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Obwohl frei ohne jedes andere Maß und Ziel, als das sie selbst sich setzt, folgt doch die Dichtung gern dem [670] Gefangenen in die Kerkerzelle und zum Schafott, aber sie verstummt unter dem Geräusche der christlich-deutschen Justiz. Wie sie es verschmäht, ihm in die schmutzigen Höhlen des gewerbsmäßigen Verbrechens zu folgen, so bleibt sie auch vor jenen verschlossenen Türen stehen, hinter welchen das Leben des Menschen stückweise an die Paragraphen eines fremden, toten Rechts gehalten wird. Sie läßt an ihrer Statt ihre Schwester mit dem stillen, unbewegten Auge, die Geschichtschreibung, eintreten und in dem Aktenstaube wühlen.
Drei Jahre waren seit dem Tode des Fischers verflossen, der den Amtmann von Ebersbach und den Vogt von Göppingen gegen den Meuchelmörder in Bewegung gesetzt hatte. Es gab keine Vögte mehr im Lande, der Herzog hatte ihnen den Oberamtmannstitel erteilt, weil man, wie er sich in seinem Reskripte ausdrückte, den vorgesetzten Stabsbeamten zu ihrer Amtsführung, Erhaltung der fürstlichen Rechte und Vollziehung der Regierungsbefehle niemals zu viel amtliche Autorität und zu solcher niemals zu viel Mittel an die Hand geben könne, die bisherige Benennung Vogt aber die wahre Dignität und den großen Umfang ihres Amtes zu wenig ausdrücke, dieses vielmehr in seinem Wert, besonders gegen Fremde, um ein Großes herabsetze.
So war auch der Vogt von Vaihingen an der Enz seit einem Jahre Oberamtmann geworden, als er eine Reihe von Protokollen mit dem folgenden begann:
»Vayhingen. Actum den 7. Martii 1760, vor dasigem Oberamt, in Gegenwart der beeden Gerichtsverwandten [671] Mattheus Brechten und Joseph Luipoldten, als Urkunds-Persohnen. Gestern Abends, um ungefähr 5 Uhr, geschähe es, daß von dem Brucken-Thorwart, Christian Freppe, ein unbekannter Kerl, nachdeme ihm jener vorher die Pässe abgefordert, auf dem Pferdt sitzend, vor die Oberamtey geführt, und als er anfänglich von dem Oberamtsscribenten Heermann, und bald darauf auch von mir, dem Oberamtmann selbsten, unter dem Hauß gefragt wurde, wer er seye? wo er herkomme? und wohin er wolle? darauff zur Antwort gab: daß er ein Crämer: von Pforzheim komme: bey dasigem Schwerdtwirth ein krankes Weib liegen habe, und nun, um einen Doktor zu consuliren, nacher Schozach oder Höfen reutten wolle! da aber Oberamtmann, seiner ganz unverdächtig geschienenen Pässe ohngeachtet, (deren 2 unter dem großen Stadtsigill von Straßburg, under dem 10. April und 14. Sept. 1759, der dritte aber von Comburg und unterm 16. Januarii 1760 datirt und ausgefertiget waren) eine gewieße Alteration an ihm wahrgenommen zu haben glaubte, und ihm deßwegen in faciem befahl, daß er absteigen und mit ihm in die Amtsstube heraufgehen solle, alsogleich das Pferdt umwandte und in vollem Galopp gegen dem Enzweihinger Thor zuritt, unter diesem Thor aber, auf das Rufen gedachten Scribentens, der ihn durch einen nähern Weg coupirt und mit ihm vor das Thor kam, von dem Pferdt abstieg, gegen den Schlosser Mathäus Brechten auf sein Zurufen: daß er ihm den Schmidhammer in Kopf werfe, wann er nicht halten würde! eines seiner 2 unter dem Rock-Futher versteckt-gehabt-scharffgeladenen Pistöhlen [672] hervorzog, solches, nachdem ihm Brecht hierauf auf den Leib sprang, und von hinten her umfasset, demselbigen an den untern Leib drückete, auch, nach seiner ungezweifelten Absicht, auf ihn abgefeuert haben würde, wo er nicht den Hahnen zu spannen vergessen, und durch Hülffe des bald darauff dazu gesprungenen Mezgersjungen, Schemels, und dessen Meisters, Leonhardt Arlets, überwältiget worden wäre. Nach diesem Vorgang wurde er in die Oberamtey geführet, stellte sich daselbst ganz betrunken, beklagte sich über das harte Tractament der Leuthe, die ihn beygefangen, und ließ weiter keine verständliche Antwortt von sich kommen, als daß er sagte, er sei ein kaiserlicher Deserteur, heiße Johannes Klein, die Pässe und das Pferdt gehören einem Mann, der ihm letzteres geliehen, etliche Stund vorausgegangen und heute früh bey Heilbronn Seiner erwartten werde; Weil man nun über alles dieses nichts als: Kugeln, Pulver, Schwefelhölzlen, Feuerstahl, Stein, Zundel, ein Fingerlanges Wax-Kerzlen und ein hebräisches Wörterbuch bey ihm gefunden; So wurde selbiger die Nacht über in dem Blockhaus auf das schärf feste geschlossen und angefesselt, anheute aber vorgeführet, und ihm oberamtlich zu erkennen gegeben, Daß er, allen Umständen nach, ein Räuber, Mörder, und einer der größesten Spitzbuben seye, der den Händen der Obrigkeit nimmer entgehen, und weiter nichts übrig haben werde, dann daß er, durch eine wahre Er- und Bekanntnuß seiner begangenen grosen Missethaten, seine Seele noch zu erretten suche, hisce praemissis aber befraget: Q. 1. Wie er heiße, woher und wie alt [673] er seye? – R. Er sehe nun schon, daß er in die Hände der Obrigkeit gefallen, wolle, durch Verläugnung seiner Persohn und begangenen Missethaten, seine Verschuldung vor Gott und der weltlichen Obrigkeit nicht noch gröser machen, seine Sünden unsrem Herrgott demüthiglich abbitten, den Landesfürsten um eine gnädige Strafe anflehen, und hiemit frei bekennen, daß er der sogenannte Sonnenwirthle seye, eigentlich aber Friedrich Sehwahn heiße, von Eberspach, Göppinger Amts, gebürtig, 31 Jahre alt und von Profession ein Mezger seye, auch nicht nur an dem sogenannten Fischerhanne zu Eberspach einen Mord begangen, sondern auch sich sonsten hie und da auff vielerlei Arth schwehrlich versündiget habe; welches er alles gewissenhaft bekennen und darunter weder Seiner selbsten, noch derjenigen im Geringsten verschonen wolle, welche an seinen Verbrechen Theil gehabt, und zum Theil in Garlsruhe und Stein, Durlachischer Herrschaft, wirklich in Verhaft genommen seyen, und das um so mehr, als ihm sein so sündliches als elendes Lehen (bei dem er unterdessen wenig gute Tage gehabt, auch von Hunger, Kälte, und seinen sich dabei gemachten Strapazen entsetzlich viel erlitten) schon lange entlaidet, wie er dann aus diesem Grund nicht nur an den Durlachischen Beamten zu Stain, erst vor 8 Wochen, mit aigner Hand, unter dem Namen Gillch, ein weitläufiges Schreiben, so ihm auch vermuthlich richtig werde belüfert worden seyn, des Inhalts habe ergehen lassen, daß wann man ihm Gnade versprechen und erteilen wolle, er ihme, dem Herrn Beamten, auf etlichen Jahrmärkten eine damals in [674] der Nähe geweßte Partie von sechzig Mann, so lauter Juden geweßt, und dann wiederum eine andere Partie Spitzbuben von eben so gros- oder noch gröserer Anzahl, welche sich dieß-und jenseits dem Rhein, bei Gannßheim, Moßhardt und Oberacherach, in den Wäldern auffhalten, und ihre besondere Hüttinen darinn haben, ohne allen Anstand in die Hände lüffern, und dadurch die ganze Gegend von diesem Gesindel reinigen wolle, sondern auch, da er gehöret, daß seine Herzogliche Durchlaucht in der Retour aus der letzten Campagne durch Mergenthal passiren werden, er sich zu dem Ende in dem Orth begeben habe, um sich Höchstdemeselben zu Füßen zu werffen, sich zu erkennen zu geben und um Gnade zu bitten; Weil aber Seine Durchlaucht die Stadt nicht passiret, so seye ihm die Gelegenheit dazu abgeschnitten worden. – Q. 2. Ob seine beede Eltern noch im Leben? R. Sein Vatter sey noch im Leben, und ohngefähr 75 Jahr alt, seine rechte Mutter aber schon vor 15 Jahren gestorben; Nach ihrem Tod habe sich sein Vatter wiederum an eine Frau verheurathet, die wenig Liebe vor ihne und seine Geschwistrigte bezeugt, sehr böß und vortheilhaftig, und eben deßwegen viel daran schuld gewesen seye, daß, da er sich in ihren Kopf nicht schicken können, ein Excess aus dem andern bei ihm darüber entstanden, und er zuletzt auf die unglückseligste Abwege gerathen. – Daß vorstehende Aussage auf beschehenes Vorleßen von dem Inquisiten nochmalen bestätiget worden, Ein solches bezeugen die Urkunds-Persohnen: Matheus Brecht, Joseph Luypoldt.« Der wichtige Fang wurde von dem Oberamtmann sogleich [675] untertänigst einberichtet und, da nach wenigen Tagen die Resolution einlief, daß die Untersuchung in Vaihingen, als in foro deprehensionis, geführt werden solle, mit derselben fortgefahren.
So war denn der Verbrecher aus verlorener gesellschaftlicher Stellung nach kaum dreijähriger Laufbahn ein lebensmüder Gefangener und Verräter seiner Mitschuldigen geworden. Dieser letztere Zug darf am wenigsten übergangen werden, denn es handelt sich hier nicht darum, durch den Aufputz eines Helden der Vorstellung des Lesers zu schmeicheln, sondern die innere Welt eines Menschen aus dem Volke darzulegen, damit, wer da will, sich daran spiegeln möge.
Zum Glück ist das Protokoll des Oberamtmanns von Vaihingen nicht die einzige Quelle hiefür. Er war, im Geiste seiner Zeit, ein gewissenhafter Beamter, persönlich ein Menschenfreund und Ehrenmann, dessen Nachkommen noch heute stolz darauf sind, daß er nicht wie fast alle Regierungsdiener um ihn her, seine Stelle vom Herzog erkauft habe, sondern eher den Dienst aufgegeben als sich zum »Schatullieren« erniedrigt haben würde; aber eine innerliche Auffassung des Lebensbildes, das die Untersuchung vor ihm entrollte, in den Akten niederzulegen, war nicht seines Amtes, und gleich das erste Protokoll zeigt, daß er Inquirent genug war, sich das überraschend freiwillige Entgegenkommen seines Gefangenen – dem er nicht so leicht beigekommen wäre, wenn dieser nicht selbst, gebrochenen Gemüts, ihm seine Seele in die Hände gelegt hätte – nach den Quadrangeln des Inquisitionsprozesses [676] zurecht zu machen; ein Verfahren freilich, das ihm weniger als seiner Zeit und seinem Amte angehört.
Der Oberamtmann hatte einen Sohn, der den Verbrecher täglich, wenn er ins Verhör geführt wurde, sah, die allgemeine Teilnahme der Stadt an den vielen freundlichen Seiten im Wesen des Unglücklichen mitempfand und sich häufig mit ihm unterhielt. Die Familiensage erzählt von ihm, daß er schon als Knabe, wie später noch im Mannesalter, für Cato und Brutus, als die größten Männer, geschwärmt habe. Aus dem Munde dieses Knaben erfuhr der gefallene Sohn des Volkes ohne Zweifel zum erstenmal in seinem Leben, daß es in der Geschichte Bürger gegeben habe, welche die Retter oder Verderber ihres Vaterlandes wurden. Als der Knabe ein Mann geworden war und an der hohen Schule seines Herzogs junge Männer bilden half, erinnerte er sich des armen Friedrich Schwan und zeichnete nach der Erinnerung seine Geschichte auf, wie er sie aus seinem Munde und aus der Nacherzählung erwachsener Männer vernommen hatte. Seine römischen Helden schwebten ihm auch bei dieser Aufzeichnung vor, und er beginnt die ersten Zeilen derselben mit den Worten, der junge Friedrich sei mit außerordentlichen Anlagen des Geistes ausgestattet gewesen, habe den Keim jeder großen Tugend und jedes großen Lasters in sich getragen, und nur von der äußerlichen Lage habe es abgehangen, ob er Brutus oder Catilina werden sollte. Ach, die äußerliche Lage war, wie auch die Umstände beschaffen sein mochten, jedenfalls von der Art, daß er [677] das eine wie das andere nur in sehr beschränktem Sinne werden konnte. Auch in anderen Dingen ist diese Geschichte nach dem mangelhaften Geist und Geschmack der Zeit geschrieben; doch verhält sie sich zu den Akten wie ein farbiges Gemälde zu einem grauen Umriß; und nur aus beiden zusammen ist es möglich, ein Bild von den letzten Lebensjahren des verlorenen Sohnes von Ebersbach zu geben.
Der scharfsinnige Plan, der an der Waldecke bei Wäschenbeuren gefaßt wurde, war nur sehr unvollkommen ausgeführt worden. Das Sprichwort, daß nicht alles Gold ist, was glänzt, hatte sich auch bei dem Eintritte Schwans in die Genossenschaft der Gauner bewährt. Es ist nicht wahr, daß die Spitzbuben ehrlich gegeneinander sind und daß sich auf diese Eigenschaft eine feste gesellige Ordnung unter ihnen gründen ließe. Neid, gegenseitiger Betrug und nie ruhender Verdacht, selbst unter Verwandten, verbitterten ihm das von Hause aus arglose Gemüt gegen diese neue Welt bald noch stärker als gegen die alte, die ihn ausgestoßen hatte. Er zog meist mit der schwarzen Christine, die er sich beigesellte, allein in den Landen umher. Dieses ungewöhnliche Weib, von welcher der Geschichtschreiber »eines Räubers« und »einer Räuberin« sagt, sie habe alle Gaben der Natur in reichem Maße besessen und mit einer sehr schönen Körperbildung eine große Tätigkeit und Anlage des Geistes verbunden, hing an ihm mit einer Leidenschaft, wie sie die alten Sagen jenen Hünenweibern beilegen; aber sie quälte ihn durch eine unbändige Eifersucht, und als die blonde Christine, trotzdem daß [678] es ihr geglückt war, in einem Dienste unterzukommen, dem Zuge ihres Herzens folgend, ihn einst besuchte, so duldete die Zigeunerin sie nicht, sondern trieb sie gegen seinen Willen nach kurzem Zusammensein wieder fort. Dem Scharfsinn und der Gewandtheit dieses Weibes verdankte er seine glücklichsten Tage, wenn man es ein Glück heißen kann, von gestohlenem Gute zu leben. Aber man trifft nicht jeden Tag einen Markt, um die Taschen zu füllen, auch gelang nicht jeder Marktbesuch. Christine wurde mehrmals gefangen; auch die Ehehändel trennten das Paar oft wochenlang. Wenn es gut ging, so zog er als Krämer mit Paß und Kramkiste durch das Land, verkaufte seine Waren um billige Preise von Haus zu Haus, mied jede verrufene Gesellschaft, herbergte in den besten Gasthäusern und war, wie er in der Untersuchung sagte, auf der ganzen Straße von Mergentheim bis Straßburg als der ehrlichste Kerl bekannt, so daß die Wirte, wie er hinzu fügte, sich entsetzlich verwundern würden, wenn sie erführen, daß sie unter dem Namen des ehrsamen Krämers Johann Sigmund oder auch Hermann den Sonnenwirtle aufgenommen haben. Daß seine äußere Erscheinung ihn hiebei aufs beste unterstützte, gestand ihm nicht bloß der Spiegel, sondern sogar ein gedruckter Steckbrief, den zwei Schultheißen einst in der Schenke miteinander lasen, während er selbst ihnen, an ihrem Gespräche über den Sonnenwirtle teilnehmend, gemütlich über die Schulter in das Papier blickte: »Und ist vorgemeldter Erz-Gauner«, hieß es darin, »fünf Fuß, sieben Zoll groß, gedrungener Gestalt, hat gelbliches [679] Haar, dicken Kopf, feines weißes Gesicht, dicke, runde Backen, volle Waden.« Im Bewußtsein dieses ehrbaren Aussehens wagte er einst einem pfälzischen Schultheißen und zwei Jägern, die ihn im Spiel betrogen und ihm seine Pistolen nehmen wollten, mit gerichtlicher Klage zu drohen und dem Schultheißen, als er sich hiedurch nicht schrecken ließ, den Hund, den dieser an ihn hetzte, niederzuschießen. Aber nicht immer liefen die Abenteuer so lustig ab. Oft versiegten alle Erwerbsquellen, oder er wurde von Diebshehlern, welchen er auf seinen Irrfahrten um die gefangene Christine seine Kramkiste anvertrauen mußte, um den Inhalt derselben bestohlen. In solchen Zeiten mußte er Hunger und Kummer leiden und, wie jeder, der sich dem Teufel ergibt, die Erfahrung machen, daß dieser ein Filz ist und daß man mit der Ehrlichkeit auch im schlimmsten Fall so weit kommt als mit dem Gegenteil. Dann griff er zu gefährlicheren Unternehmungen: er ließ sich von den Judenbanden im Gebiete des deutschen Ordens anwerben oder sammelte vorüberziehende Genossen zu Einbrüchen unter seiner eigenen Hauptmannschaft, welche aber nie länger dauerte als das einzelne Unternehmen selbst. Auf der Straße hat er nie geraubt. Sein Geschichtschreiber sagt, er habe sich gegen das Ende seiner Laufbahn Grausamkeiten aus Raubsucht erlaubt; doch habe er auch in seinen schwersten Verbrechen Spuren übriggebliebener Menschlichkeit, Mitleiden gegen Arme und Unterdrückte gezeigt, den Grundsatz, nie einen Dürftigen zu berauben, durchgeführt, sehr große Almosen gegeben, und den Armen geschenkt, was er den Reichen [680] gestohlen habe. Von wirklichen Grausamkeiten findet sich aber nichts in den Akten, die sehr genau in seine Verbrechen eingehen. Wohl sind Grausamkeiten von den Genossen seiner Taten angeführt, nicht aber von ihm. Auch verdient hervorgehoben zu werden, daß Einbrüche, die seine Genossen ohne ihn unternahmen, mehrmals von scheußlichen Mordtaten begleitet waren, wogegen bei Überfällen, die er leitete oder unterstützte, nie ein Mord begangen worden ist, mit einer einzigen Ausnahme, an welcher er unschuldig war, welche aber seine Heimat noch einmal in Furcht und Schrecken setzen sollte.
Ein Jahr nach dem Tode des Fischers, um Ostern, wagte er sich wieder in die Gegend von Ebersbach, schickte die schwarze Christine in die ›Sonne‹ und trug ihr auf, seinem Vater zu sagen, sie habe einen Unbekannten auf der Straße getroffen, der ihn grüßen lasse. Als er in den folgenden Tagen wieder mit ihr zusammentraf, erfuhr er von ihr, daß sein Vater seine Kinder zu sich genommen habe. Inzwischen aber hatte er sich selbst in Ebersbach zu Gaste geladen und hiedurch den Tod eines Menschen veranlaßt, dem er nichts weniger als übel wollte. In der Gegend umherschweifend, war er am Rechberg hinter einer Hecke hervor, unvermutet von einem Kameraden, dem sogenannten Jägerkasperle, angeschrien worden, der ihm klagte, er habe keinen Kreuzer hinter sich und vor sich, und ihn fragte, ob er keine Gelegenheit wisse. Da fiel ihm sein Vormund ein, mit dem er noch ein Hühnchen zu pflücken hatte. Schon die nächste Nacht fand die beiden Spießgesellen in dessen Laden. Während [681] aber Schwan die erste Beute in einem benachbarten Gäßchen absetzte, kam der Fleckenschütz zu seinem Unstern des Weges daher. Er hatte mit einem Bekannten bis über Mitternacht im Branntweinhause gezecht, sah den Laden offen und taumelte hinein, um zu sehen, was es gebe. Der Räuber schrie ihn an, er solle sich packen. Da aber der Schütz ihn anstarrte und noch näher auf ihn zuging, so gab der Räuber, der seinen Stock für eine Flinte hielt, ohne weiteres Feuer und sprang seinem Genossen zu. Ein Nachbar, der von dem Schuß erwachte, sah zum Fenster heraus und rief, da er jemand im Gäßchen erblickte: »Was ist das für ein Schuß? Hat man nach des Sonnenwirts Frieder geschossen?« »Ja, ja!« antwortete dieser und machte sich mit dem andern davon. Daß der Getroffene der Schütz war und daß die Kugel ihm das Leben gekostet, erfuhr er erst später und prügelte seinen ungeschickten Kameraden dafür und für einen Einbruch bei einem Kaufmann in Winnenden, den er als einen ehrlichen Mann nicht bestohlen wissen wollte, tüchtig durch. Dieser, der die Schläge als verdient anerkannte, ließ den Verdruß darüber an einem Dritten aus, der ihn zu dem Einbruch in Winnenden verleitet hatte, und hieraus entstand eine Feindschaft, welche so tödlich wurde, daß man einander mit Schüssen zu Leibe ging und daß der Verführer des kleinen Kaspars, als geschworener Gegner des »Sonnenwirts«, von den rheinischen Gaunern den Namen »Konterwirt« erhielt. Der Tod des Schützen aber wurde in Ebersbach als eine neue Meucheltat der schädlichen bösen Wurzel angesehen, und der [682] Vogt ließ Sturm schlagen und alle Bürger unter das Gewehr rufen, als ob eine ganze Armee von Gaunern im Anmarsch wäre. Der Kirchenkonvent von Ebersbach, unter dem Vorsitze des Pfarrers und Amtmanns, beschloß, dem jüngsten Kinde des verunglückten Schützen eine kleine Unterstützung auszusetzen und zugunsten der übrigen Hinterbliebenen desselben ein untertäniges Memorial bei der Herrschaft einzureichen, strafte aber zugleich den Zechbruder des Erschossenen um ein Pfund Heller, weil er demselben beim Schnaps Gesellschaft geleistet und dadurch mittelbar Gelegenheit zu dem Unfall gegeben habe.
Dennoch sollte der Räuber, so sehr er seine Hand rein von Blut zu erhalten strebte, noch einen dritten Mord, den zweiten und letzten, den er selbst beging, auf seine Seele laden.
Im Löwen zu Jöhlingen, einem Dorfe in der unteren badischen Markgrafschaft, hatte er einst mit der schwarzen Christine nebst einem Knecht und einer Magd, die das Paar bei sich im Dienste hatte, Herberge genommen. Sooft er seinen Stern mit Christinens Stern verband, konnte er im Wohlstande leben. Der Knecht war ein gelernter Gauner und in die Unternehmungen seiner Herrschaft eingeweiht; die Magd aber, die anfänglich als Wärterin für ein inzwischen wieder gestorbenes Kind Christinens angenommen war, hatte bloß häusliche Dienste zu verrichten und alles eigenmächtige Stehlen war ihr von ihrem Herrn strengstens untersagt worden, weil sie, wie er sich ausdrückte, als ein Mensch von schlechter Kleidung und Person leicht darüber ins Unglück kommen [683] könnte. Herrschaft und Gesinde speisten ruhig miteinander und achteten nicht darauf, daß zwei Männer in die Stube traten, sie eine kleine Zeit aufmerksam beobachteten und sich dann einer nach dem andern wieder entfernten. Die Gesellschaft war aufgefallen, sei es, daß ihre jenische Sprache Verdacht erregt, oder daß man sie auf einem benachbarten Markte gesehen hatte. Plötzlich fiel auf der Straße ein Schuß. Sie fuhren auf, aber zu gleicher Zeit drangen die beiden Männer wieder in die Stube und auf sie ein. Schwan machte sich von ihnen los und stürzte hinaus, sah aber die Treppe mit Bewaffneten besetzt, unter welchen er den Ratsschreiber des Orts mit angelegtem Gewehr erblickte. Die Not gab ihm Kraft, eine Türe auf dem Gange einzudrücken und sich in eine andere Stube zu werfen, die aber keinen Ausweg hatte. Einer seiner Verfolger kam herein und faßte ihn an den Haaren. Er drohte ihn niederzuschießen, wenn er nicht gehe, und da jener nicht abließ, so zog er die im Rockfutter versteckte Pistole, die er stets vermittelst einer Schnur am Arm hängen hatte, und jagte dem Angreifer die tätliche Kugel in die Seite. Hierauf griff er nach der anderen Pistole und erschien an der Treppe mit dem Ruf, wer ihn anrühre, den schieße er über den Haufen. Der Schuß und die drohende Haltung des kühnen Räubers schüchterten die Bürgerwachen völlig ein. Sie drückten sich an die Wand und an das Treppengeländer, so daß er mitten durch sie hinunterkam. Erst als er aus dem Hause hinausstürzte, sendeten sie ihm einige verlorene Schüsse nach. Er war frei, aber Christine blieb mit[684] der reichgefüllten Kramkiste und mit Knecht und Magd in den Händen der Gerichte zurück, und diesmal war sie unter Umständen gefangen worden, die ihn nicht zweifeln ließen, daß sie einer schwereren Haft als gewöhnlich entgegengehe. Auch sah er sie nicht eher wieder als in der Vaihinger Gefangenschaft, die er schon ein halbes Jahr nach dieser Verhaftung seiner Gefährtin betrat.
Arm an Hoffnung und bald auch an Barschaft schleppte er sich den Winter über hin und wagte während dieser Zeit nur einige wenige Unternehmungen, die ihm mehr Gefahr als Beute brachten. Er war überall und nirgends, aber von seinen hastigen Streifzügen kehrte er immer wieder nach einem vertrauten Hofe in der Nähe des Amtsfleckens zurück, wohin Christine abgeliefert worden war. Auf und bei diesem Hofe, der zugleich ein Vergnügungsort für die Honoratioren der Umgegend war, hielt er sich wochenlang auf und erlauschte eines Tages von der Küche aus die Kunde, die der Amtsschreiber den anderen Gästen im Wirtszimmer mitteilte, der Knecht und die Magd werden bald loskommen, das Weib aber scheine ein tüchtiger Fang zu sein; neulich sei ihr das Spiel von den Fleischmännern garstig versalzen worden, sie habe ausbrechen wollen und dann dem Amtmann auf seinen Vorhalt hierüber zur Antwort gegeben, ein grüner Wald sei ihr lieber als ein gemalter Turm.
In dieser Zeit wurde einst zu Steinbach bei Baden in einer Scheune eine nächtliche Gaunerversammlung gehalten, zu welcher sich die Zigeuner, die in den [685] niederelsässischen Wäldern in Hütten hausten, von dem Sohne eines Fergen über den Rhein herüberführen ließen und zu welcher auch Schwan geladen war. Der Leutnant der überrheinischen Zigeuner, Mockel, trat hier mit einem Vorschlag auf, wobei es sich um nichts Geringeres handelte, als an dem Markgrafen Karl Friedrich von Baden-Durlach ein Exempel zu statuieren. Dieser pflichteifrige Fürst, dessen Land den Angriffen der Gauner am meisten ausgesetzt und der durch einen empörenden Einbruch des Konterwirts in Mühlburg (an dem nämlichen Orte, wo ein früherer badischer Fürst, der regierende Markgraf Eduard Fortunat von Baden-Baden, als gemeiner Straßenräuber an einen westfälischen Roßkamm Hand gelegt hatte) zu nachdrücklichen Maßregeln gegen das Gesindel herausgefordert war, hatte, sehr im Gegensatze gegen den Deutschmeister und andere Nachbarn, den Grundsatz gefaßt, nicht nur gegen alle, die auf seinem Boden betreten würden, aufs schärfste zu verfahren, sondern auch die Gefangenen von anderen Herrschaften, welche lässiger verfuhren, um Geld an sich zu kaufen. Infolge dieser Maßregel waren die Gefängnisse von Karlsruhe mit selbstgefangenen und eingehandelten Gaunern überfüllt. Die Versammlung, Männer und Weiber, brach in die entsetzlichsten Drohungen gegen den Markgrafen aus und wollte auf Mockels Antrag den Beschluß fassen, das ganze Land anzuzünden und einen Schrecken zu erregen, der dem Fürsten die Lust zur Ausrottung der Kochemer vertreiben sollte. Sein Gestüt bei Reichenbach sollte nebst den Orten Grötzingen und Wilfertingen den Anfang [686] machen, dann ein Einfall in das Frauenalbische folgen, und über den geeignetsten Zündstoff war man ebenfalls einig, als Schwan in diesem furchtbaren Parlament als Hauptsprecher gegen den Antrag auftrat und es durch seine Beredsamkeit und durch sein Ansehen unter den Räubern wenigstens dahin brachte, daß die Ausführung desselben verschoben wurde. Er bediente sich eines Verwerfungsgrundes, der seine Wirkung bei der Versammlung nicht verfehlte, denn er machte geltend, daß die Gefangenen zu Karlsruhe und seine in Stein liegende Frau selbst darunter leiden müßten und nur eine desto härtere Todesstrafe zu gewarten haben würden. Aber er glaubte nicht, daß der Plan aufgegeben sei, und in seinem Verhör zu Vaihingen sagte er, es werde gewiß noch geschehen, und man werde vielleicht deshalb an ihn gedenken, wenn er schon tot sei. Es geschah jedoch nicht, denn sein Verrat verbreitete unter den Räubern denselben Schrecken, den sie dem badischen Lande zugedacht hatten, und die vielen Randzeichen des Vaihinger Untersuchungsprotokolls zeugen von den ebensovielen Mitteilungen, welche der tätige Oberamtmann an die benachbarten Ämter und Gerichte ausgehen ließ, um ihre Arme gegen die noch auf freiem Fuß befindlichen Genossen seines Gefangenen in Bewegung zu setzen.
Der Verbrecher, der seinen Vaterort täglich durch Drohungen mit Mord und Brand geängstigt hatte, verließ mit Abscheu die Versammlung, die der Ausführung solcher Taten fähig war, und enthüllte in dem Briefe, den wir bereits kennen, dem Amtmann von[687] Stein den verruchten Mordbrennerplan. Freilich war die gute Regung, die man nach seiner ganzen Beschaffenheit nicht an ihm bezweifeln kann, mit sehr menschlichen Absichten vermischt: er wollte Gnade für sich und hatte unter den badischen Beamten den von Stein ausgewählt, weil er durch seine Unterhandlung mit diesem günstig auf Christinens Schicksal einzuwirken hoffte. Dennoch würde selbst im Falle ausschließlicher Eigensucht seiner Enthüllung ein Verdienst nicht ermangeln; denn wenn jene politischen Blutegel, wie ein zeitgenössischer Beamter und Schriftsteller die zu Tausenden umherstreifenden Gauner nannte, Raum gefunden hätten, als geschlossene Macht aufzutreten, so wäre bei dem Zustande des Reiches und der von Preußen geschlagenen Reichsarmee mehr als viel auf dem Spiele gestanden.
Er erhielt jedoch von dem Amtmann keine Antwort, merkte aber bald, daß derselbe ihm auf der Spur sei, denn als er nach dem Hofe bei Stein zurückkehrte, vernahm er, daß das Gerücht von seiner Anwesenheit verbreitet sei, und hatte Not, sich durch die aufgebotenen Streif wachen durchzuschleichen. Unstet und flüchtig irrte er nach anderen Gegenden.
Nach dem vergeblichen Schritte bei dem Amtmann von Stein faßte er den noch abenteuerlicheren Gedanken, in der Residenz des Deutschmeisters, auf neutralem Boden also, wie er meinte, vor seinem aus dem Felde heimkehrenden Herzog zu erscheinen und zu versuchen, ob er nicht sein Herz rühren könne. Dieser Einfall verrät eine Treuherzigkeit, die man einem Gauner und Räuber fürwahr nicht zutrauen sollte. [688] Serenissimus kam aus der bekannten Schlacht von Fulda, die ein Laufen, kein Schlachten zu nennen war und in der er seinem auf preußischer Seite fechtenden Bruder nicht bloß das Feld, sondern auch eine reichbesetzte Tafel nebst einem Teile seiner Armee, während er mit dem Rest entrann, hinterlassen hatte. In der Laune, die er mit diesen Lorbeeren heimbrachte, wollte ihn der gefürchtetste Bösewicht seines Landes um den außerordentlichsten Sonnenschein oberherrlicher Gnade ansprechen! Der Zufall ersparte ihm eine Enttäuschung, führte aber dafür einen Sendling der jüdischen Leutnants in seinen Weg, der ihn zu einer neuen Unternehmung anwarb und eine halbe Zusage von ihm erhielt.
Zuerst aber drängte es ihn wieder nach dem Hofe bei Stein. Die Gegend schien sicherer geworden zu sein, und er blieb wieder einige Zeit dort stille liegen, bis die Not ihn aufscheuchte, um das Anerbieten der Juden bei herannahender Frist anzunehmen. Von Christinen, nach welcher er sich in Gestalt eines Hanfhändlers erkundigte, war nichts Tröstliches zu vernehmen; vielmehr schien das Gericht Verdacht gefaßt zu haben, daß sie sein Weib sei, und in diesem Falle mußte er eine ewige Trennung von ihr gewärtigen. Seine geistige Kraft war noch früher als die körperliche gebrochen, obgleich auch diese durch Entbehrungen jeder Art auf eine harte Probe gesetzt war. Daß er sich der nahen württembergischen Grenze zuwandte, einer Gegend seines Vaterlandes, die ihm unbekannt war und wo er sicher zu sein hoffte, beweist, daß der trotzige Mut, mit dem er allen Gefahren seines [689] Bekanntseins in der Markgrafschaft die Stirne geboten hatte, von ihm gewichen war.
Im großen Hagenschießwalde, der sich von Pforzheim in das Württembergische erstreckt, traf er unversehens auf einem abgelegenen Holzwege, wo ein einzelner Soldat nicht leicht zu marschieren pflegt, einen herzoglichen Grenadier, der noch überdies, um das Sonderbare der Erscheinung zu vermehren, zu Pferde saß und seine weiße Grenadiermütze tief über das Gesicht gezogen hatte. Beide erkannten sich sogleich. Der Grenadier war sein Landsmann durch Abstammung und sein Verwandter durch Wahl, der sogenannte Schneidermichel, der eine Base Christinens sich beigelegt hatte, von ihr aber wegen seines zu friedliebenden Gemütes verlassen worden war. Dasselbe hatte ihn unter dem zweiten Grenadierbataillon, in das man ihn aus dem Zuchthause »gestoßen« hatte – der Ausdruck ist amtlich – in die sogenannte Fuldaer Schlacht begleitet, in welcher er keinen Vorwurf auf sich lud, da er das Schlachtfeld gleichzeitig mit der ganzen Armee, soweit sie nicht gefangen war, und mit dem Kriegsherrn verließ. Nur hatte der Soldat der Reichsarmee, während seine Kameraden in den Wintergarnisonen unterkamen, bis zu diesem Tage die Flucht nicht eingestellt. Er bekannte seinem Freunde, daß er herzoglich württembergischer Deserteur sei, zu seinem besseren Fortkommen das Pferd, das er reite, dem Adlerwirt in Flehingen aus dem Stall genommen habe, und sich nach Hechingen zu wenden willens sei. Dies redete ihm der Sonnenwirtle aus und sagte, er sei zu Hechingen nicht sicher, er solle lieber[690] mit ihm in das Deutschherrische gehen. Der andere willigte ein; da er aber als württembergischer Deserteur sich auf württembergischen Boden so wenig sicher fühlte als sein Freund auf badischem, so beredete er diesen, das Pferd zu nehmen, mit welchem er sich gleichfalls nicht mehr durch das Badische getraute, weil er es dort gestohlen hatte, in einem kleinen Orte oder auf einem einzelnen Hofe bei Enzweihingen über Nacht zu bleiben und den anderen Tag in Heilbronn mit ihm zusammenzutreffen. Mit dieser Verabredung trennten sie sich. Eine Aufmunterung, in Kriegsdienste zu gehen, woran er manchmal in seinem Leben gedacht, konnten die Erzählungen dieses der Fuchtel entlaufenen Soldaten für ihn nicht enthalten. Wenn dagegen der Grenadier den Räuber, wie ohne Zweifel geschehen ist, nach dem Befinden der Bekannten fragte, so konnte dieser ihm eine lange Unglücksliste eröffnen. In der kurzen Zeit dieser drei Jahre hatte der Tod eine reiche Ernte gehalten. Von der Gesellschaft, die er im Walde von Wäschenbeuren getroffen und mit der er sich noch am besten vertragen hatte, lebten nur noch die weiblichen Mitglieder; der scheele Christianus war gehängt, Schwamenjackel geköpft, Bettelmelcher von den Streif Wächtern erschossen; und von den Weibern war nur noch eine einzige frei, seine freche Schwägerin, denn Christine saß in Stein und die alte Anna Maria in Steinbach gefangen. Er selbst hatte die Alte in Gestalt des wandernden Krämers, der oft von solchen Marktdiebinnen betrogen worden, in ihrem Gefängnis aufgesucht und die Gelegenheit benützt, ihr verstohlen [691] einen Teil seiner Barschaft in die Hand gleiten zu lassen.
Der Verfolg beweist, daß er das Pferd, das er offenbar aus Gutmütigkeit angenommen, um dem andern aus der Verlegenheit zu helfen, gar nicht angesehen hatte, denn sonst würde er es wohl schwerlich bestiegen haben. Seine sonst so schnellen Augen wachten nicht für ihn, und er muß an diesem verhängnisvollen Tage ganz in schwere, tiefe Gedanken versunken gewesen sein.
In einem Dorfe auf der Höhe hielt er an und trank ein Glas Wein. Als er weiter ritt, neigte sich die Hochebene und der Weg teilte sich in drei Pfade, die von keinem Wegweiser bezeichnet waren. Er wählte den mittleren geraden, der ihn steil ins Tal hinunterführte. Eine Stadt mit Mauern und Toren, von einem Schlosse überragt, lag vor seinen Augen, als das Ziel des Weges, den er ritt. Er kann sie unmöglich gesehen haben, denn der erste Blick hätte ihm gezeigt, daß es vernünftiger sei, sie zu umgehen. Eine Brücke trug ihn über die Enz – er befand sich vor dem Tore. Nun stutzte er freilich einen Augenblick, aber der Torwächter, dem die Langeweile an diesem selten betretenen Tore den Blick geschärft haben mochte, hatte vom kleinen Fenster aus sein Stutzen bemerkt. Wäre er zu Fuße gewesen, so würde er jetzt noch unwillkürlich den Fuß angehalten und den Schritt gewendet haben. Des Reitens seit langer Zeit ungewohnt, ließ er das Pferd gehen, und so wurde dieses zum Werkzeug seines Schicksals, dessen Hand lähmend auf seinem Geiste lag. Seine Uhr war abgelaufen, das Pferd [692] trug ihn blindlings durch das Tor, hinter welchem sich ein Gewirre von engen Gäßchen auftat, das Gitter fiel hinter ihm und der Mann mit dem spürenden Blicke trat aus dem Torhäuschen heraus.
Die Geschichte der Verhaftung selbst hat der Oberamtmann bereits erzählt; aber sein Sohn berichtet noch einige weitere Züge, die in Verbindung mit dem, was aus sonstigen Stellen der Akten hervorgeht, aufbewahrt zu werden verdienen. Derselbe erzählt, sein Vater habe die Pässe des Fremden, an welchen der Torwächter gezweifelt, ganz richtig befunden, und Schwan sei nun schon so gut wie frei gewesen, aber ein kleiner Umstand habe ihm Freiheit und Leben gekostet: er sei nämlich auf einem sehr elenden Pf erde gesessen, das mit seinem eigenen trotzigen und kühnen Anstände – und, wie aus den andern Quellen hervorgeht, mit seiner durchaus ehrbaren Kleidung – einen höchst lächerlichen Widerspruch gebildet habe, und dieser Umstand, sowie das auffallende Gesicht des Mannes, habe gemacht, daß der Oberamtmann mit Aufmerksamkeit bald auf dem Pferde, bald auf ihm verweilt sei. Diese Aufmerksamkeit sei dem Reiter nicht entgangen, der nun habe annehmen müssen, das gestohlene Pferd sei bereits steckbrieflich geschildert, und deshalb, da der Oberamtmann eine Veränderung in seinem Gesichte zu erblicken glaubte und ihm abzusteigen befahl, die Flucht zu ergreifen gesucht habe.
Gleichwohl würden nach seiner Vergewaltigung durch einige mutige Vaihinger Bürger, die, wie der Vorgang von Jöhlingen beweist, ihr Leben dabei wagten, die [693] Inzichten, die in seinem Benehmen und den bei ihm gefundenen allerdings verdächtigen Gegenständen lagen, noch nicht zu einem zuversichtlichen Verfahren gegen ihn ausgereicht haben. Er hatte sich schon mehr in solchen Verlegenheiten befunden und wußte, wieviel man der Obrigkeit, selbst auf halbem Augenschein von ihr ertappt, durch hartnäckiges Leugnen abtrotzen konnte. Aber die erste Gefängnisnacht in Vaihingen vollendete die Umwandlung, die schon lange in seinem Innern begonnen hatte und durch die Stürme des Lebens, die Foltern des Gewissens so vorbereitet war, daß sie nur noch eines äußeren Anstoßes bedurfte.
Wer seinen Mutterwitz und seine offenherzige Leutseligkeit für die einzigen von seiner Mutter ererbten Eigenschaften hielt, hatte sich garstig in ihm verrechnet, und teuer mußten die Genossen seiner Übeltaten diesen Rechnungsfehler büßen. Das hauptsächlichste Erbe, das er von seiner Mutter überkommen, das heißt, vermittelst ihres Einflusses sich in sein Herz eingeprägt hatte, war die Religion, wie sie in den Liedern seiner Landeskirche, in den Sprüchen der Lutherschen Bibel und in den Fragen und Antworten des protestantischen Katechismus niedergelegt war. Die Art, wie er diese Religion in der Welt ausüben sah, hatte ihn oft über sie spotten machen, und der Beifall, den seine Witze fanden, hatte ihn in seinen Spöttereien bestärkt. Aber was sein Geschichtschreiber aus seinem Mund erzählt, beweist, daß sie dennoch die Heimat seines innersten Gemüts geblieben war, und der nämliche Erzähler, dem es gar nicht [694] einmal einfiel, an der Wahrheit jener Mitteilung zu zweifeln, sagt bei einer andern Gelegenheit von ihm, Aufrichtigkeit sei, selbst in seinen ruchlosesten Jahren, ein Hauptzug in ihm gewesen. Oft, erzählt derselbe bei der Darstellung seines inneren Zustandes während seines Aufenthaltes unter den Gaunern, oft sei er nachts im Traume aufgewacht, nachdem er vergebens durch Berauschung sein Gewissen einzuschläfern gesucht, habe geschrien, geweint, gebetet, bis sein Weib an seiner Seite ihn durch Spöttereien über seine Feigheit wieder zum Schweigen gebracht habe. Oft sei er auf die Knie gefallen und habe den Himmel um Gnade zu seiner Besserung angefleht. Oft sogar sei er unter dem Galgen niedergekniet und habe Gott gebeten, ihn aus diesem Leben herauszuführen. Dann habe er wieder sein Weib genötigt, auf die Knie zu fallen und mit ihm zu beten, in der Hoffnung, daß ihre, wie er gedacht, noch weniger befleckte Seele eher Erhörung finden würde. Oft sei er mit Schrecken aus dem Schlummer aufgefahren, habe geseufzt und gebetet, und wenn sein Weib gefragt, was ihm fehle, ihr allemal geantwortet, er denke an den Waisenpfarrer zu Ludwigsburg. »O Weib«, habe er weinend und seufzend gesagt, »wenn du wüßtest, was das für ein Mann war, was er mich gelehrt, wie er mich ermahnt hat – o Gott, wenn er recht hat, so sind wir beide verloren, und ach, gewiß, er hat recht!« Als er einst zu Offenburg gefangen gelegen, habe er mit einem von der Wand abgebrochenen Stückchen Speiß ein Kruzifix gemalt, dasselbe, um sich stets an den Gekreuzigten zu erinnern, beständig angeschaut, geküßt [695] und mit Tränen benetzt. »Damals« – dies sind, sagt sein Geschieh tschreiber, seine eigenen Worte – »versprach ich vor dem Bilde meines Heilandes Besserung und nahm mir fest vor, eher mein Brot zu betteln, als ihn weiter zu beleidigen. Ich netzte dieses Bild mit Tränen, ich küßte ihm die Hände und bat um meine Befreiung. Sie erfolgte, ich war so glücklich, daß ich entrann, oder vielmehr so unglücklich, daß ich Gelegenheit bekam, meine vorigen Sünden mit neuen zu vermehren. Einige Tage tat ich gut. Aber ich konnte keine bösen Tage leiden. Nur allzubald war der vorige gute Vorsatz verschwunden, und ich war zu meinem Schaden klug genug, Entschuldigung für meine Sünden zu finden und mich manchmal gar zu bereden, daß alles Torheit sei, was man vielleicht bloß um der Einkünfte willen in den Kirchen predige. Das ging nun freilich nicht ohne innerliches Widersprechen meines Gewissens ab, und überhaupt hatte ich beständig quälende Gewissensbisse.« Nichts aber, setzt sein Geschichtschreiber hinzu, habe seine Besserung so sehr gehindert, als sein Weib, die seine Begierde nach derselben als Zuckungen eines Feigen belacht und, wenn Spotten nichts mehr half, seine Frömmigkeit bloß als einen Vorwand, sie zu verlassen und zu seiner lutherischen Christine zurückzukehren, angesehen habe.
Die schwarze Christine bekannte sich zu der katholischen Kirche. Sie hatte mit ihrem Geliebten gleich nach ihrer Verbindung eine Wallfahrt zu der schwarzen Maria von Einsiedeln gemacht, um sich trauen zu lassen, daselbst auch Bereitwilligkeit gefunden, die[696] jedoch, nicht zur Tat werden konnte, da keines von beiden Brautleuten daran gedacht hatte, seinen Taufschein mitzubringen. Ihr erstes Kind war in einem badischen Orte, dessen gaunerfreundlicher Schultheiß dabei zu Gevatter stand, von einem Jesuiten getauft worden. Über den Tod dieses Kindes, das sie frühe wieder verlor, betrübte sie sich so übermäßig, daß sie in Verzweiflung verfiel und dem Wahnsinn nahe kam; sie wollte sich, durchaus nicht von dem Kinde trennen und trug die verwesende Leiche in einem Kästchen mit der größten Beschwerde acht Tage lang herum. Über ihr Verhältnis zu ihrer Religion sagt der akademische Geschichtschreiber dieses Räubers und dieser Räuberin: »Niemand betete pflichtlicher das Paternoster. Niemand besuchte die Wallfahrten so fleißig oder wohnte den Prozessionen so häufig bei. Schwan hat versichert, daß sie auf eine einzige solche heilige Feierlichkeit mehr als dreißig Gulden aufgewandt, daß sie aber auch öfters das Geld dazu vorher gestohlen habe.« Übereinstimmend hiermit sagt ein Schriftsteller des vorigen Jahrhunderts, der über die Gauner schrieb und sich durch seine Sprache als Protestanten zu erkennen gibt, die Religion, zu der sich diese Menschenklasse bekenne, sei in der Regel die katholische, man dürfe immer hundert Katholiken auf einen oder zweien Lutheraner, Reformierte oder Juden rechnen; diese Minderheiten bilden die Ausnahme und seien allemal Überläufer aus dem Bürgerstande; die Religionswissenschaft der Mehrheit bestehe in einigen auswendig gelernten Formeln, in Legenden, in ungestalteten Ideen von Wallfahrten, Messelesen, [697] Rosenkranzbeten u. dgl., und mehr, fügt er mit protestantischer Härte hinzu, brauchen sie als Gauner auch nicht zu wissen, denn die Religion würde ihnen, wenn sie sie dem Wesen nach kenneten, nur beschwerlich sein.
Die katholische Kirche, die sich die allgemeine nennt und es zu werden strebt, macht dem Menschen den Eintritt in ihre allezeit offenen Tempel leichter und legt ihm kein so schweres Opfer auf wie ihre Schwesterkirche. Da sie alles unter ihre Flügel versammeln will, so muß sie wie eine gütige nachsichtige Mutter verfahren, die dem Kinde je nach dem Maße seiner Gaben nicht das Schwerste zumutet, sondern sich mit der Andeutung des guten Willens begnügt. Daher erklärt es sich, daß ihre opferfreudigen Sendboten unter den kindlichen Völkern einer jüngeren Welt, wie bei den aus Indien nach Europa eingewanderten Zigeunern, welche großenteils den Grundstock der Heimatlosen des vorigen Jahrhunderts abgegeben haben, im Pflanzen und Ernten glücklicher gewesen sind als ihre Nebenbuhler von der anderen Kirche. Diese strengere Mutter weist die bloß äußerliche Andeutung zurück, sie duldet es nicht, daß der Mensch an seiner Statt Gott einen guten Mann sein lasse, sondern legt ihm selbst, unter Verheißung des göttlichen Beistandes zwar, die Riesenarbeit auf, sich die Geheimnisse des Glaubens anzueignen und das eigene Ich zu überwinden. Da sie selbst die Größe die ser Forderung sich nicht verbergen kann, so sagt sie, es sei nur Auserwählten möglich, dieselbe zu erfüllen, während sie zugleich, da sie so wenig wie die andere Kirche [698] ihren Kreis zu beschränken gemeint ist, hiedurch in den Widerspruch gerät, auch Nichtauserwählten ihr Joch auferlegen zu wollen. Hiezu kommt noch, daß ihr seit mehr als hundert Jahren gerade unter ihren begabtesten Söhnen Gegner aufgestanden sind, die, statt sich als Auserwählte zu zeigen, den Grund des Glaubens mit der Schneide der Prüfung und Verneinung aufgewühlt und ihre unbegabteren Brüder beunruhigt haben, so daß die Kirche selbst, im Kampf mit ihnen, so wie andererseits mit ihrer älteren Schwester genötigt worden ist, um den Glauben zu streiten, das heißt, die Breite, Höhe und Tiefe der Gottheit auszumessen, was zwar den Weltkindern freistehen mag, der Kirche aber durch ihre heiligen Urkunden nicht empfohlen ist. So weisen denn beide Kirchen an ihren Bekennern Schattenseiten auf, welche die Gefahren der einen wie der anderen anzeigen: dort Leichtsinn, hier Verwirrung. Beide aber, die nachsichtige wie die strenge Mutter, geben dem Menschen für das Leben die gleiche Vorschrift: Liebe deinen Nächsten wie dich selbst; und wenn diese Lehre befolgt würde, wenn mit diesem Beispiel die Lehrenden selbst und unter ihnen die heißesten Eiferer für ihre Kirche und ihren Glauben zuerst vorangingen, so wäre unter den Flügeln der einen wie der anderen dem Menschen eine gute Wohnstätte bereitet. Daß auf der einen wie auf der anderen Seite von dieser Liebe nicht gar viel zu spüren ist, das ist wohl zunächst die Schuld des einzelnen Menschen, noch weit mehr aber die Schuld und Not des ganzen Kreises, aus dem er stammt und in dem er lebt. Die Liebe, ob sie schmeicheln [699] oder züchtigen mag, ist ein Weib und kann nicht dem Haushalte vorstehen, der neben der Mutter des Mannes, des Vaters bedarf; und wenn das Volk, das in so vielen stolzen Söhnen sich rühmt, das zweite auserwählte der Weltgeschichte zu sein, wenn dieses Volk am Ziele seiner harten Arbeit und Mühsal die Gesetzestafeln findet, welche den zerrütteten Haushalt der Völkerwelt von neuem ordnen, jedem einzelnen Kinde des Hauses sein Lebensrecht und seine Lebenspflicht in ungezwungenem menschlichen Maße zuwägen, dann ist der Vater zu der Mutter gefunden, dann werden Recht und Liebe nebeneinander, eins das andere beschränkend, beschirmend, verklärend, in dem neuerbauten Hause walten.
Die schwarze Christine tat sich auf ihre pflichtmäßigen Religionsübungen nicht weniger zu gut als die ehrbare Protestantin, welche sonntäglich zur Kirche geht, um die Predigt zu hören, vielleicht auch in der andächtigen Gemeinde gesehen zu werden, und das mit einem gewissen Recht: denn unter den Leuten, welche nicht durch die Schulen der Philosophen, sondern bloß durch ihre Konfessionsschule, unmittelbar oder mittelbar, gegangen sind, gilt es für eine Brandmarkung, keine Religion zu haben, weil diese eben das unverstandene, aber eben darum desto mehr mit der Ahnung festgehaltene Wahrzeichen ist, daß man einem Menschen im Verkehr mit seinesgleichen trauen könne. Sooft sie auch sich selbst und andere schon mit diesem Wahrzeichen getäuscht haben, sie halten immer wieder daran fest, nicht mit dem Verstande, der die geheimnisvolle Kammer der Glaubensschätze [700] als Prunkgemach für hohe Feste das ganze Jahr verschlossen läßt und vorsichtig seinen Geschäften nachgeht, sondern mit dem Herzen, welches dunkel fühlt, daß die Religion mit der dem Leben zugekehrten Vorschrift der Liebe die Menschen aneinander bindet oder binden sollte. Daß sie nach vollbrachter Religionsübung sich mit ihrer Religion abfinden und dieselbe in den menschlichen Verkehr nicht mitbringen, können sie einander von beiden Seiten mit gleichem Recht vorwerfen; nur wird, die gleiche Innigkeit des Bekenntnisses bei den einzelnen vorausgesetzt, die Abfindung bei dem strengeren Bekenntnisse schwerer sein. Und doch finden sich hüben wie drüben bis zu einer gewissen Grenze alle ab: denn wer befolgt die Vorschrift des Evangeliums, alles zu verkaufen, was er hat, und es den Armen zu geben, oder nie für den kommenden Tag zu sorgen? Wer Rechtsverbindlichkeiten eingegangen hat, wer Weib und Kind ernähren muß, wird, wenn er auch noch so kirchlich religiös gesinnt ist, sich mehr oder minder deutlich gestehen, daß er solche Vorschriften als unerfüllbar betrachte. Dann bleibt zwar allerdings noch immer ein sehr großer Unterschied zwischen ihm und einer Gaunerin, die das Geld zu einer Wallfahrt stiehlt, oder, wie eine andere ihres Ordens, ein berühmtes Marienbild von gestohlenem Zeuge kleiden, oder gar, wie gleichfalls vorgekommen ist, für das Gelingen eines Einbruches eine Messe lesen läßt; aber die Nichtanwendung wie die nichtswürdige Anwendung von Religionsvorschriften auf das Leben ist immer eine Abfindung, mit welcher man bekennt, daß die Religion das Leben nicht [701] ganz zu leiten vermöge. Woher soll ihm aber eine ganze Leitung kommen, solang es an einem Rechte fehlt, das jedem seinen Platz am Tische des Lehens sichert? Die Religion hat noch selten einen christlichen Staat oder Fürsten abgehalten, um eines wirklichen oder vermeintlichen Rechtes willen einem anderen Menschen- oder Christenreiche den Krieg zu erklären und selbst mit Grausamkeit zu führen, ja nach erfochtenem Sieg über blutigen Leichen und rauchenden Wohnstätten dem Herrn der Heerscharen, den dieselbe Religion auch den Vater der Liebe nennt, einen schrecklichen Lobgesang anzustimmen. Auf ein Recht aber glaubte auch die Tochter eines heimatlosen Stammes sich berufen zu können, die über den Gräbern ihrer geschlachteten Verwandten im Kriege mit der Gesellschaft aufgewachsen war und diesen Krieg mit dem gleichen Hasse führte, mit welchem ein Naturvolk seine Wälder und Gebirge unter Raub und Mord gegen die Waffen und Gesetze des eingeborenen oder eingedrungenen Beherrschers zu behaupten sucht. Gerade hierin aber lag zwischen ihr und dem nicht von Kindesbeinen an, sondern erst in späteren Jahren ausgestoßenen Sohne des herrschenden Volkes ein Gegensatz, der immer eine Kluft zwischen ihnen offen erhalten mußte. Zehnmal mochte er ihr in den Stunden der Leidenschaft beistimmen, daß die Gesellschaft, die er verlassen, aus lauter Spitzbuben, Heuchlern oder Tröpfen bestehe: immer wieder sagte ihm seine unbestechliche Erinnerung, daß er auch ehrliche, gradsinnige und verständige Leute darin gefunden habe und daß das nächste Opfer ihrer Raubzüge [702] zu diesen gehören könne. Und diese lichten Erinnerungen und Eindrücke verbanden sich bei ihm mit einer Religion, die ihn in dem friedlich-frommen Kreise seiner Mutter mit dem unvertilgbaren Bewußtsein erfüllt hatte, daß, wenn auch in der Bibel und von ihren besten Helden gestohlen, geraubt und gemordet werde, daß, wenn auch eine christliche Obrigkeit sich für die Führung ihres Racheschwertes auf die Bibel berufe, doch der wahrhaft gute Mensch einen Abscheu davor haben müsse, das Eigentum seines Nächsten anzutasten oder, unter welchem Vorwande es auch sei, sein Blut zu vergießen.
Aber die innere Erkenntnis des Menschen hat ohne eine Unterstützung von außen nicht so leicht die Gewalt, sein äußeres Leben augenblicklich umzugestalten, schon deshalb nicht, weil seinen schönsten und edelsten Empfindungen immer wieder die menschliche Schwachheit sich anhängt und weil er die besten Vorsätze sehr oft in Stunden äußerer Not und Bedrängnis faßt, so daß, wenn diese vorüber sind, das frohe Gefühl des Glückswechsels ihm auch den guten Vorsatz nur als ein Erzeugnis der schwachen Stunde erscheinen läßt. Hiefür liefert gerade die Geschichte der Offenburger Verhaftung, wie sie Schwan ohne den religiösen Zwischenvorgang zu den Akten gegeben hat, einen so deutlichen Beleg, daß dieselbe, die auch sonst merkwürdige Züge darbietet, hier nicht übergangen werden darf. Nach verschiedenen Abenteuern mit eigennützigen Polizeimännern und nachlässigen Obrigkeiten, welche sich den Schutz der ihnen anvertrauten bürgerlichen Gesellschaft so schlecht angelegen [703] sein ließen, daß diejenigen, die dem Markgrafen von Baden ihre etwaigen Gefangenen um Geld verkauften, noch weitaus zu den besseren gehörten, hatte das Paar den Unstern, auf dem Jahrmarkte zu Offenburg in seinen Geschäften durch die Wachsamkeit dortiger Bürger gestört zu werden, wie denn überhaupt in allen ähnlichen Geschichten jener Zeit die Gaunerherrlichkeit immer erst da ein Ende hat, wo mutige und aufopfernde Bürger, oft schmählich im Stich gelassen, der Obrigkeit zu Hilfe kommen. Dem Räuber gelang es in eine Kapelle zu entspringen, seine beiden Terzrohre, wie der Sprachgebrauch der Zeit sie nannte, unter dem Hochaltar zu verbergen und seine Barschaft von drei Karolins dem Chorrektor, der mit mehreren Geistlichen sogleich herbeieilte, in die Hand zu drücken. Der Chorrektor versprach, ihn nicht eher auszuliefern, als bis er vom Magistrat einen Salvuskondukt in so bündiger Form ausgewirkt habe, daß man ihm weder an das Leben gehen, noch ein Glied verletzen, sondern, wenn er je eine Todesstrafe verwirkt, ihn wieder hierher in die Kirche stellen müsse; für Schläge könne er ihm freilich nicht stehen. Der Stadtmeister der katholischen Reichsstadt lag nebst einigen anderen Personen soeben in der gleichen Kirche seiner Andacht ob und sah die Unterhandlung zwischen dem Geistlichen und dem verdächtigen Flüchtling mit an. Als nun die Kirche denselben mit dem weiteren Versprechen, daß er das anvertraute Geld nach seiner Freigebung bei dem Pfarrer eines benachbarten Ortes wieder abholen könne, der weltlichen Obrigkeit übergeben hatte, so wollte diese mit[704] aller Gewalt wissen, was er dem Geistlichen zugestellt habe. Drei Tage hintereinander erhielt er jedesmal vierzig Streiche, bekannte aber nichts, ungeachtet er nach seiner Erzählung unleidliche Schmerzen auszustehen hatte, und in der Nacht des vierten Tages gelang es ihm, die Riegelwand von Backstein durchzubrechen und sich am Leintuche herabzulassen, worauf er bei dem bezeichneten Pfarrer seine drei Karolins wieder abholte. Die Kirche hatte im Kampfe mit dem Staat ihr Recht um jeden Preis behauptet und eher einem Räuber, dessen Eigenschaft sie kaum bezweifeln konnte, durchgeholfen, als sich ihr Asylrecht verletzen lassen. Nach diesem Hergang darf man sich jedoch nicht wundern, wenn Christine über die Geschichte der dreitägigen Buße vor einem mit Speiß gemalten Kruzifix, welche ihm jeden Tag durch die Aussicht, morgen wieder vierzig Schläge zu erhalten, geschärft worden war, den vierten Tag aber mit einem Ausbruch geendigt hatte, in ein höhnisches Gelächter ausbrach und die lutherischen Anwandlungen um so unpassender fand, als ihre eigene Kirche ihn soeben zu nicht geringem Danke verpflichtet hatte.
Dennoch ließen diese Anwandlungen nicht von ihm ab, und jetzt wird es begreiflich, wie sie in Vaihingen so plötzlich zum Durchbruch kommen konnten. Zugleich aber lernt man auch deutlicher zwischen den Zeilen des Vaihinger Protokolls lesen, wenn man sich den Auftritt von dem Sohne des Oberamtmannes erzählen läßt.
»Den zweiten Tag«, sagte er, »erschien Schwan wieder. Der Beamte schlug nun den entgegengesetzten [705] Weg ein. Er wiederholte ihm zwar noch einmal, daß er ihn für einen ausgemachten Bösewicht halte; aber nun forderte er ihn nicht mehr durch Drohungen, sondern durch Darstellung der schrecklichen Folgen des Lasters, durch Schilderung des Glücks eines ruhigen Gewissens, durch Bezeugung seiner herzlichen Teilnehmung an seinem Schicksal und durch Verspruch, ihm dasselbe durch alles, was nur in seiner Gewalt stehe, zu mildern, auf; kurz, er versuchte nun durch Religion und teilnehmende Güte sein Herz zu rühren. Der Versuch gelang. Der trotzige Blick milderte sich sichtbarlich, Traurigkeit trat an die Stelle der Wut, eine Träne floß in dem wilden Auge. ›Ich habe meinen Mann gefunden‹, rief er gerührt, ›ich bitte Sie, lassen Sie diese Leute hinausgehen, und ich will Ihnen alles gestehen.‹ Der Oberamtmann, um diese Rührung nicht zu stören, ließ alle nicht ganz notwendigen Personen hinausgehen, und in diesem Augenblick stammelte Schwan mit bebendem Munde: ›Hören Sie in einem Wort alle meine Verbrechen: ich bin der Sonnenwirtle.‹ «
Hisce praemissis ist das Bekenntnis des Räubers nicht mehr so sehr überraschend, wie es in dem Protokoll des Oberamtmanns überrascht und wie dieser selbst, der freilich im Protokoll dies wenig merken läßt, nebst Stadt und Land davon überrascht gewesen ist. Hätte er sein Inquisitionsschema, wie er es in das Protokoll schrieb, angewendet, so würde er wohl lange auf diese überfließende Offenheit haben warten dürfen; denn dieses Schema, das auch den redlichsten Beamten ohne seine Schuld zu einer gewissen Unwahrheit [706] zwingt, ist dem Volke so fremd wie die römische Advokatur es seinen zungenausreißenden Vorfahren war. Dem Manne, der den Menschen und den Oberamtmann mit so gutem Erfolge für sein Protokoll zu vereinigen wußte, soll hieraus kein Vorwurf gemacht werden: er hat seinerzeit einen wichtigen Dienst geleistet, und sein Gefangener selbst hat ihm die Abkürzung einer Laufbahn voll Schmach und innerer Verachtung, deren Maß immer voller geworden wäre, in der ganzen Aufrichtigkeit seines Herzens gedankt.
Mit diesem Bekenntnis nun, das gleich in den ersten Worten den Stab über sein verwüstetes Leben brach, halte er sich nicht bloß in die Hand der Obrigkeit, sondern auch in die Hand seiner Kirche ergeben, welche ihre Diener sandte, um dieses Leben zu einem bußfertigen und seligen Ende zuzubereiten. Ohne Zweifel haben dieselben nach der Sitte der Zeit ausführliche Beschreibungen dieses geistlichen Prozesses veröffentlicht; aber unter den vielen Schwarten von hochfürstlichen Geburts-, Hochzeits- und Leichenfeierlichkeiten in dem öffentlichen Bücherschatze, den der Herzog später anlegte, als er für ein gleichfalls verfehltes Leben Ersatz in der Erziehung der Jugend suchte, haben jene Schriften keinen Platz gefunden, und das Lebensbild, aus welchem nicht ein Zug hätte verlorengehen sollen, muß auch auf dieser Seite halbvollendet bleiben. Doch hat einer der beiden Geistlichen dem Sohne des Oberamtmanns einzelne Züge aus jenem Bekehrungsgange mitgeteilt, welche uns in der Erzählung desselben aufbehalten sind. Bei seinem [707] ersten Besuche begann dieser Geistliche von dem Zorne Gottes zu reden, der diejenigen verfolge, welche die Mittel der Gnade zu lange verschmäht, von einer traurigen Ewigkeit und von den Schwierigkeiten einer aufrichtigen Besserung nach einem so ruchlosen Leben. Hiemit hatte er zwar untadelhaft nach seinem Schema gearbeitet, wie der Oberamtmann nach dem seinigen ein regelrechtes Protokoll zuschreiben wußte; aber seine Bemühung fand den entgegengesetzten Erfolg. Der Räuber rief ihm aufgebracht entgegen, ob er nur gekommen sei, ihn zu quälen? Der Geistliche bequemte sich, in die Schule des Oberamtmanns, der diesen harten Stoff besser zu kneten verstand, zu gehen, und stellte sich nun dem stolzen Verbrecher als ein Bote des Friedens dar, der dem reuigen Sünder im Namen Gottes – welcher ihm geboten habe, ihn in seinem Namen sogar darum zu bitten – Gnade antrug; dann ging er zum Gebet über, flehte Gott um Vergebung ihrer beiden Sünden an und dankte ihm für die Langmut, die er diesem seinem verirrten Schafe bewiesen habe. Jetzt war die rechte Saite angeschlagen: der Verbrecher war bewegt von dem Gedanken an die Langmut Gottes, sah den Geistlichen während seines Vortrags mit unverwandten Augen an und zerfloß in Tränen; auch gestand er, daß ihn diese Langmut Gottes während seines ruchlosen Lebens oft zu Tränen gerührt habe. Von dieser Zeit an schlug der Geistliche bloß diesen Weg ein und führte seine Aufgabe siegreich durch. Der stolze Wildling wollte auch von seinem Gott und dessen Dienern um die schwere Arbeit, die er auf sich nehmen sollte, manierlich angesprochen [708] sein. Es läßt sich jedoch denken, und wird auch ausdrücklich erzählt, daß dieselbe nicht ohne Unterbrechung vonstatten ging, wobei besonders sein Stolz immer wieder den schwer zu brechenden Kopf erhob. Einst besuchten ihn, nach der Art der Zeit, welche äußerst neugierig auf Verbrecher war, zwei Fremde in seinem Gefängnis. Der eine betrachtete die berüchtigte Gestalt und fragte, ob er der Unglückliche sei, der so viele unglücklich gemacht habe? »Meine Herren«, antwortete er, den mächtigen Kopf in den breiten Nacken werfend, »wer ist unglücklicher, Sie oder ich? Sie, die vielleicht mitten in Ihren Sünden durch einen einzigen Schlag dahingerissen werden, oder ich, der ich durch das Blut Jesu mit Gott versöhnet bin?« Indessen tat er gleich wieder Buße und sagte zu seinem Beichtvater: »Mein Gott, was bin ich für ein elender Mensch, daß ich nicht einmal diese einzige Rede habe erdulden können!« Aber auch die lustigen Farben des Lebens störten ihm das ernste Gewebe, an dem er wirkte. Die unanständigen Witze und die Religionsspöttereien, die so oft den Beifall seiner Gesellen erregt hatten, kehrten manchmal wieder zu ihm zurück und verdarben ihm durch irgendeine unwillkürliche Gedankenverbindung das Gebet oder das Bibelwort, durch welches er den glimmenden Docht seiner Leuchte anzufachen, das zerstoßene Rohr seines Lebens aufzurichten suchte. »Ebensowenig«, sagt sein Geschichtschreiber, »verließ ihn seine rohe Lustigkeit. Ein Glas Wein und ein gutes Essen machte ihn auch in den letzten Tagen seines Lebens so lustig, daß er die ganze Gesellschaft, die bei ihm war, mit [709] Scherzen unterhielt und Henker, Tod, Bekehrung, alles vergaß.« Desto größer aber war nachher immer wieder seine Zerknirschung, »so daß er einst, als er bei ziemlichem Durste mehr Verlangen nach einem Glase Wein als nach geistlichen Gesängen empfunden, aus Reue hierüber und aus Zorn über sich selbst das Gesangbuch auf den Boden warf, was ihm dann einen neuen ebenso großen Kummer verursachte.« Da im Menschenleben zwischen dem Kleinsten und Größten Gleichungspunkte sind, so drängt sich bei diesem Zuge von selbst die Erinnerung an die Kämpfe des großen Reformators auf, in dessen Geistesbande dieser schwierige Zögling sich gegeben hatte und dessen riesige Gestalt die Nachwelt oft mit lächelndem Munde bewundert. Gleichwie seine Kirchenänderung die leichtfertige Welt seiner Tage mit Umsturz und Zerstörung bedrohte, so geht auch der Lehrbegriff, den er von einem verwandten Geiste erbte, dem natürlichen Menschen revolutionär und terroristisch zu Leib. Die Lehre eines alten Kirchenvaters, der nach einem weltlich durchstürmten Leben durchgreifende Buße und Selbstentäußerung predigte, muß den Menschen erst an allen Gliedern brechen, um ihn neu aufbauen zu können. Hieraus ergibt sich von selbst, daß sie bei der Jugend und bei allen jenen weichen, freundlichen Gemütern, die in Übereinstimmung mit sich durch das Leben gehen, seine Widersprüche nicht empfinden oder beiseite zu schieben wissen, nur oberflächlich wirken kann. Wer aber durch Schuld und Not hindurchgegangen ist, wer sich in den Netzen des Lebens verstrickt und sich selbst darin verloren hat, [710] bei wem jener Entäußerung die grenzenlose Selbstverachtung vorgearbeitet hat, die sich nicht mehr mit dem Splitter im Auge des Nebenmenschen zu entschuldigen vermag, und wer auf allen seinen Irrwegen zugleich, wenn auch nicht ein geistesstolzes Denken, doch ein geistiges Leben sich bewahrt hat, der ist reif, um jene Lehre mit ihrer ganzen übermenschlichen Gewalt in sich aufzunehmen. Auf diesem Wege sind vornehme und gemeine Sünder, deren Lebensgeschichten unentbehrliche Blätter in den Jahrbüchern des menschlichen Geistes bilden, zu einer Umwälzung gekommen, welche die Welt, die nach menschlichem Maße leben will, ja oft selbst die Kirchenwelt, mit Staunen, wie ein verzehrendes Feuer aufflammen sah. Sie haben Heil gestiftet, wo sie auf verwandten Boden säeten; viele haben ihnen mit zerstörtem Lebensglück geflucht: denn ihr Werk war, sich selbst und alles, was sie vorher liebten, zu zerschmettern.
An den Genossen eines verbundenen Lebens, wie es auch zugebracht worden sein mag, zum Verräter zu werden, ist ein Malzeichen, vor welchem selbst der Leichtfertigste ein wenig stutzt. Die Rechtfertigung dieser Tat wäre in dem Falle, der uns vorliegt, selbst für die natürliche Betrachtung gar nicht schwer; denn einer Bande, die arglosen Menschen nachts in die Häuser bricht, die Bewohner aus den Betten reißt, mit glühenden Nadeln peinigt oder den Schlaf mordet, ist niemand die Treue schuldig, die sie der Menschheit und sich selbst nicht hält. Aber es handelt sich ja hier nicht darum, eine Art Vorbild in so günstiger Beleuchtung aufzustellen, daß der geschmeichelte Leser[711] darin seine eigene Menschenvortrefflichkeit erkennt. Vielmehr soll dieses Menschenleben mit seinen Lichtern und Schatten, mit seinen Ehrenzeichen und Schandmalen ein Gleichnis sein, in welchem jeder sich als gut und bös erkennen mag. Denn fremd kann dem Menschen nichts bleiben, was menschlich ist. Die wilden Tiere, welche seine Mitwelt in diesem Menschen sah, sie hausen alle in unserer Brust, und alle haben wir am Bache des Ebers getrunken. Wir verabscheuen das Stehlen, Rauben und Morden, aber auch er hat es verabscheut, und nicht erst nach der Tat; und, sei es in den Bußliedern frommer Zerknirschung oder in der Alltagssprache, müssen wir uns schuldig bekennen, daß wir oft unserm Nächsten das volle Lot, das ihm gebührte, nicht zugewogen, daß wir sein Menschenrecht gekränkt, sein Menschenherz verletzt haben. Wer die Buße dieses Verbrechers als einen Ausfluß der Geistesgröße bewundert, wird sich doch auch daraus die Wahrheit entnehmen, daß es besser ist, einen Lebensweg zu meiden, der mit Abfall oder gar Verrat an den Genossen enden muß; und wer sie als die Schwäche eines in der Bildung verwahrlosten Geistes, den seine Zeit keinen Lessing werden ließ, ansieht, der mag sich sagen, daß auch der unabhängigste Denker im Vollgefühle seiner Freiheit über Begriffe straucheln kann, die er mit der Muttermilch eingesogen hat. Keiner steht so hoch, daß er nicht fallen kann, und das einfältige Wort der Menschenliebe und Menschenwürde in jenem Buche, worin sich die Sehnsucht des Morgenlandes mit dem Geiste unserer alten Sprache und Dichtung vermählt hat, ist höher als alle.
[712] Der Kampf des Sünders, von welchem seine Kirche eine werktätige Reue forderte, die sich nicht einmal um den Preis des eigenen Lebens abfinden durfte, war groß und schwer. Dieses zertrümmerte Lebensschiff hatte er mit raschem Entschlüsse preisgegeben, und doch kam ihn auch bei dieser Auslieferung das Aufzählen des Inhalts im einzelnen sauer an. Die großen Verbrechen, welche den Kopf kosteten, gingen ihm ohne Widerstreben über die Zunge; aber die kleineren Vergehen suchte er solange als möglich zurückzuhalten, aus Furcht vor einer schwereren Todesstrafe, wie er nachher behaupten wollte, in Wahrheit aber aus Stolz und Scham, weil die Gemeinheit dieser kleinen Diebstähle und Einbrüche ihm unauslöschlich auf der Seele brannte. Doch warf er endlich auch diesen Stolz als ein verwerfliches Überbleibsel seines alten Herzens weg. Der Oberamtmann, der die weiche Seite dieses Herzens kennengelernt hatte, unterstützte ihn mit gutem Bedacht; »er ehrte ihn durch den offen kundgegebenen Glauben an seine Aufrichtigkeit und Besserung, drückte ihm seine Freude aus, ihn nicht durch Drohungen, Schimpf und gewaltsame Mittel zwingen zu müssen, sprach auch mitunter von anderen Gegenständen mit ihm, hörte seine Meinung und ließ die Inquisition den Ton einer vertraulichen Unterredung annehmen«, wovon freilich das Protokoll nichts enthält. Zugleich schickte er ihm Essen und Trinken ins Gefängnis, und daß er für diese freundliche Gabe in mehr als einem Sinne empfänglich war, wissen wir bereits. Die Stadt ahmte das Beispiel ihres Oberbeamten nach. Die Wächter ließen sich's gleichfalls [713] gesagt sein, ihn menschlich zu behandeln; »sie gingen ganz vertraulich mit ihm um und lachten und beteten abwechselnd mit ihm.« Wieviel diese guten Tage dazu beigetragen, ihn auf dem eingeschlagenen Wege zu erhalten, läßt sich nicht unterscheiden; wohl aber ist nicht zu leugnen, daß den reinsten Gesinnungen immer menschliche Schwäche anklebt. Indessen hatte die Güte ihr strenges Maß. Er war gleich anfangs so hart geschlossen worden, daß er gar keine Bewegung machen konnte, und vier Männer mußten beständig in seinem Zimmer, vier außerhalb desselben wachen. Allein die Handlungsweise des Oberamtmanns, der das Menschliche mit dem Amtlichen zu verbinden wußte, gewann den Räuber völlig. »Mit Tränen erklärte er« – und der Gewährsmann fügt ausdrücklich hinzu, daß dies seine eigenen Worte seien – »der Oberamtmann habe durch seine Güte mehr aus ihm herausgebracht, als tausend Foltern nicht hätten erpressen können. Er erklärte, er danke der Vorsehung, daß sie ihm gerade in dieser Stadt seinen Tod bestimmt, und er möchte um keinen Preis, auch wenn er könnte, mehr entwischen. Weil er sich aber selbst nicht traute, so wünschte er, bat sogar, man möchte ihn wie den ärgsten Bösewicht bewachen. Er nannte die Arten des Schließens, die allein mit Sicherheit bei ihm angewendet werden könnten, und zeigte andere, deren Nutzlosigkeit er bewies. Besonders erinnerte er, daß man an Markttagen wachsam sein solle, weil da gewiß einige seiner Kameraden sich einschleichen würden, um ihn zu retten.« Infolge dieser Angaben mußte die standhafte Erwartung des [714] Volkes, daß der Schützling des Teufels, wie in Hohentwiel und anderen festen Orten, eines Tages durch Rauchfang oder Schlüsselloch verschwinden werde, unerfüllt bleiben. Dagegen rief der Tod des Amtsdieners, der plötzlich während der Untersuchung starb, die noch jetzt im Munde des Volkes lebende Sage hervor, die verzweifelten Spießgesellen des Gefangenen haben, um seine gefährlichen Geständnisse, die sich wie ein Lauffeuer in alle Lande verbreiteten, abzuschneiden, ihm heimlich vergiftetes Backwerk zuzustecken versucht, und die Konfiskation desselben sei dem Diener des Gesetzes übel bekommen. Während aber im Volke sich geschäftig eine Art Heldensage über ihn bildete, stand er demütig vor seinem Richter und bekannte sich für den »Verworfensten aller Sterblichen«.
Die strenge Folgerichtigkeit der Buße verlangte aber mehr von ihm. Die schon in der Freiheit versuchten Enthüllungen über die mordbrennerischen Pläne der überrheinischen Zigeuner konnten ihm nicht besonders schwer werden, denn dieses Gesindel ging ihn nicht näher an. Aber wenn seine Beichte vollständig sein sollte, so mußte er nähere Genossen, mußte er seine Nächsten in das Verderben, wenigstens in das zeitliche, mit hineinreißen. Nach seiner ganzen Beschaffenheit mußte ihn dies einen Kampf kosten, über dessen Schwere man sich durch die bei dem Naturmenschen in jeder Lage des Lebens möglichen Augenblicke der Lustigkeit nicht täuschen lassen darf. Die beiden Haupttriebräder seiner ganzen Lebensentwickelung, Liebe und Stolz, mußten in diesem Kampfe [715] überwunden werden. Er war sein Leben lang seinen Freunden ein treuer Freund nicht bloß gewesen, sondern zur vollsten Befriedigung seines Selbstgefühls, als solcher auch stets von ihnen anerkannt worden: und nun sollte er diesen einzigen, letzten Ruhm, an dem er sich im Eisgange der Selbstverachtung noch aufrecht gehalten, von sich werfen, sollte auch noch den Seinen verächtlich werden, wie er der übrigen Welt verächtlich war. Aber er war dem Buß- und Besserungsplan, welchen das weltliche und geistliche Amt zusammen entwarfen, schon in seinem ersten Verhör vorausgeeilt, in welchem er erklärt hatte, er wolle seiner Mitschuldigen so wenig wie seiner selbst verschonen, und hatte damals schon auf die Gefangenen in Stein, unter welchen seine zweite Christine war, hingewiesen. Nur fand er bald, daß die Ausführung eines Entschlusses nicht so leicht ist wie der Entschluß selbst, und in den nächsten Verhören begann er zugunsten seiner beiden Weiber zu lügen, so sehr, daß er in der Erzählung von der Zusammenkunft im Walde bei Wäschenbeuren eine Katharina statt der schwarzen Christine nannte. Er hatte beide mit der ganzen Kraft seines Herzens geliebt. Wenn er sie aber liebte, so mußte er ihnen ja die gleiche bittersüße Arznei reichen, der er seine Genesung zu verdanken bekannte. Er entschloß sich dazu, und daß dieser Entschluß der äußersten Selbstüberwindung aus redlicher Überzeugung floß, das haben ihm nicht bloß seine weltlichen Richter und geistlichen Tröster bezeugt, das bezeugt ihm nicht bloß sein Geschichtschreiber, welcher versichert, daß er mit der unabänderlich [716] gleichen Gesinnung auf der Lippe gestorben sei, sondern die menschliche Natur selbst bezeugt es ihm, welche weiß, daß ein Mensch wie dieser nicht mit einer Lüge aus dem Leben gehen kann.
Die Folge seiner Geständnisse war, daß beide Christinen an den Sitz des Gerichts geholt wurden, die eine aus ihrer Gefangenschaft, die andere aus der Dunkelheit ihres Dienstes, in welchem sie sich, wie ihr Geschichtschreiber sagt, ordentlich aufgeführt hatte.
Die schwarze Christine, die ihn durch und durch kannte und sich ohne Zweifel sagte, daß sie verloren sei, wenn es der Oberamtmann verstanden habe, ihn an seiner schwachen Seite zu fassen, leugnete hartnäckig, schalt über Ungerechtigkeit und drohte – aber der Oberamtmann hatte sein gezähmtes Wild bei der Hand und wußte es zum Fang des ungezähmten zu gebrauchen. Er hatte seinen Gefangenen hinter einer spanischen Wand verborgen und ließ ihn, da sie einen Sonnenwirtle jemals gesehen zu haben leugnete, plötzlich auf ein gegebenes Zeichen hervortreten. »Seine ganze Seele«, erzählt der Geschichtschreiber, »ward bei ihrem Anblick bewegt, er zerfloß in Tränen der Liebe und des Schmerzes. Auch sie war bei seinem unerwarteten Anblick erschüttert, doch faßte sie sich plötzlich wieder und nahm die gleichgültigste Miene, wie gegen einen unbekannten oder kaum einmal gesehenen Menschen an. Schwan ließ sich nicht abschrecken. Er näherte sich ihr mit den zärtlichsten Liebkosungen, die um so rührender waren, da sie sich zum erstenmal in einer so traurigen Lage und unter noch traurigeren Aussichten wiedersahen. Aber sie[717] verschmähte mit Unwillen seine Zärtlichkeit und beschwerte sich über die Vertraulichkeiten eines Unbekannten, da er noch überdies allem Anschein nach ein großer Bösewicht sei und sie selbst in diesen Verdacht bringen wolle. Noch ließ er nicht nach. Er erklärte ihr, daß das Leugnen ihrer Verbrechen nun zu spät sei, daß er längst alles gestanden und daß sie selbst auch durch viele Umstände sich schon verraten habe. Er versicherte sie, daß nun das Ende ihrer Freveltaten gewiß gekommen, daß er aber seinen gegenwärtigen Zustand, wo er in Ketten und Banden schmachte und keine weitere Aussicht als den Tod habe, dennoch für viel glücklicher halte als jenen, da er in der höchsten Freiheit Gottes und der Menschen gespottet. Nichts rührte das boshafte und verhärtete Weib; sie antwortete ihm nur mit Unwillen und Verachtung. Nun konnte sich Schwan nimmer halten. Seine beiden großen Leidenschaften, Zorn und Rachsucht, brachen plötzlich hervor, er tobte, raste, fluchte und wünschte nichts mehr als die Verruchte mit eigener Hand ermorden zu können. Doch auf diesen Ausbruch erfolgte sogleich wieder Ergießung sanfter Liebe und Zärtlichkeit; er bat, flehte, weinte; aber auch seiner Bitten und seiner Tränen spottete sie, bis er aufs neue in Wut ausbrach und so wechselweise jetzt der Wut, jetzt der Zärtlichkeit sich überließ.«
So erzählt der Sohn des Oberamtmanns, der jenen Vorgängen nahestand. Der spätere Sammler der Vaihinger Überlieferungen fügt aus unbekannter Quelle hinzu, die württembergische Behörde habe es für zweckdienlich gefunden, ihr den neunwöchigen Säugling [718] wegzunehmen, den sie im badischen Gefängnisse geboren und gestillt, worüber sie in eine solche Raserei geraten sei, daß sie sich das Gesicht zerfleischt, das Holz des Fußbodens mit den Nägeln aufgerissen und tage- und nächtelang mit gräßlichem Geheul nach ihrem Kinde verlangt habe, bis ihre Stimme in einem heisern Stöhnen untergegangen sei; hierauf sei sie in eine bedenkliche Krankheit verfallen, von der sie sich erst nach fünf Wochen wieder erholt habe.
Freilich hatte ihr Mitschuldiger seinem Richter vorausgesagt, daß er einen schweren Stand mit ihrem verstockten Herzen haben werde, da sie oft erklärt habe, daß sie sich lieber auf den Tod foltern, als zum Spektakel der Welt durch den Henker hinrichten lassen wolle. Auch ließ er sie durch die Wächter bitten, zu gestehen und nicht sich und ihm nutzlos die Leiden der Gefangenschaft zu verlängern. Sie ließ sich endlich zum Geständnis der leichteren Fälle herbei, die sie ihrer Jugend und der Verführung ihres Mannes zuschrieb; aber als sie zu gestehen begann, war sie bereits längst überwiesen, und die Waagschale ihrer Verbrechen sank unter dem Druck der gebrochenen Urfehde, welche das christliche Gesetz seinem heimatlosen Feinde bei dessen erster Betretung und Ausweisung aufzuerlegen pflegte, um ihn bei der Wiederbetretung, die ihn ja dann des Meineides schuldig zeigte, desto fester fassen und nötigenfalls am Leben strafen zu können.
Auch die blonde Christine ergab sich nicht gutwillig in das Schicksal, das ihr umgewandelter Geliebter ihr bereitete. Der Sohn des Oberamtmanns beschreibt das [719] verhängnisvolle gerichtliche Wiedersehen dieser beiden in seiner Weise so: »Müllerin war seine erste Liebe, lange war er bis zur Raserei in sie verliebt, und auch sie hing mit einem solchen Feuer an ihm, daß sie Ehre, Freiheit und alles ihm aufopferte, und was für ihn vielleicht das wichtigste war, sie war die Mutter seiner Kinder. Seit zwei Jahren waren sie gänzlich getrennt. Sie war die erste Ursache seines Schicksals, und er des ihrigen. Alle diese Empfindungen wachten in dem Augenblick des ersten Wiedersehens auf. Er zerfloß in Tränen, sobald er sie sah, und erst lange stumm, fragte er sie endlich aufs zärtlichste nach ihrem Schicksal, nach ihren Kindern und Verwandten, bat sie um Verzeihung, daß er sie unglücklich gemacht, und versicherte sie seiner heftigsten Reue. Müllerin ward durch seinen Anblick und seine Rede in die sonderbarsten Empfindungen gesetzt: innigste Rührung und Begierde ungerührt zu scheinen, kämpften in ihr, sie ließ jetzt, wie man aus ihrer Miene schloß, ihren Empfindungen freien Lauf, jetzt zwang sie sich, eingedenk der Folgen, sie zurückzuhalten.«
Lange hatte er sich gegen das Bekenntnis der Vergehen gesträubt, an welchen die Genossin seines fruchtlosen Kampfes mit der Gesellschaft in der Halbheit ihres Umher seh Wankens zwischen Rat und Tat Anteil genommen; aber seiner wachsenden Aufrichtigkeit kam der natürliche Verlauf der Dinge zu Hilfe: denn nachdem das Gericht einmal seinen Namen wußte, kannte es auch einen guten Teil seiner Geschichte und wurde durch Mitteilungen aus seiner Heimat in den Stand gesetzt, die einschlagenden Fragen [720] an ihn zu stellen, welchen er in der Gemütsverfassung, die wir kennen, nicht länger auszuweichen vermochte. Nun begann er unumwunden und rücksichtlos zu gestehen, und die Arbeit der Überwindung, die er auf seine Weiber ausdehnte, wiederholte sich in jedem gemeinschaftlichen Verhör. »Er redete ihnen zuerst sehr sanft und freundlich zu, geriet dann in Wut, tobte und drohte, klagte, daß er nie ein Wort um seinet-, sondern nur um ihretwillen gelogen und daß die Verruchten es ihm so vergelten, bat sie dann wieder um Verzeihung und flehte sie liebreich an, ihre und seine Schuld vor Gott und den Menschen nicht noch schwerer zu machen.« Die blonde Christine ließ sich endlich erweichen, erklärte aber gleich nachher wieder, daß sie, durch sein schmeichelhaftes Zureden, wie sie sich ausdrückte, bewogen, viel zu viel eingestanden habe. Auch sagte sie, nicht aus Bußfertigkeit, sondern aus kleinlicher Rache auf ihn aus, er habe einmal, wie sie wisse, ein paar Sägen gestohlen. Bei dieser Gelegenheit konnte der Inquirent das Wesen seines Inquisiten an einem neuen Zuge kennenlernen. Derselbe Mann, der seine todbringenden Geständnisse so willig und todesfreudig gemacht hatte, leugnete den kleinen Diebstahl aufs hartnäckigste, so daß der Richter an ihm irre wurde. Als er endlich überwiesen war und keinen Ausweg mehr finden konnte, so gestand er das Vergehen und zugleich die Ursache seines Leugnens: er habe, sagte er, die Sägen an einen ehrlichen, gewissenhaften Mann verkauft, der sich lange nicht dazu bequemen wollte, bis er ihn versichert, sie seien nicht gestohlen, und sich auf Seel [721] und Seligkeit vermessen habe, daß ihm sein Lebtag nichts über den Handel aus seinem Munde kommen solle, weswegen er auch so gewiß als etwas von der Welt wisse, daß er seiner Christine nichts davon gesagt habe. Nun fand sich der Richter wieder in ihm zurecht und schenkte ihm nach und nach so vollen Glauben, daß, wie sich aus dem Protokoll ergibt, der Unschuldsbeweis hinsichtlich des an dem Schützen zu Ebersbach begangenen Mordes lediglich auf seine eigene Aussage gegründet ist. Das Urteil wurde hierdurch freilich in nichts abgeändert, doch blieb dieser angebliche Meuchelmord, den ihm die Ebersbacher aufbürdeten, aus der im Urteil aufgestellten Reihe seiner Verbrechen weg. Der kleinliche Groll, dem die blonde Christine in ihrem der Schwachheit ausgesetzten Gemüte Zugang verstauet hatte, schwand wieder, denn sie kannte sein Herz und glaubte an die Aufrichtigkeit seiner Zerknirschung, die ihm nicht anders zu handeln erlaubte, obgleich sie sich die Rechnung machen konnte, daß sie dieselbe, nachdem es ihr geglückt war, aus dem Zuchthaus in einem Dienst unterzukommen, mit einer abermaligen Zuchthausstrafe zu bezahlen haben werde.
Allerdings ein harter Lohn für so viel Liebe und Aufopferung, die in dem Protokoll mit dem amtlichen Kunstausdruck praematurus concubitus abgefertigt wird! In zwei brandmarkenden Worten die Geschichte eines siebenjährigen Kampfes voll Weh und Treue erschöpft! Und dabei war der Oberamtmann noch billiger als das Gesetz, das ein ohne elterliche Einwilligung geschlossenes Liebesband mit einem noch härteren [722] Ausdrucke brandmarkte. Sein Angeklagter muß ihm in jenen Stunden, wo die Inquisition »einen vertraulichen Ton annahm«, ergreifende Eröffnungen gemacht haben, die freilich nicht im Protokoll zu lesen sind, auf die man aber daraus schließen darf, daß das Protokoll, daß ja nicht die Geschichte seines Schicksalsganges, sondern nur die Geschichte seiner Verbrechen enthalten sollte, die Anklage gegen Stiefmutter, Vater, Pfarrer und Amtmann, zwar kurz und dürr, aber doch in wenigen Worten vollständig aufgenommen hat, die Anklage: »nachdem er sich ehlich mit seiner Geliebten versprochen und seine Minderjährigkeit bei der Regierung wegsuppliziert, habe sein Vater, weil sie ihm nicht reich genug gewesen, durchaus nicht darein willigen wollen, und es bei dem Pfarrer und Amtmann dahin zu bringen gewußt, daß ihm aller Umgang mit derselben verboten worden, ob man sie schon zum drittenmal miteinander ausgerufen gehabt, und daß hieraus die Exzesse entstanden seien, die ihn nach und nach auf den Weg des Verderbens geführt.« Auch die Weigerung des geistlichen Hirten, seinen Schafen einen unentgeltlichen Dienst zu leisten, hat der Oberamtmann, ohne Zweifel von dem stummen Gefühl des Ehrenmannes geleitet, gewissenhaft in sein Protokoll eingetragen.
Aber die Rachsucht, mit welcher der Unglückliche so oft über diesen Erinnerungen gebrütet hatte, war mit seinem Stolze gebrochen. »Er selbst«, erzählt der Sohn des Oberamtmanns, »hielt die abgeschlagene Heirat mit Müllerin für die Ursache seines Unglücks, und brannte daher während seines ganzen Lebens von Wut [723] und Rache gegen seinen Vater. Dennoch redete er zuletzt mit großer Mäßigung von ihm. ›Er hätte können anders mit mir verfahren‹, sagte er einst: ›doch es ist auch wahr, daß mein Eigenwille allzu groß war; ich selbst habe das Gute verworfen und das Böse erwählet. Ich will dahero gern alle Schuld auf mich allein nehmen. Aber wenn er ja auch schuld sein sollte, so gedenke doch Gott seiner Sünden nicht. Er hat auf dieser Welt Trübsal genug an mir erlebt. Der arme Mann‹, fuhr er ein andermal fort, ›mein Vater dauert mich. Ich will ihm keine Vorwürfe machen. Ich wünschte mir noch seinen Segen. Der Eltern Segen baut der Kinder Häuser. Das schickt sich nun freilich nimmer auf mich. Aber sein Segen würde mir doch erquickend sein. Oh, daß Gott seine Sünden vergeben wollte, wie er mir die meinigen vergeben hat!‹«
Diesem Hauche des Friedens entsprechend malt der Geschichtschreiber seine ganze übrige Gemütsstimmung. »Nichts aber«, sagt er, an das Vorige anknüpfend, »war jetzt so lebhaft, als die niemals ganz verbannten Empfindungen der Liebe. Sein ganzes Herz hing an seinen beiden Frauen, und vorzüglich an seinem Kind. Man schickte ihm nichts zu essen, von dem er nicht diesen mitteilte. Besonders aber war er für ihren Seelenzustand so bekümmert, daß er ihnen, wo er nur konnte, auf das nachdrücklichste zusprach, daß er stets sich nach ihren Gesinnungen erkundigte und sowohl dem Oberamtmann als den Geistlichen die Methode anzugeben suchte, wie man ihren Herzen am besten beikommen könnte. Eine solche Gemütsverfassung gab ihm Mut in Augenblicken und unter Umständen, [724] in denen sich sonst Verzweiflung auch der Stärksten bemächtigt; ja er erhob sich durch dieselbe bis zu einem solchen Grad der Freudigkeit, die ihm selbst bewunderungswürdig vorkam und die bisweilen so weit ging, daß er selbst befürchtete, ob sie nicht bloßer Leichtsinn sein möchte.«
Unter allen diesen Stimmungen aber ging die Arbeit ununterbrochen fort, nicht bloß jene Arbeit der Buße, sondern die geistige Arbeit einer treuen Zeichnung der Welt, in der er gelebt hatte. Diese Zeichnung ist in den Untersuchungsakten niedergelegt. Wohl selten ist ein so dickes Protokoll in der Zeit von so wenigen Monaten vollendet worden. So hohe Anerkennung man dem Fleiße und der Berufstreue des Beamten schuldet, der der Verwaltung und Rechtspflege seines Bezirks zugleich vorzustehen hatte, mit der Person seines Gefangenen eine in halb Süddeutschland verzweigte Untersuchung in die Hände bekam, und neben den fortdauernden Verhören einen durch diese veranlaß ten sehr ausgebreiteten Verkehr mit einheimischen und auswärtigen Behörden führen mußte – so enthüllt sich doch zugleich aus diesen Akten das Bild eines Angeklagten, der ungezwungen und in rasch fließendem Vortrage, gleichsam als die leitende Seele der Untersuchung, seine Angaben diktiert, so daß der Richter sich zusammennehmen muß, um mit dem Geiste und mit der Feder zu folgen.
Für den prüfenden Leser zerfällt das Protokoll somit in zwei Bestandteile von nicht ganz gleichem Gehalte: der eine gehört – sagen wir nicht dem Oberamtmann, sondern dem Lebenskreise, dem er angehörte, und der [725] Urheber des anderen ist der begabte Verbrecher selbst. Besonders verdient die lebendige Kraft hervorgehoben zu werden, mit welcher er die Masse von Personen, um die sich seine Aussagen drehen, zu schildern wußte: mit wenigen Worten, die wie breite Pinselstriche wirkten, entwirft er ein Bild nach Gestalt und Tracht, daß die geschilderte Person in anschaulicher Leibhaftigkeit aus dem Protokoll vor das Auge springt und ebensogut dem Richter zu einem Steckbrief, als dem Dichter, soweit dieser Lust hat unter die Räuber zu gehen, zu einem Gemälde in Lebensgröße dient. Und damit man nicht glaube, daß einem ungebildeten Menschen aus dem Volke hiermit des Guten gar zu viel geschehe, so möge an dieser Stelle in andern Worten und anderer Auffassung die Bürgschaft des jüngsten Bearbeiters der Geschichte des »Sonnenwirts« eintreten, der ihn nur aus dem Vaihinger Inquisitionsprotokoll, also von seiner schwärzesten Seite kennt, und gleichwohl den Eindruck, den ihm die Persönlichkeit des Inquisiten in den Akten machte, so wiedergibt: »Die Bekenntnisse des Verbrechers drängten sich völlig frei und ungezwungen und in solcher Masse dem Verhörrichter entgegen, daß der Bedarf inquisitorischen Scharfsinns zu ihrer Erhebung sich ungleich geringer herausstellte, als der Aufwand an Zeit und Mühe für die juristische Digestion des reichen Materials. Die Sprache, die er vor Gericht führte, war gewogen, anständig, zuweilen edel, und zeugte im allgemeinen von einem nicht geringen Maße natürlichen Verstandes, namentlich aber wenn es galt, dem untersuchenden Beamten das Unlogische mancher Unterstellungen [726] verweisend unter die Augen zu halten; ja in Fällen, wo sich der Richter dahin vergaß, ungerechte Beschuldigungen mit Hartnäckigkeit aufrechterhalten zu wollen, hatte die besonnen kalte Rechtfertigung des Angeklagten etwas von der Ruhe eines Gerechten an sich und glich in keiner Weise jenem hündischen Trotze verhärteter Bösewichte, die, niedergedrückt vom Gewicht gegründeter Beschuldigungen, den kleinsten Bezieht, der sie unverschuldet trifft, willkommen heißen, um darüber in die Klagen beleidigter Unschuld aufzubrausen.«
Er hat aber außer diesen mündlichen Angaben noch ein schriftliches Denkmal hinterlassen, wozu er selbst die Feder oder vielmehr den Bleistift in die Hand nahm und, unabhängig von dem Stil des Oberamtmanns, sich in seiner eigenen Weise gehen ließ. Er hatte schonungslos die Genossen seiner Übeltaten ans Messer geliefert, als es ihm in der Einsamkeit seines Gefängnisses einfiel, daß das Werk nur halb getan sei, wenn er nicht auch die Hehler angebe, die das Bestehen einer so weithin gegliederten Kette von Feinden der Gesellschaft möglich machten und immer wieder ergänzten.
»Es treiben mich die Bewegungen meines Herzens« – mit diesen Worten begann er in carcere, wie der Oberamtmann in seinem Protokoll bemerkt, mit dem ihm vergönnten Schreibmaterialien einen mehrere Bogen langen Aufsatz, mit kräftiger, klarer Handschrift, nach der Schreibweise seiner Zeit, in welcher sich die Ungebildeten von den Gebildeten darin unterschieden, daß jene den ererbten Sprachschatz der [727] Lutherschen Bibelübersetzung mit mehrerem oder minderem Geschick handhabten, während diese ihrer nicht bei Luther erlernten Satzbildung mit lateinischen Einschwärzungen je nach dem dritten deutschen Worte auf die Beine zu helfen suchten. Diese Enthüllungen eines Gauners und Gaunergenossen aus der Zeit, die man als die gute, alte, sittliche, fromme rühmen hört, stellen alle angenommenen Vorstellungen von jener Zeit auf den Kopf, lassen es höchstens begreiflich erscheinen, daß einzelne Enkel einzelner Familien, die inmitten der allgemeinen Verderbnis sich unter günstigen Lebensumständen rein erhielten, auf ihre Vorfahren stolz sein können, zeigen aber die große Mehrheit des Volkes, trotzdem, daß es sehr fleißig in die Kirche ging, in einer Fäulnis, die einen Leutnant Mockel, wenn er sich mit seinesgleichen zu dem Streiche, der ihm aufgedämmert war, erhoben hätte, auf einige Wochen oder Monate – schwerlich viel länger – zum Herrn von Süddeutschland hätte machen können. Diese Enthüllungen sagen nicht bloß von Wirten, Bauern, Hofbesitzern, ja von ganzen Dörfern weit und breit umher: »hier ist ein Aufenthalt für alle Räuber« – nein, sie nennen eine Masse von Ortsbehörden selbst, die mit den Gaunern im engsten Verständnis waren. Nicht von Husaren, Hatschieren, und wie sonst die niederen Beamten der öffentlichen Sicherheit hießen, zu reden, die Schultheißen selbst, und in unglaublicher Anzahl, waren mit den Feinden der öffentlichen Sicherheit förmlich verschworen. Da heißt es auf jeder Seite dieser Denkwürdigkeiten, wo von diesem oder jenem Orte die [728] Rede ist: »Vom Herrn Schultheißen ist mir sehr und wohl bekannt, daß er ein guter Mann gegen die Räuber und Diebe ist«, »und soviel weiß ich, wenn einer verwahrt ist, er sei ein Räuber so groß als er will, so wird Herr Schultheiß ihm durchhelfen«, »und die Frau des Sohnes ist wohl zu brauchen auf den Märkten, wie ich selber aus ihrem Munde gehöret, sie wolle mit meiner Frau gehen, denn sie halte man nicht für verdächtig; sie könne besser bei den Krämerständen brav zugreifen; wenn man ein Bekanntes dabei habe, so sei man nicht so im Verdacht.« Wieder gibt er in einem anderen Orte den Schwager des Schultheißen an, als einen Mann, »der beständig derlei Leute im Hause liegen und auch mit ihnen zu schaffen hat.« »Dieser Mann«, sagt er, »ist aber anzusehen für einen frommen Mann, weil er fleißig in die Kirche gehet; aber doch hat er und seine Frau schon lange und vieles mit den Räubern zu tun; der Schultheiß tut ihm alles zu wissen, wann eine Streife ergehen soll, denn er erhält zuerst das Schreiben des Oberamts, und wann eine ergehen soll, so tut man es den Räubern gleich zu wissen, daß sie fliehen sollen. Dieser Schulze«, setzt er sofort in seiner ganzen Gewissenhaftigkeit hinzu, als ob er sich nicht das Recht zugestände, demselben gerade zu Leibe zu gehen, »kommt mir auch sehr verdächtig vor: ich habe öfters mit demselben getrunken in seines Schwagers Wohnbehausung, und er hat alles von mir gesehen, Pulver, Blei und Pistolen, hat mir auch selber ein Terzerol« – im Inquisitionsprotokoll sagt er immer Terzrohr – »an Krämerwaren verhandeln wollen, was aber meine [729] Frau nicht geschehen ließ. Der Schultheiß läßt es nur nicht so öffentlich an den Tag kommen, weil er ein sehr vermöglicher Mann ist, aber nach seinen eigenen Reden, die er getan, ist ihm« – von den Spitzbuben nämlich – »wohl zu trauen. Was aber seinen Schwager und Schwester anbelangt, so hat es seine Richtigkeit. Das Ort ist edelmännisch.« Wiederum heißt es von einem dergleichen Orte: »Ich habe gesehen und aus ihrem Munde vernommen, daß ihnen sehr wohl gedient mit solchem Räubergesind ist; sie haben auch viele mit Namen genannt, die mir selbiges Mal noch nicht bekannt waren. Ferner haben sie gesagt, man solle doch nur zu ihnen kommen, man dürfe ja hier nichts fürchten, die Räuber gehen viel mit den Leuten in die Kirche aus und ein, man lege keinem etwas in den Weg, wenn man nur das Gestohlene wohlfeil von denselben bekomme, so sei alles recht.« Wieder in einem anderen Ort »hat mich der Wirt auch zu dem Burgermeister hingeführet und! da geredet so offenbarlich vom Stehlen und Rauben, als wenn lauter Räuber und Zigeuner beieinander wären, so daß ich mich selber sehr verwundern mußt, weil mir solche Orte und Gelegenheiten noch nicht bekannt waren; habe auch gleich, einen besseren Mut zum Stehlen bekommen, und da sie auch selbst die jenische Sprache reden, so gut wie die Räuber selbst, so gedachte ich gleich: den Leuten ist zu trauen, und müssen schon dergleichen Leute gehabt haben, sonst kennten sie die Sprache nicht. Es ist aber auch wahr, denn die Sprache ist nicht leicht zu lernen, und in den Schulen hat man sie nicht dazu angehalten – so [730] kann ich ja leicht vernehmen, daß dergleichen Leute öfters dagewesen seien und es wohl zu trauen war. Wo mich meine Frau hingeführet, in den Häusern reden die Leute die Sprache besser als ich, und sie haben mich öfters sehr ausgelacht und gesagt, wann ich die Christine so lang hab als sie sie kennen, so werde ich schon besser mit der Sprache fortkommen können.« Ferner in einem Ort: »Beim Kreuzwirt und seiner Tochter, der Straußwirtin, sind die Räuber bekannt, und man weiß auch alles von denselben, und sie machen sich nichts daraus, da der Herr Stabsschultheiß ein sehr naher Freund zu ihnen ist, und sie verlassen sich darauf.« In einem anderen Ort: »Der Schulz hat auch vieles mit den Räubern zu schaffen und ich bin dem Schultheißen wohlbekannt, er hat auch alles von mir gesehen und gewußt, woher und wer ich bin, und ist mein ganzer Lebenslauf demselben bekannt; aber er war ein Liebhaber solcher Leute und sehr verschwiegen, sonderbarlich seine Frau, die mit der alten Anna Maria vieles zu schaffen gehabt, sich auch hat brauchen lassen und sich unterstanden, da damals der Anna Maria ihr Sohn in Verhaft gekommen, und sich die Schultheißin viel Mühe gegeben, wie möchte zu helfen sein, aber dabei gemeldet, um wenig Geld helfe sie nicht dazu, aber wenn man ihr gebe was recht sei, so wolle sie es in Stand bringen, daß sie gewiß hindurchkommen.« Daß die Weiber, wenn sie einmal die Scheu überwunden haben, viel entschiedener als die Männer auf das Ziel losgehen, zeigen auch sonst noch manche Stellen dieser Denkwürdigkeiten, wie er denn von einer andern dieser Gelegenheitsmacherinnen[731] sagt, sie sei eine solche schlimme Frau, daß er es selbst nicht genug beschreiben könne, und habe ihm manchen Seufzer ausgepreßt, weil sie einem keine Ruhe gelassen habe, bis man zum Stehlen fortgegangen sei. Bemerkenswert und ein Zeugnis für die schlechten Nahrungsverhältnisse ist, daß die Leute den Räubern beständig in den Ohren liegen, sie sollen ihnen doch Fleisch verschaffen; selbst in das Wirtshaus müssen sie, wenn sie dort nicht Mangel daran leiden wollen, gestohlene Hammel mitbringen. Die Enthüllungen umfassen einen beträchtlichen Teil von Süddeutschland, und beinahe in jedem der genannten Orte ist die Ortsbehörde in das Getriebe des Gaunerwesens mitverwickelt. »Was den Herrn Schultheißen anbelangt«, heißt es bei solchen Gelegenheiten, »so werden seine Umstände bald am Tag sein, wann man ihm sein Zollbuch abfordert, denn er hat mir ein Zollzeichen gegeben, damit ich soll richtig mit der gestohlenen Ware durchkommen, und in dem Zollbuch wird stehen der Name Joseph Klein oder Sigmund Hermann.« Andere Gemeindebehörden verhelfen den Räubern zu Pässen, mit welchen sie die Lande unangefochten durchziehen können. Da ist gar ein Bürgermeister »ein solch schlimmer Mann: wenn eine Streife ergangen, hat er die Räuber selbst in sein eigenes Bett hineingelegt, wie ich und meine Frau selbst einmal darinnen in der Verwahrung gewesen.« Es ergibt sich aus diesem allem, daß die Zeit für das Schwurgericht noch nicht reif war, weil auf der Anklagebank die Stehler und auf der Geschwornenbank die Hehler gesessen wären. Aber nicht bloß das Bürgertum [732] bis zu seinen Vorstehern hinauf, sondern auch der Adel, der einen so großen Teil von Land und Leuten in unbedingter Abhängigkeit hielt, hat in einzelnen Mitgliedern, aus Furcht oder Vorteil, an der Begünstigung dieses Raubwesens teilgenommen. Will man aber vollends mit ganzem Maße messen, so muß man ferner nicht bloß das Gehenlassen der Regierungen, sondern auch den Zeitgeist selbst mit zur Anklage ziehen, dessen sonderbare Vorliebe für Erzählungen von Räuberabenteuern, dessen krankhaft zärtliche Teilnahme an den Helden derselben beweist, wie verkehrt und widerspruchsvoll der Geist des Menschen werden kann, wenn er dunkel spürt, daß seine Zeit in Haushalt und Menschenrecht nicht wohl bestellt ist. Diese Bildung schwelgte aasvogelartig in Lebensbeschreibungen berüchtigter Räuber und bald auch, da der Bedarf nicht zureichte, in erdichteten Räubergeschichten, deren wirkliches Erleben sie jeden Augenblick in Haus und Hof ernstlich zu befürchten hatte, und all dieser Angst zum Trotze stellte sie sich dennoch, sooft sie in ihren Romanen von einem Kampfe der Räuber mit den Dienern des Gesetzes las, auf die Seite der ersteren und bekannte hierdurch den Zwiespalt zwischen ihr und dem Gesetz; ja als endlich ein zum Höchsten berufener Dichtergeist seine Jugendkraft und seinen Jugendzorn über die Zeit, die er so erbärmlich fand, in die Gestalten jener Räuberwelt einkleidete, da jauchzte fast die ganze gebildete Welt auf und ging mit ihm unter die Räuber und Mörder, obwohl ein kurzes Nachdenken sie belehren konnte, daß nicht jeden Tag ein verbrecherischer Reichsgraf[733] durch die böhmischen Wälder reist, um einen edlen Räuber als den Vollstrecker einer höheren Justiz zu ernähren, sondern daß dieser gar bald bei ehrlichen und unschuldigen Menschen mit List oder Gewalt sein tägliches Brot holen muß.
In diese Zeit, deren Sitte, Geist und Bildung sich so gänzlich vom Bestehenden nicht nur, sondern auch vom Rechten abgewendet hatte, daß nur eine große Völkerumwälzung die Welt wieder in das verlorene Geleise zurückbringen konnte, fielen die Enthüllungen des Ebersbacher Bürgersohnes wie ein Wetterschlag – nicht in die Lesewelt, denn sie blieben bei den Akten des Gerichts begraben und würden den modischen Lesehunger schlecht befriedigt haben, sondern in die »alerte« Welt des Verbrechens und in die schlaffe Welt des Gesetzes. Sie haben nicht von Grund aus die Gaunerei ausrotten, nicht von Grund aus die Redlichkeit im bürgerlichen Leben zu Kräften bringen können, aber sie haben ein Großes zur Herstellung der öffentlichen Sicherheit getan, und beinahe ein Menschen alter ist vergangen, bis wieder eine stärkere Bande zwischen dem Rhein und der Donau sich zu sammeln wagte. Die Geständnisse des Räubers gaben den Behörden nicht bloß die Mittel an die Hand, den ersten jener planmäßigen Schläge zu führen, welchen die von der Hehlerei unterstützte Gaunerei, wenigstens in der hochgefährlichen Gestalt, die sie um die Mitte des Jahrhunderts angenommen hatte, nach und nach erlag, sondern sie entdeckten ihnen auch gewisse Fachgeheimnisse des Räuberhandwerks, die sie instand setzten, ihre Angehörigen künftig[734] zweckmäßiger zu schützen. Denn auch dieses Gewerbe hatte seinen Fortschritt und seine Erfindungen, und die Akten bewahren hievon Züge menschlichen Scharfsinns auf, an dem man sich ergötzen könnte, wenn er besser angewendet worden wäre. Es ist ein hartes Urteil, das man der Zeit nicht ersparen kann: dieser Mensch hat ihr dadurch, daß er schuldig geworden ist, unendlich mehr genützt, als wenn er in den Schranken des Gesetzes geblieben wäre. Die eigentümliche Art seines Verdienstes mahnt zur Vergleichung mit einem ähnlichen Verdienste, das sich ein Höhergestellter um die Zeit erwarb, der Graf Schenk von Castell, der, vom Eifer des Markgrafen von Durlach beseelt, auf eigene Hand in Süddeutschland umher und bis nach Graubünden und Italien hinabzog, um das Raubgesindel einzufangen, und den die Gauner um seiner Kühnheit und Strenge willen fürchteten, als ob er vom Teufel gefeit und gefestet wäre, so daß einst, als er allein im Walde ritt, ein Räuber einem anderen, der auf ihn angeschlagen hatte, zurief: »Laß, es ist der Graf von Castell!« und es nur eines Wortes von ihm bedurfte, um die beiden als Spürhunde in seinen Dienst zu ziehen. Es ist die Frage, wer mehr getan hat, die Wälder zu säubern und die Diebesherbergen auszufegen, der hohe Reichsgraf zu Dischingen oder der in den Staub getretene Metzgerknecht von Ebersbach. Ihm selbst wenigstens scheint sein unbesiegbares Selbstgefühl zugeflüstert zu haben, daß er in seinem Gefängnis eine nicht unwichtige Person geworden sei, und er braucht in seiner Aufzeichnung mitunter Ausdrücke gegen die [735] Obrigkeit, wie sie ein Vorgesetzter sich gegen seine Untergebenen erlaubt. »Wiewohl ich weiß«, sagt er an einer Stelle, »daß viele Räuber gefangen zu Karlsruhe liegen, will ich nur desto eher zeigen, daß die Herren von Durlach oder Karlsruhe eine sehr liederliche Kenntnis Yon denselben haben, und es ihnen gewiß nicht geoffenbaret worden, wie ich es melden werde.« Dann nimmt er oft einen ganz befehlshaberischen Ton an. »Nur diese in Yerhaft genommen!« ruft er, wo von einer Frau die Rede ist, die er erschrocken und weichherzig im Gegensatze gegen ihre hartgesottene Familie nennt: »von ihr kann man alles herausbringen, wenn man derselben nur mit guten Worten begegnet.« »Nur gefragt, wo er den blauen Mantel hergenommen, den er habe!« kommandiert er gegen einen Hehler, der sich wahrscheinlich mit der Furcht vor den Räubern entschuldigen werde, was man ja nicht gelten lassen solle. Ein andermal schreibt er genau das Verfahren vor, durch welches man einen gaunerfreundlichen Wirt zum Geständnis zu bringen habe: »Man frage ihn auf Pflicht und Eid – wofern er etwas ableugne, so solle er gewißlich auf die Galeeren kondemniert werden – er solle redlich sagen, wie es mit dem Raub zugegangen, er solle sagen, woher er den Kattun, den er über sein Bett gezogen, genommen habe, er solle sagen, was für Sachen der Jude, der im Ort wohnt, in seinem Hause gekauft habe« u. dgl. mehr. Auch darf nicht verschwiegen werden, daß ihn an einigen Stellen die Liebe zum Leben mit vielleicht nicht ganz unbestimmten Hoffnungen beschlichen zu haben scheint. »Wann ich in [736] das Amt komme, will ich die Dörfer schon melden«, sagt er an einer Stelle. Die Auslegung steht jedem frei. Gewiß aber schickt sich Verrat um höherer Zwecke willen am besten für den Sterbenden, der keinen Lohn mehr nehmen kann, und zum begnadigten Diebsfänger war wohl ein Konstanzer Hans, eine leichter angelegte lustige Haut, gut genug. – Die Volkssage behauptet, der »Karl Herzog«, wie sie ihn nennt, habe auf der Durchreise durch Vaihingen den vielbesprochenen Räuber sich und seinem Gefolge vorstellen lassen, wie sie auch versichert, daß dieser seinem Fürsten einst das Leben gerettet habe. Aber der alte Fürstenbrauch, wonach ein verfemter Mann, den sein Oberlehnsherr über Leben und Tod vor sich gelassen, das fürstliche Antlitz nicht unbegnadigt schauen durfte, war längst abgekommen, und der Herzog konnte damals auch nicht gnädiger gestimmt sein als zur Zeit der Schlacht von Fulda, denn er war mit seiner Landschaft in jenen verdrießlichen Streit geraten, der ihn als Beklagten vor den Richterstuhl des Kaisers stellte, und schon seit einem Jahre saß ihr ehrwürdiger Konsulent, in dem er den Verfasser ihrer mißliebigen Schriftsätze vermutete, ohne Urtel und Recht in summo squalore carceris, wie die landschaftliche Klagschrift sich ausdrückt, auf derselben Festung, wohin einst eine in verfassungsmäßiger Form ergangene hochfürstliche Resolution den nächtlichen Besucher des Ebersbacher Pfarrhauses »puncto furti tertia vice reiterati ad dies vitae gerechtest condemniret« hatte.
Daß bei der Aufzählung jener schmutzigen Biedermänner, [737] die den Räuber seinen Hals wagen ließen und sich an ihm bereicherten, hie und da weltliche Anwandlungen den geistlichen Frieden seiner Seele trübten, geht aus manchen Stellen unleugbar hervor. »Wann eine christlich gesinnte Obrigkeit«, klagt er an einer dieser Stellen, »das Böse begehret abzustrafen und darinnen Ruhe zu schaffen, wann das Böse soll gedämpft werden, so muß man solche Leute zuerst angreifen. Denn ihr Zweck ist: stehlen, so daß ein mancher in solchen Orten noch zum Stehlen angetrieben wird. Denn der Räuber hat manchmal den wenigsten Nutzen vom Stehlen, weil er es solchen Leuten um einen wohlfeilen Preis geben muß und nichts daraus löset, und dieser, der es kauft, hat den besten Nutzen. Der Räuber kommt darauf in Verhaft, man nimmt ihm das Leben, er hat kaum die Hälfte genossen; der Käufer bleibt ein ehrlicher Mann und hat den besten Nutzen, und gedenket: ob der eine tot ist – ich habe noch viele an mir, die mir gestohlene Waren bringen. Solche Leute machen sich gar nichts daraus, ob sie schon die größte Anleitung dazu geben, wenn sie nur allezeit sicher stehenbleiben. Aber Gott der Allmächtige soll mein Zeuge sein, daß ich, soviel ich weiß, solche Leute nicht zu verschonen gedenke; denn von meinen jungen Jahren an bin ich in solche Häuser verleitet worden und zum Stehlen angetrieben, daß mein Verstand noch nicht so weit gereicht hätte, wenn man mich nicht dazu verleitet und angetrieben, und man mich nicht gleich in meiner blühenden Jugend in die verruchten Häuser eingezogen hätte. Mein ganzer Lebenslauf rührt davon [738] her, bis in meinen Tod; ich kann nicht mit Ruhe absterben, bis ich mein Herz vor der Obrigkeit von solchen Leuten genugsam ausgeleert habe, damit doch das Böse recht gestraft wird. Man wird sich verwundern, wie lang daß solche Leute mit den Räubern zu tun gehabt, und wie viel Erhenkte ihnen bekannt, und wie viele dermalen noch am Leben, mit denen sie noch zu tun haben. Mit der Hilfe Gottes werde ich dieselben so überzeugen, daß sie sich nicht mehr verantworten können.«
Man wird dieser Klage, welche auch auf der Nachtseite der alten Gesellschaft – nach heutiger Weise gesprochen – die Arbeit vom Kapital unterdrückt zeigt, und aus welcher man die Verwünschungen der Verfasser jener Räuberromane über ihre Verleger widerklingen zu hören meint, ihre menschliche Berechtigung um so weniger absprechen, wenn man bedenkt, daß der Unglückliche aus seinem eigenen Beispiel sich die Aufforderung entnehmen mußte, so manchen andern, der auf Irrwegen wandelte, durch die Zerstörung dieser Diebsnester vor ähnlichem Verderben zu bewahren. Man wird zwar, seinen eigenen Worten zufolge, nicht ganz unbedingt gelten lassen, was er bei seinem Geschichtschreiber, dem Sohne des Oberamtmanns, über diese Angaben sagt: »Gott weiß, daß nicht der geringste Groll darunter verborgen liegt, wenn ich jemand entdecke; ich habe im Gegenteil viele von meinen Freunden, manche, die aus ihren Betten aufgestanden sind, um mich darin liegen zu lassen –, nur um das Böse zu verhindern, verraten; ich gestehe es, daß mir dieses selbst sehr wehe tut.«
[739] Es kann kein Zweifel sein, daß diese Stimmung vor und nach dem Schreiben aufrichtig war; unter dem Schreiben selbst aber, haben wir gesehen, überkam ihn das Gefühl des leiblichen und geistigen Schadens, den ihm diese Leute getan, und war stärker als er. Ohne Rückhalt wird man jedoch glauben, was er hinzusetzt: »Wenn ich gedenke, daß dadurch ihre Kinder abgehalten werden, den bösen Exempeln ihrer Eltern zu folgen, daß so viele Unschuldige gerettet, daß manches Kind im Mutterleibe werde erhalten werden, so bin ich überzeugt, daß ich hieran recht getan habe.« – Um die Zeitbestimmung nicht mißzuverstehen, wenn er klagt, daß er von seinen jungen Jahren an in solche Häuser verleitet, in seiner blühenden Jugend in die verruchten Häuser eingezogen worden sei, muß man sich sagen, daß diese Jugend zu der Stunde, da er schrieb, noch blühte oder wenigstens nach menschlicher Berechnung hätte blühen sollen: denn er feierte seinen einunddreißigsten Geburtstag in dem Gefängnis zu Vaihingen. Die eigentlichen Diebsherbergen aber hat er nach seiner eigenen Angabe, wie sogleich die folgende Stelle zeigen wird, erst durch seine Verbindung mit der schwarzen Christine kennengelernt; und daß diese nicht früher als drei Jahre vor seiner Vaihinger Verhaftung angefangen hat, geht unwiderleglich aus den Akten hervor. Diese nicht einmal vollen drei Jahre müssen ihm somit, als er die Klage niederschrieb, in welcher er seine Jugend fern und längst vergangen sah, wie eine Ewigkeit erschienen sein. Wohl mag ihm auch eine Erinnerung an jenen Krämer in Rechberghausen vorgeschwebt haben, dessen [740] Bekanntschaft für ihn jedoch nur eine Vorstufe zu der Leiter in den Abgrund war. Auch hat er diesen sowohl, als den Hof, auf welchen er der schwarzen Christine folgte, in seinen Enthüllungen genannt, ohne jedoch einen großen Verrat an der Freundschaft zu begehen, denn der gute Freund arbeitete bereits seit zwei Jahren, wie aus dem Amtsblatt vom 28. Februar 1758 hervorgeht, puncto furti, receptationis et celationis facinorosorum mit angehängter Kugel im Zuchthause. Bei diesem Anlasse muß noch hervorgehoben werden, daß durch die Enthüllungen des Verbrechers kein eigentlicher Landsmann desselben betroffen worden ist: denn die zuletzt Genannten gehörten ritterschaftlichem Gebiete an. Aus seiner Heimat hat er niemand verraten, als die Genossin seines Unglücks von Anfang an, die blonde Christine. Wenn hienach das damalige Herzogtum Württemberg, obgleich sein Zuchthaus stets gefüllt war, doch im Vergleiche mit den umliegenden Herrschaften und adeligen Besitzungen als der einzige gesunde Kern von Süddeutschland erscheint, so kann man dies, da die Nachbarn mit ihm das Christentum gemein hatten, nur dem Vorzuge zuschreiben, daß dieser Bruchteil des schwäbischen Volkes, wenn auch in sehr verkümmerter Gestalt, allein noch einen kleinen Rest von Freiheit und Selbstherrlichkeit besaß.
»Dermalen« – so schließt die merkwürdige Aufzeichnung – »soll nun die Obrigkeit betrachten, was ich in den kurzen etlichen Jahren schon an Aufenthalten gemeldet habe, und das wird unter den tausend Aufenthalten kaum ein Teil sein, was nämlich die, welche [741] zeit- und taglebens schon mitlaufen, sagen könnten, wenn sie eine beständige Erkenntnis ablegen wollten. Ich sage an: wie es denn möglich sei, Schelmen oder Diebe zu fangen, wenn man nicht solche Aufenthalte zuerst ausrottet? Es gehet etwa ein Schreiben aus von den gnädigsten Herrschaften – so sind solche Leute da und machen es den Räubern zu wissen, oder verbergen sie selbst gar. Wie will man dieselben dann bekommen? Es ist keine Möglichkeit, wenn man solche Orte nicht verderbt; es entspringt der ganze Ursprung von Stehlen und Rauben aus solchen Häusern.
Nur um eine kleine Andeutung zu machen, wie mir's in denen Häusern selbst gepassieret ist: als meine erste Frau, die Christina Müllerin, in Verhaft gekommen, und mich diese Christina Schettingerin durch ihre liebliche Redensarten zu sich gezogen und mir die Gelegenheit und solche Aufenthalte gewiesen, die mir nicht bekannt waren, und wie ich nun von einem Haus in das andere gegangen, und zum ersten kam, sprach er:
›Hat Christina wieder geheiratet?‹ – Sie sprach: ›ja!‹
›Ist er aber auch ein so guter Räuber wie euer erster?‹ – Sie antwortete: ›ja!‹
Hätte sie gesagt: nein, so war ich schon nicht wohl daran gewesen. Sie sprach im Haus herum: er hat bald eine Sau geholet, bald ein Schaf, bald dies bald das.
›Er hat uns sehr viel Gutes getan, wenn ihr nur auch so gut werdet.‹ – Das eine sprach: ›ich bin heut über Feld gewesen, ich habe da und dort was von Tierfleisch gesehen; ich habe auch die Schäferpferche auf der Brache gesehen – holet das Fleisch oder holt ein [742] Schaf, daß wir auch wieder Fleisch essen dürfen!‹ – ferner: ›habt ihr nichts Gestohlenes bei euch? Ich brauche was von Kleidern, mein Mann hat nichts und meine Kinder haben auch nichts; wir müssen gekleidet sein – machet, daß ihr was zu stehlen bekommet, und schaffet uns was an! Ich bin nicht weit über Feld hinausgekommen, sonst wollte ich euch etwas ausersehen haben, wo ihr was erwischen könntet, aber bis ihr wiederkommet, will ich was ausersehen!‹
Und so sind alle diese Aufenthalte. Eine manche Weibsperson, die auf dem Lande gehet, hat schon bis drei oder vier am Galgen; sie führet noch einen aus einem Dorf heraus, der nur ein Liebhaber des schönen Frauenzimmers ist; sie bringt ihn an solche Örter hin; er höret solche Reden; was dieses Mensch nicht Böses genug an ihm vollbringen könnte, das wird ihm da vollends eingepflanzt und er mit Gewalt zum Stehlen gereizet und gelocket.
Bei mir aber, da war schon ein kleines Fünklein zum Stehlen aufgegangen gewesen; aber bei einem solchen Menschen, die zeit- und taglebens nichts anderes getan, und in solchen Häusern, wo nichts als von Rauben und Stehlen geredet und täglich an einem gepflanzt und geschüret wird, da muß ein großes Feuer daraus werden, und nicht mehr nachlassen, bis er dem Henker unter die Hände fällt. Und so geht es mit einem manchen. Das sind die ärgsten Schelmen, die Aufenthalt geben, und sie bleiben doch ehrliche Leute, haben auch den größten Nutzen und Genuß, und der Kleine wird gehenkt und die Großen läßt man laufen – man fürchtet, sie möchten ausgerottet werden. [743] Wann man aber einem Vogel das Nest nimmt, so kann er keine Junge mehr liegen oder ziehen.
29. Juli 1760.
Arrestant in Vaihingen:
Joh. Friedr. Schwan.«
Das gerichtliche Verfahren nahm unter dieser Zeit beständig seinen Gang, ja es wurde sehr beschleunigt, da man in Stuttgart fürchtete, der Seelenzustand des Gefangenen möchte nicht für die Dauer haltbar sein. Nach geschlossener Untersuchung trat jetzt eine andere Rechtsform ein, welche, in der Verfassung und im Tübinger Vertrage begründet, bei peinlichen oder sehr schweren Fällen, deren sich ein Landesangehöriger schuldig gemacht, angewendet wurde, und einen Schatten der alten selbstherrlichen Volksgerichtsbarkeit enthielt. Der in Stadt und Amt allmächtige Beamte, nachdem er an die Regierung berichtet und von ihr die nötigen Weisungen erhalten, verwandelte sich jetzt in einen bescheidenen Ankläger, der bei der Stadtgemeinde, die er sonst regierte, als Fiskal im Namen des Staates oder vielmehr des Herzogs gegen seinen Inquisiten Recht suchte. Als solcher mußte er den gewohnten Vorsitz in der obersten Gemeindebehörde, dem Gerichtskollegium, abtreten und mit der Gemeinde, an die jetzt der Gerichtsstab vorübergehend zurückgekommen war, erhielt auch ihr ursprünglicher Vorsteher, der Bürgermeister, ebenso vorübergehend seine alte Bedeutung wieder, indem er als Stabhalter den Vorsitz im Stadtgerichte übernahm. Dieses lud nun die beiden ungleichen Parteien vor und beraumte ihnen die Tagfahrt an. Da jedoch die[744] »Dignität« des Beamten durch diese Stellung etwas gefährdet erscheinen mochte und er als Regent, Richter und oft auch Kellereibeamter des Bezirks, dazu als Hauptvorsteher der Bezirksstadt sich mit Recht auf seine vielen Amtsgeschäfte berufen konnte, so war es ihm gestattet, sein Klägeramt einem Rechtsanwalt aus der Zahl der beeidigten Hofgerichtsadvokaten zu übertragen. Dem gleichen verpflichteten und vorrechtlich befähigten Stande mußte auch der Verteidiger oder vielmehr Defensor angehören, den sich der Angeklagte wählen durfte, oder der ihm, wenn er von dieser Freiheit keinen Gebrauch machte, ex officio ernannt wurde. Am Rechts tage versammelte sich das peinliche Gericht im Gerichtssaale des Rathauses. Ein in der Gerichtstafel befestigtes bloßes Schwert, das aufrecht mit der Spitze nach oben stand, verkündigte, daß hier der Stab und seine Gewalt sich befinde. Oben an der Tafel saß der Stabhalter und neben ihm, in der Person des Stadtschreibers, der Gerichtsaktuarius, der das Protokoll führte, beide schwarz gekleidet. Die Gerichtsbeisitzer (aus deren Zahl der Oberamtmann bei der Untersuchung seine zwei Skabinen genommen) saßen innerhalb der Schranken auf ihren Sitzen, alle in schwarzen Mänteln. Vor den Schranken rechts hatte der Akkusator, links der Defensor seinen Platz. In der Mitte, vor dem Eingang der Schranken, war eine schwarz angestrichene Schranne aufgestellt. Der übrige Raum des Saales außerhalb der Schranken war den Zuschauern und Zuhörern überlassen. Der Stabhalter befahl dem Gerichtsdiener, den Angeklagten aus dem Gefängnis vorzuführen, was sofort unter[745] guter polizeilicher Bedeckung geschah. Während dieses Ganges wurde auf dem Rathause das Malefiz-oder Armesünderglöcklein geläutet. Bei seiner Ankunft im Gerichtssaale wurde der Angeklagte in Fesseln auf die schwarze Schranne gesetzt. Der Stabhalter eröffnete die Verhandlung des akkusatorischen Prozesses mit einer kurzen Rede und forderte dann den Fiskal auf, die Anklage samt dem Petitum vorzutragen. Dieser verlas die Akkusationsschrift mit der hinsichtlich der Straferkennung an das Gericht gestellten Bitte. Dann wurde dem Defensor das Wort erteilt. Dieser bat zuvörderst das Gericht, den peinlich Beklagten seiner Fesseln zu entlassen, damit er auf freiem Fuße verteidigt werden könne. Der Stabhalter entsprach der Bitte und befahl dem Gerichtsdiener, dem Angeklagten die Fesseln abzunehmen, was außerhalb des Saales geschah. Dann wurde er wieder eingeführt und fesselfrei auf seine schwarze Schranne gesetzt. Er befand sich nun als Freier vor seinem eigentlichen Richter, aber alles dies nur scheinbar, denn der Angeklagte war mundtot und sein Urteil wurde ihm nicht von dem Richter geschöpft. Der Defensor las seine Defensionsschrift ab, welche ebenfalls vorher, auf Grund der Anklageschrift und etwaiger mit dem Gefangenen in Gegenwart zweier Skabinen gehaltenen gütlichen Verhöre, schriftlich gefertigt worden war. Nach Verlesung derselben gab der Akkusator seine mündliche Replik, und der Defensor duplizierte gleichfalls mündlich. Waren es, wie im vorliegenden Falle, mehrere Angeklagte, so traten auch mehrere Defensoren auf, um die Verhandlung noch schleppender zu machen [746] Nach beendigter Akkusation und Defension eröffnete der Stabhalter namens des peinlichen Gerichts das ebenfalls im voraus fertige Interlokutorium, daß der Richter sich der Urtel Bedacht nehme und daß die sämtlichen Akten ad consulendum an die Juristenfakultät in Tübingen versendet werden sollen. Mit diesem Zwischenbescheide war die ganze leere Förmlichkeit der öffentlichen Rechtsverhandlung geschlossen, und der oder die Angeklagten wurden aus dem Saal entlassen, außen wieder gefesselt und in das Gefängnis zurückgeführt. Nunmehr wurden die Untersuchungsakten nebst den vom Ankläger und Verteidiger gewechselten Schriften und dem stadtgerichtlichen Protokoll über den kurzen mündlichen Rest der Verhandlung an die Juristenfakultät in Tübingen zur Erteilung eines rechtlichen Gutachtens eingesandt. Diese war somit, da es in der Regel bei ihrem Gutachten sein Verbleiben hatte, der eigentliche Richter, der die peinlichen Prozesse entschied. Sie sandte ihr Gutachten unter Wiederanschluß der Akten an das Stadtgericht zurück; aber auch jetzt waren diesem immer noch die Hände gebunden, und es mußte das gutachtliche Erkenntnis nebst den Akten der Regierung einschicken, welche es, mit ihrer Ansicht, dem Herzog zur Bestätigung oder begnadigenden Abänderung vorlegte. Wenn letztere eintrat oder der Spruch überhaupt nicht an das Leben ging, so hatte das peinliche Gericht mit dem Prozesse nichts mehr zu tun, sondern das Erkenntnis ging unmittelbar dem Oberamtmann zur Vollziehung zu. Erfolgte aber ein Todesurteil, so wurde dasselbe dem peinlichen Gerichte zugesendet [747] und zugleich vorläufig dem Verurteilten im Gefängnis durch den Regierungsbeamten einige Tage vor der Exekution bei feierlicher Versammlung angekündigt. Zur Einführung in die christliche Heilsordnung war ihm gleich im Beginne seiner Gefangenschaft das zu diesem Behufe von einem Stuttgarter Stiftsoberhelfer verfertigte und laut allerhöchster Vorschrift vom 14. November 1753 durch den Buchbinder stark geleimte und dauerhaft gebundene Malefikantengebetbuch in die Hand gegeben worden. Am Tage der Hinrichtung wurde der zweite Rechtstag gehalten, bei welchem wieder die Gemeinde als Richter in ihr Amt eintrat. Die Mitglieder des peinlichen Gerichts erschienen schwarz gekleidet mit Degen an der Seite im Gerichtssaale, das Schwert war aufgepflanzt, der Verurteilte wurde unter dem Läuten des Malefizglöckleins vorgeführt, der Stabhalter, mit dem ganzen Gerichte sich erhebend, trat vor und eröffnete ihm das Todesurteil mit dem Beifügen, daß der Herzog die Bestätigung erteilt habe, brach den Stab mit den Worten: »Gott sei deiner armen Seele gnädig!« und übergab sodann den armen Sünder dem Regierungsbeamten, der die Vollstreckung zu leiten hatte.
Das Urteil, das die Juristenfakultät gefunden und der Herzog bestätigt hatte, verhängte über Friedrich Schwan die Todesstrafe in der schwersten Form, welche die Zeit kannte, und ohne alle Milderung. Christine Schettinger wurde zum Strang verurteilt. Die Magd, ein bitterarmes Geschöpf auf der untersten Stufe der gesellschaftlichen Rangordnung, dessen eigenmächtige Diebstähle sich auf zwei Hemden, [748] einige Tischmesser und Zinnlöffel und eine Semmel beschränkten, und das dem Richter auf die Frage nach Stand und Beschäftigung geantwortet hatte: »Schwefelhölzlen und Tragbäusche machen, und bei Gott und guten Leuten mein Brot ehrlich suchen« – teilte das Schicksal der Frau. Den Knecht erreichte der Arm des Richters nicht: er war aus dem Vaihinger Gefängnis entflohen. Christine Müller wurde für ihre Teilnahme an einigen Diebstählen, noch mehr aber wegen ihrer Verbindung mit dem Erzbösewicht überhaupt, zur Ausstellung am Hochgerichte und hierauf zu erstehender vierjähriger Zuchthausstrafe verurteilt. Das Verhältnis beider Weiber zu dem Hauptangeklagten wurde im Urteil ausdrücklich als Unzucht bezeichnet. Über das Kind endlich, das Christine Schettinger im Gefängnis geboren, wurde verfügt, daß dasselbe bis zum zuchthausfähigen Alter von neun Jahren, das heißt, wie man es nicht anders deuten kann, bis zur Aufnahme unter die sogenannten freiwilligen Armen, auf öffentliche Kosten untergebracht werden solle.
»Schwan«, sagt sein Geschichtschreiber über die Verkündigung im Gefängnis, »hörte mit unveränderter Miene die schrecklichen Worte, keine Träne entfloß seinen Augen, kein unwilliger Seufzer seinem Munde. ›Wenn sie meine Beine in tausend Stücke zerstoßen‹, sagte er, ›so können sie mich doch nicht von meinem Heiland reißen.‹ Allein diese Ermannung, fügte er hinzu, habe ihn die ganze Anstrengung seiner Kräfte, den ganzen Schwung seiner Seele gekostet, und sobald diese nachließen, sei Furcht an die Stelle des Mutes getreten und er habe sich einige Stunden hernach beklagt, [749] daß sein Tod doch immer sehr hart sei. Man wird ihm nicht zu nahe treten, wenn man vermutet, er habe von seiner so wirksam ausgedrückten Reue wo nicht Begnadigung, doch wenigstens Milderung der Todesart gehofft. Ob und was er über die Verurteilung seiner Mitangeklagten bemerkte, ist nicht aufgezeichnet; wenn er aber das Urteil über die Magd ins Auge faßte, so konnte er sich sagen, daß er aus einer Zeit von hinnen gehe, die des Christentums und Rechtsbewußtseins, dessen Mangel sie an ihren armen Sündern bestrafte, sich selbst nicht hoch berühmen durfte.«
Indessen fuhr er mit unveränderter Gesinnung in seinen Denkwürdigkeiten fort, die er an jenem Tage noch nicht beendigt hatte. Bald auch, sagt sein Geschichtschreiber, habe er sich selbst wegen seiner Zaghaftigkeit bestraft und seine vorige Stärke wieder erlangt, und den folgenden Tag habe er dem ihn gleich morgens besuchenden Geistlichen zugerufen: »Nur noch einen einzigen Tag bis zur Ewigkeit, und gottlob zur frohen Ewigkeit! Lange habe ich nicht so sanft geschlafen als in dieser Nacht.«
An diesem Tage erfolgte zwischen ihm und der schwarzen Christine ein Versöhnungsauftritt, den ihr gemeinschaftlicher Geschichtschreiber sehr rührend nennt. »Lange schon«, erzählt er in seiner Geschichte des Räubers, »waren Schwan und sein zweites Weib sehr gegeneinander erbittert, lange schon hatte die letztere ihn der Lieblosigkeit, der Lügen und der Verräterei beschuldigt, jetzt brannten sie beide vor Begierde, sich zu versöhnen und dann auf ewig voneinander [750] Abschied zu nehmen. Es ward gestattet und sie wurden zusammengeführt. Voll innigster Bewegung fielen sie sich nun in die Arme, gaben sich dann die Hände mit gegenseitigem Versprechen, alle Mißhelligkeiten, die bisher unter ihnen entstanden, wechselsweise zu vergessen, und trösteten sich, daß sie morgen in dem Ort der Seligkeit wieder zusammenkommen würden. So freudig sich Schwan bezeugte, so versicherte doch sein Weib, daß sie ihn an Freudigkeit im Sterben noch übertreffen wolle, und so schieden, sie, sich Glück wünschend zum Kampf und Sieg, vergnügt voneinander.«
Aber die Wahrheit des Sprichworts, daß nicht alles Gold ist, was glänzt, bewährte sich auch hier wieder an der Frage, ob Christine ihm in seinen Himmel folgen würde, wie er mit ihr in die Hölle gegangen war. Denn in seiner »Geschichte einer Räuberin« beschreibt der Sohn des Oberamtmanns das Verhalten der Zigeunerin vollständig so: »Schrecken und Wut durchdrang sie, da sie ihr Todesurteil anhörte; sie stand eine Zeitlang starr vor Entsetzen, dann brach sie in die fürchterlichsten Flüche aus und wütete so lange, bis sich ihre Kräfte gänzlich erschöpft hatten. Man wird ohne Zweifel begierig sein, wie das boshafte Weib nun, da sie ihrer Laster überwiesen war und nichts als gewissen Tod zu erwarten hatte, sich betrug. Die katholischen sowohl, als die lutherischen Geistlichen suchten, jeder auf seine Art, Reue über ihre Verbrechen ihr beizubringen und sie auf bessere Wege zu führen. Schwan selbst gab sich die äußerste Mühe, und versuchte bald durch die zärtlichste Liebe, bald [751] durch die heftigsten Drohungen sie zu bekehren; sie blieb gänzlich ungerührt. Auf alle Ermahnungen antwortete sie mit Vorwürfen, und verwünschte sich selbst und alle Menschen. Oft, wenn ihr der Geistliche vorhielt, daß sie mit diesen Gesinnungen gewiß zur Hölle verdammt würde, antwortete sie, daß es ihr gleichgültig sei, in den Himmel oder in die Hölle zu kommen, sie werde in beiden Kameraden finden. Oft freute sie sich sogar darauf, einst in der Hölle gequält zu werden, weil sie sich selbst Hoffnung mache, daß auch ihre Richter mit ihr gequält würden. Als man ihr das Beispiel ihrer Magd vorhielt, die sich sehr aufrichtig bekehrt hätte, so spottete sie darüber und schrieb ihre Bekehrung ihrer Dummheit zu, und als man ihr auch Schwans Beispiel vorstellte, so antwortete sie, daß Schwan das Leben besser genossen als sie, und also sie sich nicht mit ihm vergleichen lassen könne. Nur sie allein, fuhr sie fort, sei die unglücklichste aller Menschen, da sie, noch so fähig die Freuden der Welt zu genießen, ihnen schon entrissen werde. So verhielt sie sich mehrere Tage, aber auf einmal schien ihre ganze Seele verändert. Sie gestand, daß sie jene verzweiflungsvolle Sprache bloß angenommen, weil sie geglaubt, daß man sie nicht in ihren Sünden dahin sterben lassen werde. Sie bekannte alle ihre Fehler, bezeugte die herzlichste Reue und versprach, Schwan in der Freudigkeit beim Tode zu übertreffen. Auffallend war es dabei, daß sie sich gegen die lutherischen Geistlichen viel aufmerksamer als gegen die katholischen bezeugte, mit jenen viel williger und herzlicher betete und diesen sogar [752] drohte, bei den lutherischen das Nachtmahl zu nehmen. Kurz, auch diese schnelle Bekehrung sollte bloß zum Mittel dienen, Mitleiden zu erwecken und ihr vielleicht das Leben zu retten. Aber auch dieser Kunstgriff half nichts, der Tag ihres Todes erschien, und nun zeigte sich bald, daß ihr letztes Betragen nur Verstellung gewesen. Sie fiel in plötzliche Ohnmacht, und erholte sich aus derselben nur, um in Wut gegen alle Menschen, und selbst gegen Schwan, der ihr Mut einzusprechen suchte, auszubrechen.« Dieses ihr wahres Gesicht behielt die Unglückliche, starr und wild, wie eine dem Volk der Ebene fremde Gebirgswelt, von nun an unverändert bis zum letzten Augenblick bei.
Ihr glücklicherer Genosse, der sein altes Kindesherz wiedergefunden hatte, um sich in diesen schweren Tagen daran aufzurichten, fühlte sich durch das Verlieren der kaum wiedergefundenen Geliebten in seinem Glücke schmerzlich gestört; allein ihm winkte nun der Pfad, den jeder Mensch für sich allein antreten muß, und er klammerte sich mit ganzer Kraft an den Stab, den er erwählt hatte, den ihm seine Kirche reichte. Er nahm das Abendmahl, von dem er einst, wie seine Heimatsbehörde von ihm aufgezeichnet, gesagt hatte, es solle ihm das Herz abstoßen, wenn er nicht Wort halte. Er war dabei aufs innigste gerührt und erklärte überhaupt diesen Vormittag, wie sein Geschichtschreiber erzählt, für einen der glücklichsten seines Lebens. »Ich kann nicht aussprechen«, so drückte er sich selbst hierüber aus, »welch einen glücklichen Vormittag ich heute gehabt habe. Mein Herz wallete vor Liebe zu meinem Heilande. Zu dem[753] komme ich morgen, schon morgen. Morgen um zwölf Uhr aufs längste- bin ich bei ihm. Oh, wenn es doch nur schon morgen wäre!« Der Geistliche Krippendorff, der zugegen und durch die Äußerungen innigst bewegt worden war, rief voll Freude aus: »O Tod, wo ist dein Stachel? Hölle, wo ist dein Sieg?« »Gott sei Dank«, fiel Schwan ein, »der mir den Sieg geben wird, und schon gegeben hat.«
An diesem christlichen Heldentum, das die Geschichte in unschuldigen Märtyrern wie in reuigen Verbrechern tausendfach als unverfälschte Gesinnung aufgewiesen hat, soll niemand mäkeln. Wohl aber hat jedes Heldentum, nicht bloß für die gemeine Anschauung, die es niedriggesinnt in den Staub zu ziehen sucht, sondern auch für eine würdigere Betrachtung, die aber nicht anders als mit menschlichem Maße messen mag, seine menschliche Seite, und es kann der Menschenwürde des Bekehrten, den wir hier durch seine letzten Stunden begleiten, keinen Eintrag tun, wenn wir aus den Worten, die seinen Beichtvater beseligten, doch auch den menschlichen Seufzer heraushören, daß die scheußliche, auch ein frommes Herz mit den Krallen der Verzweiflung und der Hölle zerfleischende Marter, die in den ersten Frühstunden beginnen sollte, um die Zeit, wo glücklichere Menschen ihrem Schöpfer danken und seine Gaben genießen, doch hoffentlich überstanden sein werde.
Man fühlt sich unwillkürlich von seinem verwahrlosten, aber darum nicht minder lebendig grübelnden Verstande die Frage vorgelegt, warum denn die Menschen einem Mitmenschen, der eine solche Höhe geistlicher [754] Vollkommenheit erreicht hat, daß sein Beichtvater darüber ein frommes Entzücken fühlt, in sein Leben einbrechen, eben jetzt, da er reif wäre, der so bedürftigen Menschenwelt die schönsten Früchte zu bringen. Und wenn man aus dem Munde dieses Beichtvaters antwortet, es stehe im Evangelium, daß, wer das Schwert ziehe, durch das Schwert umkommen müsse, so hört man ihn im Triumphe seiner Bibelfestigkeit entgegenhalten, das Evangelium spreche dies nicht als Vorschrift aus, sondern habe nur die jähzornigen Gemüter jener Zeit warnend darauf aufmerksam machen wollen, daß dies die bestehende jüdische Rechts- und Kirchenordnung sei. Oder wenn der Geistliche erwiderte, es geschehe, damit der bereuende Sünder in diesem Leben nicht mehr rückfällig werde, sondern drüben gleich zu noch höherer Vollkommenheit fortschreiten könne, so muß es dem grübelnden Verstande, den wir kennen und den das Evangelium nicht einschläfern konnte, weil es vielmehr die Geister weckt, schwer geworden sein, die Folgerung zu unterdrücken, daß man aus dem gleichen Grunde jeden Gerechten zeitig vom Leben zum Tode bringen müsse, damit er nicht, als ein Mensch, aus dem Stande der Gerechtigkeit falle. Da jedoch über die Äußerungen oder Gespräche dieser Art sich nichts angemerkt findet, so kann man auch schließen, er habe das Abscheiden aus einem solchen Leben und einer solchen Zeit, nicht bloß im geistlichen, sondern selbst im weltlichen Sinne des Wortes, für einen so großen Gewinn gehalten, daß er über den weltlichen Preis desselben kein Wort verloren habe.
[755] »Den Nachmittag«, erzählt sein Geschichtschreiber nach dem Auftritte zwischen ihm und dem Geistlichen weiter, »verlor sich zwar diese Freudigkeit ziemlich, weil ihn, wie er selbst sagte, die zu große Menge von geistlichen Zusprächen betrübt und zerstreut hatte; doch kehrte sie abends wieder zurück. Endlich erschien der letzte Tag. Morgens früh um fünf Uhr kam Krippendorff zu ihm und traf ihn im Gebet an. Er sah frisch und munter aus; dennoch hielt er, weil seine Seele nicht so hochgeschwungen und furchtlos wie gestern war, sich selbst für verstockt, ein Gefühl, welches jedoch durch Hilfe des Gebets sich bald wieder verlor.«
So erfuhr auch dieser Geist, was jeder Geist in seinem Ringen nach Klarheit erfährt, daß die Seele den gewaltsam ergriffenen Besitz nicht ungestört festzuhalten vermag, daß ihr die Stunden räuberisch in das Gut einbrechen, das sie schon sicher geborgen zu haben glaubte. Denn die Seele des Menschen rollt beweglich mit seiner großen Mutter dahin, die, wie uns die Himmelskundigen in ihrer Sprache gelehrt haben, in beständiger Revolution begriffen ist. Sie faßt, im Gebiet des Geistes umherspürend, einen Gedanken, eine Wahrheit, eine Erkenntnis, die ihr plötzlich in blendendem Licht auftaucht, und will in alle Welt hineinjubeln, jetzt sei die Wurzel gefunden, die alles Verschlossene aufsprengen, alles Kranke heilen müsse. Aber die Stunden bringen und nehmen. Andere Erkenntnisse, andere Wahrheiten oder Irrtümer drängen sich in die Seele ein und verdunkeln das erste Licht, und was die Seele festzuhalten [756] glaubte, das wird ihr so blaß und farblos, daß sie sich ermattet, bangend, zweifelnd davon abwendet. Wieder erscheint jene geistige Gestalt vom Lichte der Erleuchtung begleitet, sie zeigt sich der Seele von einer neuen Seite, und die Hoffnung, der Glaube an die Sicherheit des Besitzes wächst. Aber Licht und Schatten wechseln, die Sehnsucht wird zur wilden Glut, die das reine Licht der wahrheitsuchenden Seele mit Qualm umdüstert, und so, zwischen Licht und Schatten, zwischen Glauben und Zweifel, zwischen Höhe und Tiefe dahinschwebend, gelangt die Seele unter immer neuen Erleuchtungen zu der Überzeugung, daß das erste Licht das richtige gewesen sei, zur Gewißheit, daß die reine Wahrheit darin wohne. Aber die Überzeugung des Menschen, besonders wenn er sie mit Heftigkeit ergriffen hat, wäre für ihn selbst nicht echt, wenn er sie seinen Brüdern vorenthielte; denn weit leichter als seine Herzens- oder Vorratskammer tut er ihnen die Schatzkammer seines Wissens oder Glaubens auf. Aber seine Brüder haben dasselbe erlebt wie er, auch ihnen sind Lichter aufgegangen, auch sie sind zu Gewißheiten und Überzeugungen gekommen. Dann geraten die Geister aneinander: der Mann des Wissens stößt den Glauben des Frommen zurück, und der Mann des Glaubens erschrickt vor der Überzeugung des Denkers; ja, unter den Gläubigen selbst, und bis in ihre engsten Kreise hinein, ist Unterschied und Zwiespalt, weil keiner die gemeinsame Wahrheit, zu der sie sich bekennen, ganz im Lichte des anderen schauen kann. Dieser Kampf der Geister verwundet das Herz, das die ganze Welt [757] in Frieden wissen möchte, aber das Herz kann den Menschen nicht allein leiten, denn es würde ihn jeder herben Schule, die ihm nötig ist, entziehen. Der Kampf der Geister ist gut, auch wenn er schmerzt: denn der Geist der Menschheit, nicht ihrer bevorzugten Kinder nur, ist zur Erkenntnis berufen, und die Arbeit der Geister wird der Welt eine Erkenntnis bringen, so hoch und tief, daß der stolzeste Geist sie nicht durchfliegen, so reich, daß der mannigfaltigste Geist nicht an ihr erlahmen, so klar, daß der nüchternste Verstand sie nicht antasten, so einfach, daß die kindlichste Seele sie erfassen, und so rein, daß das fromme Herz in ihr seine Wohnstätte finden kann. In der Schule dieser Erkenntnis wird Friede und Kampf, Ruhe und Bewegung vereinigt sein. Darum meiden wir den Kampf der Geister nicht, wenn er auch die Lebenden durch Nacht und Wunden zu diesem Ziele führt! Aber den Sterbenden wird kein guter oder weiser Mensch durch die Menge seines Zuspruchs betrüben und zerstreuen, weder der Denker den Gläubigen, noch der Fromme den, der nicht in der Form des Glaubens denkt: denn der Sterbende muß mit seinem Herzen Zwiesprache halten, dessen Schläge ihn im Laufe der Stunden beseligt und verwundet haben, bis der letzte die fliehende Zeit für ihn stille stehen heißt. Tragt ihn sanft aus der Schlacht, fernab vom Staube und Gewühl der Kämpfenden, daß er am Rande des Hügels durch die Abendröte der Gegenwart hinausschaue in das Morgenrot der Zukunft, für die wir kämpfen. Für ihn verstummt der Zank der Meinungen und der Vorwurf der Einseitigkeit: er [758] fällt ab von dem unvollkommenen Leben seiner Zeit und geht über zu dem großen Heere der Vollendeten, die im Frieden ruhen.
Am Tage vor dem letzten hatte der Sterbende sein weltliches Vermächtnis für die Obrigkeit zu Ende geschrieben. Kein Lohn, nicht einmal mehr der arme Trost einer Linderung winkte ihm, als er es hinterließ, und hierin liegt die Bürgschaft, daß ihn, wenn auch unter menschlichen Schwächen, die reine Absicht leitete, die Jugend künftiger Tage vor seinem Lose zu bewahren. Seine Blätter enthalten nichts von seiner inneren Lebensführung, nichts von dem Gange seiner Seele durch die Stürme des Lebens, aus Tag in Nacht; denn dies war kein Gegenstand für seine Obrigkeit. Wohl aber darf die Nachwelt, die sich an der Geschichte eines rohen Mannes aus dem Volke oft besser belehren könnte als an verwickelten Staats- und Fürstengeschichten, wohl darf sie den Pfarrer seiner Heimat anklagen, daß er, dem die Pflege der Geister vertraut war, keine Chronik seiner Gemeinde, keine Aufzeichnung über den Lebensgang des Jünglings hinterlassen hat, der nach dem Zeugnis befähigter Zeitgenossen außerordentliche Gaben des Geistes und Herzens besaß, keine Rechtfertigung der mit mehr als väterlicher Gewalt ausgerüsteten geistlichen und weltlichen Behörde, wie es kommen konnte, daß ein solcher Mensch aus dem Schöße der Gesellschaft heraus, so tief in Elend, Verbrechen, Schmach und jede Erniedrigung der Seele stürzte. Und doch hat jener Pfarrer sein ganzes Lebensschicksal mit angesehen und hat ihn lange überlebt. Er fand nichts aufzuzeichnen[759] nötig als die karge, schauerliche Randbemerkung, die er auf einem Blatte des Taufbuches, wo der Name des am 4. Juni 1729 geborenen Kindes Friedrich Schwan nebst den Namen seiner Eltern und Taufpaten eingetragen ist, mit roter Tinte hinzugeschrieben hat: »Wurde den 30. Juli 1760 zu Vaihingen lebendig auf das Rad gelegt. Gott sei seiner armen Seele gnädig!«
Das war die Todesstrafe, die ein christlicher Staat unter dem Beistande einer christlichen Kirche an einem Menschenbilde, das sie Gottes Ebenbild nannten, vollzog, indem er sich für so arm an leiblichen und geistigen Mitteln bekannte, daß er mit einem, wenn auch noch so tief gefallenen Menschen nichts Menschlicheres, nichts Christlicheres zu tun wußte, als ihm das Leben zu rauben, und für so beschränkt in Menschenkenntnis, daß er meinte, durch eine recht ausgesuchte grausame Strafe werde er andere vom Wege des Verbrechens abschrecken. Und doch hätte gerade dieser ihn vor tausend anderen belehren können, wie irrig eine solche Voraussetzung ist. Er war vor anderen mit Verstand begabt, um sich zu sagen, wohin sein Leben zuletzt führen müsse, und wenn er es je vergessen hätte, so sagten es ihm seine schrecklichen Genossen, die sich täglich auf den Gedanken an ein solches Ende einübten, verkleidet den Hinrichtungen beiwohnten, einander den Hergang bei denselben beschrieben und bei ihren Gelagen sich gegenseitig einen leichten Tod zutranken. Nicht einmal sein Mut machte ihn zu einer Ausnahme, an der die Abschreckung verloren war, denn sein Geschichtschreiber [760] sagt ausdrücklich von ihm, bei aller natürlichen Herzhaftigkeit habe er sich durch diese abschreckenden Gewohnheiten so erschüttert gefühlt, daß er gänzlich unfähig gewesen sei, dieselben mitzumachen; und man kann überhaupt sagen, daß auch die Feigheit nicht hinlänglich abschreckend wirkt, denn die Gerichtsverhandlungen zeigen feige Verbrecher genug. So hat also weder sein Verstand noch die Abschreckung selbst, die bei ihm nicht verloren war, ihn von dem finsteren Pfade abgeschreckt, hat weder seine zwar rohe, aber zur Erkenntnis von Gut und Böse, von Wohl und Übel, völlig genügende Bildung, noch die vorsorgende Liebe der Gesellschaft ihn vor diesem fürchterlichen Ende bewahrt. Es gibt keine andere Milderung für seine Todesart, keine andere Beschwichtigung für das empörte Gemüt, als sich zu sagen, daß das Jahrhundert seitdem seine Speichen beinahe völlig umgewälzt hat, daß jene Mittagsstunde, um die er vollendet zu haben hoffte, längst vorüber ist, daß jene arme kranke Zeit ein besseres Jahrhundert, reicher an Geist und Herz und Erkenntnissen, geboren hat. Ja, so vieles wir an unserer Zeit mit Recht verwerfen, wir können ihr das Zeugnis nicht versagen, daß ein Mensch wie dieser besser von ihr durch das Leben getragen worden wäre, daß er keinen Pfarrer, Amtmann und Vogt getroffen hätte, die seine blühende Jugend fast gewaltsam unter die Räuber stießen, daß, wenn ihm auch der Lieblingswunsch seines jungen Herzens versagt geblieben wäre, das Leben ihm Befriedigung für sein Gemüt, für seinen Geist, für seine Fähigkeiten nicht so ganz versagt [761] haben würde, wie die dürre Wüste, mit der ihn seine Zeit umgab. Wohl ist noch eine schwere Arbeit zu vollbringen, bis unsere Zeit aus dem dunklen Mutterschoße jenes Jahrhunderts, worin sie mit ihren Tugenden und Fehlern, mit ihren Wahrheiten und Irrtümern wurzelt, losgerungen ist, und darum kämpfen wir. Aber die Sonne, wie sie von Osten nach Westen wandelt, sieht das Volk in der Mitte zwischen Ost und West täglich mehr im stillen Ringen nach Licht und Recht begriffen, und sie wird die Mühe seiner Geister nicht verloren finden, wenn sie oft auch tief wie Grubenmänner in die Schachte unsrer Geschichte, unsrer Sprache, unsrer Dichtung sich zu verlieren scheinen, von wo dieses Licht und Recht am reinsten zu holen und nach dem Maße des heutigen Tages zu verteilen ist. Denn jetzt gilt es sich selbst zu verstehen in der allgemeinen Bewegung, die schon mit wachsendem Getöse an die Pforten noch immer so vieler Schläfer pocht. Die Bewegung, die aus einem Teil des Westens kam, hat uns verwirren müssen, denn sie bot uns Eigenes mit Fremdem gemischt. Die Bewegung, die sich aus einem Teil des Ostens ankündigt, wird uns aufklären helfen, denn man lernt sich besser selbst erkennen in einem Spiegel, der uns gar keine Ähnlichkeit zeigt, sondern ein wildfremdes Gesicht. Dann wird der Kampf auch nicht mehr verwandte Geister trennen, nicht mehr durch das einzelne Menschenherz selbst hindurchgehen: die Scheidung zwischen dem Wahren und dem Falschen, zwischen dem Guten und dem Bösen wird leichter sein. Wer aus der allgemeinen Betrachtung, zu welcher [762] jeder Tag so vielen Anlaß gibt, zu der hier erzählten Volksgeschichte zurückkehrt und vielleicht einmal, zufällig das freundliche Filstal hinaufwandernd, nach ihren Spuren fragt, der kann sich die Mühe und den Staub der Akten ersparen, denn er findet in der Erzählung jeden Zug, der aufbewahrt geblieben ist. Und dennoch möge er nicht eine buchstäblich wahre Geschichte in ihr suchen. Denn der geschichtliche Buchstabe ist unwahr, solange nicht der Geist ihn lebendig macht und in das gebrochene rückstrahlende Licht des Gleichnisses stellt. Selbst das alte Wirtshaus zur Sonne wird der Wanderer vergebens suchen, und da ein solches Haus mit stattlichem Giebel nicht so leicht aus der Reihe der Gegenstände verschwindet, so mag er vermuten, daß er das Ebersbach dieser Volksgeschichte anderswo zu suchen habe. Darin hat er auch gewissermaßen recht: der Flecken, der eine begabte Jugendkraft nicht zu ihrer Entfaltung kommen ließ, erstreckte sich noch vor weit kürzerer Zeit als vor hundert Jahren über ganz Deutschland und besonders über den Süden desselben, und der Berg unseres alten Reiches mit seinem öden Gipfel wurde viel weiter im Umkreise gesehen als er zwischen der Rems und Fils in die Landschaft ragt. Der Erzähler, der aus Erfahrung weiß, daß alte Häuser nicht so schnell verschwinden und daß alte Wahrzeichen von einer neuen Zeit nicht so leicht auszurotten sind, hat in einem freundlichen Gasthause eines ansehnlichen Fleckens in jener Gegend, wo man die alte ›Sonne‹ mit vielen Laternen nicht finden würde, ein übriggebliebenes Wahrzeichen von ihr entdeckt. Aber er wird [763] seinen Fund hier nicht verraten; denn der Beobachter ist nicht überall angenehm, und der Knabe, der nicht weit davon im Zimmer an einem Tische, worauf eine Rute lag, seine Aufgabe lernte, behauptete, das Rütlein sei nicht für ihn. Angelegenheiten eines einzelnen Hauses, die das öffentliche Recht und Wohl nichts angehen, muß man beruhen lassen. Der Besitzer des Hauses, der nicht Schwan heißt, sondern einen anderen guten Namen führt, ohne sich jedoch des armen Friedrich Schwan zu schämen, mag dem Wanderer von der alten ›Sonne‹ selbst erzählen, soviel ihm beliebt. Daß der Schild des Hauses geändert wurde, ist schon lange her, wohl fünfzig Jahre, und fällt dem damaligen Besitzer nicht einmal zur Last. Denke man sich, er habe vielleicht einen Sohn gehabt, den der Volkswitz – man weiß, wie die Leute sind und wie sie gar in früherer Zeit waren – nach jenem berüchtigt gewordenen Namen den »Sonnenwirtle« hieß: bei dem besten Bewußtsein des Sohnes und der Eltern konnte die Bezeichnung, wie sie nun einmal für den Flecken klang, der keine Ehrenkrone darin zu sehen gewohnt war, auf die Länge so unleidlich werden, daß man lieber den Namen des Hauses änderte. Eine beschränkte Umgebung hindert ja auch den Unbefangensten, das Leben frei anzuschauen und frisch hineinzugreifen. In kleinen Verhältnissen ist dies nicht so leicht zu ändern. Ein Volk aber soll seine Wahrzeichen nicht wegwerfen, und ein Wahrzeichen ist ihm nicht bloß sein Liebling, auf den es stolz ist, ein Wahrzeichen ist ihm auch der Verbrecher, dessen es sich schämt. Wir mögen ihn verwünschen und verfluchen, [764] wir mögen ihn aus der Gesellschaft und aus dem Lande stoßen, wir mögen ihn in der Gruft des lebenslangen Kerkers begraben oder mit der Maschine töten, die uns ein wenig von der Bildung und noch, mehr von der selbsttätigeren Kraft unserer Vorfahren unterscheidet – eines können wir ihm nicht nehmen, ein Gepräge können wir nicht an ihm vernichten. Wir müssen bekennen:
Er war unser.
Noch einmal den Vorhang auf und nun das letzte Bild.