daß wir in Scribes besten Stücken streichen müssen, weil unsre Darsteller das Detail nicht bewältigen können. Freilich sind die französischen Schauspieler dadurch ungemein unterstützt, daß sie ein Stuck so außerordentlich oft wiederholen, und zur Einstudierung des neuen hinreichende Muße haben können.

Gegen die klassische Tragödie der Franzosen war ich eingenommen wie jeder Deutsche. Das Schlegelsche Urteil ist uns ins Blut übergegangen. Selbst die Rachel bekehrte mich nicht. Aber je länger ich in Frankreich war, desto deutlicher wurde es mir, daß Schlegel die französische Seele der Tragödie nicht erkannt hat. Sie ist im Verhältnis zu heute allerdings ein wenig erstarrt in der Tragödie des Théatre français, aber sie hängt noch heute innig zusammen mit den besten Eigenschaften der Nation. Sie ist dürr und mager im Vergleich zu dem dramatischen Musterbilde, welches wir aus den Alten, aus Shakespeare und aus unsern Klassikern gestalten können; aber sie hat mehr richtige Grundsätze und mehr Reiz, als Schlegel an ihr entdeckt hat. Ich wurde zum Teil dadurch aufmerksam, daß Heine einmal mit Entzücken von dem süßen Reize Racines sprach, Heine, der sich gewiß auf poetischen Zauber versteht und außerhalb aller gedankenlosen Phrasen denkt und spricht.

Das romantische Schauspiel der neueren Franzosen hätte mir doch unsern Kritikern nach viel näher liegen sollen. Es mißfiel mir fast durchweg auf dem Theater. Ich fand, daß diese Stücke voller Spitzen und Überraschungen in der Lektüre noch viel besser anmuteten als auf der Bühne, und daß der Mangel an Fluß und natürlicher Folge von den Brettern her noch viel unangenehmer wirke. So hatte mich Marion de Lorme von Hugo wohl interessiert. Jetzt sah ich es auf dem Théatre français vor einem ziemlich leeren [43] Saale, und fand, daß die Wirkungen alle zu kurz, fast immer nur witzig, dramatisch aber ohne Bedeutung seien.

Sie haben nur den Anstoß zu geben, Bewegung zu erregen gehabt, diese Romantiker. Das Drama selbst mit echten Gesetzen der Tragödie zu verbinden ist ihnen schwerlich vorbehalten, dazu fehlt ihnen die Ruhe der Leidenschaft und in den Anführern das spezifische Talent. Hugo ist ein Schilderer, Dumas ein Erzähler; jener nicht ohne Ziererei, dieser zu leichtsinnig.

Gedanken und Anregungen brachte ich also wohl mit nach der Heimat, als ich 1840 zurückkehrte, aber kein Bild, noch weniger ein Ideal. Da drüben jenseits des Rheins haben sie unverkennbar mehr Talente als wir, aber die Genialität ist doch wohl eher noch bei uns oder in England zu suchen! So dachte ich, als ich auf dem einsamen Waldschlosse bei Muskau die Französischen Lustschlösser schrieb, glücklich, wieder daheim zu sein im Vaterlande, und erstaunt allabendlich, wenn ich vom Pirschgange aus dem Waldesdickicht heimkehrte und das verödete Waldschlößchen betrachtete. Erstaunt, denn es gemahnte mich im Anblicke dieses verödeten Lusthauses der Jägerei eine dämmernde Erinnerung. Nicht eine Erinnerung an etwas Einzelnes, an die Hirschgalerie in Fontainebleau, an das äußerliche Schicksal dessen, der dort zu Tode gebracht worden war. Nein, alle die Epochen, welche ich vorstehend aufgezählt, drängten sich mit ihren Endpunkten in meinem Sinne zusammen. Sie wollten ihren Teil geben zu einer Gestaltung: es erschien das Gefängnis in der Hausvogtei, und der freie oder freche Charakter eines Menschen, der nicht bloß dulden, harren, beten will auf der haltlos schwankenden Woge des Lebens, sondern der mit dreister Persönlichkeit um jeden Preis erobern und herrschen, mächtig sein oder zertrümmert sein will. Was wird aus solch einem Menschen in der idyllischen Einsamkeit eines Parkes, wo er halbe Freiheit und keinen Besitz hat? Unruhe entsteht ihm, Raffinement. Die Lücken herrschender Mächte sucht er auf mit gierigem Blicke, und mit beiden Armen drängt er sich dahinein, seine Streiche vorbereitend für den Fall der Gelegenheit. In den Freuden und Reizen seiner Jugend wühlt er umher und kommt zu dem Resultate: nur Illusionen beglücken, nur Verwegenheit trägt Reize, nur der zu Stahl gehämmerte Gedanke um Macht, um Macht lohnt die ermüdende Arbeit der eintönigen Tage. Er fährt hinaus in die Welt, schlürft wie etwas Beiläufiges die [44] Reize der Natur, welche ihm nichts sind als Staffage, da er die Gottheit wohl darin erkennt, aber als unnahbar erkennt. Er will aber der Gottheit teilhaftig werden, und das kann nur geschehen, ruft er aus, in der Tat. Handle! Für die Welt? Für die Idee? Was ist die jetzige Welt seit Jahrhunderten? Weiß sie, was sie will? Sie tastet. Ich sei die Welt. Was ich Gewaltiges an mir vollende, wird ihr einen Stempel aufdrücken. Sie bedarf eigentümlicher Stempel, und sie wird sie danken. Was danken! Sei eine Tüchtigkeit; Dank liegt draußen außer dem Geiste. Was ist die Idee? Allgemein geglaubter Staat, geglaubte Kirche mag stolz sein auf die Idee, welche den Mittelpunkt bildet. Wo ist dieser Mittelpunkt? Mein Zweck, so groß als möglich, sei meine Idee. Macht sei mein Zweck. Mein Herz ist karg, mein Sinn ausgreifend, mein Geist unerschöpflich, ergreife die Zugel, mein Geist, führe mich wohin du magst, bis der unermüdliche Tod früh oder spät sein schreckliches Halt! ruft.

Dergleichen häufte sich um ein nebelhaftes Menschenbild, welches zu so verschiedenen Zeiten vor meine Seele getreten war und nun fester und fester den Namen Monaldeschi annahm.

So entstanden Monologe und Äußerungen Monaldeschis, und der Charakter gestaltete sich. Um ihn her tanzte, ein fast erschreckender Gegensatz, die Theaterjugend in der Reitbahn, das Bild meiner Romantik, in roten und goldnen Gewändern, in erstaunlichen Bewegungen schimmernd. Dahinein ward der Abenteurer gehüllt, und als ich den folgenden Sommer mich in Leipzig eingerichtet und mich des geschichtlichen Materials für die ebenfalls abenteuerliche Christine bemächtigt hatte, wurden die Monologe und Gewänder ausgebreitet, und es wurde nun in einem Zuge das Stück geschrieben.

Als es fertig war, sah ich wohl, daß nur ein Stück meines Stückes entstanden war, und auch die grellen Fehler des Stückes traten mir wie klaffende Lücken entgegen. Immerhin! dachte ich, es muß angefangen sein. Die ganze Theaterillusion der Jugend war über mich gekommen, diese Welt des bunten Scheines lockte mich unwiderstehlich, ich ließ drucken und versandte an dreißig Bühnen.

O, wie verhöhnten sie die unternehmende Stimmung! Das Stück war ohne Autornamen zu ihnen gekommen; es kam von 29 Bühnen als unbrauchbar zu mir zurück.

[45] Vielleicht ist dies ein Trost für junge dramatische Talente, welche sonst entrüstet und abgeschreckt werden durch Urteilslosigkeit oder Rücksichtslosigkeit der Theaterdirektionen. Ich habe zu lange bei der einleitenden Bildung für mein erstes Stück verweilt, um hier noch, wie es meine Absicht war, die Grundsätze und Manieren der einzelnen Direktionen zu schildern und an diesen Grundsätzen und Manieren dies steuerlos treibende Schiff, genannt deutsches Theater, zu konterfeien. Ich behalte mir dies vor für die Einleitung zu meinem zweiten Stücke; denn es ist an der Zeit, all diese willkürlichen Liebhabereien, diese schreiende Unkenntnis, diesen lieblichen und erschrecklichen Zufall, welcher über die wichtigste Kunst in unserm Vaterlande regiert, mit vollen Farben an die Wand zu malen. Vielleicht wird doch durch Aufdeckung der Unfähigkeit und des Wirrwars ein Institut veranlaßt, daß es prinzipienmäßig, ohne Rücksicht auf augenblicklichen Gewinn und unter Aufsicht literarischer Kritik, der dramatischen Schöpfung bewußten und konsequenten Vorschub leiste.

Ebenso behalte ich mir vor, die Frage über innere Form der Stücke in Rede zu ziehen. Vorstehende Einleitung ist zum Teil darum so ausführlich geworden, damit alles äußere, die Form bedingende Material den Lesern vor Augen komme. Vom Jahre 1815 bis in die vierziger Jahre, ein starkes Vierteljahrhundert, sind in obigem herrschende Situationen, politische Eingriffe, literarische Richtungen, gebotene und verschlossene Möglichkeiten aufgezählt worden – der Leser wird dadurch meines Erachtens in den Stand gesetzt, selbst ein Urteil zu fällen über erschwerten Weg dramatischer Absicht, und ob wegen oder trotz der erschwerten Bahn Größeres habe geleistet werden können. Da sich nun offenbar von den vierziger Jahren an ein eignes deutsches Repertoire gestaltet, so ist es jetzt an der Zeit, alles beim wirklichen Namen zu nennen und die Aufmerksamkeit der Nation auf all die verdeckten Quellen und Abgründe zu lenken.

Die einzige Direktion, welche damals dem folgenden Stücke Monaldeschi Teilnahme schenkte, war die Direktion des Hoftheaters in Stuttgart, repräsentiert durch den dortigen Oberregisseur Herrn Moritz, und unterstützt in frei prüfendem Walten durch den Intendanten Freiherrn von Taubenheim.

August Lewald hatte die Güte gehabt, nach wohlwollender Bevorwortung [46] das Stück in Stuttgart vorzulesen, und Moritz hatte sogleich erklärt: Dies wird aufgeführt!

Ein Mann unter so vielen Direktoren brach hiermit dergestalt die Bahn, daß das Stück jetzt auf allen Haupttheatern gegeben und auf einigen dauerndes Repertoirestück geworden ist. Wem sonst als diesem Manne hätte ich die Widmung Monaldeschis anbieten mögen? Und nicht ich allein, fast jeder von uns jungen Dramatikern ist dieser schöpferischen Regisseurtätigkeit des Künstlers Moritz zu Dank verpflichtet. Wenn aus unsern Versuchen etwas Dauerndes und Heilsames entsteht fürs deutsche Theater, so möge man auch in der Folge des Namens Moritz dankbar eingedenk bleiben. Es hat sich unter so viel vornehmen Leitern nirgends die Prätension erhoben, diesem Regisseur den Rang eines wirklichen Gönners streitig zu machen.

[47][49]

Personen

Personen.

    • Christine, Königin von Schweden.

    • Graf Peter Brahe.

    • Sylva, dessen Tochter.

    • Graf Ludolf Malström.

    • Freiherr von der Schnure.

    • Freiherr Rosenhane.

    • Monaldeschi.

    • Santinelli.

    • Der Prior Le Bel.

    • Schwedische Reichsräte.

    • Diener.

Vorspiel

1. Szene
Erste Szene.
Stockholm. Links im Vordergrunde ein Haus; davor und rechtshin Garten. Im Hintergrunde der Mälarsee und das mit einzelnen Lichtern, später immer allgemeiner flimmernde Stockholm. Die Dunkelheit bricht herein.
Sylva, dann Ludolf v. Malström.

SYLVA
rasch aus dem Hause kommend.

Diese Quälerei ist unerträglich! Ich will nicht lieben, und ich kann nicht lieben, wenn zum Lieben dies immerwährende Tun und Hätscheln gehört!

MALSTRÖM
ihr nachkommend, ihre Hand ergreifend und küssend.

Tausend Dank, daß du meiner Bitte nachgegeben und die Gesellschaft [49] verlassen hast – O Sylva! was stören die Menschen, wenn das Herz nur nach einem Herzen hangt und verlangt! Was ist alles Sprechen wüst und ausdruckslos neben dem einsamen Laute, neben dem einzigen Worte vom Herzen zum Herzen!

SYLVA.

Ludolf, entweder bin ich – wie soll ich dir's sagen? Bin ich kindisch, bin ich arm, oder bist du töricht – ich begreife dich nicht, begreife deine Unruhe, dein Treiben, dein Drängen nicht! Was der Vater drin erzählte, das war mir äußerst anziehend, warum störst du uns heraus?

MALSTRÖM.
Sylva! Ach, ich fürchte, du liebst mich nicht!
SYLVA.

Was wäre dabei so fürchterlich? Was machst du da für ein Gesicht! Das sieht ja garstig aus! Nicht doch, Ludolf, du weißt, daß du mir der Liebste bist; aber wenn wir drin in der Gesellschaft bleiben, sehen und hören wir einander nicht auch?

MALSTRÖM.
Noch schlimmer, Sylva, wenn du gar nicht lieben könntest!
SYLVA.

Noch schlimmer, wenn du aus lauter Zuneigung zu mir langweilig würdest, Vetter! Bisher warst du ein kluger, lieber Mann, jetzt tust du nichts als stöhnen und klagen. Sei gescheit, Ludolf, und komm wieder mit hinein, ich möchte gern das Ende der Geschichte hören – Horch, da legt ein Boot an! Wenn man uns hier im Dunkeln überrascht, so gibt's ein Gerede, komm schnell!

MALSTRÖM.
Gehen will ich, gehen! Dorthin! Nach rechts deutend. Geh du dahin! Nach dem Hause deutend.
SYLVA.
Aber was ist dir denn, Vetter?
MALSTRÖM.
Nichts. Wenig. Ich bin traurig – du verstehst mich nicht –
SYLVA.

Nein. Während er nach der rechten Seite abgeht, steht sie gedankenvoll im Vordergrunde, und Monaldeschi steigt, unbemerkt von ihr, hinten ans Land. Der Mond geht auf.

2. Szene
Zweite Szene.
Monaldeschi. – Sylva.

MONALDESCHI
nach dem See hinab sprechend.

Wartet auf mich! Vorkommend. 's ist eine Nacht wie in meiner Heimat, sie treibt mich umher nach Glück. Kommt weiter vor.

SYLVA
ihn für Malström haltend.
Schilt mich nicht, ich bin ein unerfahren Kind.
[50]
MONALDESCHI.
Das sind die reizendsten Kinder!
SYLVA.
Ach!
MONALDESCHI.

Eine andre Stimme, ein ander Gesicht, aber sonst alle Ader und Sehne, aller Gedanke und Wunsch wie dessen, zu dem Ihr spracht, ein Mann wie jener, ein Mann der Euch gefallen will! – Flieht nicht! – Was sind die Mädchen, was sind die Leute wunderlich; mit einem, den sie gern haben, suchen sie die einsame Mondnacht, und wenn sie überrascht werden, so ist's wohl ein Übel, aber ein kleines. Sie kennen sich, sie lieben sich schon lange, heißt es dann; man verwundert sich wenig, man beunruhigt sich nicht eben sehr. Sieht man aber zufällig einen fremden Mann bei ihnen, wenn der Mond scheint, o, da gerät alles außer sich! Was fürchtet man denn? Ich meine, der Bekannte, der Geliebte sei dem Mädchen gefährlicher, als der Fremde –

SYLVA
will nach dem Hause; Monaldeschi aber, der von dieser Seite steht, tritt ihr in den Weg.
Erlaubt, Herr!
MONALDESCHI.

Ihr habt zu erlauben, Fräulein, ich aber bitte, denn Ihr seid schön, und ich bin es nicht. Die Schönheit befiehlt in der ganzen Welt. Was beklagen sich doch die Weiber, daß es nicht Amazonenreiche gebe, und daß der Mann die Welt regiere! Wir schwachen Männer! Allen Gedankenspänen sind wir unterworfen, die der oder jener Grübler zutage bringt: da gehört das Recht der Macht bald dem Kaiser, bald der Kirche, bald den Lehensträgern, bald der Menge, da müssen wir uns winden und drehen, studieren und disputieren, warten und wagen um das Wörtchen Macht. Das Weib aber, das glückliche Weib! sie pflegt gleichgültig ihres Wohlseins, ihrer Hautfarbe, ihrer Locken und Finger, sie erscheint bloß, und die Macht ist bei ihr, unbestritten, unbefragt – sind sie nicht glücklicher als wir, mein Fräulein?

SYLVA.
Und wenn wir nicht schön sind?
MONALDESCHI.

Und wenn wir nicht klug sind? Ein törichter Mann ist viel unmächtiger, als eine unschöne Frau; die schönen verbünden sich gern mit ihr, und sie leitet die Fäden des Schicksals, sie ist wiederum mächtig. Daß sie nicht schön sei, läßt sie sich wie eine Ungerechtigkeit des Schicksals vergüten, denn jede Frau hält es für eine Ungerechtigkeit des Schicksals, für einen Irrtum der Natur, wenn sie nicht schön ist, und sie hat recht, es ist die Bestimmung des Weibes zu gefallen. Wenn wir aber nicht besonders klug sind, [51] so kräht kein Hahn danach; da sollen wir arbeiten, da sollen wir uns bescheiden, es sind der Dinge zuviel, die der Mann können soll, man läßt uns unbeachtet zur Seite, man nimmt sich kaum die Mühe zu bemerken: 's ist ein unbedeutender Mensch!

SYLVA.

Ihr möchtet wohl bedauert sein, daß Ihr einen Degen an der Seite tragt, und einem wehrlosen Mädchen den Weg vertretet?

MONALDESCHI
tritt zurück.
Vergebung, mein Fräulein, man ist nicht mehr im Wege, wenn man nicht mehr aufhalten will.
SYLVA
an ihm vorübergehend.
Eure Neugier war so kurz, wie rasch – Sie verliert eine Bandschleife vom Ärmel.
MONALDESCHI.

Mancher Mensch lebte gern länger, wenn's der Tod zuließe – erlaubt, mein Fräulein, Ihr verliert da etwas mit Eurer eiligen Entfernung! Er hebt die Schleife auf.

SYLVA.
Eure Unterhaltung?
MONALDESCHI.
Auch eine Schleife!
SYLVA
danach langend.
Ich danke Euch –
MONALDESCHI
die Schleife zurückhaltend.
Ich würde Euch viel lebhafter danken, wenn Ihr mir nicht danken wolltet!

Malström ist schon seit einiger Zeit im Hintergrunde erschienen, jetzt tritt er eilig vor und zwischen beide.
3. Szene
Dritte Szene.
Malström. Monaldeschi. Sylva.

MALSTRÖM.

Wer seid Ihr, verwegener Abenteurer, der die Damen nächtlings anfällt wie ein Wegelagerer? Sprecht rasch, oder ich züchtige Euch ohne Verhör! Den Degen halb ziehend.

MONALDESCHI.

Zieht ihn ganz heraus, den Degen! In dieser Handbewegung ist mehr Sinn als in Euren Worten. Ist's hierzulande ein Verbrechen, wenn man bei Mondschein einer Dame begegnet?

MALSTRÖM
zieht den Degen.
Gib Fersengeld, Schwätzer, oder wehr' dich!
MONALDESCHI hat rasch gezogen – sie fechten.
Trinkgeld will ich dir geben, denn du hast zuviel oder zuwenig getrunken!
SYLVA
ihm nach dem Arme greifend.
Aber um des Himmels willen, Ludolf, der Mann hat mir ja nichts getan!
MALSTRÖM.
Aber mir viel!
[52]
SYLVA.
Man kommt aus dem Hause, Ludolf! Der Vater!
MALSTRÖM.
Wir sind sogleich am Ende.
MONALDESCHI
ihm die Klinge aus der Hand schlagend.
Da sind wir – jetzt kommt der Denkzettel!
SYLVA
schreiend dazwischen stürzend.
Um Gottes willen, Herr!
MONALDESCHI
sich verbeugend.
Das ist ein Schild von Demant, und jeder Streich ist zuviel.
4. Szene
Vierte Szene.
Graf Brahe. Freiherr von der Schnure. Die Vorigen.

BRAHE.
Was gibt es da? Mein Kind!
MALSTRÖM.

Ein Irrtum, lieber Oheim, ein Irrtum! Ich hatte meine Muhme aus dem Hause geführt, um ihr eine seltne Nachtblume zu zeigen, die dort am Ufer blüht, ich gehe sie zu pflücken, sie wartet hier, und als ich zurückkomme, sehe ich diesen Herrn sie antreten, sie aufhalten, ich nehme des Herrn zufälliges Vorübergehn für eine unziemliche Absicht, ich übereile mich, ziehe den Degen, werde besiegt und durch Sylva, die dazwischentritt, gerettet.

BRAHE
zu Sylva.

Liebes Kind, man rettet nicht immer, wenn man zwischen gezückte Degen läuft, wenn auch die Gedichte es immer so darstellen; im gewöhnlichen Leben wird der dritte dabei am ersten totgestochen! Tu mir den Gefallen und merke dir das, denn es könnte mir nur einmal eine Tochter tot gestochen werden, ich habe keine zweite.

SYLVA.
Liebes Väterchen, sei nicht böse, ich wußte mir keinen andern Rat.
BRAHE
zu Monaldeschi.

Und dürfen wir fragen, wer auf diese ritterliche Weise mit uns bekannt geworden ist? Ihn näher ansehend. Ah! –

SCHNURE.
Ja, dürfen wir –?
MONALDESCHI.
Ihr dürft, was ihr mögt – mein hitziger Gegner da kennt mich schon.
MALSTRÖM.
Ich, mein Herr?
SYLVA.
Ludolf?
MONALDESCHI.

Er nannte mich einen Abenteurer – ich bin zum letzten Male des Nachts am Molo von Neapel spazieren gegangen, der Abendstern glänzte wie hier, das Meer leuchtete wie hier der[53] Mälar, nur der Vesuv rauchte und blitzte noch obenein, statt eines Degenrenkonters traf mich ein Dolchstich, ich ward auf ein Schiff gebracht, ward geheilt, stieg heut' abend zum erstenmal wieder ans Land, strich landessehnsüchtig in der Stadt umher, ließ mich an diese Insel rudern, deren Blumen man mir rühmte, und fand Menschen und Leidenschaften, wie ich sie in Neapel verlassen.

Wenn ich hiermit mein Dasein genügend entschuldigt habe, so empfehle ich wich euch, eure Nachtlust wird kälter, als ich vertrage. Verbeugt sich.

SCHNURE.
Ein Abenteurer? Entschuldigen Sie, das ist aber kein Stand –
MONALDESCHI.
Doch ein Charakter.
SCHNURE.

Erlauben Sie! Ohne anzüglich sein zu wollen, möchte ich bemerken, daß sonst im Durchschnitte just mangelnder Charakter zum Abenteuern führt, und daß wir bäten –

MONALDESCHI.
Sind Sie vielleicht bei der Polizei in Stockholm angestellt?
SCHNURE.
Monsieur, ich bin der Freiherr von der Schnure, Kämmerling Ihrer Majestät.
BRAHE.

Eure Art zu denken und Euch auszudrücken, werter Herr, ist für diese nördliche Gegend etwas schnell, und Ihr werdet oft zu verzeihen haben, daß man Euch nicht Schritt hält oder Euch im Wege herumtritt. Es wird uns freuen, wenn wir Euch zum Verständnisse der Landessitten behilflich sein können; jedenfalls sei meines Danks versichert, daß Ihr in der Hitze des Gefechts mein Kind respektiert, meinen Neffen geschont habt.

MONALDESCHI.

Ich danke Euch, Herr, daß Ihr so freundlich danket und zurechtweiset. Man hört einen Kanonenschuß. Was bedeutet der Kanonenschuß?

BRAHE.

In einer Viertelstunde werden die Tore des königlichen Palastes geschlossen; dies Signal ruft die zerstreuten Schloßbewohner heim.


Monaldeschi dankt mit einer Verbeugung, und geht ab, nach dem Kahne hinunter, woher er gekommen.
5. Szene
[54] Fünfte Szene.
Die Vorigen ohne Monaldeschi.

SCHNURE.
Was ist das?
BRAHE
sieht alle der Reihe nach an.
Ein Abenteurer und noch etwas –
SCHNURE.

Ein Spießgeselle jenes Santinelli offenbar! Ach und diese unselige – mit Respekt sei's gesagt – Vorliebe unsrer Majestät für solche Genies und fahrende Ritter –

BRAHE.
Ja, ja, er wollte nach dem Schlosse! Nach langen Kriegen kommen immer die Glücksritter.
SCHNURE.
Ein Spießgeselle Santinellis ganz gewiß, ein neuer Greuel für den Adel des Landes.
BRAHE.

Aber noch etwas anderes – viel begabter als jener unergiebige stumme Italiener, viel lebhafter, viel wichtiger, ein unternehmender Mensch!

SYLVA.
Ein Mann! So rasch, so prall, so sicher!
MALSTRÖM
der in Gedanken versunken gewesen ist, auffahrend, zärtlich.
Sylva!
SYLVA
seine Hand lebhaft ergreifend.
Ludolf!
BRAHE.
Kommt ins Haus, Kinder, es wird kühl. Sie gehen.
SCHNÜRE
während sie eintreten.
Es ist morgen Empfang bei Ihrer Majestät, niemand soll sich erkälten – Alle ab.
6. Szene
Sechste Szene.
Zimmer im Schlosse. An der Hinterwand sind große Fenster – es ist dunkel im Zimmer, aber hinter den Fenstern brennen Laternen, und der Mondschein reicht hin, so daß man einen Korridor mit Säulen, in welchem Schildwachen hin und wieder gehn, einen dahinter folgenden Hof und ganz hinten unsicher Schloßgebäude unterscheiden kann.

SANTINELLI
allein, sitzt, die Arme übereinandergeschlagen, im Dunkeln.

Zum zwölften Male derselbe Vollmond, und er findet mich fast auf derselben Stelle, da er mich das erstemal in Stockholm gesehn, und da er mir so Prächtiges versprach! Sie nahm mich auf wie den Ersehnten, alle Türen öffneten sich, ich wurde ihr Haushofmeister, und – bin es noch, bin nicht weiter, und bin ärmer um die Hoffnungen jener Zeit. Worin hab' ich gefehlt? Worin? Ich weiß es nicht. [55] Sie hat nur den einen, nur den einzigen Gedanken an mir gesehn, wie ich ihr ergeben sein könne ganz und gar, und nur ihr. Umsonst! Wir bleiben auf ein und derselben Stelle: dasselbe Wohlwollen heute wie gestern, und nicht mehr, kein Zollbreit mehr! Steht auf. Täusche dich nicht! Beschwichtige dich nicht, Santinelli, es ist dir nur ein Teil deiner Hoffnungen geglückt, und damit ist dein Schicksal für immer entschieden.Umhergehend. Jawohl! Der Reiz der Neuheit, die Macht des ersten Eindrucks sind dahin, und was sie mir nicht bringen, das erwerbe ich nicht.

Giulio hatte wohl recht, bei unsern Unternehmungen mir immer spöttisch zuzurufen: Wenn der Eroberer nicht alle Tage weiter geht, so geht er alle Tage zurück. Es ist also. Altern nicht die Kräfte und Vorzüge? Verringert sich nicht meine Mannesschöne? Solange man noch wächst, ja, was braucht man da zu sorgen! Was heute nicht gelingt, gelingt morgen! Aber wenn man die Manneshöhe erreicht hat, und vor einem aller Weg abwärts geht – Setzt sich wieder. Und doch! Man muß nur ein Ding im Leben unternehmen, auf dies eine alles zusammendrängen! Alles, alles, jeden Atemzug, jeden Gedanken, jede Handbewegung, jeden Schritt, jedes Wort, jeden Gruß', jedes Ja, jedes Nein, alles muß man nur darauf richten, und man vollbringt's, man erreicht's. Kommt man nicht auf die Spitze des Berges, so kommt man doch hoch – täglich zu demselben Haufen einen Stein gelegt, am Ende wird's doch ein Berg.

Schöne, schöne Zeit, Mondenschein und Sommernacht und Manneskraft, ihr fließt ungenützt dahin! Ich sehe nach ihren Fenstern hinüber, und sie ruft mich nicht! Eine Minute nach der andern vergeht, es werden Stunden daraus, Tage und Monde; ein Jahr der besten Lebenszeit ist hin, ein langer Schritt bergabwärts ist getan. –

7. Szene
Siebente Szene.
Monaldeschi tritt leise ein und bleibt ruhig an der Tür stehen. – Santinelli sitzt in Gedanken. – Lange Pause.

SANTINELLI
fährt plötzlich auf und zieht den Degen.
Lebt da was?
MONALDESCHI
zieht den seinen auch, und rührt sich sonst nicht.
Wenn Ihr's erlaubt, so lebt hier was.
SANTINELLI.
Ein Degen blitzt – wer seid, was wollt Ihr?
MONALDESCHI.

Der Degen blitzt aus Gefälligkeit für den Euren, wie man grüßt, so dankt man – ich weiß nicht, was Ihr bei [56] Mondschein für Laune habt, und ein langer Degen ist immer ein guter Wetterableiter, wenn nichts Besseres.

SANTINELLI.
Wer seid Ihr?
MONALDESCHI.

Wenn Ihr nicht so oft fragt, kann ich Euch öftrer antworten. Kennt Ihr unsre Sprache nicht mehr? Ein Römer bin ich wie du.

SANTINELLI.
Wie heißt du, was willst du?
MONALDESCHI.

Was ich will? Was willst du? Dein Glück machen! Was ist Glück? Und das soll man jemand auf der Türschwelle sagen zwischen Guten Abend und der Degenspitze.

SANTINELLI.
Steck' deinen Degen ein, Giulio! Ich erkenne dich an der Schwatzhaftigkeit.
MONALDESCHI.
Steck' erst den deinen ein, ich erkannte dich eher, als du mich.
SANTINELLI
tut's.
Plagt dich der Teufel, mir doch nachzulaufen?
MONALDESCHI
auch den seinen einsteckend und lachend vorkommend, indem er ihm die Hand bietet, die jener gleichgültig nimmt.

Ich bin dir nicht nachgelaufen, du bist vor mir hergelaufen und hast mir die Wege gebahnt; ist das meine Schuld?

SANTINELLI.
Du wolltest ja nach Frankreich?
MONALDESCHI.

Es gefiel mir da nicht, es gibt da zuviel Prätentionen; Mazarin ist selbst abhängig, kann nur kleine Schritte machen, und ist ein Mann; nur zwischen unterschiedenen Geschlechtern kann ein überwältigender Einfluß eintreten – nun, wie weit hast du's gebracht? Bist du glücklich?

SANTINELLI
mürrisch.
Bah!
MONALDESCHI.

Mürrisch wie immer! Du vergällst dir doch dein Leben recht, Francesco; von Jugend auf hast du dich mit Berechnung und Ärger und Haß umhergeschlagen und hast dir selbst keine Freude gegönnt.

SANTINELLI.

Was geht's dich an? Trägst du meine Haut zu Grabe? Diese sogenannte Tugend, daß ihr immer um andre Menschen sorgt, ist eine lästige Lüge und eine lügenhafte Sitte: jedermann hat in Wahrheit nur mit sich zu tun. Mein Schicksal ist nur mein, wie mein Körper nur mein ist, meine Krankheit oder Gesundheit nur mein sind. Was wißt ihr davon? Was wollt ihr damit? Euer Geschwätz aufputzen. Ich habe dir damals in Rom gesagt: Geh nicht auf meiner Spur! Mir ist jeder Bekannte lästig, [57] er mir zum zweiten Male auf andern Bahnen begegnet. Er schleppt fremde Dinge herbei, und das kann beiderseitig nur stören, denn das Vergangene ist abgetan und ist fremd und ist eine störende Zumutung, mag sie sich Liebe, Freundschaft oder was weiß ich! nennen. Alles hat nur einmal seine Zeit, nur einmal seinen Weg. Was haben wir deshalb gemeinschaftlich, weil wir in Rom nebeneinander unsre Jugend verschleudert haben? Was?

MONALDESCHI
sich setzend.

Setze dich, Francesco, setze dich! Du sollst beruhigt werden. Erstens will ich nichts von dir. Santinelli setzt sich unter Zeichen von Mißmut. Zweitens mache ich dir mein Kompliment, wie deine sonst schweigsame Verschlossenheit rednerisch und flüssig geworden ist, fast philosophisch – das macht das fremde Land, die fremde Sprache, die fremde Umgebung; man wird dadurch genötigt, sich über sich selbst aufzuklären, man wird Philosoph.

SANTINELLI.
Ich glaube, du bist töricht genug, Schmeichelei an mir zu versuchen – unverbesserlicher Fant!
MONALDESCHI.

Unverbesserlicher Argwohn! Wer sagt dir denn daß ich dir gefallen will? Wer sagt dir denn, daß ich irgend etwas von dir will?

SANTINELLI.
Auch wenn du nichts von mir willst, bist du mir im Wege.
MONALDESCHI.

Das geht mir mit manchem Berge, mit manchem Steine gerade so: es steht dir ja frei, mich aus dem Wege zu räumen, wenn du's kannst. Ob ich dir's übelnehme, ist ja gleichgültig, da du mich nicht liebst; daß ich mich dagegen zur Wehr setzen werde, ist ja meine und nicht deine Sache. Du bekommst also mit mir nur eine Beschäftigung mehr, wenn sich unsere Wege kreuzen sollten, was ich noch nicht weiß. Du kannst dir ja dann diese Beschäftigung so interessant machen wie möglich, ich werde durch meinen abwechselnden und mannigfaltigen Widerstand dir dazu behilflich sein.

SANTINELLI.
Interessant! Als ob ich ein solcher Geck wäre, mich ums Interessante zu bemühen!
MONALDESCHI.

Ein solcher Geck bin ich zum Beispiele. Kümmert dich das nicht, nun so mach' dir etwas anderes aus mir zurecht, und schmäle nicht wie ein Kind, das von ein wenig Verdunkelung erschreckt wird und das schilt, wenn eine Wolke vor die Sonne tritt. Wehre dich gegen das, was er scheint, da du einmal nicht hindern gekonnt, daß es erscheine. Ich bin einmal da und verschwinde nicht[58] vor deiner ärgerlichen Gebärde – Kurze Pause. Aber um doch auch die andere Menschen zu reden, die nicht ganz nackte Egoisten sind – laß uns eine Verständigung suchen über unsere Zwecke! Vielleicht berühren sie sich nicht, vielleicht können wir gar einander unterstützen. Nenne mir den Kreis und Gang, in welchem du nicht gestört sein willst, und ich will dir sagen, was ich suche.

SANTINELLI.
Für wie alt hältst du mich?
MONALDESCHI.

Wunderlicher Kauz! Glaubst du denn wirklich, daß ich nicht binnen vierundzwanzig Stunden von aller Welt erfahren kann, wonach du hier trachtest? Du bist ja in deiner Einseitigkeit und Bestimmtheit viel leichter ausgefunden als ich, der ich im einzelnen niemals nach Plan und Ziel handle, der ich dem Augenblick, der plötzlichen Eingebung, dem Naturell mich überlasse, und der ich nicht für die nächste Stunde bestimmen kann: dies wird mein Wille, dies meine Absicht sein.

SANTINELLI.

Und doch willst du mit deinem Vertrauen das meine bezahlen? Du willst mir anvertrauen, was du selbst nicht weißt?

MONALDESCHI.

Bravo! Du bist wirklich ein scharfsinniger Mann geworden, Santinelli! Wenn ich's auch im einzelnen nicht immer voraus weiß, was ich will und wollen werde, im ganzen und großen weiß ich es sehr wohl. Er hat halb nach den Fenstern zu gesessen, die auf den Säulenkorridor und da hindurch über den Hof sehen. Während der letzten Rede ist jenseits des Hofes in vielen Zimmern Licht erschienen, er bemerkt's und fragt rasch. Wer bewohnt die Zimmer, die da gegenüber eben erleuchtet schimmern?

SANTINELLI.
Frag die Wache!
MONALDESCHI.
Treib's doch nicht kindisch! Ich klingle deinem Diener und frage in deiner Gegenwart.
SANTINELLI.

Welche Zudringlichkeit! Die Schlaf- und Arbeitszimmer der Königin sind's, wenn du etwa hineinlaufen willst wie in die meinigen.

MONALDESCHI
der bis an die Tür gegangen war, setzt sich wieder.

Deine Schwester läßt dich grüßen. Pause. Und nun zur Sache: Wo kannst und willst du mich einführen, hier in Stockholm?

SANTINELLI.
Nirgends.
MONALDESCHI.

Schön. Das heißt Lunge und Schuhsohlen schonen. Eine weitere Unterhaltung zwischen uns Aufstehend. ist also überflüssig, [59] da du eine so grobe Politik hast, dich als unzugänglichen Feind anzukündigen, und zwar nur wegen der Möglichkeit eines Vorteils, der mir werden, und der dir ungelegen sein könnte. Ich danke dir für eine Erleichterung, die ich vom Römer nicht erwartet hatte: ich war auf täuschende Bereitwilligkeit von dir gefaßt, und dagegen ist die Verteidigung viel schwerer, als gegen grobe Feindschaft. Sei versichert, daß der Egoismus, welcher keinerlei landsmannschaftliche Bekanntschaft, keinerlei Jugendbekanntschaft brauchen kann, der an keinerlei gemeinschaftlicher Erinnerung eine Freude, auch nur eine vorübergehende Freude hat, daß der Egoismus, wie du ihn zeigst, statt ihn zu verbergen, ein trauriges Kunststück ist, und traurig ausgeht. Denn, gesetzt auch, es gelänge dir, was du damit beabsichtigst – um welchen Preis gelingt es dir? Um den Preis es Lebensreizes, des Lebens also selber. Was hilft dir die Gunst einer Königin, wenn du sie damit erkaufst, daß du alles aufgibst, was sonst in der Welt ist? – daß du den Pulsschlag erstickst für Schwester und Freund, für Genossen und Heimat, kurz für alle menschliche Teilnahme? Willst du ein Land erobern, das ohne Menschen ist, ohne Baum und ohne Pflanzen? Gesetzt selbst, die um solchen Preis errungene Gunst der Königin sähe wie Liebe aus – sie kann ja nicht Liebe sein, nicht Liebe bleiben, denn du hast ja keine Liebe, du hast ja nichts zu bieten. Du bist eine Wüste, du hast ja keine Welt in dir, du hast ja nichts als einen einzigen egoistischen Gedanken. Du suchst Schätze und hast nicht soviel Raum als eine hohle Hand, um sie zu ergreifen und aufzubewahren. Du bist wie ein Rabe, der Kostbarkeiten stiehlt, und dem sie nichts helfen. Glaube mir, Santinelli, die beste Spekulation, der einträglichste Egoismus unter Menschen besteht darin, daß man seine eigne menschliche Empfänglichkeit so groß wie möglich mache, dann ist Gewinn und Reichtum wohlfeil.

SANTINELLI.

Hast du noch viel zu sagen? Der große Eingang des Palastes ist geschlossen; um hinausgelassen zu werden, brauchst du die heutige Parole, sie heißt: Schweden bei Tag und Nacht!

MONALDESCHI.

Ich danke dir. Diese Art, jemand die Tür zu weisen, ist mir freundlicher und nützlicher, als die Art deines Empfanges. Gute Nacht! wenn du's nicht übel nimmst, daß ich dir etwas wünsche. Ab.

SANTINELLI.
Gute Nacht.
8. Szene
[60] Achte Szene.
SANTINELLI
allein.

Er sieht ihm eine Zeitlang schweigend nach. Am Ende hab' ich doch einen törichten Streich gemacht, ihn so fortzuschicken!Aufspringend. Jawohl! Da er die Parole weiß, wird er um das Hinauskommen unbekümmert noch herumtrödeln, um von sich reden zu machen. Meinen Diener mußte ich bis ans Tor mitschicken – holla! Ist er noch verwegen und neugierig wie sonst, so kann dieser Fehler ein Ereignis beschleunigen, das mir über kurz oder lang doch nötig ist, denn, bin ich ihm nicht gefährlich, so ist er mir gefährlich. Er geht rasch an die Tür und ruft auf den Korridor hinaus. Heda! Wache. Der Wachtposten tritt an die offene Tür. Es soll sich ein Dieb eingeschlichen haben; laß eine Kugel in dein Gewehr laufen, gib die Order weiter an den nächsten Posten, daß sie die Runde im ganzen Schlosse mache; wo ein verdächtiger Mensch betroffen wird, gebt auf der Stelle Feuer.


Macht eine Handbewegung zum Abgehen; die Wache salutiert und geht. Santinelli zieht die Tür zu und geht in ein Nebenzimmer.
9. Szene
Neunte Szene.
Wohnzimmer der Königin, hinten mit großen, bis an den Fußboden gehenden Fenstern, von denen eins offen steht und auf einen Balkon führt.
Königin Christine kommt im Gespräch mit Graf Brahe. Der Hofstaat hinter ihr.

BRAHE.

Ich kann es nicht beschwören, Majestät, aber ein ganzes Leben voll Beobachtung müßte trügen, wenn er nicht ein Blutsverwandter jenes Nebenzweigs der Sture wäre, der überall Verderben und Unheil angerichtet hat.

CHRISTINE.
So alt, Graf, und so voll Aberglauben.
BRAHE.
Je weniger positiver Glaube da ist, desto mehr Aberglaube; man braucht etwas.
CHRISTINE.
So? – Wie sieht der Mann aus?
BRAHE.

Nicht just absonderlich, auch nicht mehr ganz jung, aber mit jenem wunderbaren Blicke ausgerüstet, der seine Abstammung verrät. Außer bei jenem herumirrenden, unglücklichen Sture habe ich nie aus eines Menschen Auge solchen Blick strömen sehen: man weiß nicht zu sagen, ist die Farbe des Auges dunkel oder licht, aber [61] auf tiefem Grunde schimmert's wie eine auf und nieder steigende Flamme. Wenn man den Blick vermeidet, so fühlt man ihn auf sich lasten mit einem gespenstischen Drucke. Um nur diesem Drucke zu entgehn, sieht man schüchtern auf und sucht ihn, und läßt sich ergreifen wie von einer Zaubermacht, und gibt sich völlig auf, und fühlt sich halb ängstlich, halb entzückt im Banne einer dämonischen Kraft.

CHRISTINE.

Und mit dieser ungewöhnlichen Gabe, die ja doch nur ein Zeichen mächtigen inneren Lebens ist, werden all solche Sture unglücklich?

BRAHE.

Mein Vater, mein Großvater, mein Urgroßvater haben ein Tagebuch aufgezeichnet der merkwürdigsten Erscheinungen aus ihrer Zeit, und jeder hat ein auffallend tragisches Schicksal zu verzeichnen gehabt von einem dieser Halbsture, wie sie anfangs hießen, dieser Doppelsture. wie man sie später nannte, und ich selbst habe neben Erich gelebt, der aus Italien heim kam, dessen abenteuerliche Schicksale, dessen gewaltsamer Tod Ew. Majestät bekannt sind, und den man für den letzten Doppelsture gehalten hat.

CHRISTINE
setzt sich.

Ich erinnere mich dessen nur undeutlich; – die Katastrophe trat ja wohl ein, als mein Vater zum Kriege nach Deutschland abgegangen war?

BRAHE.
Ja, Majestät.
CHRISTINE.

Ihr müßt mir einmal den Roman dieses Mannes ausführlich erzählen; was ich davon weiß, interessiert mich sehr – er trat hier plötzlich als enthusiastischer Agent des Katholizismus auf, gegen den der König, mein Vater, und die Blüte des Landes eben in Krieg gezogen war –

BRAHE.

Und er würde vielleicht als ebenso enthusiastischer Agent des Protestantismus aufgetreten sein, wenn Schweden für den Katholizismus das Schwert gezogen hätte, wenigstens hatte er just in Rom ein tolles und wildes Leben geführt; es ist das Schicksal dieser Doppelsture, immer das mit Leidenschaft aufzugreifen, was im Augenblick von aller Welt gering geachtet wird.

CHRISTINE
aufstehend und zum Hofstaate sagend.

Gute Nacht! Setzt sich wieder, da der Hofstaat abgegangen. Wißt Ihr denn auch, Graf Brahe, daß Ihr mit Eurer Ansicht über die Doppelsture einer Bluttheorie anhängt, die von der Philosophie immer bekämpft worden ist, und die den Menschen wie eine Tierrasse betrachtet? Vom Jagdhunde fällt der Jagdhund, vom türkischen Pferde das türkische Pferd!

[62]
BRAHE.
Ich weiß es.
CHRISTINE.
Und Ihr glaubt daran? Ihr glaubt an diese nicht bloß allgemeine, sondern ganz persönliche Erbsünde?
BRAHE.

Und Erbtugend. Ich habe vor zehn Jahren, Majestät, zwei junge Burschen zu mir genommen. Sie waren beide Söhne von Jägersleuten aus mei nem Dienste, ich hatte die Väter dreißig Jahre um mich gesehn, ich hatte ihre Weiber, ihr Treiben und Tun, auch wie sie's in ihrem Forsthäuschen trieben, beobachtet. Der eine war streng, gewissenhaft, zuverlässig, beschränkt, pedantisch – der andere war leichtsinnig, unzuverlässig, aufgeweckt, zu allem verführbar, ein Taugenichts. Sie starben fast zu gleicher Zeit, von jedem nahm ich einen Sohn zu mir, jeder dieser Jungen war erst im fünften Jahre, also im wesentlichen noch unberührt vom Erziehungseindruck. Ich ließ sie vollkommen gleichmäßig unterrichten, ließ auf ihren Charakter ganz verschiedenartig einwirken: dem Sohne des Taugenichts ließ ich die Heiligkeit moralischer und bürgerlicher Gesetze, die Unerläßlichkeit ehrlichen Worthaltens, pünktlicher Treue einschärfen, dem Sohne des Pedanten wurde im Gegenteile alles dies leicht und bequem dargestellt und eigne, freie Ansicht wurde ihm empfohlen –

CHRISTINE.
Jetzt sind sie fünfzehn Jahre –
BRAHE.

Sie sind gebildeter, sind feiner als ihre Väter, aber der Sohn des Pedanten wird unaufhaltsam ein Pedant, der Sohn des Taugenichts rettungslos ein Taugenichts.

CHRISTINE.

Das wäre ja schrecklich! Wir wären ja dann unverantwortliche Produkte, bloße Produkte wie Pflanze und Baum! Von der Lilie kommt bloß die Lilie, vom Kirschbaume bloß ein Kirschbaum, pfui doch, Brahe!

BRAHE.
Nicht ganz so, aber fast! Ihr vergeßt die verschieden hinzutretenden Weiber.
CHRISTINE.
Das heißt: wir können's bis zur Kreuzung der Tierrassen bringen –
BRAHE.

Ihr vergeßt, daß das Schicksal der Pflanze bloß durch Witterung und Boden bestimmt wird, das Schicksal des Tiers auch nur geringer Veränderung ausgesetzt ist – dem Menschen aber kommen durch tausend Organe innerlicher Empfängnis tausend Einflüsse, die nicht zu berechnen sind.

CHRISTINE.

Und doch werden Eure Jägerburschen nur eine [63] Wiederholung ihrer Väter, und doch ist ein Doppelsture wie der andere –

BRAHE.
Das nicht –
CHRISTINE.

Sondern? Ein Diener tritt auf und übergibt der Königin ein offenes Blatt – nachdem sie gelesen, verabschiedet sie den Diener mit einer Handbewegung. Militärische Übertreibung! Läßt die Wachen scharf laden, weil ein verdächtiger Mensch in den Schloßhöfen sei – eine arme Fledermaus, die in den Eingang geraten ist und den Ausgang nicht wieder finden kann. – Ja, nun wie steht es – apropos! wie steht es, Graf, mit der Verheiratung Eurer Tochter? Ihr wißt, daß ich sie nicht unnötig beeilt sehn möchte; so lieblich jungfräuliche Blume in meiner Umgebung erquickt mein Herz, und die Neigung zu Vetter Malström scheint mir noch nicht in Reife zu stehn, wie?

BRAHE.

Eure Majestät mögen versichert sein, daß ich da nichts übereile; auch die echteste Neigung verliert an Kraft und Schönheit, wenn sie zu früh als bekannt vorausgesetzt, oder gar von außen zum Abschlusse getrieben wird. Alle Neigung ist weiblichen Geschlechtes und gedeiht nur, wenn sie Widerstand findet.

CHRISTINE.

Als ob ihr Männer nicht ebenso wärt! Was euch in den Schoß fällt, das hat nur halben Preis. Alle Neigung ist überirdisch, halb Himmel, halb Hölle, ohne Hölle verliert sie den Reiz. Und glaubt Ihr denn, Brahe – Ihr habt ja solchen Dingen ein ganzes Leben lang zugesehn – glaubt Ihr zuverlässig, daß eine tiefe Neigung zwischen den beiden jungen Leuten obwalte?

BRAHE.

Zuverlässig – wie wenig auch Sylva noch von ihrem eignen Herzen weiß. Gott gebe, daß meine Vererbungstheorie des Charakters übertrieben sei, sonst ständen dem Kinde von seiner enthusiastischen Mutter her noch Windstöße von Leidenschaft bevor, die selten ohne Schaden ablaufen.

CHRISTINE.

Unverbesserlicher Theoretiker! Meine unschuldige, kindliche Sylva, und Windstöße von Leidenschaft! Ihr kommt auf törichte Dinge, mein lieber Brahe, mit Eurem Systeme – Sie nimmt ein kleines Kreuz ab, was sie um den Hals trägt, und gibt's ihm. Schenkt meinem Lieblinge dies kleine Kreuz von mir; Gott möge ihr Schönheit und glücklichen Sinn bewahren! Brahe verbeugt sich und küßt der Königin die Hand, dann betrachtet er nachdenklich das Kreuz.

CHRISTINE.

Fürchtet Euch nicht, ein kleines Kreuz macht noch nicht katholisch. Behüt' Euch Gott, Graf Brahe! – Noch eins! [64] Kennt jener Fremdling, dem Ihr wegen eines Blickes eine Verwandtschaft zuschreibt, kennt er hier in Stockholm jemand?

BRAHE.
Ich weiß es nicht, Majestät.
CHRISTINE.

Nun, ich hoffe, schon aus philosophischer Neugier werdet Ihr ihn kennen lernen und mir ihn später ohne Vorurteile schildern. Verbeugung des Grafen. – Schlaft wohl, Brahe! Brahe ab.

10. Szene
Zehnte Szene.
CHRISTINE
allein.

Ein alter Mann, der viel erlebt, zuviel erlebt hat, er kommt auf Spielereien – und doch ist er ein denkender Mann – ist er weise, oder ist er ein altes Weib? Ja, das letzte entscheidende Urteil über einen Menschen ist eben so schwer! Und ich fürchte, ich fürchte, um das zu haben, muß man ein Mann sein. Man muß abschließen können, gehe dabei zugrunde was mag. Ein Urteil, sei's auch nicht erschöpfend, ist doch besser, als immerwährendes Abwägen, das keine Gewichtsbestimmung wagt. Und ist's nicht besser, so ist's doch mehr, man kommt doch von der Stelle, man kommt doch weiter, man bleibt doch nicht immer am Berge stehn, messend und rechnend – Pause. Sie steht auf.

Ein Mann! Interesse! Leben! An diesem Santinelli hab' ich nichts gefunden. Er hat nur gerade so viel Geist, um klug zu sein, aber der Geist ist unbewegt und deshalb uninteressant. Er ist ein sogenannter Charakter, und darum langweilig, denn ich kenne die Grenzen, in denen er sich bewegt, und das nennen eben die Menschen Charakter. Fürs bürgerliche Leben ist das viel wert, für mich nicht. Gibt es denn nicht Charakter in einem größeren Kreise, den man erst nach vollendetem Leben über sieht? Sie setzt sich wieder.


In dem offenen Balkonfenster hinten erscheint von unten auf Monaldeschi und bleibt, noch großenteils außerhalb, stehn.
11. Szene
Elfte Szene.
Monaldeschi. – Christine.

MONALDESCHI
atemlos.

Verzeiht, gnädige Frau –Man hört Geräusch vom Hofe aus, Wachen, die sich zurufen. man verfolgt mich –


Christine schreit auf und greift nach der Klingel.
MONALDESCHI.

Man verfolgt mich wie einen Dieb, man schlägt das Gewehr auf mich an, ich flüchte diese Balkontreppe herauf, weil alle Ausgänge besetzt sind –

[65]
CHRISTINE.
Verwegener Mensch, keinen Schritt weiter, oder ich greife nach dem Pistol und nach der Klingel!
MONALDESCHI.

Bis hierher geflüchtet zu sein, müßt Ihr mir vergeben. Ihr mögt sein, wer Ihr wollt, und wenn Ihr die Königin selber seid. Nicht der kleinste Mensch will aus einem Mißverständnisse totgeschossen sein, und keiner, der König selbst nicht, ist hoch genug, um jemand, der am Abgrunde des Todes schwankt, den kleinen Finger zu versagen. Ich verlange ja nicht mehr als den Schatten dieses Balkongeländers. Auch ohne Eure Drohung hätte ich mir nie erlaubt, die Schwelle dieses Fensters zu überschreiten, bis mir ein Wink Eurer Hand, ein Ton Eurer Stimme die Berechtigung dazu gegeben –

CHRISTINE.

Du steigst in die Fenster und berufst dich auf gute Manieren! Ein Räuber, der uns mit der Versicherung anfällt, er wolle bloß rauben, aber keine Unanständigkeit begehn.

MONALDESCHI.

Warum nicht, gnädige Frau? – Die Formen, die Vorzimmer, die Anmeldung durch Diener und so weiter, das alles ist doch nur erfunden, um uns gegen Unwillkommene zu schützen –

CHRISTINE.
Das seh' ich in diesem Augenblick deutlicher als je –
MONALDESCHI.
Erlaubt! Alle menschlichen Schutzmittel sind aber unvollständig –
CHRISTINE.
Das seh' ich auch!
MONALDESCHI.

Sind nicht nur mangelhaft, sondern auch fehlerhaft. Was uns schützen will, das versperrt uns, das entzieht uns auch etwas. Für Eure Vorzimmer müßt Ihr allgemeine Regeln geben, Ihr müßt sagen: nur zu dieser oder dieser Stunde, nur Leute von dieser oder dieser Beschaffenheit dürfen zugelassen, dürfen gemeldet werden. Durch diese allgemeinen Regeln, die alles Unvorhergesehene und Ungewöhnliche ausschließen, schützt Ihr Euch vor Ungelegenheit, sorgt aber auch für Langeweile! Ihr könnt nicht mehr überrascht werden. Ihr könnt niemand sehn und sprechen, der nicht gewisse Eigenschaften, auch für die Bedienten kenntlich, zur Schau trägt. Heißt es nun nicht die Formen respektieren, und doch zugleich die Formen übertreffen, wenn es ein Fremder möglich macht, Euch selbst zu fragen, ob Ihr ihn sprechen wollt? Und wenn er deshalb doch nicht über Eure Schwelle tritt, und wenn er so erscheint, daß er wie ein Gedanke wieder verschwindet, sobald Ihr zu seiner Anfrage den Kopf schüttelt?

[66]
CHRISTINE
lachend.
Du kletterst also an den Fenstern in die Höhe, um die Regeln der Vorzimmer zu verbessern?
MONALDESCHI.
Ungefähr so. Wenn mich die Not in die Fenster treibt, so mach' ich aus der Not eine Tugend.
CHRISTINE.
Wie bist du daher gekommen?
MONALDESCHI.
Soll ich die Wahrheit sagen?
CHRISTINE.
Sprich.
MONALDESCHI.
Die ganze Wahrheit?
CHRISTINE.
Natürlich.
MONALDESCHI.
Aber diese ist viel länger als die halbe, sie beginnt in Rom und endigt an diesem Fenster.
CHRISTINE
für sich.
Aha!
MONALDESCHI.
Und sie bedarf einer Sicherheitsmaßregel.
CHRISTINE.

Man soll dir wohl Verschwiegenheit schwören für Geheimnisse, die du um jeden Preis den Leuten an den Kopf werfen willst?

MONALDESCHI.

Nein. Schwüre verleiten zur Lüge – darf ich voraussetzen, gnädige Frau, daß es Euch unangenehm wäre, wenn die unten hin und her suchenden Wachen mich in diesem Augenblicke tot schössen?

CHRISTINE.
Nein, das darfst du nicht.
MONALDESCHI
verbeugt sich.

Es wäre Euch aber vielleicht unangenehm, wenn ich mit blutendem Körper in Euer Zimmer stürzte und es besudelte und belästigte?

CHRISTINE.
Vielleicht.
MONALDESCHI.

Nun kann ich aber nicht voraussagen, wie ich mich in solchem Falle benehmen würde, ob ich nach vorwärts oder rückwärts fiele, ich bedarf also zu jener Erlaubnis, Euch die ganze Wahrheit sagen zu dürfen, noch einer zweiten Auf den Boden zeigend. sie ist nur einen Schritt breit –

CHRISTINE.

Wenn ich dir versprochen habe, deine sogenannte ganze Wahrheit zu hören, so habe ich dir ja auch versprochen, daß du nicht früher totgeschossen werdest, als bis du geredet hast.

MONALDESCHI
verbeugt sich und tritt einen Schritt herein, so daß er gerade innen an der Fensterschwelle steht.

Die für uns günstigen Schlußfolgerungen muß ja immer der andere ma chen, wenn sie vollgültig sein sollen.

CHRISTINE.

Was du an Sicherheit gewinnst, verlier' ich an [67] Interesse – da draußen hättest du gedrängter erzählt. Du willst mir vorreden, du kenntest mich nicht?

MONALDESCHI.

Ich kannte Euch nicht eher, als bis ich Euch hier das erste Mal gesehn hatte, seit zwei Minuten also kenn' ich Euch – Sich umwendend und aus dem Fenster hinaus zeigend. – ich bin seit einigen Stunden zum ersten Male in dieser Stadt und besuchte dort drüben den einzigen Mann, den ich hier kenne, meinen Landsmann Santinelli.

CHRISTINE.
Ist er dein Freund?
MONALDESCHI.

Nein, er ist keines Menschen Freund, um nur sein eigner zu sein – meines Erachtens eine schlechte Spekulation, die Spekulation des Geizhalses.

CHRISTINE.
Wie nahm er dich auf?
MONALDESCHI.
Wie ein mürrischer Feind, der befürchtet, ich könnte seine Wege benutzen und ihn benachteiligen.
CHRISTINE.
Kennst du seine Wege?
MONALDESCHI.
Nein.
CHRISTINE.
Was willst du in Stockholm?
MONALDESCHI.
Ich suche mein Glück.
CHRISTINE.
Was macht dich glücklich?
MONALDESCHI.

Das weiß ich noch nicht – wenn man's wüßte, so hätte man's schon besessen und nur verloren, dann wär's nicht so schwer zu finden. Aber was mich heute beglückt, beglückt mich vielleicht morgen nicht.

CHRISTINE.
Was beglückt dich heute?
MONALDESCHI.
Macht und Liebe.
CHRISTINE.
Soviel auf einmal?
MONALDESCHI.

Ein gehört zum andern: find' ich Liebe in mir und zu mir, so bin ich des Glücks mächtig, und soll ich Macht finden, so ist dies nur durch Liebe möglich, da mir die Macht nicht angeerbt ist und sich überhaupt nur scheinbar vererben läßt.

CHRISTINE.
Und warum suchst du das in so weiter Ferne und nicht daheim?
MONALDESCHI.

Schimmern nicht die rauhsten Berge in der Ferne lieblich blau? Es ist unsre Trägheit und eine krankhafte Himmelssehnsucht, daß wir immer nach der Ferne langen. Von dem, was wir in der Nähe erreichen können, sehen wir alle steile, mühselige Beschwerde deutlich, und deshalb versuchen wir uns nicht [68] daran; von dem, was uns in der Ferne lockt, sehen wir nur die Lockung deutlich, die Hindernisse aber undeutlich, und so gehen wir mit besserem Mute daran.

CHRISTINE.
Du hast recht Für sich. so lockt's auch mich von hinnen! Zu ihm. Was lockte dich nach Schweden?
MONALDESCHI.
Das Regiment einer Königin.
CHRISTINE.

Weil sie ein Weib ist, und jeder Mann sich berechtigt glaubt, bei einem Weibe sein Glück zu suchen, nicht wahr?

MONALDESCHI.

Zum Teil wahr. Weil sie ein Weib ist, ja; Weiber haben eine reichere Phantasie. Mit weltlichen Mitteln ausgerüstet, sind sie den idealsten Plänen bereitwillig; jener Rost praktischer Besorgnis, welcher den Männern anklebt, verhindert sie nicht.

CHRISTINE.
Das heißt: sie neigen aller Schimäre Ohr und Hand?
MONALDESCHI.

Wenn Euch Ideal und Schimäre gleichbedeutend sind, ja. Aber die Schimäre erwächst, ein bloßer Wetterschimmer, aus der Luft ins Ungewisse, das Ideal entkeimt hingegen auch aus gutem, irdischem Boden, und erhebt sich ins Unendliche.

CHRISTINE.

Nun, und zu welchem Ideal soll dir die Königin von Schweden behilflich sein? Erst soll sie dich zum Favoriten, dann zum Reichskanzler, und dann zum Könige von Schweden machen, nicht wahr? Und um idealisch anzufangen, kletterst du nachts an ihrem Fenster in die Höhe –

MONALDESCHI.

Was Ihr mir da von Hoffnungen zuschreibt, das ist Schimäre, nicht Ideal – Christine von Schweden heißt in Rom die philosophische Königin, man weiß und rühmt, daß sie der Wissenschaft und Kunst und aller ewigen Frage der Welt nachgeht – ist es nicht Gewinn, einer Königswelt nahe zu sein, wo inmitten weltlicher Macht der freie Wissenschaftsgedanke freie Geltung und freie Bahn gewinnt?

CHRISTINE.
Und dergleichen bringst du aus Rom? Das ist ja ketzerisch.
MONALDESCHI.

Ketzerei muß von der Kirche verfolgt werden, wie der Staat bekämpft, was ihm widerspricht; aber um die Ketzerei wirksam zu verfolgen, wird es der Kirche notwendig, sich selbst methodisch zu entwickeln, darum –

CHRISTINE.

Darum braucht die Kirche Ketzer, willst du sagen – du weißt dich in Schweden zu benehmen, und du scheinst mir [69] überhaupt ein so leichtsinniger, gefährlicher Mensch zu sein, daß du meiner besten Glückwünsche bedarfst, um dem Schicksale eines Taugenichts zu entgehn.

MONALDESCHI.
Die Glückwünsche einer Königin sind Briefkuverts des Glückes selbst.
CHRISTINE.

Schmeichle dich hinauf zur Schimäre, und sorge selbst, wie du den Rückzug findest – meine Wache wird dir zeigen, was in diesem Briefkuvert steckt. Sie macht ihm eine Handbewegung des Abschiedes.

MONALDESCHI.

Erlaubt mir nur noch eine Frage: Wenn ich eine heiße bleierne Kugel finde, war diese Kugel Euch wirklich dienstbar und willkommen?

CHRISTINE.
Törichter Mensch! Bin ich das Schicksal?
MONALDESCHI.
Ich danke Euch!
CHRISTINE.
Wofür?
MONALDESCHI.
Daß Ihr nicht ja gesagt –
CHRISTINE.
Glückliche Reise. Sie setzt sich mit dem Rüchen nach dem Fenster.
MONALDESCHI.

Das Schicksal ist der Zufall und das ganze Leben – ihm gehört man überall; dafür sorgen, heißt sterben, darüber unbekümmert sein, heißt leben. Er verschwindet hinter dem Fenster.

12. Szene
Zwölfte Szene.
CHRISTINE
allein.

Sie sieht sich um, und da er verschwunden, löscht sie rasch die Lichter und bleibt erwartungsvoll inmitten des Zimmers stehn, leise sprechend. Ein merkwürdiger Mensch – ein Mann! Es fällt ein Schuß – sie fährt zusammen. Ach! – Ungeschicktes Schicksal! Sie horcht. Nichts weiter? Eilt ans Fenster. Nichts zu sehn! – O Santinelli! –


Der Vorhang fällt.
[70]

1. Akt

1. Szene
Erste Szene.
Zimmer.
Graf Brahe. – Sylva.
Brahe sitzt auf einem Lehnstuhle, Sylva auf einem Taburett vor ihm.

SYLVA.
Nun, Vater, willst du mir's nicht erklären?
BRAHE.
Ein Kind fragt mehr als hundert Weise beantworten können.
SYLVA.
Nicht doch!
BRAHE.

Du glaubst das nicht? Sieh, wir haben uns eingerichtet in dieser Welt, so gut als es eben gehn wollte, und diese systematische Einrichtung ist ein allgemeines Übereinkommen geworden, was der Vater dem Sohne, die Mutter der Tochter überliefert. Davon wissen nun aber Kinder noch nichts, sie fragen noch ungeschult in die Kreuz und Quere, und setzen uns Alte in Verlegenheit.

SYLVA.
Und so wißt ihr auch nichts Rechtes von den Vampiren?
BRAHE.

Nichts Rechtes, mein Kind. Aber wir wissen, daß es unter Männern und Weibern Vampire gibt, ohne daß diese Männer und Weiber Blutsauger wären.

SYLVA.
Wie denn?
BRAHE.

Sie kommen, ehe wir uns dessen versehn, über unser Herz, und wenn wir dessen inne werden, gehört ihnen unser bestes Herzblut schon. Es sind dies die genial begabten Geschöpfe.

SYLVA.
Was ist das, genial?
BRAHE.

Das ist eine Kraft, die sich nicht berechnen, die sich nicht nachmachen läßt, eine Kraft, die wir nicht in Bestandteile zerlegen können, und die deshalb von ängstlichen Menschen eine dämonische Kraft genannt wird. So hieß jener Doppelsture, dessen Schicksal dich so interessiert, der schwedische Dämon. Die Männer atmeten auf, und die Weiber weinten, als er Stockholm verließ, um in die weite Welt zu gehn. Ein unsteter Drang ist solchen Menschen eigentümlich, sie sind niemals mit dem begnügt, was sie um sich haben können, es flimmert ihnen das Glück der Welt vor den Augen[71] wie ein endlos flutendes Glanzmeer, umsonst erreichen sie mit Leichtigkeit diesen Vorteil oder jene glückliche Stellung, alles das scheint ihnen gering gegen das Glanzmeer, was sie umflimmert, rastlos treibt sie ihr Sinn hinaus, sie fürchten, es entgehe ihnen das Beste in der Ferne, wenn sie daheim auch noch so vorteilhaft angesiedelt sind: so wird ihnen die glücklichste Ehe, der vorteilhafteste Posten eine Last, ja auf dem Throne selbst verzehrt sie die Unruhe oder Begierde, und stachelt sie, Abenteurer oder Eroberer zu werden.

SYLVA.

Aber warum weinten denn die schwedischen Frauen, als der Doppelsture hinwegging, da er sie doch nur beraubt und gequält hatte?

BRAHE.
Weil die Weiber, so sehr sie sich fürchten, aller dämonischen Kraft am begierigsten nachgehn.
SYLVA.

Das begreif' ich – solche Kraft ist ja viel mehr als alles andere, man sieht da kein Ende, und es reizt auch mich nichts so sehr, als wovon ich kein Ende absehen kann. Weißt du, Vater, daß ich auch schon einem solchen Doppelsture begegnet bin?

BRAHE.
Gott behüte dich davor, mein Kind! Was willst du damit sagen?
SYLVA
rasch.
Und wie ging's ihm denn in Rom, dem schwedischen Dämon?
BRAHE.
Keine stolze vornehme Schöne, kein mächtig Amt fesselte ihn, sondern ein einfach römisch Mädchen –
SYLVA.
Ach, das ist schön! Siehst du! – Und wie weiter?
BRAHE.

Weiter wissen wir nichts Sicheres, er war mit ihr verschwunden, und nur dunkle Gerüchte sprachen von einem schrecklichen Ende – plötzlich war er hier, erregte Aufruhr und Empörung, ward verfolgt und soll von unsern Bergvölkern in einen Abgrund gestürzt worden sein.

SYLVA.
Soll! Ei, da kann er ja alle Tage wiederkommen!
BRAHE
lachend.
Das wohl – aber da müßte er hundert Jahre alt geworden sein.
SYLVA.
Weißt du, daß er hier ist?
BRAHE.
Närrchen!
SYLVA.

Du sagst selbst, ihr kennt solche Naturen nicht genau, ihr wißt sie nicht zu berechnen, was wißt ihr also, ob sie altern und wie sie altern?!

BRAHE.
Mädchen!
[72]
SYLVA.

Und siehst du ihn nicht immer an wie einen Zauberer, den du fürchtest und liebst, und der dir große Geheimnisse zu sagen hätte?

BRAHE.
Wen denn?
SYLVA.

Und ist sein Erscheinen, sein Auftreten, sein Fußfassen, ein Aufsteigen neben dem Throne, ist dies nicht alles von jener dämonischen Art, die du eben geschildert?

BRAHE
aufstehend.
Aber wessen, wessen?
SYLVA.
Nun, Monaldeschis.
BRAHE.
Ach, meine Sylva!
SYLVA.

Klang's nicht wie ein Märchen, daß er in der ersten Nacht seines Hierseins im Geheimzimmer der Königin erschienen sei wie durch die Luft kommend? Du selbst hattest eben das Zimmer verlassen, warst keinem Menschen begegnet, kein Diener hatte jemand passieren sehn, und doch war er, ein unbekannter Fremdling, eine Minute nach dir bei der Königin! Keine Tür hatte sich geöffnet, um ihn herauszulassen, und doch sieht man ihn bei vollem Mondscheine über den Schloßhof hinausschreiten; die Wachen geben Feuer auf ihn, er aber, unbekümmert darum, schreitet wie ein Geist hindurch, das Tor tut sich vor ihm auf, und im Laufe weniger Monde ist er die rechte Hand der Königin, von aller Welt gehaßt oder vergöttert, von niemand mit Gleichgültigkeit angesehn. Wer wäre das anders als der schwedische Dämon?

BRAHE.

O, mein Kind – Er drückt ihren Kopf an seine Brust. höre auf! Sieh' nicht hin auf diese Erscheinung, geh' dieser dämonischen Kraft aus dem Wege, sie bringt nur Unheil!

SYLVA.

Aber warum das, mein Vater? Du hast mich ja selbst gelehrt, man messe das Glück nicht nach der Elle; wie weit der Strom gehe, sei unwichtiger, als wie tief er gehe; wie lang ein Glück daure, sei gleichgültig, wenn es nur groß sei.

BRAHE.

Tändle nicht, Sylva, mit Spruchweisheit, sie täuscht uns alle, wenn Not an Mann kommt; tändle nicht mit dem Glück, das so leicht erworben, so schön neben dir steht, verscherze es nicht darum, weil es dir leicht erworben ist – die Kaprice vergeht, und Reue bringt das Verscherzte nicht wieder.

SYLVA.
Aber was ist denn, Vater?
BRAHE.

Du bist gleichgültig, Sylva, gegen Ludolf, du mißhandelst eine Neigung, um welche dich alle Welt beneiden möchte, [73] die Neigung des bravsten, tüchtigsten und schönsten Mannes, dem du bis vor wenig Tagen mit kindlicher Traulichkeit zugetan warst.

SYLVA.

Schilt nicht, Vater, bitte, bitte, schilt nicht. Du hast mich gelehrt, vor allen Dingen wahr zu sein, und soll ich Freude heucheln, wo ich Angst empfinde? Ludolfs Drängen um Zärtlichkeit und Heirat ängstigt mich in diesem Augenblicke, laß mir Zeit, Vater!

EIN DIENER
tritt ein.
Der Marquis von Monaldeschi im Auftrage Ihrer Majestät der Königin. Ab.
SYLVA.
Ach!
BRAHE.
Mein Gott!
2. Szene
Zweite Szene.
Monaldeschi. – Die Vorigen.

MONALDESCHI
dem Diener auf dem Fuße folgend, verneigt sich gegen Sylva, und wendet sich dann zu Brahe.
Ihre Majestät die Königin wünscht Euch im Laufe des Tages zu sehn, Herr Graf.
BRAHE.
Sie hat keine Stunde bestimmt?
MONALDESCHI.

Nein. Ihr würdet ihr zu jeder Stunde willkommen sein, sie verläßt ihre Gemächer nicht, sie ist schwermütig.

BRAHE.
Schwermütig? Ist sie krank?
MONALDESCHI.

Krank. Man muß es krank nennen; ihr Mut ist schwer, ihr Geist ist traurig – sollte ein Mann von Eurer tiefen Menschenkenntnis, Graf Brahe, nicht längst gesehn haben, woran sie leidet? Sie will und muß herrschen, sie ist eine geborne Königin, es liegt ihr im Blute, allen Willen sogleich in Tat verwandelt zu sehn; aber sie mag nicht regieren: das Einzelne des Regiments, dies Abwägen und Zuwägen, dies Teilen und Verteilen, dies Sorgen und Borgen ist ihr zuwider, das verstimmt sie. All jene raschen, schöpferischen Menschen sind schlechte Verwalter.

BRAHE.

Aber fehlt es ihr denn an Ministern? Lebt denn Oxenstjerna nicht mehr? Ist Schweden so arm geworden? Und selbst noch zu arm, wenn es vom Auslande borgt?

MONALDESCHI.
Wenn Kräfte wie die Euren sich zurückziehen, so gerät das reichste Land in Mangel.
BRAHE.

Die meinen! Lieber Gott! Ihr kennt mich nicht, Herr. Ich bedenke und berücksichtige zuviel, um regieren zu können; [74] ich will niemand weh tun, das muß man aber können, wenn man regieren will, ich kann niemand etwas abschlagen, was wär' ich für ein Regent – nicht ein Mädchen kann ich regieren!

SYLVA
in seine Arme eilend.
Guter Vater!
BRAHE.

Und Ihr, mein Herr, der Ihr täglich um die Königin seid, der Ihr zu leben wißt wie einer, reichen denn Eure Mittel nicht aus für solchen Mangel?

MONALDESCHI.

Die meinen? Spottet nicht, Graf. Ich bin ein Poet, der Zeit seines Lebens nach Mächtigkeit trachtet, dem nur wohl ist, wenn er im Schoße der Sonne und der Donnerkeile wohnen kann; aber ich bin nur ein Poet, ich bin kein Minister. Die Möglichkeit der Macht reizt mich über alles, aber die Macht in aller Einzelheit zu handhaben, das ist nicht meine Sache und nicht meine Fähigkeit. Dabei geschweig' ich noch meiner Fremdlingslage dahier – der schwedische Adel haßt mich ohnedies, weil die Königin mich auszeichnet, was würde es für töricht Ding, für widerstrebend Blut geben, wollte ich mich ins innere Getriebe der schwedischen Regierung mischen!

BRAHE.
Das heißt: Ihr wollt immer genießen, ohne jemals zu arbeiten.
MONALDESCHI.
So ist's beinahe –
EIN DIENER.
Graf Ludolf von Malström!
BRAHE
zum Diener.
Halt! Er eilt vor dem Diener hinaus, der Diener folgt.
3. Szene
Dritte Szene.
Monaldeschi. – Sylva.

MONALDESCHI.
Warum, Fräulein Sylva, erscheint Ihr so selten im Schlosse? Die Königin sieht Euch so gern –
SYLVA.
Mein Vater geht jetzt selten aufs Schloß.
MONALDESCHI.
Und Ihr selbst habt wenig Trieb dazu?
SYLVA.
Ach nein, ich ginge gern.
MONALDESCHI.
Wirklich? Euer Bräutigam geht aber auch nicht gern –

Sylva schüttelt mit dem Kopfe.
MONALDESCHI.
Warum denn nicht?
SYLVA.
Ich weiß es nicht.
[75]
MONALDESCHI.
Ein schlimmer und gestrenger Herr.
SYLVA.
O nein, Ludolf ist gut, ist seelensgut!
MONALDESCHI.
Und auch Ihr seid ihm gut?
SYLVA.
Das bin ich – was fragt Ihr da für Dinge, ich werde doch meinem Bräutigam gut sein!
MONALDESCHI.
Und ihn sobald wie möglich heiraten –
SYLVA.
Das nicht –
MONALDESCHI.
Nicht?

Man hört Malström heftig sprechen.
SYLVA.
Mein Gott, Ludolf ist so im Zorn! Geht, Herr, entfernt Euch von dieser Seite! Links deutend.
MONALDESCHI.
Ei warum?
SYLVA.
Tut's, Herr! Ich fürchte, er ist bös, Euch hier zu treffen!
MONALDESCHI.
Warum sollte er das?
SYLVA.
Ich bitte Euch, Monaldeschi, geht, Ihr tut ihm weh, und tut mir weh, wenn Ihr bleibt.
MONALDESCHI
ergreift ihre Hand und küßt sie.
Aber warum, Fräulein Sylva?

Sylva steht schweigend, leise bebend und ihm die Hand lassend, die Monaldeschi erst langsam freigibt, als die Tür aufgeht.
4. Szene
Vierte Szene.
Malström. – Brahe. – Die Vorigen.

MALSTRÖM
zu Brahe.

Kann man das Land nicht rein halten vor zudringlichen Abenteurern, so kann man doch sein Haus davor bewahren. – Vergib, Sylva, daß dein Vater dich in fremder Gesellschaft allein gelassen, ich war schuld daran.

MONALDESCHI.
Guten Tag, Graf Malström.
BRAHE.
Aber, Ludolf!
MALSTRÖM.
Ich kann nicht lügen und jemand einen guten Tag wünschen, der meinen guten Tag verdirbt.
MONALDESCHI.
Man nennt das ehrlich, aber grob.
MALSTRÖM.
Was grob ist, hält gut.
MONALDESCHI.

Ein tüchtig Bauernsprichwort, das für Euch passen mag – was habt Ihr denn, daß Ihr mich anfallt wie ein Kettenhund? Ist man in Eurem Hause, Graf Brahe, auch für ein Geschäft der Königin nicht vor Beleidigung sicher?

[76]
BRAHE.
Ihr habt ja gesehn, Herr, wie ich mich bemüht habe, es abzuwenden –
MALSTRÖM.
Es gibt aber Leute, denen es nicht genügt, wenn man ihnen Widerwillen und Nichtachtung andeutet.
BRAHE.
Ludolf!
MONALDESCHI.

Das seh' ich – und wenn Ihr auch mich zu solchen Leuten zählt, so macht reinen Tisch und sagt offen heraus, daß Euch der Fremde zuwider ist, der's in wenig Tagen weiter bringt, als ihr Euer Lebelang, dann seid Ihr wenigstens grob und offen zugleich!

MALSTRÖM.

Ihr überhebt mich der Offenheit und seid klug genug, einzusehn, daß wir nicht wie Weiber die Zudringlichkeit liebenswert finden.

MONALDESCHI.

Das ist die wahre Höhe! Wäre ich ein bettelnder Lump geblieben, dann zeigtet Ihr mir Eure Verachtung, daß ich nichts vermöchte, und weil ich's zu was gebracht habe, so stachelt Euch Zorn und Brotneid zu roher Beleidigung – wie klein!

MALSTRÖM.
Der fremde Glücksritter will wohl noch bewundert werden, wenn er sich eingedrängt hat?
MONALDESCHI.

Fremd oder nicht fremd! Das ist Euer Patenwort! Wer nichts erwerben kann, der hängt sich mit aller Schwere an die Vetter- und Landsmannschaft, weil er fühlt und weiß, daß er ohne sie nichts wäre. Bin ich durch ein Verbrechen in Eurem Lande hoch gestellt, oder durch mein Verdienst? Übertrefft mich, und Ihr werdet mich würdig besiegt haben – ich habe keinen Schutz als meinen Kopf, mein Herz und meinen Degen. Ihr habt das ganze Land für Euch, habt Eure Erbschaften und Vetterschaften für und hinter Euch, es steht Euch wohl an, gegen den einzelnen Gast nichts aufzubringen als brutale Beleidigung!

MALSTRÖM.

Ihr seht auch aus wie ein Gast, der bloßes Gastrecht in Anspruch nehmen und wieder gehen will! Ihr seid ein Gast wie der Spatz, der im Nest der Schwalbe einkehrt, um sich einzunisten.

MONALDESCHI.
Wer hat's den Spatz gelehrt? Wer hat ihm die Macht gegeben?
MALSTRÖM.

Dafür sind wir Menschen, sind eine Nation, tragen alle Nachteile einer nationalen Gemeinschaft, um das bloß tierische Recht abzuwehren, um gegen den Eindringling in Vorteil und Macht zu sein! Wer sich nicht unterbringt, wo ihn Geburt und Erziehung [77] hingestellt, der wird ein Abenteurer und Landstreicher, den schließt die Gesellschaft aus von ihrer Achtung.

MONALDESCHI.

Meine Vorfahren, die römischen Feldherrn, strichen auch durch die Länder, und erzwangen sich mehr als Achtung, sie erzwangen sich Gehorsam.

MALSTRÖM.

Tut's eine Nation, so ist's Eroberung, tut's ein einzelner, so ist's Glücksritterei, die man über kurz oder lang züchtigt.

MONALDESCHI.
Und Ihr möchtet gern ein solcher Schulmeister sein, da Ihr kein Glücksritter sein könnt?
MALSTRÖM.
Die Rute dieses Schulmeisters schlägt nur einmal und dann für immer.
MONALDESCHI.
Oder wird zerbrochen für immer.
MALSTRÖM.
Je nachdem der Glücksritter Glück hat.
MONALDESCHI.

Um ein Glücksritter zu sein, muß man ein Ritter sein können, Eure Ritterlichkeit geht alter Weiber Wege!

MALSTRÖM.
Stellt Euch nur, sie wird Euch andre Wege weisen!
MONALDESCHI.
Fordert nur, statt zu schmähn.
MALSTRÖM.
Da sind wir, wo wir anfangen müssen, um zu endigen, und Ihr sollt's noch heut erfahren.
SYLVA
zu Malström eilend.
Nicht so, Ludolf, ich bitte dich!
MONALDESCHI.
Vergebt, mein Fräulein, daß Ihr um meinetwillen solche Zwiesprache hören mußtet –
MALSTRÖM.
Ihr sollt Eure Worte nicht an diese Dame richten, Euer Anblick schon ist eine Beleidigung für sie –
SYLVA.
Aber, Ludolf, das ist nicht wahr!
BRAHE.
Vergebt, Herr –
MONALDESCHI
verbeugt sich gegen Sylva und Brahe.
Vergeßt nicht, Graf, was mich hergeführt!Geht ab.
5. Szene
Fünfte Szene.
Die Vorigen ohne Monaldeschi.

BRAHE.

Du wirst nicht so leidenschaftlich und unrichtig fortfahren, Ludolf, wie du zu meinem Leidwesen hier angefangen.

SYLVA.
Wenn du mich lieb hast, Ludolf, tu' es nicht.
MALSTRÖM.
Das werd' ich zuverlässig, das werd' ich zuverlässig, wenn nicht mein Arm erlahmt!
BRAHE.

Du hast nicht ganz recht, Ludolf, und beschwörst [78] unnützerweise tausend Stürme über dich herauf. Die Königin vergibt dir nie solche brutale Beleidigung ihres Lieblings.

MALSTRÖM.
Ich habe nicht recht gegen den fremden Eindringling?
BRAHE.
Übertriff ihn.
MALSTRÖM.

Und bin ich Sklav' der Königin, daß ich den Liebling ihrer Laune respektieren soll wie ihre Befehle? Bin ich nicht mehr schwedischer Graf? O, ich sehe alles? Ich seh' es mit Schmerzen, daß der, den ich Vater zu nennen gewohnt war, die Partei unsers gemeinschaftlichen Gegners nimmt, und – daß ich in diesem Hause überflüssig werde!

SYLVA.
Ludolf!
BRAHE.
Ludolf!
MALSTRÖM.

O nein, nein! Ich will nicht die Zudringlichkeit bekämpfen, und selbst zudringlich sein – Hoffnungen, Wünsche meiner Seele, fahret wohl, ihr seid verloren! Zu Sylva und Brahe. Lebet wohl! Geht eilig ab.

BRAHE.
Aber, mein Sohn! Er folgt ihm.
6. Szene
Sechste Szene.
Sylva allein.

SYLVA
hat in Gedanken dagestanden.

Sie sind fort! Aber wie ist mir? Es geht dies alles nur wie ein Schattenspiel an mir vorüber. Ich seh' es vorüberziehn, als beträfe es wildfremde Leute, und ich empfinde keinen Eindruck davon – nur einer, nur ein Eindruck ist in mir lebendig. Was für ein Wesen bist du, Monaldeschi! Wüßt' ich nur genau, ob er wirklich so uralt wäre, wie der Vater sagt, das würde mich schützen. Schützen! Will ich denn Schutz? Ach mein Herz, du solltest dich ängstigen, und du bist so voll Ahnung, Hoffnung, süßer Unruh', als stände mir nur eitel Glück bevor! Sie geht langsam nach der Tür und bleibt, leise sprechend, stehen. Wenn er hundert Jahre alt wäre, dann – ja dann – wäre er unmächtig. Geht langsam ab.

7. Szene
Siebente Szene.
Zimmer der Königin.
Christine.

CHRISTINE
kommt hastig und geht auf und nieder.

Ich bin zerstreut, ich tauge nichts für die Geschäfte – ach, die unerträglichen Geschäfte! [79] Wenn ich meiner Seele, meiner Neigung leben will, da tritt überall die ermüdende Pflicht dazwischen. Wie lockend denkt man sich das Regiment, das Herrschen, das Gebieten! Ach, und was ist's beschwerlich! Das widerwärtigste Allerlei drängt sich zu uns, das Uninteressanteste will gewogen, will entschieden sein! Und zu hoffen ist nichts mehr übrig; die süßen Träume, in denen sich der Mensch schaukelt, Träume von aufsteigender Laufbahn, von unerwartetem Gewinn, ach, diese Träume sind nicht vorhanden für das Herz der Könige! Es ist nichts über uns, was uns reizen könnte, wir sind die Höchsten auf Erden, und die kühnsten Hoffnungen sind uns schon erfüllt und darum gestorben. Geht ans Fenster. Das Bürgermädchen, das da drüben an seinem Fenster sitzt, mechanisch die Nadel führt und dazwischen auf die Straße sieht, sie hat die ganze schöne Welt der Freiheit vor mir voraus, die schöne Welt der süßen Erwartung; sie kann ihren Ge danken nachhängen, ihre Träume hinaufträumen zu schwindlichter Höhe, kein Mensch stört sie, kein Mensch beleidigt ihre geheimnisvolle Welt des Wunsches, denn es sind nicht Millionen Augen darauf gerichtet, wie auf jede Wimperbewegung einer Königin. Ach, wo ich eigen, wo ich allein sein will, wo ich ganz Ich sein möchte, da tritt der Königstrain mir in den Weg, und wenn ich Träumen nachhänge, so führen sie abwärts, weit abwärts vom Throne in die geheimnisvollste Stille des Privatlebens, wo ich mit dem begabten Manne sinnen und trachten und den Geheimnissen der Welt nachforschen könnte ungestört und ganz und gar. – Und ihr törichten Mädchen, ihr beneidet mich gar! Ich beneide euch – das ist die wundervolle, wunderliche Welt!

8. Szene
Achte Szene.
Christine. Bald darauf Brahe. Ein Diener.

DIENER.
Graf Brahe, Majestät.
CHRISTINE
am Fenster stehend und hinausblickend gibt mit einer Handbewegung ihre Zustimmung, ohne sich umzuwenden.
– Graf Brahe tritt ein. – Die Königin spricht laut für sich nach dem Fenster hinaus.
Ach, dies Land ist rauh, und die Menschen sind kalt,
Und sie wissen von keinem Himmel –

Pause.

Sie wendet sich rasch um. Glaubt Ihr, Brahe, daß jemand geraten werden kann, wenn es sich um dessen innerstes, eigenstes Leben handelt?

[80]
BRAHE.

Nein, Majestät. Ein guter Rat findet überall eine gute Statt, aber einen guten Rat geben, heißt noch nicht raten. Ich glaube nicht, daß ein Mensch dem andern helfen kann, wenn es um die innerste Hauptfrage des Menschen geht. Seines wirklichen Glückes oder Unglückes Schmied ist jedermann ganz allein.

CHRISTINE.
Wofür haben denn also die Fürsten ihre Räte?
BRAHE.
Für den Staat.
CHRISTINE.

Für den Staat! Für den Staat! Für diese Rechenmaschine! – Ach ja! – Sie setzt sich. – Graf Brahe, ich wollte, es wäre anders, ich brauche Rat; aber Ihr habt recht, ich fühl's, es kann mir ihn niemand geben. Ich weiß voraus, daß ihr mir alle abraten werdet, und ich weiß ebenso voraus, daß ich nicht darauf hören werde und nicht darauf hören kann. Kein Mensch wird mir recht geben, und doch habe ich recht, recht für mich, recht in mir – setzt Euch, Brahe, sprecht zu mir, als ob ich nicht mehr Königin wäre.

BRAHE
verbeugt sich und bleibt stehen.
CHRISTINE.

Ja, so seid ihr alle! Ihr seid nicht herauszubringen aus der Konvenienz! Sie ist euch nicht mehr ein Kleid, sie ist euch die Haut selbst geworden. Ach, eine Königin kann die Menschen nicht mehr sehen, wie sie wirklich sind, sie vergessen die Königin keinen Augenblick, der Respekt arbeitet mit, auch in ihrer innersten Gedankenwerkstatt, und es kommt kein naiver, unverzollter Gedanke neben mir auf! – Habt Ihr auf Eurer diesmaligen Reise in Holland Cartesius gesprochen? Wie denkt er meiner? Zu was für neuen Resultaten über Gott und Menschen ist er gekommen?

BRAHE.

Er denkt Eurer in großer Verehrung und bedauert, nicht mehr täglich mit Euch philosophieren zu können. Der Schwung ihrer Gedanken, sagte er, fehlt mir in diesem platten Lande gar sehr, denn es ist am Ende doch nicht genug, die Gedanken auszurechnen, wir haben ja doch noch mehr Hilfsmittel, Gott zu finden, als den Verstand –

CHRISTINE
schnell.

Gott weiß es, wie sehr wir daran leiden, daß der kalte Norden dies nicht begreifen will – und wie steht er jetzt mit dem Heiligen Vater?

BRAHE.

Mit dem Papste? Zu seiner Bekümmernis übel, die Kirche will's nicht anerkennen, daß er, ein frei suchender Philosoph, im Dienste der Jungfrau Maria arbeite. –

CHRISTINE.

Ich möchte den Heiligen Vater selbst sprechen, ich [81] möchte ihm darlegen, daß Descartes ein guter Katholik ist, ich weiß es – erkennt Ihr hier nicht das Wunder, Brahe, welches ganz Schweden leugnet, daß man einer poetischen Hingebung bedarf, daß man eines poetischen Glaubens bedarf, auch wenn man sein Leben der unerschrockensten Forschung widmet? Erkennt Ihr's nicht, daß mein Vater nicht dafür gestorben ist, um die Wunder des Herzens von der Erde zu scheuchen, daß ich ohne einen strahlenreichen Himmel nicht bestehen kann auf dieser einfarbigen Erde? – Ihr schweigt? Heraus mit dem Worte, was auf Eurer Lippe schwebt, sprecht's aus, seid ein Mann! Wie heißt das Wort?

BRAHE.
Schwärmerei! – heißt's, Königin.
CHRISTINE.

Schwärmerei! Und da denkt Ihr, so was Erschreckliches gesagt zu haben. Jawohl, der Schwärmerei will ich fähig bleiben, solange ich einen Gott in mir fühle, der sich nicht in Worte einschränken läßt, Schwärmerei will ich mir bewahren, um nicht in dieser trockenen Prosa einzuschrumpfen. Sie geht heftig auf und ab. Wißt Ihr's denn, was mit uns wird, wenn die Hülle des irdischen Leibes fällt?

BRAHE.
Nein.
CHRISTINE.
Nun, alter Mann, du weißt nichts, und willst doch nichts glauben?
BRAHE.
Ich glaube den Glauben, der in mir entsteht und lebt.
CHRISTINE.
Und wem nun der Glaube entsteht und lebt, wie ihn die Kirche lehrt?
BRAHE.
Der gehört zur Kirche, ihm ist wohl und leicht.
CHRISTINE.
Er fühlt sich sichrer in der großen Gemeinschaft.
BRAHE.
So ist's.
CHRISTINE.
Nun?
BRAHE.
Was mehr?
CHRISTINE.
Was mehr! Raten sollst du, ob ich länger von meiner Seele Frieden geschieden bleiben soll?
BRAHE.

Es gibt da keinen Rat, Königin, damit begann ich, damit schließ' ich. Solchen Frieden nennen wir hierzulande der Seele Tod, und man kann nicht Königin von Schweden und katholisch zugleich sein.

CHRISTINE.
Königin von Schweden! Was ist mir das? Eine Last.
BRAHE.

Eure Majestät sind in gereizter Stimmung, aber dieser [82] Punkt ist von andrer Seite der Aufmerksamkeit zu bedürftig, als daß ich darüber hingehen dürfte. Königin, die Unzufriedenheit des Landes wächst von Tage zu Tage, daß Ihr katholische Männer um Eure Person hegt, man klagte über Bourdelot, klagte über Pimentel, klagte über Santinelli, und jetzt ist Monaldeschi mächtiger als alle früheren –

CHRISTINE
ihn unterbrechend.

Man will meinen Umgang beaufsichtigen, als ob ich unmündig wäre! Wofür bin ich Königin? Wofür trag' ich alle Lasten dieses Berufs? Dafür, um auch derjenigen Freiheit zu entbehren, die dem unmächtigsten Weibe meines Reiches zusteht, der Freiheit, mit Leuten umzugehen, an denen ich Gefallen finde?

BRAHE.

Wer am weitesten gesehen wird, ist immer am wenigsten frei, dafür steht er aber auch am höchsten – in diesem Augenblicke, Königin, stehn zwei Menschenleben um dieser Verhältnisse willen auf dem Spiele!

CHRISTINE.
Was?
BRAHE.
Das eine scheint Euch wert zu sein, das andere ist mir teuer –
CHRISTINE.
Was ist?
BRAHE.

Ludolf von Malström ist in Streit geraten mit Monaldeschi, und sie sind jetzt nach dem Tiergarten unterwegs, um sich auf Tod und Leben zu schlagen –

CHRISTINE.
Ha, das ist die Freundschaft Eures Hauses für mich! Sie klingelt.
BRAHE.
Eure Majestät werden –
CHRISTINE
zum eintretenden Diener.
Santinelli!

Diener ab.
BRAHE.

Eure Majestät werden bei jeder schweren Gelegenheit, die Gott verhüten wolle, erkennen, daß das Haus Brahe der Tochter Gustav Adolfs in Not und Tod folgt.

CHRISTINE.

Das sind die schönen Phrasen, Ihr behaltet Euch vor, zu bestimmen, was mir dienlich und was mir nicht dienlich sei, ich kenne das.

BRAHE.
Eure Majestät –
CHRISTINE.
Schweigt, ihr seid einer wie der andre.
9. Szene
[83] Neunte Szene.
Die Vorigen. – Santinelli.

CHRISTINE.
Santinelli! Monaldeschi und Graf Malström sind im Begriffe, sich drüben im Tiergarten zu schlagen.
SANTINELLI.
Ich weiß es, Königin.
CHRISTINE.
So wirst du sie auch zu finden und zu hindern wissen?
SANTINELLI.
Das werd' ich.
CHRISTINE.

Tu's auf der Stelle – Sie schreibt rasch. Nimm beiden die Degen ab, und stelle sie als Gefangene hierher ins Schloß – Schreibt.

BRAHE.

Graf Malström ist schwedischer Graf und Mitglied des Reichsrats, er kann nicht um eines Abenteurers willen verhaftet werden.

CHRISTINE.

Hier die Vollmacht! Nimm und eile!Santinelli ab. Den dreisten Adel, der frech meine Neigungen antastet, werde ich zügeln, oder ich werde ihm die mir wertlose Krone vor die Füße werfen! – Ihr seid entlassen, Graf Brahe. Er verbeugt sich; sie geht nach der linken Seite ab, er nach der rechten.

10. Szene
Zehnte Szene.
Wald mit Aussicht auf das Schloß.
Malström von der rechten, Schnure von der linken Seite kommend.

SCHNURE.

Dieu merci! Da treff' ich Euch, Graf! Wie hab' ich Euch gesucht! Mein Herz schlägt vor Angst – mon dieu, mon dieu! Ich finde mich nicht mehr in die Welt, was für Streiche! was für Streiche! Pardon für den Ausdruck –

MALSTRÖM.
Kurz! wenn ich bitten darf, Baron, ich habe Eile.
SCHNURE.

Ich weiß, ich weiß, leider! Deshalb bin ich außer Atem. Um Christi willen, Graf, ist es Euer Ernst, alle Kavalierwürde unter die Füße zu treten und Euch mit einem Abenteurer zu schlagen? Ich protestiere im Namen des schwedischen Adels!

MALSTRÖM.
Ich danke Euch. Wenn mein Degen rot sein wird, werd' ich auch protestieren. Adieu!
SCHNURE.

Dann ist es ja zu spät! Auch wenn Ihr ihn tot stecht, hat er die Ehre weg, von einem untadelhaften Kavalier tot gestochen zu sein, bedenkt! Und das Sujet kann fechten, Ihr wißt [84] es – ich weiche nicht von Euch! Ein wandelnder Protest von Minute zu Minute ruf' ich Euch zu: Ihr vergebt Eurer Ehre! Auch wenn Ihr Euch schlagt, ruf' ich's!

MALSTRÖM.
Da kommt mein Gegner, fort!
11. Szene
Elfte Szene.
Monaldeschi kommt von der rechten Seite und will vorüber. Die Vorigen.

SCHNURE
ihn eilig antretend.
Mein Herr, habt Ihr eine Legitimation, daß Ihr Edelmann seid?
MONALDESCHI
an den Degen schlagend.
Da!
SCHNURE.
Die hat der Lanzenknecht auch!
MALSTRÖM.
Vorwärts!
MONALDESCHI.
Warum habt Ihr mich neulich belogen, Herr!
SCHNURE.
Was, insolenter Mensch! Er zieht am Degen.
MONALDESCHI.

Soll ich 'rausziehn helfen? Ihr habt gesagt, Ihr wär't nicht von der Polizei, und doch treff' ich Euch wieder als Polizeisergeant –

SCHNURE.

Der Schlag kann einen rühren! Mann! Mensch, Was sag' ich Euch Zerschmetterndes? Ich – mein – mein Bedienter soll Euch antworten.

MALSTRÖM.
Vorwärts!
SCHNURE.

Halt! Tut uns die Schmach nicht an, Graf Malström, ich bitte Euch fußfällig! Schlagt Euch nicht mit ihm!

12. Szene
Zwölfte Szene.
Santinelli mit Trabanten von der linken Seite kommend. Die Vorigen.

SANTINELLI.
Nein! Im Namen der Königin!
MALSTRÖM.
Was ist das?
MONALDESCHI.
Malediktion!
SCHNURE.
Gott sei Dank!
SANTINELLI.
Eure Degen, meine Herrn!
MONALDESCHI.
Um die Ohren! Zieht.
SANTINELLI.
Ihr höhnt die Befehle der Königin?
MALSTRÖM
zu Schnure.
Kommt das von Euch, Baron?
SCHNURE.
Nein, aber es kommt vortrefflich!
SANTINELLI.

Ich wiederhole den Befehl der Königin – wer wagt es, sich dieser Vollmacht zu widersetzen? Graf Malström! [85] Zeigt ihm die vollmacht. Euren Degen, oder Euer Ehrenwort, daß Ihr ihn nicht zu diesem Zweikampfe ziehen wollt!

MALSTRÖM.

Schweige, Mann, von meinem Degen! Aber zehnmal mein Ehrenwort, daß ich mich mit einem Wichte Monaldeschi ansehend. niemals schlage, der da prahlt und herausfordert, und hinter dem Rücken hinläuft und die königliche Autorität zu Hilfe ruft – pfui über Euch! Will gehen.

MONALDESCHI.
Steht, Herr, und widerruft, oder ich renne Euch das Eisen durch den Leib!
MALSTRÖM
zieht ebenfalls.
Prahlhans, wo Er sich sicher weiß!
MONALDESCHI
dringt ein.
Wehrt Euch, oder widerruft!
SANTINELLI
zieht ebenfalls und springt dazwischen.

Zurück! Ihr frevelt offenbar und mit der Tat gegen den Befehl der Königin. Er entreißt Monaldeschi, der nur auf Malström sieht, den Degen. Euer Degen und Eure Freiheit sind der Königin verfallen.


Malström geht ab.
SANTINELLI
zu Schnure, der ihm folgen will.
Und Ihr, Freiherr von der Schnure, seid auch beteiligt?
SCHNURE.

Mann der Trabanten, ich höre dich nicht und kenne dich nicht – hast du ein Mandat gegen mich, vom Reichsrat und Ihrer Majestät der Königin gezeichnet?

SANTINELLI.
Das nicht –
SCHNURE
sieht beide stolz an, spricht für sich: Gesindel! und geht ab.
MONALDESCHI
droht Santinelli mit der Faust.
Schurke!
SANTINELLI
sieht ihn lange an, sagt dann zu den Trabanten.
Eskortiert ihn aufs Schloß! Und gebt ab.
13. Szene
Dreizehnte Szene.
Monaldeschi.

MONALDESCHI
zur Seite die Trabanten.

Er bedeckt sich das Gesicht mit den Händen. Pause. O! wie weh, wie weh! Wie tief frißt sich das in die Eingeweide! – Wie schwer würgt sich – dieser äußerliche – Ehrenplunder hinab! – Der Schurke hat's geschickt angefangen – mich zu kränken. Abenteurer zu heißen bin ich gewohnt, aber nicht ein mut- und ehrloser! – Kind, das ich bin, und spotte über andre. Stöhnen und weinen möcht' ich vor Ärger, Zorn und Schmerz! Er geht in Gedanken nach einer tieferen Kulisse links, die Trabanten schicken sich [86] an, ihm zu folgen. Eh er noch die Kulisse erreicht, sieht er Sylva, leicht verschleiert, das Gesangbuch in der Hand, von einer Dienerin begleitet, hinten über die Bühne gehen – er bleibt stehen, sieht ihr nach, und spricht. Holdseliges Geschöpf! Wie ein Frühling mit weichen Lüften und blühenden Rosen gehst du vorüber, und Verdruß und Ärger sinken unter, und meine Arme, meine Kräfte, meine lieblichsten Hoffnungen und Wünsche erheben sich. Glück segne deinen Pfad, holdseliges Geschöpf! Langsam geht er ab, die Trabanten folgen ihm.

14. Szene
Vierzehnte Szene.
Zimmer der Königin. Es dunkelt.
Christine. Dann Monaldeschi.

CHRISTINE
tritt auf, ein Diener, der eine Harfe herbeiträgt, folgt ihr.

Dies Verhaftungsschauspiel soll geendet sein, und der Marquis soll zu mir kommen. – Diener verbeugt sich und geht.


Die Königin macht einen Gang durchs Zimmer, dann setzt sie sich zur Harfe und spielt – nach einer Weile tritt geräuschlos Monaldeschi ein. Er lehnt sich schweigend an die Wand. Christine bemerkt ihn, ohne sich zu unterbrechen. Sie pausiert nur, wenn sie ihn anredet, bei seinen ersten Antworten spielt sie weiter, und erst im Verlauf des Gespräches hört sie auf.
CHRISTINE.
Rauflustiger Sünder, bist du noch am Leben?
MONALDESCHI.
Ich bin ja wie ein Kind behütet, das noch nicht selbständig laufen kann!
CHRISTINE.

Ich wollte, meine Eltern lebten beide noch und täten mir also – ach, ich sehne mich nach Hilfe und Rat. Und – ich werd' es tun. Monaldeschi macht eine rasche, ablehnende Bewegung. Sage nichts! Sage nichts! Du bist ein Mann, du verstehst mich nicht, verstehst nicht meine Pein! – – Träumen und lieben will ich! Ein Weib bin ich, wie sehr man es verleugnet hat, und dieser Zwang der täglich wiederkehrenden kleinen Pflichten und Handlungen bringt mich zur Verzweiflung. Denn was wir täglich tun müssen, wie weit greifend es sei, erscheint uns klein. Ob ich einem Statthalter Order gebe, oder ob der Handwerker seinem Gehilfen Anweisung gibt, das wird in der Gewohnheit weniger Wochen gleich wichtig und gleich unwichtig und gleich lästig – ich will Zeit und Raum für mein Herz und meinen Gott!

MONALDESCHI.

Arme Königin! Verblendete Frau! Tändelnd wandelst du am Abgrunde und wirfst Blumen hinunter, und weil [87] du nicht siehst, daß sie zerschmettert würden, weil du siehst, daß sie auf leisen Winden hinunterschaukeln, meinest du, betörte Königin, auch du mit deinem ganzen Gewichte würdest leise hinuntergeschaukelt werden in die geheimnisvolle Tiefe eines verborgenen Asyls! Selbst die Blumen, von ihrer Wurzel gerissen, welken und verderben da unten. Wir sind keine Blumen und haben doch auch unsre Wurzeln. Von unserm Platze weichend zerschmettert uns die Wucht der eignen Schwere, und gar die Wucht einer regierenden Königin! Arme Frau – und kämest du glücklich hinab, du verdorrtest außerhalb deines Bodens! Arme Königin, du schwärmst in dein Verderben!

CHRISTINE.
Du kannst es nicht begreifen, Mann! Dir gilt die Herrschaft mehr als die Liebe!
MONALDESCHI.

Wer mag die größten Regungen trennen! Ist nicht die Liebe selbst zur Hälfte Herrschaft? Halb will man beherrscht werden, halb will man beherrschen: aus diesen zwei Hälften besteht die Liebe. Ist nicht aller Drang, der uns treibt, der uns das Leben anziehend erhält, ist's nicht der Drang nach Herrschaft? Du suchst einen Gott, einen Glauben, um in die Herrschaft der Welt eingeweiht zu werden; du suchst Kenntnis und Wissenschaft, um den inneren Gang der Dinge zu beherrschen; du trachtest nach Stärke und Einheit des Charakters, nach Stärke und Einheit des Entschlusses, um Herrscher zu sein über alles, was dir begegnet, und die Krone, das anerkannte Symbol aller Herrschaft, willst du von dir tun? Von dir tun, um frei zu sein? Man ist nur frei, wenn man mächtig ist.

CHRISTINE.
Ich bleibe Königin Christine, auch wenn ich aufhöre, regierende Königin von Schweden zu sein!
MONALDESCHI.

Ebenso zuversichtlich spricht der Schauspieler, der einen König in richtiger Empfindung spielt: Ich bin König! Wer ist es mehr, solange die Täuschung dauert! So bleibst du Königin für dich, doch nicht für andre Leute!

CHRISTINE.
Gibt's denn nicht Verträge, die man abschließt für die Zukunft?
MONALDESCHI.

Verträge sind nur etwas zwischen gleichstarken Mächten, und sind nur sicher für heut und morgen. Machen wir Menschen, die wir Verträge machen, machen wir allein die Zukunft? Können wir also darüber verfügen? Als Königin schließest du den Vertrag, und so wie er geschlossen, bist du Privatperson, bist unmächtig, wenn der nunmehrige König nicht gewissenhaft ist.

[88]
CHRISTINE.
Aber das wird er sein!
MONALDESCHI.

Vielleicht! Wer tritt ohne Not auf die Brücke des Vielleicht! Und nicht bloß vielleicht: der König ist nichts einzelnes, er ist die Spitze eines ganzen Reichs; Schicksale und Stimmungen des Reichs ändern sein Gewissen, ändern das Recht, das er dir gewährt, denn das Recht ist eine Übereinkunft zwischen Menschen – veränderst du deinen Glauben, den herrschenden Glauben dieses Landes, so wird man dir sagen, du seist aus der höchsten Sphäre herausgetreten, wodurch in diesem Lande alles Recht und aller Vertrag geweiht werde, nicht mit dir, mit einer anderen habe man Verträge geschlossen!

CHRISTINE.

Höre auf! Du bist ein Sophist, der alles schwarz macht, weil er es schwarz zeigen will, – und vergoldet der Ruhm nicht mit himmlischem Strahle ein ganzes Leben, der Ruhm, einer Krone freiwillig entsagt zu haben? Ihr entsagt zu haben ohne Not und Drang, bloß um die wirklich höchsten Güter des Menschen lebendig, frei und wirksam zu machen in sich? Bloß um dem freien Sinne für Gott, Kunst und Wissenschaft frei zu genügen? Gibt's Größeres auf Erden, als solchen Ruhm?

MONALDESCHI.

Es gibt Größeres, denn dein Ruhm solcher Art ist hohl und leer! Wer nach Ruhm jagt, hascht nur des Ruhmes Kleid. Ruhm ist der Hauch der Handlung, ist die Seele der Tat. Du willst nicht wirken, du willst nur genießen, dein Ruhm ist ein prasselnd Feuerwerk der Eitelkeit! Dich reizt es, was die Leute in Europa acht Tage lang sagen werden, nicht aber, was lebendig Ruhmvolles daraus erwächst. Und es erwächst nichts, wohl aber geht viel zugrunde. Kunst und Wissenschaft kannst du als mächtige Königin schützen und fördern – als entthronte Königin magst du mit ihnen spielen.

CHRISTINE.

Freund, es gibt einen Drang im Menschen, der über alles Räsonnement hinaus mächtig, ja unwiderstehlich ist. Der Hirsch muß zum Wasser gehn, auch wenn er weiß, daß der Jäger am Wasser lauert. Ich muß, Giulio, ich muß! Sie streckt die Hand aus, er kommt und kniet vor ihr. Bleibt uns nicht Wissenschaft? Bleibt uns nicht Gott, den wir reicher suchen können, als in den engen Formen dieses kalten Landes? Bleibt uns nicht die Liebe, von niemand mehr behindert und gestört? – Du schweigst? In dein Vaterland wollen wir ziehn und glücklich sein!

[89]
MONALDESCHI.
Hab' ich ein Vaterland?
CHRISTINE.

An meiner Seite sollst du es wieder gewinnen. O wie geht mir das Herz weit auf, wenn ich mich frei von all diesen Fesseln denke! Kein lästiges Geschäft tritt uns mehr in den Weg, wenn wir uns einer Wissenschaft, einer poetischen Welt hingeben wollen; der feierliche prächtige Kultus Gottes steht uns offen, man kann sich ihm hingeben rückhaltlos und völlig, kann die Seele auffliegen lassen in alle Farben und Töne, und die Liebe schlummert und tändelt furchtlos in Gottes schöner Welt. Keines prahlerischen Edelmannes Neid wird uns mehr lästig – Giulio! Und das alles wäre nicht den eitlen Schimmer einer Krone wert? – Glückselige Stunde, wo alle Wonne einer freien Zukunft über mich kommt, laß uns sie weihen, laß uns sie fesseln! Hier Sie greift in den Busen. – hier nimm es hin, ein zauberisches Erbstück unsers Hauses, was von Königin zu Königin herabgeerbt ist aus alter katholischer Zeit, ein Amulett der Liebe, das wonnereiche Bildnis der heiligen Magdalena – nimm es hin, bewahre es treu, es ist die Bürgschaft unseres Glückes, unsrer Liebe – bewahr' es treu, die Sage haftet daran, es sei des Todes, wer es verliere oder veräußere – mit ihm ist Leben und Liebe uns sicher! Sie neigt sich, es ihm um den Hals zu hängen.


Der Vorhang fällt.

2. Akt

1. Szene
Erste Szene.
Zimmer im Schlosse zu Upsala.
Sowie der Vorhang aufgegangen, hört man einen Kanonenschlag, dem in mäßigen Zwischenräumen immer neue folgen.

BRAHE
kommt langsam.

Schießt Viktoria! Wie Grabessalve dröhnt es in mein Ohr – o daß meine Augen diesen Tag sehn müssen! Was ist der Mensch und des Menschen Wunsch? Ein Wanderer, der durch finstern Wald hintappt und sehnlich wünscht, es möge ein Licht, ein Obdach erscheinen – das Licht erscheint und das Obdach, [90] und der Wunsch ist gewährt, aber Licht und Obdach ist eine Räuberwohnung, und der gewährte Wunsch ist des Wanderers Verderben! So wünschten und flehten wir, als unser großer Gustav Adolf fiel: Erhalte uns, Gott unsrer Väter, erhalte uns des geliebten Königs einzig Töchterlein, damit es über uns herrsche einst im evangelisch heroischen Sinne seines Vaters! Der Himmel erhielt das Kind, es wuchs auf, ein strotzend Beispiel von königlicher Begabtheit, ein Stolz für Schweden; denn auf keinem Throne Europas war je ein solcher Reichtum von Kenntnis und Bildung, eine solche Majestät des menschlichen Geistes zu sehn – o wie hell leuchtete uns das ersehnte Licht im dunkeln Walde! Und jetzt! Das Obdach bricht über unserm Haupte zusammen! Der Reichtum ihrer Bildung macht sie unzufrieden mit unsrer evangelischen Einfalt, sie verlangt hinaus zum schimmernden Leben unsrer Feinde! O seliger Gustav Adolf, daß dein Brahe solchen Tag erleben muß, daß dein Kind, dein Kind des alten Olaf Krone, deine Krone uns vor die Füße wirft! Unmächtig sind wir auf der Erde – die Dinge spielen mit uns, und wir vermögen nichts, wir sind Wanderer im dunklen Walde!

2. Szene
Zweite Szene.
Christine kommt eilig, aufgeregt. – Brahe. Zwei Schüsse.

CHRISTINE.
Das schlägt mir wie Donner Gottes ans Herz! – Was sagt man, Brahe? – Man versammelt sich?
BRAHE
sich verbeugend.
Man versammelt sich.
CHRISTINE.
Wird der Reichsrat zahlreich?
BRAHE.
Vollzählig, Majestät.
CHRISTINE
hin und her gehend.

Ach, Brahe, das Leben lastet auf uns, wenn es keine Ansprüche an uns macht, es lastet dann bleiern mit Langerweile, und es lastet schmerzend wie glühendes Eisen, wenn es Entschlüsse und Handlungen fordert!

BRAHE.

O Königin, laß dir diesen Eindruck ein Zeichen des Himmels sein, daß die Handlung, welche du heute vor hast, nicht die richtige ist; die richtige Handlung macht uns leicht, sie belastet uns nicht.

CHRISTINE
bleibt stehen und schweigt.
BRAHE.

Noch ist's in deiner Hand! Der Reichsrat erwartet [91] zwar in nächster Stunde, daß du die Krone Schwedens niederlegen werdest in die Hände deines Vetters, er erwartet's, denn all deine Schritte haben's verkündet, aber er wünscht es nicht, kein Mensch wünscht es, dein Vetter selber nicht – bleibe Königin, Christine! Wir sind es alle gewohnt an dir, daß der Geist aus dir hervorleuchtet unerwartet, unberechenbar wie der Blitz des Himmels – unaussprechlicher Jubel würde ausbrechen, wenn du statt der Abdankung ein ander Wort aussprächest –

CHRISTINE.

Und auch du hältst mich für ein bloßes Weib? Weiber, heißt es, wechseln die Entschlüsse, wie der Aprilmond das Wetter wechselt! Und nach dem ersten Rausch und Lärmen käme die kühle spöttische Bemerkung, da hieße es erst leise und einzeln, dann laut und überall und schwölle über Europa hin; ja, der romantische Entschluß ist ihr leid geworden, als es zur Entscheidung kam; aus dem europäischen Schauspiele ist eine kleine Komödie geworden, wie's von einem Mädchen, das mit Dichtern tändelt, zu gewärtigen war!

BRAHE.
Nein, Königin, nicht also wird es heißen!
CHRISTINE.

Es wird – und wie sollte ich denn die Wendung finden für ein Lustspiel? Sprich! Der Reichsrat erwartet, daß ich in nächster Stunde abdanke, jahrelang habe ich nur darauf hingearbeitet – soll ich sagen vor ihm, vor Schweden, vor Europa, das alle Blicke hergerichtet, soll ich lächelnd bekennen: das war alles ein Spiel und weiter nichts! Ein Spiel, um zu prüfen, ob das Land mich hochhalte? O pfui!

BRAHE.
Nein, Königin, nicht also!
CHRISTINE.
Wie sonst? Rede!
BRAHE.

Euer würdiger Vetter Karl Gustav ist von Euch selbst bestimmt, die Krone heut aus Euren Händen zu empfangen, er ist ein edler, hoffnungsreicher, liebenswerter Herr, er verehrt Euch, er liebt Euch, er ist von keinem unbilligen Ehrgeize getrieben, er wünscht die Krone nicht, solange Ihr sie tragen könnt, er ist Euch innig ergeben, er wirbt seit Jahren nicht bloß um Eure Hand, er wirbt um Eure Liebe – wäre es nicht groß und erhaben, wenn Ihr heute ein Vorurteil niederlegtet, statt die Krone niederzulegen, Euer Vorurteil gegen die Ehe, die einzige von Euren seltenen Eigenschaften, die nicht gut tut an der Spitze einer Staatsgesellschaft?

[92]
CHRISTINE.
Und die Krone legte in meines Vetters Hand mit meiner Hand?
BRAHE.
Ja, Königin!
CHRISTINE.

Und meinen ganzen Sinn, meinen persönlichsten Sinn verleugnete, und die Zweite würde in einem Reiche, wo ich bisher die Erste gewesen! Und das alles nur in geschwinder Hast, da schon die Kanonen aufspielen, und nur in geschwinder Hast, um ja nichts Ungewöhnliches zu tun, um nichts zu tun, wovor die Mittelmäßigkeit erschrecken könne?! – Das ist eure Art, das Weib zu Weibern zu stellen, das Weib weibisch zu machen!

BRAHE.
Nein, Königin.
CHRISTINE.

Ja, Brahe! Das ist eure Männerart! Ihr mögt ein Weib nicht begreifen, auch wenn ihr könntet! Ihr wollt nicht, daß sich jemals eins selbständig fühle – warum? Fragt den Despoten, warum er nichts aufkommen lasse neben sich!

BRAHE.

Fragt die Natur, warum sie das Weib zur Ergänzung der Welt und nicht zum Regimente über die Welt geschaffen!

CHRISTINE.
Wer sagt euch, daß sie das getan?
BRAHE.

Der Stoff der Welt ist hart – sind die harten, schwieligen Hände, sind die ehernen Nerven beim Weibe zu finden? Wenn die Geschlechter in Liebe sich begegnen, an welchem offenbart sich die Folge, welche alles Handeln lähmt und vernichtet? Der Mann bleibt frei, bleibt ungehindert für alles, was kommen mag!

CHRISTINE.
Wer heißt das Weib sich hingeben?
BRAHE.
Die Natur!
CHRISTINE.

Die Natur! Bin ich außer der Natur? Und doch empört sich mein ganzes Wesen gegen die Hingebung an den Mann!

BRAHE.

Ihr seid eine Ausnahme in vielen Dingen, Königin, aber es geziemt eben großen Geistern, daß sie das ihnen inwohnende Ungewöhnliche nicht zum Gewöhnlichen machen und nicht zur Regel aufdringen wollen, denn solche Regel würde ein unnatürlicher Zwang.

CHRISTINE.

Danach geziemte es mir auch, von einer gesetzgeberischen Stellung zu weichen, wo alles wie eine Regel erscheinen soll, was an mir sich zeigt – Ihr beweist für meine Abdankung, Brahe, nicht gegen sie. – – Und ich werde das Zagen abschütteln, was mich im entscheidenden Augenblicke anwandelt, ich werde euch zeigen, daß ein Weib so viel vermag wie ein Mann.


Pause. Kanonenschläge.

[93]

Acht Jahre lang hab' ich über dem Entschlusse gebrütet – was kümmert's mich, ob man Bravo! ruft, oder nicht! Ich bin ehrgeizig, aber ich tu nicht das Wichtigste des Ehrgeizes halber; also tut nur die kleinliche Eitelkeit. Ich will, ich brauche Ruhe um mich her – Schweden ist jetzt groß, ich will den alltäglichen Gang der Dinge nicht an mir erleben, daß alles aufsteigt, um wieder hinabzusinken. Und es hätte allen Anschein dazu! Soll ich mich mit den widerwärtigen Geldsorgen für dies arme Reich hier herumschlagen? Vorwurfsvolle Blicke sehn, wenn eine meiner schönsten Wallungen Geld kostet? Nein. Ich will niemand verantwortlich sein, als mir selbst. Und bin ich nicht Königin genug, um auch nicht Königin mehr zu heißen, wenn es mir so gefällt? Pause. Gehe hinüber, Brahe, zu Karl Gustav, sag' ihm die letzten Bedingungen, unter denen ich das Regiment niederlege. Ich muß meine Domänen zu festem Eigentume behalten und damit schalten und walten können, wie mir's beliebt. –

BRAHE.
Dies könnte das Reich zerstücken. –
CHRISTINE.

Ich muß nicht Untertanin werden, sondern freie, unabhängige Königin bleiben, wo ich auch sei, auch in Schweden!

BRAHE.
Das gäbe zwei Herrscher!
CHRISTINE.
Wen ich begünstigt, darf er nicht verstoßen – geh' hin, Brahe, und sag' ihm das!
BRAHE.
Ich eile, Königin, denn unter diesen Bedingungen bleibst du Königin von Schweden!
CHRISTINE.
Dich, Peter Graf von Brahe, ernenne ich zum Herzoge.
BRAHE.

Wenn ich vor deinem Heere herziehen kann, so will ich Herzog sein – sonst dank' ich dir! Ich kann's nur sein, wenn du Königin bleibst!

CHRISTINE.
Königin bleib' ich, mein Brahe, es geschehe was mag. Ab.
3. Szene
Dritte Szene.
Brahe. Bald darauf Malström.

BRAHE
sich den Kopf haltend.

Was wird aus alle dem? Mein Kopf faßt es nicht – eins sieht er nur: dies ist ein Weib, wie sehr sie's leugne, und im entscheidenden Augenblick fehlt uns nur ein Mann, der ihr beistimmte, ihm würde sie widersprechen. – Karl Gustav kann diese Bedingungen nicht eingehen! Ich will eilen, den einzig übrigen Ausweg zu gewinnen, der Gustav Adolfs Tochter auf ihren Platz, an ihre Pflicht zurückführt! Eilig nach der Tür zu gehend.

[94]
MALSTRÖM
eilig eintretend und ihn aufhaltend.

Da seid Ihr! Und ein Brahe ist müßig in einem solchen Momente, wo seines Freundes, Gustav Adolfs, Tochter ins Werk setzen will, was ihres Vaters und ihrer und unser aller unwürdig ist!

BRAHE.
Es geschieht nicht! Ich bin nicht müßig! Halt mich nicht auf!
MALSTRÖM.

Sonst noch was? Ist's nicht himmelschreiend genug, was die Kanonen für die nächste Stunde ankündigen? Ist's nicht eine Schmach für Schweden, für uns alle? Als ob unsre Krone ein Spielzeug für Kinder sei? Als ob man sie verschenken könne wie einen eitlen Schmuck! Was an mir liegt, ich widerspreche, ich widersetze mich.

BRAHE.

Der Fall ist interessant: in England zwingen sie König Stuart, vom Throne zu steigen, in Schweden will man die Königin zwingen, auf dem Throne zu bleiben – eins wie das andere gegen den Königsbegriff.

MALSTRÖM.

Wahrhaftig, diese Abdankungen, welche Kaiser Karl begonnen, sind wie jenes Cromwellregiment gegen den Königsbegriff! Wenn sich das Hauptglied willkürlich, nach seinem Belieben loslöst von der großen Kette gesellschaftlichen Wesens, so löst sich die Kette ebenso, als wenn eine andere Gewalt sie sprengt, sie löst sich stiller, aber ihr fester Kreis ist ebenso gebrochen. Das hätte nie ein skandinavischer König getan, er hätte nie sein mit den Vasallen geknüpftes, für seine Lebenszeit geknüpftes Band aus bloßer Laune zerrissen, nein, fremde Elemente sind in skandinavisches Blut gekommen, sie tragen die Schuld! Dies Herbeiziehn der Fremden hat den keuschen heimatlichen Sinn, hat den treuen Sinn verdorben, das Einmischen fremder Art gibt unrein Gebräu!

BRAHE.
Beweise nicht zuviel, um etwas zu beweisen!
MALSTRÖM.

Das Ärgste kann man diesem Treiben Christinens nachsagen: dies Korrespondieren mit allen Gelehrten Europas hat die unruhigen, die falschen Maßstäbe in dies Königshaus gebracht! Der Gelehrte, welcher nur die allgemeinen Fragen der Welt betreibt, muß andern Kreisen folgen, als das Haupt eines bestimmten Volkes: ein weiser Regent ist Segen für den Thron, ein Regent der Weisheit ist Unsegen auf dem Throne. Und waren's bloß Gelehrte, mit denen die Königin durch ganz Europa verkehrt? Sind nicht leichtsinnige Frondeurs darunter, in deren Worten der Aufruhr [95] wohnt? Ist nicht jener Scarron darunter? Sind es nicht meist Katholiken?

BRAHE.

Aber sollen wir uns nicht vielmehr solcher wiederkehrenden Harmonie freuen nach einem dreißigjährigen Kriege?

MALSTRÖM.

Harmonie! Wenn schwarz und weiß zusammengehn, was gibt's? Ein greulich Grau. Dieser schleichende Franzose Bourdelot, dieser hochmütige, intrigante Spanier Pimentel, sie haben das Herz der Königin verwirrt, mehr noch, als dieser abenteuerliche Monaldeschi, dem ich mein Schwert durch den Leib stoße, sobald ich erfahre, er habe die Abdankung befördert. Dahin ist aus diesem Hause jener einfache fromme Sinn, in welchem der selige Gustav Adolf sein Leben auf dem Acker bei Lützen ließ, unwiederbringlich dahin! Gestern hatte die Königin ihr Gesangbuch im Kirchenstuhle liegen lassen, ich will es ihr nachbringen und werfe zufällig einen Blick hinein – was seh' ich? Der lateinische Dichter Virgilius ist's statt des Gesangbuchs! Sie hat keinen Sinn mehr für unsere Art, sie ist von den Fremden verdorben!

BRAHE
langsam vor sich hin.
Sie hat keinen Sinn mehr für unsere Art – das kann wohl sein!
MALSTRÖM.
Und sie will nur über die Ostsee, über die Alpen hinüber, um katholisch zu werden!
BRAHE.
Das wolle Gott den Manen ihres Vaters nicht antun!
MALSTRÖM.

Wir sind da, es zu verhüten! Umsonst hab' ich immer geeifert gegen dies Dahlen und Liebeln mit Fremdlingen, nie mochtet ihr hören. Sagt' ich: Sie bereichern sich mit unsrer Armut, sie plündern dieselben Bibliotheken, die sie mit unserm Gelde angeschafft, so hieß es, ich übertriebe, und wissenschaftlicher Sinn sei unschätzbar –

BRAHE.
Das bleibt er auch.
MALSTRÖM.
Wer nicht eigen sein kann, macht sich zum Zwittergeschöpf und geht mit allem Reichtume zugrunde –
BRAHE.
Wer nicht lernen kann, wird Barbar, wie stark er sei –
MALSTRÖM.

Eine bloß literarische Königin sein wollen im Schwedenlande, heißt Feigen und Datteln ziehn, wo nur Korn und Eisen wächst!

BRAHE.

Warum soll eine begabte Königin ihre Anlagen nicht [96] pflegen? Wenn der König die feinste Blüte der Menschheit nicht achtet, wie kann sie, die leicht verletzte, dann noch gedeihen!

MALSTRÖM.

Jetzt zeigt sie, daß das Spiel des Lebens und die sogenannte feinste Blüte ihr wichtiger ist, als ihre Pflicht, jetzt sind wir am Ende!

BRAHE
der immer nachsinnend sich verhalten, fährt auf.

Noch nicht! Noch nicht! Gott, ich versäume – Man hört eine Fanfare blasen. Da tritt der Reichsrat schon zusammen, und ich – Will eilig ab.

4. Szene
Vierte Szene.
Schnure verstört. Die Vorigen.

SCHNURE
Brahe krampfhaft bei der Hand fassend.

O Graf Peter von Brahe, wissen Sie keinen Trost, keine Hilfe für dies gebeugte Land, für mein gebrochenes Herz?

BRAHE.
Ja, ja! nur halten Sie mich nicht auf!
SCHNURE
ihn noch haltend.
Ich, ich Sie aufhalten? Was denken Sie von mir – anbeten würd' ich Sie!
BRAHE.
Aber Sie lassen mich ja nicht los, Herr – Karl Gustav kann helfen!
SCHNURE.

Bitte tausendmal um Verzeihung – doch ich weiß nicht mehr, was ich tue! – Seine wahrscheinliche Majestät – einen Augenblick Gehör, Graf Peter von Brahe Ereilt ihn noch einmal am Ausgange. – Seine wahrscheinliche Majestät Karl Gustav sind aber schon bei der ersten Fanfare in den Saal getreten, sahen sehr bewegt aus – Brahe ab. Ach, ganz Schweden zittert – Graf Ludolf von Malström, Sie stehen in tiefen Gedanken, sagen Sie, hören Sie, habe ich recht mit dem einen Gedanken, der mich zu Tode peinigt, sagen Sie!

MALSTRÖM
zerstreut.
Ja, Sie haben recht, Freiherr von der Schnure.
SCHNURE.
Nicht wahr? – Wie so? Ja, Sie wissen ja noch nicht, Sie kennen noch nicht –
MALSTRÖM.
Ich kenne ihn –
SCHNURE.
Außerordentlich! Aus Respekt hab' ich ihn noch nicht über die Lippen gelassen –
MALSTRÖM
zerstreut.

Sie sind in Sorge, ob der Reichsrat heute [97] schwarzen Flor um den Säbelgriff tragen darf, was schicklich wäre, und doch nicht Vorschrift ist –

SCHNURE.
Das auch – das auch – das hat mich beschäftigt, aber, aber mein Gedanke ist's nicht!
MALSTRÖM.

Dann denken Sie, ob der Reichskanzler Axel Oxenstierna die Abdankung proklamieren wird, muß oder darf, er, welcher Seiner sterbenden Majestät Gustav Adolf geschworen, die Tochter Christine auf dem Throne zu erhalten –

SCHNURE.

Das ist groß – sehr groß, eine höchst merkwürdige Verlegenheit! Dort der großen Majestät geschworen, auf dem Throne zu erhalten, und jetzt von der lebendigen Majestät befehligt, Abdankung auszusprechen, ein einziger Fall – aber nicht mein Gedanke.

MALSTRÖM.
So? – Adieu, Baron!
SCHNURE.
Einen Augenblick! Sie sind zerstreut, Sie wollen meinen Gedanken nicht wissen!
MALSTRÖM.
Nein.
SCHNURE.
Wie so? Sie sind so zerstreut, daß Sie mich beleidigen!
MALSTRÖM.
Auch nein.
SCHNURE.

Wissen Sie, Graf Ludolf von Malström – nur einen Augenblick, ich beschwöre Sie! Noch länger verschlossen, stranguliert mich der Gedanke – wissen Sie, daß wir an dem Punkte stehn, wo unser ganzes Gesellschafts- und Staatshaus in Trümmer stürzt?

MALSTRÖM.
Das weiß ich!
SCHNURE.

So? Nun dann haben wir denselben Gedanken. Graf, wenn die höchste Autorität des Staates Nichtachtung ihrer Autorität zeigt – ich erschrecke, daß ich es aussprechen muß – so ist alle Relation, woraus Staat und Gesellschaft besteht, ruiniert – hab' ich recht?

MALSTRÖM.
Ja.
SCHNURE.

Der Pöbel glaubt dann nicht mehr an die göttliche Notwendigkeit der Dinge, alles Zeremoniell, alles Formgesetz verliert seine Weihe, man wagt zu vermuten, es könnte ja auch anders sein.

MALSTRÖM.
Wer hat Ihnen das gesagt?
SCHNURE.
Sie erschrecken mich!
5. Szene
[98] Fünfte Szene.
Monaldeschi stürzt herein. Die Vorigen.

MONALDESCHI.
Gibt's keinen schwedischen Edelmann mehr?
SCHNURE
für sich.
Welche Impertinenz!
MALSTRÖM.
Was soll's?
MONALDESCHI.

Da, Graf Malström – Sie sind ein Edelmann und nicht auf Ihrem Posten? Man hört die zweite Fanfare. Da, die zweite Fanfare! Der Reichsrat setzt sich – vor dem Throne hat jetzt der schwedische Edelmann zu stehn, mit gezogenem Schwert, keinen König, keine Königin herunterlassend!

SCHNURE.
Welcher Frevel!
MONALDESCHI.
Nein, es gibt keinen schwedischen Edelmann mehr.
MALSTRÖM.

Herr Marquis, ich bin nicht Euer Freund, aber hier geb' ich Euch recht! Auf unsre Plätze, Freiherr von der Schnure! Ab.

SCHNURE
im Abgehen.
Wieso, Graf? Auf solche Veranlassung – Ab.
6. Szene
Sechste Szene.
Monaldeschi.

MONALDESCHI
allein, ihnen nachsehend.

Wird es wirken? Wird der Funke zünden? Wahnsinniges Beginnen dieses Weibes! Krankehafte Schöntuerei! Das Mark des Lebens, das einzige, wofür sich's lohnt zu leben, die Macht, die Macht von sich zu tun, Jesu Maria, welche hysterische Verblendung! Ich duld' es nicht, und starrten mir alle Schwerter des Reichsrats entgegen!


Eine Abteilung Trabanten marschiert hinten über die Bühne, neben ihnen Santinelli.
7. Szene
Siebente Szene.
Monaldeschi. Santinelli der nur am Ausgange stehen bleibt auf Monaldeschis Anrede.

MONALDESCHI.
Graf Santinelli, werdet Ihr ruhig zusehn?
SANTINELLI.
Ich werde tun, was meines Amtes ist.
MONALDESCHI.
Und deines Amtes ist, ruhig zuzusehn und jede Störung zu verhüten –
[99]
SANTINELLI.
Das ist's.
MONALDESCHI.

Und deine Königin wird eine reisende Dame, die nichts weiter als Trinkgelder zu vergeben hat, und der Haushofmeister eines Königreichs wird ein Lakai!

SANTINELLI.
Der Großstallmeister nicht minder.
MONALDESCHI.
Das tröstet dich?
SANTINELLI.
Ich brauche keinen Trost.
MONALDESCHI.

Du nimmst vorlieb. Santinelli geht. Gibt's nichts Großes, so gibt's doch was Kleines! Bedientenseele! Dritte Fanfare. Die Königin kommt! Der Augenblick ist da! Schnell ab.

8. Szene
Achte Szene.
Reichsratssaal. Im Hintergrunde ein Thron – daneben, ebenfalls erhöht, aber niedriger, ein Lehnsessel, worauf Karl Gustav sitzt. Vom Throne zum Proszenium ein offener Gang, zu dessen beiden Seiten die Reichsräte sitzen.
Unter wiederholter Fanfare tritt auf.
Christine in vollem Krönungsornate, die Krone auf dem Haupte. Pagen tragen ihr die Schleppe; Zepter und Reichsapfel werden auf Samtkissen hinter ihr gebracht. Großer Hofstaat folgt ihr. Sie kommt links aus einer vorderen Kulisse und bleibt, nach dem Throne schreitend, vor Graf Brahe stehen, der in der vordersten Reihe dicht am Gange seinen Sitz hat und aufgestanden ist wie sämtlicher Reichsrat beim Eintritt der Königin. Als sie stehen bleibt, um ihn anzureden, schweigt die Trompetenmusik.

CHRISTINE.
Gras Peter Brahe, welche Antwort habt Ihr auszurichten auf meinen Bescheid?
BRAHE.

Eine Antwort, königliche Majestät, die unsre Herzen mit der Hoffnung stärkt, dieser drohende Tag werde glücklich vorübergehn.

CHRISTINE.
Sprecht sie aus!
BRAHE.

Euer königlicher Vetter Prinz Karl Gustav verweigert die Annahme der Krone unter Bedingungen, die ihn – seinem Ausdrucke nach – bloß Titularkönig sein ließen.


Pause.
CHRISTINE.

Die Antwort ist so brav, wie ich sie gewünscht habe; so muß ein Fürst denken und sprechen, der ein Reich übernehmen soll. Sie geht auf den Thron. Als sie sich niedergelassen, setzt sich auch der Reichsrat. Ihr wißt, des schwedischen Reiches Räte, zu welchem [100] Akte ihr versammelt seid. Was ich am elften Februar euch angekündigt hier in Upsala – heut wird es vollführt: ich lege die Krone nieder, und keine Macht der Erde soll meinen freien Entschluß hindern!


Allgemeine Unruhe. Malström erhebt sich.
MALSTRÖM.

Als unsre Väter vor fünfzig Jahren – es war zu Norköping im Jahre 1604 – dem Konige Karl IX. zusicherten, unsre schwedische Krone solle erblich in seinem Hause bleiben, da geschah dies nicht also, und war nicht also gemeint, wie es jetzt ausgeht. Nein, der jedesmalige Thronerbe im Hause Wasa übernahm auch die Verpflichtung, unsere Krone zu tragen bis an seinen Tod, sie wiege ihm leicht, sie wiege ihm schwer, nicht aber: sie wegzugeben, wenn es ihm gefiele und uns nicht!


Allgemeines Murmeln der Zustimmung. »So ist's!« – »Wohl gesprochen!« – »Das ist schwedisch!«.
CHRISTINE
winkt mit der Hand.

Ihr habt meinen würdigen Vetter Karl Gustav bereits als meinen Nachfolger anerkannt, für den Fall, daß ich stürbe, oder sonstwie schiede – ihr habt in ihm einen neuen, verheißungsvollen König, einen Mann. Er wird mehr vermögen als ein Weib. Ich habe zehn Jahre lang Tage und Nächte und Sorgen auf die Regierung verwendet, ich begehre nichts zum Dank, als daß ihr mich heruntersteigen laßt vom Throne. Meine Bedingungen kennt Karl Gustav, kennt ihr; – neue, die ich ihm heute gemacht, hat er verworfen und mir dadurch ein kostbar Zeugnis abgelegt, er werde seinem Reiche, seiner Macht nichts vergeben, nichts abwendig machen lassen. Des Reiches Kanzler, der vielverdiente Graf Axel Oxenstierna, weigert sich, unsre Abdankung zu verlesen, so verlies du, Freiherr Schering Rosenhane! Sie überreicht ihm eine Pergamentrolle, die sie in der Hand gehalten.

BRAHE.
Ich protestiere.
MALSTRÖM.
Ich protestiere.
ALLE
aufstehend.
Wir protestieren, wir protestieren alle.
CHRISTINE.
Ihr habt kein Recht dazu!
ALLE.
's ist unser Recht! 's ist schwedisch Recht!
ROSENHANE.

Im Namen der Königin, Stille! Er liest. »Ich verzichte für mich und meine Nachkommenschaft auf die Krone Schwedens und trete sie ab an meinen Vetter Karl Gustav. Er hat mir nur das Recht aufrechtzuerhalten über die Besitzungen, [101] welche ich mir zur Apanage ausbedinge: über Stadt und Schloß Norköping in Schweden, die Inseln Öland, Gothland und Ösel, über Wollin und Usedom und Stadt wie Schloß Wolgast an der pommerschen Küste, und über Pöle und Neukloster in Mecklenburg. – Ich muß tun und lassen können, was mir beliebt, und nur dem allmächtigen Gott Rechenschaft schuldig sein; – dafür verspreche ich, nie etwas zum Nachteil Schwedens zu unternehmen. – Ich muß endlich alle Gerichtsbarkeit behalten über meine Tischgenossen und die Leute meines Hauses.«


Große Bewegung in der Versammlung.
CHRISTINE.
Graf Peter Brahe! Nimm die Krone von meinem Haupte!
VIELE STIMMEN.
Nimmermehr! – Nein, Brahe! – Kein Brahe tut's!
BRAHE.

Eh müsse meine Hand verdorren, eh sie die Krone antaste auf meiner Königin Haupt; – muß dies geschehn, wovon mein Auge sich in Tränen abwendet, so kannst du es nur selber tun, o Königin!

CHRISTINE.
Wohlan denn! So gescheh's im Namen Gottes. –

Man hört in diesem Augenblicke Schwerterklirren am Eingange, durch den die Königin eingetreten, alles springt auf.
9. Szene
Neunte Szene.
Monaldeschi. – Die Vorigen.

MONALDESCHI
stürzt mit blankem Schwerte herein.
VIELE STIMMEN
durcheinander.
Wer dringt bewaffnet in den Reichsrat! – Nieder mit dem Frevler! Die meisten ziehen ihre Degen.
MONALDESCHI.

Wahr' deine Rechte, Reichsrat von Schweden! Deine Krone stammt von Gott, und keines Menschen, auch nicht deines Königs Laune kann sie verschenken!

VIELE STIMMEN.

Er hat recht! – Nieder mit dem frechen Fremdling! – Er hat recht, aber nieder mit ihm! – Haut ihn in Stücke!

ROSENHANE
schreit.
Die Königin steht auf, und alles schweige!

Es wird totenstill.
CHRISTINE
vom Throne herab zu Monaldeschi.
Verwegener Mann! Augenblicks wirf dein Schwert von dir, oder dein Leben ist verwirkt!
[102]
MONALDESCHI
wirft es weg.

Da liegt mein Schwert; ich zog es nur, um bis hierher zu dringen, um meine Stimme vor ganz Schweden zu erheben und auszurufen: Königin, du handelst, wie nicht Recht, Reichsrat, du duldest, was nicht Recht!

10. Szene
Zehnte Szene.
Santinelli mit Trabanten. – Die Vorigen.

SANTINELLI.
Ergreift den Frevler, lebendig oder tot!
MONALDESCHI.
Greift mich, tötet mich, ich tat das Nötige, weil es kein Schwede tat.

Die Trabanten umringen ihn.
CHRISTINE.
Halt! Zurück, Trabanten!
EINZELNE STIMMEN.
Er ist verfallen – er hat gefrevelt!
CHRISTINE.
Graf Peter Brahe, verhaftet Ihr den Übeltäter und laßt ihn ins Gefängnis führen.
MONALDESCHI.

In den tiefsten Kerker tief unter dem Meeresgrunde, damit ich nicht sehe, was Eitles und Törichtes vorgeht im Königshause von Stockholm, damit ich nicht höre, wie Königin Christine einst jammernd rufen wird: Monaldeschi, du hattest recht!


Die Königin geht bei den letzten Worten ab. Ein Teil der Versammlung folgt ihr, der andere drängt gegen Monaldeschi mit dem Rufe: Nieder mit ihm!
Der Vorhang fällt.

3. Akt

1. Szene
Erste Szene.
Düsteres Zimmer mit Seitentür, ein Vorhang inmitten der Hinterwand. Sylva.

SYLVA
mit ihrer Dienern eilt herein.

Was seh' ich! Der Vater kommt mit ihm den Korridor herauf, Trabanten nebenher, er ist gefangen, was ist geschehn?


O Herz, du willst mir zerspringen,
Unruh' und Hast treibt mich umher,
Ich möchte weinen, ich möchte singen,
Bald ist mir jubelleicht, bald sterbensschwer!

Wohin – Herr Gott! Sie treten hier herein.
2. Szene
[103] Zweite Szene.
Brahe. Monaldeschi. Trabanten. Sylva.

BRAHE.
Sylva?
MONALDESCHI.
Sylva!
BRAHE
sieht Monaldeschi an und sagt dann zu den Trabanten.
Bleibt zurück! Ich führ' ihn allein –Die Trabanten kehren um. – Wie kommst du daher, Sylva?
SYLVA.

Die Königin hat mich nach der Reichsratssitzung zu sich beschieden – Ihr habt ja keinen Degen, Marquis?

MONALDESCHI.
Ich habe alles verloren, Fräulein: Herz und Macht und Degen!
BRAHE.
Aber Sylva, du verirrst dich, dein Weg führt nicht durch diese Zimmer!
SYLVA.

Es war solch unruhig Treiben von Soldaten und Männern auf dem großen Gange, da wollt' ich hier hindurch – bring' mich selbst hin, Vater.

BRAHE.
Ich kann jetzt nicht.
SYLVA.
Ich geh' so lange mit dir, bis du kannst –
BRAHE.
Das geht nicht, Sylva.
SYLVA.
Warum denn nicht?
BRAHE.
Entferne dich!
MONALDESCHI.
Lebet wohl!
SYLVA.
Laß mich, Vater! Für sich. Ich muß erfahren, was mit ihm geschieht! Ab mit der Dienerin.
3. Szene
Dritte Szene.
Monaldeschi. Brahe.

BRAHE.

Hier wartet Euer Schicksal ab, Marquis. Ich geh' der Königin melden, daß ich Euch nur in Gewahrsam, nicht ins Gefängnis gebracht. Gebt mir Euer Ehrenwort, daß Ihr nicht zu entweichen versuchen wollt!

MONALDESCHI.
Ich geb' es Euch mit meinem Dank, Graf Brahe.
BRAHE.
Lebet wohl. Ab.
4. Szene
Vierte Szene.
Monaldeschi.

MONALDESCHI
allein.

Er steht mit untergeschlagenen Armen eine Zeitlang schweigend in der Mitte des Zimmers. Dies ist der Fluch des Abenteurers, [104] daß er von einem Extrem dem andern zugeschleudert wird; aus der Hütte hinauf an des Thrones Stufen, von den Stufen des Thrones bis in den Kerker. Ihn schützt kein Herkommen und kein Maß, er ist vogelfrei. Wieviel ihm gelinge, er ist unglücklich, denn er ist haltlos. Das Behagen eines ruhigen, sicheren Besitzes, er genießt es nimmer, die Hatz des Schicksals ist ihm ewig auf der Ferse.


Pause. Er geht umher und setzt sich dann.

Es liebt mich niemand auf der weiten Welt,
Ich bin ein ausgestoßen, ein verloren Kind!
Erobern kann ich wohl mit Geist und Mut,
Ja unterwerfen – ach, welch kläglich Ding!
Wer da erobert, bin das ich? ich ganz?
's ist eine Eigenschaft, 's ist eine Fähigkeit
In mir – sonst nichts; dies ganze Wesen aber,
Dies ganze Ich, dies eigene Geflecht
Von Kraft und Schwäche, Lust und Unlust, ach
Dies launenhafte, wetterwend'sche Ding,
Das nach dem Himmel lechzt und ihn nicht kennt,
Das mit der Hölle spielt und sie nicht kennt,
Das Gott verspottet, um nicht klein zu sein,
Und das Gott sucht mit Gierde Tag und Nacht,
Und doch sich selbst verhehlt, daß es ihn suche, –
Dies Ich, so straff zum Glück, und im Genusse
So durstig doch, so spöttisch doch, dies Ich,
Es mag's in Wahrheit niemand; niemand liebt's,
Es ist allein auf dieser weiten Welt,
Und darum ist's verbrecherisch –
Denn was allein bleibt, was sich nicht vermischt,
Das ist der Welt zur Last, das nennt sie Störnis,
Und Störnis bin ich, ach, von Mutterleibe!
Die Mutter selbst, wie tief hat sie's empfunden!
Bald küßte sie mich, entzückt von mir,
Und herzte mich zum Ersticken –
Dann stieß sie mich mit Füßen fort
Und schrie: Du kannst nicht lieben!

Springt auf.

Dies ist das Wort, der Angstschrei meines Herzens!
Ich kann nicht lieben, nein, ich kann es nicht –
[105] Ich weiß das Reizende wohl zu ergreifen,
Mit Hast, mit Feuer,
Und das Ergriffne mir zum Gott zu weihen,
Doch jene goldne Täuschung andrer Menschen,
Gedankenlos in Reiz sich zu verlieren,
Sich hinzugeben taub und augenlos
Für allen Mangel, der mit im Geleite,
Dies Herz der Liebe, es ist mir versagt!
Im schönsten Taumel bleibt mein Auge offen
Und lauscht mein Geist, ob irgendwo ein Fehl –
Der Segen aller Hingebung ist mir versagt.
Ist's meine Schuld? Was Schuld! Frag' ich um Schuld?
Ich frag' um Glück! Und dessen will ich rauben
Soviel ich kann – ein Räuber bin ich worden,
Weil sich die Kräfte so in mir gefügt,
Und grade so. Das Raubtier wird geschaffen,
Und lebt wie den Beruf sein Raubtierleben.
Wer es geschaffen, wird es auch vertreten,
Und wer es zwingt, der tötet's, also ist
Der Lauf der Welt – so rolle, Welt, dahin!
Erhebe mich, zermalme mich,
So wie du kannst und magst! –

Setzt sich wieder.

Ach, wer nicht lieben kann, wird nicht geliebt.
Er mag wohl eine Leidenschaft erregen,
Doch keine feste und dauernde Neigung.
Ein Felsenriff im Meere hält ein Schiff,
Das Seil und Anker daran festgeklammert,
Es hält ein Schiff, solang' die Wogen ruhn;
Allein bewahren kann es sich kein Schiff!
Wenn sich die See erhebt, entflieht das Fahrzeug,
Und flieht es nicht, so muß der Felsen selber,
Der's halten will, es schmettern und vernichten;
Ich bin ein Felsenriff und nicht geliebt –
Die Neigung dieser Königin ist nichts,
Als eine spielerische Liebelei
Und ein Gehorsam gegen Manneskraft;
Dies Weib hat keine Stimme und kein Herz,
Denn echtes Herz ist sinnenhaft bewegt.
[106] Sie tändelt mit dem Geistesreiz der Liebe,
Und weil es ihr versagt ist, Weib zu sein,
Putzt sie mit Kopf und Bildung eitel auf,
Was sie nicht kennt, und was die Dichter schildern.
Vergeblich Mühn! Was die Natur verdrängt
Aus ihren großen, starken Unterschieden,
Das bringt kein Kopf, wie stark er sei, zur Stärke.
Mann oder Weib! Doch was dazwischen faselt,
Bringt weder echten Krieg, noch echten Frieden.
Wer weiß, ob sie den Mut hat, mich zu retten,
Und hat sie ihn, wir finden doch kein Heil,
Denn es gebricht uns doch das Blut der Liebe.

Pause.
5. Szene
Fünfte Szene.
Man hört am Türschlosse schließen, es erscheint auf der Schwelle Sylva.
Monaldeschi. – Sylva.

MONALDESCHI.
Jesu Maria! Ich bin doch geliebt!
SYLVA
kommt ihm hastig entgegen und fällt an seinen Armen nieder, atemlos sprechend.
Monaldeschi!
MONALDESCHI.
Welch Glück des Himmels kommt da über mich! Fasse dich, Sylva, fasse dich, komm!

Er führt sie auf die Ruhebank und kniet vor ihr.

Welch eine Seligkeit dringt mir aus deinen Augen!
SYLVA.

Ich habe meinen guten Vater getäuscht! Erst schlich ich ihm nach, als er dich fortführte, um die Tür zu kennen – dann – dann hab' ich ihm den Schlüssel entwendet, es trieb mich, ach so unwiderstehlich, dich zu sehn und dir Trost zu bringen. Der Vater nämlich sagte, man würde dir nichts tun, und die Königin würde dich mitnehmen übers Meer, und uns auch!

MONALDESCHI.
Engel!
SYLVA.
Nun weißt du's, und kannst ruhig sein, und nun will ich wieder zurück –
MONALDESCHI.
O bleibe noch!
Dein Hauch! Dein Blick! Dein Ton
Dringt wie der Frühling in mein wüstes Leben!
All wilder Drang, all ungestümes Streben,
Und was mich hetzt wie ruhelos Gedränge –
Es stockt und schweigt, als ob Musik erklänge
[107] Von deinem Leibe!
Bleibe;
Mein Auge hat zum ersten Male Tränen,
Mein Herz zum erstenmal ein heilig Sehnen.
Sylva, bleibe!
SYLVA.
Wohl dir! Mir wird es nicht so wohl,
Mich treibt's mit Schmerz und Ungestüm dir nach,
Und bin ich bei dir, treibt es mich hinweg –
Verwirrt ist alles mir, der Wunsch, der Zweck,
Und jetzt und einst, ich weiß nicht, was geschieht,
Weiß nicht, ob Sonne oder Mond uns sieht.
MONALDESCHI.
Die Sonne, Kind, die warme Lebenswonne,
Deiner und meiner Heimat Sonne.
SYLVA.
Welch ein Geschmeide trägst du auf der Brust?
Ich hab es nie bei dir gesehn.
MONALDESCHI
zieht das Amulett hervor, das ihm die Königin gegeben.
Ein Zauberbild!
SYLVA.
Ein Frauenbild! – Bringt es dir Glück?
MONALDESCHI.
Es hat's gebracht! – Und so gehört es dir!
Du bist mein Glück, trag' es auf deinem Herzen.
SYLVA.
Nicht doch! Du wirst dein Glück verscherzen;
Man muß hübsch halten, was uns Zauber schafft:
Mit seinen Locken fiel des Simson Kraft.
MONALDESCHI.
So gib mir deinen Zauber, der ist reiner
Als meiner, eines vielversuchten Mannes:
Ich seh' ein lieblich Kreuz auf deiner Brust,
Laß mich es küssen und am Herzen tragen!
In langen Nächten und in leeren Tagen
Wird mir's erzählen, was es einst erlauscht
An deinem Herzen, eh' ich's eingetauscht.
SYLVA
während sie tauschen.
Wir tun nicht recht – mein Kreuzlein ward
Mir von der Huld der Königin – wer weiß,
Was für ein Dank dem deinen angehört.
Ein lieb Geschenk ist wie ein Glied des Leibes:
Wenn man es von sich tut, entsteht ein Fehl.
Ich will dir meine schönste Locke geben,
Gib du mir diese, die auf's Auge fällt,
Sie stört dich oft, mich wird sie trösten –
[108]
MONALDESCHI.
Laß mir das Kreuz, dies Zeichen meiner Jugend!
Die Königin hat keine Glückeshand,
Selbst eine Krone weiß sie nicht zu halten,
Was sie gegeben, muß man erst vertauschen –
Laß mir das Kreuz! Ach meine arme Mutter
Trug auch ein Kreuz, was diesem völlig glich;
Und willst du nicht, behalt' mein Amulett!
Mein Herz verlangt für dich nach Zauberei,
Daß du geschützt seist von verborgnen Kräften –
Horch!

Er springt auf.

Himmel! Du hast die Tür offen gelassen!

Er eilt zur Tür.
SYLVA
springt ebenfalls auf.
Was tat ich? Wo bin ich? Sie eilt nach der Tür. Ich muß hinweg! Schließ nicht!
MONALDESCHI
eilig zurück.
Man kommt! Man kommt, verbirg dich, Sylva!
SYLVA.
Laß mich hinweg!
MONALDESCHI.
Du kannst nicht ungesehn hinaus, die Schritte sind ganz nahe! Es kann die Königin sein!
SYLVA.
Die Königin? Zu dir? Hierher? – O fort, hinweg!
MONALDESCHI
hält sie.

Törichtes Kind! Du läufst ihr ja entgegen! Sich umsehend. Wohin? Wohin? Tritt hinter diesen Vorhang, Sylva, tu's – tu's, ich beschwöre dich! Sonst sind wir beide verloren!


Sylva tut's zögernd.
6. Szene
Sechste Szene.
Christine. – Die Vorigen.

CHRISTINE.
Ich sehe, du bist bei offner Tür gefangen – was heißt das? Wie soll man dich befreien?
MONALDESCHI.
Graf Brahe hat zu schließen vergessen.
CHRISTINE.

Brahe hat verschlossen, so gut verschlossen, daß er den Schlüssel nicht wieder findet und ich nach dem Hauptschlüssel schicken mußte – wie hängt das alles zusammen? Sprich.

MONALDESCHI.

Wie kann ich, der Gefangene, wissen, was draußen vorgeht! Man hat mich gefangen hierher geführt und mir hier kaum Zeit gelassen, im Geiste das neue Schweden zu übersehn.

[109]
CHRISTINE.
Ja, das neue Schweden! Setzt sich. Wir gehören nun zum alten – es ist geschehn!
MONALDESCHI.
Und Eure Majestät fühlen sich nun erleichtert seit die Last eines Königreichs von den Schultern ist?
CHRISTINE.

Sprich nicht so kalt und hohl, jetzt, wo ich der Macht entkleidet und des Trostes meiner Freunde mehr als je bedürftig bin.

MONALDESCHI.

Des Trostes? Ich meine, Ew. Majestät sehnten sich seit Jahren nach diesem Augenblicke, wie könnte er jetzt ein trostbedürftiger sein?

CHRISTINE.

Sprich anders, Monaldeschi! – Als du dein Leben wagend mit blankem Schwerte in den Reichsrat stürztest, da hast du mir besser gefallen als jetzt, obwohl du da gegen meine Majestät freveltest, die du jetzt unaufhörlich im Munde führst.Pause. Es ist geschehn, und jetzt müssen wir eilen. Dies Land hat einen König, du hast den Reichsratsfrieden verletzt, du bist ein Fremder, und in wenig Tagen vielleicht wird es meiner Macht schon schwer, dich zu erretten. Ich will hinaus in die Welt der warmen Sonne, des warmen Glaubens! Wer weiß, wenn ich zögre, ob sie dahier nicht auch diesem lebendigen Wunsche in den Weg treten – dieser Wunsch hat mich am lebhaftesten zur Abdankung gedrängt, und wir müssen eilen, damit ich nicht gar umsonst abgedankt habe. Bis Schering Rosenhane meine Abdankung verlesen hatte, kannte ich die Wucht der Worte nicht, welche ich selbst aufgeschrieben, kaum waren sie verlesen, so fielen sie wie Berge über mich – Monaldeschi, noch im Reichsrate hab' ich die frechsten Dinge gehört, und wir müssen eilen, eilen, um nicht geopfert zu haben ohne Nutz und Frommen – warum sprichst du nicht?

MONALDESCHI.

Weil ich nur altklug wiederholen könnte, daß ich das alles Eurer Majestät vorhergesagt, und daß Ihr's jetzt erst hört und glaubt, da es in roher Wirklichkeit erscheint.

CHRISTINE
aufspringend.

Bist du auch wie die kindischen Freunde, denen mehr darum zu tun ist, recht zu haben, als freundlich und hilfreich zu sein? Umhergehend. Jämmerliche Welt! Nichts bewährt sich, als was in Büchern steht! – Majestät! Majestät! Jetzt wirft er mit Majestät um sich, dieser Mann, der mir so nahe steht, jetzt, da ich der wahrhaften Majestas entkleidet bin – soll ich dich dreisten Gesellen hier deinem Schicksal überlassen?Sylva macht ein Geräusch durch eine Bewegung des Erschreckens. Was war das?

[110]
MONALDESCHI.
Es seufzt der Boden unter dem zornigen Fußtritte einer Königin –

Pause.
CHRISTINE.

Ach, Giulio, du hast recht, es ist weibisch, jetzt zornig zu sein – es ist vorbei! Setzt sich. Meine Bücher, meine Kunstschätze sind gepackt und rollen nach der Küste, wir tun desgleichen, wir wollen nach Rom; Peter Brahe wird mich begleiten und der wunderliche Schnure, dem die Welt untergegangen, weil ich das Herkommen überholt habe, und Malström, der mich tadelt, aber mein Recht liebt, und Brahes Tochter –

MONALDESCHI.

Malström? Diesen meinen persönlichsten Feind behalt' ich also gegenüber von einem Ende der Welt bis zum andern?

CHRISTINE.

Laß ihn! Er ist brav und tüchtig, und das beschränkte aber gesunde Recht, das er gerade heraus gehend vertritt, übt immer eine gewisse Erquickung auf mich – Sylva tritt hinter dem Rücken der Königin – doch Monaldeschi sichtbar – hervor, als wollte sie die Königin anreden. Erst auf Monaldeschi bittende Pantomime geht sie durch die Tür und wirft diese ins Schloß.

CHRISTINE
auffahrend.
Heiland der Welt! Sind hier Gespenster, oder Verräter?!
MONALDESCHI
an die Tür eilend.
Wer da? Die Tür ist ins Schloß geworfen!
CHRISTINE.
Von wem?
MONALDESCHI.
Wind, oder Gespenst, oder Santinelli, kamt Ihr allein?
CHRISTINE.
Allein.
MONALDESCHI.
Und Euer Schlüssel?
CHRISTINE.
Muß außen im Schlosse stecken –
MONALDESCHI.
So seid Ihr mitgefangen!

Pause.
CHRISTINE.
Monaldeschi! Gott sei dir gnädig, daß du nicht falsch bist!
MONALDESCHI.
Wie, Königin?
CHRISTINE.

Folge mir von weitem! – Ich fand ja deine Tür offen und habe den Schlüssel noch – Nach der Tür gehend. mache dich reisefertig, und – Gott sei dir gnädig, daß du nicht falsch bist!Die Tür geht ohne Schlüssel auf – sie geht.


Pause.
[111]
MONALDESCHI.
Gott sei dir gnädig, törichte kron- und machtlose Königin! Er geht ihr nach.

Der Vorhang fällt.

4. Akt

1. Szene
Erste Szene.
Offene See.
Das Theater stellt seiner Länge nach das Verdeck eines Schiffes vor, das durch nichts weiter als durch eine an den Kulissen beider Seiten hingehende, den Bord darstellende Brettwand und durch Luft darstellende Kulissen, durch herumliegende Taue, allenfalls durch ein Segel angezeigt zu sein braucht. Klappstühle lehnen umher; man hört zuweilen einen Matrosenruf. Das Theater bleibt eine Weile leer.
Christine.

CHRISTINE
kommt aus dem unteren Raume heraufgestiegen.

Sie ist in Männertracht, trägt Hut und Mantel. – Eine Zeitlang steht sie stumm sieht halb nach hinten über Bord.


Man hört einen Matrosen singen.

»Der Himmel ist hoch, die See ist tief,
Was droben oder drunten schlief,
Es konnt' es kein Mensch erkennen.« –

Sie schauert zusammen.

Schauerlich einsam und melancholisch
Weht mich die Meeresöde an.
Die blauen Streifen von Schweden erbleichen,
Ins Meer sinkt meine Vergangenheit,
Die Krone, die Macht – und meine Jugend.
Wir bestimmen und ordnen uns selbst die Zukunft,
Und dennoch erscheint sie völlig eigen,
Eine selbständige Macht, die uns befremdet:
Ich habe das alles herbeigeführt,
Ich sah es kommen Tag um Tag,
Und nun es da ist, ist's dennoch anders,
Und erschreckt mir das Herz wie fremde Macht.
[112] Mir ist so einsam und melancholisch,
Als wär' ich gestorben, und als erwacht' ich
Vom Todesschlafe, die Glieder zittern
Von leisem Froste, das Herz ist kalt!
Ich begegne nur wenig alten Bekannten,
Und sie besinnen sich, ob sie mich kennen –
Das Meer ist öde, die Sonne bleich,
Eintönig hebt sich und senkt sich die Woge,
Die Welt ist weit und streng, und wir sind klein
Neben der elementarischen Macht,
Neben den Mächten des Schicksals,
Neben dem öden Schritte der Zeit –
Gleichgültig gehen sie neben uns her,
Wir mögen denken, wir mögen starren,
Es kümmert sie nicht, sie gehen weiter,
Bedecken den Stein und das Tier und uns.
Mich schauert – alles ist fremd und furchtbar.

Pause. Der Matrose singt.

»Das Grab ist grün, die Zeit ist lang,
Und wer zu früh hinuntersank,
Muß lange, lange warten!«
CHRISTINE
setzt sich und wiederholt langsam.
»Und wer zu früh hinuntersank,
Muß lange, lange warten!«
2. Szene
Zweite Szene.
Santinelli. – Christine.

SANTINELLI
kommt dieselbe Treppe herauf und bleibt daran stehn.
CHRISTINE
sieht ihn erst nach einer Weile.
Ach der! mein treuer, lästiger Schatten!
Wie töricht, das Gewissen abzuleugnen!
In hundert Zellen wohnt in unserm Innern
Die furchtbar unparteiische Behörde,
Die unsern Kopf nicht fragt, um abzuurteln:
So zeigt sich dieser Mann mir blind ergeben,
Blind führt er aus, was ich ihm auch befehle,
Selbst ein Verbrechen würd' er mir vollführen,
[113] Und dennoch bleibt er meinem Herzen fremd,
Unheimlich selbst; ich seh' die schlimme Treue,
Das Böse selbst in ihm – ich seh' es nicht,
Mein Kopf sieht nichts davon, doch seh' ich's.
In Monaldeschi aber sieht mein Kopf
Die schlimmsten Eigenschaften klar und deutlich,
Und doch beschützt ihn meine innre Stimme,
Doch neigt das Herz sich immer mehr ihm zu –
Und wir sind stolz auf unsers Geistes Macht,
Die wir nicht wissen, wo der Geist uns wohnt!
Die wir allstündlich überrascht uns sehn
Von Geistesmacht und unbekanntem Geiste!

Pause.
3. Szene
Dritte Szene.
Graf Brahe. – Die Vorigen.

BRAHE
kommt langsam nach dem Vordergrunde, ohne die an der Seite sitzende Königin zu bemerken.
Mein armes Kind!
CHRISTINE.
Was klagst du, Brahe? Ist deine Tochter krank?
BRAHE
verbeugt sich.
Verzeiht! – Mein Kind ist krank.
CHRISTINE.
Das macht die See – am Lande ist's vorüber.
BRAHE.
Nein, schon am Lande war sie krank.
Es ist die Seekrankheit des Herzens,
Die nach dem Hirn sich drängt –
CHRISTINE.
Erschreck' mich nicht! Wir sind schon arm genug –
An Ärzten für alltäglich Leid – was ist's?
BRAHE.
Das Kind ist totenstill – und wenn sich Leben
In ihr erhebt, so ist's ein ungestümes,
Das Worte bringt, die ganz wie irre aussehn,
Frag' ich sie dann, so schreckt sie zusammen,
Fällt weinend mir an das Herz,
Und bittet mich, ich sollte nur warten,
Sie würde sich bessern,
CHRISTINE.
Die Nerven sind ihr erregt, wie uns allen,
Von dem Gewaltigen, das wir begonnen,
Und sie ist zarter gewebt als wir –
Da kommt sie – wir wollen sie pflegen und warten;
[114] Laßt sie hier oben sich niederlegen,
Die frische Seeluft wird sie stärken –
Bringt Decken, Santinelli! Sylva, komm!

Santinelli ab und bald darauf mit Matrosen zurück, die Decken und ein Kopfkissen bringen.
4. Szene
Vierte Szene.
Sylva. Die Vorigen.

SYLVA
eilt der Königin leidenschaftlich in die Arme.
Arme, arme Frau!
CHRISTINE.
Oh!

Liebkost sie, ihr die Arme streichelnd.

Ich bin nicht arm, Sylva!
Bleiben mir nicht Herzen wie das deine?

Da sie ihr die Hand auf den Busen legen will, greift Sylva hastig nach Christinens Hand und entfernt sie.
SYLVA.
Laßt! O laßt mich!
CHRISTINE
winkt Santinelli und Matrosen, welche die Decken und Kopfkissen bereiten.
Leg' dich, Kind! Du bist krank!
Hier neben mich breitet die Decken!
SYLVA.
Nein, nein! Nicht hier! Nicht hier – weiter aufwärts!

Sie legt sich abgewandten Gesichtes in einiger Entfernung hinter dem Sitze der Königin und hält die Hände über Hals und Busen.
CHRISTINE
sieht ihr kopfschüttelnd zu, wendet dann das Gesicht nach dem Meere hinaus und versinkt in Gedanken.
Pause.
Euer Vetter, Brahe, Graf Malström ist mit uns?
BRAHE.
Er ist mit uns.
CHRISTINE.
Das freut mich; seine grade Seele
Ist tröstlich wie ein Kompaß.
BRAHE.
Königin!
Nicht weil er unsern Weg für richtig hielte,
Weil er mein Kind liebt, stieg er mit an Bord –
Weil er Euch warnen will, weil er – verzeiht –
Euch nöt'gen will, als protestant'sche Königin
Nach Schweden heimzukehren. Denn Ihr wißt,
Welch ein Gerücht uns eilen hieß am Strande!
Abschwören, hieß es, will die Königin
Des Vaters Glauben; nimmermehr! schrie alles,
Man soll die Schmach sich nicht erfüllen lassen.
Sie darf nicht unter Segel; sie soll bleiben –
[115]
CHRISTINE.
Die Krone opfern und die Freiheit nicht gewinnen!
Ja, das gefiele dem Haufen!
Unbillig ist die Menge immerdar,
Im Schoß der Bildung nur wohnt Billigkeit –
Ich atme auf, daß ich des Richterspruches
Zudringlicher Menge endlich ledig bin –
BRAHE.
Das sind wir nirgends; das ist niemand,
Solang' er noch mit einem Menschen redet;
Den Eremiten selber richtet die Gesellschaft,
CHRISTINE.
Doch gibt es noch ein höher Tribunal,
Das ist ein Glaube, der sich selber bindet,
Der sich dem Aburteil der Welt verschließt.
BRAHE.
Und gegen dessen Despotie dein Vater starb.
CHRISTINE.
Ein jeder stirbt für das, was ihm notwendig,
Und eigene Notwendigkeit treibt jeden,
Der eigen ist und eigen denkt und fühlt –
BRAHE.
Du urteilst protestantisch für den Papst.
CHRISTINE.
Führt protestantisch Urteil mich nach Rom,
So ist's mein Weg, den ich zu wandeln habe.
5. Szene
Fünfte Szene.
Von der Schnure. Die Vorigen.
Er nähert sich unter Verbeugungen.

CHRISTINE.
Das ist brav, Freiherr von der Schnure, daß Ihr Eure Königin ohne Krone nicht verlaßt –
SCHNURE.

Schuldigkeit, Königliche Majestät, bloße Schuldigkeit – eine echte Königin kann nie und nirgends ohne Krone sein; sie kann selbige figürlich abtun, aber sie bleibt ihr realiter in Ewigkeit, denn sie ist zusammengeboren mit ihrem Wesen.

CHRISTINE.
Zum Beispiele?
SCHNURE.

Zum Beispiele: der Mond würde uns gar nicht mehr sichtbar von wegen Wolken und Nebel, er bleibt doch immer derselbe Mond mit seinem Scheine, und wie dick die Wolken seien, wir verspüren immer noch einige Dämmerung von ihm. Segeln wir nun auch ohne königliche Abzeichen in die weite Welt, tragen Eure Majestät auch eine von Höchstdero Geschlecht abweichende Tracht, führen Höchstdero auch den Namen eines Grafen Dohna, welches [116] Geschlecht hierdurch besonders geehrt wird, so bleibt doch die Krone hiervon unzerstört, wie befremdlich dies alles erscheinen mag, und es ist mein Amt, als Baron der Krone Euch zu folgen, ginge es selbst in die niedrigste Gesellschaft.

CHRISTINE.

Ihr seid von altem Schlage, Schnure, und es tut mir leid, daß Ihr von den Formlosigkeiten gepeinigt werdet, denen mein Charakter und Schicksal oft ausgesetzt sein wird.

SCHNURE
trocknet sich die Tränen mit dem Taschentuche.

Allzu gnädig, Majestät, allzu gnädig! Meine Schuldigkeit! Haben Eure Majestät gestattet, daß Komtesse Brahe in Höchstdero Beisein rücksichtslos an der Erde liege –?

CHRISTINE.

Rücksichtslos, ja, aber nicht an der Erde – auf dem Deck! Vor der Seekrankheit, Schnure, schwindet aller Unterschied.

SCHNURE.
Er schwindet, wenn Eure Majestät es sagen.
CHRISTINE.
Wie steht's mit Eurem Befinden, Schnure, bei dem unruhigen Meere?
SCHNURE.

Gnädigster Nachfrage zur Antwort: nicht ganz ungestört, nicht ganz ungestört! Aber – in Gegenwart – Sich den Schweiz abtrocknend. – würde sich meine Zeitlichkeit nicht gestatten –

CHRISTINE
lachend.

Seekrank zu werden! – Braver Schnure, Ihr seid ein Ultra, ich muß Euch streng befehlen, daß Ihr nur einen Grafen Dohna auf dem Schiffe wißt, nach dem sich niemand richten darf –

SCHNURE
verstört aussehend.
Wenn Majestät – erlauben – Er verbeugt sich und geht nach dem Hinterdeck, nicht ohne Schwanken.

Starker Abendschein – dann dunkelt es.
BRAHE.
Der Abend, Königin, fällt feucht und kalt,
Das Meer spritzt hoch, wollt Ihr nicht lieber
Hinab in die Kajüte steigen?
CHRISTINE.
Ja, Brahe, nur noch einen Augenblick –
Man sieht ja Monaldeschi nicht, und Malström nicht?
Sieh, Brahe, sieh, wie schön und schauerlich
Der Mond emporsteigt aus der Wasserfläche –
Ob er, ein Auge Gottes, uns betrachtet?

Pause. Man hört einzelnes Schiffskommando und das Pfeifen des Hochbootsmannes. Dann wird es wieder still, und während die Königin und Brahe schweigen, singt der Matrose wieder.

»Die Woge ist grün, der Mond ist rot,
[117] Die Tiefe ist schwarz, bleich ist der Tod,
Je höher, je bleicher der Mond.«
CHRISTINE.

Was der Mensch für entsetzliche Lieder hat – schauerlich, schauerlich! Die weite schwarze Fläche und wie drohend Feuer daraus auftauchend das große rote Gestirn! – Brahe, mich durchrieselt der Gedanke, man sei haltlos und verlassen in der Weltwüste, wenn man sich von Amt und Pflicht trenne, wenn man dreist und auf gut Glück seiner Liebhaberei nachjage – horch, die traurige Möwe singt schon wieder!


Matrose singt.

»Bau fest die Hütte, die du hast,
Der Vogel klammert sich an den Mast,
Wohl dem, der sicher wohnt!«
CHRISTINE
aufstehend.
»Wohl dem, der sicher wohnt!« Komm, Brahe, komm! Gehend.
BRAHE.
Erlaubt, daß ich mein Kind mitnehme!
CHRISTINE
vorwärtsgehend.
Tu's.
SYLVA.
Laß mich, Vater, laß mich! Die Luft tut mir wohl, ich fürchte mich vor da unten –
BRAHE.
Aber du wirst frieren –
SYLVA.

Deck' deinen Mantel über mich! Brahe tut's und folgt der Königin. Sie steigen hinab. Schnure, von hinten kommend, folgt ihnen. Santinelli bleibt noch eine Weile an der Treppe stehen, hüllt sich dann in den Mantel und duckt sich gegenüber von Sylva an Bord nieder. – Mondscheindämmer. – Pause. – Man hört nur einige Male Schiffskommando, Pfeifen und Wogenschläge.

6. Szene
Sechste Szene.
Der blasse Monddämmer läßt die Gegenstände nur unsicher erkennen.
Malström. Monaldeschi kommen herauf.
Ein Schiffer folgt ihnen so weit, daß die Hälfte seines Leibes aus der Luke herausragt.

MALSTRÖM.
Seid nicht zu rasch! Ihr waget Hals und Kragen.
MONALDESCHI
zu dem Schiffer.

Hab' acht und richt' es schnell ins Werk – König Karl Gustav und die Nation werden dir's lohnen – schon schwankt mit dem aufgehenden Monde der Wind, hat er erst die Nebel besiegt und kommt er zu Macht, so geht der Wind hinüber nach Südwest. Nütze den Wechsel rasch, und ziehe [118] dann sogleich alle Segel auf!Schiffer verschwindet.


Lachend.

Was wissen die Weiber! Die Nacht ist verschwiegen,
Sie halten's für dänisch Land, was sie am Morgen sehn,
Und steigen aus, und Schweden hat sie wieder.

Sylva und Santinelli horchen auf.
MALSTRÖM.
Ihr geht einen verwegnen Schritt –
MONALDESCHI.
Die Lage ist verwegen und fordert ihn.
MALSTRÖM.

Seit ich Eure Herkunft kenne, hindre ich Euch nicht mehr in Euren Schritten, Ihr seid mir nicht mehr der rechtlose, zudringliche Fremdling – aber ich kann mich nicht dergestalt alles persönlichen Gefühls entäußern, daß ich mich zu gewaltsamem Überfalle mit Euch verbünden könnte. Das kann ich nicht. Ich schweige, weil ich eine Änderung, weil ich eine Rückkehr der Königin für politisch notwendig erachte – sie führt Reichtum und Ehre aus unserm Vaterlande hinweg, ich seh' es kommen, daß sie uns den Schmerz, unsrer glorreichen Geschichte den Spott antut, die teuer errungene Landesreligion zu verleugnen – aber ich kann sie nicht behandeln wie eine Gefangene, wie eine Törin.

MONALDESCHI.
Ich kann's.
MALSTRÖM.
Habt Ihr kein Herz?
MONALDESCHI.
Nein, was Ihr so nennt, das hab' ich nicht.
Mir ist's ein kleines Leben, für die Neigung,
Für Mitleidszittern große Zwecke zu opfern –
Den Geist lieb' ich, der haftet nicht an Neigung,
Und meine Mutter würd' ich fesseln lassen,
Seh' ich sie geistesschwach auf falscher Bahn.
MALSTRÖM.
Ein wüstes Leben, stets ins Weite greifend,
Verzerrt das Herz, verliert den Menschenhalt,
Und dieser Halt ist Gottes eigne Hand,
Die uns im Weltenwirbel schützt und leitet.
MONALDESCHI.
Kann sein – solch wüstem Sinne gilt es hier:
Christine steuert wüstem Triebe nach,
Ein regelvolles Dasein wirft sie weg,
Ein wohlgefügtes, mächt'ges, festes Dasein,
Als ob's ein Spielzeug sei, und weibischer Laune
Sucht sie in weiter Welt Befriedigung –
Ist dies der Menschenhalt in Gottes Hand?
[119]
MALSTRÖM.
Das ist es nicht – allein wer füllt den Bruch,
Der schon geschehn?
MONALDESCHI.
Der Mensch kann alles.
MALSTRÖM.
Das kann er nicht – er kann nur sich vollenden;
Was ihm Gesetz ward, überwältigt ihn,
Und Gott nur selber zwinget den Charakter –
Wer alles können will, bringt nichts zustande.
MONALDESCHI.
Karl Gustav ist ein klarer, tücht'ger Mann,
In klarer, mäß'ger Neigung bot er dreimal
Christinen seine Hand zum Ehebunde:
So wär' ein Mann zu ihr emporgestiegen,
Der von ihr nahm, was ihr verdrießlich ist
Am Regiment, und der die freie Macht
Der Majestät ihr streng gesichert hätte –
So gab es Freiheit, gab es Halt für sie;
Das soll ihr werden mit dem nächsten Morgen,
Und soll ihr werden wider ihren Willen!
Karl Gustav ist auf alles vorbereitet,
Harrt auf der Insel Öland unsrer Ankunft –
Füll' dich, Südwest, du treibst ein Königspaar,
Das Irrtum trennte, vor den Traualtar.
MALSTRÖM.
Erstaunt hör' ich dir zu! Du bist derselbe,
Der für Christinens Liebesgünstling gilt,
Und du vermissest dich des Wagestücks,
Sie einem Ehegatten zuzuführen,
Der jung und stark und König obenein?
MONALDESCHI.
Just, weil er König ist! Was gilt es mir,
Machtlosen Weibes Neigung zu besitzen!
Und eine Neigung ohne Lebenstrieb!
Kennt Ihr Christinen nicht? Das süße Wohlbehagen,
Das ausströmt aus dem Zauberschoß der Sinne,
Das eigenmächtig Wunderwelten baut,
Des Geistes Kraft beflügelnd, überflügelnd,
Dies unabhängige Geschenk des Himmels,
Wahllos verteilt an Große und Geringe,
Es fehlt ihr ganz! – sprich nicht von ihrer Liebe!
Ihr Geist nur ahnt Bedürfnis unsrer Liebe,
Und baut danach ein ärmlich Schattenbild,
[120] Sie baut es mühsam, um auch dieser Kenntnis
Teilhaft zu sein, wie jeder andern Kenntnis –
Ja, Kenntnis, Kenntnis! Dieses magre Wort
Ist alles, was sie suchen kann und finden –
Genuß, die volle Menschenoffenbarung,
Ist ihr versagt – nun frag' nach ihrer Liebe,
Und ob sie Liebe wecken kann bei Männern!
MALSTRÖM.
Und kennt sie dich mit dieser Denkungsweise?
MONALDESCHI.
Was weiß ich! Das nur weiß ich: Niemand wirkt
Was Rechts mit angelernten Dingen – nur
Die Handlung aus dem echten Naturell,
Aus meinem Kern heraus zeugt wahrhaft Leben.
MALSTRÖM.
Und kennt sie dich, wie wird sie dir begegnen?
MONALDESCHI.
Ich handle nur mich selbst, und was es bringt,
Das ist mir angemessen, ist mein Schicksal;
Die Kräfte, die es zeugten, werden's tragen.
Dies sichert mich vor mittelmäß'gem Lose –
Und kehrt das Starke, was ich aufgeregt,
Sich gegen mich, so ist's nicht minder mein:
Des Blitzes Strahl, der mich darnieder schmettert,
Ist mein geworden, ob er mich zerschmettre.
MALSTRÖM.
Leb' wohl!
MONALDESCHI.
Ihr geht nicht meine Bahn?
MALSTRÖM.
Leb wohl!
Du lehrst ja selbst: Ein jeder gehe seine.

Ab.
7. Szene
Siebente Szene.
Monaldeschi. – Die Vorigen.

MONALDESCHI
ihm nachsehend.
Und er hat recht! – In meinem alten Fehler,
Sentenzen machend, treib' ich mich umher,
Erhitze mich und übertreibe mich!
Daß wir gequält sind, alles zu erklären,
Und damit unsere Wirklichkeit zu fälschen!
Es kommt doch alles aus verborgnem Schoß,
Und die Erklärung, sich als Mutter spreizend,
Ist ewig nur die Amme unsrer Tat;
Wo aber Tat sich räsonnierend zeugt,
[121] Da ist sie stets ein gar verkrüppelt Ding –
Fort, Plunder! 's gibt zu handeln!

Streckt die Hand in die Luft.

Fertig ist der Wind.

Unterdes hat sich Santinelli leise erhoben und ist nach der Treppe geschlichen, in der er verschwindet.

Was regt sich denn?

Zu gleicher Zeit macht Sylva eine heftige Bewegung, und Monaldeschi geht stracks auf sie los.

Wer ist der Horcher?
SYLVA.
Ein Weib, das viel zuviel gehört.
MONALDESCHI
sich niederbeugend und kniend.
O Sylva!
O linde Luft auf rauhen Winterwind!
Liebreizend Mädchen, deiner Stimme Ton
Fällt stets wie Zauber in mein Innerstes,
Und wandelt alles mir in weiches Sehnen!
SYLVA.
Berühr' mich nicht, Entsetzlicher!
MONALDESCHI.
O ich begreif's, was ich in meiner Jugend
Niemals begreifen konnte, wenn die Mutter
Vom riesenstarken Simson mir erzählte,
Und wie ihn Delila beherrscht, den Riesen.
Das schöne Weib war seines Volkes Feindin
Und war ihm selber feind, und dennoch zog sie
Ihn immerdar zu ihren Füßen hin.
Er kannte ihren argen, bösen Sinn,
Und dennoch ging das Herz ihm bei ihr auf,
Und ihrer Stimme gab er alles hin,
So Mark wie Seele, Leib wie Vaterland –
Da er das Haupt an ihre Knie lehnte,
Durchschauerte ihn süß der Liebeszauber,
Und gern gestand er ihr, daß seine Locken
Die Riesenkraft ihm bärgen, stille litt er's,
Daß ihre Hand ihn an den Locken faßte,
Und daß die andre Hand sie niederschnitt,
Es war ihm süß, im Himmel zu verschmachten –
O Sylva! Sylva!
Es ist dein weiches Herz
Entrüstet über meins, das wetterhart
Und rauh von Rinde ist – ich weiß, ich weiß,
Ich kenne dieses Schauern deiner Nerven!
Nimm diesen Dolch und stoß ihn langsam mir,
[122] Ich will dir helfen, in dies schlimme Herz –
Zu ändern bin ich nicht, ich bin zu alt –
Doch ist's mir Seligkeit, von dir zu sterben,
Zu fühlen, daß die liebe kleine Hand
Krampfhaft mein Herz greift – stoß', ich bitte dich!
Kannst du nicht liebend streicheln, tu's im Töten!
SYLVA.
Jedwedes Wort erhöht mein Graun vor dir!
MONALDESCHI
bedeckt sein Gesicht mit beiden Händen.
Unselige Natur, die mir geworden!
SYLVA
leise nachsprechend.
Unselige Natur!

Pause.
MONALDESCHI.
Sylva! Sylva!
Deine Mutter war blond, die meine war schwarz,
Sanft nordisches Blut ward dir, mir heißes,
Und erst seit kurzem atme ich hier
Die herbe, besänft'gende Luft –
Gib mich nicht auf, o Sylva! Nein!
Gib mich nicht auf! Du bist's allein,
Die mich beherrscht und hält,
Und die mich beseligt oder vernichtet –
Gib mich nicht auf! Der Mensch lernt viel,
Vielleicht auch ich; und die sanfteren Triebe,
Die du mich lehrst, sie werden mich bessern.
Sei gut, o Sylva! Sei's! Der Hafen liegt vor uns,
Wir kehren heim nach Schweden; morgen schon
Ist diese Wirrnis unsrer Königin geschlichtet,
Ich leb' ein stiller Mann zu deinen Füßen
Ein Probejahr, und länger, wenn du willst,
Umdenken kannst du mich und wirst du mich –
O schüttle nicht das Haupt, es ist nicht Spiel
Der Phantasie – der König kennt mich ganz
Und meine Herkunft, die von Schweden stammt,
Er setzt mich ein in aufgegebne Rechte,
Ich trete ein in den Gesellschaftskreis,
Der mich als Abenteurer ausgeschlossen,
Ich werd' ein Friedensmann, o Sylva, Sylva,
O schüttle nicht das Haupt – den guten Vater,
Den dir der Himmel gab, werd' ich bewegen,
Und wie ein Schäfer will ich um dich werben –
[123] Ach, welche Seligkeit, ein durch die Sitte
Geheiligt Band mit dir zu schließen, ruhig
In himmlischem Besitz die Zukunft kommen,
Die Tage gehn sehn, einen wie den andern,
Auf stilles Friedenswerk die Pläne richten,
Auf Garten, Häuserbau, auf stille Plätze
Für dich! Ich seh' dein liebes Lächeln, seh',
Wie es mir dankt, wenn ich dir's recht gemacht,
Wenn dir ein Baum gefällt, den ich gepflanzt,
Und ein Gemach, das ich dir eingerichtet,
Ein schlankes Roß, das ich dir sanft geritten,
O Sylva, alles das liegt vor der Türe,
O schüttle nicht dein Haupt! Reich mir die Hand!
An deiner Wimper hängt mir Tod und Leben –

Pause.

Du schweigst?
SYLVA.
Ich kann das Graun vor dir nicht mehr verwinden!
MONALDESCHI
aufspringend.
Allmächt'ger Gott – gabst du mir meinen Vater?

Er verhüllt sein Gesicht.
SYLVA
steht auf, breitet die Arme nach ihm, schauert zusammen und geht langsam nach der Treppe.
MONALDESCHI
erwachend und ihr nachrufend.
Sylva!
SYLVA
schrickt zusammen, steht und macht nach kurzer Weile mit der Hand eine abwehrende Bewegung – verschwindet in der Treppe.

Pause.
MONALDESCHI
zu sich kommend und die Hand in die Luft streckend.
Fahr hin!
Ich bin der Mann, mein Schicksal zu erfüllen.

Klatscht dreimal in die Hände, der Schiffer erscheint mit dem Oberleibe aus der Treppe.

Halt' dein Versprechen! Es weht Südwest.

Der Schiffer pfeift; man hört das Signal wiederholen, hört Kommandoworte.
Der Vorhang fällt.

5. Akt

1. Szene
Erste Szene.
Zimmer mit Aussicht auf die Gärten, geschmückt mit Königsbildern.
Christine.

CHRISTINE
sitzt an einem Schreibtische, sie hört auf zu schreiben und sieht vor sich hin.
Es will mir keine Sammlung mehr gelingen!
Sonst mitten im Getümmel des Regierens
Fand ich sie leicht – und seit ich unbeschäftigt
Und frei für Kunst und Wissenschaft geworden,
Seitdem verstört mich wirbelnde Zerstreutheit:
Der falsche Giulio ist schuld! – Ist er's allein?
Ach! ich mit ihm und alles ringsumher –
Er hatte damals recht! Sie tragen alle,
Die mir gefolgt, mit schwerem, schwerem Herzen
Die Fremde und das unruhvolle Wandern;
Die saure Pflicht steht ihnen eingeschrieben
Mit tiefen Zügen auf der Stirn – ich bin
Beinah allein!

Sie steht auf und tritt aus Fenster.

Ihr verwilderten Gärten, ihr stillen Höfe
Fontainebleaus!
Manchen seufzenden König habt ihr gesehn,
Und doch seht ihr in mir was Neues,
Was vielleicht noch trauriger ist.

Wendet raschen Schrittes um.

Und doch ist er ein Schurke!
Er frevelt nicht bloß an meiner Würde,
Er frevelt an meinem Herzen!
Denn er ist kalt und gefühllos und undankbar.
Als sein Verrat auf offner See
Entdeckt ward und verhindert,
Wie frech stand er da!
Über Bord mit ihm! Hinab ins Meer!
Rief alles, und es zuckte auch mir
Die Lippe, es zu bestät'gen –
Da traf mich seines Auges Strahl,
[125] Es traf mich sein schneidendes Wort:
»Ersäufe den einzigen, der für die Königin sorget!«
Und ich vergab ihm!
Denn er hatte recht wie immer –
Für der Königin Haupt sorgt er am besten!

Sie nimmt einen Brief vom Tische.

Und doch schreibt mir der Jesuit aus Paris,
Er habe mich an Mazarin verraten –
Sie hassen ihn alle – und ich allein?
Und ich? – Mißhandelt er nicht mein Herz?
Und wie ich es wende, so bleibt er doch
Ein undankbarer Schurke!

Sie eilt an den Tisch und klingelt.
2. Szene
Zweite Szene.
Santinelli tritt auf. Christine.

CHRISTINE
geht noch einige Male auf und nieder, setzt sich dann, schweigt aber noch eine Weile.
Santinelli! Heut darfst du's sagen,
Was dir so lang' das neid'sche Herz gedrückt:
So sprich die Wahrheit und die Wahrheit nur!
SANTINELLI.
Majestät!
CHRISTINE.
Noch nicht – du weißt, ich kenne deinen Haß,
Den du von je gehegt auf Monaldeschi,
Du weißt, ich mißtrau' deinen Mitteilungen,
Sag' also nichts, was du nicht ganz beweisen
Und mit Beweisen mir erhärten kannst,
Dein Kopf steht auf dem Spiele, Santinelli!
SANTINELLI.
Majestät!
CHRISTINE.
Noch nicht – bedenk' noch eins! Dein Feind
Giulio Monaldeschi ist mir wert,
Und was, wieviel er gegen mich auch fehle
Im Kreis der Politik – er bleibt mir wert;
Kannst du nichts anderes ihm anbeweisen,
So glückt's dir nimmer, daß ich ihn verderbe,
Dich aber trifft der unwillkommne Lohn
Des unwillkommnen Klägers jedenfalls.
Jetzt sprich, wenn du's für gut hältst, oder geh!
Und wisse, daß ich dir dein Schweigen danke.
[126]
SANTINELLI.
Ich werde sprechen, Majestät.
CHRISTINE.
Verwegner!
Als du zu rechter Stunde abgehorcht
Auf hoher See, daß Monaldeschi mich
Zurück nach Schweden steuern lassen
Und mich auf Öland in des Königs Hände
Ausliefern wollte – damals sagtest du,
Es sei sein Sinn gewesen, mich Karl Gustav
Zur Hochzeit zuzuführen –
SANTINELLI.
Also sprach ich,
Und also sprech' ich noch.
CHRISTINE.
Das ist unmöglich.
SANTINELLI.
Zum Grafen Malström sprach er's aus, und Malström
Wird's Euch erhärten.
CHRISTINE.
Malström schweigt – es wird
Ein leichtes Zorneswort gewesen sein,
Wie man's hinauswirft in die Luft –
SANTINELLI.
Das war
Schon damals Eure königliche Antwort.
So ließt Ihr ihn in Gnaden mit uns ziehn
Nach Flandern – und er blieb derselbe Mann
In Tücke gegen Euch, ob auch begnadigt.
Ich tat, was meines Amts: ich forschte
Und suchte seiner Briefschaft Herr zu werden,
Weil Ihr nur schwarz auf weiß mir glauben wolltet –
Ich kam zum Ziele.
CHRISTINE.
Wie?
SANTINELLI.
An jenem Tage,
Der uns gesegnet war, da Ihr zu Brüssel
In unsrer Kirche gnadenreichen Schoß
Zurückekehrtet, da an jenem Tage
Fiel der Verräter ganz in meine Hand.
Es wird sich Eure Majestät erinnern,
Daß er, obwohl er selber Katholik,
Sich mehr denn jemals ungebärdig zeigte,
Als dieser Schritt geschah – er ging hinweg
Mit Lästerungen, die das ganze Schloß
Und alle Spanier mit Zorn erfüllten –
[127] Kaum war er aus dem Tor, so kam ein Reiter
Vom Grasen Tott, dem schwedischen Gesandten,
Den man auf seinen Antrieb Euch geschickt,
Um Euch zu warnen und zurückzubringen.
Der Reitende gab die Depeschen mir,
Weil Monaldeschi nicht zugegen war,
Und unter den Depeschen war ein Brief,
In dem sich alles das bestätigt findet,
Was Ihr nicht glaubt –
CHRISTINE.
Du hast den Brief?
SANTINELLI.
Zu Eurem Dienst.

Überreicht ihn.

Karl Gustav läßt ihm schreiben,
Er solle Euch, wie er es zugesagt,
Um jeden Preis zurück nach Schweden bringen,
Früh oder spät, dem Könige zur Gemahlin.

Pause.

Ihr hörtet nicht auf mich. – Als wir in Rom
In aller Pracht des Kirchenreiches lebten,
Kam mir ein Brief derselben Art zu Händen,
Vom Könige Karl Gustav selbst gezeichnet –
Der König fordert drin von Monaldeschi:
Er solle Euch, wie er es stets versprochen,
Um jeden Preis zurück nach Schweden bringen,
Früh oder spät, dem Könige zur Gemahlin.
CHRISTINE.
Du hast den Brief?
SANTINELLI.
Zur Eurem Dienst.

Überreicht ihn.

Ihr hörtet nicht auf mich.
Der Brief beweist, daß Monaldeschi Euch
Von Rom hinweg hierher nach Frankreich lockte,
Daß es sein Werk ist, wenn man Euch dahier
Unköniglich empfangen, wenn man Euch
Geheißen hat, in diesem leeren Schlosse
Fontainebleau zu bleiben spät im Jahre,
Da niemand kommt an diesen öden Ort –
CHRISTINE.
Bist du zu Ende?
SANTINELLI.
Nein. Ich trat Euch gestern
Von neuem an, mir endlich zuzuhören,
Weil gestern mir ein dritter Fund gelang.
Den Hirsch zu jagen wart Ihr mit ihm draußen,
Da kam von Mazarin, dem Kardinale,
[128] Der dieses Land regieret, ein Kurier.
Dies war ein echt leichtsinniger Franzose,
Und fragte bloß: Seid Ihr der Italiener?
Ich bin's! sprach ich – lest, was geschrieben steht!

Ein Schreiben überreichend.
CHRISTINE.
Lies!
SANTINELLI
liest.
»Wir billigen vollkommen Schwedens Ansicht,
Daß es ihm rühmlich und von Vorteil sei,
Wenn Königin Christine ihr Verweilen
Und ihr unstetes Wandern außer Landes
Aufgeben wolle, oder end'gen müsse« –
CHRISTINE.
Mazarino!
SANTINELLI.
»Ein großer Teil der schwed'schen Revenüen
Wird dergestalt im Auslande verzehrt,
Und Schweden, unserm treuen Alliierten,
Das niemals reich an Geldeskräften war,
Entzogen. Auch begreifen wir gar wohl,
Obwohl wir selber gute Katholiken,
Daß der Verkehr der Königin mit Rom
Viel böses Blut erzeugen muß in Schweden.
Und so erklären wir uns denn bereit,
Im Sinne unsers alten Alliierten,
Euch, Herr Marquis, mit Ernst zu unterstützen,
Daß diese Dinge ihre Endschaft finden.
Ihr seid dazu vom Könige Karl Gustav
Uns wohl empfohlen schon seit langer Zeit.
Es hofft der König, daß die Königin
Christine, die verstört und hoffnungslos
Geschildert wird, sich willig fügen werde,
Ihm ihre Hand zu reichen, und damit
In schwed'sche Glaubensform zurückzukehren,
Wenn sie nur erst auf Schwedens Boden sei.
Dies zu bewirken soll Euch aller Vorschub,
Mein Herr Marquis, von uns zu Diensten sein.
In diesem Sinne haben wir bereits
Die Königin nicht nach Paris gelassen;
Wir werden sorgen, daß sich binnen kurzem
Auf unverdächtig lockende Manier
[129] Gelegenheit und Einladung ihr biete
Zu einem Ausflug nach der Normandie.
Es wird Schloß Eu, das ihr historisch wichtig,
In solcher Einladung begriffen sein.
Nur einen Schuß weit liegt es ab vom Meere,
Vom Hafenstädtchen Tréport – dort erwartet
Euch eine wohlbestellte Galeone,
Sich zur Spazierfahrt bietend an der Küste,
Sie bringt Euch gradesweges nach Stockholm,
Und Eure Aufgabe, Marquis, ist nur,
Die Königin bis auf das Schiff zu locken.

Giulio Mazarino.«


Pause. Santinelli legt ihr den Brief zu den übrigen.
CHRISTINE.
Bist du zu Ende?
SANTINELLI.
Jetzt bin ich zu Ende.

Pause.
CHRISTINE.
Du bist entlassen.

Santinelli, einen Augenblick stutzend, verbeugt sich und geht ab.
3. Szene
Dritte Szene.
Christine allein.

CHRISTINE
sie bleibt unbeweglich sitzen; nach einer Weile trocknet sie sich die Tränen und spricht langsam vor sich hin.
O schmerzens-, schmerzensreicher Undank!
Ich kann es nicht mehr vor mir selbst verbergen,
Daß ich unglücklich bin – unglücklich!

Pause.
4. Szene
Vierte Szene.
Sylva. – Christine.

SYLVA
tritt durch die Tür ein, welche dem Ein- und Ausgange Santinellis gegenüber ist – sie bleibt an der Tür stehen.
Vergebung, Majestät, Ihr habt befohlen –
CHRISTINE
sie nicht bemerkend.
Unglücklich! 's ist ein Wort tief wie der See!

Pause.
SYLVA.
Vergebung, Majestät, Ihr habt befohlen –
[130]
CHRISTINE.
Ach Sylva, du bist da, – ja Kind!
Ja ja! 's geht viel in eine Stunde – ja,
Ich ließ dich bitten, – komm du zu mir, komm!

Sylva kommt zu ihrem Stuhle und kniet.

Dein wohlgebildet Antlitz ist wie Sonne –
Wie geht es dir?
SYLVA.
Ach, meine gnäd'ge Frau,
Ihr seht so traurig – ist Euch was geschehn?
CHRISTINE.
Bist du ganz hergestellt?
SYLVA.
Ja, Königin,
Schon lange – – 's war ein kurzes Fieber nur,
Ein Irrtum, der die Sinne mir betäubte,
Jetzt seh' ich alles wieder richtig an,
Und liebe alles wieder wie vorher –
CHRISTINE.
Glückselig Kind, das nur ein kurzes Fieber
Zu überwinden hat!
SYLVA.
O seid Ihr traurig!
Und kann ich Euch nicht trösten, hohe Frau?
CHRISTINE.
Nein, gute Sylva. Trost ist jener Arzt,
Der dann erst kommt, wenn unsre Wunden heilen,
Und ich bin nicht verwundet, ich bin krank,
Bin krank von meiner Mutter Schoße her;
Mein Blut ist's, das mich unruhvoll vorüber
An jeglichem Besitze treibt, an jedem Glücke –
So kann ich mit dem Tode erst genesen.
SYLVA.
O nein, Ihr seid so reich an Gaben!
CHRISTINE.
Ja!
An Gaben zum Empfang, nicht zum Genusse!
Ich konnte alles, alles an mich reißen,
Und wenn ich's hatte, ward's ein eitler Tand –
Ihr Wenigen, die ihr mir nachgefolgt,
Wie leidet ihr!
SYLVA.
Nicht doch!
CHRISTINE.
Ich seh' es wohl!
Nicht mir, nicht meinem Herzen opfert ihr,
Nur einem Pflichtgedanken opfert ihr!
Tät' ich Unwürdiges, was euch entbände,
Ihr flögt davon wie freigelaßne Vögel –
[131] Sag' nichts – ich weiß es – aber merke dir
Des Rätsels Lösung: sei das ganz, wozu
Dich die Natur bestimmt, sei ganz ein Weib!
Dann hält dich die Natur in glücklichen Kreisen.

Ihr liebkosend.

Du Glückskind mit dem lieblichen Gesicht,
Wie unnütz rat' ich dir! Das ist dein Glück,
Daß du nicht schwanken kannst, ein Weib zu sein –
Was trägst du denn da Schimmerndes im Busen?
So tief versteckt? – Ist es ein Talisman?
SYLVA
zitternd.
Ach nein – ich lieb' es nicht – ich will es alle Tage
Abtun – laßt! – Dämonisch ist es! Laßt!
CHRISTINE
hat das Amulett hervorgezogen, und schreit auf – sie reißt es ihr hastig ab.
SYLVA
aufspringend.
Ihr tut mir weh! –
CHRISTINE
die ebenfalls aufgesprungen ist.
Hinweg!
SYLVA
stolz.
Majestät!
CHRISTINE.
Hinweg! – Wo hast du's her?
SYLVA.
's ist min! Gleichviel woher – ich hab's gefunden!
CHRISTINE.
Am Halse eines Liebsten hat du's gefunden!
Hinweg mit dir!
SYLVA
steht einen Augenblick unschlüssig und geht dann rasch.
5. Szene
Fünfte Szene.
Christine allein.

CHRISTINE.
Und nun umringt mich, all ihr Heiligen,
Daß ich ihn treffe in des Lebens Mark,
Den niederträchtigen Verräter!

Sie klingelt heftig – Santinelli erscheint.

Brahe, Malström, von der Schnure
Bescheide Augenblicks hierher!

Santinelli verbeugt sich und geht.

Er soll's empfinden, der Verruchte,
Daß ich noch Königin und Herrin bin,
Und daß ein Zucken meiner Augenbraue
Entscheidung kündet über Tod und Leben,
Er soll's empfinden an dem eignen Leibe!

Sie klingelt – ein Diener tritt ein.

[132] Pater Le Bel, der Trinitarier-Prior,
Soll alsogleich gebeten werden, sich
Auf meinem Zimmer schleunigst einzustellen!

Diener verbeugt sich.

Warte! Die Schlüssel zu der Hirschgalerie
Sind Santinelli einzuhändigen!

Sie macht eine Handbewegung – Diener ab.
6. Szene
Sechste Szene.
Von der Schnure. – Christine.

CHRISTINE.
Ihr seid mir stets der bereiteste Diener,
Seid mir willkommen, Freiherr von der Schnure!
SCHNURE.
Die Schnure suchten darin ihren Ruhm.
CHRISTINE.
Gelegenheit ist da, es zu bewähren,
Wie streng Ihr sorgt für Makellosigkeit
Des königlichen Ansehns allerwege.
7. Szene
Siebente Szene.
Brahe. – Malström. – Die Vorigen.

CHRISTINE.
Seid mir gegrüßt! – Ich hab' Euch herberufen,
Um Recht zu sprechen über ein Verbrechen.
Es ist so klar und einfach dies Verbrechen,
Daß Ihr es stehnden Fußes richten würdet;
Da es jedoch ein Menschenleben gilt,
Wenn auch ein schwer verworfenes, so sei
Die Prozedur in guter Form begonnen.
Nehmt Platz, Ihr Herrn!

Nachdem sich Christine gesetzt, setzen sich alle.

Ihr seid mir nachgefolgt in treuer Liebe
Für mich und unser Königshaus,
Ihr werdet nicht gestatten, daß der Würde,
Die unveräußerlich mir angeerbt,
Ein Leid geschehe, oder gar ein Frevel.
Ihr wißt, daß ich mit Schwedens Krone
Das königliche Recht nicht niederlegte;
Ich hab' mir dies ausdrücklich vorbehalten
Für meine Lebenszeit, für jeden Ort. –
[133] Mein Diener, der Marchese Monaldeschi,
Hat, wie sich jetzt beweislich dargestellt,
Seit Jahren meinen Dienst und mich verraten –
Ihr kennt das Attentat auf offner See,
Ihr wißt, wie ich es großmutsvoll vergeben,
Umsonst! Er hat seitdem ununterbrochen
Mit Schweden unterhandelt zu dem Zwecke,
Mich auszuliefern, mich zurückzubringen,
Sei es mit List, sei's mit Gewalt!
Ein neuer Plan kommt eben mir zu Handen,
Ein Plan bis in das Kleinste ausgerechnet,
Und mit dem Premierminister Frankreichs,
Mit Mazarin verbrieft und abgeschlossen,
Mich hier aus Frankreich heimlich fortzuschleppen,
Und morgen, heute, wenn es tunlich ist!
Wie beißt nach Eurem Rechtssinn solcher Frevel?
SCHNURE.
's ist Hochverrat!
BRAHE.
's ist schnödes Attentat!
CHRISTINE.
Wie heißt die Strafe?
SCHNURE.
Tod!
CHRISTINE.
Nun, Brahe? Malström?
BRAHE.
Ich glaube auch, daß schwedisches Gericht
Auf Tod entschiede –
CHRISTINE.
Lest die Briefe!

Sie reicht sie ihnen und steht auf. Die drei stehen ebenfalls auf, teilen sich in die Briefe und tauschen sie gegenseitig aus – Christine geht umher, mitunter stehen bleibend und scharf auf Brahe blickend.
CHRISTINE.
Nun?
SCHNUR.
Unzweifelhaft!
BRAHE.
Der Frevel liegt zutage.
CHRISTINE
setzt sich – nach ihr die andern.
So sprecht sein Urteil!
SCHNURE.
Tod!
BRAHE.
Erlauchte Königin!
Wir sind ja kein Gerichtshof, um zu urteln,
Und sind in fremdem Lande nur als Gäste –
CHRISTINE.
Was? Seid Ihr nicht mein Rat, wo ich auch sei?
Und bin ich nicht ein königliches Haupt,
[134] Wo ich auch sei?
MALSTRÖM.
Das bist du, Herrin; doch
Du bist nicht königlicher Richter mehr,
Seit du das Sinnbild königlichen Rechtes,
Die Krone und den Zepter hingelegt,
Seit du den Boden hinter dir gelassen,
Aus dem dein königliches Recht entsprossen –
Nur einer richtet über Leben und Tod,
Nur einer in jedem Lande ist König!
CHRISTINE
springt auf – die andern erheben sich ebenfalls.
Was hör' ich?
MALSTRÖM.
Königin, du hörst dasselbe,
Was du vor deiner Thronentsagung hörtest,
Und was du dort wie hier nicht hören wolltest.
CHRISTINE.
Sind meine Sinne irr'? Versteh' ich falsch?
Graf Brahe!
BRAHE.
Königin, ich denk' dasselbe.
CHRISTINE.
Es ist entsetzlich, und Ihr seid Verräter!
Und dieser Mann allein

Auf Schnure zeigend.

ist treu und brav!
BRAHE UND MALSTRÖM.
Das sind wir nicht.
CHRISTINE.
So schreiend ist der Frevel,
Und Ihr seid nichts dafür als Splitterrichter?

Zu Brahe.

Du grauer Diener meines Vaters, der
Sich rühmt, mich wie ein Kind von Gustav Adolf
Geerbt zu haben für Schutz und Liebe!
Du läßt mich beleidigen,
Läßt mich verhöhnen,
Und du hast nichts dagegen
Als Achselzucken?
Es fehlt nur, daß mich ein Bösewicht
Mit frecher Hand auf die Schulter schlüge.
O, Graf Brahe spräche gewiß:
Ei das ist schlimm! Ei das ist schlimm!
Allein es ist die Schulter nur,
Er hat sie nicht ins Angesicht geschlagen!
BRAHE.
Du tust mir weh und unrecht, Königin.
CHRISTINE.
Ich tu' dir recht!
Meines Vaters Kind und die Königin
[135] Sind verhöhnt und verraten!
Eine gekrönte Königin von Schweden!
Und ein schwedischer Brahe,
Einer aus dem Geschlechte,
Das nach den Wasas zunächst dem Throne
Gestanden von uralten Zeiten,
Er steht dabei und stottert und stammelt,
Und weiß nicht zu strafen!
BRAHE.
Das Maß ist voll; es soll nicht überfließen.
Solche Worte scheiden für immer.
Maß halten, vereinen – das war der Sinn,
Dem ich ein langes Leben gewidmet;
Um gerecht zu sein, war ich öfters verzagt –
Hier aber weiß ich genau, wo die Grenzen sind
Zwischen dir und dem Fremden,
Zwischen Wasa und Brahe,
Und ich werd' sie dir zeigen.
Höre mich reden, Königin Christine!
Du hörst mich vielleicht nicht wieder.

Kurze Pause.

Daß es so kommen würde in wüster Fremde,
Wir haben dir's tausendfach gesagt,
Da es noch Zeit war auszuweichen;
Wir haben gewarnt, gebeten, gefleht,
Wir haben dir vorgemalt,
Daß dein Leben abenteuerlich sei,
Wie ein Abenteuer verlaufen werde –
Es war umsonst!
Just abenteuerlich wolltest du's haben –
Unser Rat war in den Wind gesprochen!
Trotzdem verließen wir unsern Herd,
Und folgten dir – aus uneigennütziger Sorge
Für dein Gedeihn; keine Lehenspflicht,
Kein Königsrecht verpflichtete uns,
Und selbst keine Neigung zog uns.
Von Land zu Lande folgten wir dir;
Du tatest nur, was uns zuwider,
Verspottetest unsere heimischen Sitten,
[136] Schworst ab einen Glauben, den wir verehren,
Gönntest nirgends Ruhe und Statt –
Von Land zu Lande folgten wir dir,
Und ich alter Mann tat desgleichen;
Es fraß mich der Schmerz wohl Tag und Nacht,
Ich schwieg und war dir zu willen.
Was heischest du jetzt? Ein Königsrecht,
Das du selbst zu Stockholm in dem Maße
Als Königin nicht besessen,
Du heischest es in fremdem Lande,
Das dir nicht günstig gesinnt ist,
Du heischest es, als wenn du nimmer
Der Krone dich entäußert,
Und von uns just, welche die Krone
Dir halten wollten,
Und deinetwegen nicht halten konnten,
Von uns just heischest du Rechte der Krone,
Die über die Krone hinausgehn,
Mit Ungestüm und mit Gewalt –
Das sprengt den längsten Faden von Geduld,
Und hier ist die Grenze,
Daß Brahe ging mit Christinen!
CHRISTINE.
Sieh, alter Graf, welch trefflich Gedächtnis
Du hast für Vorwurf und Übel,
Und nur für das Rechte versagt es dir!
Wart ihr nicht alle zugegen in Upsala,
Da ich die Krone niederlegte?
Mich dünkt, ich sah euch alle,
Dich Graf Peter Brahe gewiß!
Wie hieß der Schluß von meiner Abdankung?
Schüttle doch dein Gedächtnis, Graf Brahe!
Es hieß, horch auf!
»Ich muß tun und lassen können, was mir beliebt,
Und nur dem allmächtigen Gott muß ich
Rechenschaft schuldig sein –
Alle Gerichtsbarkeit muß ich behalten
Über die Tischgenossen und über die Leute
Meines Hauses.«
[137] Hieß es nicht so? Versteht ihr das?
Wer widerspricht?

Pause.
MALSTRÖM.
Ja, Königin, so hieß es.
CHRISTINE.
Nun endlich kommt Euch der Sinn!
MALSTRÖM.
Und dennoch widersprech' ich,
Und dennoch sprech' ich gegen die Macht,
Die du in Anspruch nimmst –
CHRISTINE.
Verwegener Graf, ich will sie dich fühlen lassen,
Dich selbst – wer hindert mich?
MALSTRÖM.
Gesetz und Sitte – und, wenn diese schweigen
Mein gutes Schwert.
CHRISTINE.
Du brichst in offene Empörung aus!
MALSTRÖM.
Die gibt's nur gegen einen Landesherrn,
Doch du bist länderlos und bist vor Recht
Privatperson, die Königin gewesen,
Die Königin genannt wird – ich und Brahe
Sind deine Diener nicht, sind freie Grafen
Des schwedischen Reichsrates – wenn wir fehlen,
So richtet uns der Reichsrat von Upsala.
Selbst unser König tut es nicht allein;
Und ähnlich ist der Fall, um den sich's handelt
Mit dem Marchese Monaldeschi.
CHRISTINE.
Was?
MALSTRÖM.
Beiseite bleibe jene Schlußbedingung,
Die uns dein Mund soeben wiederholt:
Sie ist ein mißlich Recht in jedem Falle,
Und ist nur Recht, wenn du in Schweden bist.
Kein fremdes Reich hat sie dir anerkannt,
Kein Reich der Christenheit kann sie gestatten;
Das Richtschwert kann nicht wandern nach Belieben,
Und kann nicht fallen, wo es ihm beliebt.
Ja selbst in Schweden kann dir solch ein Recht
Nicht ohne Aufsicht zugestanden werden,
Selbst um den Preis von Schwedens Krone nicht.
Der König und der Reichsrat müßten immer
Erst da bestätigen, wo du gerichtet;
Zwei oberste Gewalten gleich an Macht
[138] Kann es nicht geben in der Monarchie –
Und hier willst du, die Königin von Schweden,
Als Hochverrat bestrafen, was der König
Von Schweden selbst befohlen und geteilt!
Doch alles dies, was mir unfraglich scheint,
Erwähn' ich nur beiher – es ist der Fall
Mit Monaldeschi noch viel schwieriger,
Denn der Marchese Monaldeschi ist
Der Sohn von einem schwed'schen Reichsratsgrafen,
Und unser Reichsrat nur ist sein Gericht.
CHRISTINE.
Was? Welche Possen!
BRAHE UND SCHNURE.
Was ist das?
MALSTRÖM.
Ihr wißt,
Graf Brahe, wie ich ihn verfolgt, bis wir
Zu Schiffe gingen; auf der Überfahrt
Entdeckt' er mir, was er vor jedermann
Aus Eigensinn verschwiegen: ausgerüstet
Ist er mit allen Dokumenten der Geburt,
Doch weil er Kind der Liebe, weil er trotzig
Allein und ohne Erbanspruch sein Leben
Sich bilden wollte, schwieg er allerwärts –
Er ist ein Sohn des wilden Grafen Sture.
CHRISTINE.
Gerechter Gott!
BRAHE.
Ha, meine Ahnung!
SCHNURE.
Wie!

Kurze Pause.
CHRISTINE.
Vom wilden Sture! – Ja, dies verbrecherische
Und wilde Blut ist ihm ererbt,
Eine Wohltat ist's für der Menschen Gesellschaft,
Wenn sie befreit wird von der Greuelrasse!
So ist er obenein halb schwedisch Blut
Und doppelt meinem Richtschwert unterworfen.
Doch stammte er vom Bösen selber ab,
Und klagtet ihr noch viel erbärmlicher
Um Recht und Strafe – er ist mir verfallen,
Und stirbt, so wahr ich Königin Christine!
Versteht ihr mich, rebellische Reichsratsgrafen?
So gehet hin und schildert mich in Schweden!

[139] Sie geht entrüstet nach vorn, ihnen den Rücken kehrend und mit verschränkten Armen stehen bleibend. Jene wenden sich zum Gehen – an der Tür kommt ihnen Monaldeschi entgegen. Brahe, leise grüßend, und Schnure gehen an ihm vorüber und ab.
8. Szene
Achte Szene.
Monaldeschi. – Malström. – Christine.

MALSTRÖM
nahe zu ihm tretend und gedämpft sprechend.
Entflieht! Ihr seid verraten und verdammt!
MONALDESCHI.
Verraten! Ich spiel' immer offnes Spiel,
Und habe immer offen konspiriert.
MALSTRÖM.
Gleichviel!

Auf Christinen deutend.

's gilt deinen Kopf!
MONALDESCHI.
Kann sein.
Wo man sich einmal hingestellt im Leben,
Da muß man durch, und geh's durch Not und Tod:
Wer zehnmal neu beginnt, kommt nie zum Ziele;
Ich fließe nie – und Weiber töten nicht Männer!

Die letzten Worte, lauter gesprochen, hat Christine gehört.
CHRISTINE
zusammenfahrend.
Ha! das ist des Verräters bestrickende Stimme!

Sie wendet sich um.

Nach der Hirschgalerie seid Ihr beschieden, Marquis!
MONALDESCHI.
Zu Befehl, Majestät.

Ab.
CHRISTINE
zu Malström, der mit will.
Malström, geht dahin

Links zeigend.

und harrt meines Rufes!

Malström ab.
9. Szene
Neunte Szene.
Christine.

CHRISTINE
allein – Monaldeschi nachsehend.
Freches Geschöpf!

Mit einer Handbewegung.

– Das Haupt will ich dir beugen,
Und kein Menschenkind soll dich retten!

Sie klingelt. Ein Diener erscheint.

Führt den Prior hierher!

Diener ab. Sie geht umher.
10. Szene
[140] Zehnte Szene.
Prior Le Bel. – Christine.

PRIOR.
Gott segne Euer königliches Haupt!
CHRISTINE
sich setzend.
Das wolle Gott, ich brauch's. Ehrwürd'ger Vater,
Es ist ein ernst Geschäft, was Euer harrt.
Verfügt Euch in die Galerie der Hirsche,
Dort trefft Ihr meinen Diener Monaldeschi,
Er wartet dort auf Euch, damit Ihr ihn
Zum Tode vorbereitet –
PRIOR.
Majestät –
Ich sah ihn eben, und er schien gesund.
CHRISTINE.
Er ist gesund, allein er ist verurteilt.
PRIOR.
Vom Kardinal und Könige? Allmächt'ger Gott!
CHRISTINE.
Beachte, Priester, wer es dir verkündet!
So wie dein König bin ich Königin,
Und Rechtes Herrin über Tod und Leben.
PRIOR.
Vergebt – von Euch verurteilt, Majestät?
Vergebt – verzeiht – daß ich Bedenken zeige,
Ob Ihr in diesem Lande – ob mein Herr, der König –
CHRISTINE
aufstehend.
Verwegner Priester, tu', was deines Amts!
Der Sterbende harrt in der Hirschgalerie
Auf deinen Trost – und was ihn sonst betrifft,
Das ist nicht deines Amts und deiner Sorge!
PRIOR.
Verzeiht! Es ist dies meiner Sorge, daß,
Soviel ich kann, kein Mensch getötet werde –
CHRISTINE
rasch zum Tische gehend und klingelnd.
Dann stirbt er ohne dich und ohne Trost,
Und seine Seele kommt auf dein Gewissen!

Diener tritt ein.
PRIOR.
O habt Erbarmen, königliche Frau!
CHRISTINE
zum Diener.
Santinelli soll die Hirschgalerie
Dem Marquis Monaldeschi öffnen,
Und soll den Eingang besetzen lassen
Von meinen Trabanten – da ist er selbst –

Diener ab.
11. Szene
[141] Elfte Szene.
Santinelli. – Die Vorigen.

CHRISTINE.
Du hast es gehört?
SANTINELLI
verbeugt sich.
Ich habe – und dann?
CHRISTINE.
Bring' ihn vom Leben zum Tode, sobald er
Seiner Hochwürden gebeichtet – hörst du?
Sobald er gebeichtet.
SANTINELLI.
Zu Befehl, Majestät!

Verbeugt sich und geht.
PRIOR
wirft sich ihr zu Füßen.
O allergnädigste Königin!
O habt Erbarmen um Christi willen!
Vergießt kein Blut – Gott will es nicht!
CHRISTINE.
Ich kann nicht anders, ehrwürdiger Mann!
Steht auf und geht, ich kann nicht anders;
An meinem Haupte, an meinem Herzen
Hat er gefrevelt, er ist des Todes.

Sie geht nach der linken Seite ab, der Prior folgt ihr
mit flehender Gebärde bis an die Kulisse – und geht dann rechts ab.
12. Szene
Zwölfte Szene.
Hirschgalerie.
Eine lange Galerie, deren Pfeiler mit Hirschgeweihen geschmückt sind. Aus der Tür des Hintergrundes – man sieht keine andere Tür – treten zuerst zwei Bewaffnete und stellen sich, ein paar Schritte seitwärts, an beiden Seiten der Tür auf, dann tritt Monaldeschi rasch ein, und hinter ihm, als auf sein beabsichtigtes Zurücktreten die Tür von Santinelli geöffnet wird, sieht man diesen und den Prior und dahinter Trabanten jenseits der Schwelle.

MONALDESCHI
als er die Bewaffneten sieht.

Was sind das für erschreckliche Vorbereitungen? Hier scheint's geratener, das Schwert zu ziehn und rückwärts zu treten. Er zieht sein Schwert und will zurück, gleichzeitig kreuzen die Bewaffneten ihre Schwerter über dem Ausgange, die Tür wird aufgerissen, Santinelli steht mit gezücktem Schwerte davor, hinter ihm Trabanten.

SANTINELLI.
Renne dich auf! Du bist am Ziele.
MONALDESCHI
weicht nach vorn.
Henkersknecht!
PRIOR
hereinstürzend.

Haltet ein! Respektiert den Befehl der [142] Königin, und das Geheisch der Kirche! Seine Seele sei vorbereitet und getröstet, eh' es zum Letzten kommt!

MONALDESCHI.

Was, Priester? Das klingt ja wie ein reif beschlossenes Todesurteil und dringt mir durch Mark und Bein!

PRIOR.
So ist es, armer Mann, und ich bin da, deine Beichte zu hören.
MONALDESCHI.

Das ist nicht möglich! Noch einige Schritte nach dem Vordergrunde weichend, immer halb mit dem Gesichte gegen die Angreifer, und sich an eine Kulisse stellend. Mann der Kirche, du lügst – oder du irrst dich! Du bist getäuscht durch jenen Schurken Santinelli, der seine Bedientenseele aufsteift zur Banditenseele, um seine Karriere zu machen –

SANTINELLI.

Ergeh' dich in deinem Geschwätz, es ist das letzte. Deine Ränke sind am Ziele, und du magst nun ermessen, ob es der einfache Mann und Weg weiter bringt, als der deine – holla, beichte!

MONALDESCHI.

Bis zum Henker hast du's gebracht, Schurke, und du bist so brutal einfältig, nicht zu wissen, daß man den Henker zum Teufel jagt, wenn er sein Geschäft verrichtet hat –

SANTINELLI.
Beichte rasch, oder du fährst ohne Absolution zur Hölle – Zu den Bewaffneten. herbei!
PRIOR.
Halt ein, im Namen Gottes! Tretet zurück!
MONALDESCHI.

Wackre Henkersknechte! Zwei mindestens gehn mit mir hinab, wenn es Ernst wird! Mein Arm ist stark und meine Klinge fest.

PRIOR
nähert sich ihm.

Tu' ab den weltlichen Hochmut und den Trotz auf menschliche Hilfe! Belade nicht deine Seele mit Mord, denn du mußt sterben. Bezwängest du diese, so kämen andere herein, die vor der Tür harren.

MONALDESCHI.

Ist es möglich? Ist es wirklich? So furchtbarer Ernst ist's? Heilige Jungfrau, steh' mir bei! Ehrwürdiger Pater, tretet näher, tretet ganz nahe zu mir! Mit gedämpfter Stimme. Um aller Heiligen willen sagt mir die Wahrheit! Spracht Ihr die Königin? Ist dies alles überlegt und unwiderruflich? Und die schwedischen Grafen schweigen dazu? Und Ihr, ein Franzose, leistet Euren Dienst solchem Morde? Euer harrt ein furchtbar Gericht! Diese Königin ist der Krone bar, hat kein Recht mehr über Leben und Tod, sie kann nicht richten, sie läßt mich morden! Und in fremdem Lande, in Frankreich! – Euer Regent, Seine Eminenz der[143] Kardinal, wird Euch zu schrecklicher Verantwortung ziehn! Er ist mit mir in Verbindung gegen die Torheiten dieser Königin; gegen ihn wie gegen mich geht dieser Angriff, Mann der Kirche, Mann Gottes, bedenke das alles, rede, rede!

PRIOR.
Armer Marquis! das alles ward bedacht, ward besprochen, ward verworfen!
MONALDESCHI.

Es ward? Gerechter Gott! – Entsetzlich! Dann – dann hilft nur eins! Dann eile zur Königin! Gebiete hier Stillstand, eile zur Königin! Ich wollte sie nur noch einmal sehn, ich wollte ihr beichten, ich wollte sterben, aber erst dann, eile!

PRIOR.
Ich geh', aber ich geh' ohne Hoffnung!
MONALDESCHI.
Gleichviel, eile! eile!
PRIOR.
Ich eile. Wendet sich nach der Haupttür.
SANTINELLI.
Seid Ihr zu Ende?
PRIOR.
Keineswegs! Im Namen Gottes, laßt Eure Waffen ruhn, bis ich wiederkehre!
SANTINELLI.
Niemand verläßt den Saal, bis der Verbrecher gerichtet –
PRIOR.
Grausamer Mann, achte den Diener Gottes, ich gehe in Gottes Geschäft –
SANTINELLI.
Ich achte und ehre Euch, aber ich vollbringe meinen Dienst – erst Herrendienst, dann Gottesdienst.
PRIOR.

Du frevelst, Mann! und es wird dir heimkommen! Er wendet sich nach vorn und geht links auf eine Kulisse zu. Glücklicherweise bin ich hier bekannt. Er orientiert sich an den Geweihen über den Pfeilern, drückt an einer Feder, und öffnet eine verborgene Tür. Bei höchster Kirchenstrafe haltet Friede, bis ich wiederkehre! Ab.

SANTINELLI
springt an diese Tür.
MONALDESCHI.

Damit ich dir nicht entgleite, Schuft! Du bist einexerziert wie der beste Scherge, und der Zorn schwillt mir auf, dir das Eisen zwischen die Rippen zu stoßen – Er tritt einen Schritt vor – die Bewaffneten von der Tür sogleich ebenfalls.

SANTINELLI.
Versuch's.
MONALDESCHI
tritt wieder zurück.

Lange Pause.
MONALDESCHI
leise vor sich hinsprechend.
Ich bin umstellt wie ein Wild und wehrlos.
Der Moment ist da, ich fühl's, es rieselt
[144] Wie Schauer des Todes durch mein Gebein!
Ich empfand sie nie – was folgt? Wer weiß es!
Schwarz, schwarz liegt die Unsicherheit da,
Und rosig erscheint der Novembertag
Dieser Erde, die ich kenne und liebe!
Hu! Entsetzlicher Frost, der die Glieder durchirrt –
Der Moment ist da! Dieser Königin
Hab' ich nichts zu sagen –
Um auf Menschen zu wirken, muß man sie lieben –
Sylva! Sylva!
Du hast mir gezeigt, daß ich machtlos geworden!
Ja, ich bin hin und gehe zugrunde
An einem verschrobenen Weibe! –

Pause.
Zu Santinelli.

Franzesko! sei ein Mensch! gedenke unsrer Jugend,
Unsrer Spiele und Träume, gedenke der Deinen,
Die mich geliebt!
SANTINELLI.
Ich bin kein Denker!
MONALDESCHI
rasch.
Du bist bloß Henker!
Nein, nein, du bist es nicht. Du hattest ein Herz
Als Knabe, du hast es noch – o weck' es auf,
O laß meine Stimme es wecken! Sei menschlich!
Tritt von der Tür! – Nie siehst du mich wieder,
Dein Weg wird auf immer befreit von mir –
Franzesko, tu's!
SANTINELLI.
Ich tue meine Pflicht!
MONALDESCHI.
Tu' mehr, Franzesko, Gott wird dir's lohnen!
SANTINELLI.
Nein. Pause.
MONALDESCHI.
Die letzten Momente des Lebens, entsetzlich!
Alles möcht' ich noch einmal bedenken,
Was ich gedacht und getan – und wie das Meer
Drängt sich in Masse alles zu Hauf
Über mich her!
Ich kann nichts sondern und kann nichts wählen,
Und der Augenblick flieht!
O schöne Menschenkräfte,
Die ich vergeuden mußte, weil kein Vater,
Kein Vaterland und kein Beruf sie einte –
[145] Wird's anders werden?
Gemeiner Mut, so bleib mir treu,
So bleib –

Stampft mit dem Fuße.

bleib! Und hilf mir
Über den elementarischen Schauer hinweg,
Der den Tod begleitet!

Kurze Pause.

Und die törichte Seele, sie hoffet doch!
Ich höre, ja ich höre Schritte,
Sie kommt! Ich bin gerettet!
13. Szene
Dreizehnte Szene.
Christine. Der Prior aus der kleinen Tür. Die Vorigen.

CHRISTINE.
Steckt die Schwerter ein, solang' ich zugegen!

Zu Monaldeschi.

Was hast du zu sagen?

Zu den Übrigen.

Verlaßt die Galerie, bis ich euch rufe –
SANTINELLI.
Ihr setzt Euch aus, Majestät –
CHRISTINE.
Gehorche!

Santinelli mit den Bewaffneten und der Prior ziehen sich durch die große Tür zurück.
14. Szene
Vierzehnte Szene.
Christine. Monaldeschi.

MONALDESCHI
sieht jenen nach; als sie hinweg sind, tritt er rasch an die Königin.
Mit welchem Rechte lässest du mich morden?
CHRISTINE
zurückschreckend.
Verwegner! Ist das deine Beichte?
Kennst du diese Briefe?

Während er hineinsieht, fährt sie fort.

Es wird dir volles Delinquentenrecht,
Du siehst, weshalb man dich verurteilt,
Schamloser Betrüger! der nackt und arm
An meine Knie sich drängte in Schweden,
Und mit täuschendem Geiste mir vorgespiegelt,
Er werde eine tröstende Leuchte mir sein
Durch das unsichre Leben!
Den ich erhob und hielt und beschützte
Gegen die ganze Welt, die ihn haßte,
Was verlor ich um dich! Was litt ich um dich!
Die getreusten Freunde verstieß ich,
Weil sie dich nicht mochten!
[146] Die getreusten Freunde verließ ich,
Weil sie dir nicht gefielen,
Und du, für alles das, gingst hin,
Verrietst mich einmal, zweimal, dreimal,
Und einmal mehr als – nein – und deshalb, Schurke,
Und deshalb stirbst du, stirbst du heut und hier.

Pause.

Wo bleibt des frechen Sinns Erwidrung,
Die anzuhören ich herabgestiegen?
MONALDESCHI.
Königin, ich hab' nichts zu erwidern.
Auf solche Anschauung ist nichts zu sagen,
Und da du Mörderhänden gebietest,
Und ich in deiner Macht, so unterlieg' ich.
Vor einer Viertelstunde konnt' ich fliehn,
Ich kannte deine grimme Absicht schon,
Und ich floh nicht!
CHRISTINE.
Du eitler Tor!
MONALDESCHI.
Ganz recht! Ich dachte deinen Geist, und dachte
Unser Verhältnis höher mir, und weiter –
's war eitler Wahn, der mich das Leben kostet!
Wenn eine Königin die Krone opfert
Mit kaltem Blut, so darf man glauben,
Es sei die Welt ihr nicht erschöpft
Im Herrschen und Dienen,
So muß man glauben, es sei ein Mann,
Dem sie ihr herzlichstes Vertrauen weiht,
Dem Kreise entrückt, wo man zahlt oder straft –
So war es nicht! Den Vorteil der Herrschaft
Gabst du dahin, und die freie Seele,
Die menschlich frei mit Menschen verkehrt,
Die Menschen achtet, auch wo sie zürnt,
Die freie Seele gewannst du nicht!
So laß mich sprechen in deiner Weise:
Den kräftigsten Teil meines Lebens
Hab' ich verbracht und verloren
An deiner Seite, was ward mir dafür?
Die Welt stand mir offen, als ich dich suchte,
Ein vielbegabter kühner Abenteurer!
Ich suchte Raum zum Wirken und zum Schaffen,
[147] Und wählte dich und deinen Wirkungskreis,
Nicht dieses Frankreich, wo mein Landsmann herrscht,
Der mir ein weites Feld für Taten bot,
Ich wählte dich, weil dich Europa rühmte
Als seltenen Verein von Geistesgaben,
Weil ich den Genius des Unternehmens
Bei dir gesichert und gefördert glaubte.
Was fand ich? Überdruß am Handeln,
Weichlichen Wissensplunder, der am Ende
Zu sein glaubt, wenn er fragt und weiß,
Und der zu glauben lechzet statt zu harren,
Wo ihm die Wissenschaft nicht weiter hilft!
Ein Thronentsagen fand ich, ein Umherziehn
In hohler Eitelkeit, ein Abenteuern
Ganz ohne Halt und Ziel, das fand ich. Wahrlich,
Viel reicher war ich, eh' ich dich gefunden,
Und dir vergeudet hab' ich schöne Jahre,
Und dir geopfert hab' ich welch ein Leben!
Von Kraft und Plänen strotzend – und das Ende
Von all der Herrlichkeit, die du gewährt,
Gewalt'ge Königin? Es ist das Los,
Das einen jämmerlichen Sklaven
In einem türkischen Serail erwartet!
CHRISTINE.
Bist du zu Ende?
MONALDESCHI.
Ja, ich bin's.
CHRISTINE.
So fahre wohl! –
MONALDESCHI
ihr zu Füßen fallend.
Halt ein! Laß mir das Leben!
Laß mir das Leben! Ach, es ist so süß!
Und wär's bloß Atmen, Sehen und Verlangen!
CHRISTINE.
Ich kann es nicht – du hast die tiefste Seele
Zu schreiendem Hasse mir aufgestört!
Du darfst nicht leben – fahre wohl!
MONALDESCHI
springt auf und zieht den Degen.
Wohlan!
Hier gilt's! Leben um Leben! Weich' oder stirb!
CHRISTINE.
Verwegner, ich rufe –
MONALDESCHI.
Der Ruf ist dein Tod!
Tritt abwärts von der Tür! Die Tür ist mein!
15. Szene
[148] Fünfzehnte Szene.
Sylva erscheint in der kleinen Tür. Die Vorigen.

MONALDESCHI
sobald er sie sieht, läßt er den Degen sinken, fällt auf ein Knie und wendet kein Auge von ihr.
Sylva, mein Engel, du kommst mich retten!

Während sie sich ihm nähert, hat Christine unter einer zornigen Bewegung gegen beide die Tür gewonnen, und in dem Augenblicke, wo Sylva zu ihm spricht, ruft Christine laut: Santinelli! und verschwindet hinter der kleinen Tür.
SYLVA.
Gib mir mein Kreuz zurück!
Sie hat dein Amulett geraubt!
16. Szene
Sechszehnte Szene.
Santinelli mit den Bewaffneten. – Der Prior. – Die Vorigen.

SANTINELLI
stürzt mit gehobenem Degen auf Monaldeschi zu, der im Anschauen Sylvas nichts bemerkt, und von Santinelli durch den Rücken gestoßen wird – währenddes ruft.
DER PRIOR.
Im Namen Gottes haltet ein!
MONALDESCHI
hoch auffahrend.
Jesu Maria!

Sämtliche Bewaffnete stürzen zu Santinelli herbei, und bilden – den Prior, Sylva und Monaldeschi zusammendrängend – einen Knäuel.
SANTINELLI
stößt rasch mitten im Getümmel zum zweiten Male; man hört einen durchdringenden Schrei Sylvas.
Nun beichte!

Der Knäuel wirrt sich rasch auseinander, man sieht Monaldeschi taumeln und zu Sylvas Füßen stürzen.
MONALDESCHI.
Weh mir! Hilf, Sylva! Hilf! Er stirbt.
PRIOR
zu Santinelli.
Über deine Mörderseele dies Blut!

Totenstille. Sylva steht regungslos.
17. Szene
Siebzehnte Szene.
Malström erscheint hastig durch die kleine Tür. – Die Vorigen.

MALSTRÖM
entsetzt im Laufe stillstehend.
Zu spät! – Sylva!
SYLVA
streckt die Arme wie abwehrend, und Monaldeschi behütend entgegen.
MALSTRÖM.
Drück' ihm die Augen zu, Sylva!
Daß er stille schlummre und diese Welt,
Die ihn gehaßt, nicht länger sehe –
SYLVA
aufschreiend.

Er ist tot? Sie beugt sich über ihn, legt die Hand [149] auf Augen und Herz, fährt in die Höhe, preßt die Hände vor Herz und Augen und spricht wie entrückt und irr.

Nun ist er rein,

Und ich bin sein

Für alle Ewigkeit!


Sie sinkt auf ihm zusammen.
MALSTRÖM
zueilend.
Sylva, Geliebte!
PRIOR.
Sie blutet, sie blutet!
18. Szene
Achtzehnte Szene.
Brahe. – Die Vorigen.
Santinelli und die Bewaffneten stehen während alledem regungslos mit noch immer gezogenen Schwertern, der Prior betend.

BRAHE
ruft außen, noch ehe er an der kleinen Tür erscheint.
Wo ist die Mörderhöhle?
MALSTRÖM
sobald er die Stimme hört, springt er auf, reißt seinen Mantel ab, und bedeckt Sylva damit, so daß man nur Monaldeschis Leiche deutlich sieht – dann eilt er zum eintretenden Brahe, und ruft zurück.
Tretet vor und verbergt das Unglück!

Die Bewaffneten treten vor.
BRAHE
an der Schwelle.
Da ist sie!
PRIOR
auf Santinelli deutend.
Und hier steht der Mörder!
MALSTRÖM
Brahe an der Hand fassend und nach vorn wendend.
Sieh nicht dorthin, dort ist Entsetzen!
BRAHE.
Und du kamst zu spät?
MALSTRÖM
nickt mit dem Kopfe.
BRAHE.
Und ich fand mich nicht
In dem Labyrinthe von Treppen und Gängen.

Sich rückwärts wendend, was Malström zu verhindern sucht.
19. Szene
Neunzehnte Szene.
Christine durch die kleine Tür verstört hereinstürzend.

CHRISTINE.
Ist es geschehn?
BRAHE.
Es ist geschehn!
CHRISTINE
schreit auf und bedeckt sich das Gesicht.
Wer tat's?
[150] MALSTRÖM.
Du selbst!
PRIOR
auf Santinelli zeigend.
Dieser böse Mann! Und er ließ ihm nicht Zeit,
Zur Beichte nicht und nicht zur Absolution,
Ich verklage die Tat vor Gott und Menschen!
CHRISTINE
vor sich hinstarrend.
Die Ruhe und die Größe meines Lebens
Sie sind dahin! Ich habe sie gemordet!
MALSTRÖM.
Das hast du, und mehr!
BRAHE.
Da sprichst du wahr – leb' wohl, Christine!
Du bist allein.
CHRISTINE.
Ich bleib' allein zum Sterben;
Mein Schicksal ist erfüllt.

Der Vorhang fällt.

Schluß.

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TextGrid Repository (2012). Laube, Heinrich. Dramen. Monaldeschi. Monaldeschi. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-DB12-8