Beichte des Teufels bei einem großen Staatsbedienten
Ich hatte vor mehreren Jahren das Glück, einen Staatsmann von Belesenheit, von noch mehr Witz, noch stärkerer Phantasie und stärkster Hypochondrie zu kennen und aus seinem Munde die eingebildete Beichte zu erfahren. Seitdem mußte der kränkelnde Beichtvater mit Tod abgehen – wohin, weiß man nicht, falls nicht der Beichtsohn ihn aus Achtung zu sich abgeholt. Der brave Beichtiger wird im folgenden Beichtzettel nur unter dem Namen »unbescholtener Staatsbediente« aufgeführt, da wohl jeder, der ihn persönlich kennt, den Namen ergänzt.
Der Kardinal Richelieu hatte, wie bekannt, seine Stunden, wo er sich für ein Pferd ansah und wie eines trabte und ansprang und so weiter; kam er wieder zu sich, so wußte er freilich am ersten, wen er dafür zu halten habe, welches Land für sein Trauer-, Pack- und Lehn-Pferd, und welches für sein Freuden- und Paradepferd. In der medizinischen und politischen Geschichte erscheinen dergleichen sieche Staatsmänner voll fixer Ideen häufig. Darunter gehörte nun der gedachte Beichtvater des Teufels, der unbescholtne Staatsmann, ebenfalls; langes Sitzen am Sessions und Schreibtisch und an deren Nachtischen, dem Eß-, Trink- und Spieltisch, und am Ende gar der Abschied und die Ungnade hatten dem Manne vermittelst des Körpers mehr Verstand genommen, als wenige besitzen, und ihn zuletzt ganz toll über andere gemacht, und dann toll in und für sich selber.
Schon eh' der Verfasser dieses – der, nach neuerer Wort-Spiel-Sucht zu reden, die Beichte einer Beichte beichtet – das Nähere durch den Staatsmann selber erfuhr, kam es früheren Bekannten desselben bedenklich vor, daß er das Talent des mailändischen ArztesCardan besessen, im Finstern jede Gestalt nicht so wohl [69] erblicken zu lassen – was sich mit einem gesunden Staatsmann weit eher vertrüge – als die selber zu erblicken, die er eben sehen und erdichten wollte. Wie oft sah er im Schwarzen der Nacht Schwarze der Goldküste und beklagte seinen – Magen!
Darauf geriet der – außen plagende, innen geplagte – Mann nach langem Lesen von Legenden um die Goldstücke oder Münz-Köpfe endlich aufs Lesen der Legenden um die Nimbus- und Glorien-Köpfe.
Wer nun von uns die Legende des Jakobs de Voragine, wie er, in Händen gehabt, erinnert sich leicht daraus, daß die heilige Margaretha den Teufel, der zu ihr (gewiß in keiner frommen Absicht) gekommen war, so lange abprügelte, bis sie ihn dahin brachte, vor ihr seine Ohrenbeichte abzulegen. Sehr weiche Seelen kann vielleicht der Beichtsohn, der Teufel, dauern, der früher zur Pönitenz als zur Beichte kam, wie man einen Angeklagten stets früher auf die Folter als zum Bekenntnis bringt; aber der Pein-Rechts-Lehrer weiß, daß man sogar geringe Verbrecher oft, wie durch elektrische Peitschen, um Wahrheits-Funken halbtot schlagen muß, bis man nur so viel Licht in der Sache bekommt, daß man sie halb lebendig lassen kann.
Wir kommen auf den unbescholtnen Staatsmann zurück. Einst am Vigilien-Abende seines Geburtsfestes fühlte er sich ungewöhnlich krank und fromm – das Wiegenfest brachte ihn aufs Sargfest – der Schluß, man sterbe am letzten Tag seines eignen Jahres leicht, weil man am ersten desselben geboren worden, leuchtete ihm ein – seinen Tod und den Teufel dacht' er sich immer gern beisammen – seine Gabe, im Finstern Beliebiges zu ersehen, wurde reger durch die Scheu davor – – nach so vielen Angst-Gedanken fiel er endlich gar auf die Knie, um womöglich ins Beten zu geraten.
Da erschien ihm der Teufel – anständig gekleidet, nämlich (wie es der unbescholtene Staatsbediente auch war) ganz schwarz, als geh' er in Gesellschaft oder an den Hof oder zur Beichte – ein schwacher Ordensstern in Form des Morgensterns oder Luzifers verzierte den dunkeln Brust-Grund ganz artig – Horn, Huf und Schwanz fehlten natürlich als zu schwerfällige Krönungs-Insignien, [70] die jeder Fürst überall am Traualtar und Beichtstuhl wegläßt – kurz der Teufel konnte sich im ganzen sehen lassen.
Der große Staats- und Hofbediente, der ihn leicht erkannte, aber zum Schein, als ob er ihn für etwas Besseres hielte, auf den Knien verblieb, fragte verbindlich, wen er so spät um 12 Uhr das Glück habe, vor sich zu sehen. –
Der Teufel verbeugte sich und hob – weil er einen so ernsten, schwarzen, tonsurierten und knienden Mann am leichtesten für einen Beichtvater halten konnte – an, wie folgt:
»Ehrwürdiger lieber Herr, ich bekenne gern vor euch, daß ich zwar ein Teufel, aber kein sonderlicher Heiliger bin, sondern nur der beigeordnete Genius eines Staatsmännchens, das ich so und so geleitet habe. Übrigens bin ich so gut wie die beste Welt und lasse mich finden. Freilich hat meine Großmutter von ihrem siebenten bis in ihr 18tes Jahrhundert (nachVoigts Berechnung) neun Millionen Hexen ins Scheiterhaufenfeuer gelockt und sie zu Pulver gebraten für ihre Zähne; wiewohl sie sich darüber leicht mit ihrer Vorliebe für das weibliche Geschlecht entschuldigt, das, wie sie sagt, von niemand so sehr gehasset werde als von Weibern, sogar von alten. Indes war die Gute früher bei Jahren als Eva und ich. Ihr Mann, mein guter Großvater, zündete eintausendachthundertundsieben Kriegsfeuer an, um sich warm zu halten durchs Kalt-Machen der andern. Sein Enkel, ich, hat durch das große Staatsmännchen, dessen chevalier d'honneur et d'atour ich bin, bloß drei Sukzessions-Kriege und anderthalbe Antezessions-Kriege angezündet und gewiß mehr nicht; denn seine Zünd-Rute, der Fürst, war gar zu kurz; – und so geh' ich denn zur Beichte meiner Sünden, die ich weniger begangen als eingegeben, nicht ohne jenes Bewußtsein von Unschuld über, das ein armer Teufel wohl mehr braucht als irgendein anderer.
Ich bekenne, ehrwürdiger, an Gottes Statt hieher gesetzter Herr, daß ich nach der leider wankelmütigen und vielleicht nicht ganz unverdorbnen Natur der Teufel mein Staatsmännchen zu leidlichen Verführungen seines Fürsten verführet habe. Es war aber nicht eine Versuchung in der Wüste, sondern eine in der Gesellschaft. In der Tat bekam das große Staatsmännchen bald – [71] so wie Muhammed die fallende Sucht – eine steigende und benutzte sie, wie der Prophet seine, erträglich; er stieg wie gute Falken, um zu stoßen. Wenn der Teufel (nach Luther) Gottes Affe ist, so konnte das Staatsmännchen bei seinem Fürsten als dem göttlichen Ebenbilde schon nichts weiter werden als das Affen-Äffchen.
Ich und das Männchen fanden bald Gründe, warum, wenn nach dem römischen Rechte sogar für den natürlichen Vater die Kinder nur Sachen, aber keine Personen sind, sich dies noch mehr für den Landesvater und dessen Landeskinder reflektiere; dies brachte auf mehr Schlüsse. Da nach den Rechten ohnehin kein Vertrag präsumiert wird, schlossen wir beide, so gilts am stärksten vom wichtigen contrat social; viel lieber gelte ein Völkerrecht als das Volksrecht, sagten wir drei.
Ich bekenne wohl, ehrwürdiger Herr, daß ich freilich durch den Staatsmann den Hof-Zucker, wie jeden Zucker, durch Kriegs-Blut abklärte und raffinierte. Doch wollt' ich mich entschuldigen, wollt' ich nicht gerade beichten. Gewiß die meisten Opern, Kriege, Jagden und Konzerte wurden bloß zum Besten der Armen gegeben, welche dabei augenscheinlich gewannen an Zahl oder Bevölkerung – ich sorgte durch ihn für die klügere Stimmen-Minderzahl, so daß die gemeine Mehrzahl nichts im Leibe hatte als den Magen – wir beiden ließen gegen drei Dichter, die verhungerten, stets einen Kastraten ersticken an Fett, der sie ab- und nachsang und ersetzte – und wenn wir gerade den Hauptsachen ihren faulen Gang zuließen, so geschah es gewiß nur in der Überzeugung, wie schwer ein Mensch zu bessern ist, geschweige ein Land, da man jenen wie eine Saite zu spannen, dieses aber wie eine Glocke gar einzuschmelzen und umzugießen hat, will man sie in einen andern Ton umstimmen. Ich sage, ehrwürdiger Herr, dies könnt' ich sagen, wenn ich nicht beichten wollte.
Ich bekenne gern, daß ich den guten Staatsmann vielleicht mehr zur Habsucht angeleitet, als er oder ich wird entschuldigen mögen. Nur ists schwer anders zu machen; im höhern Stand teilen sich Verschwendung und Geiz in Vater und Sohn; jeder von beiden muß davon eine Rolle übernehmen; so wie entweder der [72] Flachs dem Leindotter oder dieser jenem aufgeopfert werden muß. Wenn sonst in alten Zeiten der Teufel selber das Geld getragen brachte: so sieht er in den neuern – wo er seinen Freunden nicht anders erscheinen kann als unsichtbar in ihrem Ich in der Gestalt desselben – sich darauf eingeschränkt, daß er es ihnen bloß mit den Händen ihres eignen Leibes geben darf. Und so, ich bekenn' es, reichte ich meinem guten Prinzipal und Staatsbedienten viel, Rittergüter, Ehren- und Unehren-Posten und Bank-Kapitalien. Sein eigner Prinzipal, den er dabei einzuschläfern hatte, fand sich wie ein fett eingeschlafner Dachs bei dem Erwachen aus dem Winterschlafe abgemagert wieder; aber kann ein Fürst, den so vieles beunruhigt, die Ruhe des Schlafes zu teuer bezahlen, er, der das Land, d.h. einen Elefanten, als Schoß und Lieblingstier tragen muß? – Das Gewissen des Staatsmanns war leichter in Ruhestand zu versetzen; er konnte solches, wie der Stockfisch seinen Magen, heraustun und ausleeren und dann wieder zurückschlucken und beladen; ja er bekehrte sich wöchentlich ein paar Mal und versicherte oft, falls er verdammt würde, so sei er so unschuldig als einer.«
Hier stutzte der Beichtvater des Teufels oder der unbescholtene Staatsbediente etwas und schüttelte bewegt den Kopf.
»Es ist aber Faktum«, fuhr der Beichtsohn fort. »Noch bekenn' ich, ehrwürdigster Pater, daß ich, sollte der Titel: Vater der Lügen der meinige bleiben, den Staatsmann zu meinem Sohne und Mantelkind und Erben an Sohnes Statt angenommen. Der blaue Dunst, den wir machten, ging als das größte Blaufarbenwerk im Lande. Indes blieb er stets ein Freund jeder andern Wahrhaftigkeit und haßte herzlich jede Lüge, die man ihm sagte; denn eben aus Liebe zu Wahrheiten behielt er die seinigen bei sich, wie der Kamtschadale den Tabakrauch aus Liebe zurückschluckt, und darum sollten andere die ihrigen vor ihm, wie Deutsche den Rauch, zum Genusse ausblasen und dadurch mitteilen. Dennoch hatte ein solcher Mann von Wort, von nichts als Wort und Worten bei vielen für zweideutig gegolten; ordentlich als wenn ein Mann keine Farbe hielte, der ja eben den ganzen Cour-Abend darauf sinnt, mehr als eine und jede zu haben und zu halten.
[73] Noch eine und zwar die letzte Sünde, ehrwürdigster alter Pater, möcht' ich fast mit einer Spaßhaftigkeit beichten, die wohl zu groß für den Beicht-Stuhl, aber nicht für meine vorige Harlekins-Rolle im altdeutschen Lustspiel wäre; es betrifft sogenanntes Geschlecht. Was vom vorigen Erobern der Besitzungen gilt, dies gilt wohl noch stärker vom Erobern der Besitzerinnen; kein Teufel erscheint einem Manne oder Weibe mehr körperlich als Suc- oder Incube, sondern er fährt in dessen Ich und verdoppelt dasselbe daselbst. Wie es nun jetzt immer zweiunddreißig natürliche Kinder (zum Glücke) gegen einen unnatürlichen Vater gibt so hatte auch mein Staatsbedienter deren bloß in der Residenz 67, vielleicht nach der Zahl seiner Jahre. Die Landstädte und Dörfer waren für ihn Filiale oder Töchter – kirchen.«
– Hier (versicherte mich der hypochondrische Staatsbediente) hab' er nicht mehr knien können im Beichtstuhl, sondern den Kopf erhoben, aber der Teufel habe sogleich seinen tiefer gesenkt und dann mit etwas Lächeln fortgefahren:
»Wie gesagt, Ehrwürdigster, das Staatsmännchen versah als flinker Altarist am Altare der schönsten Meergöttin, der nachherigen Hausfrau des Feuergottes, der nachhinkte, wenn sie vorschwamm, seinen Dienst ganz gut.
Sollt' ich wieder Schuld haben wie bei der Lüge: so führ' ich wieder an, daß er gleichwohl kein lauer, sondern ein so aufrichtiger Freund und Liebhaber jeder weiblichen Unschuld war, als nur der Gott der Nach-Paradiese der ersten Unschuld, nämlich der der Gärten, sein kann; denn jeder wahren Heiligen, beteuer' ich, setzte der Treffliche nach, bis in die Nonnenklöster hinein, ja eine heilige ewige Jungfrau hätte er ungeachtet seiner Staatslast täglich wie ein Nikodemus spät besucht und nur wie dieser den Heiligen-Schein vor den Pharisäern vermieden. Daß ich guter Teufel dies zuließ, ja unterstützte, legt, hoff' ich, Ehrwürdigster, wohl am besten meine Absicht dar und verringert vielleicht die Pönitenz, Pater! Bloße Reliquien einer Heiligen, die bekanntlich schon uns Teufel von jeher verjagten, solche bloße tote Knochen und Überbleibsel einer dahingeschiedenen Jungfrau zogen ihn niemals an, sondern machten ihn kalt; nur die Reinsten[74] sollten sich vor ihm sehen lassen, und der Redliche sagte oft, sie seien gar nicht zu bezahlen, und klagte halb darüber. So sehr wußte er das jungfräuliche Herz zu schätzen, das (so sagt' er in einer passenden Bildnerei) wie ein neugebautes Schiff zum ersten Male in wahre Flammen aufschlägt, wenn es auf Walzen ins Weltmeer einrollt, indes es später im kalten Salz- und Seewasser nur in phosphoreszierenden Flammen zieht, die es weder macht noch teilt.
Was des Staatsmannes übernatürliche Kinder anlangt, um die paar ehelichen so zu nennen: so sorgte er eher zu viel und zu landesväterlich für sie und gab für sie das Land durch verschiedene Auflagen als eine in usum Delphini und Delphinorum heraus; was ich aber fremder Schätzung überlasse.« – Hier legte der Beichtvater oder Staatsbediente die Hand an den eignen Kopf anstatt auf den schuldvollen, der zu absolvieren war.
»Dies sind inzwischen meine Sünden,« fuhr der Teufel fort, »sowohl die großen als die größten. Aber ferne sei es von uns beiden, ehrwürdigster Vater, daß ich Sie, die Sie weder Tod noch Mordsünden kennen, mit Ihrem sehr sichtbaren Schmerz über meine Beichte bestäche zu irgendeiner versüßten Pönitenz. – Nein! sondern ich will, um nur recht zu büßen, gerade von hier aus in einen frömmsten Leib und Geist – in Ihren fahren, Herr Pater!«
Weg war der Teufel; und die Ungewißheit seines Aufenthaltes setzte den unbescholtenen Staatsbedienten ordentlich in wahre Verlegenheit. »Es ist in jedem Falle sehr verdrüßlich, Bester,« – fuhr er fort gegen mich in jener hypochondrischen Zweideutigkeit, die vor andern sich gern in Mutmaßung verkleiden will »wenn man nach einer so höchst dummen Vision sich in noch dümmern Stunden einbildet, man habe wirklich den Teufel im Leib, Vortrefflichster! Man wird irre an sich selber, wenn man den Exorzismus der Taufe sich sonach wie das Edikt von Nantes widerrufen denkt.«
Hier ergriff ich die Gelegenheit, dem unbescholtenen Staatsmann meine Achtung zu bezeigen durch meine leichte Erklärung seiner Erscheinung. Ich ersuchte ihn, sich bloß ähnliche Täuschungen [75] aus Moritzens und fast aller Seelenlehrer Magazinen zurückzurufen, worin die unleugbarsten Beispiele reden, daß viele kranke Menschen sich doppelt gesehen; in diesem Falle hab' er, fuhr ich fort, den Trost, daß er bloß sich selber für den Teufel genommen, und daß Beicht-Vater und Beicht-Sohn oder die Dreiheit von Staatsmännchen, Staatsbedienten und von dem aus beiden ausgehenden bösen Geist nur ein Wesen gewesen.
Der Greis sann etwas stark darüber nach; als ich aber ihn näher befragte, ob ihm das vermeinte Beichtkind etwas anderes bekannt, als was er schon gewußt, und ob er nicht selber über frappante Beziehungen stutzig geworden – und da ich ihm vorstellte, daß er Kraft und Witz und Scherz überflüssig besitze, um den Buffos-Charakter des Teufels in altchristlichen Mysterien jedesmal zu soutenieren und zu improvisieren – und als ich endlich bemerkte, daß nur die Finsternis ihn verhindert hätte, die Ähnlichkeit zwischen seiner und der teuflischen Gesichtsbildung wahrzunehmen: so fuhr der Greis, nach einem flüchtigen Überrechnen, wie erwachend aus einem schweren Traume, freudig nach meiner Hand und schüttelte sie mit den Worten: »Wahrlich, Freund, jetzt haben Sie absolviert, und zwar mich; aber wo hatt' ich meine Augen, Schönster!«
[76]Fußnoten
103) Gute Fürsten bekommen leicht gute Untertanen (nicht so leicht diese jene), so wie Adam im Stande der Unschuld die Herrschaft über die Tiere hatte, die alle zahm waren und blieben, bis sie bloß mit ihm verwilderten und fielen.
5) Denn ein guter Arzt rettet, wenn nicht immer von der Krankheit, doch von einem schlechten Arzte.
100) Die Bücher liegen voll Phönixasche eines tausendjährigen Reichs und Paradieses; aber der Krieg weht, und viel Asche verstäubt.
102) Lieber politischer oder religiöser Inquisitor! Die Turiner Lichtchen leuchten ja erst recht, wenn du sie zerbrichst, und zünden dann sogar.
86) So wahr! In der Jugend liebt und genießt man unähnliche Freunde fast mehr als im Alter die ähnlichsten.
128) In der Liebe gibts Sommerferien; aber in der Ehe gibts auch Winterferien, hoff' ich.
143) Die Weiber haben wöchentlich wenigstens einen aktiven und passiven Neids-Tag, den heiligen, den Sonntag; – nur die höhern Stände haben mehr Sonn-als Werkeltage, so wie man in großen Städten seinen Sonntag schon Freitags mit einem Türken feiern kann, Sonnabends mit einem Juden Sonntags mit sich selber. Weiber gleichen köstlichen Arbeiten aus Elfenbein: nichts ist weißer und glätter, und nichts wird leichter gelb.
34) Nur die kleinen Tapeten- und Hintertüren sind die Gnadentüren; das große Tor ist die Ungnadentüre, die Flügeltüren sind halbe Januspforten.
21) Schiller und Klopstock sind poetische Spiegel vor dem Sonnengotte; die Spiegel werfen so blendend die Sonne zurück, daß man in ihnen die Gemälde der Welt nicht gespiegelt sehen kann.
72) Den Halbgelehrten betet der Viertelsgelehrte an – diesen der Sechzehnteilsgelehrte – und so fort; – aber nicht den Ganzgelehrten der Halbgelehrte.
35) Bien écouter c'est presque répondre, sagt Marivaux mit Recht von geselligen Zirkeln; ich dehn' es aber auch auf runde Sessions- und Kabinettstische aus, wo man referiert und der Fürst zuhört.
17) Das Bette der Ehren sollte man doch, da oft ganze Regimenter darauf liegen und die letzte Ölung und vorletzte Ehre empfangen, von Zeit zu Zeit weichfüllen, ausklopfen und sömmern.
112) Gewisse Weltweiber benutzen in gewissen Fällen ihre körperliche Ohnmacht wie Muhammed seinefallende Sucht – auch ist jene diese –, bloß um Offenbarungen, Himmel, Eingebungen, Heiligkeit und Proselyten zu erhalten.
120) Mancher wird ein freier Diogenes, nicht wenn er in dem Fasse, sondern wenn dieses in ihm wohnt; und die gewaltige Hebkraft des Flaschenzugs in der Mechanik spürt er fast von einem Flaschenzuge anderer Art beim Flaschenkeller wiederholt und gut bewährt.
3) Die Kultur machte ganze Länder, z.B. Deutschland, Gallien etc., physisch wärmer, aber geistig kälter.
99) Gleichwohl hab' ich bei allem meinen Grimm über Nachdruck doch nie den Ankauf eines Privilegiums gegen Nachdruck für etwas anderes oder Schlechteres gehalten als für die Abgabe, die bisher alle christliche Seemächte an die barbarischen Staaten erlegten, damit sie nicht beraubt würden. Nur Frankreich hat, eben der Ähnlichkeit wegen, sowohl das Nachdrucks-Privilegium als die barbarische Abgabe abgeschafft.
1) Je mehr Schwäche, je mehr Lüge; die Kraft geht gerade; jede Kanonenkugel, die Höhlen oder Gruben hat, geht krumm.
32) Unser Zeitalter – von einigen papiernes genannt, als sei es aus Lumpen eines besser bekleideten gemacht – bessert sich schon halb, da es die Lumpen jetzt mehr zu Scharpien als zu Papieren zerzupft, wiewohl oder weil der Lumpenhacker (oder auch der Holländer) eben nicht ausruht; indes, wenn gelehrte Köpfe sich in Bücher verwandeln, so können sich auch gekrönte in Staatspapiere verwandeln und ummünzen; – in Norwegen hat man nach dem allg. Anzeiger sogar Häuser von Papier, und in manchen guten deutschen Staaten halt das Kammer-Kollegium (das Justiz-Kollegium ohnehin) seine eignen Papiermühlen, um Düten genug für das Mehl seiner Windmühlen zu haben. Ich wünschte aber, unsere Kollegien nahmen sich jene Glasschneiderei in Madrid zum Muster, in welcher (nach Baumgärtner) zwar neunzehn Schreiber angestellt waren, aber doch auch eilf Arbeiter.
39) Epiktet rät an, zu reisen, weil die alten Bekanntschaften uns durch Scham und Einfluß vom Übergange zur hohen Tugend abhalten – so wie man etwa seine Provinzialmundart schamhaft lieber außer Lands ablegt und dann völlig geläutert zu seinen Landsleuten zurückkommt; noch jetzt befolgen Leute von Stand und Tugend diesen Rat, obwohl umgekehrt, und reisen, weil die alten Bekanntschaften sie durch Scham zu sehr von neuen Sünden abschrecken.
2) Ein Soldat huldigt und gehorcht an seinem Fürsten zugleich seinem Fürsten und seinem Generalissimus; der Zivilist bloß seinem Fürsten.
29) Und wie viel ist nicht in der Jurisprudenz Jurisimprudenz, ausgenommen bei Unrechts-Gelehrten! –
39) »Die größere Hälfte« ist ein so meßwidriger Ausdruck, daß ihn kein Meßkünstler anders als von der Ehe, ja sogar nur von der seinigen gebrauchen könnte.
45) Die jetzigen Schriftsteller zucken die Achseln am meisten über die, auf deren Achseln sie stehen; und erheben die am meisten, die an ihnen hinauf kriechen.
14) Manche Dichter geraten unter dem Malen schlechter Charaktere oft so ins Nachahmen derselben hinein, wie Kinder, wenn sie träumen zu pissen wirklich ihr Wasser lassen.
103) Die Großen sorgen vielleicht so emsig für ihre Nachkommen wie die Ameisen; sind die Eier gelegt, so fliegen die männlichen und die weiblichen Ameisen davon und vertrauen sie den treuen Arbeitsameisen an.
10) Und liefert das Leben von unsern idealen Hoffnungen und Vorsätzen etwas anderes als eine prosaische, unmetrische, ungereimte Übersetzung?
78) Die Weiber halten alles Weißzeug weiß, nur kein Buch, ob sie gleich vielleicht manchen polemischen Folianten, eh' er in die Papiermühle gekommen, als Brauthemde am Leibe mögen getragen haben. Die Männer kehren es nur um.
7) Der geharnischte deutsche Reichskörper konnte sich darum schwer bewegen, weshalb die Käfer nicht fliegen können, deren Flügel recht gut durch Flügeldecken – und zwar durch zusammengewachsene – verschanzet sind.
8) Mit Staatseinrichtungen ists wie mit Kunststraßen: auf einer ganz neuen unbefahrnen, wo jeder Wagen am Straßenbau mit arbeiten und zerklopfen hilft, wird man ebenso gestoßen und geworfen als auf einer ganz alten ausgefahrnen voll Löcher. Was ist also hier zu tun? Man fahre fort.
3) Vor Gericht werden oft ermordete Geburten für totgeborne ausgegeben, in Antikritiken totgeborne für ermordete.
101) Nicht nur die Rhodier hießen von ihrem Koloß Kolosser, sondern auch unzählige Deutsche heißen von Luther Lutheraner.
88) Bis hieher hab' ich immer die Streitschriften der jetzigen philosophischen und ästhetischen idealen Streitflegel, worin allerdings einige Schimpfworte und Trug- und Lugschlüsse vorkommen, mehr von der schönern Seite genommen, indem ich sie bloß als eine Nachahmung des klassischen Altertums, und zwar der Ringer desselben angesehen, welche (nach Schöttgen) ihren Leib mit Kot bestrichen, um nicht gefaßt zu werden, und ihre Hände mit Staub anfüllten, um den fremden zu fassen.
103) Oder sind alle Moscheen, Episkopalkirchen, Pagoden, Filialkirchen Stiftshütten und Panthea etwas anderes als der Heidenvorhof zum unsichtbaren Tempel und zu dessen Allerheiligsten?
40) Das Volk ist nur im Erzählen, nicht im Räsonnieren weitläuftig; der Gelehrte ist nur in jenem, nicht in diesem kurz, eben weil das Volk seine Gründe nur als Empfindungen so wie die Gegenwart bloß anschauet, der Gelehrte hingegen beide mehr nur denkt.
9) Die Ägypter nahmen bei einem Landes-Unglück dadurch am Gott Typhon, dem sie es zuschrieben, Rache, daß sie seine Lieblinge von Felsen stürzten, die Esel. Ähnlicherweise haben sich in der Geschichte auch Staaten anderer Religion gerächt.
70) In die Philosophie verhülle sich die Dichtkunst nur so wie in diese sich jene; Philosophie aber in poetischer Prosa gleicht jenen Trinkgläsern in Schenken, welche, mit bunten Bilderschnörkeln umzogen, zugleich im Genusse des Getränkes und des Bildwerks, die oft widrig sich decken, stören.
158) Der Staat sollte öfter die Maul- und Kindertrommeln der Dichter nicht mit Regiments- und Feuertrommeln verwechseln, wieder umgekehrt sollte der Bürger manche fürstliche Trommelsucht nur für eine Krankheit nehmen, worin der Patient bloß durch die unter die Haut eingedrungene Luft sehr aufgeschwollen ist.
89) In großen Städten lebt der Fremde die ersten Tage nach seiner Ankunft bloß von seinem Gelde im Gasthofe, erst darauf in den Häusern seiner Freunde umsonst; langt man hingegen auf der Erde an, wie z.B. ich, so wird man gerade die ersten Jahre hindurch höflich freigehalten, in den andern und längern aber – denn man bleibt oft sechzig Jahre – muß man wahrhaftig (ich habe die Dokumente in Händen) jeden Tropfen und Bissen bezahlen, als wäre man im großen Gasthofe zur Erde, was noch dazu wahr ist.
112) Ich sage aber Nein. Der Mensch stelle sich so wie seinen Hut – wenn er sich und diesen nicht gerade gebraucht –, beide um sie zu schonen, so lange auf den Kopf, bis wieder getragen wird.
10) Die Weltepochen feiern – wie die spanischen Könige – Regierungsantritt, Volljährigkeit, Vermählung gern mit Scheiterhaufen (Autodafés), Tressen-Ausbrennungen der weisen oder auch der Irrgläubigen.
144) Der Rezensent gebraucht seine Feder eigentlich nicht zum Schreiben, sondern er weckt mit deren Brandgeruch Ohnmächtige auf, kitzelt mit ihr den Schlund des Plagiarius zum Wiedergeben und stochert mit ihr seine Zähne aus. Er ist der einzige im ganzen Gelehrten-Lexikon, der sich nie ausschreiben und ausschöpfen kann, er mag ein Jahrhundert oder ein Jahrtausend vor dem Dintenfasse sitzen. Denn indes der Gelehrte, der Philosoph und der Dichter das neue Buch nur aus neuem Stoff und Zuwachs schaffen legt der Rezensent bloß sein altes Maß von Einsicht und Geschmack an tausend neue Werke an, und sein altes Licht bricht sich an der vorbeiziehenden, stets verschieden geschliffnen Gläser-Welt, die er beleuchtet, in neue Farben.
107) Deutschland ist ein langes erhabnes Gebirge – unter dem Meer.
18) Unter Selbststillen versteht man nicht, wie beim Tatzen-saugenden Bären, daß man sich selber an die eigne Brust lege, sondern daß man andere nicht durch andere säugen lasse; so aber sollte auch das Wort Selbstliebe im Gebrauche sein.
97) Daher schließ' ich, daß Schmelzle gut predigt, schon aus seinen vielen Kenntnissen und Wortspielen. Die theologische Welt auf Kathedern noch mehr die auf Kanzeln, verdient das Lob, daß sie gleichsam der Lichtsammler oder Licht-Fang oder Lichtmagnet der besten Strahlen und Entdeckungen ist, die aus andern Wissenschaften ausgehen, besonders derer aus der Philosophie und Dichtkunst, sie selber entdeckt eigentlich nichts als eben die passiven Diebs-Inseln, wo sie ihre Gewürze abholt. So findet man in Predigten, z.B. in Marezolls Kanzelstücken, einen reichen Fund fremder Erfindungen; und überhaupt gibts wenige Entdeckungen in der Philosophie und Moral, welche ein Jahrfünf oder Jahrzehend später, nachdem sie ihren Schöpfer berühmt gemacht, nicht den Nachschöpfer in der theologischen Welt – diese Erbin ihrer Magd, der Philosophie – noch zehnmal größer und reicher gemacht hätten, sobald er nur Kanzel-Wasser genug zum Einflößen der fremden Bissen (boli) aufgegossen hatte. Aber hier möcht' ich gern auf einen Unterschied der meisten lutherischen Prediger von den Mönchen zeigen, der nicht ganz zum Nachteil der erstern ausschlägt. Der Mönch darf (C. 2. X. de stat. monach.) nichts Eigenes haben bei Strafe unehrlichen Begräbnisses, und jedes Eigentum wird ihm als Kirchenraub angerechnet. Mich dünkt aber, der lutherische Kanzelredner demütigt und entäußert sich weit mehr, wenn er auch im höhern Geistigen, wo er noch schön und frei zu wählen hat – da über das Eigentum des Körperlichen ohnehin in seinem Namen das Kammerkollegium das Armuts-Gelübde ablegt –, kurz, wenn er, was Gedanken anlangt, gar nichts Eignes hat und haben will.
71) Der Jüngling ist aus Willkür sonderbar und freuet sich; der Mann ists unabsichtlich und gezwungen und ärgert sich.
198) Der Pöbel und das Vieh schwindeln auf keinem Abgrunds-Abhang aber wohl der Mensch.
11) Das goldne Kalb der Selbstsucht wächst bald zum glühenden Phalaris-Ochsen, der seinen Vater und Anbeter einäschert.
103) Das männliche Schmarotzer-Gewächs an den weiblichen Rosen und Lilien muß (wenn ich dessen Schmeicheln recht fasse) wahrscheinlich bei den Schönen die Sitte der Italiener und Spanier voraussetzen, welche jede Kostbarkeit dem zum Geschenke anbieten, der solche sehr lobt.
199) Aber wenige gegenwärtige Staaten, glaub' ich, köpfen unter dem Vorwande zu trepanieren – oder heften (in einer gesuchtern Allegorie) die Lippen zusammen unter dem Vorwand, deren Hasenscharten zuzunähen.
12) Die Einzelwesen haben Lehrjahre, die Staaten Lehrjahrhunderte; aber sind beide freigesprochen, so sind doch wieder Lehrstunden und Sonntagsschulen nachzuholen.
67) Gastfreiheits-Wirt, willst du deinen Gast erforschen? Begleite ihn zu einem andern Wirte und höre zu! – Ebenso: willst du deine Geliebte in einer Stunde besser kennen lernen als in einem Monate Zusammenliebens? Sieh ihr eine Stunde lang unter Freundinnen und Feindinnen (wenn dies kein Pleonasmus ist) zu!
80) Im Sommer des Lebens graben und statten die Menschen Eisgruben so gut als möglich aus, um sich doch für ihren Winter etwas aufzuheben was fortkühlt.
28) Es ist mir unmöglich, sogleich auf der Stelle unter dem Wasserästen Wald von Anspielungen in meinen Werken – sogar diese ist wieder ein Ast – herauszubringen und darauf zu fallen, ob ich je die sämtlichen Höfe oder Höhen die (Bouguersche) Schneelinie Europas genannt habe oder nicht; ich wünschte aber Belehrung darüber, um es im widrigen Falle etwa noch zu tun.
36) Und so wünscht' ich überall der erste zu sein, besonders im Betteln der erste Kriegsgefangne, der erste Krüppel, der erste Abgebrannte (ähnlich dem, der die erste Feuerspritze anführt) erbeutet die Hauptsumme und das Herz; der Nachkömmling spricht die Pflicht nur an; – und endlich geht es mit dem melodischen Mancando des Mitleids so weit herunter, daß der letzte – wenn der vorletzte wenigstens noch mit einem reichen »Gotthelf« beschwert abzieht – nichts von der mildtätigen Hand mehr erhält als deren Faust. Wie nun im Betteln der erste, so möcht' ich im Geben der letzte sein einer löscht den andern aus, besonders der letzte den ersten. So aber ist die Welt bestellt.
136) Übersteigt ihr euere Zeit zu hoch, so geht es euern Ohren (von Seiten der Fama) nicht viel besser als sinkt ihr unter solche zu tief; wirklich ganz ähnlicher Weise spürte Charles oben in der Luftkugel undHalley unten in der Täucherglocke gleichen besondern Schmerz in den Ohren.
25) In der Jugend sieht man wie ein eben operierter Blindgeborner – und was tut auch der Geburtshelfer oder die Geburtshelferin anders als operieren – die Ferne für die Nähe an, den Sternenhimmel für greifbares Stubengeräte, die Gemälde für Gegenstände; und die ganze Welt sitzt dem Jüngling auf der Nase, bis ihn, wie den Blinden, mehrmaliges Auf- und Zubinden endlich Schein und Ferne schätzen lehrt.
125) Am Ende muß man noch aus Angst und Not der wärmste Weltbürger werden, den ich kenne; so sehr schießen die Schiffe als Weberschiffchen hin und her und weben Weltteile und Inseln aneinander. Denn es falle heute das politische Wetterglas in Südamerika: so haben wir morgen in Europa Gewitter und Sturm.
19) Leichter, hat man bemerkt, ersteigt man einen Berg, wenn man rückwärts hinaufgeht. Dies ließe sich vielleicht auch auf Staatshöhen anwenden wenn man ihnen immer nur das Glied wiese, womit man sich daraufsetzt, und das Gesicht gegen das Volk unten gerichtet hielte, indes man in einem fort sich entfernte und höbe.
26) Wenige deutsche Gelehrte sind nicht originell, wenn man anders (wie wenigstens aller Völker Sprachgebrauch ist) jedem Originalität zusprechen darf, der bloß seine eignen Gedanken auftischt und keine fremden. Denn da zwischen ihrem Gedächtnis, wo das Gelesene oder Fremde wohnt, und zwischen ihrer Phantasie oder Erzeugungskraft, wo das Geschriebne und Eigne entsteht, ein hinlänglicher Zwischenraum und die Grenzsteine so gewissenhaft und fest gesetzet sind, daß nichts Fremdes ins Eigne und umgekehrt herüberkann, so daß sie wirklich hundert Werke lesen können, ohne den Erdgeschmack des eignen einzubüßen oder dasselbe sonst zu ändern: so ist, glaub' ich, ihre Eigenheit bewährt, und ihre geistigen Nahrungsmittel, ihre Plinzen, Laibe, Krapfen, Kaviare und Suppenkugeln werden nicht, wie nach Buffon die körperlichen, zu organischen Kügelchen der Erzeugung, sondern erscheinen rein und unverändert wieder. Oft denk' ich mir solche Gelehrte als lebendige, aber tausendmal künstlichere Entriche von Vaukansons Kunst-Ente aus Holz. Denn in der Tat sind sie nicht weniger künstlich zusammengefugt als diese, welche frißt und den Fraß hinten wieder zu geben scheint- zarte Nachspiele der Ente, welche unter dem Schein, die Kost in Blut und Saft verwandelt zu haben, bloß einen vom Künstler im Hinterleibe trefflich vorgerüsteten Auswurf, der mit Speise und Verdauung gar nicht zusammenhängt, illusorisch in die Welt setzt und drückt.
15) Nach Ähnlichkeit der schön polierten englischen Einlegmesser gibts auch Einleg-Kriegsschwerter oder – mit andern Worten – Friedensschlüsse.
13) Omnibus una salus sanctis, sed gloria dispar, das heißt – schrieben sonst die Gottesgelehrten – nach Paulus haben wir im Himmel alle dieselbe Seligkeit, aber verschiedene Ruhm-Stufen. Schon auf der Erde finden wir im Himmel der Schriftstellerwelt ein Vorbild davon. Nämlich die Seligkeit der von der Kritik seliggesprochenen Autoren, der genialen, der guten, der mittelmäßigen, der geistesarmen, ist bei allen die nämliche, sie machen sämtlich im ganzen fast einerlei Kameral-Glück, denselben schwachen Profit. Aber Himmel, was hingegen Nach-Ruhms-Staffeln anlangt, wie tief wird nicht – ungeachtet des nämlichen Honorars und Absatzes schon bei Lebzeiten ein sogenannter Duns unter ein Genie hinabgestellt! – Wird nicht oft ein geistesarmer Autor in einer Messe vergessen, indes ein geistreicher oder gar ein genialer durch fünfzig Messen durchblüht und so erst sein 25 jähriges Jubiläum feiert, bevor er spät vergessen untergeht und im deutschen Ruhmtempel eingesenkt wird, der die bekannte Eigenheit der Kirchen des Ordens der Padri Lucchesi in Neapel nachahmt, welche bekanntlich (nach Volkmann) unter ihrem Dache eine Begräbnisstätte, aber kein Denkmal darauf verstatten?
79) Schwache und verschobene Köpfe verschieben und verändern sich am wenigsten wieder, und ihr innerer Mensch kleidet sich sparsam um ebenso mausern Kapaune sich nie.
89) Die Alten heilten sich im Zeiten-Unglück mit Philosophie oder mit Christentum; die Neuern aber, z.B. in der Schreckenszeit, griffen zur Wollust wie etwa der verwundete Büffel sich zur Kur und zum Verband im Schiamme wälzt.
108) Verwundert las ich, der Gruß im Gotthardstal sei Allegro! – Denn nie wurd' ich in Wetzlar, in Regensburg oder Wien anders gegrüßt als: Andante di molto! – zuweilen jedoch: Allegro ma non troppo! – Ja alte Generale grüßten sich oft: Poco vivace. – Ich erkläre mir es daher, daß der Deutsche, wenn alle Völker die Füße und Schuhe zu ihren Maßen nehmen lieber mit Sessions-Steißen und Hosen abmißt.
181) Gott sei Dank, daß wir nirgends ewig leben als in der Hölle oder im Himmel, auf der Erde würden sonst wahre Spitzbuben aus uns und die Welt ein Haus von Unheilbaren, aus Mangel der Kurschmiede (der Scharfrichter) und der ableitenden Haarseile (am Galgen) und der Ekel und Eisenkuren (auf Richtstätten). So daß wir also wirklich unsere sittliche Riesenkraft gerade so auf der Schuld der Natur, die wir zu bezahlen haben, beruhend finden, als die Politiker (z.B. der Verfasser des neuen Leviathans) die Übermacht der Engländer auf deren Nationalschuld gestützt erweisen.
63) Die, welche vom Völker-Lichte Gefahren befürchten, gleichen denen, die besorgen, der Blitz schlag' ins Haus, weil es Fenster hat; da er doch nie durch diese, sondern nur durch deren Blei-Einfassung fährt oder an der Rauchwolke des Schornsteins herab.
76) Die ökonomische, predigende Poesie glaubt wahrscheinlich, ein chirurgischer Steinschneider sei ein artistischer; und eine Kanzel oder ein Sinai sei ein Musenberg.
115) Nach Smith ist die Arbeit der allgemeine Maßstab des kameralen Werts. Dies haben aber, wenigstens in Bezug auf geistigen und poetischen Wert, die Deutschen noch früher eingesehen und meines Wissens stets den gelehrten Dichter über den genialen und das schwere Buch voll Arbeit über das flatternde voll Spiel gesetzt.
4) Der Heuchler kehret die alte Methode, wornach man mit einem nur an einer Schneiden-Seite vergifteten Messer die Frucht zerschnitt und die damit geätzte Hälfte dem Opfer hinreichte und die gesunde zweite selber aß, so uneigennützig gegen sich selber um, daß er gerade die gute moralische Hälfte und Seite dem andern zeigt und gibt und nur sich die giftige vorbehält. Himmel, wie schlecht erscheint einem solchen Manne gegenüber der Teufel!
66) Wenn die Bemerkung des Verfassers der Glossen richtig ist, daß die Postmeister in den größern Ländern zugleich auch die gröbern sind: so hat Napoleon, der viele kleine Länder zu einem großen korinthischen Erze zusammen schmolz und brannte, die Postmeister und Posthalter, z.B. im höflichen Sachsen, gewiß nicht noch höflicher gemacht, sondern sie eher aus der Komplimentierschule herausgeschickt. Was sie indes an Höflichkeit verloren, gewinnen sie vielleicht in Briefporto wieder, da ich mir nicht denken kann, daß der Kardinal-Protettore del S. Imperio, dessen Briefe bekanntlich sonst alle postfrei durch das heilige römische Reich gelaufen nicht jetzt alles frankieren sollte, was er etwa zu melden hat.
67) Einzelne Seelen, ja Staatskörper gleichen organischen Körpern: zieht man aus ihnen die innere Luft heraus, so erquetscht sie der Dunstkreis; pumpt man unter der Glocke die äußerewiderstehende hinweg: so schwellen sie von innerer über und zerplatzen. Demnach behalte jeder Staat innern und äußern Widerstand zugleich.
19) Mehr als ein Schriftsteller hat es hinter Hermes nach versucht, das Beispiel der Gattinnen und Ärzte, welche einem Trunkenbold das Lieblingsgetränk auf immer durch einen eingeschwärzten krepierten Frosch oder durch Brechweinstein zu verleiden wußten, nachzuahmen und auf ähnliche Weise dem heißhungrigen Romanen-Leser den Roman durch häufige in denselben eingebrockte Predigten, Moralien und Langeweilen (dergleichen sollte krepierte Frösche vorstellen) dermaßen zu versalzen und zu verekeln, daß er dann nach keinem Romane mehr griffe – – Aber der Ekel verfing wenig; und Hermesen selber glückt' es am wenigsten; eher noch seinen Nachfolgern, bei denen der Wein sich weniger im Geschmacke von dem Brechwein unterschied, den sie dazu gegossen.
8) In großen Sälen wird der wahre Ofen in einen zierlichen Schein-Ofen verlarvt; so ist es schicklich und zierlich, daß sich die jungfräuliche Liebe immer in eine schöne jungfräuliche Freundschaft verberge.
12) Die Völker lassen – als Widerspiele der Ströme, die in der Ebene und Ruhe am meisten das Unreine niederschlagen – gerade nur im stärksten Bewegen das Schlechte fallen, und sie werden desto schmutziger, je länger sie in trägen platten Flächen weiter schleichen.
23) Wenn die Natur das alte große Erdenrund, den Erden-Laib, von neuem durchknetet, um unter diesen Pasteten-Deckel neue Gefüllsel und Zwerge hineinzubacken: so gibt sie meistens, wie eine backende Mutter ihrem Töchterchen, zum Scherze etwas weniges Pastetenteig davon (ein paar tausend Quadratmeilen solchen Teigs sind genug für ein Kind) irgendeiner Dichter- oder Weisen- oder Heldenseele ab, damit das kleine Ding doch auch etwas auszuformen und aufzustellen habe neben der Mutter. Bekommen dann die Geschwister etwas vom Gebäcke des Schwesterchens: so klopfen sie alle in die Hände und rufen: Mutter, kannst du auch so braten wie Viktoriechen?
104) Der unendliche Ton- und Feuer- und Bewegungs-Geist wollte, nachdem er ewig lange nichts gesehen als im innern Spiegel sein donnerndes, flammendes, fliegendes Bild, endlich einmal auch ein schönes Still-Leben malen und schaffen, – sich da hatt' er auf einmal das Universum gemacht, aber noch immer hängt das Still-Leben vor Gott, und er scheint es gern anzusehen, das All.